Die Wölfe von Pompeji - Elodie Harper - E-Book
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Die Wölfe von Pompeji E-Book

Elodie Harper

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Beschreibung

»Die Wölfe von Pompeji« ist ein historischer Roman, der das lange übersehene Leben der Frauen im antiken Pompeji neu betrachtet. Perfekt für Fans von Pat Barker und Madeline Miller. »Amara: Verkauft von ihrer Mutter. Versklavt in einem Bordell. Entschlossen für ihre Freiheit zu kämpfen.« Amara war eine geliebte Bürgerstochter, bis der Tod ihres Vaters ihre Familie ins Elend stürzte. Jetzt gehört sie einem Mann, den sie verachtet, und ist Teil der Wölfinnen von Pompeji, eine Sklavin im berüchtigtsten Bordell der Stadt. Zusammen mit den anderen Mädchen versucht sie jeden Tag zu überleben. Trotz ihrer Ängste und Sorgen können sie sich aufeinander verlassen. Und Amaras Geist ist noch lange nicht gebrochen. Scharfsinnig und einfallsreich erkennt sie, dass die Straßen von Pompeji voller Möglichkeiten stecken und alles in dieser Stadt seinen Preis hat. Aber wie viel wird ihre Freiheit kosten? Im antiken Pompeji, das seinem Schicksal unausweichlich entgegentritt, schildert Elodie Harper abgrundtiefe Kontraste zwischen Reichtum und Elend, Männern und Frauen, freien Bürgern und rechtlosen Sklaven. Band eins der »Wolfshöhlen-Trilogie« »Eine großartige Geschichte über das Schicksal und Leben mutiger Frauen, die sich den Umständen nicht beugen wollen, um das bessere Leben kämpfen und einander in jeder Hinsicht unterstützen. Beeindruckende Bilder entstehen beim Lesen dieser bewegenden Geschichte. Mit großem Vergnügen empfehle ich diesen Roman an alle Interessierten. Mir hat es ausgesprochen gut gefallen.« ((Leserstimme auf Netgalley)) »Trotz der harten Realität des Lebens als Sklavenprostituierte war dieses Buch auch mit so viel Hoffnung, Liebe und Humor zwischen den Frauen erfüllt. Die Autorin hat einen brillanten historischen Roman geschrieben. Ich es kaum erwarten kann, zu lesen, wie Amaras Reise weitergeht.« ((Leserstimme auf Netgalley)) »Elodie Harper beschreibt das erschütternde Schicksal von Sklavinnen. Man wusste, das ihr Leben hart war, aber so entsetzlich – darüber hat man nicht nachgedacht. Die Geschichte einer starken Frau, emphatisch und doch unterhaltsam zu lesen. In einem Rutsch verschlungen!« ((Leserstimme auf Netgalley))

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© Elodie Harper, 2021

Titel der englischen Originalausgabe »The Wolf Den«, Head of Zeus Ltd, London, 2021

© der deutschsprachigen Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2023

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Thomas Schlück GmbH

Übersetzung: Martina Schwarz

Korrektur: Michaela Retetzki

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Emily Bähr, www.emilybaehr.de

Covermotiv: Freepik (fwstudio, upklyak, freepik); Shutterstock (Santi0103, Hoika Mikhail)

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

AD 74 FEBRUARIUS

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

APRILIS

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

JULIUS

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

KAPITEL 30

KAPITEL 31

SEPTEMBER

KAPITEL 32

KAPITEL 33

KAPITEL 34

KAPITEL 35

KAPITEL 36

DECEMBER

KAPITEL 37

KAPITEL 38

KAPITEL 39

KAPITEL 40

KAPITEL 41

KAPITEL 42

KAPITEL 43

KAPITEL 44

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

AD 74 FEBRUARIUS

KAPITEL 1

»Bäder, Wein und Sex beschleunigen das Schicksal.«

Römische Maxime

Sie hebt ihre Hände wie zum Gebet, Dampf steigt von ihrer Haut auf. Das Wasser plätschert an ihrem Hals, als sie sich in seine Wärme zurücklehnt. Lachen und Frauenstimmen umgeben sie, ein Wirrwarr von Geräuschen, die vom Stein widerhallen. Sie blendet sie aus, konzentriert sich stattdessen auf ihre Finger, dreht sie, beobachtet, wie das Wasser von ihnen heruntertropft, wie sich der Dampf von ihnen löst. Es könnten die Hände von jedem sein, denkt sie, sie könnten jedem gehören. Aber sie gehören Felix.

Dann verschränken sich fremde Finger mit ihren und unterbrechen ihre Träumerei. Victoria zieht sie nach oben, aus dem Wasser.

»Amara! Du machst dir die Haare nass! Du kannst dich doch nicht einfach so zurücklegen!« Victorias Fingernägel zwicken sie, als sie versucht, die Locken, die jetzt an ihren Schultern kleben, wieder aufzulockern. »Sie sehen aus wie Rattenschwänze. Was hast du dir dabei gedacht?«

Unruhe durchströmt sie. So viel steht an diesem Nachmittag auf dem Spiel, dass sie ihre eigene Gedankenlosigkeit nicht fassen kann. »Ich weiß es nicht, ich …«

»Es ist gar nicht so schlimm.« Amara dreht sich zu Dido um, die mit einem leichten Stirnrunzeln auf ihrem sanften Gesicht zu ihnen herübergerutscht ist. »Man sieht es kaum.«

»Die Männer sind sowieso nicht wegen der Haare hier.« Diesmal ist es eine weniger freundliche Stimme. Drauca, Simos wertvollste Frau, beobachtet sie von der anderen Seite des schmalen Beckens aus. Sie erhebt sich aus dem Wasser, hebt ihre Arme und wiegt sich hin und her. Die dunklen Wellen ihres eigenen Haares glänzen wie das Gefieder eines Raben. Das Meer, das man durch die Rundbogenfenster hinter ihr sehen kann, wirkt flach und grau. Es ist unmöglich, sie nicht anzustarren. Amara denkt an die Statue der Helena von Troja in Aphidnai, damals, als sie noch einen anderen Namen, ein anderes Leben hatte.

»Venus Pompeiana!« Victoria keucht und packt Amara in übertriebenem Erstaunen. »Die Göttin wandelt unter uns! Oh, schütze meine Augen vor solcher Herrlichkeit!« Drauca macht ein finsteres Gesicht und lässt die Arme mit einem Platschen sinken. Victoria lacht. »Als ob niemand sonst hier ein Paar Titten hätte«, sagt sie. Allerdings nicht so laut, dass Drauca es hören kann.

»Sie ist wunderschön«, meint Dido und starrt immer noch auf ihre Rivalin. »Und sie war schon einmal hier, nicht wahr? Vielleicht wird sie von den Männern bevorzugt, vielleicht …«

»Was haben sie außer Drauca, was wir nicht haben?«, unterbricht Victoria sie und wirft einen vernichtenden Blick auf Draucas drei Begleiterinnen. Sie nehmen den größten Teil des Beckens ein und planschen mit theatralischem Lachen, das mehr gestellt als spielerisch ist. »Man sieht, dass sie alle Barmädchen sind. Maria hat Arme wie eine Sänftenträgerin.«

Amara ist sich nicht sicher, ob sie das Recht haben zu spotten, wenn man ihren niedrigen Status als Bordellhuren bedenkt. Wölfinnen. Sie spürt einen vertrauten Knoten in ihrem Magen. »Ich frage mich, wie die Männer sein werden«, sagt sie.

»Sie werden …« Aber Victoria bringt ihren Gedanken nicht zu Ende, denn etwas hinter Amara erregt ihre Aufmerksamkeit. »Hey!«, ruft sie. »Lass los! Lass sie los!« Sie beginnt, durch das Wasser zu waten, in Richtung einer alten Frau, die Cressa am Arm gepackt hat und an den Rand zerrt. Victoria starrt sie an, als es ihr gelingt, die triefende Cressa aus dem Becken zu ziehen.

Die Frau beugt sich vor und zeigt mit einem knorrigen Finger auf Victoria. »Felix? Gehörst du Felix?« Niemand antwortet. Die Fremde sieht von einer zur anderen. Inzwischen ist auch Beronice herübergeschwommen, den Mund vor Überraschung leicht geöffnet. »Felix’ Huren raus!«, fordert die alte Frau ungeduldig und deutet mit der Hand zur Tür. Cressa versucht zu protestieren, aber die alte Frau versetzt ihr einen Stoß. Simos Frauen haben aufgehört zu spritzen und zu lachen. Amara spürt mehr, als dass sie es sieht, wie sie sich alle auf die andere Seite des Beckens zurückgezogen haben. »Felix’ Huren kommen jetzt raus«, wiederholt die Frau und zeigt mit dem Finger auf jede einzelne von ihnen. Als sich niemand bewegt, packt sie Amara am Arm. »Raus! Raus!«, schreit sie. »Raus jetzt!«

Amara schrammt sich die Haut am Stein auf, als die alte Frau sie gegen den Beckenrand zerrt. Sie gräbt ihre harten Finger mit überraschend starkem Griff in das weiche Fleisch von Amaras Oberarm. Amara stemmt sich hoch auf den heißen Fliesenboden und schüttelt die Frau ab. Die schreit weiter und droht, Vibo zu rufen, wenn sie sich nicht schnell bewegen. Die Erwähnung des Chefs der Bäder überzeugt sie schließlich. Felix’ Frauen klettern nackt aus dem Wasser und eilen in den nächsten Raum, zitternd in der plötzlichen Helligkeit und Kälte. Das Rauschen, mit dem das Wasser dort über einen künstlichen Wasserfall in das kalte Becken fließt, überdeckt fast die Rufe der alten Frau, sich zu beeilen. Amara hält sich an der hellblauen Wand fest, um nicht auszurutschen, drückt sich eng an Gemälden von Meerestieren vorbei, das offene Maul eines Fisches dicht neben ihrem Gesicht.

