Die Zeitenwandlerin - Susanne Erhard - E-Book

Die Zeitenwandlerin E-Book

Susanne Erhard

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Beschreibung

Der Winter ist hart. Die Wölfe streichen hungrig um das keltische Dorf, Schneestürme und eisiger Frost fordern alles von Ivo und Ingrun. Auch im Dorf lauern Gefahren. Arnes Wunden heilen schlecht, er gibt Ingrun die Schuld dafür. Doch selbst der dunkelste Winter weicht irgendwann dem Frühling. An Beltane werden Ingrun und Ivo ihr Gelübde erneuern.

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Seitenzahl: 465

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Die Zeitenwandlerin

Nicht jetzt, aber hier.

Die Handlung und die Personen des vorliegenden Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist rein zufällig. Die Verwendung von Namen bestehender Institutionen, Einrichtungen oder Unternehmen sind schöpferisches Stilmittel. Der Autor hat zahlreiche Quellen für die Recherche genutzt und beabsichtigt keine persönlichen Ansprüche verletzen zu wollen.

Susanne Erhard

Die Zeitenwandlerin

Keltenfrühling

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2023 Susanne Erhard

Reihe: Die Zeitenwandlerin Band 2

Verlag: edition sunrise, Niederrieden

Herstellung und Vertrieb: BoD – Books on Demand, Norderstedt

ISBN: 978-3-910537-09-5

1

Der Morgen nach Weihnachten begann mit einem strahlend blauen Himmel und arktischen Tiefsttemperaturen. Er begann auch mit Ivo und der Gewissheit, dass ich mein Leben am richtigen Ort, mit dem einzig wichtigen Menschen verbrachte. Alles, was fehlte, war eine gute Tasse Kaffee und eine Nutellasemmel. Womit mal wieder bewiesen war, dass man nicht alles haben konnte.

Ich schmunzelte leise vor mich hin, während Ivo sich seine Stiefel schnürte und nach seinem Umhang griff. Er war auf dem Weg, mit einem Großteil der Männer die Brennholzlager auffüllen, denn die Alten im Dorf behaupteten, dass die Raunächte in diesem Winter besonders schlimm wüten würden.

Mir war nicht ganz klar, was schlimm und wüten in diesem Zusammenhang bedeutete. Kalt? Stürmisch? Würden noch mehr Unholde als sonst unterwegs sein? Ich schwankte bei diesen abergläubischen Geschichten immer zwischen einem unbestimmten Gefühl von Grusel, der Befürchtung, dass ein Körnchen Wahrheit daran sein könnte oder dass alles wie ein aufgeklärter Mensch als Superquatsch abzutun. Was sollte in diesen Nächten schon anders sein? Wie auch immer, fand ich es trotzdem eine sinnvolle Idee für genügend Brennholz am Haus zu sorgen.

Als ich kurz darauf ebenfalls das Haus verließ, bemerkte ich erst Belana, die in Arnes Haus schlüpfte und Oswins nächtliche Gefährtin dessen Haus verlassen. Letzteres erinnerte mich an mein eigenes Glück, während Belanas Besuch mir eher ein ungutes Grummeln im Magen verursachte.

Die erste Raunacht begann wiederum mit einem Gewitter und endete in einem Schneesturm, einem Blizzard aus dem meteorologischen Bilderbuch. Der Wind drückte heulend den Rauch in den Kamin zurück, sodass wir immer wieder hustend lüften mussten. Entsprechend kalt war es im Haus. Wir gingen früh zu Bett.

Draußen dröhnte dumpfer Donnerhall durch das Tal, Blitze erhellten die Schlafkammer durch die Ritzen der Fensterläden. Mir war ein wenig bang zumute. Immer wieder hörte ich die Rinder ängstlich rufen und auch die Pferde wieherten aufgeregt. Was hätte ich dafür gegeben, sie alle sicher und trocken in einem Stall zu wissen, anstatt den Unbilden des Wetters beinahe schutzlos ausgesetzt zu sein. Unruhig wälzten wir uns im Schlaf hin und her.

Tags darauf türmten sich schwarze Wolken am Himmel, warfen kalte, harte Schatten in den frischen Schnee. Die Krähen drehten krächzende Kreise über dem Dorf. Cedric schritt gefolgt von Mara und ihrer Räucherschale von Haus zu Haus, von Kate zu Kate und zeichnete seltsame Symbole auf die Türstürze, während Mara unverständliche Beschwörungen murmelte und alles noch mehr unter Qualm setzte.

„Die Menschen fürchten sich“, erklärte mir Ivo vor unserer Haustür. „Das Wetter kündet eine gefährliche Botschaft, vor der Cedric uns zu schützen versucht.“

Wider Willen zog sich eine Gänsehaut über meinen Rücken, die ich leider nicht auf die eisigen Temperaturen schieben konnte, denn ich trug meinen neuen Pelz.

„Wie meinst du das?“, fragte ich zurück, obwohl ich es eigentlich gerade am eigenen Leib spürte.

Mit einem sorgenvollen Blick in den Himmel bewegte er die Schultern. „Die nächsten Tage und Wochen werden vielen den Tod bringen, dieser Winter ist hart.“

Meine Gänsehaut erfror, während ich ihn entsetzt anstarrte und als hätte er auf sein Stichwort gewartet, rannte vom Tor einer der jungen Männer auf uns zu, die dort Wache hielten. Ivos Gesicht zog sich noch mehr zusammen.

„Herr! Herr Ivo!“, rief er schon von weitem, Ivo nickte ihm in seiner typisch fatalistischen Gelassenheit zu. „Was bringst du, Torquil?“

Der vielleicht siebzehnjährige Junge verneigte sich kurz vor mir, ich lächelte verkrampft. „Parlan und Corr waren eben unten an der Weggabelung. Ich soll dir ausrichten, dass sie mehrere Gruppen und ein paar einzelne Menschen in der Nähe des Dorfes und Lojas gesehen haben. Die Körbe an der Straße haben sie gelehrt. Was sollen wir tun?“

Ivos Blick schweifte auf der Suche nach Lösungen wieder über den drohend schwarzen Himmel. Vermutlich waren es weitere Flüchtlinge aus dem zerstörten Cambodunum, die auf der Suche nach Essbarem bis hierhergezogen waren. Ich fragte mich nur, warum keiner zum Betteln ans Tor kam, wie es die Frauen vor einer Weile getan hatten.

Verwirrt schwankte ich zwischen dem Bedürfnis zu helfen und der zögernden Erkenntnis, dass wir wahrscheinlich selbst kaum genug besaßen, um heil über den Winter zu kommen.

„Das Tor wird ab sofort tagsüber geschlossen.“ Ivo holte gequält Luft. „Keiner geht bei Tag zu unseren geheimen Vorratskellern. Sag das jedem, der das Dorf verlassen will und schick Oswin zu mir. In ein paar Tagen sind die Menschen so hungrig, dass sie sogar einen von uns aufessen würden. Also wird auch niemand das Dorf allein verlassen. Wir gehen nur noch in Gruppen von mindestens dreien. Frauen bleiben hier.“

Ein scharfer Blick heftete sich auf mich. Eine Warnung vorab. Wie versteinert stand ich neben ihm, während mein Hirn versuchte seltsam diffuse Fetzen meiner archaischen Erinnerungen zu einem Bild von kannibalischen Menschen zusammenzusetzen. Menschen, deren genetisch fixiertes Nahrungstabu im Angesicht des drohenden Todes außer Kontrolle geriet. Kaltes Entsetzen kroch mir die Kehle hinauf. Intuitiv angelte ich nach Ivos Hand, warm und sicher. Er kniff die Augenwinkel seltsam beruhigend zusammen.

„Ingrun hol einen Sack Mehl und ein paar Äpfel und die Brote, die du gestern gebacken hast.“

Ich nickte verwirrt und stolperte ins Haus. Hastig sammelte ich die gewünschten Lebensmittel in einen Leinenbeutel, den ich Ivo vor die Tür brachte.

„Mögen die Götter uns gnädig sein.“ Ivo nahm mir den Beutel ab und reichte ihn an Torquil weiter. „Geh mit zwei anderen hinunter zur Kreuzung an der Römerstraße und leg den Beutel in einen der Körbe. Beeilt euch und gebt acht.“

Der Junge flitzte hüpfend durch den hohen Schnee. Verstört beobachtete ich, wie er mit zwei weiteren durch das noch immer halb geöffnete Tor hinaus, den Hügel hinab rannte.

