Die Zukunft ist schön - Dirk Bernemann - E-Book

Die Zukunft ist schön E-Book

Dirk Bernemann

4,7

Beschreibung

Ein Mann schläft durch unglückliche Umstände 113 Jahre lang und erwacht in einer Zukunft, die aus heutiger Sicht, wie das Paradies erscheint. Wie haben die Menschen das gemacht fragt sich der Protagonist und begibt sich auf eine Suche zurück durch unsere Zukunft. Dirk Bernemanns erster politischer Zukunftsroman. Dirk Bernemann denkt an die Zukunft. Aber nicht im Sinne von Bausparer und Lebensversicherungsabsolve nt. Nein, eher hat er das große Ganze im Visier. Deswegen hat er eine Utopie geschrieben. Die Welt in 113 Jahren. Und wissen Sie was? Nein? Diese Welt ist wunderbar. Der Autor von "Ich hab die Unschuld kotzen sehen" und diversen anderen popliterarischen Machenschaften legt mit "Die Zukunft ist schön" eine Sozialstudie hin, die die bestmögliche aller Welten beschreibt. Und wissen Sie noch was? Schon wieder Nein? Diese Welt ist verdammt nochmal möglich …

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Dirk Bernemann denkt an die Zukunft. Aber nicht im Sinne von Bausparer und Lebensversicherungsabsolvent. Nein, eher hat er das große Ganze im Visier. Deswegen hat er eine Utopie geschrieben. Die Welt in 113 Jahren. Und wissen Sie was? Nein? Diese Welt ist wunderbar. Der Autor von »Ich hab die Unschuld kotzen sehen« und diversen anderen popliterarischen Machenschaften legt mit »Die Zukunft ist schön« eine Sozialstudie hin, die die bestmögliche aller Welten beschreibt. Und wissen Sie noch was? Schon wieder Nein? Diese Welt ist verdammt nochmal möglich …

©opyright 2014 by Autor

Umschlaggestaltung: [D] Ligi design + development

Lektorat: Miriam Spies

Satz und Konvertierung: Fred Uhde (www.buch-satz-illustration.de)

ISBN: 978-3-942920-36-0

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist

nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet.

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[email protected]

Mehr Infos jederzeit im Web unter www.unsichtbar-verlag.de

Unsichtbar Verlag | Wellenburger Str. 1 | 86420 Diedorf

Anbei: ein neuer Lebensentwurf für alle. Auch für Sie. Und für Sie. Das ist jetzt schon eine Offensive, ein Angriff auf mein eigens ausgedachtes und gut integriertes Dasein in friedlicher Koexistenz mit allen, denken jetzt welche, ich kann mein Leben selbst entwerfen, du zu Unrecht arroganter Unterhonk. Also lass mich damit in Ruhe und nerv anderswo und vor allem anderswen. So schallte es schon im Vorfeld aus den Gesichtern, als ich nur den Titel und die Ahnung eines Hauches der Idee für dieses Buch hatte.

Andere hielten ja schon den Titel für eine Provokation. Das Leben ist nicht schön, sagten sie. Warum nicht?, fragte ich zurück. Ja, guck doch, sagten sie und zeigen in ihr Gesicht, wo viel zu oft Tränen und viel zu schnell Streßfalten und zuweilen auch totale Leere spazieren gingen. Ja, eben, sagte ich, deswegen mach ich das doch. Und dann noch: Vielleicht kann ich Ihnen beweisen, dass es Sie noch gibt.

