Die Zentrale der Zuständigkeiten - Rebekka Reinhard - E-Book
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Die Zentrale der Zuständigkeiten E-Book

Rebekka Reinhard

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Beschreibung

»Du bist eine Frau. Du bist: Die Zentrale der Zuständigkeiten. Denn du kannst alles. Wer alles kann, ist auch für alles zuständig. Dein Können ist gefragt wie nie. Doch die Sache hat einen Haken. Einerseits willst und sollst du arbeiten, Geld verdienen, durchstarten – andererseits sorgen, lieben, achtsam sein. Der Widerspruch zwischen ›hart‹ und ›weich‹ zwingt dich in den Kampfmodus. Du kämpfst mit deinen eigenen Entscheidungen, Gedanken und Gefühlen; du kämpfst mit den Wünschen, Zielen, Meinungen anderer. Und den Nebenwirkungen: Wut, Stress, Angst, Zweifel. Nackenverspannungen!«

Rebekka Reinhard bietet 20 unerlässliche Strategien für mehr Leichtigkeit; Inspiration und Anleitung, um souverän durch diese widersprüchliche Welt zu navigieren: von Alltagsproblemen bis zur Verwirklichung der eigenen Träume jenseits des Ego-Feminismus.

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Seitenzahl: 312

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»Wir können nicht warten, bis die Gesellschaft bereit zur Veränderung ist, wir müssen uns selbst ändern.«

Ob im Job, in der Familie oder unter Freunden: Das Leben und die zahlreichen Rollen von Frauen heute sind oft eine einzige Herausforderung. Eigene und fremde Erwartungen zerren dich in verschiedene Richtungen, verlangen von dir sowohl im Beruf als auch im Privatleben viel und oft Widersprüchliches.

Rebekka Reinhard liefert Denkanstöße und praktische, überraschende, clevere Lösungsstrategien für all die Fragen, die dich umtreiben, wie: Warum kann ich nicht einfach nichts tun? Wie treffe ich schwierige Entscheidungen? Darf ich auch mal ausflippen? Wie überwinde ich die Angst vor dem Alter? Und die große Frage: Was willst, sollst, musst du wirklich?

Rebekka Reinhard gibt dir Inspiration und kluge Strategien für ein Leben, das du selbst bestimmst. Ein Leben, das nicht (nur) andere glücklich macht, sondern auch dich selbst. Mit Leichtigkeit.

REBEKKA REINHARD

DIE ZENTRALE DER

ZUSTÄNDIGKEITEN

20 Überlebensstrategien für Frauen

zwischen Wollen, Sollen und Müssen

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Originalausgabe 06/2022

Copyright © 2022 by Ludwig Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Andrea Kunstmann

Illustrationen im Innenteil: © Rebekka Reinhard

Umschlaggestaltung: Guter Punkt GmbH & Co. KG

unter Verwendung eines Motives von: depositphotos/BlueLela

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-28368-1V003

www.Ludwig-Verlag.de

Dieses Buch ist für dich. Und für uns. Frauen aller Haut-, Haar- und Augenfarben und jeder Körbchengröße. Du bist Vieles. Und du bist einzigartig. Wir alle sind singulär-plurale Wundertüten. Wer versucht, uns in das Kästchen Frau zu zwingen, der muss verstehen: Wir werden entkommen …

#nobullshitfeminismus

Vorbemerkung

Gendersensible Sprache ist wichtig. In welcher Sprache wir Menschen beschreiben, entscheidet darüber, wie wir sie wahrnehmen: nüchtern. Liebend. Oder voller Vorurteile … In diesem Buch findest du allerdings weder das Binnen-I noch Gendersterne oder Doppelpunkte. Klug gendern heißt für mich, auf kreative, undogmatische, sinnvolle Art und Weise gendern. Es geht darum, sorgfältig auf den Kontext zu achten, in dem »er«, »sie« und/oder andere Geschlechter vorkommen … oder vorkommen könnten, sollten, müssten. Und wo nicht.

Was du auch nicht finden wirst, sind die Lebensdaten all der berühmten Männer, die in diesem Buch zitiert werden. Dass nur biografische Daten von Frauen genannt werden, soll niemanden beleidigen – sondern bloß ein winziges Stück ausgleichende Gerechtigkeit dafür sein, dass es früher hauptsächlich Männer waren, die »Geschichte machten«. Jetzt sind wir dran …

INHALT

#1 Statt einer Einleitung: Warum soll ich dieses Buch lesen?

Überlebensstrategie #1: Entschlüpfe dem Schafspelz

#2 Die Zentrale der Zuständigkeiten: Bin ich normal?

Überlebensstrategie #2: Beweg dich ein bisschen neben der Spur

#3 Die große Taubheit: Warum hört kein Mann mir zu?

Überlebensstrategie #3: Mach den Mund richtig auf

#4 Gürteltier-Alarm: Wie treffe ich schwierige Entscheidungen?

Überlebensstrategie #4: Wähle das Leben

#5 Krankenschwestern der Nation: Wie lange muss ich noch Kittel tragen?

Überlebensstrategie #5: Definiere neue »Privilegien«

#6 »Dick Pics« und andere Schweinereien: Was tue ich gegen sexuelle Gewalt?

Überlebensstrategie #6: Habe Mut zum Nein – und bewahre dir dein Ja

#7 Der Hysterie-Mythos: Darf ich auch mal ausflippen?

Überlebensstrategie #7: Zeige deine Verletzlichkeit

#8 Für immer jung: Wie überwinde ich die Angst vor dem Alter?

Überlebensstrategie #8: Surfe auf der Vergänglichkeit

#9 Die Ü-35-Single-Untersuchungshaftanstalt: Wie finde ich den Mann meines Lebens?

Überlebensstrategie #9: Sei du selbst (nicht mehr, aber auch bloß nicht weniger)

#10 Casino der Träume: Was zählt Erfolg?

Überlebensstrategie #10: Setze auf das gute Leben

#11 Toxische Weiblichkeit: Wie werde ich den Neid auf andere Frauen los?

Überlebensstrategie #11: Ersetze Heuchelei mit Fülle

#12 Sexy, Fresh & Healthy: Wozu Fitness?

Überlebensstrategie #12: Ehre das Ritual

#13 Im Labyrinth des Selbst: Wo ist der Ausgang aus der Einsamkeitsspirale?