„Was für Körbe, Ivo?“

Seufzend lehnte er sich an die Haustür. „Oswin und ich haben schon vor Tagen an der Kreuzung unten ein paar Körbe mit Lebensmitteln in die Bäume hängen lassen, wo die Wölfe sie nicht erreichen. Aber wir werden darüber abstimmen müssen, wie lange wir das so machen können.“

Ich wiegte verstehend den Kopf. Das nannte man dann eine antike Armentafel. „Warum kommen die Flüchtlinge nicht hierher, so wie die Frauen?“

Ein zynisches Prusten samt Atemwolke schoss aus Ivo heraus.

„Kein Römer wird bei einem Kelten betteln, nie. Lieber versuchen sie uns zu bestehlen. Die Frauen vor drei Tagen sind nur gekommen, weil ihre Kinder sonst verhungert wären.“

Derartige Dünkelhaftigkeit schien mir in Anbetracht der Situation extrem unangebracht, aber wenigstens verstand ich jetzt auch, warum Ivo das Tor schließen ließ. Aufgegessen werden war schon nicht besonders nett, aber vorher geplündert werden, ließ alle Überlebenschancen erst recht gegen null sinken.

Mein Blick schweifte gedankenverloren über die Häuser und Katen, ein Bild des winterlichen Friedens. Trügerisch. Die Alamannen waren endlich fort, dafür drohten jetzt ihre Opfer gefährlich zu werden. Und selbst der Winter konnte uns das Leben kosten.

„Die Götter spielen ein seltsames Spiel.“ Ivo strich mir mit gequältem Gesicht über den Rücken. „Jahrelang konnte ich mich aus allem heraushalten, standhaft mein Leben als Viehzüchter leben, doch jetzt holt mich alles ein. Mein Vater hat es mir immer prophezeit.“

Verwirrt schaute ich ihn an. Was holte ihn ein? Aus den Augenwinkeln sah ich Oswin vom Tor auf uns zukommen. Er sah elend aus, übernächtigt und grau. Sein Leben lief im Moment auch nicht so richtig gut, trotz der hübschen Artis aus Cambodunum.

„Was hat dein Vater prophezeit?“ Ich trat dicht an ihn heran und nahm ihn kurz in die Arme. Mit einem resignierten Zucken seiner Schultern lehnte er seinen Kopf an meinen Hals.

„Er ließ mich damals gehen, obwohl ich seine Nachfolge antreten sollte. Zum Abschied sagte er mir, dass ich eines Tages meine Herkunft nicht mehr verleugnen könnte und die Verantwortung übernehmen müsste, die sie mit sich bringt. Er scheint Recht zu behalten.“

Bevor ich darauf reagieren konnte, stand Oswin vor uns. Er neigte wie immer leicht den Kopf vor mir. „Wohl und Segen, Häuptling. Torquil sagte, du wolltest mich sprechen?“

Auch diese Anrede gehörte zu den Dingen, die Ivo einholten und quälten. Er wollte kein Häuptling sein, aber die Umstände hatten ihn dazu gemacht. Jetzt trug er die Verantwortung für unsere Sicherheit und von seinen Entscheidungen hing unser aller Wohlergehen ab.

„Die hungernden Flüchtlinge ziehen umher.“ Ivo winkte uns beide ins Haus, denn der Wind fegte scharf und eisig von der Iller herauf durchs Dorf. Ich schüttelte mich, um dieses unangenehme Frösteln loszuwerden, das nur bedingt mit der Kälte zu tun hatte. Der Himmel und der Wind waren mir unheimlich, das fahle, kalte Licht bedrohlich. Die Sonne nur ein kaum erhellter Fleck, der knapp über den Bergen hing. Was, wenn das Licht doch nicht zurückkehren würde?

Mit einem Mal kroch mir die gleiche irrationale Angst die Beine hinauf, die Cedric und Mara durch den Ort ziehen ließ. Ich hoffte, dass sie auch zu uns kommen würden, mit ihren Beschwörungen und magischen Symbolen. Oswin bewegte ebenfalls unbehaglich die Schultern, während er sich näher ans Feuer schob.

„Ich halte es für besser, wenn wir das Tor ab jetzt zur Sicherheit auch tagsüber schließen. Was meinst du, Oswin?“ Langsam drehte sich Ivo zu Oswin, der mit gesenktem Kopf am Feuer stand. Oswin wackelte ausweichend mit seinen Händen und ich hatte den Eindruck, dass er schlagartig noch erschöpfter ausschaute.

„Es wird uns nichts anderes übrig bleiben“, er hob nur die Augenbrauen zu Ivo, „was ist mit den Körben an der Straße? Wir sollten eine Versammlung abhalten.“

„Genau das wollte ich dir vorschlagen“, Ivo versuchte sich an einem aufmunternden Lächeln, „die Freien sollen sich bei Anbruch der Dämmerung hier im Haus versammeln, damit wir über alles beraten können.“

Verdutzt schaute ich mich in unserer Stube um? Hier wollte er eine Versammlung abhalten? Super Idee! Aber ich wäre gern gefragt worden. Selbst wenn er nur die Freien einberief, würde der Platz kaum reichen. Ich seufzte leise. Wenigstens würden wir bei so vielen Menschen nicht frieren. Oswin nickte und wendete sich mit hängenden Schultern zur Tür.

„Oswin?“ Widerstrebend wendete sich Oswin wieder zu Ivo um. „Sind da draußen noch Verwandte von Artis unterwegs?“

Ich sah, wie Oswins Augen durch die Stube irrten, bis sie an mir hängen blieben. Ich lächelte vorsichtig. Dann nickte er mit abgewendetem Blick und trat zur Tür, die im selben Moment von Cedrics Stab aufgestoßen wurde, der mit Mara und einer eisigen Windböe im Schlepp herein polterte.

Mara stapfte gleich mit ihrer Räucherschale in scheinbar sinnlosen Kreisen durch die Stube, sodass wir ihr dauernd ausweichen mussten, wedelte dabei mit einer großen Feder Rauch in jede Ecke. Wacholder stach mir scharf in die Nase, vermischt mit Salbei und dem frischeren Geruch von Fichtennadeln. Über allem schwebte ihr verstörender Singsang, während Cedric sich wiegend auf der Stelle tanzte und mit seinem Stock einen unsteten Takt schlug.

Unter anderen Umständen hätte ich derlei Verhalten wahrscheinlich als unbeschreiblich lächerlich empfunden, in Sachen Peinlichkeit nicht zu toppen, doch jetzt war ich fast dankbar dafür. Dann drehte sich Cedric um und malte auch auf unseren Türsturz die schützenden Symbole, Kreise, Spiralen, etwas, was Mond und Sonne sein konnten. Es war egal, wenn es uns nur vor Unheil bewahrte.

„Arne fühlt sich stark genug, um wieder unser Häuptling zu sein“, warf Cedric fast beiläufig in die Runde, steckte dabei den Weidenpinsel in sein Ledergefäß zurück, „wir müssen uns versammeln, um darüber abzustimmen.“

Ivo nickte völlig ungerührt. „Oswin und ich haben eben besprochen, dass wir bei Anbruch der Dämmerung die Freien hier im Haus versammeln.“

Mit einem seltsam lauernden Ausdruck im Gesicht wischte sich Cedric die Kalkfarbe an seiner Hose ab, kam dann langsam auf Ivo zu.

„Was glaubst du, wie sie entscheiden?“, fragte er und schob mit einer raschen Bewegung Ivos rechten Ärmel bis zum Ellenbogen hoch. Darunter glänzte der Armreif seines Vaters. „Wenn sie das hier sehen?“

Harsch wand sich Ivo aus seinem Griff und wedelte den Ärmel wieder über das Schmuckstück. „Ich werde mich keiner Entscheidung stellen“, zischte Ivo, „soll der das Amt tragen, der es haben will. Ich will es nicht, das weißt du ganz genau, Cedric. Wag es nicht, ein falsches Spiel mit mir zu spielen.“

„Du wirst doch nicht einem Druiden drohen, Ivo, Ingmars Sohn?“

Die Worte klangen streng, doch Cedrics Erheiterung war wie immer nicht zu übersehen. Davon abgesehen wunderte ich mich sehr, dass Ivo den Armreif auch nach Alban Arthuan weiterhin trug. Aber ich hatte nicht getraut, ihn nach dem Grund dafür zu fragen.

Rigoros zog Cedric Ivo ein paar Schritte zur Seite, wir anderen drei schauten uns verunsichert an, wagten nur unauffällige Blicke zu den beiden hinüber. Cedric flüsterte so eindringlich auf Ivo ein, dass dessen Gesicht immer schmäler wurde, seine Mundwinkel zogen sich nach unten, zwischen seinen Augen bildete sich eine tiefe Kerbe. Kein gutes Zeichen, doch ich konnte nicht erkennen, was Ivo so aufwühlte. Klar war nur, dass ihm nicht gefiel, was er hörte.

Oswin nutzte die Gelegenheit, um sich zu verdrücken. „Ich rufe dann die Freien zusammen“, murmelte er an mich gewendet und verschwand.