Manche werden sich wahrscheinlich mit Absicht langweilen, weil sie nicht bereit sind, Dinge aufzugeben, durch die nicht in der nächsten Sekunde sofort eine positive Veränderung eintritt. Die Geduld hat sich minimalisiert. Im Internet weiß doch auch jeder sofort nach einer Sekunde oder einem Click, dass ich auf der richtigen Seite stehe. Das muss alles schnell passieren, denken sie und beeilen sich dann selbst aber nicht. Wir sind Leute geworden, die beim Arbeiten frieren und beim Essen schwitzen und wundern uns nicht mal darüber. Andere werden sich einfach so langweilen, weil sie von allem gelangweilt sind, es gibt ja sogar Leute, die von ihrer eigenen Freiheit gelangweilt sind, habe ich mir sagen lassen. Wieder andere werden sich einfach mal freuen, dass ich auch ein Buch in einer ganz einfachen Sprache und ohne Ironieverstärker schreiben kann. Und die nächsten werden sich langweilen, weil sie sich ständig langweilen. Sie wachen nur kurz auf, wenn irgendwo was explodiert und beschweren sich über den Lärm und über die Leichenteile auf dem Gehweg. Auch für die ist dieses Buch.

Außerdem ist dieses Buch für alle Pressatmer, Liegen­ge­bliebenen, Weitermachunfähigen, Ausgebrannten, Mussjas, Vielzufrührentner, Kaputten, Fertigen und Menschen im Versuchslabor ihrer eigenen Zwänge. Und ja, natürlich auch für Sie, die Sie, jetzt diese Zeilen hier lesen und vielleicht noch irgendwo ein paar Gramm Hoffnung im Herzen tragen. Klingt pathetisch, ist es auch, aber ohne funktioniert Literatur nicht.

Lassen Sie dies hier wirken, gerne auch länger als 113 Jahre …

Vielleicht schaffen wir es ja ein bisschen den Beton aufzubrechen, der uns alle umgibt. Die Wahrscheinlichkeit der Veränderung hängt von uns selbst ab. And things won’t change if we won’t change things …

Und der Witz daran ist, dass das alles weit davon entfernt ist ein Scherz zu sein …

Dirk Bernemann, Herbst 2013

»… my dear utopia,

Why don’t you do it just for me

Or for the grace of history …«

Phillip Boa – Utopia

eute ist der 15. Oktober 2126. Ein entspannter Herbsttag in einer mehr als besseren Welt. Ohnehin sind gerade viele Tage entspannt. Draußen raschelt das Laub, was schnell erahnen lässt, dass es noch Bäume gibt. Eine gute Sache. Eine Welt, in der es Bäume hat, ist erst mal augenscheinlich in einem ökologischen Gleichgewicht. Wer jetzt von Anfang an auf eine Zombieapokalypse oder einen Atomkrieg spekuliert hat, dem muss ich sofort den Wind aus den Segeln nehmen. Es ist alles viel schöner.

Die Umstände, die mich zu dieser Erkenntnis geführt haben, will ich Ihnen erläutern. Aber alles der Reihe nach. Die Reihenfolge ist immer wichtig. Kein Mensch will eine Revolution, bevor er nicht durch den erschreckend dichten Urwald des Unrechts gelaufen ist. Da muss man also erst ein paar Schritte laufen um zu erkennen, dass in diesem Wald nur die Vögel von den Bäumen in die Geschichts­bücher der unten Laufenden kacken und ansonsten nichts passiert. Ich war einer dieser kackenden Vögel. Ich hatte einen schönen Baum. Ich habe auch von diesem dichten Urwald des Unrechts nie etwas mitbekommen, weil mein Vogelnest einfach mal eines der luxuriösesten überhaupt war. Aber von oben runter scheißen, das konnte ich in der Tat sehr gut.

Ich wurde 1975 geboren und wenn ich Ihnen, liebe Leser, das so erzähle, wähnen Sie sich eventuell schon in den Gefilden eines fiktionalen Romans oder im Hirn eines zeitlich nicht orientierten, da eventuell stark verwirrten Erzählers. Aber es ist wahr, es ist kein komisches Versehen und auch keine willkürlich erdachte Unwahrheit. Nein. Mein Name ist Frank Faust und es gibt mich wirklich. Ich bin weder Roboter, noch Alien, noch entspringe ich der Phantasie eines drogenumnachteten Autors. Ich bin ein echter Mensch, Frank Faust, 38 Jahre alt, etwas jünger aussehend, von stabiler Gesundheit und bei klarem Verstand. Ein weißer Mitteleuropäer, in einem allgemein akzeptierten optisch angenehmen Pflegezustand. Und über Verstand lässt sich ja immer streiten, aber ich fühle mich imstande, diese Welt hier einzuschätzen.