Überlebensstrategie #13: Sei Ariadne

#14 Die unterdrückte Frau und der »Mohrenkopf«: Bin ich ein Opfer?

Überlebensstrategie #14: Lass dich nicht von Schubladen an der Nase herumführen

#15 In der Herrenabteilung: Kann man einen Mann je verstehen?

Überlebensstrategie #15: Behandle dich so, wie du ihn behandelst

#16 Babuschka: Soll ich jetzt ein Kind kriegen?

Überlebensstrategie #16: Werde Realistin

#17 Ego-Superspreader: Warum tut Liebe weh?

Überlebensstrategie #17: Bring dein Herz zum Klingen

#18 Kampf der Sprechblasen: Bin ich zu introvertiert?

Überlebensstrategie #18: Dreh am Lautstärkeregler

#19 Sinn im Getriebe: Warum kann ich nie nichts tun?

Überlebensstrategie #19: Schalte von Zeitraffer auf Zeitlupe

#20 Für einen anderen Feminismus: Was wollen, sollen, müssen wir wirklich?

Überlebensstrategie #20: Verbinde Ich und Wir

#XY Für den modernen Mann: Was kannst du tun?

Überlebensstrategie #XY: Sei kein Held – transformiere dich

KOMMENTIERTE QUELLEN

DANKSAGUNG

Frauen an Bord bringen Unglück.

Alte Seemannsweisheit

#1 STATT EINER EINLEITUNG: WARUM SOLL ICH DIESES BUCH LESEN?

Weißt du, wer du bist? Mit Mitte zwanzig wusste ich es nicht. Ich wusste nicht mal, wie man mit glühenden Kohlen umgeht. Damals lebte ich in Berlin-Kreuzberg allein in einer riesigen, hochgradig renovierungsbedürftigen Altbauwohnung mit einem einzigen Kamin. In den 1990er-Jahren gab es noch wirklich harte Winter. An manchen Tagen hatte es zehn Grad minus. Ich studierte an der Freien Universität, und wenn ich winters von Dahlem nach Hause zurückkam, konnte ich meinen Mantel eigentlich gleich anbehalten. Meine Hausarbeiten pflegte ich mit fingerlosen Handschuhen zu tippen. Jeden Abend wickelte ich Briketts in feuchtes Zeitungspapier, bevor ich sie anzündete, damit sie möglichst lange heiß blieben. Diesen Trick hatte ich von meiner Oma: »So haben wir es im Krieg gemacht!« Jeden Morgen kehrte ich die Kohlereste aus dem Kamin und entsorgte sie im Haushaltsmüll in der Küche. Der Nachglüheffekt der nach Omas Rezept präparierten Kohlen war enorm. Eines Tages begann der Haushaltsmüll zu brennen – daneben das freiliegende Starkstromkabel. Dunkelgrauer Rauch stieg auf, aber ich roch nichts. Ich war tief in die Phänomenologie des Geistes vergraben, ein Werk des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Hätte mein Nachbar damals nicht Sturm geklingelt …

Weißt du, wer du bist? Ich wusste es, wenn ich ehrlich bin, so richtig erst mit vierzig. Seit den 1990er-Jahren habe ich eine Fülle neuer Fähigkeiten erworben. Ich bin viel praktischer geworden. Die Sache mit den Kohlen würde mir heute nicht mehr passieren. Inzwischen kann ich nicht nur irre routiniert denken, sondern auch toll kochen, waschen, putzen und bügeln. Ich kann alles! In Rekordzeit. Weil ich Vieles bin. Philosophin, Tochter, Freundin, Partnerin, Autorin, Rednerin, Podcasterin, Perfektionistin, Idealistin, Pragmatistin. Ja, ich bin Vieles. Doch ich brauchte ewig, um zu kapieren: Was ich für mich bin und sein will, ist nicht unbedingt das, was ich für die anderen bin. Für die Gesellschaft, fürs »System« bin ich zunächst und immer schon: eine Frau. Und weil ich wie du und alle Frauen Frau bin, bin ich auch wie wir alle für alles zuständig. Denn ich kann ja alles. Leisten und Liebsein, Geldverdienen und Gutaussehen, Säubern und Sorgen.

Wer willst du sein? Identifikationsmöglichkeiten gibt es viele. Vielleicht ist Alice Schwarzer, Luisa Neubauer oder die nigerianisch-amerikanische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie dein Vorbild. Vielleicht willst du aber auch – wie die meisten Frauen in unserem System – einfach bloß ein weniger anstrengendes Leben. Eins, in dem es selbstverständlich ist, Privilegien und Pflichten flexibel und fair zu teilen, im Job, im Haushalt, bei der »Care«-Arbeit. Wie und ob das gelingen kann, ist nie nur Privatsache. Die ganze Welt steckt ihre Nase in die »Frau«. Meist leider nicht die Nase der Vernunft. Du bist gut ausgebildet, ergatterst einen Top-Job, ziehst mit einem Mann zusammen – schon bindet dir das System eine Schürze um den Laptop. Kaum überlegst du mal ganz in Ruhe, was du selbst willst und wofür du lebst, schallt es aus allen Ecken: Frauen können, sollen, müssen alles haben! Klingt gut. Nur leider ist es sehr schwer, dieses hochsuggestive, multimedial verbreitete Versprechen in die Realität zu übersetzen. Das weiß jede Studentin, die glaubte, man sähe sie als Vieles an. Jede Singlefrau, die ihre Nächte mit den pflegebedürftigen Eltern verbringt. Jede arbeitende Mutter, die nach einem hektischen Arbeitstag trotz gegenteiliger Absichten dem vollautomatisierten Drang erliegt, schnell noch Hausaufgaben zu kontrollieren, die Wäsche zu machen, Nudeln zu kochen und die Toilette zu säubern. Frauen könnten gnädiger mit sich sein, meint die Journalistin und verheiratete Mutter Heike Kleen. Es sei »schließlich immer noch besser, eine Feministin in Teilzeit als gar keine zu sein«.