Mara räucherte mich derweil weiter ein, ich hustete und drehte mich ein wenig weg. Dabei bemerkte ich, dass Ivos Blick an mir hing, während er konzentriert Cedrics Worten lauschte. Das fühlte sich unbehaglich an, ich zog die Schultern hoch. Dann klopfte Cedric Ivo mit einer väterlichen Geste auf die Schulter und schob Mara aus unserem Haus heraus.

Ivo rührte sich nicht, was auch mich recht unbeholfen in der Gegend herumstehen ließ. Nur um irgendetwas zu tun, trat ich zum Herd und warf neues Holz ins Feuer. Funken stoben, als eine Windböe durch den Kamin ins Feuer fegte und mich für einen Moment in eine Qualmwolke hüllte.

Vorbei die Zeiten, wo ich nach einem teuren Parfum geduftet hatte, jetzt gab es auf Maras Räucherwerk noch Fichtenrauch satt. Aber angeblich hatte Rauch eine konservierende Wirkung, was mich hoffen ließ, dass ich mich noch eine Weile gut hielt, wenn ich schon nicht mehr so gut roch.

„Und jetzt?“ Schüchtern lächelnd trat ich auf ihn zu. Sein Blick war erschreckend ernst, und doch voller Liebe.

„Jetzt werde ich mich als Häuptling um deine und unsere Sicherheit kümmern.“ Seine Finger strichen mir zart über meine Wange. „Ich bin bei Anbruch der Dämmerung zur Versammlung zurück, Ingrun.“

Ich hätte einiges dafür gegeben, zu wissen, was Cedric Ivo gesagt hatte, doch so wie es aussah, sollte das ein Gespräch unter vier Ohren bleiben.

Während ich einen großen Krug vom restlichen Weihnachtsbier aus dem Kelleranbau in den Zwischenflur hereintrug, wurde mir klar, dass Cedric irgendein schlagendes Argument pro Häuptling gebracht haben musste, dem Ivo sich nicht entziehen konnte.

Und wenn es etwas mit meiner Sicherheit zu tun hatte, dann musste Arne, wenn er wieder unser Häuptling wurde, eine Bedrohung für diese Sicherheit bedeuten. Meine Nackenhaare stellten sich. Aber was konnte er mir schon tun? Ich ließ mich auf die Bank am Tisch fallen und starrte ins Feuer. Er würde wohl kaum offen mit dem Messer auf mich losgehen oder mich aus dem Dorf jagen.

Seine Verleumdungen wiederum waren aus meiner Sicht keine wirkliche Gefahr. Zu meiner Zeit war man mehr oder weniger mobbingresistent. Sollte er mich halt eine Zauberin nennen, viele Zuhörer dafür würde er nicht bekommen. Man hatte mir davon abgesehen schon ärgere Beschimpfungen an den Kopf geworfen. Damit konnte ich leben.

Energisch stemmte ich mich hoch, um die Webteppiche zur Seite zu rollen, bevor wir wegen Überfüllung die Stube schließen mussten.

Schon komisch. Da hatten Ivo und ich uns immerzu auf die Wintertage gefreut, an denen man halbwegs eingeschneit eine Form von Freizeit ausleben konnte und bisher hatten wir keinen einzigen ruhigen Tag erlebt. Dauernd überholte ein Ereignis das andere und die wenigsten waren angenehm gewesen. So wie es jetzt aussah, würde sich daran auch nicht viel ändern.

Ich ging, die Pferde zu füttern. Geritten war ich nicht mehr, seitdem wir die Fliehburg verlassen hatten. Draußen wuchs sich der Wind erneut zu einem Orkan aus, der den Schnee in dichten Wolken vor sich hertrieb, um ihn überall zu hohen Wehen aufzutürmen. Der Weihnachtsbaum schwankte bedrohlich und der Himmel über mir war fast schwarz, durchzogen von schwefelgelben Schlieren. Ein Tag, an dem das Licht vergeblich kämpfte.

Notgedrungen holte ich Wasser vom Brunnen und schleppte Holz ins Haus. Drinnen hielt ich mich mit Butterstampfen warm und trank heißen Tee, dann kämpfte ich mit meinem Spinnrocken. Keine Ahnung, wo Ivo sich derweil herumtrieb. Anhand des Lichtes konnte ich nicht abschätzen, wann es Zeit für die Versammlung sein würde, Dämmerung herrschte schon den ganzen Tag, doch als Ivo nach Hause kam, musste es fast so weit sein.

„Der Alamanne lebt jetzt fest bei Arne“, berichtete Ivo, ohne sich lange mit einer Begrüßung aufzuhalten, ich ließ meine Spindel sinken. Wir hatten das längst befürchtet, doch keiner hatte gewagt, es auszusprechen.

„Und?“

„Ich möchte einfach wieder meine Ruhe haben.“

Suchend schaute er sich nach einem Krug Met um. Ich griff in die Nische am Ofen und reichte den Tonkrug zu ihm hoch, den er seufzend an seine Lippen hob. Der Wind heulte im Rauchfang, Schnee fiel zischend in die Glut. Ivo trank durstig. Seine Wangen waren von der Kälte draußen gerötet, sein Haar feucht.

„Wo warst du die ganze Zeit?“

„Erst bei Cedric, dann haben wir den Rindern und Pferden noch mehr Stroh in die Unterstände gebracht. Es wird kalt.“

Ich nickte. Theoretisch hätte ich bei dieser Arbeit gern geholfen, doch das war Männersache und in Anbetracht des Wetters war das auch in Ordnung. Trotzdem musste ich abgrundtief seufzen. Buttern war mir genauso ein Gräuel, wie spinnen.

„Es wird keine Ruhe geben, solange der Barbar und Arne unter einem Dach leben, richtig?“

„Richtig, Ingrun.“ Wieder setzte er den Krug an und trank.

„Was hatte Cedric vorhin mit dir zu flüstern?“

„Nichts, Frau. Aber Cedric und ich sind zu dem Entschluss gekommen, dass es besser ist, wenn du heute Abend bei der Versammlung nicht dabei bist.“

Meine Ohren klingelten, im ersten Moment dachte ich, nicht richtig zu hören. „Was?“

„Du wirst jetzt gleich gehen, Ingrun. Entweder du wartest in Cedrics Haus auf uns oder bei Artis oder bei Elke.“

„Aber warum? Ich dachte, die Frauen der freien Männer haben das Recht, bei den Versammlungen dabei zu sein.“

„Haben sie auch.“ Er nahm mich sanft am Arm und zog mich hoch. „Aber ich möchte Arne heute Abend keinen Anlass für seine Anschuldigungen geben. Vertrau mir, Ingrun, es ist besser so.“

Seine ernsten Augen machten deutlich, dass dies nicht der Moment für Widerspruch war. „Gut“, murmelte ich, „ich warte bei Elke. Dann kannst du als Grund für meine Abwesenheit angeben, dass ich wegen ihrer Schwangerschaft nach ihr sehen wollte.“

„Das ist eine gute Idee, Ingrun, danke. Geh jetzt.“

Zögernd schritt ich zur Tür, wo ich mir meinen Umhang um die Schultern legte. „Wieso trägst du den Armreif, Ivo?“ Die Frage war raus, bevor ich sie bändigen konnte. Ich musste es wissen, es schien mir wichtig.

Ivo senkte kurz den Blick, dann kam er zu mir und schlang seine Arme um mich. „Ich brauche jetzt den Beistand meines Vaters“, flüsterte er, es klang fast verschämt. „Und ich bilde mir ein, dass ich mit ihm ein besserer Häuptling sein kann. Geh, Ingrun.“

Er küsste mich aufgewühlt, seine Hände krallten sich in meine Haare, dann schob er mich energisch aus dem Haus. Wie ein verwirrtes Kaninchen schaute ich mich um. Fackeln flackerten rußend im Sturm, machten die Stimmung noch unheimlicher, als sie ohnehin schon war und die harten Schneekristalle stachen mir ins Gesicht.

Ich zog mir die Kapuze über den Kopf. Arnes Haus war ungewohnt hell erleuchtet. Schatten glitten immer wieder an den Fenstern vorbei. Ich erkannte Belanas schlanke Gestalt und die wuchtigen Schultern des Barbaren. Mir schauderte. Der liebe Gott würde sehr gnädig sein, wenn er Belana das alles ohne größere Schäden überleben ließ. Es war unwahrscheinlich, dass er das vorhatte.