Wenn ich Ihnen also jetzt mit auf den Weg durch diesen Text gebe, dass ich ein Mann von 38 Jahren bin, werden Sie erst recht in Frage stellen, dass es sich hierbei um eine wahrheitsgemäße Erzählung handelt. Ich beabsichtige nicht, jemanden zu täuschen, es soll nur eine Vorbereitung auf das sein, was den Leser ein paar Seiten später noch erwarten wird. Ich will aber vorab diese Diskussion verkürzen, weil ich ja weiß, wann ich geboren bin. Ein wenig Vorschußvertrauen würde ich mir wünschen, so wie man einem Restaurant vertraut, in das man erstmals geht. Man liest die Speisekarte, findet ein oder drei Gerichte passabel und setzt sich an den Tisch und wartet auf eine freundliche Bedienung. So könnten Sie auch hier verfahren. Setzen Sie sich an den Tisch, bestellen Sie einen Drink und harren Sie des Hauptmenüs. Sie werden überrascht sein.

Gegenwärtig befinden wir uns, wie ich gerade schon erwähnte, im Jahr 2126. Und der Wind weht jetzt wie einst. Es hat nie aufgehört mit diesem Wind. Aber der Wind war nie ein Gefühl, sondern immer nur Wind. Wenn ich jetzt hier über Wind rede, dann meine ich auch den Wind der Veränderung, der damals schon durch Häuserschluchten bließ, aber nie wirklich zu einem Orkan wurde, sondern immer nur die frische Brise des Widerstands war, die hier und da ein wenig die angebliche Normalität des Verlaufs der Dinge unterstrich. Es reicht eben nicht, wenn irgend­jemand vom Wind of Change singt. Man muss diesen Wind auch wahrnehmen. Aber das habe ich zu lange selbst nicht getan.

Wie wir ja alle in den weiterführenden Schulen gelernt haben, gab es am Anfang des 21. Jahrhunderts nicht so ein ausgereiftes, zivilisatorisches System wie heute, alles sah so aus, als wäre es in einer Entwicklung begriffen. Letztendlich war da aber nur Stagnation mit leichter Abwärtstendenz. Sozialabbau, hohe Arbeitslosenquote, Finanzkrise und seltsame Machenschaften, die versuchten, das bestehende System zu retten. Man spürte ein wenig den Unmut über sogenannte soziale Ungerechtigkeit, aber die Kinderschritte in Richtung Gerechtigkeitsherstellung waren ein langsam vor sich hin gärender Prozeß. Es gab damals diese ungute Einteilung in Reiche und Arme, Gebildete und Ungebildete. Das hatte sich im Laufe der Vorjahre so entwickelt, weil der Mensch immer mehr in seine Passivität abglitt und passieren ließ, was für wenige gut und für die meisten ungerecht war. Und das war auch so gewollt, dass man dies unterscheiden konnte. Es war so eine Art gesellschaftliche Orientierung. Es gab die, die es geschafft hatten, die, die im Begriff waren, irgendwas zu schaffen und die, die es niemals schaffen würden, aus welchen Gründen auch immer. Schaffe, schaffe, Kapitalismus erhalte …

Ich war reich und gebildet und hatte dadurch erhebliche gesellschaftliche Privilegien und alle Umstände, die äußeres zu innerem Glück machen konnten, trafen sich um mich. Ich lebte im Luxus und in meinem Leben ging es lediglich darum, das schöne Leben ständig zu verfeinern, den puren Genuss noch purer zu gestalten und mein Vergnügen vor Verpflichtungen zu stellen. Meinen kompletten Reichtum aber verdankte ich der Arbeit anderer und leistete dafür nicht die geringste Gegenleistung. Meine Großeltern und Eltern lebten ebenso und ich hoffte auch, dass meine Kinder auf diese Weise würden leben können.

