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Disziplinierung durch Methode E-Book

Lisa Kressin

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Beschreibung

Selbst- und Fremdbeschreibungen der Soziologie sind stark von der symbolischen Differenzierung entlang kultureller Grenzen geprägt. Als Wissenskultur zwischen den »harten« Natur- und den »weichen« Geisteswissenschaften muss sie interdisziplinäre Anschlussfähigkeit und zugleich Distinktion vermitteln. Um der Gesellschaft die Gesellschaft zu erklären, muss sie verständlich sein und doch die spezifische Sprache der Wissenschaft nutzen. Lisa Kressin zeichnet die Bedeutung der Methodenlehre im Soziologiestudium für die Reproduktion dieser Spannungen nach und weist ihr eine Schlüsselrolle in der Etablierung der kulturellen Einheit und Differenz dieser wissenschaftlichen Disziplin zu.

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Seitenzahl: 713

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Lisa Kressin, geb. 1989, ist wissenschaftliche Referentin für Open Science und Forschungsinfrastrukturen in der Geschäftsstelle der Leibniz-Gemeinschaft. Vor ihrem Wechsel in das Wissenschaftsmanagement hat die Soziologin Wissenschaftskulturen beforscht. Sie promovierte an der Universität Luzern und war Fellow im Wikimedia-Programm »Freies Wissen«.

Lisa Kressin

Disziplinierung durch Methode

Zur Bedeutung der Methodenlehre für das Fach Soziologie

Die Open-Access-Ausgabe wird publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.

Die vorliegende Arbeit wurde 2021 vom Soziologischen Seminar der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern als Dissertation angenommen.

Gutachter:innen: Prof. Sophie Mützel, PhD (Universität Luzern) und Prof. Dr. Martin Reinhart (Humboldt Universität zu Berlin)

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz (BY). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell. (Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.

Erschienen 2022 im transcript Verlag, Bielefeld

© Lisa Kressin

Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld

Korrektorat: Robert Kreusch, lektoratgeber.de

Print-ISBN 978-3-8376-6327-3

PDF-ISBN 978-3-8394-6327-7

EPUB-ISBN 978-3-7328-6327-3

https://doi.org/10.14361/9783839463277

Buchreihen-ISSN: 2703-1543

Buchreihen-eISSN: 2703-1551

Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

 

Abbildungen

Tabellen

1.EinleitungDer sinnhafte Aufbau der Soziologie

1.1Von der Wissenschafts- zur Lehrgestalt

1.2Beitrag der Arbeit

1.3Kapitelübersicht

Theorie

2.Kultur wissenschaftlich betrachtet

2.1Öffentliche und persönliche Kultur

2.2Deklarative und non-deklarative Modi von Kultur

2.3Elemente kulturellen Wissens

2.3.1Verkörpertes Wissen

2.3.2Kognitives und symbolisches Wissen

2.3.3Materialisiertes Wissen

2.4Gestaltung von Enkulturationsprozessen

2.4.1Rekontextualisierung von Kultur

2.4.2Gestaltungsprinzipien der Lehre

2.4.3Zusammenfassung

3.Wissenschaft kulturell betrachtet

3.1Wissenschaftliche Kulturen

3.1.1Disziplinäre Kultur

3.1.2Wissenskulturen

3.2Methode, die Wissen schafft

3.2.1Differenz von Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft

3.2.2Ausdifferenzierung der Wissenschaft

3.2.3Ausdifferenzierung der Soziologie

3.2.4Zusammenfassung

Gegenstand

4.Soziologien lehren

4.1Lehrgestalt der Soziologie

4.1.1Die Moral disziplinärer Lehrgestalt

4.1.2Die Prinzipien der Lehrgestalt

4.1.3Einheit durch Einheit

4.1.4Einheit durch Vielfalt

4.1.5Die materielle Dimension des Minimums

4.1.6Collective Matters as Individual Concerns

4.2Soziologie im Einband

4.2.1Disziplinäre Klassifikation des Multikulturalismus

4.2.2Disziplinäre Rahmung des Multikulturalismus: Symbolik der Einheit

4.2.3Disziplinäre Rahmung des Multikulturalismus: Praxis der Einheit

4.2.4Standardisierung persönlicher Kultur

4.3Soziologien lehren

5.Methode und Disziplin

5.1Wissenschaftliche Methodenlehre

5.1.1Die Herausforderung der Methodenlehre

5.2Soziologische Methodenlehre

5.2.1Soziologie als Erfahrungswissenschaft

5.2.2De-Kontextualisierung von Methodenwissen

5.2.3Re-Kontextualisierung von Methodenwissen

5.3Methode und Disziplin in der Lehre

Empirie

6.Methodenkapitel

6.1Methodologischer Standpunkt

6.2Diskursiver Zugang zu Kultur

6.2.1Legitimation des Interviews

6.2.2Datenerhebung

6.2.3Qualitative Rekonstruktion kultureller Muster

6.3Materieller Zugang zu Kultur

6.3.1Datenerhebung

6.3.2Quantitative Rekonstruktion kultureller Muster

7.Wenn Soziolog:innen Soziologie deuten

7.1Die Basistypik: Soziologie

7.2Soziologie studieren, Soziologie lehren

7.3Differenz von Disziplin und Methoden/Einheit der Wissenschaft

7.3.1Methoden als (disziplin-)neutrale Instrumente

7.3.2Methodenrollen

7.4Einheit von Disziplin und Methode/Ausdifferenzierung der Wissenschaft

7.4.1Die Methodenautorität der Soziologie

7.4.2Einheit in der Praxis

8.Wenn Soziolog:innen andere deuten, die Soziologie deuten

8.1Die Soziologie der Studierenden

8.1.1Soziologiestudierende

8.1.2Methodenstudierende

8.2Die Soziologie der Studienstruktur

8.2.1Abfolge kultureller Aneignung

8.2.2Der Modus kultureller Aneignung

8.3Die Soziologie anderer Soziolog:innen

8.3.1Ein Modul, zwei Kulturen

9.Soziologie gemeinsam deutenUmgang mit Deutungsdifferenzen

9.1Typik der Schließung: Anspruch auf Deutungshoheit

9.1.1Standardisierung der Studierenden

9.1.2Standardisierung des Studienverlaufs

9.1.3Standardisierung der Lehre

9.2Typik der Öffnung

9.2.1Individualisierung des Studienverlaufs

9.2.2Individualisierung der Lehre

10.Soziologie verschieden deuten Reproduktion methodologischer Differenz

10.1 Soziologische Methoden binär deuten und lehren

10.1.1Undoing Quali

10.1.2Doing Quali-Quanti

10.1.3Undoing Quali-Quanti

10.1.4Undoing Quanti

10.1.5Rekontextualisierung des Verhältnisses methodologischer Kulturen

10.2Die Lehrkultur methodologischer Kulturen

10.2.1Kulturspezifische Zitationspraktiken in der Lehre

10.2.2Klassifikation und Framing durch Lehrliteratur

10.3Rekontextualisierung rekontextualisiert

11.Sociologist in the makingIm Dreischritt zur empirischen Soziologie

11.1Einheit durch Einheit, zweiter Teil

11.2Einheit durch Vielfalt, zweiter Teil

11.3Offene Fragen einer gewordenen Soziologin

A. Anhang

A.1 Studienstandorte

A.2 Leitfaden Methodenlehrende

A.3 Leitfaden Methodenlehrbuch

A.4 Situational Map der Methodenlehre

A.5 Kodeliste mit Kodierregeln

A.6 Netzwerk Methodenbiografie

A.7 Anschreiben Interviews

A.8 Anschreiben Syllabi

A.9 Kodierung der Methodenmodule gemäß den methodologischen Kulturen

Literatur

Abbildungen

 

Abbildung 1: »Branching Diagram Depicting the Distinction between Declarative Culture, Nondeclarative Culture, and Public Culture«

Abbildung 2: Schematische Darstellung der Konzepte kultureller Elemente

Abbildung 3: Schematische Darstellung der drei relevanten Kulturen

Abbildung 4: Rekontextualisierung von Wissen zu Wissen’