Geduckt eilte ich hinüber zu Elkes und Melvins Kate. Die beiden schauten mich erstaunt an, als ich klopfte, doch sie verloren kein Wort darüber, dass ich nicht an der Versammlung teilnahm. Ihre Kate war wesentlich kleiner, als unser Haus und bestand nur aus einem Raum. Die Kinder schliefen auf einem Deckenlager in einer Ecke des Zimmers. Es war die einzige Schlafstatt, die ich entdecken konnte, diente also wohl der ganzen Familie.

Eine große Feuerstelle, weder Tisch noch Bänke, ein einzelner Schemel, den Melvin mir jetzt höflich anbot. Elke hockte in ein großes Fell gehüllt nahe am Feuer. Mit ein paar Planken war ein Zwischenboden über die halbe Breite des Zimmers in die Decke eingezogen. Es gab nur die Tür, keine Fenster und ich hörte die Ziegen der Familie im angebauten Stall meckern. Mir wurde mal wieder deutlich bewusst, dass Ivo und ich ein luxuriöses Leben führten.

Elke war hochschwanger, trotzdem sprang sie sofort auf, um mir heißen Tee zu bringen. Ich dankte artig und genoss die Stille und den Welpen, der es sich kurz darauf auf meinem Schoß bequem machte. Die beiden redeten nicht viel, aber ihr Schweigen war voller Nähe und Zuneigung. Für mich waren es die ersten ruhigen Stunden des Tages.

Ich dachte an Ivo und den Armreif, fragte mich, ob er die Wahl zum Häuptling gewinnen würde und wie Arne darauf wohl reagierte? Was würde aus den hungernden Flüchtlingen werden? Mit kleinen Schlucken trank ich den heißen Kräutertee. Wahrscheinlich war der Hunger für die Menschen aus Cambodunum noch das geringste Übel. Draußen tobte der Sturm ums Dorf, heulte in den Rauchfängen und sie hatten höchstens eine Rindenhütte, um sich vor den Naturgewalten, der bitteren Kälte und den wilden Tieren zu schützen.

Wilde Tiere. Mein Blick folgte den wabernden Figuren der Glut. Ich würde wahrscheinlich nicht glauben, dass es sie gab, bis ich dem ersten Wolf gegenüberstand. Dann konnte es aber auch zu spät sein. Just in diesem Moment hörte ich unter dem Brausen des Windes Wölfe heulen. Der Ruf des nächtlichen Jägers. Ich betete still für all die Menschen, die sich jetzt dort draußen befanden. Sie konnten die Beute sein.

Mein Zeitgefühl war mir vollkommen abhanden geraten, während ich da in einträchtigem Schweigen mit den beiden Leibeigenen am Feuer saß. Sehr viel später scharrte es an der Tür und Melvin ließ Ivo samt einer Böe voll Schnee herein.

„Wohl und Segen“, grüßte er gedämpft mit Blick auf die schlafenden Kinder, „es ist spät geworden. Ich wollte meine Frau nach Hause geleiten und euch für eure Gastfreundschaft danken.“

Seine Wangen wirkten hohl im flackernden Schein des Feuers, doch in seinen Augen glänzte etwas wie Stolz und freudige Erregung.

„Willkommen, Häuptling“, erwiderte Melvin nach einem Blick in Ivos Gesicht und neigte den Kopf, „meine Stimme und meine Gefolgschaft gehören dir, Herr Ivo.“

Damit war mal ein Teil des Wahlergebnisses geklärt. Das war einfacher als zu meiner Zeit. Verwirrt stellte ich fest, dass ich mich unglaublich erleichtert fühlte und auch ein wenig stolz. Selbst wenn Ivo es nicht wahrhaben wollte, so war er doch ein umsichtiger und gerechter Anführer, ein Mensch mit natürlicher Autorität, über den die Macht keine Macht besaß.

„Danke, Melvin“, ein Lächeln überzog Ivos erschöpftes Antlitz, „deine Treue hätte ich nie angezweifelt. Die Versammlung hat heute Abend beschlossen, dass ich bis Imbolc euer Häuptling bleibe, und dann entscheiden wir gemeinsam, wie es weitergeht.“

Die beiden Leibeigenen nickten, Elke lachte spöttisch. „Dann wissen wir ja jetzt, wer bis Imbolc keine gute Laune haben wird.“

„Und danach erst recht nicht“, ergänzte Melvin nicht minder spöttisch. Ich schmunzelte und stand auf, um an Ivos Seite zu treten. Er legte seinen Arm um meine Schultern.

„Den Ausgang der Wahl kennen nur die Götter“, gab er zu bedenken, lächelte aber trotzdem, „lass uns gehen, Ingrun, ich bin sehr müde.“

Geduckt eilten wir durch den Schneesturm, die Wehen reichten mir teilweise bis zum Knie und mein nasser Rock klebte mir mal wieder an den Beinen. Das Thema Hose hatte ich noch nicht gewagt anzusprechen, aber lange machte ich das nicht mehr mit.

Wir stolperten mit dem Wind ins Haus, Ivo stemmte die Tür hinter uns zu, ich schüttelte mich und Tropfen flogen aus meinen Haaren, nasse Kleckse auf dem Holzboden. Ich richtete mich auf, schaute mich um.

Es roch ein wenig muffig nach vielen, winterlich verpackten Menschen, doch bis auf ein paar feuchte Stellen, wo die Stiefel ihre Pfützen hinterlassen hatten, war die Stube ordentlich. Das Feuer brannte hoch, Holz knackte laut.

Nach der beengten Runde in Melvins Kate erschien mir unser Haus wie ein Palast. Seufzend öffnete ich die Fibel, die meinen Mantel verschloss, doch bevor ich ihn mir selbst von den Schultern ziehen konnte, war Ivo hinter mir, um seine Arme um mich zu legen. Dann nahm er mir sanft den Pelz von den Schultern.

„Du bist schön in diesem Pelz, Ingrun, meine Sonne. Wir reiten morgen bei Anbruch der Dämmerung, um Artis Familie zu suchen. Die Versammlung hat es Oswin erlaubt.“

Da waren zwei Aussagen in einem Satz, die für mich nicht zusammengehörten. Ich fuhr zu ihm herum.

„Was? Wohin reitet ihr morgen früh?“

Seine Finger waren kühl, als sie mir über meine Wangen strichen, seine Augen müde und unendlich zärtlich. „Oswin will Artis Schwester suchen. Sie ist irgendwo da draußen mit ihren Kindern unterwegs. Wir werden zu fünft reiten.“

Verwirrt versuchte ich zu erfassen, was seine Worte in mir auslösten. Ich fand es verständlich und richtig, dass sie die Frau finden wollten, aber allein gelassen werden wollte ich deswegen nicht. Deutlich erinnerte ich mich daran, wie scheußlich die eine Nacht ohne ihn gewesen war, die er mit den anderen Männern vor Cambodunum verbracht hatte.

„Ich werde mit euch reiten“, erklärte ich so bestimmt, wie das spontan möglich war, „keinesfalls bleibe ich allein hier.“

Ivos Gesicht wurde lang vor Verblüffung und spontan aufsteigendem Unmut. „Unsinn, Frau, du bleibst hier. Draußen tobt ein Schneesturm, dessen Gewalt das Ende der Welt erahnen lässt. Zwei und vierbeinige Wölfe kurz vor dem Verhungern machen das Land unsicher. Nein.“

„Doch.“ Ich schaute ihn herausfordernd an, auch wenn die Erinnerung an das Wetter meine Motivation etwas dämpfte. „Doch, denn ich bleibe nicht allein hier. Ich bin zäh und habe keine Angst. Die Kälte macht mir nichts.“

Ivo musterte mich einen langen Augenblick, schwankend zwischen Belustigung und Ärger, ich sah es genau. Dann schüttelte er wieder den Kopf.

„Nein, Ingrun. Ich weiß, dass du zäh bist und dich nicht fürchtest. Das hast du mehrfach bewiesen. Doch jetzt liegen die Dinge anders, denn vor dem Dorf herrscht der nackte Überlebenskampf.“ Er wies mit der Hand in die Richtung, in der das Tor lag. „Selbst wir Männer mit unseren Waffen werden vor den Verhungernden nicht sicher sein. Eine Frau können wir da nicht gebrauchen, zumal du nicht mehr wie früher mit einem Schwert umgehen kannst. - Außerdem wirst du hier gebraucht, Ingrun.“ Versöhnlich streckte er seine Hände nach mir aus und zog mich an sich. „Melvin wird uns begleiten, aber Elke steht kurz vor der Niederkunft. Du wirst dich um sie kümmern müssen, denn auf Belana können wir uns im Moment nicht verlassen. Auch wirst du für die Menschen hier meine Vertretung sein. Du bist die Frau des Häuptlings.“

Ich schluckte, kaute hilflos an dem Brocken. Nein, ein Schwert konnte ich nicht führen, selbst wenn ich es gewollt hätte. „Mara ist doch da.“ Ein kläglicher Versuch, aber immerhin, doch Ivo schüttelte den Kopf.