Man fragt sich jetzt natürlich: Wie konnte ich leben, ohne dieser Welt irgendetwas zu geben, beispielsweise Lohn­arbeit? Was sind das für Menschen, die einen dekadenten, reichen Sack wie mich durchfüttern? Wie kann eine Gesell­schaft das zulassen? Ich konnte ja arbeiten, aber ich tat es einfach nicht, weil die Notwendigkeit nicht bestand. Es lag ja Vermögen auf den Konten. Ein beruhigendes, im Aufwärtstrend begriffenes, sich selbst wertsteigerndes Kapital­monster lag gähnend da und fraß sich fett an seiner ausbeutbaren Umwelt.

Also es ist so, dass mein Urgroßvater durch die glück­liche Fügung ein erfolgreiches Industrieunternehmen zu leiten, ein Vermögen erwirtschaftet hat, welches er meinem Großvater vererbte, der es wiederum vergrößerte und es meinem Vater zur Verfügung stellte, der dementsprechend mich begünstigte, die Vorzüge des Eigenkapitals in vollem Umfang zu genießen. Nun, um welche Industrie es geht, ist eigentlich egal, aber ich bin dankbar für diese Wurzeln. Mein familiär bedingter Reichtum ist natürlich totaler Zufall, aber wer würde sich dafür schämen?

Aufgrund von Zinsentwicklung war das Vermögen auf meinem Konto trotz drei Generationen nahezuer Untätigkeit angestiegen. Es funktionierte einfach so, mein Geld hatte keinen Arbeitsvertrag, aber es schuftete bei verschiedenen Banken, in verschiedenen Fonds und vermehrte sich wie Pilze im Feuchtmillieu. Es passierte einfach so und ich schwelgte schamlos in der luxuriösesten aller lebensmöglichen Possibilitäten. Und Schamlosigkeit war mein ständiger Begleiter. Wenn man so unglaublich, unglaublich, unglaublich viel Geld hat, also viel mehr, als man in einem Leben ausgeben kann, dann kommt die Schamlosigkeit von ganz allein. Fühlte sich aber gut an, diese Schamlosigkeit. Man hat zwar versucht, durch vermeintliche Regulation des Zinssystems, sozialpolitische Gerechtigkeitsideen oder härtere Besteuerung von sogenannten Superreichen das Kapital­wachstum von Leuten wie mir etwas zu bremsen, aber es waren nur halbherzige Versuche, denn auch die Politiker waren ja immer schon Günstlinge der Reichen. All diese Versuche konnten dem Leben, das ich führte, nichts anhaben. Ich fühlte mich sicher, denn was sollte schon passieren? Eine Revolution? Geldentwertung? Ich rechnete damit, dass es bis zum Ende meiner Tage so weitergehen würde, inklusive Schamlosigkeit. Dieses Leben war eine Party und ich war verdammt noch mal sowas von eingeladen.

Geld allein macht doch nicht glücklich, sagten die verbitterten Sozialneider und solche kleinen Lügen stabilisierten das System und die Tatsache, dass meine Klasse weiterhin von und vor allem über einer anderen leben konnte. Wir waren die wahren Parasiten, unsere Saugrüssel tief in der Arbeit der anderen verankert und allein von der Tatsache, dass man sich trotz Nullleistung alles leisten konnte, strahlte pures Glück ab. Aus meinem Reichtum wuchs eine scheinbar begründete Sorglosigkeit heran, denn zu viele Menschen hier im Land hatten ein Interesse am Fortbestehen dieses Systems, welches meinen Reichtum erst möglich machte. Und den meisten anderen war es schlichtweg egal. Sie kamen irgendwie durch und fügten sich in ihr Schicksal. Diese Akzeptanz dieser Verhältnisse strahlte auf mich eine ungemeine Gelassenheit ab.

