Die Wildente - Henrik Ibsen - E-Book

Die Wildente E-Book

Henrik Ibsen

4,4

Beschreibung

Gregers Werle, ein ehemaliger Leutnant, der wegen illegaler Geschäfte, deren Drahtzieher der Großhändler Werle war, im Gefängnis gelandet ist, kehrt nach Jahren zurück in sein Elternhaus. Zu Hause trifft er seinen Jugendfreund Hjalmar Ekdal wieder, mit dem er auch lange keinen Kontakt hatte. Durch diese Familie zieht sich eine Lebenslüge, die von Hjalmars Jugendfreund Gregers Werle, dem Sohn des Großhändlers, aufgedeckt wird. Gregers findet er die Aufgabe seines Lebens: Er will seinem Freund die Wahrheit sagen, damit dieser daraus Wissen und Kraft für Höheres, eine ideale Zukunft schöpfen kann. Doch damit zerstört er das Leben Hjalmars, der den hohen Idealen Gregers' nicht gewachsen ist.Die Wildente ist ein Schauspiel in fünf Akten.AUTORENPORTRÄTHenrik Ibsen wurde 1828 in Skien in Norwegen geboren. Er war der älteste Sohn einer traditionsreichen, vornehmen norwegischen Familie. Seiner Vater war Kaufmann Knud Ibsen. Von 1844 bit 1850 absolvierte Henrik Ibsen eine Ausbildung als Apotheker, aber sein Hauptinteresse galt inzwischen bereits der Literatur. 1850 vollendete er sein erstes Stück, und im Jahr 1857 übernahm er die künstlerische Leitung des Norske Teatret in Kristiania. Später im Leben bekam Henrik Ibsen ein Dichterstipendium für eine Studienreise, und von 1864 bis 1891 lebte Henrik Ibsen abwechselnd in Dresden, München und Rom. Henrik Ibsen starb am 23. Mai 1906. -

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 169

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,4 (18 Bewertungen)
12
2
4
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Henrik Ibsen

DIE WILDENTE

SCHAUSPIEL IN FÜNF AKTEN

 

 

Saga

Personen

Werle

, Großkaufmann, Hüttenbesitzer usw.

Gregers

, sein Sohn

Der Alte Ekdal

Hjalmar Ekdal

, des Alten Sohn, Photograph

Gina

, Hjalmars Frau

Hedwig

, ihre Tochter, 14 Jahr alt

Frau Sörby

, Haushälterin bei Werle

Relling

, Arzt

Molvik

, gewesener Theologe

Gråberg

, Buchhalter

Pettersen

, Diener bei Werle

Jensen

, Lohndiener

Ein Beleibter Herr

von bleicher Gesichtsfarbe

Ein Herr Mit Einer Glatze

Ein Kurzsichtiger Herr

Sechs Andere Herren

, Gäste Werles

Mehrere Lohndiener

Der erste Akt spielt in Werles Hause, die vier andern bei Hjalmar Ekdal.

(Sprich: Jalmar, Sörbih, Molwik, Groberg, Häudalswerk, Hoken.)

Erster akt

In Werles Haus. Reich und bequem eingerichtetes Arbeitszimmer; Bücherschränke und Polstermöbel; Schreibtisch mit Dokumenten und Protokollen; mitten im Zimmer brennende Lampen mit grünen Schirmen, so daß ein gedämpftes Licht im Zimmer herrscht. Offene Flügeltür mit zurückgeschlagener Portière an der Hinterwand. Durch diese Tür blickt man in ein großes, elegantes Zimmer, das durch Lampen und Armleuchter hell erleuchtet ist. Vorn rechts im Arbeitszimmer führt eine kleine Tapetentür in die Kontore. Vorn links ein Kamin, worin Kohlen glühen; weiter nach hinten eine Doppeltür, die in den Speisesaal führt.