„Bitte Ingrun, du wirst hier daheimbleiben. Torquil wird dich schützen und dir zur Hand gehen. Ich erwarte nur, dass du dich von Arne fern hältst.“

Eine Erwartung, die ich zur Abwechslung mal problemlos erfüllen konnte. In Arnes Nähe brachten mich freiwillig keine zehn Pferde. Torquil brauchte ich dafür nicht. Trotzdem schwieg ich, Widerspruch wäre müßig gewesen.

„Wie lange werdet ihr fort sein?“

„Die Versammlung hat uns drei Tage gegeben. Wir reiten bei Morgengrauen los und versuchen bei Sonnenuntergang wieder im Dorf zu sein, am nächsten Morgen reiten wir abermals. Freiwillig werde ich keine Nacht im Schneesturm draußen bleiben. Zur Sicherheit nehmen wir aber ein Lederzelt mit und genügend Proviant und Felle.“ Ivo deckte das Feuer ab.

„Wo werdet ihr suchen, Ivo?“

Er schaute nur kurz auf, dann ließ er sich auf den Schemel am Ofen fallen. „Überall“, seufzte er, „wenn die Götter es für richtig halten, dass wir die Frau und ihre Kinder finden, dann ist es egal, wo wir suchen, wir werden sie finden. Gehört es nicht in den Plan der Götter, dann wird es nicht geschehen.“

Damit war alles gesagt. So konnte man Gottvertrauen auch formulieren.

„Lass uns schlafen gehen, Ivo. Es ist spät und deine Tage werden anstrengend sein.“ Ich reichte ihm meine Hand. „Ich werde hier jeden Abend auf dich warten und jeden Morgen für eure gesunde Rückkehr beten.“

2

Die Nacht war unendlich lang und viel zu kurz. Ich lag wach neben Ivo, hörte den Sturm mit unverminderter Heftigkeit durch das Dorf toben. Er rüttelte am Dach und den Fensterläden, pfiff durch die Palisaden. Die Kälte war brachial. Viel hätte ich für ein elektrisches Wärmeunterbett gegeben oder wenigstens eine Wärmflasche, eine Daunendecke. So hatten wir heiße Steine im Bett liegen, unbequem und wenig effektiv. In weiter Ferne heulten die Wölfe, was alles nur noch schlimmer machte.

Ich stand mit Ivo auf, obwohl ich das Gefühl hatte, dass es noch tiefe Nacht sein musste. Schweigend packte er seine Taschen für den Sattel, den ich frierend aus dem Zwischenflur holte und schweigend aßen wir heißen, gesalzenen Haferbrei mit Trockenfrüchten und einem Löffel Butter. Schon lange hatte ich mich an dieses ungewürzte Essen gewöhnt.

Trotz des Feuers wurde mir noch immer nicht warm und mir schwante, dass es die nächsten drei Tage wohl so bleiben würde. Ich hatte Angst. Sie hing mir wie ein Bleigewicht um den Hals, drückte mir auf mein Herz und machte mir Magenschmerzen.

Ivos Gesicht war konzentriert und zum Zerreißen angespannt. Scharf stachen seine Wangenknochen hervor und sein Mund war kaum mehr als ein schmaler Strich.

Scheu fasste ich nach seiner Hand, als er bepackt, in seinen dicken Fellmantel gehüllt zur Tür ging. Ganz sicher, wenn mir eingefallen wäre, mit welchen Worten ich ihn von der Mission hätte abhalten können, ich hätte sie in diesem Moment gesagt, auch wenn ich wusste, dass es falsch war. Aber auch mein Hirn trug ein Bleigewicht. Das Einzige, was es noch denken konnte, war, dass Ivo drei Tage in Lebensgefahr unterwegs sein würde.

Auf dem Platz am Brunnen standen bereits die anderen mit ihren Pferden. Melvin nahm Ivo den Sattel ab und warf ihn auf Ivos jungen grauen Hengst, der aufgeregt zur Seite tänzelte, während Ivo sich mit Oswin besprach. Die Szene wirkte im flackernden Schein der Fackeln unglaublich bedrohlich. Ich zog mir instinktiv den Kragen meines Pelzes hoch. Der Wind drückte die Flammen immer wieder zusammen, Schnee verdampfte zischend. Geduckt standen wir zusammen, es war so erbärmlich kalt und den schwachen Schimmer von Licht am östlichen Horizont erhoffte man mehr, als dass man ihn wirklich erkennen konnte.

Ivo schwang sich auf sein Pferd, ich trat nahe an ihn heran, um ihn zum Abschied zu küssen. „Bei Sonnenuntergang sind wir zurück“, flüsterte er an meinen kalten Lippen, „sei unbesorgt, Ingrun.“

Hintereinander bahnten sie sich einen Weg durch den Schnee und die Verwehungen zum Tor, das irgendjemand für sie öffnete. Sofort verschwanden sie in einem dichten Vorhang aus Dunkelheit und Schneegestöber. Ivo war fort.

Meine Hände fingen schlagartig an unkontrolliert zu zittern und ich konnte mich nur schwer beherrschen, nicht sofort zu den Palisaden zu stürzen, um von dem kleinen Wehrgang oben nach Ivo Ausschau zu halten.

Ruhig, Christin, dachte ich, merkte dabei nicht einmal, dass ich mich seit Wochen das erste Mal wieder selbst bei meinem Namen nannte, er kommt heute Abend wieder. Kein Grund zur Panik.

Aufgewühlt walkte ich mit meinen Händen den Pelz. Waren die einleitenden Worte aus Per Anhalter durch die Galaxis nicht ähnlich? Hysterisches Gekicher stieg in mir hoch. Tatsächlich stand ich in einer noch immer fremden Welt so allein da, wie der Typ aus der Geschichte, nur nicht in der Zukunft, sondern in einer fernen Vergangenheit. Aber jetzt konnte ich ihn verstehen. Abenteuer waren spannend, wenn man sie nicht real bewältigen musste.

Unbemerkt von mir hatten sich die wenigen Dorfbewohner wieder in ihre Häuser zerstreut. Meinen Pelz und mein Haar bedeckten eine dicke Schicht Schnee. Ich sollte auch besser am Feuer sitzen, als hier draußen schizophrenen Gedanken nachzuhängen. Mühsam kämpfte ich mich den Weg zurück zu unserem Haus, dessen Tür bis zur halben Höhe von einer Verwehung versperrt war. Seufzend trampelte ich in die Spuren, die Ivo und ich beim Verlassen des Hauses getreten hatten. Vielleicht wäre es doch sinnvoller gewesen, eine Schneeschaufel zu erfinden, anstatt Arne Krücken zu schnitzen.

Im ersten Moment erschien mir unsere Stube tropisch warm. Noch im Pelz warf ich neues Holz ins Feuer. Ohne Ivo war es in der Stube allerdings auch scheußlich düster, voller gefährlicher Schatten, abweisend und unbewohnt. Ich überlegte kurz, ob unser Bett ein sinnvoller Ort für die nächsten Stunden sein könnte, doch in der Schlafkammer war es schneidend kalt, mein Atem dampfte.

Nutzlos entnervt raffte ich meine Lammfelldecke vom Bett und schlurfte zurück in die Stube, wo ich mich nahe am Feuer mit der Decke und ein paar Kissen einfach auf den Boden legte. Vielleicht würde es im Laufe des Morgens heller werden, dann würde ich aufstehen, bis dahin aber wollte ich mich keinen Zentimeter mehr bewegen.

Schon komisch, dass ich mich so anstellte, dachte ich wieder und warf über die Schulter Holz ins Feuer. Das Heulen des Windes zermürbte mich langsam, zerrte mir zunehmend an den Nerven. Angst vermischt mit Aggression war eine gefährliche Verbindung.

Als Ivo mit Arne nach Cambodunum geritten war, hatte ich mich auch gefürchtet, aber irgendwie war das anders gewesen. Alles hier funktionierte nur, weil Ivo bei mir war. Ohne ihn würde ich in diesem Leben knallhart scheitern. Ohne ihn gab es auch keinen Grund in dieser Vergangenheit zu leben, aber zurückkehren konnte ich nicht so einfach.

Das war wohl das Problem. Damals, vor ein paar Wochen war Ivo nicht wirklich in Gefahr gewesen, heute dagegen schon, wahrscheinlich sogar mehr, als ich ahnte. Wilde Tiere, wilde Menschen, wilde Natur und wir zwei schutzlos dazwischen. In den Raunächten ist nicht gut reiten, hatte er vor nicht allzu langer Zeit gesagt. Jetzt war er unterwegs. Hart gesagt, war ich in allen Bereichen von Ivo abhängig. Er war der Mann, den ich liebte, ohne den meine Welt nicht mehr lebenswert war. Unwillkürlich kamen mir die Tränen, ich schluchzte in meine Felldecke, fühlte mich unendlich allein und verlassen. Das zeugte mal nicht von weiblicher Stärke. Aber dank der Dunkelheit schlief ich kurz darauf vor Übermüdung ein.