Dinge zu besitzen, die so sinnlos sind, dass man sie nur mit viel Geld kaufen konnte, so etwas gehörte zu meinen Hobbies. Mein Leben wurde durch mein Geld derart beschleunigt, dass ich fast imstande war mit Geld die Zeit außer Kraft zu setzen. Schnelle Autos, schnelle Boote, schnelle Flugzeuge, in jeder Lebenslage konnte man das Leben beschleunigen, um schneller zu dem Punkt zu kommen, den wir doch alle haben wollten: Qualität. Lebensqualität. Zurückgelehnt im Sessel des Wohlstandes, konnte mich kaum etwas bedrohen. Und unbedrohbar zu sein, sich nicht um die Aufrechterhaltung seiner Existenz kümmern zu müssen, das machte mir die Tage geil.

Um Ihnen einen Eindruck des damaligen Aufbaus des menschlichen Zusammenlebens zu geben, würde ich gern die Metapher eines Hochhauses wählen. Architekt dieses Kunstwerkes des baulichen Zusammenlebens war der französiche Stararchitekt Gier Hunger. In diesem Haus gab es drei Zonen, die diesem Gebäude erst die notwendige Festigkeit und Beständigkeit gaben. Oben wohnten jene meines Standes, sorgenfreie Habeviels, die in riesigen Apartments mit extrem hohen Decken lebten. Eine wunderbare, wenngleich auch fiese Idee von Gier Hunger: etwas sehen und es doch nicht erreichen können. Nach oben war also noch Platz vorhanden, dachte der, der schon ganz oben lebte. Der Mittelteil des Hauses war ebenso geräumig, nur hatten dort mehr Menschen Platz zu finden, in kleineren Parzellen, die Decken niedriger, die Preise tendenziell steigend und die Leute natürlich unruhiger. Glücklicherweise konzentrierte sich viel ihrer Unruhe auf das, was da noch unter ihnen in unrenoviertern, teilweise nicht einmal möblierten und manchmal sogar ohne Heizung ausgestatteten Kellerräumen hauste. Diese hatte Gier Hunger als absichtlich freudlose Einzimmerapartments konzipiert. Fenster­lose, graue und frustrierende Bleiben, die kaum den Namen Wohnung verdienten, aber welche zu sein hatten, denn der Bedarf an diesen Kellerlöchern stieg täglich. Da das Mietsystem in der willkürlichen Hand der oben Lebenden lag, war es häufig so, dass Leute aus den Mittelgeschossen ausgesiedelt wurden, weil sie einfach nicht mehr zahlen konnten und so gezwungen waren, in die Untergeschosse umzusiedeln. Dort angekommen gab es kaum noch ein Darunter, es existierte zwar noch ein Draußen, aber das ist dann absolute gesellschaftliche Outgesourctheit.

Wenn man die Mittelgeschosse genauer betrachtet, waren gerade sie es, die dem ganzen System Halt und Stabilität gaben. Nach oben zu gelangen gab es zwar den Wunsch, kaum aber die Möglichkeiten. Nach unten wollte man nicht, weil jedweder Abstieg zu Lebensqualitätsverlust führen konnte und so arrangierte man sich irgendwann in dieser Zwischenzone der wundersamen Gleichgültigkeit. Und wenn jemand von ganz unten oder gar von draußen kam und im Mittelgeschoss einen Haufen oder Erbrochenes ließ, wurde das von den Angehörigen der Mittelschicht schnellstmöglich entfernt, denn mit diesem Dreck wollte man nichts zu tun haben. So kam es also, dass oben Lebende niemals mit dem Gestank der unten Existierenden konfrontiert wurden und so ihren Frohsinn weiterhin ungebremst zelebrieren konnten. Die Mitte wollte also die Mitte bleiben, wurde aber von den Obergeschossigen gern mal als Spielball von Mietwillkür nach unten gesendet, wo sich dann ein lustloser, frustrierter Haufen Irgendwasse absonderte, betäubt von Fernsehprogramm und Fertigpizza, unfähig, die Stufen nach oben zu gelangen und auch nicht mehr mit dem nötigen Mut und der notwendigen Disziplin ausgestattet, nach oben wirksam Beschwerde einzulegen. Gier Hunger hatte ganze Arbeit geleistet, das Konzept des stabilen Wohnens ging in der Tat mehr als auf. Auf Dauer aber würde das Mittelgeschoss frei werden, ganz langsam zwar, aber immerhin spürbar. Man würde vielleicht Beton in die Wohnungen gießen, um die Stabilität zu gewährleisten, witzelten wir, zählten Geld und freuten uns des Obenseins.