Pettersen, in Livree, und Jensen, im Frack machen im Arbeitszimmer Ordnung. In dem größeren Zimmer bewegen sich zwei, drei andere Lohndiener, räumen auf und machen noch mehr Licht. Aus dem Speisesaal tönt das Summen der Unterhaltung und vielstimmiges Lachen; man klopft mit einem Messer ans Glas; Ruhe tritt ein; ein Toast wird gehalten; Bravorufe, darauf wieder das Summen des Gesprächs.

Pettersenzündet eine Lampe auf dem Kamin an und setzt den Schirm darüber. Sie, Jensen, hören Se man bloß mal; nu steht der Alte auf und red’t ’nen länglichen Tomast auf Frau Sörby.

Jensenschiebt einen Lehnstuhl vor. Ist das vielleicht wahr, was die Leute sagen, daß mit die beiden was los is?

Pettersen. Weiß der Deubel.

Jensen. Er soll ja in frühere Jahre ein doller Bengel gewesen sein.

Pettersen. Das’ woll möglich.

Jensen. Das Diner, das gibt er ja woll für seinen Sohn.

Pettersen. Ja. Der Sohn ist seit gestern wieder da.

Jensen. Ich hab’ gar nich mal gewußt, daß Herr Werle ’n Sohn hat.

Pettersen. Jawoll, — er hat ’n Sohn. Aber der kommt nie da oben vom Höjdalswerk weg. In die ganzen Jahre, wo ich hier diene, is er nie zu Haus’ gewesen.

Ein Lohndienerin der Tür zum andern Zimmer. Sie, Pettersen, da is so’n alter Kunde, der —

Pettersenbrummend. Deubel noch mal, wer will denn jetzt hier ’rein?

Der alte Ekdal wird im Zimmer rechts sichtbar. Er trägt einen fadenscheinigen Radmantel mit hohem Kragen; wollene Fausthandschuhe; in der Hand hält er einen Stock und eine Pelzmütze; unter dem Arm ein Paket in Packpapier. Rotbraune, schmutzige Perücke und einen kleinen grauen Schnurrbart.

Pettersengeht ihm entgegen. Herrjeh! — Was wollen Sie denn hier?

Ekdalin der Tür. Muß dringend aufs Kontor, Pettersen.

Pettersen. Das Kontor ist schon ’ne Stunde zu, un —

Ekdal. Hab’s schon unten gehört, Freundchen! Aber Gråberg ist noch drin. Seien Sie nett, Pettersen, und lassen Sie mich durch die Tür da ’rein. Zeigt auf die Tapetentür. Bin schon mal den Weg gegangen.

Pettersen. Na, meinswegen! Öffnet ihm die Tür. Aber passen Sie ja auf, daß Sie auch den richtigen Weg wieder ’runter kommen. Wir haben Gäste.

Ekdal. Weiß schon — hm! Danke, Pettersenchen! Alter guter Freund. Danke schön. Brummt leise: Schafskopf! Ab ins Kontor, Pettersen schließt die Tür hinter ihm.

Jensen. Gehört der auch mit zu die Kontorleute?

Pettersen. Nee, das is man bloß so einer, der aus ’m Hause schreibt, wenn sie ’ne Aushilfe brauchen. Aber das war früher mal ’n verdammt feinen Kerl, der alte Ekdal.

Jensen. Ja, er sah auch aus nach so was.

Pettersen. Na ja! Der is doch auch Leutnant gewesen!

Jensen. Deubel auch, — Leutnant!

Pettersen. Jawoll ja. Dann schmiß er sich auf ’n Holzhandel oder was Ähnliches. Sie sagen, er hat Werle mal düchtig ’reingelegt. Die beiden hatten nämlich damals das Höjdalswerk zusammen, verstehn Sie. O, den alten Ekdal, den kenn’ ich ’n bischen fein. Wir trinken so manchen Bittern und manche Buddel Bayrisch zusammen — bei Madam Eriksen.

Jensen. Na, bei dem is es mit ’m Spendieren doch woll man bloß nur so so?