Reicht das? Mehr als hundert Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts und gut fünfzig Jahre nach »Women’s Lib« sollten wir uns schon fragen, warum auch heute gilt, was Alice Schwarzer schon 1975 erkannte: Frauen haben keine Zeit. Frauen haben Angst. Wir sind die allseits beliebte Allzweckwaffe, deren »Systemrelevanz« zwar anerkannt – deren Wert aber immer noch kein entsprechender Preis zugemessen wird. Weder von der Gesellschaft, noch von uns selbst. Die meisten Frauen schlucken die schlechtere Bezahlung, die miese Rente, weil sie verständlicherweise auf Kinder nicht verzichten wollen. Auf eine sogenannte Karriere aber auch nicht. Viele hoffen, dass Freiheit und echte Chancengleichheit zur Verwirklichung dieser Freiheit doch bald möglich sein wird. Viele hoffen und warten, dass die Gleichstellungspolitik – Frucht der deutschen Emanzipationsbewegung der Siebzigerjahre – ihre Versprechen einlöst. Bis 2029 wird jedes Grundschulkind einen Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung haben. Endlich! Doch sind die Probleme damit gelöst? Ja, es sind die Rollenklischees, die verinnerlichten Stereotype, die fehlenden Kitaplätze, die veränderungsresistenten, Diversity-fernen, auf »Präsenzkultur« versessenen Arbeitgeber, die uns das Leben schwer machen – doch es ist das scheinheilige System insgesamt, das uns die Kritikfähigkeit nimmt; das uns glauben macht, unsere eigenen Werte seien perfekt kompatibel nicht nur mit biedermeierlichen Geschlechterkonventionen – sondern auch mit neoliberalen Zielsetzungen. Apropos Neoliberalismus. Mögen dich die auf Social Media und sonstwo gratis feilgebotenen Selbstverteidigungskurse, Anlageberatungen, Menstruationstalks und Schminktrainings diverser Marken noch so sehr empowern: Indem sich Konzerne deine authentischen Träume und Ziele frech aneignen, »befreien« sie dich nicht wirklich. Die mit Firmenlogo überschriebene Emanzipation dient meist bloß dem Erhalt des Systems, nicht aber seiner Transformation. Die Folge: Du spielst das Spiel mit. Du identifizierst dich mit der ewig jungen, ewig fitten, dauerlächelnden Totaloptimiererin und mutierst zum Schaf. Einem Schaf, das glaubt, es kann nicht anders. Weil es ja für alles zuständig ist, inklusive Ackern und Shoppen, und nie Zeit hat. Aber Angst. Angst, nicht mitzukommen, zu versagen, aufzufallen, nicht anerkannt zu werden, ungeliebt zu sein. Schafe des dritten Jahrtausends sind gebeutelte Tiere. Anders als die Nurhausfrau,die in den 1950er- und 1960er-Jahren wenigstens noch in Ruhe rauchen und trinken konnte, müssen sie gleich in den nächsten Call.

Wer willst du sein? Wir alle sind Vieles und Verschiedenes. Mütter, Nichtmütter, Karrieristinnen, Antikapitalistinnen, Teilzeit- und Vollblutfeministinnen. Wir alle sehnen uns nicht nur nach Freiheit, sondern auch nach Liebe und Zugehörigkeit. Aber wir haben keine Zeit, und wir haben Angst. Angst, nie ganz richtig zu liegen. Denn immer müssen wir uns erklären. Deine Entscheidung, ausschließlich am Herd zu kleben, ist erklärungsbedürftig. Deine Entscheidung, nur am Computer zu kleben, auch. Deine Entscheidung, beides zu wollen, weil du es kannst, sollst und musst, ist es erst recht. Was du auch wählst, deine Wahl entsteht im Kontext eines Systems, das Fortschritt mit Profit gleichsetzt und Freiheit mit Autonomie. Dass Frauen unter Dauerbeobachtung stehen, dass man sie trotz gegenteiliger Behauptungen auf die dienende Position festnagelt, dass sie sich meist im Modus der Schnappatmung befinden und Gewissensbisse haben, weil sie arbeitende Mütter, alleinerziehende Mütter, nur Mütter oder gar keine Mütter sind – all das ist ein riesiger gesellschaftlicher Skandal.

Dieses Buch liefert dir zwanzig Überlebensstrategien für die Herausforderungen deines Hardcore-Alltags und ermutigt dich zur Verwirklichung deiner Träume. Bist du wütend? Wünschst du dir mehr Leichtigkeit? Hast du große Lust, dich endlich mehr selbst zu achten und zu lieben? Dann erlöse dich aus der zwanghaften Selbstüberwachung und öffne dich der Solidarität mit anderen – ich unterstütze dich dabei. Ich möchte dir zeigen, was geschieht, wenn du Hirn und Herz verbindest: Das Schwere wird plötzlich leicht. Du realisierst, dass du nicht allein bist. Du erlebst die Magie von Mut und Macht. Den Zauber des Feminismus.

Überlebensstrategie #1: Entschlüpfe dem Schafspelz

Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, das zu sein, was du wirklich bist. Sag der perfiden Allianz des ultramodernen 360-Grad-Perfektionismus mit der weiblichen Selbstaufopferung der Vergangenheit den Kampf an. Das Frauenbild 2022 ist genauso verlogen wie das gleißend blonde, dauerlächelnde, Marmelade einkochende Rollenideal der 1950er und 60er Jahre. Wenn du keine Lust mehr auf Lügen hast, wenn du frei sein willst, dein Leben so zu gestalten und zu verändern, dass es für alle gut wird, mach dir klar: Freiheit kann es nur jenseits der unkritischen Identifikation mit dem System geben – und nur miteinander, nicht gegeneinander. Gemeinsam mit Frauen, Männern und allen Geschlechtern, nie allein. Eine Emanzipation, die totaloptimierte Schafe am laufenden Band produziert, widerspricht sich selbst. Sie ist markt- und markenkonform, aber alles andere als »fortschrittlich«. Versuche Freiheit anders zu denken. Womöglich hat Freiheit gar nicht so viel mit Autonomie zu tun. Vielleicht meint Freisein eher »Freisein, um jemanden zu umarmen«, wie die Schriftstellerin Siri Hustvedt sagte. Was hältst du davon: Der tiefere Sinn von Freiheit ist Zugehörigkeit. Weil es ohne Zugehörigkeit keine positiv erlebte Freiheit geben kann. Das steht sogar schon bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel.