Abbildung 5: Schematische Gewichtung der Gestaltungsprinzipien der Lehre

Abbildung 6: Systematisierung der Binarität soziologischer Ausdifferenzierung

Abbildung 7: Ordnung des soziologischen Diskurses zur disziplinären Lehre

Abbildung 8: Klassifikation von »Veranstaltungsarten«

Abbildung 9: »Schematische Darstellung des Curriculums«

Abbildung 10: Systematisierung literatur- und theoriebasierter Thesen

Abbildung 11: Ausschnitt Situational Map der Methodenlehre, Teil 1

Abbildung 12: Ausschnitt Situational Map der Methodenlehre, Teil 2

Abbildung 13: Schematischer Ablauf des Forschungsprozesses

Abbildung 14: Ausschnitt Beispielsyllabus

Abbildung 15: Modell eines bipartiten Netzwerkes

Abbildung 16: Typik der Soziologie und ihres Methodenverhältnisses

Abbildung 17: Einordnung des Differenzschemas in die Systematik der Typiken

Abbildung 18: Einordnung des Einheitsschemas in die Systematik der Typiken

Abbildung 19: Typik der Deutungskonflikte

Abbildung 20: Typik des Umgangs mit Deutungskonflikten

Abbildung 21: Fraktionierung methodologischer Kulturen

Abbildung 22: Rekontextualisierung methodologischer Kulturen im Rahmen soziologischer Methodenlehre

Abbildung 23: Syllabinetzwerk mit Communitymitgliedschaft

Abbildung 24: Veranstaltungskategorien pro Community

Abbildung 25: Klassifikation des Verhältnisses methodologischer Kulturen

Abbildung 26: 2. Stufe: Rekontextualisierung des Verhältnisses methodologischer Kulturen

Abbildung 27: Zusammensetzung der Genres in der Lehre qualitativer Methoden

Abbildung 28: Zusammensetzung der Genres in der Statistiklehre

Abbildung 29: Zusammensetzung der Genres in der allgemeinen Methodeneinführung

Abbildung 30: 3. Stufe: Die Rekontextualisierung der methodologischen Kultur

Abbildung 31: Der dreistufige Prozess der Rekontextualisierung des soziologischen Methodenwissens

Abbildung 32: Ausschnitt der Situational Map der Methodenlehre, Teil 3

Abbildung 33: Ausschnitt der Situational Map der Methodenlehre, Teil 4

Tabellen

 

Tabelle 1: Auswahlkriterien der Interviews

Tabelle 2: Auszug bipartite Matrix

Tabelle 3: Auszug transponierte Matrix Nr. 1: Ko-zitierte Referenzen

Tabelle 4: Auszug transponierte Matrix Nr. 2: Bibliografisch gekoppelte Syllabi

Tabelle 5: Communityattribute

Tabelle 6: Attribute der Literaturnetzwerke pro Community

Tabelle 7: Die fünf meistzitierten Quellen der Community 1

Tabelle 8: Die fünf meistzitierten Quellen der Community 2

Tabelle 9: Die fünf meistzitierten Quellen der Community 3

1.EinleitungDer sinnhafte Aufbau der Soziologie

 

Die vorliegende Arbeit beansprucht die Dokumentation der erfolgreichen Enkulturation ihrer Autorin in die wissenschaftliche Disziplin der Soziologie. Sie entspricht nicht allein einem Produkt wissenschaftlich-soziologischer Erkenntnisproduktion, sondern dient formal auch dem Nachweis jener Qualifikationen, die die Autorin, mich, als Soziologin ausweisen. Mit der Aneignung dieser Qualifikationen ist die Aneignung soziologischer Kultur erfolgt, welche neben der hier dokumentierten Forschungspraxis beispielsweise auch die Konventionen ihrer diskursiven Aufarbeitung beinhaltet. Dabei entspricht diese Qualifikationsarbeit nicht allein einem Produkt der Enkulturation einer Soziologiedoktorandin und damit der kulturellen Reproduktion ihrer Disziplin, sondern macht diese Prozesse zugleich zu ihrem zentralen Gegenstand. So fragt meine Dissertation mit empirischem Fokus auf das universitäre Studium nach dem Verhältnis der Wissenschafts- und Lehrgestalt der Soziologie und damit nach dem Verhältnis einer disziplinären Kultur zu ihrer Lehrkultur.

1.1Von der Wissenschafts- zur Lehrgestalt

Denn als Historiker und Soziologen wissen wir nur allzu gut, daß die Anfangskonstellation einer Wissenschaft deren spätere Gestalt prägt, daß besonders die Lehrgestalt auf die Wissenschaftsgestalt zurückzuwirken pflegt. (Mannheim, 1932, S. 3)

Dass die Wissenschaftsgestalt der Soziologie vielfältig, in zum Teil widersprüchliche Paradigmen ausdifferenziert ist, wissen Soziolog:innen »nur allzu gut«. Sie wissen dies auf Grund des »Reflexivitätsbedürfnisses« (Poferl und Keller, 2016, S. 14) wissenssoziologischer Analyse oder auf Grund der erfahrenen Mitgliedschaft in einer Profession, die sich seit ihrer Entstehung auch im Konflikt um die Legitimität ihrer Multiparadigmatik befindet. Zuletzt resultierte dieser Konflikt im Jahr 2017 in der Gründung einer zweiten Organisation mit Fachvertreteranspruch, der Akademie für Soziologie (AS), die neben die seit knapp 100 Jahren bestehende Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) trat.

Dabei gilt die Disziplin innerhalb der Wissenschaftssoziologie nach wie vor als die zentrale Organisationsform wissenschaftlichen Wissens, um an Universitäten Studierende in die Wissenschaft und auch in die Soziologie zu sozialisieren. So hat auch die Soziologie, wie alle wissenschaftlichen Disziplinen, für das universitäre Studium jene Wissensbestände zu bestimmen, die eben nicht nur die Differenzen im Maximum, sondern auch die Einheit im Minimum repräsentieren. Wenn sich nun jedoch die kulturelle Vielfalt unter der disziplinären Bezeichnung Soziologie nicht einig ist hinsichtlich der Bewertung der Legitimität ihrer Vielfalt, stellt sich die Frage, mit welcher Lehrgestalt eine derartige Wissenschaftsgestalt korrespondiert. Aus welcher Lehrgestalt geht sie hervor, welche Lehrgestalt ist ihr Resultat und vor allem: Welche Mechanismen vermitteln zwischen Wissenschafts- und Lehrgestalt? Diese nach wie vor offenen Fragen nach der kulturellen Reproduktion der Soziologie im universitären Studium stehen im Zentrum der vorliegenden Arbeit.

Dabei hat die Soziologie als »dritte Kultur« zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften besondere Grenz- und Identitätsarbeit in Forschung und Lehre zu leisten. Diese Grenzarbeit weist sie zum einen als Wissenschaft im Allgemeinen und zum anderen als Disziplin im Spezifischen aus. Besondere Bedeutung für diese Grenzarbeit weise ich in meiner Arbeit der soziologischen Methodenlehre zu, die die Soziologie als empirische Wissenschaft und zugleich als Disziplin mit diversen methodologischen Kulturen ausweist. Vermittelnd zwischen der allgemeingültigen Norm der »gegenstandsangemessenen« Wahl von Methoden aus der Breite des methodischen Repertoires der Disziplin und der gleichzeitigen Ausdifferenzierung dieses Repertoires in methodologische Kulturen erbringt die Methodenlehre des Soziologiestudiums, so meine These, eine zentrale Leistung für die Disziplin und ihren Nachwuchs: die Integration kultureller Vielfalt über das Grenzobjekt Methode und damit die Disziplinierung durch Methode.

Der Fokus meiner Arbeit liegt also auf den Mechanismen kultureller Reproduktion, die im Rahmen institutionalisierter Enkulturationskontexte, wie dem universitären Studium, relevant werden. Konkret möchte ich das Phänomen der soziologischen Methodenlehre, ihre Bedingungen und kulturbezogenen Mechanismen aus der Perspektive der Lehrenden verstehen.