Pettersen. Herrjeh, Jensen, — Sie können sich doch woll denken, daß ich der Spendierer bin. Ich mein’ doch, man soll schangtil mit Leute sein, denen ’s mal besser gegangen is.

Jensen. Hat er denn Bankrott gemacht?

Pettersen. Nee, es war woll noch viel schlimmer. Er hat Festung gekriegt.

Jensen. Festung!

Pettersen. Kann auch Zuchthaus gewesen sein — horcht. — Pst, Sie stehen von Tisch auf.

Ein paar Diener öffnen die Tür des Speisesaals von innen. Frau Sörby, im Gespräch mit einigen Herren, tritt auf. Ihr folgt auf dem Fuße die ganze Tischgesellschaft. Darunter Werle. Zuletzt kommen Hjalmar und Gregers.

Frau Sörbyim Vorübergehen zum Diener. Pettersen, lassen Sie bitte den Kaffee im Musiksaal servieren.

Pettersen. Sehr wohl, Frau Sörby.

Sie und die zwei Herren treten in das große Zimmer und von dort aus rechts ab. Pettersen und Jensen ab auf demselben Wege.

Ein Beleibterzu einem Glatzkopf. Puh, — dies Diner! — das war ein derbes Stück Arbeit!

Der Glatzkopf. Ach, mit einem bißchen gutem Willen kann man in drei Stunden unglaublich viel leisten.

Der Beleibte. Ja, aber nachher, nachher, mein lieber Kammerherr!

Ein Dritter Herr. Ich höre, der Mokka und der Maraschino werden im Musiksaal gereicht.

Der Beleibte. Bravo! Dann spielt uns Frau Sörby vielleicht etwas vor.

Der Glatzkopfmit gedämpfter Stimme. Wenn Frau Sörby uns nur nicht bald etwas pfeift, Du.

Der Beleibte. I Gott bewahre. Berta läßt ihre alten Freunde nicht sitzen.

Sie lachen und gehen ins Zimmer ab.

Werleleise und verstimmt. Ich glaube, es hat niemand etwas bemerkt, Gregers.

Gregerssieht ihn an. Was?

Werle. Hast Du es auch nicht bemerkt?

Gregers. Was sollte ich bemerkt haben?

Werle. Wir waren dreizehn bei Tische.

Gregers. So? Waren wir dreizehn?

Werlemit einem Blick auf Hjalmar Ekdal. Wir sind sonst gewöhnlich nur zwölf. Zu den übrigen. Bitte, meine Herren!

Er und die Zurückgebliebenen, mit Ausnahme von Hjalmar und Gregers, gehen durch den Hintergrund rechts ab.

Hjalmar, der das Gespräch gehört hat. Du hättest mich nicht einladen sollen, Gregers.

Gregers. Was! Es heißt ja doch, die Gesellschaft sollte mir zu Ehren sein. Und da hätte ich meinen einzigen und besten Freund nicht bitten sollen —

Hjalmar. Aber ich glaube, es ist Deinem Vater nicht recht. Ich komme ja sonst nie hier ins Haus.

Gregers. Ja, das höre ich. Aber ich mußte Dich doch sehen und sprechen; denn ich reise ja doch bald wieder ab. — Ja, Du, — wir zwei alten Schulkameraden — wir sind allerdings recht sehr auseinander gekommen. Wir haben uns an die sechzehn, siebzehn Jahre nicht gesehen!

Hjalmar. Ist das schon so lange her?

Gregers. Allerdings. Na, wie geht es Dir denn? Du siehst gut aus. Du bist sehr stark geworden.

Hjalmar. Hm, stark kann man das wohl nicht nennen. Aber natürlich sehe ich männlicher aus als dazumal.

Gregers. In der Tat. Dein Äußeres hat nicht gelitten.

Hjalmarin düsterem Ton. Aber, Du, das Innere! Das sieht anders aus, kannst Du glauben! Du weißt doch, wie schrecklich es mit mir und den Meinen bergab gegangen ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.