Ohne jegliches Zeitgefühl trudelte ich irgendwann langsam an die Oberfläche meines Bewusstseins zurück. Im Haus war es noch immer stockfinster, denn Ivo hatte die Fenster mit Holzläden gegen den Sturm verschlossen.

Stöhnend rappelte ich mich auf die Knie. Ich war so steif, wie der Holzboden, auf dem ich gelegen hatte und das Feuer längst heruntergebrannt. Ein Rest Glut glomm noch in der Asche, die Temperatur war entsprechend. Mein Atem dampfte, als ich mich zur Tür schleppte, die ich vorsichtig einen Spalt weit öffnete.

Der Sturm hatte an Stärke noch zugelegt, der Schnee fiel so dicht, dass ich Arnes Haus gegenüber nur mehr als dunklen Umriss im Weiß erkennen konnte. Wie wollte Ivo bei dem Wetter dort draußen überleben? Und ganz nebenbei noch eine Familie finden, die Gott weiß wo unterwegs sein konnte? Ich stemmte meine Schulter gegen die Tür, denn der Sturm wollte unbedingt herein. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Der kurze Moment hatte gereicht, um die Stube in einen Eiskeller zu verwandeln. Ich schlotterte.

Hastig warf ich Reisig in die kleine Glut, pustete ängstlich. Wenn das Feuer ausging, dann hatte ich ein massives Problem. Im Anfeuern war ich noch immer nicht besonders gut und bei der Wetterlage würde ich längst erfroren sein, bis das Feuer brannte. Doch meine Sorge war unbegründet, denn noch während ich versuchte, die Hölzchen Kraft meines Willens zu entzünden, krachte mal wieder passend unverfroren unsere Haustür auf und Cedric schneite in eine weiße Wolke gehüllt herein, während der Luftzug in die Glut fuhr und die Flammen fauchend hochschießen ließ. Definitiv, dachte ich, wenn hier einer im Dorf zaubern konnte, dann der Druide. Mein Feuer brannte.

„Wohl und Segen, Ingrun.“

Verwirrt schaute er sich um und schüttelte den Schnee von seinem Mantel. Sofort bildete sich eine Pfütze um ihn herum. Wasser ist gut gegen trockene Heizungsluft, dachte ich ergeben und trat ihm zwei Schritte entgegen.

„Wohl und Segen, Cedric, komm, setz dich ans Feuer.“

„Warum ist es hier so dunkel?“

Den Gag mit Stromsparen verkniff ich mir im letzten Moment, holte stattdessen tief Luft. „Ich habe bis eben noch geschlafen“, erklärte ich brav, zog nebenbei zwei Schemel zum Feuer, „deswegen brennen noch keine Kerzen.“

Er nickte verstehend und ließ sich auf einen der Hocker fallen. „Ich dachte, ich schaue einmal, wie es dir ohne Ivo so geht.“

„Schlecht“, antwortete ich giftig, „diese Suche ist sehr ehrenvoll, aber bei dem Wetter blanker Selbstmord.“

„Da liegst du gar nicht so falsch, Ingrun“, brummte Cedric amüsiert wie immer, „noch vor wenigen Generationen haben wir uns tatsächlich als Opfer für die Götter zur Verfügung gestellt und es war die größte Ehre, die einem Kelten gewährt werden konnte. Aber Oswin, Ivo und die anderen opfern sich nicht. Sei unbesorgt. Heute Abend sind sie heil wieder zurück.“

Sein Wort in Taranis Ohr, oder sollte ich besser Esus eine Kerze anzünden, dem Gott aller Wege? Mit einem Seufzer holte ich den Krug mit Met vom Regal und zwei Becher dazu. Ich hatte noch nichts gegessen, also griff ich auch die Schale mit Haferkuchen und hockte mich neben ihn auf den anderen Schemel. Wortlos reichte ich ihm Becher und Kuchen. Er nickte dankend.

„Sei mir nicht böse, Cedric, doch das mit den Menschenopfern bringt euch zu meiner Zeit einen Haufen Unverständnis und wenig Sympathie ein und ich kann es offen gestanden auch nicht verstehen.“

Er prustete leise, Kekskrümel sprühten unter seinem Bart hervor, ich schaute weg. „Die Römer haben uns die Menschenopfer leider verboten. Die fanden das auch barbarisch. Seltsam, aber sie schlachten Menschen im Circus ab, während wir freiwillig sterben, zum Wohle aller.“

Mit beiden Varianten hatte ich echte Probleme, falls ich allerdings jemals in die Verlegenheit geraten sollte zu wählen, dann war mir die keltische doch lieber. Gleichzeitig hampelten die bekannten Bilder von Moorleichen mit Stricken um den Hals durch mein Hirn oder aufgeschlitzte Körper, welche mit fehlenden Köpfen. Was nutzten da noch die reichen Grabbeigaben? Und ein tolles Leben in der Anderswelt war auch nicht endgültig bewiesen.

„Und?“ Ich hob provozierend das Kinn. „Waren die Götter immer dankbar für die Opfer? Oder hatten sie manchmal etwas zu mäkeln?“

Cedric lachte wider Erwarten. Met schwappte über seine graue Tunika.

„Gut, Ingrun“, er wischte lachend an dem Fleck herum, „sehr gut. Die Götter haben mehr Humor, als du denkst. Sie nehmen es uns auch nicht übel, dass wir ihnen nur noch Pflanzen und Tiere opfern, anstatt eines kräftigen Kriegers oder einer schönen Frau. Ich bin sicher, es geht ihnen mehr darum, dass wir auf sie vertrauen. Diesbezüglich darfst du ruhig noch ein wenig an dir arbeiten.“

Ah, ja. Das war ansatzweise unverschämt. Aber dem Druiden widerspricht man nicht. Ich schluckte zäh an dem Brocken und dem Haferkuchen in meinem Rachen, der sich vor Überraschung quer gestellt hatte.

„Was?“ Ich spülte mit Met hinterher und warf einen Scheit Holz ins Feuer. „Das mit Gott und den Göttern ist mir viel zu heikel.“

„Eben“, Cedric reichte mir seinen Becher, den ich neu füllte, er nickte wieder dankend, „dabei meine ich mich zu erinnern, dass es euer Jeshua bezüglich Vertrauen wirklich weit gebracht hat. Ein echtes Vorbild, der Mann.“

Völlig verwirrt ruckte mein Blick von Cedric zum Feuer, in meinen Kopf formten sich Worte und Töne zu einem meiner Lieblingslieder: I still haven´t found, what I´m looking for … U2s Suche nach Jesus Christus und einem eigenen Glauben.

Glauben mit Vertrauen zu umschreiben veränderte in diesem Augenblick meine eigene kleine, atheistische Welt. Ich hatte mich immer danach gesehnt, endlich jemandem zu vertrauen. In Ivo hatte ich einen Menschen gefunden, dem ich blind vertraute und alles andere durfte ich in Vertrauen abgeben, egal ob ich es Gottvater oder Taranis nannte. Vertrauen fühlte sich wunderschön an.

Ich lächelte Cedric zu und klackte meinen Becher gegen seinen. „Auf das Vertrauen, Cedric. Ivo hat mir als erstes kurz nach Samhain erklärt, dass man dem Druiden niemals widerspricht. Ich bin echt erstaunt, dass das richtig vernünftig ist.“

Cedric hätte mich zu meiner Zeit wahrscheinlich zwangsweise einliefern lassen, doch mir ging es nach dem Gespräch wieder gut. Mit Vertrauen konnte ich besser leben als mit Glauben, denn ich vertraute in Ivos Umsicht und Erfahrung, was gefährliche Unternehmungen anging. Wem, wenn nicht ihm?

Im dichten Schneetreiben kämpfte ich mich zu den Pferchen der Tiere hinüber. Viel konnte ich nicht erkennen, doch schien mal keines der Tiere im Schnee zu liegen. Sie standen als graue Masse dicht an dicht gedrängt, die Rücken Zentimeter dick verschneit. Ich machte mir Sorgen um die Fohlen und die tragenden Stuten, genauso wie um die spät geborenen Kälber und trächtigen Kühe. Egal, was dieses Leben mir bringen würde, eines war klar: sollte ich noch einen Winter hier verbringen, dann würde ich dafür sorgen, dass die Tiere einen halbwegs vernünftigen Unterstand bekamen.