1.2Beitrag der Arbeit

Meine Arbeit steht also in jener kultur- und wissenssoziologischen Tradition, die sich mit einem weiten Verständnis von Kultur als gruppenspezifische Symbolsysteme und Praktiken, welche Gruppenmitglieder zur Herstellung und Aufrechterhaltung von Sinn befähigen, der Wissenschaft nähert und diese entsprechend als Kulturphänomen definiert. Dabei fokussiere ich jedoch nicht auf wissenschaftliche Forschung, sondern auf die wissenschaftliche bzw. disziplinäre Lehre an Universitäten. Diese vermittelt nicht nur kulturelles Wissen und organisiert die Reproduktion (sub-)disziplinärer Kultur über die Enkulturation ihrer Neumitglieder. Ergänzend definiere ich auch das disziplinäre Lehrwissen als spezifisches kulturelles Wissen. Entsprechend stelle und beantworte ich die Frage nach der Existenz einer disziplinären, konkret soziologischen Lehrkultur.

Die Soziologie bietet sich insbesondere auf Grund ihrer Ausdifferenzierung in vielfältige, zum Teil widersprüchliche Wissenskulturen an, da diese besondere Ansprüche an die Lehrenden stellen, die neben der Enkulturation in und Reproduktion von der Einheit von Disziplin und Wissenschaft auch die ihrer Differenz – trotz kultureller Inkonsistenzen – zu ermöglichen haben. Der empirische Fokus liegt also auf jenen, die innerhalb dieser Enkulturations- und Reproduktionsprozesse neben der zu reproduzierenden (sub-)disziplinären Kultur auch das Wissen um dessen Vermittlung vertreten: auf den Lehrenden im Bereich der Methodenlehre im Soziologiestudium.

Dabei macht meine Arbeit nicht nur ein empirisch fundiertes Angebot soziologischer Reflexion ihrer eigenen Verfasstheit in Forschung und Lehre, sondern leistet einen genuin soziologischen Beitrag zur Hochschul- und Wissenschaftssoziologie als auch zur Soziologie der Soziologie.

Die Kernleistung meiner Arbeit liegt in der systematischen Erarbeitung eines Modells wissenschaftlich-disziplinärer Lehrkultur. Dabei definiere ich Lehrkultur als das implizite und explizite Wissen der Lehrenden über die Mechanismen kultureller Reproduktion, die in der disziplinären Lehre wirksam werden. Zum einen teilen die Lehrenden Erfahrungen, Deutungen und Erwartungen an die Bedingungen der jeweiligen Lehrsituationen, zum anderen begreife ich ihre persönlichen Kulturen und Biografien zugleich als Bedingungen dieser Situationen, die entsprechend zu Variationen in der Lehrkultur bzw. in den -kulturen führen können. An das Eingangszitat Mannheims anschließend bietet ich in dieser Arbeit mit dem Modell der Lehrkultur eine Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschafts- und Lehrgestalt. Theoretisch begreife ich diesen Prozess des Bedeutungswandels von der gelebten zur gelehrten Soziologie als Rekontextualisierung und rekonstruiere empirisch mithilfe qualitativer und quantitativer Textanalyse von leitfadengestützten Interviews, Syllabi und Studiendokumenten die Bedeutungsstrukturen des Rekontextualisierungswissens bzw. der Lehrkultur, die die kulturelle Vielfalt der Soziologie in ihre Lehrform überführt. So spezifiziere ich das allgemeine Modell wissenschaftlich-disziplinärer Lehrkultur hin zum dreistufigen Modell der Rekontextualisierung soziologischen Methodenwissens.

AllgemeineLehrkultur

Da das Verständnis der Lehrkultur ein Verständnis ihrer Bedingungen, das heißt der repräsentierten und repräsentierenden Kultur, voraussetzt, leiste ich empirisch fundiert auch einen Beitrag zum besseren Verständnis der Disziplin der Soziologie in ihrer Selbst- und Fremdbeschreibung, insbesondere hinsichtlich ihres Verhältnisses zum Wissensbestand der Methoden und dessen Leistung für die disziplinäre Identitätsarbeit inner- wie außerhalb der Lehre. So rekonstruiere ich anhand der Analyse leitfadengestützter Interviews mit Methodenlehrenden zwei Deutungsschemas als Ausprägungen einer Typik des Disziplin-Methoden-Verhältnisses: das Einheits- und das Differenzschema. Je nach Schema werden Methoden entweder zu allgemeinen Garanten von Wissenschaftlichkeit ungeachtet disziplinärer Eigenheiten oder zum spezifischen Ausweis eines disziplinären Eigenwertes ungeachtet ihrer wissenschaftlichen Integrationsleistung. Sie leisten also zugleich die Integration als auch Ausdifferenzierung der Disziplin innerhalb der Wissenschaft. Diese Deutungsschemas ordnen nicht nur, wie Soziolog:innen über Soziologie und soziologische Praxis in Forschung und Lehre reden, sondern auch die Strukturen des Studiums, beispielsweise in Form von Lehrveranstaltungen oder auch -rollen. Dabei ergeben sich aus der Gleichzeitigkeit beider widersprüchlicher Schemas Deutungskonflikte innerhalb der Lehre.

Mit der Typik der Deutungskonflikte biete ich einen weiteren Baustein zum Verständnis der Lehrkultur soziologischer Methodenlehre. Diese Typik schließt unmittelbar an die vorhergehende zum Verhältnis von Disziplin und Methode an. Die Konflikte ergeben sich aus den Widersprüchen der Schemas und ihren Träger:innen. Empirisch fundiert differenziere ich wiederum drei Konfliktquellen aus, die sich den Lehrenden stellen: die Studierenden und ihre Erwartungen an das Soziologiestudium, die Studienstrukturen und andere Soziolog:innen. Alle drei repräsentieren oder aktivieren situativ verschiedene Deutungsschemas von Soziologie und Methode, die zum einen miteinander, aber eben vor allem auch mit der jeweiligen Deutung der Lehrperson im Konflikt stehen können. Ein wichtiger Bestandteil der Lehrkultur ist dabei nicht allein das Wissen um Deutungskonflikte, sondern auch das Wissen um den Umgang mit diesen. In diesem Sinne erarbeite ich auch die Typik des Umganges mit Deutungskonflikten, die zweigeteilt zum einen die Öffnung, zum anderen die Schließung von Deutungsspielräumen durch die Lehrenden vorsieht. Mit der jeweils gewählten Strategie durch Lehrende oder auch materialisiert in den Studienstrukturen werden die Studierenden unterschiedlich stark in die Aushandlung dessen, was Soziologie im Allgemeinen und soziologisches Methodenwissen im Spezifischen ist, einbezogen. Entsprechend variiert mit den Umgangsweisen auch das Maß der Ausdifferenzierung der soziologischen Kultur im Studium.

SpezifischeLehrkultur

Diese drei Typiken entsprechen in meinem Modell der Rekontextualisierung soziologischen Methodenwissens drei Dimensionen der im Prinzip allgemeinen Lehrkultur und damit der ersten Stufe des Modells. Auf der zweiten und dritte Stufe differenziert sich diese Lehrkultur jedoch zunehmend aus im Hinblick auf die implizierte Bewertung und Darstellung des Verhältnisses methodologischer Kulturen der Soziologie (zweite Stufe) und im Hinblick auf Lehrkulturen, die spezifischen methodologischen Kulturen entsprechen (dritte Stufe).

Mit den Typiken der Rekontextualisierung des Verhältnisses methodologischer Kulturen systematisiere ich die empirisch beobachtete Repräsentation des Verhältnisses qualitativer und quantitativer Kulturen in der Lehre, manifestiert in den Studienstrukturen oder repräsentiert in den persönlichen Kulturen der Lehrenden. Auf dieser zweiten Stufe des Modells steht nicht mehr wie zuvor die Positionierung der Soziologie innerhalb der Wissenschaft im Zentrum, sondern die Ausdifferenzierung der Soziologie und die Bewertung dieser Ausdifferenzierung – insbesondere hinsichtlich ihrer methodologischen Ausdifferenzierung. So kommen in den rekonstruierten vier Typiken nicht nur die Unterschiede in der relativen Ordnung qualitativer und quantitativer Methoden zum Ausdruck, sondern auch die bereits eingangs erwähnte Ausdifferenzierung in der Bewertung der Ausdifferenzierung. So wird innerhalb der Lehre die methodologische Kultur der Soziologie mal im Singular, mal im Plural dargestellt; mal als Einheit, mal als Differenz.