Gregersleiser. Wie geht es denn Deinem Vater jetzt?

Hjalmarscheu. Mein Lieber, da rüber wollen wir lieber nicht reden. Mein armer, unglücklicher Vater lebt natürlich bei mir. Er hat ja auf der weiten Welt keine andere Zufluchtsstätte. Aber, siehst Du, über diese Geschichte zu reden, das fällt mir grauenhaft schwer. — Sag’ mir lieber, wie ist es Dir da oben auf dem Werk gegangen.

Gregers. Himmlisch einsam habe ich gelebt, — hatte viel Muße, über dies und das nachzudenken. — Komm her, wir wollen es uns bequem machen. Er setzt sich in einen Lehnstuhl am Kamin und nötigt Hjalmar in einen daneben stehenden.

Hjalmarweich. Trotz alledem sage ich Dir Dank dafür, Gregers, daß Du mich an Deines Vaters Tisch geladen hast; denn nun weiß ich doch, daß Du nichts mehr gegen mich hast.

Gregersverwundert. Wie kommst Du auf den Gedanken, ich könnte etwas gegen Dich haben?

Hjalmar. In den ersten Jahren war es doch der Fall.

Gregers. In welchen ersten Jahren?

Hjalmar. Nachdem das große Unglück geschehen war. Und es war ja auch nur zu natürlich. Es hing ja doch nur an einem Haar, und Dein Vater wäre mit in diese — o, diese schrecklichen Geschichten hineingezogen worden!

Gregers. Und deshalb sollte ich etwas gegen Dich haben? Wer hat Dir das eingeredet?

Hjalmar. Ich weiß, Du hattest etwas gegen mich, Gregers; denn Dein Vater selbst hat es mir gesagt.

Gregersstutzt. Mein Vater! Ja so. Hm. — Und nur deshalb hast Du nie wieder etwas von Dir hören lassen — kein Sterbenswörtchen?

Hjalmar. Ja.

Gregers. Nicht einmal zu der Zeit, als Du Photograph wurdest?

Hjalmar. Dein Vater sagte, es lohne sich der Mühe nicht, Dir über dies und anderes zu schreiben.

Gregerssieht vor sich hin. Nein, nein — kann sein, daß er darin recht hatte. Aber sag’ mir jetzt, Hjalmar, — befriedigt Dich Deine Stellung einigermaßen?

Hjalmarseufzt leicht. Ach ja, weshalb nicht; kann eigentlich nicht klagen. Im Anfang kam es mir freilich ein bißchen seltsam vor, weißt Du. Ich kam ja in so ganz andere Verhältnisse. Aber mein ganzes anderes Leben war ja auch so völlig verändert. Der große unglückselige Ruin meines Vaters, — die Schande und der Skandal, Gregers —

Gregersbewegt. Jawohl, ja. Jawohl.

Hjalmar. Meine Studien fortzusetzen, daran konnte ich doch nicht denken. Kein Pfennig war übrig geblieben; im Gegenteil, eher noch Schulden, — zumal bei Deinem Vater, glaube ich —

Gregers. Hm —

Hjalmar. Na, also da hielt ich es für das beste, — so mit einem Ruck, siehst Du, — mich aus allen alten Verhältnissen und Verbindungen herauszureißen. Ganz besonders Dein Vater riet mir dazu; und da er sich meiner so hilfreich annahm —

Gregers. Hat mein Vater das getan?

Hjalmar. Ja; das weißt Du ja doch? Wo hätte ich denn das Geld hernehmen sollen, um das Photographieren zu erlernen, mir ein Atelier einzurichten und mich zu etablieren. Du, das kostet was!

Gregers. Und die Kosten für das alles hat mein Vater getragen?

Hjalmar. Ja, mein Lieber, das weißt Du nicht? Ich verstand ihn so, als hätte er es Dir geschrieben.

