Die Wunde der Liebe - Im spirituellen Feuer des Ruchira Buddha Adi Da - Momo Pete - E-Book

Die Wunde der Liebe - Im spirituellen Feuer des Ruchira Buddha Adi Da E-Book

Momo Pete

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Beschreibung

Durch eine von mystischen Erfahrungen geprägte Kindheit unter schwierigsten Lebensumständen, begleitet der Meister "unerkannt" die spirituelle Suche Seines Schülers nach Indien, der Zuflucht nimmt zu Meditation und Rückzug, bis hin zur hell-strahlenden, Transzendentalen Spirituellen Offenbarungen des Herz-Meisters, als die Göttliche Person, den Maha Purusha, den verheißenen Gott-Mensch, in der Alten Universität zu Freiburg im Breisgau. Die Suche endet von einem Moment zum anderen und das Leben des Schülers erfährt eine unerwartete Wendung und tiefgehende Transformation. In der ewigen Beziehung zwischen Herz-Meister Avatar Adi Da und Seinem Devotee offenbart sich, Schritt für Schritt, der Weg der 7. Lebensstufe der Vollkommenen Verwirklichung von Avatar Adi Da. Nach vielen Jahren des Wartens und unzähliger Visionen, erreicht der Autor endlich die ersehnte Insel Naitauba. Alle Erwartungen und Vorstellungen an den Ashram eines Maha Siddha und die Insel-Gemeinschaft, werden auf allen Ebenen enttäuscht. Er sieht sich mit einem Insiderkult der ersten Generation von Devotees konfrontiert. Die Weisheitslehre des Herz-Meisters ist einer Revision und einem "monarchistischen" Insiderkult anheim gefallen, hinter dem sich die erste Generation von SchülerInnen mit hohepriesterlichen Worten und leeren Proklamationen versteckt. Trotz dieses schwierigen und unerwarteten Umstands empfängt der Schüler die Transzendentalen Spirituellen Offenbarungen und Unterweisungen seines Herz-Meisters. Die Transzendentale Spirituelle Wirklichkeit tritt als Ursprung aller Wesen und Dinge hervor im Angesicht des größtmöglichen Scheiterns, der Konfrontation mit dem fatalen Insiderkult einer spirituellen Gemeinschaft, dem Gang ins Exil und in die Verbannung.

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Seitenzahl: 665

Veröffentlichungsjahr: 2023

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momo pete

 

 

 

 

 

 

Die Wunde der Liebe

 

 

 

 

Im spirituellen Feuer

 

des

 

Ruchira Buddha Adi Da

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Buch

 

Eine fesselnde, spirituelle Autobiographie im lodernden Feuer der uralten und geheimnisvollen Beziehung zwischen einem wahren spirituellen Meister, dem Ruchira Buddha, Herz-Meister Avatar Adi Da und Seinem Devotee, diesseits und jenseits der manifesten Welt der Erscheinungen.

Durch eine von mystischen Erfahrungen geprägte Kindheit, unter schwierigsten Lebensumständen begleitet der Meister „unerkannt“ die spirituelle Suche Seines Schülers nach Indien, der Zuflucht nimmt zu Meditation und Rückzug, bis hin zur plötzlichen, hell-strahlenden, Transzendentalen Spirituellen Offenbarung des Herz-Meisters als die Göttliche Person, den Maha Purusha, den verheißenen Gott-Menschen, in der „Alten Universität“ zu Freiburg. Die Suche endet völlig unerwartet, und das Leben des Schülers erfährt eine unerwartete Wendung und Transformation.

In der ewigen Beziehung zwischen Herz-Meister Avatar Adi Da und Seinem Devotee offenbart sich Schritt für Schritt der Weg der 7. Lebensstufe – der Vollkommenen Verwirklichung – von Avatar Adi Da. Der Weg des Herzens wird greifbar und sichtbar in der Manifestation der Wirklichkeit an sich, im täglichen, banalen Leben. Das Dharma des Herz-Meisters und Seine Unterweisungen bewiesen sich über fast sechzig Jahre hinweg auf allen Ebenen des Daseins, und den unausweichlichen Krisen und Herausforderungen eines wahren spirituellen Lebens.

 

Der Autor

 

Momo Pete lebte von 2017 bis Ende 2022 auf den Fidschi-Inseln, die ihn schon seit der frühesten Kindheit in ihren Bann gezogen haben. Bücher und Bücherschreiben waren für ihn schon immer eine Suche nach der Wahrheit, nach dem vollkommenen Glück. Das Glück und die offenbarte Wirklichkeit in Worte zu fassen, oder besser gesagt, sie mit Worten freizulegen, sichtbar, begreifbar und fühlbar zu machen, ist sein großes Herzensanliegen und zugleich eine schier unendliche Herausforderung, aber nichtsdestotrotz der „Daimon“ seines Lebens.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für meine Tochter

 

 

 

 

Wenn die Wirklichkeit Dich küsst,

 

Weiche nicht zurück.

 

Lass die Wirbel ihres Spiels

 

Kreise in Dir ziehen

 

Und fühle – Du bist das Herz.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Einleitung  

Prolog  

Kapitel 1  

Gottessuche oder die Angst ein Mensch zu sein  

Auf-Essen oder Aus-Brechen  

What’s your name, what’s your country?  

Rock-Zeit  

Prinzessin Julia  

Der Tod und zwei Esslöffel Erde  

Sonnentanz  

Kapitel 2  

Einstieg in die Weisheitslehre  

Zweifel und Initiation  

Avatar Adi Da besucht Europa  

Bhakti-Fieber  

Kapitel 3  

Naitauba – Insel der Glückseligkeit  

Erste Reise nach Naitauba  

Vedanta-Tempel – Hollywood  

Kapitel 4  

Geschäftswelt – erster Auftritt  

Erste Reise zum Mountain of Attention  

Geschäftswelt – Zweiter Auftritt  

Drei Sonnen und fünf Regenbögen  

Der Tod ist noch lange nicht das Ende  

Die Illusion zu sterben  

Zweite Reise zum Mountain of Attention  

Kapitel 5  

Love-Ananda Mahal – Hawaii  

Abschied  

Zweite Reise nach Naitauba  

Meister und Devotee  

Schwarze Schatten  

Geschäftswelt – Dritter Auftritt  

Lovestory  

Kapitel 6  

Mahasamadhi – Avatar Adi Da's Tod  

Dritte Reise nach Naitauba  

Atma Nadi Shakti Loka – The Brightness  

Struwwelpeter  

Kapitel 7  

Der Ruf – Inkarnationstraum  

Der Schokoladenweg  

Vierte Reise nach Naitauba  

Kapitel 8  

Übersiedlung  

Absturz  

In My House  

Kapitel 9  

Indigo Swan – Die Bucht  

Indigo Swan – Das Steinhaus  

Der Rosengarten  

Die Veranda  

Kapitel 10  

Das Verhör  

Padavara Loka und Atma Nadi Shakti Loka  

Das fliegende Schwert  

Der Ruchira Buddha  

Der Gang ins Exil  

Kapitel 11  

Taveuni – Aus dem Leben gefallen  

Suva – Eine große Liebe  

Die Verbannung  

Apeiri Katharsi  

Epilog  

Der verheißene Gott-Mensch  

Anhang  

Kurze Geschichte der Insel Naitauba  

Glossar  

Hinweis an die LeserInnen  

Quellen  

Bücherliste  

 

Einleitung

 

Die erste Auflage dieses Buches ging am 27. November 2008 unter dem Buchtitel „Und Die Wahrheit Steht Auf!“, unter meinem Autorennamen „Karl Faller“, in Druck. Es war der Morgen, als Herz-Meister Avatar Adi Da Seinen Körper verließ. Die hier vorliegende und erweiterte Ausgabe wird genau an diesem Tag mit dem 6. Kapitel fortgeschrieben, bis zum Jahr 2023. Die Neupublikation trägt den geänderten Buchtitel „Die Wunde der Liebe“ und wird unter meinem fidschianischen Autorennamen „Momo Pete“ veröffentlicht.

Für mich bestand nach dem Tod von Herz-Meister Avatar Adi Da kein Anlass, mein autobiographisches Schreiben in dieser Form fortzusetzen. Die erweiterten Kapitel geben Aufschluss darüber, warum ich mich im Jahre 2023 gezwungen sah, mein Schreiben fortzuführen. Mein biographisches Schreiben ist in allererster Linie dazu gedacht, dem interessierten Publikum und der nachfolgenden Generation von Devotees von Avatar Adi Da, von einem nicht alltäglichen, und zugegebenermaßen, subjektiven und begrenzten Standpunkt aus, Einblick in den Verwirklichungsprozess von Herz-Meister Avatar Adi Da Weisheitslehre zu geben, und Entwicklungen in Seiner Sangha (Gemeinschaft), nach dem Tode des Herz-Meisters aufzuzeigen. Es ist ein Aufruf gewissen kindlichen oder auch adoleszenten Irrtümern nicht zu verfallen und den gesunden Herzens-Verstand zu benutzen, ein Aufruf zur Demut an all diejenigen, welche die Weisheitslehre von Herz-Meister Avatar Adi Da direkt oder indirekt empfangen durften. Mein Schreiben bezeugt und ist ein Bekenntnis für spätere Generationen, über den Versuch der Etablierung und Strukturierung des monumentalen Segnungswerkes von Herz-Meisters Avatar Adi Da durch Seine AnhängerInnen in den Jahren 2017 bis 2022 auf der Südseeinsel Naitauba und in der weltweiten Gemeinschaft von Adidam. Meine Beobachtungen bei meinem fast vierjährigen Verweilen im Ashram von Avatar Adi Da Samraj auf Naitauba lassen mich nur zu einer Schlussfolgerung kommen, dass dieses Bemühen, das Dharma im Sinne des Herz-Meisters Avatar Adi Da zu etablieren, auf vielen, wenn nicht auf allen Ebenen in einer Sackgasse stecken geblieben, wenn nicht sogar vorerst gescheitert ist. Es ist für mich offensichtlich, dass die nächste Generation einen anderen Weg einschlagen muss, sollte die Weisheitslehre von Herz-Meister Avatar Adi Da tatsächlich eines Tages in ihrer ganzen Vielfalt erblühen, verstanden und wirklich allen zugänglich gemacht werden. Der jetzt im Jahre 2023 propagierte Weg der ersten Generation von Devotees entspricht nahezu im Wortlaut dem Essay von Avatar Adi Da „Do Not Enact The Cult of False Adidam“, veröffentlicht in Seinem Buch „Recognition Of Me Is Liberation“.