Auf der dritten und letzten Stufe des Modells steht die Rekontextualisierung einer spezifisch methodologischen Kultur im Zentrum. Hierfür leiste ich den empirischen Nachweis methodologisch ausdifferenzierter Lehrkulturen im Sinne voneinander unterscheidbarer Konventionen und Praktiken der Repräsentation methodischen Wissens innerhalb der Lehre. Empirische Grundlage dieser Analyse sind Syllabi von Methodenlehrveranstaltungen. Der Fokus meiner Analyse der lehrkulturellen Unterschiede liegt auf den Bibliografien der Syllabi und entsprechend auf unterschiedlichen Zitationspraktiken in der Methodenlehre.

1.3Kapitelübersicht

Die systematische Erarbeitung des Modells der Rekontextualisierung soziologischen Methodenwissens erfolgt im Weiteren entlang folgender Ordnung: In Kapitel 2 stelle ich mit der kultursoziologischen Perspektive den theoretischen Rahmen dieser Arbeit vor. Hierbei differenziere ich den Kulturbegriff in eine öffentliche und persönliche Kultur aus und unterscheide letztere in einen deklarativen und non-deklarativen Modus. Zudem führe ich Kernkonzepte dieser Arbeit ein. Anschließend erfolgt der Übergang zum Prozess der Vermittlung und Aneignung von Kultur: die Rekontextualisierung. Hierbei unterscheide ich meine Beobachtung von Kultur erstmalig in eine repräsentierte, repräsentierende und eine Lehrkultur. In Kapitel 3 folgt die Zuspitzung der kultursoziologischen Perspektive auf die Wissenschaft, ihre Disziplinen und Wissenskulturen. Hierfür stelle ich verschiedene Konzepte sozio-kultureller Einheiten der Wissenschaft vor, die sich primär hinsichtlich ihrer Deutung von Wissenschaft als deklaratives oder praktisches Wissen unterscheiden. Im Zentrum stehen das Konzept Disziplin, welches vor allem zur Rahmung von Wissenschaft als deklarativer Wissensbestand verwendet wird, und das Konzept der Wissenskulturen, welches Wissenschaft primär als praktisches Wissen deutet. Im Anschluss wende ich mich dem wohl wichtigsten Kulturobjekt der Wissenschaft zu: der Methode. Diese markiert innerhalb der Wissenschaft wie kein anderer Gegenstand symbolische und soziale Grenzen nach innen und außen. Dies gilt insbesondere für die Soziologie, eine Disziplin, die intern stark in eine Vielzahl von Wissenskulturen ausdifferenziert ist. Die symbolischen und sozialen Grenzen dieser Kulturen werden wiederum am Gegenstand der Methoden festgemacht. Diese internen Grenzen sind eine der Quellen von Widersprüchen und Inkonsistenzen der Deutungsangebote der soziologischen Kultur und stehen im Konflikt mit ihrer Einheitsdarstellung als Wissenschaft.

Mit Kapitel 4 beginnt der zweite Teil der Arbeit mit dem Fokus auf ihren konkreten Gegenstand. In diesem Kapitel arbeite ich den soziologischen Diskurs zu ihrer Lehre in Form eines Diskurses zur Lehrgestalt und zum Lehrbuch auf. Das Kapitel schließt mit einem ersten thesenhaften Systematisierungsversuch des Diskurses mithilfe der Systematik der Rekontextualisierung. So reproduziert sich in dem Lehrdiskurs die binäre Wertung soziologischer Multiparadigmatik als Defizit oder Mehrwert. Die Einheit oder Vielfalt der Lehrgestalt wird so als schädlich oder angemessen in der Repräsentation der Soziologie als distinkte Wissenschaft gedeutet. Ähnliches zeigt sich im Diskurs zur Lehrliteratur in dem Anspruch an das Lehrbuch, Vielfalt zu ordnen, und in dem Anspruch an Lehrliteratur, soziologisches Wissen kommunizier- und zugleich erfahrbar zu machen. Eine geteilte disziplinäre Lehrkultur zeichnet sich in diesem Diskurs nicht ab, wohl aber die kollektive Praxis, den konfliktreichen Diskurs um die disziplinäre Form auf ihre Lehre zu übertragen. Im Kapitel 5 leite ich zur Methodenlehre über. Diese stelle ich zunächst als allgemein wissenschaftlichen Lehrbereich vor und erarbeite erste Überlegungen zu ihren spezifischen Herausforderungen. Daran anschließend leite ich zur Bedeutung der Methodenlehre für die kulturelle Reproduktion einer spezifischen Disziplin, der Soziologie, über. Auch hierfür greife ich auf Literatur zurück, die sich mal beschreibend, mal bewertend, historisch wie gegenwärtig mit dem Verhältnis der Soziologie und ihrer kulturellen Reproduktion als allgemeine und zugleich spezifisch empirische Disziplin auseinandersetzt. Ich schließe diesen zweiten Teil der Arbeit mit einer Übersicht über Thesen der Kapitel 4 und 5.

Mit Kapitel 6 beginnt der letzte Teil der Arbeit, der die empirische Auswertung und Weiterentwicklung meiner Thesen beinhaltet. In diesem Kapitel stelle ich mein methodisches Vorgehen der Analyse kultureller Muster vor, zum einen basierend auf leitfadengestützten Interviews mithilfe interpretativ-konstruktiver Verfahren und zum anderen netzwerkanalytisch anhand von Syllabi und ihren Literaturverweisen. Mit Kapitel 7 beginnt die empiriegestützte Ergebnisdarstellung. Zunächst rekonstruiere ich die disziplinäre Orientierung der Methodenlehre und erarbeite zwei Deutungsschemas, die das Verhältnis von Soziologie und ihren Methoden ordnen. Diese zwei Schemas der Einheit und Differenz von Disziplin und Methode sind Bestandteile des soziologischen kulturellen Repertoires. Auf Grund ihrer Gegensätzlichkeit sind sie zugleich Quellen von Deutungskonflikten in der Lehre. In Kapitel 8 differenziere ich diese Deutungskonflikte dreiteilig aus nach den situativen Träger:innen der Schemas – den Studierenden, Studienstrukturen und Wissenskulturen der Kolleg:innen – und stelle die Deutungs- und Handlungsprobleme dar, denen sich die Lehrenden gegenübersehen. Kapitel 9 rekonstruiert die zwei Umgangsweisen der Lehrenden mit den Konflikten, die auf der einen Seite die Schließung und damit Standardisierung von Deutungsangeboten in der Lehre und auf der anderen ihre Öffnung und somit Möglichkeit zur Individualisierung anstreben. Kapitel 10 verschiebt den Fokus von der Rekonstruktion einer allgemeinen Lehrkultur soziologischer Methoden hin zur gezielten Rekonstruktion methodologisch spezifischer Lehrkulturen und leistet den Schritt der empirisch informierten Theoriegenese. Das elfte und letzte Kapitel gilt der Zusammenfassung der Argumentation dieser Arbeit und Überlegungen zu möglicher Anschlussforschung.

Theorie

2.Kultur wissenschaftlich betrachtet

 

Das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit bezogen auf den Gegenstand der soziologischen Methodenlehre ist wissens- und kultursoziologisch informiert. Aus dieser Perspektive wird die Methodenlehre als Phänomen kultureller (wie sozialer) Reproduktion und Enkulturation verstanden. In diesem Sinne entspricht die Lehrgestalt(ung) Differenzierungs-, Evaluations-, Selektions- und Ordnungsprozessen, die symbolische Grenzen zwischen spezifischen Wissensordnungen, als auch soziale Grenzen zwischen den Repräsentant:innen des kulturellen Wissens ziehen (vgl. Atkinson, 2002, S. 143). Studienordnungen, Modulhandbücher, Veranstaltungspläne sowie Lehrbücher werden als kulturelle Objekte betrachtet, die kulturspezifische Symbolstrukturen und Praktiken repräsentieren und stabilisieren. Die beteiligten Akteure, wie Lehrende und Studierende, werden aus dieser Perspektive zu Träger:innen von Kultur. Dabei fokussiert die vorliegende Arbeit auf die Perspektive und Rolle der Lehrenden innerhalb des beobachteten Enkulturationskontextes. Die Beforschung des Soziologiestudiums als Phänomen spezifisch wissenskultureller Reproduktion und Enkulturation ermöglicht nicht nur Erkenntnis bezüglich der Bedingungen und Mechanismen, die die Kontingenz der möglichen Lehrform einer stark ausdifferenzierten Disziplin in eine realisierte überführen. Aus dieser Forschung lässt sich über das konkrete Phänomen hinaus lernen, welche Deutungs- und Handlungsprobleme sowie diese adressierende Strategien Lehrende wahrnehmen und als Handlung umsetzen, wenn weder das zu lehrende Wissen (Was lehren?) noch das Wissen um die angemessene Form der Lehre (Wie lehren?) einer geschlossenen Ordnung folgen.