Gregers. Kein Wort, daß er es war. Er muß es vergessen haben. Wir haben immer nur Geschäftsbriefe gewechselt. So, also mein Vater hat —!

Hjalmar. Ja freilich. Er hat nur nicht gewollt, daß die Leute etwas davon erführen; aber er ist es gewesen. Und er war es auch, der mir das Heiraten ermöglichte. Oder — weißt Du am Ende auch das nicht?

Gregers. Nein, das wußte ich freilich nicht. — Packt ihn bewegt am Arm. Aber, mein lieber Hjalmar, ich kann Dir nicht sagen, wie das alles mich freut — und mich quält. Vielleicht habe ich meinem Vater doch unrecht getan — in manchen Stücken. Denn, siehst Du, diese Regung ist ja doch ein Zeichen von Gemüt —. Es ist wie eine Art Gewissen —

Hjalmar. Gewissen?

Gregers. Jawohl, oder wie Du es sonst nennen willst. Nein, ich finde gar keine Worte für meine Freude, so etwas von Vater zu hören. — Also, Du bist verheiratet, Hjalmar. So weit werde ich es nie bringen. Na, ich hoffe doch, Du fühlst Dich als Ehemann glücklich?

Hjalmar. O, natürlich. Sie ist eine so tüchtige und brave Frau, wie ein Mann sie sich nur wünschen kann. Und außerdem ist sie nicht ganz ohne Bildung.

Gregersein wenig erstaunt. Nein, — das kann sie wohl auch nicht sein.

Hjalmar. Das Leben, sieh mal, erzieht. Der tägliche Umgang mit mir —; und dann kommen doch auch häufig ein paar begabte Menschen zu uns. Ich versichere Dir, Du würdest Gina nicht wiedererkennen.

Gregers. Gina?

Hjalmar. Ja, mein Lieber, hast Du denn vergessen, daß sie Gina hieß?

Gregers. Wer hieß Gina? Ich weiß ja gar nicht —

Hjalmar. Aber hast Du denn vergessen, daß sie eine Zeit lang bei Euch in Stellung war?

Gregerssieht ihn an. Ist es Gina Hansen —?

Hjalmar. Ja, natürlich ist es Gina Hansen.

Gregers. — die uns den Haushalt führte im letzten Jahr, wo Mutter krank war?

Hjalmar. Ja, gewiß. Aber, lieber Freund, ich weiß doch ganz bestimmt, daß Dein Vater Dir über meine Verheiratung geschrieben hat.

Gregers, der aufgestanden ist. Ja, das hat er freilich getan; aber nicht, daß — Geht im Zimmer auf und ab. Aber wart’ mal; — vielleicht doch — wenn ich mich recht besinne. Aber Vater schreibt mir immer so kurz. Setzt sich halb auf die Armlehne. Du, Hjalmar, sag’ mir mal —; die Sache ist komisch —; wie ist das zugegangen, daß Du mit Gina — mit Deiner Frau bekannt wurdest?

Hjalmar. O, das war sehr einfach. Gina blieb doch nicht lange hier im Hause; denn hier ging’s damals drunter und drüber; die Krankheit Deiner Mutter —; all das wurde Gina zu viel, und deshalb kündigte sie und ging. Das war ein Jahr vor dem Tode Deiner Mutter, — oder vielleicht war’s auch im selben Jahr.

Gregers. Es war im selben Jahr. Und ich war damals auf dem Werk oben. Aber was weiter?

Hjalmar. Ja, da zog Gina wieder zu ihrer Mutter, einer Madam Hansen, einer ungewöhnlich tüchtigen und strebsamen Frau, die eine kleine Gastwirtschaft betrieb. Auch hatte sie noch ein Zimmer zu vermieten; ein recht nettes, gemütliches Zimmer.

Gregers. Das Du so glücklich warst zu bekommen?