Victoria ist die Einzige der fünf, die immer noch protestiert, als sie die Umkleideräume der Bäder erreichen. Sie sind nicht auf diesem Weg hereingekommen. Reihen von polierten Holzschränken werden von Gemälden umrahmt, auf denen sich Liebende in allen möglichen Stellungen vergnügen. Die Kleider der Frauen liegen auf einem Haufen auf dem Boden. »Beeilung, Beeilung!«, fordert ihre Peinigerin und wirft Beronice, die immer noch so verblüfft aussieht wie im Bad, einen Umhang zu. Amara braucht keine weitere Aufforderung. Sie bückt sich und fängt an, in dem Haufen zu wühlen. Sie reicht Dido, die vermutlich mehr vor Angst als vor Kälte stark zittert, eine gelbe Toga. Dido ist noch nicht lange Sklavin, und jede Demütigung scheint sie wie ein Messer ins Herz zu treffen. Victoria ist die Einzige, die sich nicht beeilt. Sie ist immer noch dabei, sich in ihre Toga zu wickeln, als alle anderen schon lange angezogen sind, und starrt dabei die alte Frau hasserfüllt an. Als sie schließlich den Blick abwendet, sieht Amara, wie die Frau das Zeichen gegen den bösen Blick macht.

Mit einem letzten Stoß mit dem knochigen Finger zwischen die Schulterblätter werden Amara und die anderen Frauen nach draußen in den privaten Innenhof der Bäder getrieben. Nieselregen und ein kalter Wind vom Meer erwarten sie. Sie stehen dicht gedrängt, schon feucht unter ihren Togen und Umhängen. Amara blickt sich um, überrascht, dass sie allein sind. Dann bemerkt sie zwei Männer, die unter der Kolonnade Schutz suchen, zwei unpassende, massige Gestalten, die sich von den an die Wand gemalten Nymphen und Rosen abheben. Einer der Männer kommt mit zornigem Gesicht auf sie zu. Es ist Thraso, Felix’ Aufpasser.

»Was soll das? Was ist passiert?« Seine Hände sind geballt, bereit zu kämpfen. Amara weicht zurück. Sie weiß, wie fest diese Fäuste zuschlagen können.

»Frag lieber ihn«, sagt sie und deutet auf den anderen Mann, der noch im Schatten steht. »Gehört der nicht zu Simo?«

»Jemand hat Felix betrogen«, fügt Victoria hinzu, als sich Thraso umdreht. »Simos Frauen durften bleiben, wir wurden alle rausgeschmissen, bevor die Männer kamen. Ziemlich praktisch, findest du nicht?«

Thraso zögert nicht. Er stürmt über den Hof und stürzt sich auf den anderen Mann. »Balbus! Ich bringe dich um, verdammt! Du verdammter Lügner!«

Balbus weicht aus und entgeht so der vollen Wucht von Thrasos Schlag, wird aber am Ohr getroffen und taumelt zurück. Thraso packt ihn an den Schultern und rammt seinen Schädel gegen Balbus’ Nase. Der brüllt, reißt sich los und umklammert sein blutiges Gesicht. Thraso greift ihn erneut an, und die beiden Männer stürzen zu Boden, schlagen, beißen und schreien. Die Frauen beobachten sie, unsicher, was sie tun sollen.

»Felix wird das nicht gefallen«, sagt Beronice und spricht damit das Offensichtliche aus.

Amara wirft Victoria in der Hoffnung auf eine sarkastische Bemerkung einen Seitenblick zu, aber die sieht weg.

An der Tür entsteht plötzlich Aufruhr. Eine Gruppe Sklaven stürmt heraus und drängt die Frauen zur Seite. Sie rennen zu den kämpfenden Männern hinüber und versuchen einzugreifen, wofür einer sich einen Tritt ins Gesicht einhandelt. Dann erscheint Vibo, der Leiter der Bäder, seine korpulente Gestalt in eine grüne Toga gehüllt. In seiner Eile, den Kampf zu erreichen, stößt er Cressa zur Seite.

»Es reicht!«, schreit er. »Oder ihr werdet euch vor euren Herren wegen Ungehorsam verantworten müssen!«

Endlich lassen die beiden Männer voneinander ab. Thraso steht als erster auf, Balbus muss von zwei Sklaven auf die Beine geholfen werden.

»Wollt ihr mein Geschäft ruinieren?«, fragt Vibo. »Ihr prügelt euch auf meiner Türschwelle wie Hunde in der Gosse? Ich sollte euch beide auspeitschen lassen!« Balbus murmelt etwas, das Amara nicht versteht. »Das interessiert mich nicht!«, schreit Vibo. »Verschwindet jetzt, beide. Und nehmt dieses Hurenpack mit.«

Die Frauen warten nicht darauf, nach draußen geführt zu werden. Sie überqueren den Hof, bevor Thraso bei ihnen ist. Amara bemerkt, dass er humpelt. Balbus hat es schlimmer erwischt, aber trotzdem muss auch er einige heftige Schläge ausgeteilt haben. Thrasos Lippe ist aufgeplatzt, und er hält einen Arm schützend vor den Körper. Niemand ist so dumm, ihn zu fragen, wie es ihm geht.

Die Frauen steigen die Stufen zu dem hohen Tor hinauf, Victoria voran, Beronice als letzte, weshalb sie nicht schnell genug ist, um Thrasos wütender Ohrfeige auszuweichen. Sie alle wissen, warum er um sich schlägt. Es ist die Aussicht auf Felix’ Wut, wenn sie wieder im Bordell sind. Amara spürt, wie auch in ihr die Angst wächst, ein Kloß in ihrem Hals, den sie nicht hinunterschlucken kann.

Die Straße zu betreten ist wie in einen schnell dahinfließenden Fluss zu springen. Sie ergreift Didos Hand, und zusammen bahnen sie sich einen Weg durch das Gedränge der Menschen, den Hügel hinauf zum Forumstor. Die Pflastersteine sind nass und glitschig. Dido war auch bei ihr, als Amara das erste Mal nach Pompeji kam. Es kann nur ein paar Monate her sein, fühlt sich aber länger an. Sie haben die Stadt gemeinsam auf dieser Straße betreten, nachdem Felix sie auf dem Sklavenmarkt in Puteoli gekauft hatte. Damals war das Wetter wärmer, der Himmel klar und blau, wie es für Ende Oktober typisch ist. Sie erinnert sich, dass Felix reife Feigen für die Reise besorgt hatte. Die Früchte dufteten so süß, ihr Inneres war rosa und glänzte, als sie sie aufbrach, und klebte an ihren Fingern. Es war fast ein Moment des Glücks. Wenn es Glück in einer Welt geben konnte, in der sie gekauft und verkauft wurde. Amara wundert sich immer noch über diesen Akt der Freundlichkeit von Felix. Damals wussten sie noch nicht, wie untypisch das für ihn war.

Ein Mann, der einen schweren Korb mit Fischen auf dem Kopf trägt, schiebt sich an ihnen vorbei und stößt dabei seine Schultern wie Waffen in die Menge. Sie folgen ihm unter dem hohen Torbogen hindurch in den dunklen, hallenden Tunnel, die Straße wird steiler und das Gedränge dichter. Als Amara zurückblickt, sieht sie Cressa, die mit resigniertem Gesichtsausdruck die schnaufende Beronice den Berg hinaufschleppt. Thraso ist dahinter fast außer Sichtweite. Sein Bein muss ihm sehr zu schaffen machen, sonst würde er über Beronices Langsamkeit schimpfen. Victoria ist natürlich vorausgeeilt. Sie ist die einzige von Felix’ fünf Frauen, die in dieser Stadt geboren wurde, und obwohl sie eine Sklavin ist, ist sie an diesem Ort in einer Weise zu Hause, wie es keine der anderen jemals sein wird.

Innerhalb der Stadtmauern wird die Straße flacher, aber auch nasser, und das Wasser läuft über Amaras Schuhe. Als Dido ihr auf den erhöhten Gehsteig hilft, murren zwei Stoffverkäufer, die ihnen ausweichen müssen. Ein mit Myrtengirlanden, Opfergaben für den Venustempel, behangener Mann drängt sich an sie heran.

»Für eure Göttin? Für die Liebe? Zwei für einen Groschen. Guter Preis. Die bringen euch Glück.« Er hält die Blätter so nah an Didos Gesicht, dass sie instinktiv die Hand hebt, um über den Schleier zu streichen, den sie nicht mehr trägt.

Amara schiebt die Girlanden weg. »Nein.«

Das Gedränge lichtet sich, als sie das Forum erreichen, verteilt sich über den riesigen Platz. Die Händler sind wie Felsen, an denen sich der Strom der Menge teilt. Einige Passanten trödeln, um zu schauen oder zu feilschen, andere eilen vorüber. Am anderen Ende des Platzes befindet sich der Jupitertempel, von dessen Stufen Weihrauch aufsteigt. Das Gebäude flimmert in der Hitze, bevor sich der Rauch über dem blauen Berg dahinter verzieht. Amara denkt an ihren Vater, daran, wie er lächelte, wenn sie ihn fragte, ob er an die Götter glaube. Geschichten haben Macht, ob wir sie glauben oder nicht. Sie blendet die Erinnerung an seine Stimme aus.