In diesem Kapitel führe ich in die kultursoziologische Perspektive dieser Arbeit ein. Zunächst erfolgt die Darlegung der systematischen Unterscheidung von öffentlicher und persönlicher Kultur, sowie deren deklarativen, semiotischen und non-deklarativen, somatischen Modi. Daran anschließend stelle ich für diese Arbeit relevante kultursoziologische Konzepte vor und schließe mit Ausführungen zur Bedeutung der konkreten Gestaltung des Lehrkontextes für die Aneignung kulturspezifischer Wissensstrukturen ab. Dabei formuliere ich die Einsicht, dass Forschung zu kultureller Reproduktion und Enkulturation mindestens zwei Kulturen analytisch unterscheiden muss, die von besonderer Relevanz sind für die Lehrsituation: die repräsentierte wie die repräsentierende Kultur. Lehrende greifen in ihrer Rolle als Repräsentant:innen von Wissenskulturen nicht nur auf ihr persönliches Repertoire (sub-)disziplinären Wissens zurück, sondern rahmen dieses auch bewusst wie unbewusst in spezifischer Weise im Kontext der Lehre. Entsprechend relevant ist nicht nur, wie die Lehrenden ihre Disziplin deuten, sondern auch ihre Deutung der Lehre mit all ihren Kontextbedingungen, wie den Studierenden, zeitlichen und organisatorischen Strukturen etc. So repräsentieren sie nicht einfach Soziologie, sondern rekontextualisieren sie. Damit beeinflussen die in diesem Kontext getroffenen, bewussten wie unbewussten Entscheidungen der Lehrenden (was wird als relevantes Wissen klassifiziert und wie wird es im Vermittlungsprozess gerahmt), in welcher Weise die Enkulturation der Studierenden verläuft, und entsprechend auch, welche Kultur potenziell reproduziert wird – oder nicht.

2.1Öffentliche und persönliche Kultur

Die vorliegende Arbeit versteht Kultur als gruppenspezifische »systems of symbols and meanings« und Praktiken (Sewell, 2005). Die soziologischen Traditionen, die entweder »culture as text« oder »culture as embodiment« (Csordas, 1993, S. 135) verstehen, werden verbunden. Kultur zeichnet sich durch semiotische wie somatische Dimensionen aus, die einander ergänzen und voraussetzen (Sewell, 2005, S. 47). Dabei liegt beiden Konzepten nicht die Annahme von Kultur als kohärenter, in sich geschlossener Einheit zugrunde. Stattdessen werden die beiden Konzeptionen von Kultur als symbol- oder körpervermitteltes Wissen im Sinne von Swidlers Metapher von Kultur »as a ›tool kit‹ of symbols, stories, rituals, and world-views, which people may use in varying configurations to solve different kinds of problems« (Swidler, 1986, S. 273), verknüpft.

In dieser Toolkit-Theorie ist bereits eine Unterscheidung angelegt, die Lizardo als persönliche und öffentliche Dimension von Kultur systematisiert. Erstere manifestiert sich »at the level of the individual« (Lizardo, 2017, S. 93) und entspricht »aspects of a person’s memory that are shared (i.e., not idiosyncratic) and learned (i.e., not innate)« (Wood u. a., 2018, S. 244). Im Fall der vorliegenden Arbeit geht es hierbei primär um die persönlichen Kulturen der lehrenden Soziolog:innen. Die davon unterschiedene öffentliche Kultur »is located outside of persons and therefore always material, sensuous, and tangible. This public form includes everything potentially available for interaction, like physical objects and settings, as well as sounds, human and nonhuman bodies, texts, and conversations« (2018, S. 244). Hierzu werden auch »[i]nstitutions and contexts and other forms of objectified cultural structure« gezählt, die im Sinne eines »external scaffolding« (Lizardo und Strand, 2010, S. 206) Handeln beeinflußen. In dieser Arbeit wird es vor allem um die öffentlichen Kulturen der Disziplin Soziologie, ihrer subdisziplinären sozialen Einheiten und die öffentliche Kultur der Institution Universität bzw. universitäres Studium gehen.

Symbolsysteme und Praktiken entsprechen Potenzialen, welche Individuen situative Deutungen und soziales Handeln ermöglichen, und in diesem Sinne leistet dieser Kulturbegriff die analytische Verbindung von Individuum und Gesellschaft, bzw. von individueller/m Lehrperson/Wissenschaftler:in und ihrer/seiner Disziplin, Methodencommunity und der Gesellschaft, in der sie/er lebt und lehrt. Zugleich stellt sich die Frage nach der Beziehung zwischen symbolvermitteltem öffentlichem und persönlichem Wissen sowie nach dem Zusammenhang von Kultur und Handeln. Fragen nach diesen Zusammenhängen entsprechen zum einen substantiellen Fragen, die im Zentrum kultursoziologischer Forschung stehen, die zum anderen aber auch methodische Entscheidungen eines jeden kultursoziologischen Projektes hinsichtlich der Operationalisierung von Kultur und des empirischen Zugangs nach sich ziehen. Je nach Erkenntnisinteresse und nach vermutetem Zusammenhang von Kultur und Handeln eignen sich unterschiedliche Erhebungsinstrumente, wie Interviews und Beobachtungen für die persönliche Kultur, Objekt-/Text-/Bildanalysen für öffentliche Kultur und idealerweise Kombinationen für den Zusammenhang von Kultur und Handeln. Auch mir stellen sich diese Fragen. Inwieweit informiert das Verständnis der Lehrenden von empirischer Soziologie ihr Verständnis angemessener Lehre und inwieweit informiert dies schlussendlich ihr tatsächliches Lehrhandeln? Gerade auf Grund meines Forschungsinteresses an Reproduktions- und Enkulturationsprozessen stellen sich diese Fragen, gar im doppelten Sinne. So sind die persönlichen Kulturen der Lehrenden relevant und deren Beziehung zur bereits öffentlich verfügbaren Kultur, beispielsweise zu Lehrbüchern, bzw. zur öffentlich verfügbaren Ausdrucksform, mit der die Lehrenden die Elemente ihrer persönlichen Kultur öffentlich zugängig machen, beispielsweise durch verbale Darstellungen, Präsentationsfolien etc. Diesen Elementen öffentlicher Kultur sind wiederum die Studierenden ausgesetzt, deren Enkulturationsprozesse im Falle des Gelingens die Aneignung und Speicherung dieser öffentlichen Kultur in Form ihres persönlichen Pendants beinhalten. Diese Aneignung und Speicherung begründen wiederum die potenziellen Grundlagen des zukünftigen Handelns der Studierenden, beispielsweise die zukünftige Praxis ihrer soziologischen Forschung. Zum Verständnis dieser Zusammenhänge hat sich ein Teil der Kultursoziologie kognitionswissenschaftlichen Prämissen geöffnet, um theoretisch wie empirisch die Brücke zwischen externer, öffentlicher und interner, persönlicher Kultur sowie zwischen der Konzeption von Kultur als Symbol und Kultur als Praxis zu schlagen (Zerubavel, 1997b; DiMaggio, 1997; Lizardo und Strand, 2010; Lizardo u. a., 2019). Entsprechend vielfältig sind die Formen, in denen Kultur konzeptualisiert und beobachtet werden kann: symbolisch, materiell, kognitiv und verkörpert.