Hjalmar. Ja. Auch darauf hatte Dein Vater mich aufmerksam gemacht. Und dort, — siehst Du, — dort habe ich Gina recht eigentlich kennen gelernt.

Gregers. Und dann kam es zur Verlobung?

Hjalmar. Ja. Junge Leute verlieben sich ja so leicht ineinander —; hm —

Gregerssteht auf und geht hin und her. Sag’ mal — nachdem Du Dich verlobt hattest, — da erst ließ mein Vater Dich —; ich meine, — da erst fingst Du an, Dich auf das Photographieren zu legen?

Hjalmar. Ja freilich. Denn ich wollte gern vorwärts und mich je eher, je lieber niederlassen. Und da fand denn Dein Vater wie auch ich, daß es auf die bequemste Art ginge, wenn ich’s mit dem Photographieren versuchte. Gina war derselben Meinung. Und außerdem, siehst Du, gab es noch einen andern Grund. Es traf sich, daß Gina das Retouchieren erlernt hatte.

Gregers. Das paßte ja ganz wunderbar zusammen.

Hjalmarzufrieden, steht auf. Ja, nicht wahr? Du findest auch, daß es ganz wunderbar zusammen paßte?

Gregers. Ja, das muß ich gestehen. Mein Vater ist für Dich so eine Art Vorsehung gewesen.

Hjalmarbewegt. Er verließ den Sohn seines alten Freundes nicht in den Tagen der Bedrängnis. Denn er hat Gemüt, siehst Du.

Frau Sörbytritt ein, mit Werle am Arm. Keine Widerrede, mein guter Herr Werle; Sie dürfen mir nicht länger da drin bleiben und in das viele Licht starren. Es bekommt Ihnen nicht gut.

Werleläßt ihren Arm los und fährt mit der Hand über die Augen. Schon möglich, daß Sie recht haben.

Pettersen und Jensen kommen mit Präsentiertellern.

Frau Sörbyzu den Gästen im anderen Zimmer. Bitte schön, meine Herren; wer ein Glas Punsch haben will, der muß sich hier herein bemühen.

Der Beleibtetritt zu Frau Sörby. Mein Gott, ist es wahr, daß Sie die herrliche Rauchfreiheit aufgehoben haben?

Frau Sörby. Jawohl, hier im Bereich des Herrn Werle ist sie aufgehoben, Herr Kammerherr.

Der Glatzkopf. Seit wann haben Sie für das Zigarrengesetz diese verschärften Bestimmungen eingeführt, Frau Sörby?

Frau Sörby. Nach dem letzten Diner, Herr Kammerherr; denn da haben sich gewisse Leute erlaubt, über die Stränge zu schlagen.

Der Glatzkopf. Und das ist nicht erlaubt, ein klein bißchen über die Stränge zu schlagen, Frau Berta? Wirklich nicht?

Frau Sörby. In gar keiner Beziehung, Herr Balle.

Die Mehrzahl der Gäste hat sich im Arbeitszimmer versammelt. Die Diener reichen Punsch herum.

Werlezu Hjalmar, weiter vorn an einem Tische. Was studieren Sie denn da so eifrig, Ekdal?

Hjalmar. Es ist nur ein Album, Herr Werle.

Der Glatzkopf, der umhergeht. Ah, Photographien! Ja, das ist ja so etwas für Sie.

Der Beleibtein einem Lehnstuhl. Haben Sie nicht ein paar von Ihren eigenen mitgebracht?

Hjalmar. Nein, bedaure.

Der Beleibte. Das hätten Sie doch tun sollen; es ist gut für die Verdauung, so dazusitzen und Bilder anzuschauen.

Der Glatzkopf. Und dann, sehen Sie, trägt es auch immer ein bißchen mit zur Unterhaltung bei.

Ein Kurzsichtiger. Und jeder Beitrag wird dankbar angenommen.

Frau Sörby. Die Herren meinen, wenn man zum Diner eingeladen ist, so muß man auch für das Essen etwas leisten, Herr Ekdal.