Mein Schreiben soll aufzeigen, dass das Heilige Dharma von Herz-Meister Avatar Adi Da und die Proklamation Seines Göttlich-Avatarischen Hervortretens, als der Maha Purusha, die Göttliche Person, das Bewusste Licht niemals dazu gedacht waren, einen Insiderkult oder eine kindliche, monarchistische Struktur irgendwelcher Art zu etablieren und dadurch Sein Werk, den Herz-Meister selbst, oder Teile der Gemeinschaft in der Führungsebene zu absurden Kultfiguren zu machen.

Eingebettet werden diese Erkenntnisse in den Verwirklichungsprozess der 7. Lebensstufe von Herz-Meister Avatar Adi Da und dem Guru-Yoga – die uralte Beziehung zwischen einem Meister und Seinem Schüler. Dabei wird ein radikaler Einblick in den Transzendentalen Spirituellen Prozess, der Sadhana gewährt, die ein Devotee in Beziehung zu einem echten Maha-Siddha-Meister durchläuft. Traditionell werden diese Geschichten, die von dem Leben und der Beziehung der SchülerInnen zu ihrem Meister oder ihrer Meisterin handeln, am Beginn ihrer „Heldenreise“ sehr drastisch, fast schon brutal, geschildert. Am Ende dieser Legenden und Mythen, die wir im Hinduismus oder auch im tibetischen Buddhismus gehäuft antreffen, steht aber meist eine hohe Stufe der Verwirklichung oder Erleuchtung – das zur Ruhe kommen des spirituellen Dramas, der harten Tapas, die das Karma reinigen sollen. Das permanente Scheitern der vermeintlichen HeldInnen, während seinen oder ihren Feuerproben in der Beziehung zu ihren MeisterInnen, wird oft „esoterisch-spirituell“ verklärt, für die Öffentlichkeit zurechtgestutzt, damit niemand gleich abgeschreckt wird oder schockiert davonrennt, falls wahres Interesse geweckt wird. Dieses Buch bietet eine andere Wahrnehmung und ein tieferes Verstehen von dem realen Erleben dieser unvermeidlichen Krisen, die jeder echte spirituelle Pfad fortwährend mit sich bringt. Diesem Prozess, eines scheinbar „krisenhaften“ Lebens, sind ebenfalls alle MeisterInnen der echten spirituellen Wege permanent in ihrer Funktion als Guru oder Gurumai ausgesetzt, wenn sie unter Ihren SchülerInnen oder in der auf-sich-selbst-bezogenen Welt agieren. Auch eine Verwirklichung in der höchsten Stufe, steht nicht in einem Widerspruch zu den heldenhaften und unkonventionellen Lehrmethoden spiritueller MeisterInnen. Wahre Verwirklichung findet nicht auf einer Yogamatte oder in der Meditationhalle statt, diese Orte dienen im besten Falle der Vorbereitung.

Im Transzendentalen Spirituellen Prozess im Weg von Herz-Meister Avatar Adi Da liefert sich der Meister Seinen SchülerInnen bedingungslos aus und verlangt IMMER alles von Seinen SchülerInnen, wirklich ALLES! Es ist ein konstantes und ewiges Fegefeuer, ohne ein sogenanntes „Happy End“, selbst im Angesicht der unleugbaren und unumkehrbaren Liebe-Glückseligkeit, dem Geschenk der von-Natur-aus bestehenden Wahr-nehmung der absoluten und vollkommenen Wirklichkeit an sich.

Der gravierende Unterschied zu anderen spirituellen Pfaden besteht darin, dass der oder die Devotee im Weg von Herz-Meisters Avatar Adi Da Samraj, die Verwirklichung am Anfang erfährt, das stillschweigende und intuitive Erahnen und Erfahren, dass er oder sie immer bereits frei ist und immer bereits glücklich. In dieser ersten Wahr-nehmung der Göttlichen Selbst-Offenbarung von Avatar Adi Da, als die Wahrheit an sich, beginnt der Weg, in dem Schicht für Schicht die egoischen Muster – durch Gnade allein – abfallen, verstanden werden und diese Wahr-nehmung sich ausweitet, sich etabliert und immer mehr das Leben der Devotees „ausstrahlt“, bis diese selbst nur noch, als die Offenbarung der absoluten Wirklichkeit an sich, aber paradoxerweise immer noch an der Seite und zu Füßen des Maha Siddha, des Herz-Meisters, sich dienend hingeben. In diesem fortschreitenden Verwirklichungsprozess, im uralten Guru-Shishya-Yoga, mit dem Herz-Meister, tritt das ganze Elend der egoischen Verblendung, in seiner ganzen Tragik, seinem Drama und seiner Ignoranz zutage, wird erlebt, erlitten, wirklich verstanden, und dem Bewussten Licht übergeben. Wir transzendieren nicht nur unsere eigenen egoischen Begrenzungen, sondern auch die egoischen Muster unseres scheinbaren Gegenübers, denn auch für diesen „Anderen“ tragen wir letztendlich verantwortliches Mitgefühl. Je höher die Intensität des Bewussten Lichtes, desto dunkler die Schatten, die sich in Hingabe an den Herz-Meister auflösen. Erst wenn das gesamte kosmische Mandala, in diesem gnadenvollen Prozess des Übersetzens in den Göttlich-sphärischen Selbst-Bereich erstrahlt, oder besser gesagt ausgestrahlt wird, „endet“ dieser Weg der „Nicht-Wissenden-Sadhana“.

 

Möge Euch mein Schreiben Inspiration, Unerschrockenheit und mehr Verstehen in einen wirklichen spirituellen Prozess mit einem wahren spirituellen Meister schenken.

 

OM MA DA

 

Freiburg, im November 2023

 

 

 

Prolog

 

Aham Da Asmi

 

„Aham Da Asmi – Meine Geliebten, Ich bin Da.“ Avatar Adi Da 

 

Am 22. November 1994 sollte sich in meinem Leben etwas ereignen, das jenseits von all dem lag, was mein bisheriges Leben bis dahin für mich bereit hielt. Zwei Wochen vor diesem Datum war ich in den Straßen von Freiburg, einer Stadt im Süden von Deutschland unterwegs, um irgendwelche Besorgungen zu machen. Ich hatte gerade eine Ausbildung zum Psychotherapeuten begonnen und kam in Frieden mit meiner verzweifelten und extremen Suche nach der Wahrheit und mit den Erlebnissen meiner frühen Kindheit. Dieses ständige Getrieben-Sein, der Drang die Welt anders haben zu wollen, als sie ist, davonzulaufen vor den Herausforderungen des täglichen Lebens, all das hatte sich erschöpft. Zutiefst ernüchtert und entlarvt schaute ich mit leerem Blick auf den Bertoldsbrunnen, den zentralen Mittelpunkt der Universitätsstadt Freiburg. An einer Ecke nahe dem kopfsteingepflasterten Platz, der den Brunnen umgab, stand ein Stromkasten, der wie immer über und über beklebt war mit Veranstaltungsplakaten jeglicher Couleur und Größe. Auf einem dieser Zettel las ich den Namen Adi Da, Vortrag über die Weisheitslehre des Meisters. Das Thema – der Tod und das Sterben. Eine Stimme in mir sagte: „Sei nicht intolerant, ein spiritueller Meister, das hörst du dir an.” Ich las den Namen Adi Da noch einmal und immer wieder. Adi Da. Adi Da. Er sollte mir die Tage bis zur Veranstaltung nicht mehr aus dem Gedächtnis entschwinden. Am Abend des 22. November fand ich mich in einem Vorlesesaal der Alten Universität ein. Der Raum war gefüllt mit dreißig bis vierzig ZuhörerInnen. Vorne stand ein großes Bild von Avatar Adi Da. Es roch nach Räucherwerk, und Blumen schmückten den Tisch, auf dem Sein Bild stand. Der Vortrag begann und ich lauschte den Worten des Redners und seinem Vorlesen aus den Schriften und Instruktionen des Meisters. „Aham Da Asmi – Meine Geliebten, Ich bin Da“, erklang das Mahavakya des Meisters in meinem Ohren und löste eine unerwartete Ekstase in meinem Fühlen aus. Es war mehr als erstaunlich, was da vorgetragen wurde. Mit welcher Kraft diese Worte aufgeladen waren. Je länger ich zuhörte, desto mehr wurde ich von einer Anziehung erfasst und einem tiefen Gefühl von Wahrheit und Größe, welches alles andere übertraf, was ich je in meinem Leben, auf meiner endlosen Suche erfahren hatte. Zweifel begann sich einzumischen. Das Gehörte konnte nicht wahr sein, hier konnte nicht die tiefste Wahrheit über unser Sein aus dem Nichts erscheinen – Aham Da Asmi. Nicht hier, in einer einfachen, ordinären deutschen Stadt, so unspektakulär und ohne Abenteuer, weit weg von all den Heiligen Orten, die ich besucht hatte, und dazu noch ohne direkte Anwesenheit des Protagonisten. Aber die Kraft der Worte von Avatar Adi Da tönten überall in meinem ganzen Wesen als Wahrheit und breiteten sich immer mehr aus, als ob die ganze Welt darin existierte. Es war für mein Denken nicht mehr zu fassen. Es war viel größer.  