Wie bereits angedeutet, lehnt dieses Kulturverständnis die Annahme eines deterministischen Zusammenhangs von Kultur und Handlung ab. Situativ verschieden und damit in Abhängigkeit von Kontextfaktoren kann auf die Deutungs- – meaning-making und meaning-maintaining (Patterson, 2014, S. 7) – und Handlungsressourcen zurückgegriffen werden, die die jeweilige Kultur bereitstellt. Dies führt zum einen zur Feststellung, dass die Frage nach der Richtung des Zusammenhangs von Kultur und Handeln nur empirisch zu beantworten ist. So kann beispielsweise das auf Individualebene vorhandene kulturelle Repertoire der Lehrenden einerseits ihr Lehrhandeln motivieren, entsprechend im Sinne einer unabhängigen Variable wirken. Andererseits wird auch auf Kultur zurückgegriffen, um Handeln retrospektiv zu deuten und so sinnvoll verstehbar zu machen. Im ersten Fall wird Kultur als Motivation wirksam, im zweiten als Rechtfertigung (Vaisey, 2009). Zum anderen öffnet dieses Kulturverständnis den Blick für die Vielfalt an Einflussfaktoren, die bedingen, auf welche kulturellen Elemente zurückgegriffen wird (z.B. Kategorien und Schemas), um Situationen sinnverstehend zu deuten und spezifisches Handeln zu motivieren. So enthalten soziale Situationen »a multitude of overlapping and interpenetrating cultural systems« (Sewell, 2005, S. 47), die einander ergänzen oder in Konflikt stehen können und als Bedingungen der jeweiligen »Culture in Action« (Swidler, 1986) wirksam werden. Die Verschränkung unterschiedlicher öffentlicher Kulturen wird auch über die persönliche Kultur der handelnden Individuen wirksam, die sich diese im Laufe ihrer Biografien – durch primäre und sekundäre Sozialisationserfahrungen – angeeignet haben. Zudem variiert das Zusammenspiel von persönlicher Kultur und öffentlicher Kultur in Abhängigkeit von der Stabilität und Kohärenz der letzteren (Swidler, 2001; Lizardo und Strand, 2010). Darüber hinaus kann auch in einer kultursoziologischen Analyse nicht vernachlässigt werden, dass neben dem situativ verfügbaren kulturellen Repertoire vielfältige Formen soziologisch beobachtbarer Strukturen, »economic, political, social, spatial, and so on« (Sewell, 2005, S. 51), die Motivation für und retrospektive Deutung von Handeln beeinflussen.

2.2Deklarative und non-deklarative Modi von Kultur

Neben der Unterscheidung von öffentlicher und persönlicher Kultur ist eine weitere Unterscheidung von analytischer wie empirischer Bedeutung für meine Arbeit. Sie betrifft unterschiedliche Modi der persönlichen Kultur: bewusste wie unbewusste bzw. explizierbare und implizite Formen kulturellen Wissens. Diese Unterscheidung ist relevant für die bereits aufgeworfene Frage nach dem Zusammenhang von Kultur und Handeln, den Bedingungen von Enkulturationsprozessen und für die Frage nach dem empirischen Zugang zu kulturellem Wissen.

Im Zusammenhang mit seiner bereits erwähnten Systematisierung von Kultur als Motivation oder Rechtfertigung von Handeln führt Vaisey auch das »Dual-Process Model of Culture in Action«1 ein, welches zwischen »discursive« und »practical« Modi der Kultur unterscheidet. Demnach beeinflusst kulturelles Wissen in Form von »Schemas«, gemeint sind kulturspezifische kognitive Strukturen, »emotions, intuitions, and unconscious judgments« (Vaisey, 2009, S. 1685) und es motiviert Handeln. Auf der anderen Seite wird Kultur in Form der bereits angesprochenen Rechtfertigungsstrategien wirksam, welche vor allem »acceptable forms of talk« (ebd., S. 1685) beinhalten und damit das Wissen um spezifische Konventionen und diskursive Strategien. Der erste kognitive Prozess, der Kultur und Handlung verbindet, entzieht sich dem individuellen Bewusstsein und Reflexionsvermögen und ist in dem Sinne nicht sprachlich explizierbar. Er vollzieht sich schnell, ohne großen kognitiven Aufwand und basiert vor allem auf Mustererkennung und Erfahrung (siehe Moore, 2017, S. 198). Der zweite Prozess hingegen arbeitet langsamer, erfordert bewusstes Abwägen und erfolgt meist symbolvermittelt, primär über Sprache. Im Vokabular des bereits angesprochenen Modells von Lizardo handelt es sich hierbei um die Unterscheidung des deklarativen und non-deklarativen Modus persönlicher Kultur (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: »Branching Diagram Depicting the Distinction between Declarative Culture, Nondeclarative Culture, and Public Culture« (Lizardo, 2017, S. 94)

Aneignung und Ausdruck verschiedener Modi von Kultur

Nützlich an Lizardos Modell ist neben der analytischen Schärfe der Unterscheidung der öffentlichen von der persönlichen Kultur mitsamt ihres deklarativen und non-deklarativen Modus, dass es zugleich den analytischen Blick auf die mit den beiden Modi verbundenen »different ways of experiencing, encoding, and expressing cultural knowledge« (Rinaldo und Guhin, 2019, S. 2) eröffnet. Im Kontrast hierzu fokussiert Vaisey in seinen Überlegungen in erster Linie auf den Zugriff auf das kulturelle Repertoire, das er ausschließlich als kognitiv gespeichert versteht. Vor allem vor dem Hintergrund meines Forschungsinteresses an kulturellen Reproduktions- und Enkulturationsprozessen sind die Konsequenzen der unterschiedlichen kulturellen Modi für ihre Erfahrung, Aneignung und Speicherung wie auch ihre Aktivierung und ihren Ausdruck von Bedeutung.2 So haben die Lehrenden die Phasen der Aneignung, Aktivierung und des Ausdrucks von beispielsweise soziologischer Kultur bereits durchlaufen bzw. durchlaufen diese weiterhin und greifen auf diese im Zuge ihres Lehrhandelns zurück. Der Zugriff auf, das Abrufen von und die Anwendung ihres kulturellen Wissens gehen ihrem Lehrhandeln voraus und stellen somit wiederum die Grundlage dar für die Enkulturationsprozesse der Lernenden,3 die diesem Wissen ausgesetzt werden und es sich individuell spezifisch aneignen (speichern). In diesem Sinne verstehe ich die Enkulturationsprozesse der Lehrenden als Grundlage und somit Bedingung für die Enkulturation der Lernenden. Vermittelt wird dies unter anderem durch die kulturellen Ausdrucksformen, zu denen die Lehrenden fähig sind und derer sie sich in der Lehre bedienen.

Das »primary symbolic medium via which persons are exposed to declarative culture is spoken or written language (Tomasello 1999), although other public non-linguistic symbolic systems (e.g., audio-visual codes, iconic symbols, ritual performance) may also serve as a conduit for the transmission and internalization of declarative culture« (Hervorhebung durch LK Lizardo, 2017, S. 91). Entsprechend können Elemente deklarativer Kultur in Form verbaler Interaktion oder schriftlicher Medien vermittelt werden. Diese Form kulturellen Wissens entspricht der alltagsgebräuchlichen Vorstellung von Wissen, »with declarative know-thats constituting (lay or folk) knowledge in the phenomenological sense (Berger and Luckmann 1966)« (Hervorhebung durch LK, ebd., S. 91). Deklaratives Wissen ist symbolvermitteltes und gegenstandsspezifisches Wissen, welches in ähnlichem Detailgrad abgerufen wie gespeichert werden kann. Wichtig ist hierbei, dass dieser Prozess der Reflexion zugängig ist. Individuen »not only ›know‹ declarative culture, but upon reflection, may also ›know that they know it‹« (ebd., S. 92). Im Rahmen institutionalisierter Lehrkontexte ist dieses Wissen relativ einfach auszudrücken und darzustellen, beispielsweise in Form von Lehrbüchern oder Präsentationsfolien in Vorlesungen. Ähnlich wie von Vaisey beschrieben, kann auf Elemente deklarativer Natur »in a deliberate (slow), linear fashion (as in the construction of life narratives or motivational justifications)« zugegriffen werden. Relevant ist dies vor allem für die Prozesse »reasoning, evaluation, judgment, and categorization« (ebd., S. 92). Methodisch ist der Zugriff auf diese Formen von Kultur diskursiv leicht möglich, indem beispielsweise nach Meinungen und Begründungen gefragt wird.