Meine eigenen Pferde standen derweil dösend im warmen Stall am Haus. Keinen Huf hätten die freiwillig in den Sturm gesetzt. Ich füllte die Heuraufe auf und als ich durch die Hintertür wieder ins Haus trat, stand Torquil recht unvermutet in der Stube. Ich ruckte überrascht zurück, während er linkisch und ziemlich verunsichert an seinem Schaffellmantel herumzerrte. Richtig, just fiel mir ein, dass Ivo mir den Jungen zu meinem Schutz beordert hatte. Dafür kam er reichlich spät.

„Verzeih, Frau Ingrun“, er scharrte mit den Füßen nasse Spuren auf die Dielen. Immerhin waren Cedrics Lachen mittlerweile abgetrocknet.

„Ich hatte heute Nacht Wache und den Morgen verschlafen, obwohl Herr Ivo angeordnet hatte, dass ich mich sofort früh bei dir melden soll. Ich war so müde.“

Ich hatte den Jungen nicht vermisst, insofern gab es nicht zu verzeihen. „Macht nichts, Torquil“, ich lächelte, „ich habe den Morgen auch verschlafen. Eigentlich brauche ich dich auch nicht. Wenn du möchtest, darfst du gern wieder heim gehen.“

Überrascht wackelte er mit dem Kopf. „Aber …!?!“

„Was?“

„Herr Ivo möchte, dass ich bei dir bleibe, bis er zurück ist und dich nicht aus den Augen lasse, damit dir nichts geschieht.“

Ivos Fürsorge in allen Ehren, dachte ich, aber das war übel übertrieben.

„Was soll mir denn geschehen, Torquil? Wir sind eingeschneit, wir haben genug zu essen, genug Holz zum Heizen und das große Tor ist auch zu.“

Unschlüssig blinzelte er in der Stube herum und stapfte von einem Fuß auf den anderen. „Herr Ivo sorgt sich wegen Herrn Arne und dem Barbaren. Also werde ich auf dich aufpassen, bis er zurück ist.“

Wie magisch angezogen eierte er zum Ofen hinüber und hockte sich davor auf den Boden, während ich mich erst einmal sammeln musste. Ich hatte es schon als verstörend genug empfunden, dass ich mich fragte, ob von Arne eine Gefahr für mich ausgehen könnte und wenn ja, welche? Doch dass Ivo es anscheinend ähnlich befürchtete, machte die Sache tatsächlich gefährlich. Sollte es so sein, dann würde mir der Junge in meiner Stube auch nichts nützen.

Ernüchtert starrte ich den schmächtigen Rücken an, dessen Knochen sich durch die dünne Hemdbluse drückten. Es stand zu befürchten, dass ich eher auf Torquil aufpassen musste. Aber gut, an zwei traute sich hoffentlich auch Arne mit seinen Krücken nicht so einfach heran, zumal auch der Barbar noch recht schlecht zu Fuß war. Die beiden waren unter Umständen zu bewältigen. Ich seufzte und trat an mein Regal mit den Vorräten.

„Hast du schon etwas gegessen, Torquil?“

Er schüttelte den Kopf und ich sah das begehrliche Blitzen in seinen Augen. In dem Alter hatten Jungs immer Hunger. Unentschlossen schweifte mein Blick durch die Stube. Ivo wollte, dass ich ihn in seiner Abwesenheit vertrat, eventuell war es also ratsam, wenn ich dafür sorgte, dass alle Männer dieser unsäglichen Aktion ein warmes Abendessen bekamen.

Auch ihre Pferde hätten zu meiner Zeit eine Schüssel warmes Mash bekommen, mit Äpfeln und Karotten und eine Nacht im Stall, wo sie sich erholen konnten. Meine Knöchel klopften einen nachdenklichen Rhythmus gegen den großen Kupferkessel. Warmes Wasser für etwas, was ein warmes Bad sein könnte. Das Letzte, was ich im Moment nämlich brauchte, war das Ivo sich erkältete.

Mit einem Ruck drehte ich mich zu meiner Vorratstruhe um, wo ich ein Stück getrocknetes Fleisch, Butter und Brot für den Jungen zusammensuchte, das ich zusammen auf einem tönernen Teller auf den Tisch stellte.

„Iss, Torquil“, ich nickte lächelnd zum Tisch, „und danach benötige ich dann doch deine Hilfe. Wir müssen warmes Wasser für die Männer und die Pferde vorbereiten. Ich gehe jetzt hinüber zu Frau Artis und Herrn Oswins Söhnen, damit die ihren Stall für die Pferde herrichten. Alle werden sehr erschöpft sein.“

Er hockte schon am Tisch und stopfte sich Brot in den Mund, bevor ich fertig ausgesprochen hatte, ich schmunzelte, während er mit dicken Backen hastig nickte.

Endlich wusste ich, was zu tun war und das Gefühl allem ausgeliefert zu sein, wich schlagartig. Ich warf mir meinen Umhang über, stopfte mein Haar unter die Kapuze und schnürte meine Stiefel, dann bahnte ich mir einen Weg durch den Schnee und den Wind. Unsere Haustür war mittlerweile hüfthoch zugeweht. Auch das konnte Torquil noch für mich erledigen.

Auf dem kurzen Stück Weg über den Platz fragte ich mich erneut, wie Ivo und die Männer überhaupt vorangekommen waren, denn der Schnee lag selbst hier mittlerweile mehr als kniehoch, die Wehen brachten es auch auf ein Vielfaches. Und die Pferde waren klein. Niemand außer mir war unterwegs, verständlich. Energisch scharrte ich an Oswins Haustür, Oswins ältester Sohn öffnete mir. Er verneigte sich leicht und hieß mich eintreten.

„Wohl und Segen“, grüßte ich mit einem Lächeln in die Runde. Artis kleine Kinder spielten still in einer Ecke mit einer Art Bauklötze, die zwei Brüder saßen am Tisch und spielten ebenfalls eines der seltsamen Brettspiele, die sie hier hatten, während Artis einen Brotteig knetete. Mit ihren bemehlten Händen kam sie auf mich zu.

„Wohl und Segen, Frau Ingrun“, grüßte Oswins ältester, Ekwin, und bedeutete mir, am Feuer Platz zu nehmen. Ich hockte mich brav auf den freien Schemel. Es war seltsam, dass Belana nicht im Raum war. Sie fehlte mir.

„Ist etwas geschehen, Frau Ingrun?“ Artis versuchte gelassen zu klingen, doch ich hörte die Sorge in ihrer Stimme ganz genau. Ich schüttelte den Kopf.

„Nein, und ich hoffe, das bleibt auch so.“ Beruhigend tätschelte ich ihr den Unterarm, Mehl staubte. „Mir ist nur eben eingefallen, dass euer Stall im Moment leer steht, und ich dachte mir, dass wir die Pferde der Männer heute Nacht dort unterbringen könnten, damit sie sich von der Anstrengung des Tages erholen können. Ist es möglich, dass ihr das vorbereitet?“ Motivierend schickte ich einen Augenaufschlag von einem der jungen Männer zum nächsten. „Ich kümmere mich dann noch um ein gutes Futter für die Tiere und sorge für ein kräftigendes Abendmahl für die Männer bei uns in der Stube, zu dem ihr alle natürlich herzlich eingeladen seid, genau wie die anderen Familien.“ Mir war zwar bei dem Gedanken einen Kessel voll Eintopf zu kochen nicht ganz wohl, doch ich würde das schon schaffen.

Ekwin bewegte zustimmend die Schultern. „Den Stall herrichten machen wir gern, das ist ein guter Gedanke, Frau Ingrun, und danke für die Einladung.“

Artis Gesicht strahlte. „Ich werde Butter und Schmalz und Brot mitbringen, Frau Ingrun, hab Dank.“

Scheu strich ich ihr über die Schulter. Die Frau hatte ich vom ersten Augenblick an gemocht. Vielleicht weil wir ein ähnliches Schicksal trugen, gestrandet in einer fremden Welt, in der wir wider jedes Erwarten die Liebe gefunden hatten. Sie hatte ihre Kinder mitgebracht, ich meine Pferde. Ich lächelte bei der Einsicht und wendete mich wieder zur Tür.

„Ich danke euch für eure Unterstützung“, sagte ich ehrlich. „Wohl und Segen.“

Draußen kämpfte ich mich weiter durch Schnee und Sturm zu Elkes Kate hinüber, um auch ihr von unserem gemeinsamen Abendessen zu berichten. Sie freute sich auf ihre stille und zurückhaltende Weise, das Leuchten in ihren Augen sprach Bände.

Wieder daheim schleppte Torquil bereits eimerweise Wasser in die Stube, das er eifrig in meinem großen Kessel erwärmte, auch die Haustür war von der Schneewehe geräumt.