Damals, in meiner riesigen Altbauwohnung in Berlin-Kreuzberg, hatte ich mehr Glück als Verstand. Aus den glühend heißen Kohlen im Haushaltsmüll war ein Brand geworden, der schon das Starkstromkabel daneben erfasst hatte. Ich konnte die Flammen mit zwei Eimern Wasser löschen … gerade noch rechtzeitig. Meine kleine private Katastrophe war natürlich nichts gegen die Feuer, die die Welt heute in Atem halten – Wald- und Buschbrände; brandgefährliche Pandemien; nicht endende politische Brände. Unsere Gesellschaft ist nicht die beste und gerechteste. Aber seien wir ehrlich: Wir liegen nicht in Ketten. Wir können dieses System ändern. Die Flammen, die darin aufzüngeln, sind beherrschbar … wenn wir die Eimer gemeinsam mit Wasser füllen und niemand seinen Eimer mehr allein schleppen muss.

Ich wünsche dir viel Spaß mit diesem Buch. Wo du anfängst, ist egal. Kapitel für Kapitel wirst du erkennen, wer du bist und was du willst. Und noch viel besser verstehen, warum Selbstachtung und Selbstliebe entscheidend sind. Fang bei dir selbst an. Du bist Vieles. Also entschlüpfe dem Schafspelz.

Wenn der Mann mehr ist als die Frau, dann ist die Frau gleichfalls mehr als der Mann.

Marie Le Jars de Gournay (1565–1645)

#2 DIE ZENTRALE DER ZUSTÄNDIGKEITEN: BIN ICH NORMAL?

Man erkennt sie an ihrem zarten, vollautomatisierten Lächeln und der stets leicht angespannten Körpersprache. Es sind Lebewesen, die ständig unter Strom stehen. Um sechs, halb sieben klingelt der Wecker, und indem sie den Wecker ausschalten, knipsen sie sich selbst an. Ihr System fährt hoch, die Turbinen rotieren. Einmal eingeschaltet, gibt es kein Zurück mehr. Sie beginnen zu rennen. In alle Richtungen gleichzeitig. Moderne Frauen.

Jedes Kind weiß, dass sie alles können. Leisten und dulden, arbeiten und gebären. Ihre Flexibilität macht sie zu den perfekten Mitgliedern der Gesellschaft. Frauen sind Kraftwerke, die den Rest der Welt mit Energie versorgen. Es ist überaus angenehm, am Verteilernetz einer modernen Frau zu hängen. Man muss sich um nichts kümmern. Niemand möchte auf den Komfort verzichten, den diese Frau zu bieten imstande ist. Sie wäscht, kocht, putzt, tippt, schluckt alles. Weil sie es kann. Sie kann alles – wie du. Und weil du alles kannst, sollst, willst und musst du es auch. Auf der einen Seite willst und sollst du »hart« sein, Geld verdienen, dich ökonomisch verwirklichen. Auf der anderen »weich« sein, lieben, sorgen, pflegen. Du glaubst, dass du den permanenten Widerspruch zwischen »hart« und »weich« abfedern kannst. Du glaubst es, weil du es glauben willst, weil alle es tun, und Frauen sowieso alles können. Das ist nicht normal. Du fragst dich, ob du normal bist? Betrachte lieber die Welt, in der du lebst.

Im 18. und 19. Jahrhundert standen Rationalität und wirtschaftlicher Erfolg für die männliche Sphäre, Fürsorge und Abhängigkeit für die weibliche. Im 21. Jahrhundert sind beide Sphären gleich siamesischen Zwillingen miteinander verwachsen. Heute soll die Frau gefälligst in beiden Sphären durchstarten. Das perfekte Zwei-Sphären-Glück zart lächelnd als Normalfall ausgeben. Sie soll eine sogenannte Karriere verfolgen, heiraten, zwei Kinder kriegen, in Teilzeit weiterarbeiten, gut aussehen und voll glücklich sein. Wie fortschrittlich ist unsere Gesellschaft? Halb befinden wir uns im digitalen Zeitalter, halb stecken wir immer noch im Biedermeier fest, einer überaus scheinheiligen Epoche. Damals redete man von Frömmigkeit, hatte aber kein Problem mit der boomenden Straßenprostitution. Heute redet man von »Anstand« und zieht sich zwischen zwei veganen Joghurts sexistische Gratis-Pornos rein. So scheinheilig unser Verhältnis zur Tugendhaftigkeit, so scheinheilig die unausgesprochene Regel, dass Frauen lieb, treu und kuschelig sein und nebenbei tolle Gewinne erwirtschaften sollen. Während Männer noch tollere Gewinne einfahren dürfen, weil sie vom Verteilernetz der Frauen profitieren.

Um eines gleich klarzustellen: Dies ist kein Männerhassbuch. Männer sind wunderbare Geschöpfe. Die Männer selbst sind nicht schuld daran, dass die Sache mit der Gleichberechtigung ins Stocken geraten ist (nicht alle Männer jedenfalls ➞ #XY). Das Problem ist vielmehr die historisch überlieferte, asymmetrische Verteilung von Privilegien und Pflichten, die der männlichen Norm stets den Vorrang gibt. Sie ist es, die die sozialen Rollen von »Mann« und »Frau« im Alltag zementiert. Die amerikanische Philosophin Kate Manne zählt zu den weiblich kodierten, »dienenden« Pflichten Zuwendung, Bewunderung, Nachgiebigkeit, Sorge; männlich kodierte Privilegien bestehen darin, die Erfüllung dieser Pflichten einfordern zu können. Überall und jederzeit. Anders als in der Vergangenheit entbehrt diese Asymmetrie heute jeder rechtlichen Basis – setzt sich aber in Form verinnerlichter Stereotype und Vorurteile hartnäckig fort, in Familien, Organisationen, Unternehmen, in jeglicher sozialen Gruppe. So wird auf subtile Weise eine »Normalität« propagiert, welche die »Güte« und »Echtheit« einer Frau an der untergeordneten gesellschaftlichen Position festmacht, die sie gegenüber dem männlichen Geschlecht einnimmt. Untergeordnet, da passiv gebend, auf die Einflusssphäre des Häuslichen beschränkt.