Die Aneignung von Elementen non-deklarativer Kultur entspricht im Kontrast dazu einem »›slow learning‹ pathway in the form of implicit, durable, cognitive-emotive associations, bodily comportments, and perceptual and motor skills built from repeated long-term exposure to consistent patterns of experience« (ebd., S. 92). Statt der Details situativer Erfahrungen prägen sich deren übergreifende Muster ein; statt der Speicherung in Form von »semantic or logical links among explicit symbolic elements« führt die wiederholte, habitualisierte Erfahrung dieser Wissensmodi im Zuge des Enkulturationsprozesses zu »recurrent linkages based on patterns of physical and perceptual similarity and spatial and temporal contiguity« (ebd., S. 92). Der Kontakt mit entsprechendem kulturellem Wissen erfolgt nicht symbolvermittelt, sondern unmittelbar körperlich als Bestandteil von Praktiken. Während das Erlernen dieser kulturellen Elemente viel Zeit und Wiederholungen erfordert, erfolgt der Ausdruck dieser Form von Kultur wiederum schnell, unreflektiert und unabhängig von kognitiver Aufmerksamkeit und Absicht. Klassischerweise ist ein Beispiel für diese Form der kulturellen Aneignung das Erlernen praktischer Fertigkeiten (skills). Da non-deklaratives Wissen nicht bewusst über symbolvermittelte Interaktion weitergegeben werden kann, werden praktische Formen der Vermittlung durch Erfahrung notwendig. Methodisch bedeutet dies, das nach non-deklarativer Kultur nicht gefragt werden kann, sondern im Fall von Interviewstudien entweder spezifische rekonstruierende Auswertungsverfahren notwendig werden oder direkt andere Formen der Erhebung geeignet sind, wie Beobachtungen.4

Ist die Unterscheidung deklarativer und non-deklarativer Kultur einmal eingeführt, stellt sich die Frage nach ihrem Zusammenspiel. So kann von einer »dynamic interaction between meanings at the semantic level of discourse and those at the non-discursive, practical level of bodily perception, habit, and movement« (Winchester, 2016, S. 586) ausgegangen werden. Dabei hängt das Zusammenspiel auch vom jeweiligen Stadium der Individuen im Zuge ihrer kulturspezifischen »experiential career«5 (Tavory und Winchester, 2012) ab. Pagis schlägt vor, das Verhältnis beider Modi kulturellen Wissens – sie verwendet die Begriffe »conceptual« und »embodied knowledge« – hinsichtlich ihrer relativen Bedeutung, der Richtung ihres Zusammenhangs als auch hinsichtlich der spezifischen Form der gegenseitigen Beeinflussung (2010) zu untersuchen.

Ermöglichung von Enkulturation

Die Aneignung und der Ausdruck von Kultur stellen folglich zwei Seiten einer Medaille dar und so sind Studium und Lehre nicht nur als Prozesse der Reproduktion von Kultur, sondern auch als Prozesse der sekundären Sozialisation bzw. Enkulturation zu verstehen. Sozialisation entspricht hierbei der »Internalisierung der Wirklichkeit« (Berger und Luckmann, [1969] 2012, S. 139) und der Begriff der Enkulturation kommt zuweilen in Abgrenzung vom als zu passiv gedeuteten Begriff der Sozialisation zum Einsatz. Dabei leistet die sekundäre Aneignung von Wirklichkeit in Abgrenzung zur primären Sozialisation die »Internalisierung institutionaler oder in Institutionalisierung gründender ›Subwelten‹« (ebd., S. 148) und steht damit vor dem Problem, an die biografische Reichhaltigkeit vergangener Sozialisationsprozesse der Lernenden anzuschließen. Sie ist Folge der arbeitsteiligen Organisation der modernen Gesellschaft und betrifft entsprechend auch den Prozess des disziplinären Studiums. Das Ergebnis sekundärer Sozialisationsprozesse ist der »Erwerb von rollenspezifischem Wissen«, welches »normative, kognitive und affektive Komponenten« (ebd., S. 149) beinhaltet, und somit im deklarativen und non-deklarativen Modus vorliegt. Dieses Wissen wird folglich zum Bestandteil der persönlichen Kultur der Studierenden, und kann beispielsweise in der Ausbildung einer spezifischen Fachidentität zum Ausdruck kommen.

Im Verlauf dieses Prozesses stützen sich die Lernenden zunächst primär auf explizite Regeln, d.h. deklaratives Wissen, dessen Bedeutung jedoch mit der Zunahme der Verkörperung non-deklarativen Wissens abnimmt (Lizardo, 2017; Dreyfus, 2004).6

Diese Einsichten in die unterschiedlichen Bedingungen von Enkulturationsprozessen, die in den Modi kulturellen Wissens – deklarativ wie non-deklarativ, symbolisch wie praktisch – begründet liegen, sind für die vorliegende Arbeit primär hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Lehrenden relevant. Statt des empirischen und analytischen Fokus auf die Internalisierung von Kultur durch Lernende, soll es um die Deutung und Gestaltung dieses Prozesses durch die Lehrenden gehen. Dies ist gerade deshalb interessant, weil sich diese zum einen bereits im fortgeschrittenen Stadium ihrer experiential career bezüglich soziologischer, methodologischer Kulturen befinden. Entsprechend haben bereits Encoding-Prozesse dazugehöriger Symbolstrukturen und Praktiken stattgefunden. Zugleich haben sie genau jenes kulturelle Wissen innerhalb der Lehre zu repräsentieren, es entsprechend abzurufen und in Formen auszudrücken, das wiederum zum Gegenstand der Enkulturation der Lernenden wird. Somit wird über die Lehrenden der empirische Zugriff auf die Verknüpfung von Enkulturation – auch sie haben sich im Zuge ihrer Biografien soziologisches und methodisches Wissen im Sinne kulturellen Wissens angeeignet – und Repräsentation – dieses angeeignete Repertoire ist nun eine der Kontextvariablen, die ihr Lehrhandeln prägen – von Kultur möglich. Im Gegensatz zu den Lernenden kennen sie zumindest implizit die inkonsistenten Deutungen ihrer Disziplin, die in der Lehrsituation und in Interaktion mit den Lernenden manifest und potenziell irritierend werden. Sie sind zugleich diejenigen, die mit diesen Irritationen umzugehen haben, um Kohärenz und Bedeutung wiederherzustellen.

In meiner Arbeit interessieren mich als repräsentierte Kulturen die disziplinären und methodologischen Kulturen und als repräsentierende Kultur das Wissen zur Lehre, ihren Kontextbedingungen und das als angemessen gedeutete Lehrhandeln.

2.3Elemente kulturellen Wissens

Anschließend an diese erste Systematisierung des Kulturbegriffes werden nun spezifische Konzepte kultureller Elemente vorgestellt, die ich in starker Anlehnung an ein ähnliches Modell von Rotolo (2021, S. 5) gemäß den bereits eingeführten Unterscheidungen öffentlicher und persönlicher, sowie deklarativer und non-deklarativer Modi einordne. Zudem differenziere ich diese beiden Modi weiter aus und unterscheide die Elemente als verkörpert, kognitiv, symbolisch und materiell auf Grund der Folgen für die empirische Beobachtbarkeit dieser Elemente. In diesem Modell (siehe Abbildung 2) ist auch eine Information zur Relation der unterschiedlichen Ebenen enthalten. Mit Rotolo gehe ich davon aus, dass »while various types of conceptual knowledge emerge from embodied dispositions, emergent forms of cultural knowledge can exert downward causation and influence embodied experiential knowledge as well« (2021, S. 8). Dieser Zusammenhang ist relevant für Prozesse des Lernens, die somit nicht unidirektional verlaufen müssen.

Abbildung 2: Schematische Darstellung der Konzepte kultureller Elemente, angelehnt an Rotolo (2021, S. 5)

Entlang dieses Modells werde ich im Folgenden die für diese Arbeit relevanten Kernkonzepte kultureller Elemente vorstellen: verkörpertes Wissen, Schemas und Kategorien, sowie kulturelle Objekte.