Die anderen sehen sich noch immer suchend nach Thraso um. Dido zeigt auf ihn, wie er sich schwitzend seinen Weg durch die Menge bahnt.

»Ist seine Nase schon wieder gebrochen?«, fragt Beronice. »Er sieht furchtbar aus.«

»Schlimmer als sonst? Bist du sicher?«, antwortet Victoria. »Ich finde, es sieht aus, als hätte Balbus sie wieder zurechtgeschlagen.«

Beronice versteht den Scherz nicht. »Nein, er sieht furchtbar aus«, sagt sie und spricht noch lauter, um ihrer Meinung Nachdruck zu verleihen.

Cressa schüttelt den Kopf. »Er wird dich hören.«

Thraso holt sie ein, fährt sie an, sich zu bewegen, und sie schlängeln sich weiter über den Platz. Eine Gruppe von Matrosen, die wahrscheinlich gerade im Hafen angedockt haben, pfeift, als Amara vorbeigeht, und einer gibt ihr mit Gesten zu verstehen, was er von ihr möchte. Sie lächelt ihn an und senkt dann den Blick. Die Männer klopfen sich gegenseitig auf die Schultern und lachen.

Regenwasser läuft die Straße hinab, die vom Forum den Hügel hinunterführt. Ihre Oberfläche ist ein zerbrochenes Mosaik aus Rot und Gelb, in dem sich die bemalten Gebäude am Straßenrand spiegeln. Die Frauen sehen zu, wie eine Gruppe von durchnässten Sänftenträgern die Straße entlangtrottet, das Wasser schwappt ihnen bis zu den Knien, während ihr glücklicher Passagier hoch oben sicher hinter dicken Vorhängen verborgen ist. Amara bemerkt den Kadaver eines toten Hundes, der zwischen zwei Trittsteinen eingeklemmt ist und vom vorbeirauschenden Wasser gehalten wird. Der morgendliche Regenguss hat nicht den ganzen Dreck weggespült. Die Frauen bahnen sich mühsam einen Weg über den Gehsteig und biegen dann links in eine schmale Gasse ein, die zum Bordell führt. Hier wird es noch enger, aber auch die Menschen werden weniger.

Als Kind hätte Amara die Vorstellung genossen, aus der Nässe nach Hause zu kommen, mit ihrer Mutter vor der Feuerstelle zu sitzen, während das Hausmädchen Nephele ihnen heißen Wein mit Gewürzen zum Aufwärmen bringt. Aber angesichts der drohenden Gestalt des Bordells hat sie nicht das Gefühl, nach Hause zu kommen. Dort wartet kein heißes Getränk, nur Felix und seine Wut.

Sie drängen sich vor dem Gebäude in einer Reihe an die Wand, um unter dem überhängenden Balkon Schutz vor der Nässe zu suchen. Thraso wirkt fast so nervös wie die Frauen.

»Ihr zwei!« Er zeigt auf Victoria und Amara. »Ihr hattet in den Bädern genug zu sagen. Ihr könnt das alles Felix erklären.«

Die anderen schleichen hinein, Dido mit einem ängstlichen Blick zurück. Victoria berührt Thrasos guten Arm und legt den Kopf schief. »Ich werde Felix erzählen, wie hart du gekämpft hast«, sagt sie und sieht ihn mit einer solchen Ernsthaftigkeit an, dass Amara ihr fast glaubt. »Du hast seine Ehre verteidigt. Das wird ihm etwas bedeuten.«

Thraso bringt es nicht über sich, sich bei einer Hure zu bedanken, aber er nickt knapp. Dann blickt er Amara an, von der er offensichtlich etwas Ähnliches erwartet, aber ihr fällt nichts ein. Victoria starrt sie mit warnend aufgerissenen Augen an. »Ja«, sagt sie schließlich und nickt Thraso zu. »Das hast du. Sehr mutig.« Ihr griechischer Akzent klingt vor Angst ganz schwer.

Thraso klopft an die Holztür, die zu Felix’ Wohnung über dem Bordell führt. Paris mit seinem permanent säuerlichen Gesichtsausdruck, der durch seine zusammengewachsenen Augenbrauen noch verstärkt wird, öffnet ihm. Als Amara durch die Tür tritt, riecht sie die Latrine, die sich in der Dunkelheit des Treppenhauses verbirgt. Früher hatte sie Mitleid mit Paris, der sein einsames junges Leben damit verbringt, zwischen dem Obergeschoss, wo er die Böden seines Herrn schrubbt, und dem Bordell, wo er Freier empfängt, hin und her zu rennen. Aber Paris hat keine Anstalten gemacht, die Gesellschaft oder gar Freundschaft der Wölfinnen zu suchen.

»Zu Felix«, sagt Thraso und winkt ihm ungeduldig zu.

»Ein Kunde ist bei ihm, ihr müsst also warten.«

Paris dreht sich um und steigt die Treppe hinauf. Sie folgen ihm auf den schmalen Laubengang, der um Felix’ Wohnung herumführt. Es erinnert sie an ein Spinnennetz, wie der Gang die Räume ihres Herrn umkreist, einen langsam, aber stetig immer weiter in die Mitte bringt. Amara kann eine unbekannte männliche Stimme hören, zu leise, um alle Worte zu verstehen. Doch einen Satz versteht sie: »Ich werde dich bezahlen.« Paris bedeutet ihnen, in den kleinen Warteraum zu gehen.

Thraso setzt sich schwer auf die Bank neben der Feuerstelle und lässt zu beiden Seiten kaum Platz für die Frauen. Sie quetschen sich neben ihn. Über den Balkon dringt Tageslicht, aber auch kalte Luft herein. Die Wärme des Feuers ist dürftig. Amaras Herz klopft. Zu wissen, dass Felix am Ende des Korridors gerade jeden Groschen aus einem armen Schuldner herauspresst, macht es nicht besser. Thraso starrt geradeaus, als wäre er von den kleinen Flammenzungen neben seinen Füßen hypnotisiert. Sie kann die Angst spüren, die von ihm ausgeht.

Sie blickt auf die Wand. Hier gibt es keine herumtollenden Nymphen oder Liebespaare. Alles ist mit einem geometrischen Muster in Schwarz und Weiß bedeckt. Die scharfkantigen Linien drehen und verschränken sich zu einem endlosen Labyrinth, dem man nur schwer folgen kann, ohne dass einem schwindelig wird.

Sie sitzen und warten, ohne zu reden, die Zeit zieht sich in die Länge. Es beginnt stärker zu regnen, das Wasser prasselt auf das Dach. Es ist unmöglich, bei dem Lärm zu merken, ob Felix und sein Kunde noch verhandeln. Dann sieht Amara eine niedergeschlagene Gestalt an der Tür vorbeigehen, hört, wie sie die Treppe hinunterpoltert. Niemand erhebt sich von der Bank.

Paris steckt den Kopf zur Tür herein. »Ihr geht besser rein.«

Thraso steht auf und stolziert an ihm vorbei. Amara und Victoria folgen ihm.

KAPITEL 2

»Du stinkst nach dem Ruß des Bordells!«

Seneca, Controversiae 1,2

Der Raum ist groß und fast ganz in Rot gehalten. Ihr Herr sitzt hinter seinem Schreibtisch. Er erhebt sich nicht, als sie eintreten. Falls er überrascht ist, dass sie so viel früher als erwartet zurück sind, lässt er sich nichts davon anmerken. Felix ist nur halb so groß wie Thraso, aber doppelt so stark. Sein drahtiger Körper besteht nur aus Muskeln. Amara weiß, dass sich unter den Falten der hellen Toga keine Sanftheit verbirgt. Nichts, was den Anschein von Zärtlichkeit erwecken könnte, wenn er einen umarmt.

»Das war eine schnelle Orgie«, sagt er. »Die reichen Jungs haben wohl nicht lange durchgehalten? Aber sie haben dir natürlich das Doppelte bezahlt.« Felix sieht Victoria an. »Deswegen bist du doch hier, um mir das zu sagen, nicht wahr, mein Schatz? Wie viel Geld du verdient hast.« Felix lächelt, aber Amara kann seine Wut durch den Sarkasmus hindurch spüren. Der Raum wird dunkler. Ohne hinzusehen, weiß sie, dass Paris gerade die Tür zum Laubengang geschlossen hat.

Victoria öffnet den Mund, aber Thraso kommt ihr zuvor. »Es war Simo«, sagt er. »Simo hat uns verraten …«

»Er muss mit Vibo zusammengearbeitet haben«, ergänzt Victoria. »Alle Mädchen von Simo sind in den Bädern geblieben, aber eine alte Schachtel hat den Rest von uns herausgezerrt. Sie hat uns gezwungen. Sie sagte, es sei Vibos Befehl gewesen. Diese fette Schlampe! Wir haben die Freier nicht einmal gesehen …«

»Balbus war auch daran beteiligt«, unterbricht Thraso. »Ich habe ihn für dich verprügelt, den verlogenen kleinen …«

»Thraso hat nur aufgehört, weil Vibo ihn dazu gezwungen hat!«, sagt Victoria. »Und Drauca hat sich über uns lustig gemacht, sie wusste es, da bin ich mir sicher …«

Amara beobachtet Felix, während Victoria und Thraso weiterplappern und sich überschlagen, um die Schuld so weit wie möglich von sich wegzuschieben, sie wie Scheiße aus einer Latrine wegzuschaufeln. Sie weiß, wenn der Boss sie nicht unterbricht, werden sie sich bald gegenseitig beschuldigen. Felix hört schweigend zu, nimmt alles in sich auf, seine Wut wächst. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, sich kleiner und unauffälliger zu machen, würde sie sich auf die Größe eines Siebenschläfers schrumpfen lassen.