Auf der einen Seite der autonome, rationale, wirtschaftlich und sexuell potente Mann, auf der anderen Seite die von ihm abhängige Frau: Dies gilt kurioserweise auch heute noch, in Zeiten des perfekten weiblichen Zwei-Sphären-Glücks. Dieses besagt, dass du einerseits den Haushalt wie ein Logistikunternehmen führen und andererseits im Büro die Herd-Nummer durchziehen sollst – dass du dein Glück findest, indem du auf angemessene Gehaltsforderungen und bezahlte Überstunden möglichst verzichtest, Kekse verteilst und die Entscheiderpositionen Männern überlässt. Wo immer du dich der Verwirklichung des Zwei-Sphären-Glücks verweigerst, indem du deiner »harten« Seite zu viel Aufmerksamkeit schenkst und folglich nicht achtsam, nicht lieb genug, nicht seelisch und ökonomisch abhängig genug bist, gilt dies – unausgesprochen natürlich – als Regelverstoß. Wer alles kann, muss auch nicht gegen die Regel verstoßen. Längst hat das Heimchen am Herd ein Upgrade erfahren. Man kriegt es nun überall in der beliebten Version Super Woman. Super Woman ist die neo-biedermeierliche weibliche Idealnorm – die Standardnorm. Wenn du Super Woman sein willst, kannst du nicht einfach nur »hart« sein. Du musst »hart« und »weich« zugleich sein. »Hart« heißt: professionell-kapitalistisch »hart«, aber so, dass es niemandem wehtut. »Weich« heißt: die anderen zart lächelnd und kostenlos mit Energie versorgen. Das perfekte locker-flockige Zwei-Sphären-Glück wird niemandem geschenkt. Wenn du es leben willst, musst du kämpfen. MOMENT. Wer sagt, dass du kämpfen musst? Du selbst. Genauer: deine Gedanken.

Die Gedanken von Super Woman gleichen einer nie versiegenden Flut schmutziger Wäsche, die gereinigt, gebügelt, verstaut werden will. Diese Last wird körbeweise über dem weiblichen Gehirn ausgekippt, täglich, stündlich, sekündlich. Kaum ist eine Wäscheladung erledigt, ist der nächste Korb voll, wird in die Trommel gestopft, rotiert im Schleudergang, bis die ganze Frau vibriert. Alles, wirklich alles wird verarbeitet. Nicht nur ihre eigenen Ziele, Wünsche, Pläne, sondern auch Vorhaben, für die eigentlich andere Leute zuständig sein sollten – wenn sie nur davon wüssten. Schon 2017 machte die französische Illustratorin Emma dieses merkwürdige Phänomen unter dem Begriff »Mental Load« weltberühmt. In einem sehr lustigen und sehr wütenden Comic zeigte sie, was es heißt, eine moderne Frau zu sein, Super Woman zu verkörpern, alles zu können und das perfekte Zwei-Sphären-Glück zu leben, ohne mit der Wimper zu zucken. Es heißt: ständig an alles zu denken. Wer alles kann, kann auch an alles denken. Wer alles kann, kann auch für andere mitdenken und sie sanft und in angemessenen Abständen, um ja nicht zu nerven, ans Mitdenken und Mittun zu erinnern. Wer alles kann, ist selbst schuld. Super Woman ist so super, dass an ihr alle Fäden zusammenlaufen müssen. Sie ist das Umspannwerk, das Versorgungsnetz, der Flagshipstore der Nation. Sie ist: dieZentrale der Zuständigkeiten. Der optimale, weil universell einsetzbare, kostengünstige, höchst flexible 24-Stunden-Support für Heim und Office. Die allseits beliebte Allzweckwaffe, deren »Systemrelevanz« zwar anerkannt – deren Wert aber immer noch kein entsprechender Preis zugemessen wird.

Super Woman macht endlos die mentale Wäsche für andere, weil allen klar ist, dass sie als »gute« und »echte« Frau die Pflicht dazu hat. Schließlich verfügt sie auch über die besten Kompetenzen. Niemand wird eine halb volle Bierflasche in den Ausguss schütten und in die Tonne mit dem Braunglas werfen, wenn es eine Zentrale der Zuständigkeiten gibt, die sich darum kümmert. Niemand wird seine Telefonate oder Hausaufgaben selbst erledigen, niemand wird sich um Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke für Kollegen, Freundinnen, Verwandte kümmern, niemand wird nachschauen, ob im Kühlschrank was fehlt, wenn es a priori über die Zentrale der Zuständigkeiten läuft. Niemand wird sich an irgendetwas erinnern, wenn die Zentrale der Zuständigkeiten schon daran gedacht hat. Alle finden es normal, dass es so ist. Super Woman ist super im Multitasking, also kann man ihr gleich noch ein paar Wäschekörbe mehr aufdrücken! Wenn du deine To-do-Listen ein halbes Jahr im Voraus erstellst und dich dann beklagst, du hättest so wenig Zeit für dich, bist du selbst schuld! Der Grund, warum du so heiß auf Yoga und Meditation bist, muss nichts mit deinem möglicherweise besonderen Sinn für Spiritualität zu tun haben. Er liegt zunächst einzig und allein darin, dass du verhindern willst, in den Wahnsinn abzugleiten. Während deine innere Wäschetrommel noch ein paar unerledigte Dinge mehr schleudert, willst du wenigstens so tun, als gelänge es dir, auf einer lächerlichen Synthetikmatte zur Ruhe zu kommen.

Dass das alles nicht normal ist, dämmert dir oft erst dann, wenn du von Super Woman zu Super Mom befördert wirst (➞ # 16). Plötzlich schnurrt das Zwei-Sphären-Glück auf die Größe eines selbst gebackenen Muffins zusammen. Plötzlich verwandelt sich der Partner, mit dem du bisher eine Beziehung »auf Augenhöhe« pflegtest, in einen Schmutzwäscheproduzenten, der dir körbeweise To-dos aufbürdet. Plötzlich blickt dich dieser Partner nicht mehr nur liebevoll an, sondern schaut immer öfter haarscharf an dir vorbei, hin zum sicherlich schon wieder prall gefüllten Kühlschrank. Er sieht, dass die top ausgebildete Super Mom anscheinend freiwillig dazu übergegangen ist, neben ihrem anspruchsvollen Brotjob alles zu organisieren, was in den Bereich der traditionellen weiblichen Pflichterfüllung fällt. Er weiß nicht, warum. Er nimmt es mehr oder weniger dankbar hin. Weil es ihm normal erscheint. Weil sie eben alles kann. Weil alle Frauen so sind. Er hat sein Soll erfüllt. Er war zwei Monate in Elternzeit, und jetzt muss er eben wieder Geld verdienen. Ihn trifft keine Schuld. Er kann sich nicht um alles kümmern. Ab und zu platzt dir der Kragen. »Kannst du nicht wenigstens einmal die Töpfe sauber machen, einmal dein halb leeres Bier in den Ausguss schütten!«, brüllt die Zentrale der Zuständigkeiten. Und er sagt achselzuckend: »Du hättest doch nur was zu sagen brauchen. Ich helfe doch gern, warum sagst du denn nichts?« Kannst du BITTE den Tisch decken? »Gleich. In fünf Minuten …«