Der Vortrag neigte sich dem Ende zu. Viele Anwesende waren sehr aufgewühlt, manche wütend, wild argumentierend, zum Streiten aufgelegt, andere nur still und nachdenklich. Ich saß einfach nur da und kapierte nichts mehr. Zum Abschluss gab es ein Video, wo Avatar Adi Da im Darshan zu sehen ist. Er sitzt dabei meist in einem Stuhl und die Anwesenden betrachten Ihn still. Der Raum wurde ganz abgedunkelt, auf dem Bildschirm erschien Seine Gestalt. In diesem Moment verschwand all meine Wahrnehmung von Raum und Gegenwart. Ein Donnerschlag fuhr durch meinen Körper. Alles um mich herum begann in einer Art Feuer zu stehen, mein Herz zersplitterte und ging verloren. Ein Gefühl von unendlicher und immerwährender Liebe stürzte von oben in meinen Körper, ja, in all mein Leben, als ein Wasserfall, der nur auf diesen Augenblick und diese Gelegenheit gewartet hatte.

Vor mir saß der leibhaftige Gott, die Wahrheit, die ewige grenzenlose Liebe, nach der ich unaufhörlich und voller Verzweiflung gesucht hatte, Leben über Leben. Der vorhergesagte Gott-Mensch – Avatar Adi Da. Mein Herz wusste es einfach. Konnte das sein? Hier in Freiburg, jetzt? Es war ungeheuerlich. In menschlicher Form und Gestalt saß vor mir jenes, wofür es keinen Namen gibt. In jenem Moment verfiel ich dieser unendlichen Liebe, ich konnte mich nicht mehr halten, ich konnte nichts mehr denken. Es war, als ob Liebes-Blitze durch den Körper jagten und jeder Blitz bestätigte, dass die Wahrheit, die Wirklichkeit an sich, vor meinen Augen eine menschliche Form angenommen hatte.

Die Veranstaltung kam zum Ende. Ohne Worte kaufte ich, vollkommen aufgelöst, eine Broschüre in deutscher Sprache, welche Übersetzungsauszüge des Dawn Horse Testament, eines der Hauptwerke von Avatar Adi Da, enthielt und begann sofort, noch während ich den Raum verließ, zu lesen: „Meine Geliebten, Ich Bin Da.“ Ich musste es immer wieder lesen. Es war einfach nicht zu fassen. Draußen hatte es mittlerweile zu regnen begonnen. Die Lichter der Stadt spiegelten sich auf dem nassen Kopfsteinpflaster, alles leuchtete und strahlte tausendfach. Auf dem Gehsteig kam mir meine Freundin Julia entgegen. Ich musste immer noch lesen. Sie sah mich an, „Deine Augen sind wie Feuerbälle, was ist geschehen?“ Ich konnte kaum sprechen, „es ist zu abgefahren, zu überwältigend, ich kann dir jetzt nichts erzählen!“

Die nächsten Tage und Wochen träumte ich jede Nacht von Avatar Adi Da. Beim Erwachen fühlte ich fortwährend Seine Präsens. Das ganze Zimmer war voll von Seiner Gegenwart. Er war, wörtlich genommen, immer bei mir. Mit Ihm wanderte ich jede Nacht durch einen anderen Raum und eine andere Zeit. Im Traum schien Avatar Adi Da jünger zu sein. Er lachte, trieb mich immer wieder an weiterzugehen, stellte Fragen und erzählte mir alles über die Eigenart dieser Traumplätze, die manchmal nur aus Steinen und Trümmern bestanden – eingefallene Tempel, Steinwüsten, Felsen, Berge, die aber eindeutig ihr Leben in der Vergangenheit hatten, oder in der Zukunft? Diese Art mit Avatar Adi Da zu sein erschöpfte mich. Nach zwei Wochen wusste ich, dass ich nie mehr ohne Ihn sein werde, keine Sekunde in meinem Leben, und dass ich Seinen Namen nie mehr vergessen würde. Er lachte nur und machte freundliche Witze über mich, der ich dem Allem eine so große Bedeutung gab. Ich ging weiter, wie gewohnt, zu meiner Arbeit in einen Bioladen, aber ich musste immer an Ihn denken, an die Kraft, die überwältigende Liebe, die Wahrheit, die Er ausströmte und die Er vollkommen manifestierte. Mein Leben war von Seiner Gegenwart eingenommen. Eines Tages stand ich alleine im Laden. Während die Regale langsam von einer strahlenden Atmosphäre vereinnahmt wurden erklang im Raum aus dem Nichts heraus eine laute Stimme: „Wie lange willst du eigentlich noch so weitermachen?“ Das war zu viel. Schreck und Angst fuhren mir in jede Zelle und die Gewissheit stieg auf, dass diese Begegnung mein ganzes Leben und jede meiner geschätzten Erfahrungen ruinieren würde. Er war zu gefährlich, ich wollte nicht mehr träumen, nicht mehr fühlen, nicht mehr lesen, ich bekam einfach nur Panik und schob Avatar Adi Da zur Seite. Ruhe. Abstand.

Einen Monat später, Januar 1995, reiste ich nach München. Der nächste Ausbildungsblock in Hakomi, eine körperorientierte Psychotherapie, stand auf dem Programm. Im Gruppenraum des Seminarhauses hielten sich schon meine KollegInnen auf. Die Leiterin des Hauses hatte ihre Bibliothek teilweise leer geräumt und Stapel von Büchern im Zimmer aufgetürmt. Ich ging die zwei Treppen in den Raum hinunter, der etwas tiefer lag, und stürzte an der letzten Stufe kopfüber mitten ins Zimmer und in die Stapel hinein. Langgestreckt lag ich da, unter mir Bücher und das Gesicht auf dem Boden. Perplex, vom plötzlichen Sturz, stand ich wieder auf. Unter meiner Brust lag ein Buch, das auf dem Umschlag Avatar Adi Da als jungen Mann zeigte – Seine Autobiographie „Das Knie des Lauschens“. Ich sah Sein Photo und im selben Moment gab ich auf. Mein Widerstand war gebrochen. Ich hatte verstanden und akzeptierte Sein Geschenk, ich wollte Sein Devotee sein, wollte bei Ihm sein, nie mehr ohne Ihn.

So lange hatte die Suche gedauert, Leben über Leben, ein Drama an das nächste gereiht, nirgends war die Wahrheit, das Glück vollkommen gewesen, immer war ein Rest Unzufriedenheit in einer geheimen Ecke des Herzens versteckt zurückgeblieben, welche sich bald zu neuen Heldentaten und neuen Abenteuern auswuchs und zu noch mehr Verzweiflung und weiterer Suche führte. Avatar Adi Da hatte ich dagegen nicht gesucht. Ich hatte immer darauf gehofft, aber nie wirklich damit gerechnet. Sein Erscheinen und Seine Offenbarung haben mit Raum und Zeit und unserer Art die Welt zu sehen, selbst auf dem Hintergrund tiefster spiritueller und mystischer Erfahrungen, nicht das Geringste zu tun. Sein Loka und Seine Offenbarung der Wirklichkeit an sich gehen über all das weit hinaus. Das Glück hatte mich gefunden und alles was ich vorher getan und erlebt hatte ad absurdum geführt. 

 

 

 

Kapitel 1

 

Gottessuche oder die Angst ein Mensch zu sein

 

„Es gibt keinen Gott auf Shakespeares Bühne, nur menschliche Komplikationen ...“Avatar Adi Da 

 

Die heutige Sichtweise in Bezug auf den Sinn des Lebens, wie sie allgemein in den Nachrichten und den Medien verkündet werden, oder auch die Voraussetzungen für politische und zwischenmenschliche Entscheidungen, sind geprägt von reinem Materialismus, sogenannter wissenschaftlicher Erkenntnis und dem Willen zur vollständigen Kontrolle über die Welt und die Menschen, die als andere oder im schlimmsten Falle als Feind und GegnerInnen angesehen werden. Das rational-materialistische Denken der westlichen Staaten hat die Führung der gesamten Menschheit übernommen. Alles wird zum Gegenstand von Geschäft und wissenschaftlicher Untersuchung. Jedes Ereignis wird „materialisiert“, dem Egoismus und seiner Gier in Form von Konsum unterworfen, um sich die vollständige Kontrolle über die Masse der Menschen zu sichern und die Ressourcen der Erde, zum scheinbaren Wohle aller, rücksichtslos auszubeuten. All dieses absurde Streben ist zum tragischen Scheitern verurteilt, eine komplette Illusion. Der menschliche Geist und seine Schaffenskraft ist nicht das Maß der Dinge. Das unabhängige Individuum, die „eigene Firma“, die Propaganda, dass jeder Mensch getrennt existiert und nach dem eigenen Glück und Selbsterfüllung, als eine Art „natürlicher Impuls“, suchen oder streben muss, ist ein fataler Trugschluss und eine Lüge. Weder die Suche nach absoluter Kontrolle über die manifeste Welt, noch der „heilige“ Weg durch spirituelle Suche, die absolute Wahrheit zu finden, wird jemals von Erfolg gekrönt sein. Die Zeichen der Zeit und aller vorangegangener Zeiten sind der Beweis. Alle Suche ist unnötig und es gibt nicht „etwas“ was es zu erreichen gilt. Es existiert nur die Wahrheit – vor allen Dingen – ohne unser Zutun und ohne, dass daraus irgendein Nutzen entstehen kann. Sie ist immer schon frei und an keinen Weg und an keine Sichtweise gebunden.