»Und du?« Felix wendet sich scharf an Amara und überrascht sie damit. »Hast du nichts Nützliches zu sagen? Oder willst du nur dastehen wie ein Hund?«

»Es ist … es ist, wie sie gesagt haben«, stammelt sie. Felix wartet darauf, dass sie fortfährt, brodelnd vor Zorn. Die Wand hinter ihm leuchtet rot. Das einzige Geräusch, das zu hören ist, ist das schwere Trommeln des Regens über ihm. Amara weiß, dass ihr Herr kurz vor einem Ausbruch steht. Wenn sie die Stille nicht ausfüllt, wird es nichts geben, was zwischen ihr und dem Regenguss von Schlägen steht, der auf sie niedergehen wird. »Die alte Frau hat uns aus den Bädern vertrieben«, sagt sie. Ihr Blick weicht seinem Gesicht aus und wandert stattdessen zu dem Fresko, das seinen Schreibtisch umrahmt, folgt ihm den schwarzen Sockel hinauf und bis zu den Stiertotenköpfen am oberen Ende. »Sie hat deinen Namen genannt. Sie wollte nur die Frauen, die zu dir gehören. Es war eine Beleidigung, die sich nur an dich richtete.« Victoria stößt einen unterdrückten Schrei aus. Amara blickt zu ihr hinüber, sieht die Angst in ihrem Gesicht und wendet dann schnell den Blick ab. »Ich glaube nicht, dass das von Vibo ausging. Was hätte er zu gewinnen?« Niemand antwortet. Amara fährt fort und spricht zu dem kleinen Beutel mit Münzen, der auf dem Schreibtisch neben Felix’ rechter Hand liegt. »Simo muss ihn bestochen haben. Das ist die einzige Erklärung. Simo hat gerade ein nettes kleines Geschäft in den Bädern laufen, warum sollte er die Frauen verdoppeln und den Gewinn halbieren wollen?«

Der Regen fällt immer noch, und sie hat fast keinen Mut mehr. Niemand hat ihr je so viel Angst gemacht wie der Mann vor ihr. Amara blickt vom Schreibtisch auf. Sie vermeidet es immer, ihm direkt in die Augen zu sehen, und als sie es jetzt tut, überrascht sie sein Gesichtsausdruck. Er hört zu. Einen kurzen Moment lang sieht sie ihn. Das ist genug.

»Ich glaube nicht, dass es Vibo ist, den du bestrafen solltest«, sagt sie, und ihre Stimme wird etwas ruhiger. »Er könnte wertvoll sein. Wenn Simo ihn bestechen kann, kannst du es auch. Auf diese Weise könnten wir immer noch Geld in den Bädern verdienen und zeigen, dass wir uns nicht so leicht abschrecken lassen.« Felix zieht die Augenbrauen hoch. Sie hat ihn überrascht. Amara versucht, ihre Angst loszulassen, stellt sich vor, wie sie wie Dampf von ihrem Körper aufsteigt und sich verflüchtigt. »Und was Simo angeht, ich bin sicher, du könntest ihm eine Lektion erteilen. Führt er nicht eine Bar? Vielleicht könntest du dafür sorgen, dass sie für Kunden weniger attraktiv wird.«

Felix’ Gesichtsausdruck hat sich kaum verändert, aber sie weiß, dass das Schlimmste seiner Wut vorbei ist. »Für so einen kleinen Hund bellst du ganz schön viel«, sagt er. Er deutet mit einem Kopfnicken auf Thrasos geschwollene, blutige Lippe. »Und was hast du Balbus als Gegenleistung dafür angetan?«

»Ich habe ihm die Nase gebrochen.«

»Mehr als das, hoffe ich.« Felix erhebt sich von seinem Platz, und die beiden Frauen machen einen Schritt zurück. Thraso bleibt stehen. Felix schnippt mit den Fingern nach Victoria. Sie eilt herbei. Er streicht mit den Händen über sie, tastet ihren Körper ab, ordnet mit einem kritischen Gesichtsausdruck ihre Kleidung neu. Nicht wie ein Mann, der eine Frau berührt, sondern wie ein Verkäufer, der seine Ware prüft. Er gibt ihr einen kräftigen Klaps auf den Hintern. »Wirst du mir so viel Geld einbringen wie Simos Huren? Hm? Wirst du?« Er gestikuliert in Amaras Richtung, ohne sie anzusehen. »Die denkt das, aber ich bin nicht überzeugt.« Er nimmt Victorias Kinn zwischen seine Finger. »Was habt ihr heute in den Bädern gemacht? Habt ihr wie Bauern bei den Spielen herumgeglotzt? Auf euren flachen Ärschen herumgelümmelt?«

Victoria kann ihren Kopf nicht schütteln, Felix hält sie zu fest.

»Ich habe Drauca gesehen. Diese Hure hat den schönsten Arsch in Pompeji. Und was hast du? Was sind das für Titten?« Er lässt Victoria los und schiebt ihr Gesicht weg. Sie schwankt, bleibt aber aufrecht. »Simo mag Vibo bezahlt haben, aber hätte Vibo euch rausgeschmissen, wenn er gedacht hätte, dass auch nur eine von euch so ficken kann wie Drauca?« Er hält inne, fordert sie dazu heraus zu antworten, aber keine von beiden wagt es. »Unser Freund Simo prahlt damit, dass er die beste Fotze verkauft. Also müsst ihr«, Felix deutet mit dem Finger auf seine beiden Frauen, »Vibo zeigen, dass er nur Scheiße redet. Vibo kann euch ficken, wann er will, wie er will, kostenlos, das gehört zum Service. Wenn ihr danach nicht seine Lieblingsmädchen seid, werde ich wissen warum.« Amara sieht Victoria an und versucht, ihre Reaktion abzuschätzen, aber ihr Gesicht ist leer und wächsern. »Bewegt euch!«, schreit Felix, und beide fahren erschrocken zusammen. »Ich will drei Denare von jeder von euchverdammten faulen Huren. Sagt den anderen, dass sie sich besser anstrengen sollen.«

In ihrer Eile, aus dem Zimmer zu kommen, stolpert Amara an der Tür fast über Paris, aber Victoria ist trotzdem schneller. Sie huschen über den Laubengang und rennen die Treppe hinunter. Victoria ist zuerst unten angekommen. Sie dreht sich um und blockiert die Tür, damit Amara nicht zurück auf die Straße kann. Ebenso erschrocken über Victorias offensichtliche Wut wie über den plötzlichen Stopp stützt sich Amara an der Wand ab. »Warum hast du das getan?«, flüstert Victoria. »Felix hätte Vibo fallen lassen. Warum hast du ihn gebeten, uns zurückzuschicken? Was für eine Idiotin bist du?«

»Denk an das Geld«, flüstert sie zurück. Die beiden drängen sich am Ende des stinkenden, dunklen Treppenhauses zusammen. »Denk an all die reichen Männer! Nicht wie der Abschaum, der hierherkommt.«

»Du bist verrückt. Was denkst du, was sie tun werden? Mit Taschen voller Gold in den Bädern auftauchen? Sie gehen dorthin, um zu vögeln, nicht um eine Braut zu finden!« Victorias Flüstern wird vor Verzweiflung immer lauter. »Und jetzt müssen wir uns auch noch mit Vibo herumschlagen!«

Amara will erklären, dass sie bereit ist, alles zu versuchen, egal wie abwegig, wie schrecklich, alles, was sie aus dem Bordell herausbringen könnte. Paris’ scharfe Stimme dringt nach unten. »Was macht ihr beide da?«

»Gehen«, ruft Victoria und zieht die Tür auf. Sie schlüpfen hinaus in den Regen und sind nach ein paar Schritten wieder im Bordell.

Auch wenn draußen der Himmel trüb und bedeckt ist, herrscht hier im Inneren noch eine andere Art von Dunkelheit. Die Fensterläden in den kleinen Zellen sind verschlossen, um die Feuchtigkeit fernzuhalten, und die Luft ist dick von Weihrauch und dem Rauch der Öllampen. Das Bordell ist nicht viel kleiner als Felix’ Wohnung darüber, aber für Amara fühlt es sich so eng an wie eine Grabkammer.

Fabia schöpft Wasser aus der Latrine, um zu verhindern, dass sie wegen des Regens überläuft. Der Gestank, der an diesem Ende des Bordells nie angenehm ist, ist heute schlimmer als sonst. Sie blickt kurz auf, um sie zu begrüßen, dann beugt sie sich wieder zu ihrer Arbeit hinunter. Fabia hat hier früher als Wölfin gearbeitet, bevor sie zu alt dafür wurde. Sie hat sogar den unglücklichen Paris in einer der Zellen zur Welt gebracht. Jetzt verdient sie kaum noch ihren Lebensunterhalt, aber bisher hat Felix sie noch nicht auf die Straße geworfen, damit sie sich selbst durchschlägt.

»Was hat Felix gesagt?«, fragt Cressa, als sie und die anderen Frauen aus Beronices Zelle kommen.

»Er will es noch einmal mit Vibo versuchen«, sagt Victoria. »Er will ihn überreden, uns wieder in die Bäder zu lassen. Das bedeutet, dass der stinkende Arsch hierherkommen wird, und wir müssen ihm geben, was er will.« Sie verschränkt die Arme, und Amara erwartet, dass sie jetzt allen sagen wird, wessen Schuld das ist. Aber sie tut es nicht.