„Gut so“, lobte ich, „genau so dachte ich mir das.“ Ivo würde sich über ein Bad freuen.

Er senkte verlegen den Blick und schürte das Feuer hoch. Ich sah genau die zarte Röte auf seinen Wangen und schmunzelte still, während ich mir einen weiteren Kessel holte und anfing, eine Art Müsli für die Pferde zu bereiten. Schweren Herzens opferte ich etwas von meinem raren Leinöl, das Beste, was ich den Pferden zu bieten hatte, schnitt ein paar rote Beten in das Hafergemisch und trugt den Kessel zur Tür hinüber.

„Der muss in Herrn Oswins Stall“, wies ich Torquil an. Arbeitsanweisungen fielen mir generell schwer, doch allein konnte ich die Vorbereitungen nicht bewältigen, „und sei so gut und sag Herrn Ekwin, dass er fünf Eimer Wasser erwärmen soll, das die Pferde dann zu trinken bekommen. Wir benötigen auch warmes Wasser für das Futter.“

Er nickte und stemmte den Kessel hoch. Ich schloss die Tür hinter ihm. Mir schien, als flaute der Sturm langsam etwas ab. Versunken lauschte ich einen Moment dem Brausen, der Tag rückte vor und bald würden Ivo und die Männer hoffentlich heil heimkehren.

Allerdings glaubte ich nicht daran, dass sie die Familie mitbringen würden. Eine Gänsehaut zog sich unkontrolliert meinen Rücken hinauf. Die Chancen, dass da draußen ein Mensch ohne jeglichen Schutz überleben konnte, waren sicherlich wie die Temperaturen weit unter null.

Angeblich war erfrieren ein sanfter Tod. Ich schauderte und warf einen weiteren Scheit Holz ins Feuer. Mochten Gott oder die Götter mit den Menschen aus Cambodunum gnädig sein, wie auch immer diese Gnade aussehen mochte. Gnade konnte viele Gesichter haben. Und auch Wunder waren herzlich willkommen.

Konzentriert suchte ich mir dann die Zutaten für mein erstes Gastessen zusammen. Ich hatte keine Ahnung, welche Mengen ich brauchte oder was mein Berg an Lebensmitteln ergeben würde. Es musste einfach reichen. Dabei fiel mir unwillkürlich meine Oma ein, die eiskalt grinsend einfach einen Krug Wasser in die Suppe gegossen hatte, wenn es sonntags mehr Gäste als erwartet worden waren. Dazu hatte sie diesen Spruch auf den Lippen: fünf sind geladen, zehn sind gekommen, gieß Wasser zur Suppe, heiß alle willkommen! Ich lachte übermütig auf und schwenkte den Kessel vom Feuer. Meine Oma war eine sehr kluge Frau gewesen und das hier hätte ihr richtig Spaß gemacht.

Um einiges gelassener warf ich alles in den Kessel und würzte so gut es ging mit den Kräutern, die Ingrun gesammelt hatte und ließ alles kochen. Das Trockenfleisch brauchte ewig, bis es sich wieder in einen zarten Zustand verwandelte.

In dieser Zeit fütterte ich meine Pferde und suchte mir an Geschirr zusammen, was ich für eine größere Gruppe brauchte. Ich war immer wieder erstaunt, wie viele Teller und Schalen Ingrun in ihren Truhen verwahrte. Sie war wirklich eine umsichtige Hausfrau gewesen und nichts davon war an mir hängen geblieben. Meine Tiere lebten meistens gesünder als ich.

Als ich meinte, dass es nichts mehr zu tun gab, griff ich nach meinem Pelz und Stiefeln und trat vor das Haus. Der Sturm ließ tatsächlich merklich nach, der Schnee fiel jetzt weich und in dicken Flocken. Die Luft roch eisig, aber sie biss mir nicht mehr so in den Lungen. Langsam brach die Dämmerung an, man sah die matte Scheibe der Sonne im Westen sinken. Auf dem Weg zum Tor, wo ich auf dem schmalen Wehrgang warten wollte, trat Torquil zu mir. Ich lächelte ihn an.

„Möchtest du mit mir warten, Torquil?“

Er nickte schüchtern. „Der Herr hat schließlich gesagt, dass ich auf dich aufpassen soll.“

Trotz meiner Höhenangst kletterte ich die schmale Leiter hinauf, die zu dem hölzernen Wehrgang entlang der Palisaden führte. Dieser Wehrgang war nichts als eine Holzplanke, kaum mehr als einen Fußbreit, ohne Geländer. Ich atmete tief durch und zwang mich nicht nach unten zu schauen. Selbst die vier Meter waren eigentlich zu viel für meine Nerven. Mich schwindelte und ich hielt mich krampfhaft an den Spitzen der Palisaden fest.

Hier oben brauste der Wind noch heftig, Schnee wirbelte mir vor dem Gesicht. Ich schirmte meine Augen gegen das grelle Weiß ab und versuchte in der Ferne etwas zu erkennen, doch da war erst einmal nur das Nichts. Weiße Leere, unterbrochen von den dunklen Fichten, die den Hang nach Ottacker säumten. Von wo würden sie kommen? Mein Blick schweifte wie der Lichtkegel eines Leuchtturmes im Kreis um das Dorf herum. Auch Torquil starrte suchend in die Ferne. Dann stieg Artis die Leiter hinauf. Sie lächelte uns aufmunternd zu.

„Sie kommen, bald, da bin ich sicher.“

Und sie hatte recht. Kurz bevor die Dunkelheit sich vollends über das Land legte, kamen die fünf Reiter aus Richtung Kühbach den Hang hinunter. Allein, aber immerhin vollzählig. Ich war unendlich erleichtert. Auch Artis Gesicht entspannte sich ein wenig, wie ich bei einem unauffälligen Seitenblick bemerkte, doch gleichzeitig sah ich die Enttäuschung und Trauer in ihren Augen. Die Chance, dass ihre Schwester überlebte, schwand mit dem Licht des Tages, wenn es denn überhaupt jemals eine reelle Chance gegeben hatte.

Eilig hangelten wir uns die Leiter hinab und riefen den Männern am Tor zu, dass sie öffnen sollten. Überglücklich zwängte ich mich zwischen den sich öffnenden Torflügeln hindurch und landete bis zu den Oberschenkeln im Pulverschnee.

Egal, ich ruderte Ivo ein paar Schritte entgegen. Auch die Pferde pflügten sich wie Eisbrecher voran. Sie dampften. Strahlend reichte ich Ivo meine Hand hinauf. Er ergriff sie und beugte sich über meine kalten Finger und küsste sie. Seine Lippen waren noch kälter als meine Finger.

„Wir haben sie nicht gefunden, Ingrun“, flüsterte er mit heiserer Stimme, „und erst die Schneeschmelze wird uns offenbaren, wie vielen Menschen dieser Sturm das Leben gekostet hat. Überall liegen die Toten. Überall.“

Ich sah das Grauen in seinen Augen, die Erschütterung und meine Nackenhaare stellten sich. Schwerfällig rutschte er aus dem Sattel. Das Pferd war nass vom Schweiß und Schnee, seine Barthaare hingen voller kleiner Eiszapfen, seine Hinterbeine zitterten vor Überanstrengung.

„Kommt herein, Ivo, dann reden wir. Wir haben heißes Wasser vorbereitet für ein Bad, Essen für euch und die Tiere. Komm nur.“

Pferde und Reiter schleppten sich fast apathisch die letzten Meter ins Dorf. Ich stützte Ivo, während Artis Oswins Schultern umfasste. Auch Elke erschien am Tor, griff besorgt nach den Zügeln von Melvins Pferd und seinen Händen. Ich hegte für den Moment die leise Hoffnung, dass die Männer die Suche nach diesem Tag aufgeben würden.

Schweigend geleiteten wir sie zu Oswins Stall, wo Torquil und Ekwin die Wassereimer vorbereitet hatten. Artis brachte grobe Decken aus Leinen, die sie den Pferden überlegte, während ich mein warmes Müsli anrührte, das wir den Fünfen hinstellten. Es war fast lustig zu sehen, wie sie erst skeptisch daran rochen, so etwas hatten sie noch nie bekommen und dann wie jedes andere Pferd gierig schlabberten.

Erst dann tränkten wir sie. Die Männer schickten wir derweil in ihre Häuser, nur Ivo und Oswin blieben bei uns. Beide hatten Erfrierungen in den Gesichtern, wie ich erst jetzt bemerkte und was mich mal wieder vor ein antikes medizinisches Problem stellte. Eines, dass ich irgendwie lösen würde.

Arm in Arm stapften wir wenig später durch den Schnee zu unserem Haus. Ivos erstes Lächeln galt der geräumten Haustür.

„Torquil war fleißig“, erklärte ich.

„Daran bestand kein Zweifel.“