Als Avatar Adi Da offensichtlich und mit göttlicher Vehemenz in mein Leben trat, war ich gerade dreißig Jahre alt. Mein Leben davor war geprägt von spiritueller Suche und Flucht vor den Herausforderungen und den Schrecken der Welt. Ich „erinnere“ mich an die Geschehnisse vor meiner Geburt, als ich wieder in diese Wirklichkeit der körperlich-materiellen Existenz hineingezogen wurde, beziehungsweise, wie meine Anhaftungen an diese Welt, diesen Prozess der Wiedergeburt einleiteten. Mein zukünftiger Vater besuchte zur Zeit, als die Schwangerschaft meiner Mutter nahte, einen Jahrmarkt. Er wollte nach einem Geschenk für meine Mutter Ausschau halten und wählte bei einem Händler die Skulptur einer schwarzen Frau, mit hochgesteckten Haaren, wundervollen nackten Brüsten, einer goldenen Halskette und einer goldene Schale, die fest neben ihren Beinen ruhte. Sie saß elegant auf ihren Fersen, hatte knallrote Lippen und strahlte pralle Erotik aus. Alles in allem recht schön, geschmackvoll und kitschig – eben vom Jahrmarkt. Die Shakti oder Energieform, die diese Skulptur auf mysteriöse Weise für mich verkörperte, und der Wunsch meines Vaters, ein Kind zu zeugen, zog mich zu diesem Paar, meinen zukünftigen Eltern, und ich „wählte“ diese Familie. Diese schwarze Frau, die eine ungeheure Attraktivität für mich ausstrahlte, stand in späteren Jahren auf unserem Wohnzimmertisch und die goldene Schale wurde unerfreulicherweise als Aschenbecher benutzt, der täglich geleert werden musste, weil er überquoll. Ich schaute die Skulptur immer gerne an, liebte ihre Anwesenheit, hasste den Zigarettengestank und die verdreckte goldene Schale, und wusste noch nicht, dass sie viele, viele Jahre später eine wichtige Rolle in meinem Leben spielen sollte. Ich trug sie regelmäßig zum Mülleimer und drehte sie auf den Kopf, um sie von Asche, Gestank und Zigarettenstummeln zu befreien.

Dieses Paar und ein Ort im Schwarzwald, war mit dem simplen Erwerb dieser schwarzen Skulptur „erwählt“ worden, um in das Wieder-geboren-werden einzutreten. Irgendwann, nach Monaten im Bauch meiner Mutter, kam mir schlagartig zu Bewusstsein, dass dieser bis dahin unbewusste Prozess, Menschwerdung bedeutete. Es trat ein augenblicklicher, vitaler Schock ein, der meine ganzen Körperzellen, und ebenso die meiner Mutter erfasste. Während der letzten Phase der Schwangerschaft lag meine Mutter mehrere Wochen nieder, weil ihr ein Abgang drohte und sie das Kind fast nicht halten konnte. Ich wollte diesen Inkarnationen-Prozess umgehend abbrechen. Ich wollte nicht wieder in diese Welt und trotzdem zog es mich mysteriöserweise hinein. Kurz vor meiner tatsächlichen Geburt träumte meine Mutter den Namen des Kindes. Sie erzählte meinem Vater davon. Der, zuerst erstaunt, stimmte zu und ergänzte, dass das Kind Priester werden sollte. So bekam ich, bevor ich überhaupt das Licht der Welt erblickte, meine Berufung und Vorbestimmung, die ich auf keinen Fall erfüllen würde.

Meine Eltern vermittelten mir keinen Glauben oder die Weisheit einer Religion. Beide hatte der Bann der katholischen Kirche getroffen, da mein Vater geschieden war und meine Mutter einen geschiedenen Mann geheiratet hatte, beziehungsweise ein uneheliches Kind in die Ehe mitbrachte. Sie waren, trotz dem Ausschluss von den heiligen Sakramenten, sehr gläubige Menschen und besuchten regelmäßig Gottesdienste in den Kirchengemeinden außerhalb unseres Dorfes um „unerkannt“ am Abendmahl teilnehmen zu können.

 

Meine Erinnerungen an die früheste Kindheit bestehen hauptsächlich aus Zigarettengestank – meine beiden Eltern waren Kettenraucher – ständigen Angstattacken und dem täglichen Geruch von Alkohol. Dazu die warme Stimme meines Vaters, die Liebe und Geborgenheit bedeutete, obwohl er auch schrecklich prügeln konnte und –wie ich erst später erfahren sollte – auch sehr dunkle Seiten hatte.

Die Familiengeschichte meiner Eltern war geprägt von den grausamen Auswirkungen des 2. Weltkrieges, der ihre Kindheit und Jugend zu einem Albtraum machten. Meine Mutter wuchs mit neun Geschwistern in einer Großfamilie auf. Sie hatte ihren Lieblingsbruder und ihren Vater im Krieg verloren. Ihr Vater weigerte sich den Hitlergruß zu leisten und sympathisierte mit den kommunistischen Ideen. Er wurde in Dachau in ein Erziehungslager gesteckt und starb in den ersten Kriegsjahren in Polen. Die zehnköpfige Familie wurde mit schwersten Restriktionen des Nazi-Regimes belegt und jegliche staatliche Unterstützung wurde ihr verweigert. Zwei ihrer Brüder kamen mit schweren Verletzungen aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Sie selbst erlebte Krieg und Soldaten, als eine ständige Bedrohung vor Übergriffen, sexuellen Belästigungen und als lebenslanges Stigma, da sie kurz nach Kriegsende ein uneheliches Kind zur Welt brachte. Dieser Umstand kam, in der katholisch geprägten Umgebung, einer Todsünde gleich. Sie wurde in ihrer Familie als Hexe beschimpft und musste zusammen mit ihrer älteren Schwester und ihrer Mutter für das Überleben der Familie in den Nachkriegsjahren sorgen. Sie war eine unglaublich leidenschaftliche Frau und sehr attraktiv. Sie trug lange rote Haare und besaß einen unbändigen Lebenswillen. 

Meine Vater stammte aus einer angesehenen und wohlhabenden Familie, die in einem kleinen Dorf am Fuße des Schwarzwaldes lebte. Im Alter von fünfzehn Jahren wurde er in den letzten Kriegsmonaten an die Front beordert und kam, schwer verwundet, mit wandernden Granatsplittern und chronischen Schmerzen in seinem Körper, zurück. Er fasste nie richtig Fuß im Leben, hatte viele Jobs, verehrte und liebte die Frauen, zog oft durch Gasthäuser und Tanzsäle und starb im Alter von zweiundvierzig Jahren in den Armen meiner Mutter. Ich war damals fünf Jahre alt. Durch den überraschenden Tod meines Vaters, erlitt meine Mutter eine tiefe Depression, von der sie sich nie mehr erholte. Sie arbeitete viele Jahre am Fließband in eines Autozulieferer, und die Schichtarbeit teilte ihr und mein Leben in „früh“ und „spät“ ein. „Spät“ hieß, wir sahen uns morgens beim Frühstück und dann den ganzen Tag nicht mehr. „Früh“ bedeutete, wir sahen uns am Nachmittag, wenn meine Mutter erschöpft und entnervt von der Akkordarbeit nach Hause kam, und wir dann den Abend gemeinsam verbrachten.

Nachdem plötzlichen Tod meines Vaters, veränderte sich mein Leben dramatisch. Jetzt gab es nicht nur die Angst, die schon vorher meine ständige Begleiterin war, sondern noch dazu das Alleinsein. Ich hatte alle Zeit, das zu tun, was ich wollte oder es sein zu lassen. Es gab keine wirkliche Erziehung oder Kontrolle. Zumeist war ich auf der Straße und in den Wäldern unterwegs. Ich rannte, ich musste rennen. Ich lebte in einer anderen Welt, die sehr energetisch und für die meisten Menschen in meinem Umfeld fremd oder sogar verrückt war. Es gab keine Begrenzungen, weder was die Erziehung, noch meine Imagination betraf. Ich konnte mich mit meiner Vorstellungskraft überallhin halluzinieren und mir alles erdenkliche in meinem Geist ausmalen. Alles was ich tat, geschah sehr kraftvoll und mit voller Leidenschaft, doch nur selten fand ich Ruhe, und dann irrte ich, wie ein Getriebener umher. Was zur Folge hatte, dass meine Mutter alle zwei bis drei Monate neue Schuhe besorgen musste, da die Sohlen bereits durchgelaufen oder die Nähte zerschlissen waren. Der negative Haltbarkeitsrekord von neuen Adidas-Schuhen lag bei zwei Wochen, dann waren auch diese zerschlissen. Die Energie schoss mir aus den Füßen und aus dem Kopf – was sollte ich machen. Nachts im Schlaf fühlte ich, wie der Körper sich langsam erhob, als ob er nach oben stieg, wie ein Ballon. Als ich mir meines schwebenden Körpers bewusst wurde, wachte ich auf und krachte ins Bett herunter. Im Alter von sechs Jahren begann sich über meinem Bett regelmäßig ein leuchtender Kreis zu manifestieren. Er sprach zu mir, schien voller Glück zu sein und gleichzeitig voller Forderung. Er kam wann immer er wollte und ich hatte keinen Einfluss darauf. Einerseits machte er mich glücklich, andererseits fühlte ich mich merkwürdig bedrängt. Später brachte ich das leuchtende Licht mit Jesus in Verbindung, die religiöse Kultur, in die ich langsam hineinwuchs. Aber meine Abneigung und meine Faszination für das Licht verschwanden nicht. Warum erschien das blöde Licht über meinem Bett? Was hatte das zu bedeuten? Weder wollte ich Priester werden noch eine sogenannte Berufung haben. Ich sprach aber mit niemand darüber. 