»Vibo kommt hierher?«, fragt Beronice. »Aber das darf doch nicht sein!«

»Ist er so schlimm?«, will Amara wissen. Das bisschen Genugtuung, das sie empfunden hat, weil sie Felix beeindrucken konnte, ist schnell verflogen.

»Habt ihr ihn noch nicht gehabt?«, fragt Cressa. Amara und Dido schütteln den Kopf. »Er ist der Schlimmste. Letztes Mal hat er mich fast erwürgt.« Sie hebt eine Hand an ihren Hals, als würde sie sich an seine Finger darum erinnern.

Amara sieht Victoria voller Gewissensbisse an, aber die ignoriert sie. »Und das Beste ist«, erklärt Victoria, »dass wir alle unserem glorreichen Herrn bis morgen drei Denare verdienen müssen.«

Cressa stöhnt.

»War das ein Scherz?«, fragt Beronice mit hoffnungsvollem Gesicht. Sie ist nie sehr gut darin zu erkennen, wenn jemand Witze macht.

»Kein Scherz«, antwortet Victoria. »Ich kann mit Sicherheit sagen, dass er nicht in bester Laune war.«

»Aber das schaffen wir nie!«, jammert Beronice. »Das ist viel zu viel.«

»Wir sollten uns dem Betrag so gut wie möglich annähern.« Cressas Blick wandert zu Fabia, die immer noch die Latrine ausspült. »Obwohl selbst Venus bei diesem Wetter kaum Freier auftreiben würde.«

»Ich gehe nicht ohne Essen fischen«, sagt Victoria. »Wir können beim Spatz anfangen, dort etwas essen, und vielleicht ist der Regen danach nicht mehr so schlimm.«

Die fünf Frauen machen sich daran, die meisten Lampen zu löschen, um Öl zu sparen und den Rauch einzudämmen. Die ständige dicke Luft in den Räumen führt dazu, dass die Gemälde, die Felix vor Kurzem hat anbringen lassen – endlose Sexszenen, die an den Wänden prangen –, bereits mit Ruß verschmiert sind. Das Bild über Amaras Zelle, das eine Frau zeigt, die von hinten genommen wird, hat einen neuen schmutzigen Schatten. Amara bückt sich, um die Terrakottalampe zu löschen, die darunter brennt. Wie jede andere Lampe im Bordell hat auch diese die Form eines riesigen Penis, aus dessen Spitze Flammen züngeln. An ein oder zwei Lampen ist sogar ein kleiner Mann aus Ton angebracht, der eine riesige feurige Erektion hat. Felix findet das witzig, er sagt, die Lampen bringen die Freier in Stimmung. Amara hasst sie. Als ob sie sich nicht schon mit genug Schwänzen herumschlagen müssten.

Gallus, Felix’ Freigelassener, bewacht den Haupteingang, direkt gegenüber vom Elefant. Er ist ein großer, breitschultriger Mann und sieht vielleicht besser aus als Thraso, ist im Kampf aber genauso brutal. Er greift nach Beronices Arm, als sie versuchen, an ihm vorbeizugehen. »Wartet«, sagt er. »Ihr könnt nicht alle auf einmal raus. Eine von euch muss dableiben. Was ist, wenn ein Freier kommt?«

»Kannst du dann nicht einfach eine von uns aus dem Spatz holen?«, fragt Victoria. »Wir sind nur die Straße hoch.«

»Nein«, antwortet Gallus. »Du kennst Felix’ Anweisungen.« Er gibt Beronice einen Schubs. »Zurück mit dir da rein.«

»So ein Mist«, murmelt Victoria, während sie über den Gehsteig eilen. »Wir müssen ihr etwas zu essen mitbringen.«

»Fabia auch«, sagt Cressa. »Sie sieht so dünn aus.« Die Anwesenheit der älteren Frau, die sich nur mit Mühe ans Leben klammert, ist wie der Schatten einer Zukunft, der sich keine von ihnen stellen möchte. Amara vermutet, dass Fabias Schicksal für Cressa, die einige Jahre älter ist als die anderen, noch beängstigender sein muss.

Selbst zu dieser Tageszeit dringt Lärm aus der gegenüberliegenden Taverne. An ihrer Außenwand prangt ein riesiges Wandgemälde in Farbe. Es zeigt einen Elefanten, der von tanzenden Pygmäen umgeben und mit Schlangen behangen ist – das soll Glück bringen. Darunter steht die Aufschrift: Sittius hat den Elefant zurückgebracht! Die vier Frauen halten nicht an, um hineinzugehen. Es ist nicht unmöglich, im Elefant Freier zu finden, aber Sittius serviert nicht nur Essen und Wein, sondern vermietet auch Zimmer. Bei diesem Regen ist es wahrscheinlicher, dass seine Gäste mit einer der Frauen, die im Gasthaus arbeiten, nach oben gehen, als ins Bordell zu kommen.

Der Spatz ist nur ein paar Schritte weiter entfernt. Das gemalte Schild ist vom Regen durchnässt und dunkel, aber Amara kann immer noch den kleinen, von Blumen umgebenen Vogel erkennen, der auf seiner anspielungsreichen Botschaft sitzt. Der Spatz ist befriedigt, mögest du es auch sein! Auf dem kleinen Platz davor hält sich heute niemand auf, nur die Pflastersteine glänzen weiß in der Nässe. Als Amara in Pompeji ankam, schien fast jeder Fleck auf dem Gehsteig vor der Bar von Trinkern besetzt, die meisten standen und unterhielten sich, einige kritzelten Nachrichten an die Wand. Sie hat dort schon Graffiti über Felix gesehen, sogar einige Kommentare über das Bordell. Viel über Victoria. Nichts über sie. Sie ist sich nicht sicher, ob sie dafür dankbar sein soll oder nicht.

Sie eilen hinein und stampfen mit den Füßen auf den Boden, um den Regen abzuschütteln. Victoria schlendert zur Bar hinüber. Sie lehnt sich an die Marmorplatte, legt ihren Umhang ab und lässt den Saum ihrer gelben Toga von der Schulter gleiten. Von einem Tisch in der Ecke ertönen Pfiffe.

»Viel los heute Morgen, meine Damen?«, fragt der Hausherr. Zoskales hat sich ein Tuch um den Hals gebunden und sein Gesicht glänzt vor Schweiß. Hinter dem Tresen ist kaum Platz für ihn, die Wand ist vom Boden bis zur Decke mit Weinkrügen vollgestapelt, aber Amara hat noch nie gesehen, dass er etwas umstößt. Sie hat keine Ahnung, was Zoskales den ganzen Weg von Äthiopien nach Pompeji gebracht hat, einem Ort, der so weit entfernt ist, dass sie sich seine Existenz kaum vorstellen kann. Er erzählt seinen Gästen gern im Scherz, dass es die Liebe zu seiner Frau war. Amara sieht sie fast nie in der Bar, höchstens auf der Straße, wo sie sich mit ihren drei kleinen Kindern abmüht. Sie wirkt nicht gerade wie eine Sirene, die ihren Mann um die halbe Welt lockt.

»Es ist nicht so viel los, wie wir gern hätten«, sagt Victoria. »Braucht hier irgendjemand Unterhaltung?«

»Falls ja, werdet ihr sie gewiss bald finden, da bin ich sicher«, antwortet Zoskales. Zwischen Taverne und Bordell herrscht immer ein reger Austausch. »Ich schicke euch Nicandrus mit heißem Wein und Eintopf.«

Die Frauen gehen zu einem Tisch in der Nähe der beiden Männer, die gepfiffen haben. Amara spürt ein Aufflackern von Angst. In ihrer Heimatstadt hätte sie die Straßenseite gewechselt, um solchen Männern aus dem Weg zu gehen, und ihre Mutter hätte sie zweifellos dazu angehalten, schneller zu laufen und den Blick zu senken. Die beiden Männer sind bereits betrunken und tragen die fleckige, verwitterte Kleidung fahrender Händler. Sie bemerkt, dass dem, der ihnen am nächsten steht, die vier Vorderzähne fehlen. Sein Begleiter hat einen dichten gekräuselten Bart, der mit billigem Öl eingefettet ist, um das Grau darin zu verbergen.

Amara rutscht auf die Bank an der Wand und Dido setzt sich zu ihr. Victoria versucht, Hocker für sich und Cressa heranzuziehen, aber der Mann mit den fehlenden Zähnen hält sie am Handgelenk fest. »Hier ist genug Platz für dich.« Weiße Spucke sammelt sich beim Sprechen auf seinen Lippen. Er spreizt die Beine und klopft sich aufs Knie. Sein Begleiter prustet vor Lachen.

»Ich hoffe, ihr stört die Damen nicht«, sagt Nicandrus, als er mit dem Tablett kommt. Sein Ton ist leicht, aber er geht bedächtig zwischen den Tischen hindurch und zwingt den Mann, loszulassen.

»Oh, die machen keinen Ärger«, lächelt Victoria den Mann, der sie gerade gepackt hat, freundlich an. Als sie sich hinsetzt, öffnet sie ihren Umhang, sodass er ihren nackten Oberschenkel sehen kann, bevor sie ihn schnell wieder bedeckt. Sie lächelt ihn erneut an, und er erwidert ihren Blick, errötet. Der erste gefangene Fisch, denkt Amara.

Nicandrus stellt den Bohneneintopf vor Dido. »Du siehst verfroren aus«, sagt er.

»Es ist so nass draußen«, antwortet sie.