Überlebensstrategie #2: Beweg dich ein bisschen neben der Spur

Du zweifelst. Du fragst dich, ob du normal bist. Ja, du kannst mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass du ziemlich normal bist. Nicht du bist unnormal, die Rolle und die Umstände, in denen du steckst, sind es. Alle Super Women/Super Moms/Super Girls haben das gleiche Problem. Zentralen der Zuständigkeiten können zu viel, denken zu viel, fühlen zu viel. Und das zwingt sie in den Kampfmodus. Sie kämpfen mit sich selbst, den Widersprüchen zwischen »hart« und »weich«. Sie kämpfen mit ihren eigenen Gedanken und Gefühlen, sie kämpfen mit den Wünschen, Zielen, Meinungen anderer. Darauf hast du keine Lust mehr? Dann hör auf damit. Es ist ganz leicht. Mach dir als Erstes klar, dass du von Scheinheiligkeit umgeben bist. In unserer hochmodernen kapitalistischen Gesellschaft ist es zwar verboten, Frauen zu vergewaltigen oder rechtlich zu diskriminieren. Dafür ist es aber erlaubt, ja sogar erwünscht, ihnen alles zuzutrauen, was dem Bild der »guten« und »echten« Frau entspricht. Frauen sind ja so lieb und schnell und flexibel und multitaskingfähig: All das sind nicht einfach nur positive Eigenschaften, das sind Positiv-Sexismen, die dazu dienen, die asymmetrische Verteilung von Pflichten und Privilegien aufrechtzuerhalten und dich in den Wahnsinn zu treiben. Mach dir außerdem klar, dass diese Positiv-Sexismen nicht nur in männlichen Gehirnen herumspuken, sondern perfiderweise auch in deinem eigenen. Dies ist immer dann der Fall, wenn du in Vorleistung gehst, weil du aus Erfahrung weißt, dass nur du und du allein die Dinge perfekt erledigen kannst. Eine »schlechte« Frau würdigt einen Couchtisch, den ihr Partner, ihr Kind, ihre Tante oder ihr Großcousin in chaotischem Zustand hinterlassen hat, keines müden Blickes. Eine »schlechte« Frau agiert wie ein Mann – sie geht erst mal Party machen. Wenn nach ihrer Rückkehr dasselbe Chaos herrscht, räumt sie einen, höchstens zwei Gegenstände weg. Super Woman hingegen ordnet alle Objekte auf dem Couchtisch in bestimmte Kategorien – »verderblich«, »recycelbar«, »muss ins Regal«, »muss in den Kleiderschrank« etc. – und überlegt sich für jede eine passende Effizienzstrategie. Während sie denkt und räumt, sieht sie auf dem Boden eine Socke liegen, die sie selbstverständlich aufhebt und in den Wäschekorb steckt, welcher mindestens so voll ist wie ihre mentale Wäschetrommel. Während sie Gedanken und Bedenken über ihre nächsten Schritte durchschleudert, fällt ihr ein, dass sie noch zur Apotheke muss und morgen einen wichtigen Kundentermin hat und auf dem Weg dorthin eigentlich noch die Anzüge aus der Reinigung holen könnte.

Wenn du keine Lust mehr hast, Super Woman zu verkörpern, musst du die Scheinheiligkeit der Positiv-Sexismen loswerden. (Was nicht heißt, dass du die weiblich kodierten Pflichten einfach an eine unterbezahlte Haushaltshilfe delegieren sollst – das würde die Scheinheiligkeit nur vergrößern.) Diese Scheinheiligkeit führt zu einer Art Blindheit. Sie hüllt dich in einen Schleier der Selbstgerechtigkeit. Denk an die Fabel von Gotthold Ephraim Lessing, in der ein blindes Huhn auf der Suche nach Essbarem fleißig das Erdreich aufpickt, während ein scharfsichtiges Huhn, das sich geschickt daneben platziert hat, ebenso fleißig die Körner aufpickt, die das andere ahnungslos freigelegt hat. Solange du dich im Zustand der Scheinheiligkeit befindest, geht es dir wie diesem blinden Huhn: Zwar findest auch du mal ein Korn, aber bevor du es aufpicken kannst, kaut immer schon ein anderer genüsslich drauf rum. Zwar kannst du dir dann was darauf einbilden, eine »gute« und »echte« Frau zu sein, aber was hast du davon? Was haben andere Frauen davon? Scheinheiligkeit ist Fake, so wie das perfekte Zwei-Sphären-Glück ein Marketinggag ist.

Das Leben ist kein Kampf. Das Leben ist ein Kunstwerk. »So wie Holz das Material des Zimmermanns ist, Bronze das des Bildhauers, so ist das Material der Lebenskunst das Leben jedes einzelnen«, schrieb der stoische Philosoph Epiktet. Du wirst nie fertig mit deinen To-do-Listen, weil dein Lebenskunstwerk nie fertig sein wird. Du meißelst weiter an ihm herum, bis du stirbst. Ist das nicht eine wunderbare Aussicht: nie fertig zu sein? Was würdest du denn tun, wenn du je mit allem fertig würdest, wenn irgendwann alles perfekt sein würde – Kreuzworträtsel lösen? Perfektion kann nicht der Sinn des Lebens sein. Die menschliche Existenz ist voller Paradoxien. Eine davon besteht darin, dass du ein wenig neben der Spur sein musst, um den Wahnsinn der Gesellschaft abzuschütteln. Die Wahrheit ist: Du kannst nicht alles, aber vieles. So viel, dass es ausreicht, dein Lebenskunstwerk mit weniger Scheinheiligkeit und mehr Leichtigkeit zu gestalten. Es ist alles eine Frage von Übung und Gewohnheit: Dies wussten schon die Stoiker. Je mehr du dir abgewöhnst, an alles zu denken und alles zu erledigen, desto weniger bist du dazu fähig. Du verlernst es. Du läufst neben der Spur. Wie schön! Nun kannst du deine frei gewordenen Kapazitäten darauf verwenden, dir andere, sinnvollere Gewohnheiten anzueignen. Allen voran die, andere offiziell mit den Aufgaben zu betrauen, für die sie eigentlich sowieso zuständig sein sollten. Du musst nur den Mund aufmachen und wirst nie wieder ein »Du hättest was sagen sollen!« kassieren. Es geht ganz leicht. Überlege dir, wer für welche Aufgaben am besten geeignet ist, und teile jedem die Zuständigkeit zu, die er bewältigen kann. Das gilt im Job genau wie in der Küche. Das Ergebnis wird magisch sein. Dein Partner, dein Kind, dein Kollege, deine Mama, dein Opa – niemand wird sich in deiner Umgebung mehr nutzlos und minderwertig fühlen und auf die Idee kommen, aus reiner Langeweile die von dir freigelegten Körner aufzupicken. Jeder wird genau das Gratifikationserlebnis kriegen, das er verdient. Und alle werden dich für deine quasi-göttliche Leichtigkeit bewundern, mit der du die neuen Regeln erfunden hast. Du wirst dich ein wenig neben der Spur bewegen und die anderen machen lassen, und sie werden dich dafür respektieren. Das ist Lebenskunst.