Der Beleibte. In einem Hause, wo gut gegessen wird, ist das ein wahres Vergnügen.

Der Glatzkopf. Du lieber Gott, wenn es den Kampf ums Dasein gilt, so —

Frau Sörby. Da haben Sie recht! Setzen das Gespräch unter Lachen und Scherzen fort.

Gregersleise. Du mußt mitreden, Hjalmar.

Hjalmarunwillig. Von was soll ich denn reden?!

Der Beleibte. Meinen Sie nicht auch, Herr Werle, daß man den Tokayer als ein verhältnismäßig gesundes Getränk für den Magen ansehen kann?

Werleam Kamin. Für den Tokayer, den Sie heute bekommen haben, kann ich wenigstens garantieren; das ist einer von den aller-, allerfeinsten Jahrgängen. Nun, das haben Sie wohl auch selbst gemerkt.

Der Beleibte. Jawohl, er schmeckte hervorragend delikat.

Hjalmarunsicher. Gibt es einen Unterschied zwischen den Jahrgängen?

Der Beleibtelachend. Nein, — Sie sind gut!

Werlelächelt. Es lohnt sich wirklich nicht, Ihnen einen edlen Tropfen vorzusetzen.

Der Glatzkopf. Es ist mit dem Tokayer, wie mit den Photographien, Herr Ekdal. Es gehört Sonnenschein dazu. Oder ist es vielleicht nicht so?

Hjalmar. Ja, das Licht tut das Seinige.

Frau Sörby. Aber dann ist es ja akkurat so wie mit den Kammerherren; denn die haben Sonnenschein auch furchtbar nötig, wie man sagt.

Der Glatzkopf. Au! Au! Da haben Sie aber einen recht alten Witz gemacht!

Der Kurzsichtige. Gnädige Frau produzieren sich —

Der Beleibte. — und zwar auf unsere Kosten. Droht. Frau Berta! Frau Berta!

Frau Sörby. Ja, aber das steht doch nun einmal bombenfest, daß die Jahrgänge sehr verschieden sein können. Die alten Jahrgänge sind die feinsten.

Der Kurzsichtige. Rechnen Sie mich zu den alten?

Frau Sörby. I, keine Spur.

Der Glatzkopf. Seh’ mal einer an! Aber ich, verehrteste Frau —?

Der Beleibte. Ja, und ich! Zu welchen Jahrgängen rechnen Sie uns?

Frau Sörby. Sie rechne ich zu den süßen Jahrgängen, meine Herren. Sie nippt an einem Glase Punsch; die Kammerherren lachen und scherzen mit ihr.

Werle. Frau Sörby weiß sich immer aus der Affäre zu ziehen — wenn sie will. Aber Sie trinken ja gar nichts, meine Herren! — Pettersen, so passen Sie doch auf —! Gregers, ich denke, wir trinken ein Glas zusammen. Gregers rührt sich nicht. Wollen Sie nicht mithalten, Ekdal? Ich hatte keine Gelegenheit, bei Tisch mit Ihnen anzustoßen.

Gråberg durch die Tapetentür ins Zimmer.

Gråberg. Pardon, Herr Werle, aber ich kann nicht heraus.

Werle. Man hat Sie da drin schon wieder eingeschlossen?

Gråberg. Jawohl, und Flakstad hat die Schlüssel mitgenommen —

Werle. Na, dann gehen Sie nur hier durch.

Gråberg. Aber da ist noch wer —

Werle. Ja, kommt nur, kommt nur, Ihr zwei beiden; geniert Euch nicht. Gråberg und der alte Ekdal kommen aus dem Kontor.

Werleunwillkürlich. Nanu!

Lachen und Gespräch der Gäste verstummen. Hjalmar fährt beim Anblick seines Vaters zusammen, stellt sein Glas hin und wendet sich dem Kamin zu.