Mit neun Jahren wurde ich Ministrant in unserer katholischen Gemeinde. Ich liebte die Nonnen, wenn sie in vorderster Reihe in ihren Bänken knieten und in Hingabe beteten, auch wenn manche Gesichter Eisenbesen glichen und eine vertrocknete Mimik hatten. Ich saß vorne im Altarraum, roter Rock, weißes Hemd und roter Kragen, kniff die Augen zusammen, schaute eine Kerze an und versank im Licht eines strahlenden Sterns, der langsam vor meinem inneren Auge aufstieg und meine Aufmerksamkeit nach oben, in einen strahlenden Bereich lenkte. Das war mein Glück, mehr brauchte ich nicht. Ich wollte keinen Altardienst machen, hatte sogar Angst davor, und fand die Messe selbst komisch und langweilig. Ich wollte keinen Fehler machen und mir den missmutigen Blick des Pfarrers abholen. Ich wollte nicht reden oder immer dieselben Gebete monoton vor mich hinsagen. Einfach nur dasitzen in der Stille, und schauen – das war genug. Unser katholischer Pfarrer war vom alten Kaliber und extrem fundamentalistisch in seinen Ansichten. Er schimpfte und predigte gegen alles, was nicht katholisch war. Er hatte sich vor Jahren geweigert, meinem Vater die letzte Sterbesakramente zu gewähren, da dieser geschieden war, und musste sogar dazu überredet werden, die Begräbnisfeier meines Vaters abzuhalten, da er auch dieses zuerst ablehnte. Der Pfarrer ahnte und spürte natürlich, dass mich der Altardienst nicht besonders interessierte, und ich wusste, dass er neidisch war, auf meinen entrückten Zustand, obwohl ich ihn nicht bewusst herbeiführte, sondern wie von selbst hineingezogen wurde. In meinem Herzen fühlte ich, dass all die Dinge, die hier im Namen Jesu geschahen, nichts, aber auch gar nichts, mit Jesus selbst und seiner wirklichen Präsenz und Offenbarung zu tun hatten. „Er“ fühlte sich so anders an. Während die Glaubensbekenntnisse gesprochen wurden, schwieg ich ganz bewusst. Die Liturgie konnte ich nach kurzer Zeit auswendig und war voller Stolz, wenn ich einen „Fehler“ oder ein Auslassen in den Texten entdeckte. Schuld und Sünde waren mir merkwürdige Begriffe, und meine erste Beichte, war die Letzte, weil ich nicht wusste, was ich erzählen sollte. Das tiefe Glück, das ich oft während der Messe empfand, brachte ich nie direkt mit Jesus, als Person, in Verbindung. Das Gefühl war viel größer, ohne Namen oder Person. Der Raum selbst, der einfach strahlte und leuchtete, bedeutete Glück, unendliche Fülle, Selbstvergessenheit – und nur das Herz wusste, dass es wahr ist. Gleichzeitig wurde ich überheblich und arrogant, denn es war mir bald klar, dass andere dies nicht wahrnehmen konnten, und ich ließ es sie spüren – besonders den Pfarrer. Wenn ich mit meinen Freunden zusammen spielte, nahm ich mehr mit ihrem emotionalen und psychischen Zustand Kontakt auf, mit dem was nicht sichtbar ist, als mich mit den Dingen zu beschäftigen, die sie augenscheinlich sagten oder taten. Zu meiner Mutter war die Verbindung so eng, trotz oder gerade wegen des wenigen Kontaktes durch ihre Schichtarbeit, dass ich über sie Bescheid wusste, selbst wenn sie nicht anwesend war oder ich mich in der Natur der umliegenden Wälder und Wiesen aufhielt. 

Eines Tages, zu Beginn meiner Pubertät, ungefähr im Alter von elf oder zwölf Jahren, begannen sich merkwürdige Dinge in meiner Umgebung zu ereignen. Ich saß auf der Toilette und starte auf den Boden, plötzlich erschien auf dem Teppichboden ein Gesicht. Ich schaute zur Wand, noch eine Gesicht – zur Decke, wieder und wieder das gleiche Gesicht. Jesus. Ich ging in den Flur, überall das Gesicht. Ich bekam Angst und wollte nirgends mehr hingucken, überall Jesus. Am Abend erzählte ich in der Not meiner Mutter von den Erscheinungen. Sie fuhr aus der Haut: „Du spinnst wohl langsam, hör sofort auf damit, sonst muss ich mit dir zum Arzt gehen“. Das war das einzige und auch das letzte Mal, dass ich irgendjemandem etwas von meinen Wahrnehmungen und Erscheinungen erzählte. Diese Visionen dauerten an und irgendwann erloschen sie. Ich begann, auf unseren Ministrantenausflügen zu bekannten, katholischen Wallfahrtsorten oder Klöstern, Amulette von Heiligen Männern, Frauen und Märtyrern zu sammeln, die ich an den Pilgerorten im Souvenirladen kaufte. Alle Bildchen der Heiligen baumelten um meinen Hals an einer Silberkette , bis es an die fünfzehn Medaillons waren. Zusammen mit dem Kreuz von Taizé, schmückten sie meine Brust.

Zu meinen Lieblingsfilmen im Fernsehen gehörten, neben „Daktari“ und „Dick und Doof“, die Osterpassion und Filme über Heilige. Nach einem Film über Franz von Assisi, in den ich eintauchte, wie ein trockenes Stück Brot in eine Weinsoße, war ich über und über berauscht. In der Schlusseinstellung liegt Franz auf einem großen Felsen und stirbt mit den Wundmalen Jesu, die auf seinem Körper eindrucksvoll erschienen. Ich sah seine Hingabe, die Freude und Ekstase selbst in diesem Moment des Todes, und das Bild ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Eines Tages, im Bus auf den Weg zur Schule – ich war gerade mitten in der Pubertät und erinnere mich noch genau an meinen hormonellen Zustand und die coole Kleidung, die ich trug – begann sich plötzlich ein pochender Schmerz in meinen Händen und Füßen zu manifestieren. Ich stand im Gang des Busses, nahe beim Ausgang, hielt mich an einer Metallstange fest, aber die Schmerzen wurden immer schlimmer, dass ich es kaum noch aushalten konnte. Ich schwitzte, ich wusste nicht was los war. Ich sah auf meine Hände und der Schmerz bildete einen roten Flecken auf den Handflächen ab, der tief nach innen zu dringen schien. Meine Chakrapunkte an Händen und Füssen brannten wie Feuer. Die Schmerzen schienen keine Grenzen zu kennen. Ich bekam Panik und war froh, als ich aussteigen konnte. Ich konnte nur unter Mühe gehen und beschloss das Ganze einfach zu ignorieren, wie ich es oft mit den Erscheinungen, Vorsehungen und Visionen in der Kindheit getan hatte. Ich wollte sie nicht, sie waren eine emotionale und körperliche Qual. Ich konnte keinerlei Sinn darin erkennen. Im Film hatte Franz auf seinem Felsen viel glücklicher ausgesehen. Die Erfahrung, mit den brennenden Chakrapunkten, kehrte ein paar mal wieder, aber ich konnte nicht mehr unterscheiden, ob es meine Einbildungskraft war oder meine Angst von etwas Fremdem beherrscht zu werden, das ich nicht unter Kontrolle hatte. Ich wollte diesen christlichen Weg nicht „erfüllen“, der so ganz und gar nichts, mit meiner eigenen Erfahrung und Wahrnehmung von Glück und Ekstase zu tun hatte. Am meisten zuwider war mir die martialisch-grausame Darstellung von Jesus am Kreuz und die Herabwürdigung des Weiblichen zur nicht greifbaren, blütenreinen Jungfrau. Warum gab es keine Priesterinnen, und warum wurde die weibliche Schönheit und Leidenschaft in schwarz-weiße Tücher gehüllt, bis die Augen ganz verbittert und vertrocknet darunter hervorblickten? Die Hälfte der Menschheit war scheinbar von der Teilnahme am Sakralen und der Ekstase ausgeschlossen worden. 

Nach dem Eintritt in die Pubertät begann sich Jahr für Jahr mehr und mehr die Langweile in mir auszubreiten. Das Angebot der Schule entsprach in keinster Weise meinen Bedürfnissen. Die Vermittlung des Schulwissens, das junge Menschen auf das westliche Leben vorbereiten sollte, war quälend und nichtssagend. Meine ekstatischen Zustände wurden immer seltener. Die meiste Zeit verbrachte ich mit meinem besten Freund. Mit gerade fünfzehn Jahren stürzten wir uns Ende der siebziger Jahre ins „Nachtleben“. Er, der Spieler, Raucher und Drogenkonsument, meine Wenigkeit, der verrückte Modefreak, der alle Klamotten selbst entwarf und nie irgendwelche weichen oder harten Drogen anfasste. Wir waren immer per Anhalter auf Tour. Schon nach den ersten Diskobesuchen zeigte sich, dass es bei dieser Art von „Night-Fever“ letztendlich nur um Sex ging. Schauen, flirten, phantasieren und dann mit oder ohne Drogen den ersten Schritt zu wagen. Wir waren ebenso in Hippie-Schuppen und alternativen Jugendzentren zu Hause, wie in der edlen Schickimicki-Szene. Ich wollte ausgelassen tanzen und schöne Mädchen bewundern, die sich reiche, ältere Männer angelten, während mein Freund sich in die Welt von Drogen und Zockerei stürzte. So ging es mehr als drei Jahre lang. Am Ende dieser Zeit, in der wir mehrmals wöchentlich bis in die frühen Morgenstunden durch Kneipen und Diskotheken zogen, war mir vollkommen klar, dass mir diese Welt mit all dem Glamour, dem zur Schau getragenen Reichtum und der pausenlose Drogenkonsum, nicht die Wirklichkeit eröffnete, die mir so viel bedeutete – Ekstase. Es war offensichtlich, dass auch Drogen und das zur-Schau-stellen von Geld, nur eine Manipulation dieser irdischen Wirklichkeit bedeuteten. Ich sah die zugekifften, lachenden Freunde, viele stiegen bald auf härtere Sachen um, aber keiner sah wirklich glücklich aus. Ich sah die schönen Mädchen auf dem Beifahrersitz mit spritzigen Autos ihrer älteren Freunde davonbrausen, ein nichtssagender, kurzer und bedeutungsloser Höhepunkt, der sich bald auf ihren Gesichtern spiegelte. Warum war ich hier in dieser eigenartigen, leeren Welt gelandet? 