Du glaubst mir nicht? Wenn dir das Leichte so schwer fällt, besorge dir eine Barbiepuppe. Eine klassische Barbiepuppe mit langem blonden Haar und blauen Augen, wie sie Mädchen in den1980er-Jahren hatten. Schau dir die Puppe genau an, wann immer du vom Wahnsinn des Super-Woman-Daseins überrollt zu werden drohst. Schau dir an, was du siehst. Makellose Haut, die keinen Alterungsprozess kennt. Eine perfekt geformte Schulternackenpartie, die nie von Verspannungen betroffen sein wird. Ein zartes Dauerlächeln und ein Hirn voller Plastik. Was du siehst, ist die zur Perversion totaloptimierte weibliche Idealnorm. Es ist das, was du nie sein wirst. Gott sei Dank.

Frau, erwache! Die Stimme der Vernunft erschallt im ganzen Weltall; erkenne deine Rechte!

Olympe de Gouges (1748–1793)

#3 DIE GROSSE TAUBHEIT: WARUM HÖRT KEIN MANN MIR ZU?

»Ein Mann, ein Wort. Eine Frau, ein Wörterbuch.« Keine Redensart könnte hohler sein. Und doch erfreut sich das Klischee von der dauerquäkenden Frau und dem sein Wort mit Bedacht wählenden Mann großer Beliebtheit, gerade auch unter Forschern, die sich mit Geschlechtsunterschieden befassen. Ein typischer Fall scheint der britische Psychologe und Psychiater Simon Baron-Cohen zu sein. Dass Mädchen lieber quasselnd mit Puppen und Kuscheltieren spielen und Jungs sich eher still für Autos, Fußball und Computer interessieren, begründet er mit dem fundamentalen Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Gehirnen. »Die grundlegende Verschaltung des idealtypisch weiblichen Gehirns begünstigt empathische Analysen, während im männlichen Gehirn die Netzwerke für das Verstehen und Bauen von Systemen die Fundamente bilden«, so Baron-Cohen. Wow. So einfach ist das also. Du greifst dir ans empathische Hirn: Jetzt kapierst du nicht nur, warum das Wort des Mannes so ein Gewicht hat, sondern auch, warum Männer dir nicht zuhören! Sie können es nicht. Während du tratschst, haben sie Wichtigeres zu tun. Sie müssen erst mal das System ihres Lenkrads oder Smartphones knacken. Wozu? Damit sie es kontrollieren können. Männer, so Baron-Cohen, seien tendenziell autistisch veranlagt: Wie Menschen mit Asperger-Syndrom müssen sie ihre Umwelt kontrollieren, wie diese können sie Beziehungen nur zu ihren Bedingungen führen.

Jetzt ist alles klar. Wenn Super Woman ihrem Schatz als Entschädigung für seinen anspruchsvollen Job ein tolles Nudelgericht bereitet (obwohl sie selbst einen ziemlich anstrengenden Tag hatte) und nebenbei brandneue, hochspannende Informationen zur sozialpolitischen Lage im Libanon übermittelt, kann er selbstverständlich nicht zuhören. Als hochsensibles autistisches Wesen muss er seine Ohren schonen. Bevor er an einer derart anstrengenden Konversation aktiv teilnehmen kann, muss er erst mal seine Stimmbänder ölen. »Haben wir eigentlich noch Bier im Kühlschrank?« – »Du hörst mir nicht zu!« Kann er ja auch gar nicht. Er hat längst seine innere Fernbedienung betätigt und sie auf stumm geschaltet. Nicht aus Desinteresse natürlich, aus reinem Selbstschutz.

»Neurotrash« nennt die Neurowissenschaftlerin Gina Rippon Baron-Cohens Thesen. Ihrer Meinung nach fußen »essenzialistische« Annahmen wie die von weiblicher Empathie und männlichem Autismus auf einer unzulässigen Absolutsetzung kleinster statistischer Unterschiede. So tragen sie dazu bei, stereotype Rollenbilder immer weiter fortzuschreiben, nach dem Motto: Es ist das Gehirn, Dummkopf! Männer können nicht zuhören, Frauen nicht einparken. Da kann man nichts machen. Das Blöde ist nur: Solange zu viele Leute an stereotypen Klischees kleben, scheint es tatsächlich so, als könnte man da nichts machen. Allen voran durch die Verbreitung der These, es gebe jeweils genau zwei Rollenmodelle, ein Mensch zu sein. Was nichts anderes ist als eine Pseudowahrheit. Ein sogenanntes falsches Dilemma.

Baron-Cohen war natürlich nicht der erste, der die unterschiedliche Beschaffenheit männlicher und weiblicher Hirne hervorkehrte. Im 19. Jahrhundert diente die These von der rationalen Minderbegabung des von Natur aus kleinformatigen weiblichen Gehirns dazu, Menschen in Röcken von Bildungsinstitutionen, Wahlurnen und Kabinetten fernzuhalten. Logos – also »verständliche Rede« und »logisches Urteil« – wurde allein Männern zuerkannt. Frauen dagegen galten als emotional und »hysterisch«, abgeleitet vom griechischen Wort hystéra für Gebärmutter. Hysterie (➞ #7) war per Definition ein Frauenleiden. Die hysterische Frau war unzurechnungsfähig. Also musste der Mann ihr alle wichtigen Entscheidungen abnehmen und sie belehren.