Man fragt sich natürlich noch, weil man ja Mensch war und ist und die Menschlichkeit ein im Allgemeinen nicht unterschreitbares Wertesystem: Hatten die oben kein Mitleid mit denen da unten? War es ihnen egal, dass Menschen in kleinen Wohnkäfigen hausten, während man selbst mit 100 Leuten in der Bude immer noch Platz hatte, spontan eine portable Kegelbahn zu installieren? Wenn es so etwas gibt? Wenn nicht war auch genug Geld vorhanden, um so etwas in Auftrag zu geben. Haben also alle nur an sich selbst gedacht und nicht den Umstand berücksichtigt, dass der einzige Unterschied zwischen ihren Lebensverhält­nissen häufig nur Glück und Unglück waren? Tatsächlich gab es häufig Mitleidsbekundungen von obenwohnenden Entscheidern, gerade in Zeiten der sogenannten Finanz­krise, die die ökonomische Welt im Jahre 2013 ja schon seit ein paar Jahren im Würgegriff hatte. In diesem Zuge wurde Hoffnung aufbereitet, mehr soziale Gerechtigkeit in Aussicht gestellt, eine Welle der humanistischen Fairness wurde medial ausgesendet, um etwas Beruhigung zu schaffen. Jedoch blieb es immer bei der Beruhigung, nie kam es zu Handlungen, die den Abstand der mittlerweile weit aufgespannten Scherenschenkel zwischen arm und reich ein wenig verringert hätten. Es war zweifellos, dass die Verhältnisse so stabil bleiben würden.

Alle gemachten Aussagen konzentrierten sich übrigens überwiegend auf die Mittelschicht, denn die war ja für die Stabilität verantwortlich. Man sagte der Mittelschicht beispielsweise, das Haus sei einfach zu voll und man solle die Kellerräume auch noch nutzen, um gewöhnlichen Lebensraum zu erhalten. Lasst uns die Standards weiter nach unten schrauben, damit auch alle im Haus Platz haben, so suggerierte man. So wurde der Mittelschicht ein künstliches, asoziales Feindbild anerzogen, das diese gern annahm und den Frust, nicht nach oben gelangen zu können, mit einer aggressiven Verachtung gegen das unter ihnen liegende kompensierte, weil es einem Lebensraum, Hygiene und Frohmut nahm. Diese mediale Erziehungspolitik ging auf. Die Mittelschicht schaute nach oben und trat nach unten. So wurde der Frieden innerhalb der obenliegenden Wohnungen gewährleistet. Durch beständiges Hinnehmen des medial Dargelegten und angeblicher Alter­nativlosigkeit war dieses System, das jedem Menschen des 21. Jahrhunderts als unglaubliche Ungerechtigkeit vorkommen muss, so stabil geraten. Außerdem wurde ständig die vermeintliche Erwartbarkeit von Aufstieg in die Mittel­schicht gepumpt, was diese noch unkritischer agieren ließ. So entstand aber auch die Gleichgültigkeit der Oberen wie ich einer war, dass es zwischen uns und den Unteren einfach einen Unterschied geben musste und es entwickelte sich dieses unausgesprochene Einverständnis, dass die Umstände so zu sein haben, auch wenn sie von beiden Seiten betrachtet ungerecht waren. Das System war aus Beton, niemand war imstande, etwas dagegen auszurichten.