Ekdalsieht nicht auf, macht aber während des Gehens kurze Verbeugungen nach allen Seiten und murmelt: Bitte um Verzeihung. Bin den falschen Weg gekommen. Unten war zu; — war unten zu. Bitte um Verzeihung.

Er und Gråberg durch den Hintergrund rechts ab.

Werlezwischen den Zähnen. Der verdammte Gråberg!

Gregersstarrt Hjalmar mit offenem Munde an. Das war doch nicht etwa —!

Der Beleibte. Was ist das? Wer war das?

Gregers. O, das war weiter niemand. Nur der Buchhalter und noch einer.

Der Kurzsichtigezu Hjalmar. Kannten Sie den Mann?

Hjalmar. Ich weiß nicht —; ich habe nicht acht gegeben —

Der Beleibtesteht auf. Donnerwetter, was ist denn los? Geht zu einigen anderen, die leise sprechen.

Frau Sörbyflüstert dem Diener zu: Geben Sie ihm draußen etwas mit; etwas recht Gutes.

Pettersennickt. Soll geschehen.

Ab.

Gregersleise und bewegt zu Hjalmar. Er war es also wirklich!

Hjalmar. Ja.

Gregers. Und doch hast Du dagestanden und ihn verleugnet!

Hjalmarflüstert heftig. Aber konnte ich denn —!

Gregers. — zu Deinem Vater Dich bekennen?

Hjalmarschmerzlich. O, wärest Du nur an meiner Stelle —

Die Unterhaltung der Gäste, die bis jetzt mit leiser Stimme geführt worden, wird jetzt gezwungen laut.

Der Glatzkopfnähert sich Hjalmar und Gregers freundschaftlich. Aha, da frischt man wohl alte Erinnerungen aus der Studentenzeit auf? Was? Rauchen Sie nicht, Herr Ekdal? Wünschen Sie Feuer? Ist ja wahr, wir dürfen nicht —

Hjalmar. Danke, ich rauche nicht — —

Der Beleibte. Wollen Sie uns nicht ein kleines nettes Gedicht vordeklamieren, Herr Ekdal? Früher konnten Sie das so hübsch.

Hjalmar. Ich kann leider keins mehr.

Der Beleibte. Ach, das ist aber schade. Ja, was wollen wir denn jetzt machen, Balle?

Beide Herren gehen ab in den anderen Raum.

Hjalmardüster. Gregers, — ich will fort! Wenn ein Mann auf seinem Haupt des Schicksals zermalmende Hand gefühlt hat, siehst Du —. Empfiehl mich Deinem Vater.

Gregers. Ja, ja. Gehst Du gleich nach Haus?

Hjalmar. Ja. Weshalb fragst Du?

Gregers. Weil ich dann vielleicht später zu Dir komme.

Hjalmar. Nein, das sollst Du nicht. Nicht in meine Wohnung. Bei mir ist es trist, Gregers, — besonders nach einem so glänzenden Fest, wie diesem hier. Wir können uns ja immer irgendwo in der Stadt treffen.

Frau Sörbyhat sich genähert; mit gedämpfter Stimme. Wollen Sie fort, Ekdal?

Hjalmar. Ja.

Frau Sörby. So grüßen Sie Gina.

Hjalmar. Danke.

Frau Sörby. Und sagen Sie ihr, ich würde nächstens mal zu ihr kommen.

Hjalmar. Besten Dank. Zu Gregers. Bleib hier. Ich will unbemerkt verschwinden.

Geht langsam durchs Zimmer, dann hinein in die andere Stube und schließlich rechts ab.

Frau Sörbyleise zum Diener, der zurückgekommen ist. Na, hat der Alte was mitgekriegt?

Pettersen. Jawoll, ich hab’ ihm ’ne Flasche Kognak zugesteckt.

Frau Sörby. Na, Sie hätten auch was Besseres aussuchen können.

Pettersen. Nee, Frau Sörby; was Besseres als wie Kognak, das kennt der nicht.

Der Beleibte