Wie hartnäckig sich Fake News vom überlegenen männlichen logos halten, kannst du täglich erleben. Wenn du den Beziehungsstatus eurer Bekannten analysierst oder über eine feministische Autorin redest, die du gerade entdeckt hast, dann verbucht dein Partner dies höchstwahrscheinlich unter »Frauenthemen«, für die ein mittleres Aufmerksamkeitslevel mehr als ausreichend ist. Fängst du aber an, in sein Terrain einzudringen – und sei es nur verbal –, nimmt seine Schwerhörigkeit noch ganz andere Züge an. Dies ist meist dann der Fall, wenn du ihn kritisierst – aus guten Gründen, die er aber natürlich nicht als solche gelten lassen kann. Schließlich ist er (gemäß tradiertem Vorurteil) der Einzige, der über logos verfügt. Wartest du mit sechs triftigen Argumenten auf, die erklären, warum er sein nasses Handtuch nicht zerknüllt auf dem Parkettboden liegen lassen soll, schaltet er auf Durchzug. Anstatt zuzuhören und einsichtig das Handtuch aufzuklauben, zaubert er ein einziges, ziemlich fadenscheiniges Gegenargument aus dem Hut. Objektiv betrachtet ist völlig klar, wer recht hat. Leider sind recht haben und recht kriegen zwei grundverschiedene Dinge, vor allem, wenn die asymmetrische Verteilung von Pflichten und Privilegien (➞ #2) auf dem Spiel steht. Da kein Mann freiwillig auf das Privileg, umhegt und bedient zu werden, verzichten und weiterhin Handtuch Handtuch sein lassen möchte, reitet er mit großer Geste wie ein Cowboy auf seinem einen Pseudoargument herum. Gibst du ihm erneut ein wohlverdientes sachliches Kontra, springt er zu einem anderen Thema, das rein gar nichts mit Handtüchern zu tun hat, aber beweisen soll, dass du unrecht hast. Bist du so eindeutig im Recht, dass er es partout nicht mehr überhören kann, stellt er schnell eine imaginäre Expertenrunde zusammen: »Mic, Hans und Jens finden auch, dass du in letzter Zeit ziemlich angespannt bist.« Dieses sogenannte Argument ad verecundiam, mit dem er sich auf die scheinbare Autorität Dritter beruft, ist natürlich auch wieder nur ein dreistes Pseudoargument. In den meisten Fällen genügt es aber, um dich dahin zu bringen, wo er dich jetzt, in diesem Moment haben will. Denn spätestens zu diesem Zeitpunkt verliert Super Woman die Fassung und reagiert emotional. Hysterisch. Und er freut sich wie ein Kleinkind, das die perfekte Sandburg zerstört hat.

Solche privaten Episoden sind harmlos gegen die große männliche Taubheit, auf die wir regelmäßig stoßen, wenn wir die eigenen vier Wände verlassen und öffentlich reden, im Job, auf der Straße, im Restaurant, auf Twitter – überall dort, wo man es offenbar nicht von uns erwartet, dann geht der Spaß erst richtig los. Die britische Historikerin Mary Beard nennt es das »Miss-Triggs-Problem« – nach einem Cartoon, der die sexistische Atmosphäre einer Konferenz parodiert. Fünf Männer und eine Frau sitzen gemeinsam am Tisch, und Miss Triggs hat gerade geredet: »Das ist ein hervorragender Vorschlag, Miss Triggs«, sagt einer der Anzugträger. »Vielleicht möchte einer der Herren ihn vorbringen.« Beard macht eine jahrtausendalte Kulturgeschichte dafür verantwortlich, dass unsere Stimmen auch heute zu oft ungehört verhallen. Schon bei Homer war die »autoritative öffentliche Rede« (griech. muthos) nicht anders als männlich zu denken. Frauen durften quäken, quasseln, tratschen – aber bitte nur daheim. Im alten Rom verglich man Frauen, die in der Öffentlichkeit ihre Stimme erhoben, mit muhenden oder blökenden Tieren. Jungs wurden zu Männern, indem sie lernten, Frauen zu »silencen«. Wer lernte, die weibliche Rede zu kontrollieren, war auf dem besten Weg zur »Männlichkeit« – so Mary Beard. Männliche Macht war wesentlich öffentliche Redemacht – und so ist es bis heute. Frauen, die in Büromeetings, in der Politik, der Wirtschaft oder Wissenschaft nicht nur reden, sondern auch gehört werden, mitreden und mitentscheiden wollen, werden großflächig ignoriert. Klar, du kannst deine »harte« Seite hervorkehren und dir in Körpersprachetrainings männliche Posen aneignen – trotzdem wirst du selten richtig ernst genommen, als wirklich glaubwürdig eingestuft. Denn du besitzt weder logos noch muthos, die männliche Norm verbietet es dir. Wenn doch, überhört man dich, plappert deine Worte und Ideen nach und verpasst ihnen ein männliches »Copyright«. Das ist und bleibt das »Miss-Triggs-Problem«. Redemacht ist und bleibt männlich. Wo immer sie doch weiblich daherkommt, trägt sie eine vermännlichende Uniform (Angela Merkel) und hat meist die sechzig (Christine Lagarde) oder achtzig (Nancy Pelosi) überschritten. Aber was ist mit Greta Thunberg? Greta ist (noch?) ein historischer Ausnahmefall. Wohl, weil sie gar nicht erst als »Frau« wahrgenommen wird, sondern als autistische Superintelligenz. Und Kamala Harris, die erste – schwarze – Vizepräsidentin der USA, die neue Bundestagspräsidentin Bärbel Bas oder Außenministerin Annalena Baerbock? Beginnt mit Frauen wie ihnen ein neuer Abschnitt in der Geschichte der (Rede-)Macht? Hoffen wir es. Die Zeit wird es zeigen.

Doch nun zu einer anderen wichtigen »Ausnahme«: Tatsächlich war es weiblichen Personen immer schon »erlaubt« gewesen, ihren Mund aufzumachen, wenn es darum ging, öffentlich »ihren Opferstatus zur Schau zu stellen«, wie Beard schreibt. Dies lässt sich hervorragend an der #MeToo-Debatte illustrieren – einem »Frauenthema« par excellence. Betrachtet man #MeToo unter historischen Gesichtspunkten, bestätigte diese Debatte nur die Regel. 2017 markierte eine gesellschaftliche Zäsur. Endlich glaubte man sexuell missbrauchten Frauen (➞