»Ich hoffe, das wärmt dich.« Er zögert, offensichtlich in der Hoffnung, dass sie noch etwas sagen wird. Amara hat bemerkt, wie Nicandrus Dido beobachtet, hat seine Nervosität gesehen, wenn ein aggressiver Gast ihr zu nahe kommt. Dafür liebt sie ihn fast.

»Nicandrus!«, brüllt Zoskales über den Tresen. »Der Wein serviert sich nicht von selbst!«

Dido beugt den Kopf und beginnt zu essen. Beim Fischen ist sie hoffnungslos unterlegen. Noch vor wenigen Monaten war sie ein anständiges Mädchen aus einem kleinen Vorort von Karthago, das das Haus nie ohne Kopfbedeckung verließ, verlobt mit einem Mann, den ihr Vater ausgesucht hatte, ein zurückgezogenes Leben mit Kindererziehung und Hausarbeit lag vor ihr. Amara spürt einen Stich in ihrer Brust. Sie ist schon länger versklavt als Dido, aber nicht so lange, dass sie sich nicht mehr daran erinnert, wie sehr der Verlust ihrer eigenen Freiheit geschmerzt hat.

»Ihr seid nicht aus Pompeji«, sagt Victoria zu den beiden Händlern. Sie macht sich schnell über ihren Eintopf her. Wischt mit dem Brot den Teller aus. Niemals würde sie sich einen potenziellen Freier entgehen lassen.

»Seid ihr über das Meer gereist?«, fragt Cressa. »Ich wollte schon immer mal übers Meer reisen.« Sie nippt an ihrem Wein und sieht den bärtigen Mann an, als wäre er der Gott Poseidon, der sich herablässt, die Sterblichen an der Küste zu besuchen.

»Nein. Wir sind aus Puteoli gekommen«, sagt er. »Sind im Fleischgeschäft. Ziegen, hauptsächlich.«

»Ich wette, du magst ein bisschen Fleisch«, fügt sein Begleiter hinzu und stupst Victoria grinsend mit dem Finger ins Bein, wobei sich der Speichelfaden zwischen seinen Lippen verlängert. Victoria lacht und hält sich mit einer Hand hübsch den Mund zu, als hätte er gerade etwas Witziges gesagt. Amara versucht, nicht zusammenzuzucken. Immer das Gleiche. Warum haben Männer nie etwas Schlaues zu einer Hure zu sagen? Die beiden sind kurz davor, mit der Größe ihrer Schwänze zu prahlen.

Der zahnlose Mann klopft erneut auf sein Knie, und diesmal setzt sich Victoria darauf. Cressa leert ihren Becher Wein mit einem langen Schluck, dann erhebt sie sich und schmiegt sich an seinen Begleiter. Victoria lehnt sich auf Ohnezahns Schoß zurück; er atmet schwer, aber Amara merkt, dass sie darauf achtet, seine Hände nicht zu weit in ihre Kleidung wandern zu lassen. Es gibt Grenzen für das, was Zoskales in seiner Bar duldet.

Der bärtige Mann küsst Cressa, die sich losmacht, um einen weiteren Schluck Wein zu nehmen, diesmal aus seinem Becher. Er gibt ihr eine Ohrfeige, vielleicht spielerisch gemeint, aber hart genug, dass sie die rote Flüssigkeit verschüttet. Sie läuft ihr in den Ausschnitt. »Dreckige kleine Wölfin«, sagt er.

Cressa tauscht einen kurzen Blick mit Victoria, die sich zu ihrem Liebhaber hinunterbeugt und ihm etwas ins Ohr flüstert. Nach einem kurzen Moment stehen alle vier auf, die Männer ein wenig unsicher, und verlassen die Bar.

»Das ging schnell«, sagt Nicandrus und räumt die Teller und Becher ab. »Sogar für Victorias Verhältnisse.« Er ist jetzt zu Griechisch übergegangen, sowohl seine als auch Amaras Muttersprache. Dido spricht es ebenfalls, aber Amara vermutet, dass Nicandrus nicht weiß, dass Punisch, nicht Griechisch ihre Muttersprache ist.

»Felix hat gesagt, wir sollen bis morgen jede drei Denare verdienen«, antwortet Amara.

Nicandrus zuckt zusammen. »Warum das?«

»Heute Morgen ist es in den Bädern nicht gut gelaufen.«

»Das tut mir leid«, sagt er und sieht Dido an, die immer noch nicht gesprochen hat. »Ich hoffe, es hat euch niemand Ärger gemacht.«

Dido schüttelt den Kopf. Nicandrus lächelt sie an, bevor er mit seinem Stapel schmutzigen Geschirrs zurück in die Küche geht.

Amara blickt sich im Raum nach anderen potenziellen Kunden um. Drei Männer sind in ein Würfelspiel vertieft und ignorieren sie, ein anderer trinkt allein an der Theke. Er wirft ihr einen finsteren Blick zu, als es ihr endlich gelingt, seinen Blick zu erhaschen. Die Mittagszeit ist nie einfach. Victoria und Cressa hatten Glück, ein paar willige Männer zu finden.

»Wir müssen uns draußen umsehen, nicht wahr?«, fragt Dido und lässt ihre schmalen Schultern bei diesem Gedanken hängen.

»Vorhin waren ein paar Matrosen auf dem Forum«, sagt Amara. »Und der Regen hat nachgelassen. Vielleicht brauchen wir nicht allzu lange.«

Dido sieht sie an, ihre Augen dunkel vor Kummer. Er ist so tief, dass man darin ertrinken könnte, wenn man nicht aufpasst. Doch Amara wird das nicht zulassen. Sie steht auf und streckt Dido ihre Hand entgegen, mit einer Gelassenheit und Zuversicht, die aus ihrem anderen Leben stammen.

KAPITEL 3

»Alle anderen Tiere erlangen Befriedigung durch die Paarung; der Mensch erlangt fast keine.«

Plinius der Ältere, Naturgeschichte

Die Geräusche, die Victoria macht, während sie den zahnlosen Mann unterhält – und seine Anerkennung –, sind laut auf der Straße zu hören. Felix hat Victoria genau aus diesem Grund das Zimmer am Haupteingang gegeben – weil er wusste, dass sie ein gutes Verkaufsargument für Laufkundschaft sein würde. Gallus lümmelt gelangweilt an der Wand.

»Kannst du das bitte Beronice und Fabia geben?«, fragt Amara und reicht ihm einen halben Laib Brot. »Wir werden unser Glück auf dem Forum versuchen.«

»Sicher.« Gallus stopft das Brot in eine Falte seines Umhangs. Sie hofft, dass er es nicht selbst essen wird.

Die Luft riecht nach dem Regenguss frischer, obwohl die schmale Straße jetzt eher einem Kanal gleicht. Amara und Dido gehen vorsichtig, halten ihre Umhänge hoch, damit die Säume nicht ins Wasser hängen. Im Winter ist es schwieriger, ihren Beruf auf den ersten Blick zu erkennen. Unter der äußeren Schicht tragen sie Togen, die Uniform von Männern und Prostituierten. Amara fühlte sich anfangs nackt, als sie nicht mehr von Kopf bis Fuß in schützende Stoffbahnen gewickelt war, aber auf dem glitschigen Pflaster, wenn es auf Beweglichkeit ankommt, ist es fast eine Erleichterung, die Beine frei zu haben.

Der Weg wird leichter, als sie die breite Hauptstraße, die Via Veneria, erreichen, die zurück zum Forum führt. Hier müssen sie nicht länger im Gänsemarsch gehen, sondern können Seite an Seite laufen. Amara nimmt Didos Hand und drückt sie sanft. »Du kannst nicht die ganze Zeit nach unten sehen«, sagt sie. »Ich verstehe, dass es nicht leicht ist, aber wir sollen die Aufmerksamkeit der Männer auf uns ziehen, nicht ihnen ausweichen.«

»Ich weiß«, sagt Dido. »Aber es ist wirklich schwer.«

»Eigentlich nicht. Dein Gesicht macht schon die Hälfte der Arbeit für dich. Du bist mit Abstand die schönste Frau in ganz Pompeji.« Amara hat noch nie jemanden gesehen, der so schön ist wie Dido. Allerdings ist es eine Schönheit, die von Zerbrechlichkeit durchzogen ist, wie bei der exquisiten Glasstatue der Göttin Athene, an die sie sich aus ihrer Kindheit erinnert. Sie war so kostbar, dass ihre Eltern sie an einem für sie unerreichbaren Ort aufbewahrten.

»Ich hasse es«, sagt Dido. »Ich hasse es, wenn Männer starren. Ich hasse es, wenn …« Sie verstummt. »Ich denke, ich werde mich daran gewöhnen, an alles, irgendwann.«

»Nein. Ertrage es einfach. Gewöhn dich nie daran.«

Sie kommen an einem Schmuckgeschäft vorbei und bleiben kurz stehen, um das geschliffene Glas und die Kameen zu bewundern. »Meine Mutter trug so einen Stein«, sagt Dido und zeigt auf die Auslage.

»Den roten?«

»Ja. Sie trug ihn, als ich sie das letzte Mal sah.«

Amara kennt den Rest der Geschichte. Wie Piraten durch Didos Heimatstadt zogen und Menschen raubten, um sie als Sklaven zu verkaufen. Dido wurde zusammen mit ihrer jüngeren Cousine entführt, ihr Onkel bei dem Versuch, sie zu beschützen, getötet. Ihre Cousine starb auf der Überfahrt von Karthago nach Puteoli. Dido war, wie Amara, ganz allein, als sie sich zum ersten Mal begegneten – auf dem Sklavenmarkt, wo sie nebeneinander aufgereiht wurden. Amara würde Dido gern sagen, dass sie ihre Mutter vielleicht eines Tages wiedersehen wird, aber sie kann es nicht. Sie glaubt nicht daran.