Die sexuelle Lust, und die damit verbundene Energieerfahrungen, spielte in meinen Leben genau so eine große Rolle, wie die Erscheinungen und die Visionen. Ich begann früh zu masturbieren und praktizierte es mehrmals täglich, meist ohne die Ejakulation zuzulassen. Mit fünfzehn Jahren hatte ich, dank der Unterstützung der Jugendzeitschrift BRAVO, meine ersten richtigen sexuellen Erfahrungen mit einem Mädchen. Ich stürzte mich in dieses Vergnügen, weil die Zeitschrift proklamierte, dass jetzt das richtige Alter wäre, um Geschlechtsverkehr zu haben, oder zumindest verstand ich es so. Beim ersten Mal scheiterte ich kläglich und beim zweiten Versuch war ich erleichtert, als es vorüber war. Erst danach begann allmählich das sinnliche Vergnügen. Zum Glück war es jedes Mal das gleiche Mädchen, sodass ich nicht als kompletter Versager das Feld verlassen musste.

Es gab ein besonderes Mädchen in meinem Dorf, das eine Anziehung auf mich ausübte, die nur schwer zu beschreiben ist. Ihre Shakti strömte aus ihrem Wesen, wie Feuer. Ihr Körper und ihr Lachen strahlten vor Lust und Lebensfreude und sie zeigte es ohne jede Art von Hemmungen. Wir mussten uns nur ansehen und eine Energie rauschte durch unsere jungen Körper, die dann, bei der ersten Berührung, überwältigende Lust entfachte und uns in Selbstvergessenheit fallen ließ. Sie hatte weder Angst vor ihrer eigenen sexuellen Energie noch vor meiner männlichen Kraft, und unsere Art der Liebe hatte eine erhebende und berauschende Qualität, die uns völlig verwirrte. Wir waren wie zwei junge, hemmungslose Magnete, die sich anzogen, und während unseres Zusammensein nicht mehr voneinander lassen konnten. Sie konnte meine Präsenz und mein plötzliches Auftauchen schon Minuten vorher spüren, bekam eine Art Fieber, obwohl es keine konkreten Verabredungen gab. Ihr Körper glühte vor Lust und Hingabe bei unseren Treffen, und wir liebten uns Nächte hindurch, ohne einen Minute Schlaf. Wir schliefen sogar miteinander, auch wenn wir nicht körperlich zusammen im gleichen Raum waren, aber uns in der selben Nacht im Traum begegneten. Endlich eine Frau, die an meiner Welt teilnehmen konnte. Aber ich konnte meine tatsächliche Liebe für sie nicht in Worte fassen, und ich hatte nie den Impuls oder das Bedürfnis nach einer sogenannten normalen Beziehung verspürt, wie sie von meinen Freunden gelebt und angestrebt wurde. Das Ende einer jeden Liebe schien mir unerträglich und unvermeidbar. Es brauchte nicht die Tragik von „Romeo und Julia“. Ich – hielt diese schmerzvolle Wunde der Liebe nicht mehr aus. Sie – konnte nicht mehr länger so leben. Nach einer letzten Liebesnacht, die am frühen Morgen in den Sanddünen eines Kieswerks, am Rande eines Sees endete, verschwand sie für immer und ich sah sie nie wieder.

Meine Visionen und Erfahrungen begannen zu diesem Zeitpunkt vollkommen zu verschwinden. Mit meinem besten Freund aus der Jugendzeit hatte ich auf einem alten Waldfriedhof in der Karfreitagnacht, in einem letzten fatalistischen Akt, mit Spaten und einer Flasche Rotwein bewaffnet, in einem alten Grab eine Dose mit folgendem Inhalt vergraben: Gott ist tot! Gott kann uns am Arsch lecken!

Wir hatten zusammen begonnen Sartre zu lesen. Camus, Beckett, Kierkegaard, Nietzsche, andere Philosophen, Poeten und viele mehr sollten folgen. Mein Freund war zum Atheisten geworden und am Ende musste ich ihm Recht geben, auch wenn ich ein komisches Gefühl dabei hatte und einen Widerstand in mir verspürte. In dieser Welt gab es keinen Gott mehr. Das, was ich als Ekstase erfahren hatte, schien niemand sonst wahrzunehmen. Mit fünfzehn Jahren hatte ich einen Tag vollkommenen Glücks erlebt. Ich war morgens aufgewacht, und war einfach nur glücklich, ohne Grund oder ohne irgendetwas dafür getan zu haben, einfach nur so. In den nächsten Tagen verschwand dieser Zustand wieder, aber es blieb in meinem Bewusstsein eine Spur, dass ich etwas vollkommen Wahres erlebt hatte, und dass es keinerlei Anstrengung bedurfte, um diesen Zustand zu erfahren. So endete meine Jugend auf einem vergessenen Waldfriedhof, im verzweifelten Zynismus und in einer wachsenden Verachtung für diese Welt und die Menschen. Wir schenkten uns zur Feier des Tages Rotwein ein, saßen Beine-baumelnd auf den Grabsteinen, tranken auf unser neues Leben und verspotteten all den Mumpitz, den uns die monotheistischen Religionen und diese westliche Gesellschaft für wahrhaftig verkaufen wollten. Nichts davon stimmte.

 

 

 

Auf-Essen oder Aus-Brechen

 

„Und Traurigkeit ist die Illusion der Leere.“ 

Avatar Adi Da

 

Meine Schulzeit ging zu Ende. Ich war nun neunzehn Jahre alt, hatte das Abitur in der Tasche und wollte irgendwie an dieser mir fremden Welt teilnehmen. Seit meiner frühen Jugend liebte ich das Gestalten und das Entwerfen. Schon früh nähte ich für mich und andere Freunde alle Arten von ausgeflippten Klamotten, und ich hatte mir zum Ziel gesetzt, nach einer Schneiderlehre an einer Universität, Modedesign oder Kostümbild zu studieren, um Schönheit und Kreativität in diese Welt zu bringen. Das Ganze endete in einem Desaster. Im Jahre 1984 kam ich in die Beamtenstadt Karlsruhe, schlenderte in den ersten Tagen durch die Fußgängerzone und der Schock traf mich völlig unvorbereitet, als ich mit der Grauheit der Menschen, ihrer Verschlossenheit und dem gehetzten Gang, den ausnahmslos jeder in der Stadt verinnerlicht hatte, konfrontiert wurde. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich war in einer behüteten, ländlichen Privatschule der katholischen Kirche mit großteils jungen und sympathischen Lehrern aus der 68er Bewegung aufgewachsen. Am Ausbildungsplatz dagegen herrschte offener Sexismus gegenüber Frauen, fast alle heuchelten nach oben und stießen nach unten. Ich fiel vollkommen aus meiner Naivität und wollte nicht begreifen, dass die Arbeitswelt so grausam und verlogen sein sollte. Ich quälte mich durch zweieinhalb Jahre Lehrzeit, kämpfte gegen die Strukturen vergeblich an, und erlebte den Abschluss, wie ein Erlösung. Kurz vor Ende der Ausbildung begann ich mit der Suche nach einem Studienplatz. Ich besuchte Wien, reiste nach München und am Schluss kam ich nach Berlin. Als ich vor der Freien Universität stand und auf den großen Gebäudeeingang blickte, überkam mich, wie früher, eine spontane und offensichtliche Erkenntnis: Ich sah tausende von jungen Menschen aus den Eingängen strömen und verstand schlagartig, dass es nicht DAS war, was ich suchte, und dass ich dort nicht erreichen konnte, was ich wollte. Auch wenn ich keine genau Vorstellung davon hatte, was DAS eigentlich sein sollte und was mein Ziel war. Wenn so viele Menschen sich angebliches und scheinbares Wissen über das Dasein und die Schönheit der Kunst aneigneten und die menschliche Welt so lieblos und grau ist, dann musste irgendetwas mit dieser Wissensvermittlung nicht stimmen. Ja, an dem Wissen von und über die Welt musste etwas grundlegend falsch sein. In diesem Augenblick hatte sich mein Studium erledigt. 

Mittlerweile wohnte ich in meinem eigenen Haus, das ich im Alter von fünf Jahren, nach dem Tod meines Vaters und meines Großvaters, geerbte hatte. Beide waren im Abstand von zwei Wochen kurz nacheinander gestorben, und so blieb nur ich als alleiniger Erbe übrig. Meine Stiefoma wohnte, nach dem Tod ihres Mannes, weiterhin in dem Haus, das sehr schön in der Mitte eines Dorfes, direkt an einem gemächlich vor sich hin fließenden Fluss lag. Es besaß zwei Stockwerke, Keller, Speicher, eine große Scheune und einen Garten. Vor dem Haus stand eine prächtige Linde, die der Großvater vor dem 2. Weltkrieg direkt am Fluss gepflanzt hatte. Meine Stiefoma mochte unser Familie und meine Mutter nicht, und auch ich konnte keine besonders innige Beziehung zur Großmutter aufbauen. Als sie sieben Jahre später starb, übernahmen wir das ganze Haus, ohne dass ich und meine Mutter jemals gemeinsam darin wohnen sollten. Meine Mutter mochte das Haus nicht und blieb in ihrem Dorf.