Im Jahre 2013 wurde ich 38 Jahre alt und war immer noch unverheiratet, allerdings mit dem Model / der Schauspielerin / Sängerin / Fotografin / Moderatorin Ines Illsen verlobt. Sie lebte genau wie ich in finanzieller Unabhängigkeit und schlillerndem Luxus. Im kapitalistischen Zeitalter genügte es für ein Mädchen reich zu sein, um von einem unübersichtlichen Schwarm Verehrer heimgesucht zu werden. Ines war so jemand. Gern machte sie durch modische Experimente öffentlich auf sich aufmerksam und löste so Trend um Trend aus. Als Beispiel wäre hier nur ein weder gut riechendes noch extrem lange haltbares Kleid aus spanischem Ziegenkäse zu nennen oder auch wunderbar gefertigter Handgelenkschmuck aus den eingelegten Augen einer seltenen schwedischen Albino-Hamsterart. Ästhetik konnte sie immer gut. Sie fand es ohnehin schön, sich mit Tieren zu bekleiden. Ihre Pelzmantelsammlung hat garantiert ganze Familien­bestände von Nutrias und Chinchillas auf dem Gewissen. Wo immer sich ein Säugetier mit kurzen und dichtstehenden Haaren zu einem Kleidungsstück verarbeiten ließ, war die Welt für meine Ines in Ordnung.

Ines und ich waren dabei uns eine Villa am Stadtrand errichten zu lassen, in direkter Umgebung anderer unglaublich netter Superreicher. Wir erwarben ein riesiges Grundstück und der Bau begann. Allerlei Annehmlichkeiten ließen wir integrieren, beispielsweise einen Swimmingpool mit echtem Meerwasser und eine riesige Küche, in der wir vorhatten, Gastköche aus aller Herren Länder zu beschäftigen, die unseren Hunger in ihrer jeweils charakteristischen Art stillen würden. Unser Ideenreichtum fand kein Ende, aber noch war es nicht so weit, noch war dieses Haus nicht bezugsfertig. Und wir hatten vor zu heiraten, sobald diese Villa fertiggestellt sein würde.

Aber der Tag unserer konkreten Umsetzung der Hochzeitspläne verschob sich und zwar aus dem Grund, weil durch viele Streiks im Handwerk der Bau unserer Villa in Verzug geriet. Poolbauer, Elektriker, Maurer und Holzarbeiter, sie alle waren an der Fertigstellung unseres Hauses beteiligt und da sich diese Streiks wiederholten, als Ausdruck der Unzufriedenheit, wurde das bauliche Vorankommen unseres Wohnhauses immer zögerlicher. Und das schlimme war, hier hatte auch mein Geld keine Chance, die Menschen anzutreiben, ich hatte es mit einer Horde Idealisten zu tun, die scheinbar einem höheren Zweck dienten. Mehr Lohn für alle oder sowas in der Art. In den Jahren zuvor wurden diese Streiks stets durch Besänftigungstaktiken von Arbeitgebern und dem allmählichen Ermüden der Gewerkschaften immer irgendwie entproblematisiert. In diesem Fall aber eskalierte die Arbeiterunruhe in einem Maß, dass es gruselig brutal wurde. Die Unzufriedenheit auf den Baustellen des Landes wuchs und gedieh, befeuert von dem einhelligen Wunsch nach höheren Löhnen, kürzeren Arbeitszeiten, verbesserten Lebensumständen und kultivierteren Sozialleistungen. Alle schienen sie das große WOHIN zu kennen, aber das nötige WIE, um sich auf den Weg zu machen, fehlte der unzufriedenen Bewegung, die zu dem Zeitpunkt eher noch einer Erstarrung in Wut, denn einer richtigen Bewegung in eine gewollte gemeinsame Richtung glich. Es war lustig anzusehen, wie man sich da unten stritt, unlustig aber war es, dass an unserer Baustelle nicht mehr weitergearbeitet wurde.