Sie sind zu lange stehen geblieben. Der Ladenbesitzer kommt heraus, um sie zu überreden, eine Kette mit billigen Perlen anzuprobieren, und ist beleidigt, als sie ablehnen. Sie eilen auf den Gipfel des Hügels, in Richtung Forum. Es ist noch voller als vorhin, die Straßenverkäufer haben nach dem Regen keine Zeit verschwendet und ihre Stände sofort wieder aufgebaut. Amara führt Dido zu einer der breiten Kolonnaden, die den Platz umgeben. »Lächle einfach alle an«, sagt sie. »Tu so, als ob du Drauca wärst.«

»Ist es das, was du machst? So tun, als wärst du jemand anderes?«

»Ich bin jemand anderes. Amara ist nicht einmal mein richtiger Name, Dido nicht deiner.«

Sie spazieren langsam Arm in Arm den bunt bemalten Gang entlang. Trotz ihrer Tapferkeit schlägt Amaras Herz schnell. Niemand schenkt ihnen viel Aufmerksamkeit. Teuer gekleidete Männer, die sich vielleicht treffen, um die bevorstehenden Wahlen zu besprechen, eilen an ihnen vorbei, als ob sie unsichtbar wären. Die Händler ignorieren sie, weil sie zu sehr mit ihrer eigenen Ware beschäftigt sind. Sie haben keine Zeit, das zu kaufen, was die Frauen anbieten, nicht zu dieser Stunde. Amara lässt sich nicht entmutigen und schlägt vor, eine andere Runde zu drehen.

Sie gehen weiter und halten diesmal öfter inne. Amara blickt jedem Mann in die Augen, allerdings weniger flirtend als unbewusst, eher mit der Selbstsicherheit eines jungen Mannes. Dido gelingt gelegentlich ein schüchternes Lächeln. Sie treffen nicht ganz ins Schwarze, sehen weder wie Huren noch wie anständige Frauen aus, aber diesmal schaffen sie es wenigstens, bei einigen Neugierde zu wecken. Sie bleiben an einem Stand für Schuhe stehen, wo es nach frisch gegerbtem Leder riecht. Der Verkäufer demonstriert die Geschmeidigkeit eines Paars Sandalen, indem er die Riemen zwischen seinen Fingern dreht. Ein Mann beginnt zu feilschen, und ein anderer, vielleicht der Freund des Kunden, steht da und wartet. Amara stößt ihn leicht an, wie zufällig. Er blickt auf und bemerkt Dido, die es irgendwie schafft, nicht zu Boden zu sehen. Einen Moment lang denkt Amara, er würde sie durchschauen, erkennen, dass es sich um zwei verängstigte Frauen handelt, die keine Ahnung haben, was sie da tun. Aber das ist nicht das, was er sieht. Ermutigt, weil Dido nicht weggelaufen ist, beugt er sich zu ihr. »Zu hart für deine hübschen kleinen Füße, oder?«

»Wir müssen nicht weit laufen«, antwortet Amara. »Nur eine Straße weiter.« Sie blickt ihm direkt in die Augen, damit er nicht missverstehen kann, was sie meint. »Warum schließen du und dein Begleiter sich uns nicht an?«

Sie stehen so nahe beieinander, dass er seine Hand unter Didos Umhang stecken kann. Die versteift sich und umklammert Amaras Arm, bis es wehtut. Es kostet Amaras ganze Willenskraft, ihn nicht zu ohrfeigen. Sie denkt an Felix, denkt daran, was er wohl tun wird, wenn sie ihm morgen nichts geben können.

»Das reicht!« Amaras Stimme klingt schärfer als beabsichtigt. Der Mann lässt überrascht die Hand sinken. Sie zwingt sich zu einem falschen, schiefen Lächeln. »Nur wer auch kauft, darf die Ware anfassen.«

Der Mann mustert die beiden von oben bis unten. »Vielleicht später, meine Damen.« Er dreht ihnen den Rücken zu.

Sie verlassen den Lederstand. Diesmal ist es Amara, die von Dido gestützt wird, sie hat das Gefühl, als würden ihre Beine nachgeben. »Willst du dich setzen?«, fragt Dido. Sie schüttelt den Kopf. »Ich hatte ein schlechtes Gefühl bei dem«, fährt Dido fort. »Vielleicht ist es besser so.«

»Ich hätte ihn dich nicht anfassen lassen sollen«, sagt Amara. »Ich hätte ihm sagen sollen, dass er sich verpissen kann.«

Zu ihrer Überraschung lacht Dido. »Die am kürzesten lebenden Huren der Branche. Das wäre doch mal ein guter Anmachspruch. Ihr könnt euch alle verpissen!«

Didos Lachen ist ansteckend, und bald zittern beide, übermannt von Hysterie und bemüht, nicht lauthals zu prusten. Sie fassen sich an den Händen, eine Säule zwischen sich, schwingen sich hin und her, lehnen sich zurück und kichern wie Kinder. Es kümmert sie nicht, dass sie verächtliche Blicke auf sich ziehen, plötzlich scheint das keine Rolle mehr zu spielen.

Irgendwann beruhigen sie sich und richten sich auf. »Komm«, sagt Amara. »Zurück zur Bestienjagd.«

Diesmal bewegen sie sich mit mehr Selbstbewusstsein, Dido muss sich nicht einmal zu einem Lächeln zwingen, die Männer dürfen nur nicht wissen, dass es auf ihre Kosten geht. Sie bleiben bei einer Gruppe stehen, die in der Nähe des Eingangs zur Markthalle würfelt. Die Luft ist schwer vom Geruch nach Fleisch und Gewürzen. Die beiden Frauen halten sich am Rand des Kreises und sehen zu. »Guter Wurf«, sagt Amara, als ein Mann eine Sechs würfelt und einen kleinen Haufen Münzen einsammelt. Sein Freund klopft ihm auf den Rücken.

Die Spieler scheinen in zwei Teams aufgeteilt zu sein. Sie wirken alle wie Händler von außerhalb und sprechen mit einer Vielzahl von Akzenten und Sprachen, während sie um das Geld streiten. Amara und Dido tun, als wären sie von dem Spiel fasziniert, schlagen sich dabei langsam auf die Seite der Gewinner, schmeicheln sich bei ihnen ein. Eine Flasche mit Wein wird herumgereicht und Dido nimmt einen Schluck.

»Würfel für uns!« Einer der Männer zieht Amara am Arm. »Na los, würfel du!« Die Gewinner sind gut gelaunt. Nach dem Spiel werden sie das Geld irgendwo ausgeben müssen.

Amara geht in die Hocke und nimmt die Würfel. »Für Venus«, sagt sie und blickt seitlich zu dem Team auf, das sie für sich beansprucht hat. Sie würfelt eine Fünf, höher als ihre Rivalen gerade. Die Männer jubeln.

»Das zählt nicht«, protestiert einer der Verlierer mit verärgertem Gesicht und sieht zu, wie eifrige Finger seine letzten Münzen durchwühlen. »Man kann eine Hure nicht für sich würfeln lassen.«

»Man kann eine Hure alles für sich machen lassen, was man will«, erwidert Amara. »Das ist der Sinn der Sache.«

Ihre neuen Freunde fallen fast um vor Lachen, einer legt den Arm um Amara, als sie aufsteht, aber ihr Gegner ist nicht amüsiert. »Betrügerische kleine Griechin«, zischt er. Er sammelt sein restliches Geld ein und gibt seinen drei Begleitern ein Zeichen, es ihm gleichzutun. Sie eilen davon und Amara und Dido bleiben mit den Gewinnern zurück: fünf Männer, deren Aufmerksamkeit sich nun von den Würfeln auf andere Spiele richtet. Amaras Herz schlägt schneller vor Angst. Es wäre ihr lieber, wenn sie nicht so in der Unterzahl wären.

»Pompeji hat dir Glück gebracht«, sagt Dido und neigt ihren Kopf auf eine Art, die Amara an Victoria erinnert. »Es zahlt sich aus, Venus in ihrer Stadt zu dienen.«

»Du kommst aus Afrika«, sagt einer der Männer, als er ihren Akzent bemerkt.

»Venus hat ein weites Herrschaftsgebiet«, antwortet Amara. »Und der Weg zu ihrem Haus ist kurz, wenn du uns begleiten willst.« Der Mann, der sie zum Würfeln gedrängt hat, hat seinen Arm immer noch fest um ihre Taille gelegt, mit den Fingern knetet er ihr Fleisch. Sie und Dido haben keine Chance, sich gegen diese Bande zu wehren, sollten die Männer beschließen, das Geschäft abzukürzen, indem sie sich nehmen, was sie möchten, ohne zu bezahlen. Teile der Markthalle werden nach dem Erdbeben immer noch repariert, und es gibt viele verlassene Gewölbe, in denen gerade keine Bauarbeiten stattfinden.