Im Alter von fünfzehn Jahren begann ich mit der Renovation der ersten Etage und arbeitete mich Zimmer für Zimmer voran. Mein viel älterer Stiefbruder hatte die zweite Etage bezogen und sollte dort für ein paar Jahre leben. Mit neunzehn Jahren zog ich endgültig ein. Die Einrichtung war sehr einfach gehalten. Ein Waschbecken für die tägliche Körperpflege, eine Steinspüle, zwei Gasplatten zum Kochen, ein großes französisches Bett in der Mitte des Zimmers, Regalbretter an der Wand – das war’s auch schon. Die Toilette befand sich außerhalb der Wohnung, über eine Veranda zu erreichen. Dieses Haus wurde zu meiner Zuflucht und zum Rettungsanker für die nächsten Jahre. Ich hatte versucht das „normalen“ Leben zu verstehen, aber nach kürzester Zeit bemerkte ich, dass es die meisten Menschen zutiefst unglücklich machte. Die verrückten Philosophen und Schriftsteller hatten mir keinen wirklichen Zugang zur Wahrheit und zum Glück aufzeigen können, auch wenn sie tausende von Büchern geschrieben hatten. Wo waren die Taten und die Umsetzung? Bloß im Geist und einer Utopie? Wo hatte sich das Leben wirklich geändert? Wo war das Glück? Wo war einer, der dies alles verstand und erklärte? Die meisten, deren Schriften ich liebte, waren im Wahnsinn ihrer eigenen Worte geendet. Die Welt versank, nach wie vor, in täglicher Gefühllosigkeit von Krieg, Aufrüstung und der hemmungslosen Ausbeutung von Mensch und Natur. Die Schule hatte mich auf alles vorbereitet, aber nicht auf dieses grausame und unerbittliche Leben. So hielt ich nach anderen Möglichkeiten Ausschau. Las Bücher über Kulturen und Traditionen, die andere Lebensformen gewählt hatten, die Frauen an der Macht teilnehmen ließen oder von ihnen geprägt waren. Befasste mich intensiv mit den Grundlagen des Feminismus und musste doch letztendlich erkennen, nachdem ich zahllose Bücher studiert und gelesen hatte, dass keine und keiner eine vollkommene Lösung bereithielt oder das ganze Dilemma der Existenz schlüssig und nachweisbar erklären konnte. Der Geist schien permanent mit sich selbst vögeln zu wollen, um Befriedigung und Freude zu erlangen, blieb aber in letzter Konsequenz, auf sich selbst beschränkt. Das ganze Leben machte überhaupt keinen Sinn. 

Nach dem sich mein Universitätsstudium erledigt hatte, suchte ich mir einen Zivildienstplatz in einer Schule für schwerbehinderte Kinder. Ich ließ meine Haare noch länger wachsen und färbte sie jetzt rot mit Henna ein. Ich lernte die Frau meiner Träume kennen. Verliebte mich in mein eigenes, realutopisches Bild, einer wild-galoppierenden, blonden Amazone, mit blauen Augen, die mit Glöckchen an ihren nackten Beinen barfuß durch die Stadt tanzte, und scheiterte kläglich nach nur drei Monaten an unserem beiderseitigen wollen-und-nicht-können. Der Schmerz, es nicht zu bewerkstelligen, mit dieser Welt in wirkliche Beziehung zu treten, warf mich endgültig aus der Bahn. Ich begann für längere Zeit zu fasten, um nicht mehr länger fühlen zu müssen, und landete in der Bulimie. Ich begann drei bis viermal täglich zu fressen und zu kotzen. Rannte durch Lebensmittelgeschäfte auf der Suche nach noch-nicht-geschmecktem und zog mich immer mehr zurück. Ich lief barfuß. Band mir Glöckchen um die Beine, und brachte mir selbst Yoga bei, nachdem mir vorher ein Freund ein Buch darüber geschenkt hatte. Morgens und abends praktizierte ich für neunzig Minuten meine Yogaübungen. Und es gab nichts Erhabeneres, als in der Totenstellung, für mehrere Minuten die Wahrnehmung von dieser Welt vollkommen zu entfliehen. Bulimie war für mich nicht der Ausdruck von Gewichtsproblemen, ich kannte das Wort nicht mal und wusste gar nicht, dass mein Verhalten als Krankheitsbild existierte. Stattdessen war es offensichtlich eine Art Selbst-Hin-Richtung, die unweigerlich einer schrittweisen Selbsttötung gleichkam. Die sexuelle Lust versiegte ganz. Ich saß in meinem Haus, isolierte mich immer mehr, bis ich stolz feststellte, dass ich wieder ein ganzes Wochenende geschwiegen und mit keiner Menschenseele, über drei Tage hinweg, Kontakt aufgenommen hatte. Die meisten Freundschaften endeten. Mein langjähriger bester Freund prophezeite mir den Wahnsinn und bat mich inständig aufzuhören philosophische Bücher zu lesen. Er konnte mein Leben und meine wachsende Verzweiflung nicht länger ertragen und sorgte sich mehr, um mein Wohlergehen, als um sich selbst. 

Ich konnte nicht mehr innehalten, das Rad drehte sich unaufhörlich weiter. Nach der zerbrochenen Beziehung zu meiner wild-galoppierenden Amazone, packte mich ein Wahn, der später immer mal wieder auftauchen sollte. Ich musste einfach unterwegs sein. Reisen. Laufen. So machte ich mich, kurz nach meinem einundzwanzigsten Geburtstag, einen Tag vor Heiligabend, bepackt mit einem Schlafsack und einem kleinen Rucksack, auf den Weg nach Südfrankreich. Ich wollte zu Fuß, wenn möglich barfuß, die Camargue von Nord nach Süd durchqueren und den Sinti und Roma-Wallfahrtsort „Saint-Marie de la Mer“ am Mittelmeer aufsuchen. Ein Nachtzug brachte mich in die französische Stadt Arles, wo ich voller Bewunderung vor dem Haus von van Gogh stand, welches leider geschlossen hatte. Es war früh am Morgen, die Luft war kalt und neblig. In der Stadt hatte ich wieder einen Fressanfall, dann marschierte ich los. Nach den ersten Stunden der Wanderung merkte ich, wie verrückt das Ganze war. Kein Mensch war auf der Straße. Durch die dichten Nebelschwaden konnte ich weder Pferde noch Landschaft erkennen. Nur Stücke blauen Himmels, die dann und wann zum Vorschein kamen, begleiteten mich durch die ungemütliche Atmosphäre. Eine Karte sollte mir den Weg zeigen, aber die Verlorenheit mit der meine Augen die Welt sahen war überwältigend. Ich begann zu schwitzen und tiefe Angst und Verzweiflung stiegen in mir auf. Eine schwarze, drückende, unendliche Einsamkeit legte sich auf mein Herz. Am späten Nachmittag fand ich eine Scheune zum Übernachten. Ich legte mich ins Heu, schaute zu den Balken an der Decke, und wurde von einem unbändigen Drang gepackt, mit meinem Leben Schluss zu machen. Mein Denken raste im Kopf umher und ich wollte nur noch dieser albtraumhaften Einsamkeit und dem Getriebensein entkommen. Ich weiß nicht mehr, wie ich die Nacht überstand. Ich kämpfte darum präsent zu bleiben und nicht, dem mich selbst vernichtenden Impulse nachzugeben. Am frühen Morgen verließ ich die Scheune und wusste, dass ich wieder umkehren konnte. Mein „Ziel“ war fürs erste erreicht. Ich hatte getan, was ich tun musste. 

Ich fuhr per Anhalter den Rest des Weges, kam in dem Wallfahrtsort an, wo in der Krypta, unter dem Altarraum, die drei Heiligen Marien standen, die bei der Prozession im Mai reichlich geschmückt und verziert auf einem Schiff präsentiert wurden. Sehr unheilig, und eher wie eine Schaufensterdekoration, standen sie auf einem einfachen Tisch und ich konnte nicht widerstehen sie genau zu inspizieren. Ich lüpfte ihre Röcke, sah mir all die Rosenkränze an, die unzähligen Tafeln mit Danksagungen und alle möglichen anderen Dinge, die sich dort über Jahrzehnte angesammelt hatten, während im Kirchenraum über mir, für das Weihnachtsfest, der Boden von fleißigen Frauen geputzt und gewienert wurde. Der Humor fand mich wieder und ich musste mich schwer zurückhalten, nicht irgendeinen dummen Scherz mit den Figuren anzustellen. Danach ging ich zum Strand. Die ganze Küste war komplett in Nebel eingehüllt, nicht einmal das Wasser war zu erkennen, nur die kleinen, ausdruckslosen Wellen, die nichtssagend das Ufer erreichten, versanken belanglos am Strand. Ich setze mich kopfschüttelnd und in spontaner Heiterkeit in den Sand und musste an Samuel Becketts „Glückliche Tage“ denken. Ein tiefes, befreiendes Lachen stieg urplötzlich aus meiner Kehle hervor. Hier passierte gar nichts mehr, und wahrscheinlich war noch nie etwas sogenannt Heiliges oder Besonderes hier passiert. Der Ort war leer, gefüllt mit Glauben, wie ich selbst. Ich ging ins nächste Café, kaufte vier Croissants, bestieg den nächsten Bus und fuhr am Abend des vierundzwanzigsten Dezember mit dem Nachtzug, mit Zwischenstopp in der ehemaligen Papststadt Avignon, die sich im Weihnachts-Shopping-Fieber befand, wieder nach Hause. 

 

Ich liebte meine Arbeit mit den schwerbehinderten Kindern. Verstand sie, auch wenn keines von ihnen sprechen oder sich verständlich artikulieren konnte. Die Sorgen und Ängste, die sie bei den meisten Betrachtern oder Wegschauen auslösten, konnte ich nicht nachvollziehen. Sie lebten in einer vollkommen anderen Welt, deren Glück oder Unglück nicht von uns beurteilt werden konnte. Die Arbeit mit den Kindern und meine Kolleginnen verschafften mir ein Minimum von Anbindung, während ich in meinem Haus vollständig die Kontrolle über mein Essverhalten verlor. Mein Altar und meine Wahrheit erfüllten oder entleerten sich jetzt ausschließlich über der Kloschüssel. Keiner wusste von meiner Bulimie und niemand ahnte etwas. Ich legte Fastenzeiten ein und fraß und kotzte dann wieder. Ort und Zeit spielten keine Rolle. Ich tat es überall.