Die Solidarität der Streikenden untereinander war ungebrochen und ihre einzige nutzbare Waffe war eben jener Streik. Wir als obere und auch teilweise arbeitgebende Klasse spekulierten mit zweierlei Gründen, warum die Hoffnungen der Arbeiter zum Scheitern verurteilt sein mussten. Der erste war geprägt von dem Bewusstsein, es würde in der Natur der Dinge liegen, dass es einfach nur ein begrenztes Maß an verteilbaren Dingen und Geldern gäbe und die vorherrschenden Mechanismen in ihrer Begrenztheit einfach außerstande seien, jeden gleichmäßig zu bedenken. Die anderen hatten einfach nur Angst vor der Umkehrung des Systems, welches sie ja mit zu verantworten hatten und die Angst ging so tief, dass es nicht vorstellbar war, wie die Welt nach einer Abwendung vom Kapitalismus auszusehen imstande war. Negative Reizwörter wie Kommunismus oder Sozialismus waren für viele altbackenes Vokabular und bezeichneten Systeme, die bereits in der Vergangenheit als menschenunmöglich und unglücksverursachend galten. Man vermutete, die Welt würde zweifellos in unartikulierbares Chaos stürzen, sobald sich die Zügel der kapitalistischen Herrschaft lockern würden. Wenn der Arbeiter mit seinem anerzogenen Bildungsnotstand erst einmal relevante Entscheidungen treffen darf, ist ohnehin alles verloren, munkelte man. Und man munkelte viel in diesen Tagen.

Man witterte Anarchie, sie lag in der Luft, war atembar für jeden, der sich um politische Umstände sorgte und natür­lich teilte ich ein wenig die Angst meiner superreichen Freunde, Opfer der Umwälzung der sozialen Umstände zu werden. Eigentlich aber wähnten wir uns in Sicherheit, aber die Zeiten waren unüberschaubar. Die Situation verschlimmerte sich natürlich durch meine private Sorge, dass die Arbeiterunzufriedenheit meinem ehelichen Glück und unserer erträumten Villa im Weg stünde. Diese Emotion gab der ganzen Angelegenheit meinerseits eine sehr persönliche Schärfe.

Es lag also Veränderung in der Luft, aber auch die Gewissheit, dass es nie so schlimm für uns werden würde. Niemand würde uns enteignen, wir waren doch die rechtmäßigen Eigentümer dieser Welt. Dessen war ich mir sehr sicher.

»Die süßesten Früchte fressen nur die großen Tiere

Nur weil die Bäume hoch sind und diese Tiere groß sind

Die süßesten Früchte schmecken Dir und mir genauso

Nur weil wir beide klein sind, erreichen wir sie nie …«

Peter Alexander & Leila Negra – Die süßesten Früchte

er erste Mai 2013 fiel auf einen Mittwoch und war bei uns ein Feiertag. Es war ein klarer Frühlingstag mit gut riechender Luft und kräftigem Sonnenschein. Ein Elitewetter. Ironischerweise nannten einige Leute diesen Tag »Tag der Arbeit«, aber Menschen wie ich, die damals nur Freizeit von anderer Freizeit zu trennen hatten, blieben von derlei Bezeichnungen ungerührt. Dieser Tag war aber auch jedes Jahr ein Tag der traditionsreichen Arbeiteraufstände, zumindest der versuchten. Eigentlich aber trafen sich die Massen zu träge machenden Saufgelagen auf öffentlichen Plätzen, anstatt wirklich an etwas Revolutionärem zu arbeiten. Die meisten genossen einfach einen Tag Freizeit. Irgendwie war ja ohnehin die ganze Protestkultur zu einem leeren Ritual geworden, über das man in meiner Position nur ermüdet gähnen konnte. Das tat ich auch. Ich gähnte ermüdet.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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