Dido macht ein paar Schritte weg von der Gruppe. »Wir teilen uns ein Haus mit drei anderen«, sagt sie. »Fünf Frauen! So ein glücklicher Zufall. Ihr müsst mit unseren Freundinnen feiern, die Göttin hat schließlich einen Dank verdient.«

Die Männer tauschen Blicke, vielleicht um abzuwägen, ob sie mithilfe eines süßen Köders in eine Diebeshöhle gelockt werden sollen. »Vielleicht kennt ihr unser Haus?«, sagt Amara. »Wir wohnen gegenüber vom Elefant.«

»Die Wolfshöhle!« Einer von ihnen lacht. »Wir haben eine Einladung ins Stadtbordell bekommen!«

»Bist du das?« Der Mann, der Amara festhält, lockert seinen Griff und dreht sie zu sich, damit er ihr Gesicht sehen kann. »Eine kleine griechische Wölfin?«

Seine Haut ist braun gebrannt, an den Wangen rissig und wettergegerbt, und an der Unterseite seines Kinns befindet sich eine Narbe, wo er mit einem Messer verletzt worden sein muss. Sie weiß, dass diesem Mann Gewalt nicht fremd ist, aber das ist wohl bei keinem von ihnen der Fall. Amara beschließt, die Würfel noch einmal zu werfen. Sie beugt sich zu ihm, um ihn leicht auf die Lippen zu küssen, dann stößt sie ihn von sich und entzieht sich ihm schnell. »Wir sind Wölfinnen aus Griechenland, Karthago, Ägypten und Italien«, sagt sie über ihre Schulter und bedeutet ihm, ihr zu folgen. »Allesamt Verehrer der Venus Pompeiiana.«

Dido schließt sich ihr rasch an, und sie gehen händchenhaltend die Kolonnade hinunter in Richtung Via Veneria, wohl wissend, dass die Männer dicht hinter ihnen sind. »Wir müssen schnell dorthin«, flüstert Dido, ihre Augen sind vor Angst geweitet.

»Nicht rennen«, sagt Amara. Sie blickt über ihre Schulter zurück und lächelt den Mann an, der sie bis vor Kurzem noch in seinem eisernen Griff hatte. Er und die anderen Würfelspieler sehen eher aufgeregt als wütend aus und genießen den Nervenkitzel der Jagd.

Sie schlängeln sich vorbei an den Geschäften und den großen Häusern der Via Veneria. Die Straße ist immer noch überschwemmt mit Wasser. Einer der fünf Spieler, ein kleiner, kräftiger Mann mit einem geflickten Umhang, packt Dido und tut so, als wollte er sie hineinwerfen. Sie schreit, und die Männer lachen laut. Der Mann setzt sie wieder ab, als sich ein Maultierkarren nähert. Amara ergreift ihre Hand und zieht sie weiter über das Pflaster.

Amara kann sich nicht erinnern, jemals glücklicher gewesen zu sein, den lärmenden Chor aus dem Elefant zu hören. Als sie um die Ecke zum Bordell biegen, würde sie vor Erleichterung am liebsten zu Gallus’ Füßen zusammenzubrechen. Er sammelt das Geld von ihren fünf Freiern ein. Als Amara über die Schwelle tritt, blickt sie auf seine linke Hand, mit der er ihr ein Zeichen gibt. Drei Finger. Nur drei Frauen sind da. Amaras Herz zieht sich zusammen.

Beronice wartet im Korridor, umhüllt vom Rauch der Lampen.

»Da ist Ägypten!«, ruft der kleine Mann und packt sie grob an den Hüften. »Wo sind die anderen beiden?«

»Auf dem Weg hierher«, antwortet Amara und legt ihre Arme um den Mann mit dem vernarbten Kinn. »Fabia holt sie.« Die alte Frau huscht an ihr vorbei, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, und stürzt auf die Straße.

»Verdammt noch mal, du hast fünf versprochen!« Die beiden Männer, die ohne Frauen geblieben sind, sind wütend.

Amaras Freier hat ihr bereits den größten Teil ihrer Kleidung ausgezogen und schiebt sie zu einer leeren Zelle. Er hört auf, sie zu küssen, um einen seiner wütenden Begleiter zu packen und näher zu ziehen. »Hör auf, dich zu beschweren! Du weißt, dass ich immer teile.«

Das steinerne Bett drückt hart gegen Amaras Rücken, da ist ein schreckliches Klingeln in ihren Ohren, das Rauschen des Blutes in ihrem Kopf, der Geruch des fremden Mannes, der ihr zu nahe ist, sein Griff noch fester als auf dem Forum, die Bewegung, die sie nicht aufhalten und nicht kontrollieren kann. Sie ertrinkt.

Amara versucht sich auf den Vorhang vor der Tür zu konzentrieren, seine Falten zu zählen, bis der Mann fertig ist, versucht alles, um die unerträgliche Panik zu unterdrücken. Aber der zweite Mann versperrt ihr die Sicht, sein Gesicht ist verzerrt. Er packt ihren Oberschenkel und hindert sie daran, sich wegzudrehen. Sie kann nicht schreien, nicht atmen, die Angst presst ihr die Luft aus der Lunge. Dann öffnet sich der Vorhang. Cressa schlüpft herein.

»Du brauchst nicht zu warten«, flüstert sie und streicht dem Mann mit den Fingern durchs Haar.

Er stößt sie weg. »Ich will die da«, sagt er und zeigt auf Amara. Cressa stellt sich zwischen die beiden.

»Nein, tust du nicht.« Sie legt ihre Hände um seine Hüften und zieht ihn näher zu sich. Er versucht zu widerstehen, aber die Verlockung ihres nackten Körpers ist zu groß. Er gibt nach und lässt sich von Cressa wegführen. Als sie gehen, blickt sie zurück. Die Freundlichkeit in ihren Augen spricht Bände und erreicht Amara über die Dunkelheit hinweg.

Amara beginnt zu weinen. Der Mann mit dem vernarbten Kinn sackt schwer auf ihr zusammen. Er ist endlich fertig. Kurz ist sie gezwungen, zusammengedrückt unter seinem Gewicht zu liegen, dann stützt er sich auf die Ellbogen und tritt vom Bett zurück. Amara zieht ihre Beine an sich und kann nicht aufhören zu weinen. Einen Moment lang starrt der Mann sie an, und sie kann nicht sagen, ob der Blick des Ekels ihr oder sich selbst gilt. Er geht, ohne ein Wort zu sagen.

KAPITEL 4

»Nimm einen, der lange Jahre für dich schuften würde;Nimm einen, der mit reinster Treue liebt.«

Ovid, Amores 1,3

Die Nacht im Bordell verläuft wie eine Szene aus dem Hades: eine endlose Prozession betrunkener Männer, Rauch, Ruß, wütendes Geschrei, Töpferwaren werden zerschlagen, Dido weint, der stechende Geruch von Victorias Gebräu, mit dem sie ihr Inneres auswäscht, liegt in der Luft, Beronice schnarcht. Als es zu spät ist, als dass sich selbst der hingebungsvollste Pompejaner noch auf die Suche nach Sex begeben würde, liegt Amara allein in der Dunkelheit ihrer Zelle, unfähig zu schlafen, erstickt von ihrer Wut.

Am nächsten Morgen wird sie von Victorias Gesang geweckt. Ihre leichte, erdige Stimme voller Hoffnung und guter Laune klingt wie Musik aus einer anderen Welt. Amara setzt sich im Bett auf.

»Kannst du uns nicht einmal ausschlafen lassen?«, schreit Beronice.

»Sieh dir den Sonnenschein an«, ruft Victoria zurück. »Das ist wie das Fest der Flora!«

Amara muss gegen ihren Willen lächeln. Sie schwingt ihre Beine aus dem Bett und wickelt sich die Decke um die Schultern. Beronice und Cressa sind bereits auf dem Korridor, gähnen und reiben sich die Augen. Die drei machen sich auf den Weg zu Victorias Zelle. Bevor sie hineingeht, blickt Amara nach oben. Das Bild der beiden Liebenden über der Tür zeigt die Frau oben, ein Geschenk von Felix an seine fleißigste Frau.

»Du hast uns geweckt!«, klagt Beronice. Victoria ist bereits angezogen und frisiert ihr Haar. Es fällt in einem Wasserfall aus Locken über ihre Schultern. Sie sieht nicht aus wie eine Frau, die die ganze Nacht wach war, Männer verwöhnt und Gewalt abgewehrt hat. Ihre Augen glänzen bei der Aussicht auf einen neuen Tag. Amara hat noch nie jemanden wie Victoria getroffen.

»Wo ist Dido?«, fragt Victoria. »Sie kann unmöglich geschlafen haben, während ihr fauler Haufen gebrüllt und euch beschwert habt.«

Die vier gehen zu Didos Zelle. Sie liegt auf dem Bett, mit dem Gesicht zur Wand. Cressa setzt sich neben sie, beugt sich zu ihr und küsst sie auf die Stirn. Nicht nur Amara und Nicandrus haben das Bedürfnis, Felix’ jüngste Wölfin zu beschützen. »Es ist Morgen, mein Schatz«, sagt Cressa.

Dido setzt sich auf. Ihr Gesicht ist nass und ihre Augen sind rot vom Weinen. Cressa umarmt sie und streichelt ihren Rücken. »Waren sie scheiße?«, fragt sie.

»Einer von ihnen hat alle Lampen zerbrochen«, sagt Dido und zeigt auf einen Haufen Tonscherben, den sie in eine Ecke gefegt hat. »Er hat mich wirklich erschreckt.«

»Ekelhafter, beschissener kleiner Mann!« Cressas Stimme zittert, und für einen Moment denkt Amara, dass sie die Fassung verlieren wird.

Victoria setzt sich auf Didos andere Seite und übernimmt schnell die Führung. »Von dem darfst du dich doch nicht ärgern lassen«, sagt sie und lächelt. »Nicht von Herrn Knoblauchfurzus.«

»Was für ein dummer Name«, sagt Beronice und schaut zweifelnd. »So kann er doch nicht wirklich heißen.«