Das Ende meines zwanzig Monate dauernden Zivildienstes nahte. Ich hatte nie eine normale Berufskarriere angestrebt. Geld war mir so wichtig oder unwichtig, wie eine rote Fußgängerampel für einen echten Fahrradfahrer. Ich brauchte nicht viel zum Leben und hatte nie etwas vermisst. Ich musste wieder los. Unterwegs sein. Weg! Weg von meiner Ess-Brechsucht. Weg aus dieser westlichen Kultur und dieser von weißen Männern geprägten Welt.

 

 

 

What’s your name, what’s your country?

 

„Die Tiefe ist nicht in dir. Die Tiefe ist in Mir.“ 

Avatar Adi Da

 

Obwohl ich nie ein Buch über Indien gelesen hatte und mir auch seine Religionen noch fremd waren, zog es mich genau dort hin. Wer Yoga erfunden hatte, konnte nicht ganz und gar schlecht sein. Als Vorbereitung kaufte ich vier Landkarten von dem gesamten indischen Subkontinent, ein Fremdwörterlexikon in Hindi und nähte mir, in einer langwierigen Prozedur, das Outfit eines Troubadours. Ich schrieb mein Testament, in dem ich mein Haus meinen Freunden vermachte, und setzte mich, ohne bestimmtes Ziel, im Oktober 1987, kurz vor meinem dreiundzwanzigsten Geburtstag ins Flugzeug. Ziel – die Stadt Mumbay, welche damals noch Bombay hieß. Bei der Landung auf dem Flughafen von Mumbay, der damals mitten in den Slums lag, erlebte ich meine erste unbegreifliche Enttäuschung. Noch nie hatte ich so viel Elend und Leid gesehen. So viel Kummer, zusammengedrängt auf einer scheinbar unendlichen Fläche. Die verarmten und verwahrlost aussehenden Kinder der Slums drückten sich die Nasen an den Fensterscheiben des Flughafengebäudes platt und Polizisten scheuchten sie mit groben Worten davon. Jeder der Mitreisenden riet mir die Stadt so schnell wie möglich, zu verlassen und ich folgte dem Rat, und reiste noch am gleichen Tag mit dem Bus nach Goa weiter. Dort akklimatisierte ich mich in einer stillen paradiesischen Bucht, die noch unerschlossen vom Tourismus, mit einem Süßwassersee direkt hinter dem Sandstrand, umgeben von riesigen Banyanbäumen, vor sich hinträumte. Beim ersten Spaziergang an der Küste lernte ich einen indischen Mann, mit dem Namen „Kali“ kennen, der ein Anhänger des gerade verstorbenen Meisters Babaji aus Haidakhan war. Er gab mir Tipps über die Heiligen Hindu-Pilgerorten, die ich in den nächsten Wochen alle aufsuchte und lud mich in den Ashram von Babaji im Himalaya ein. Nachts saß er oft betend am Feuer, sang zu Ehren seiner Göttin Kali, deren Namen er auch trug, und ließ die Flammen die ganze Nacht nicht ausgehen.

 

Während meiner weiteren Reise zu den hochgeschätzten Pilgerorten der Hindus schlief ich meist unter freiem Himmel oder in den Unterkünften der Tempel. Die Sadhus, denen ich begegnete, sahen meist bekümmert und krank aus, gezeichnet von ihrer harten Askese, und nur wenige hatten glückliche Augen. Das Leid der Frauen und Kinder in den Dörfern war schrecklich und erbarmungslos. Die Unberührbaren schliefen überall, und überall sah man schwer arbeitende Kinder und Frauen, die Straßen bauten oder ausbesserten. Die indische Gesellschaft war mir fremd. Wie konnte eine Religion so etwas zulassen? Gleichzeitig begegneten mir so viele lachende und glückliche Menschen, wie ich es noch nie vorher an irgendeinem Ort kennengelernt hatte. Nach vier Wochen Pilgerreise, strandete ich desillusioniert in Südindien, in einem Naturschutzreservat. Quartier hatte ich bei einem Deutschen, mit dem Namen „Klaus“ gefunden, der eine indische Frau geheiratet hatte und vom Pfefferanbau und den Touristen, die bei ihm logierten, seinen Lebensunterhalt bestritt. Nach wie vor war mein täglicher Altar die Kloschüssel – auch in Indien. Die Verzweiflung wuchs und wuchs. Ich schrieb Seiten über Seiten in mein Tagebuch, aber ich führte das gleiche Leben, wie in Deutschland. Es gab kein Entkommen. Ich suchte keinen Ashram, keinen Guru, ich wollte einfach nur frei sein.

Eines Nachts saß ich im Vollmondlicht auf der Veranda, vor mir die drei Meter hohen Pfefferstauden. Wieder überkam mich das fast zwanghafte Verlangen diesem Leben ein Ende zu machen, verrückt zu werden oder den Körper zu verlassen. Ich hielt es einfach nicht mehr aus. Alles tat mir weh von dem täglichen Fressen und Kotzen, und mein Mund hatte sich durch den Verzehr von unreifen Papayas, die ich mir gierig einverleibt hatte, entzündet. Schreibend und flehend, die Mondgöttin inständig bittend, überstand ich wieder eine Nacht. Am nächsten Tag erzählte mir Klaus von „Vipassana“, einer buddhistischen Meditationstechnik, die er in einem Meditationszentrum in Igatpuri, einem Dorf in der Nähe von Mumbay, kennengelernt hatte.

Da war auf einmal ein Ausweg. Ich packte noch am selben Abend meine Sachen zusammen und brach in aller Eile auf. Die Reise führte mich über zweitausend Kilometer von Tamil Nadu, einem Bundesstaat im Süden von Indien, nach Igatpuri, einem kleinen Ort im indischen Staat Maharashta, ungefähr fünf Busstunden östlich von Mumbay gelegen. Ich war Tag und Nacht mit dem Bus unterwegs und sollte, dank Unterstützung vieler freundlicher Menschen, am Morgen, vor Beginn des Meditationskurses, dort ankommen. Der letzte Teil der Busfahrt führte durch eine sehr weite Ebene, die seitlich von großen felsigen Gebirgszügen begrenzt war. Der Himmel leuchtete klar und blau. Um mich herum saßen die indischen Menschen, schlafend und eingehüllt in ihren Decken und Tücher, um sich vor der morgendlichen Kühle zu schützen, während der Bus über die marode Straße holperte. In einer kleinen Stadt, zwei Stunden von meinem Zielort entfernt, bestieg ein junger Mann den Bus. Gekleidet in dunkelrotes Tuch, setzte er sich neben mich. Wir begannen ein Gespräch und der Mann erzählte mir, dass er nach Ganeshpuri unterwegs sei, zu dem Ashram seiner Meisterin, die er Gurumayi nannte. Ich verstand nur Bahnhof. Ganeshpuri schien ein Dorf zu sein, das erst einige Kilometer weiter nach Igatpuri angefahren wurde. Er packte einen Bildband aus und zeigt mir die farbigen Bilder der Gurumayi. Sie war ebenfalls ganz in rot gekleidet und sah sehr schön aus – erotisch und erhaben. Er bat mich, während der Dauer unserer Unterhaltung, immer inständiger nach Ganeshpuri mitzukommen, um seine Meisterin zu sehen. Ich kapierte immer noch nicht, was er eigentlich von mir wollte und wies seine Bitten freundlich und bestimmt zurück. Als ich den Bus verließ begann der Mann zu weinen. Tränen rannen aus seinen Augen. Er schaute mir enttäuscht durch die Fensterscheiben nach, während der Bus hupend weiterfuhr.

Schnell vergaß ich die merkwürdige Begegnung im Bus und lief zum Meditationszentrum hinauf, welches oberhalb der Stadt lag, durch die Straßen und Gassen, die vom Lärm der hupenden Autos und der Hindi-Pop-Musik aus vielen Lautsprechern eingenommen waren. Eine große Pagode, mit einer hoch aufragenden, goldenen Spitze, überragte das buddhistische Zentrum, in dem zum damaligen Zeitpunkt für mehrere hundert Menschen ein Meditationskurs abgehalten werden konnte. Nach der Registrierung wurde ich freundlich aufgefordert meine Kleidung zu wechseln, da ich sehr extrovertiert, als ein umherziehender Troubadour daher kam. Für die Dauer des Meditationskurses stellte man mir einen einfachen indischen Lungi und ein normales T-Shirt zur Verfügung. Ein Vipassanakurs, gelehrt in der Tradition von Sayagyi U Ba Khin und dessen Schüler S.N. Goenka, der diese vergessene Meditationspraxis von Burma zurück nach Indien gebracht hat, wird in vollkommenem Schweigen über zehn Tage abgehalten. Zur Meditation setzen sich die Praktizierenden in eine spezielle Halle, empfangen dort von einem Lehrer oder einer Lehrerin die Unterweisungen und praktizieren damit, von den frühesten Morgenstunden bis in den späten Abend. Alles geschieht im Sitzen und in Stille. Die ersten drei Tage der Meditation bestehen aus Anapana, der Beobachtung des Atems, wie er ein- und ausfließt. Auf diese Weise wird die Aufmerksamkeit geschärft und der Geist zur Ruhe gebracht. Ab dem vierten Tag wird Vipassana gelehrt. Die Meditierenden beginnen Körper, Emotionen und Gedanken in einer bestimmten Art und Weise zu beobachten, die immer mehr verfeinert wird. Dabei wird „Anicca“ offenkundig. Alles kommt und geht.