2.3.1Verkörpertes Wissen

Das Konzept, das von den hier relevanten die Bedeutung des Körpers für die Speicherung, Aktivierung und den Ausdruck von Kultur am stärksten macht, ist das des verkörperten Wissens und damit der non-deklarativen, persönlichen Kultur. Verkörpertes Wissen ist nicht intentional symbolvermittelt explizier- oder lernbar, sondern Bestandteil des non-deklarativen Wissensbestandes. Hierzu gehören beispielsweise »skills, habits [and] ›know how‹ knowledge« (Rotolo, 2021, S. 5). Die körperlichen Erfahrungen, die die Grundlage dieser Form des Wissens darstellen, werden durch die menschlichen Sinne vermittelt, gleichermaßen wirken die so ermöglichten embodied dispositions (ebd., S. 8) auf diese zurück. So konnte Cerulo zeigen, dass der Geruchssinn automatisch mit sozialen Klassifikationen, wie Klasse und Rasse, verbunden ist, dass er unsere Interpretation sozialer Situationen informiert und dass diese Interpretationsleistung zugleich sozio-kulturell spezifisch ist (2018). Dabei kann zwischen online und offline embodiment (Wilson, 2002) unterschieden werden. Erstere bezieht sich auf »immediate bodily responses to new conditions [which] are necessary for the encoding and interpretation of new experiences«, Zweitere auf die »continuing influence of this repertoire of bodily responses even when cognitive activity is decoupled from the social and physical environment« (Hervorhebung durch LK, Ignatow, 2007, 121f.) und damit auf den bleibenden Eindruck, den die körperliche Erfahrung über die jeweilige Situation hinaus hinterlässt. Auch wenn verkörpertes Wissen non-deklarativer Natur ist, kann es – ohne Intention der Sprechenden – deklarativ zum Ausdruck gebracht werden über den unreflektierten Gebrauch von embodied metaphors (für die kognitionslinguistische Literatur hierzu, siehe Lakoff und Johnson, 1980; Lakoff und Johnson, 1996; Johnson, 2009; für soziologische Studien, exemplarisch Ignatow, 2009; Winchester, 2008; Winchester, 2016; Cerulo, 2018). Somit ist auch der empirische Zugang zu dieser Form des praktischen, verkörperten und affektiven Wissens über primär symbolvermitteltes empirisches Material, wie Texte, möglich.

Des Weiteren gehört zum verkörperten Wissen auch die assoziative Verknüpfung sozialer Kontexte mit spezifischen Emotionen (wegweisend hierfür siehe Hochschild, 1979).7 So wird »[d]ie Welt [...] erst durch unterschiedliche gefühlsmäßige Besetzung von Gedankenkategorien strukturierbar. Differenzierung zwischen sakral und profan, fremd und eigen, nah und fern wird nur dank Emotionen erreicht. Diese Differenzierung ist notwendig, damit wir überhaupt wissen, wie wir zu denken und zu handeln haben. Emotionen ermöglichen also die handlungsbefähigende Konstruktion der Wirklichkeit« (Flam, 2002, S. 83). Dabei erfolgt die Assoziation zwischen einer kognitiven Klassifikation und der jeweiligen Emotion über Wertzuschreibungen, folglich über Evaluationspraktiken (siehe exemplarisch Stocker und Hegeman, 1996; Candiotto, 2019).

In diesem Sinne sind auch die Wissenschaft und ihre Disziplinen in Forschung und Lehre nicht allein über ihre deklarativen Wissensbestände, sondern insbesondere über ihr Praxiswissen zu verstehen (exemplarisch Polanyi, 2010; Torka, 2015a).8

2.3.2Kognitives und symbolisches Wissen

Schemas

Das Konzept des kognitiven Schemas ist stark von kognitionswissenschaftlichen und -linguistischen (als »Image Schemas«, vgl. Johnson, 2009) Einflüssen geprägt (exemplarisch Wood u. a., 2018; Leschziner und Green, 2013). Innerhalb der Soziologie wird es zumeist in zweifacher Hinsicht verwendet. So sind Schemas »both representations of knowledge and information-processing mechanisms« (DiMaggio, 1997, S. 269). Im ersten Sinne werden sie im Kern als Klassifikationssysteme verstanden, die »images of objects and the relations among them« (ebd., S. 269) beinhalten. Im zweiten Sinne sind sie »sets of cognitive associations, developed over repeated experience, that represent information and facilitate interpretation and action« (Hunzaker und Valentino, 2019; Vaisey, 2009, 1f.) und damit Kognition vereinfachen (vgl. DiMaggio, 1997, S. 269). Im deutschen Diskurs wird statt des Schemabegriffes vielfach der des Deutungsmusters in unterschiedlichen Ausprägungen verwendet, von denen die der »›weichere[n]‹ interaktionistische[n]« (Lüders und Meuser, 1997, S. 62) Spielart meinem Verständnis entspricht. In jedem Fall sind sie, wie verkörpertes Wissen, ein Element des persönlichen, non-deklarativen Wissens. Boutyline und Soter verorten diese Traditionen auf unterschiedlichen Ebenen der Beobachtung: auf dem »functional or behavioral« und dem »representational/algorithmic level« (Boutyline und Soter, 2021, S. 732). Da ich in meiner Arbeit nach Deutungs- und Handlungskonflikten frage, die sich aus kulturellen Inkonsistenzen für Enkulturationsprozesse und -situationen ergeben, wird für mich vor allem das erstgenannte Level relevant sein. Auf dieser Ebene entsprechen Schemas »socially shared representations deployable in automatic cognition« (ebd., S. 735).

In ihrer Systematisierung des »Cultural Schema« als soziologisches Konzept differenzieren Boutyline und Soter dieses in drei Subtypen aus, die verkörperte und kognitive Formen annehmen: »implicit categories (e.g., those used to automatically categorize a person by race or gender); default assumptions (e.g., stereotypes); and internalized cultural scripts (e.g., those used to effortlessly recognize behavior as appropriate or inappropriate)« (ebd., S. 738). Der erste Subtypus ermöglicht mit geringem kognitivem Aufwand durch das Ignorieren unnötiger Informationen, basierend auf reinen Ähnlichkeiten die Einordnung sozialer Phänomene in soziale »taken-for-granted« Kategorien. Der zweite wiederum ergänzt Informationen im Sinne automatischer Annahmen zu sozialen Phänomenen. Zum dritten Subtyp gehören einerseits internalisierte Normen und andererseits Skripte des diesen Normen angemessenen Handelns. Diese beeinflussen das eigene Handeln und ermöglichen die Bewertung des Handelns anderer. Vor allem dieser letzte Subtyp ist durch die unmittelbare Verbindung mit Handeln nicht allein kognitiv, sondern auch verkörpert gespeichert, die Bewertungen wiederum lassen sich symbolvermittelt in diskursiver Form ausdrücken.9

So gilt auch für die drei hier relevanten Subtypen der Schemas, dass sie zwar primär im Sinne persönlicher, non-deklarativer Kultur kognitiv wirksam werden, dabei jedoch innerhalb des Modells kultureller Elemente (siehe Abbildung 2) aus anderen Modi entstehen oder in diese übergehen: Sie informieren automatisches, körperlich vermitteltes Handeln, genauso wie diskursive Äußerungen, die die Form von öffentlich verfügbaren Rechtfertigungen und Diskursen annehmen. Auch können Schemas und mentale Modelle (zur häufig synonymen Verwendung beider Konzepte, siehe Rotolo, 2021, S. 12; Patterson, 2014, S. 9) als Elemente der persönlichen Kultur durch Lern- und Diffusionsprozesse in Form von Institutionen bzw. »instituted models« externalisiert und so Bestandteil der öffentlichen Kultur (Rotolo, 2021, S. 12) werden.

Kategorien

Da »our capacity to categorize« »[t]he basis of all cultural knowledge« (Patterson, 2014, S. 8) ausmacht und Kategorien so zu einer Art Baustein vieler komplexer kultureller Elemente werden, widme ich ihnen vertiefend ein eigenes Unterkapitel. Wie zuvor eingeführt, können Kategorien in kognitiver Form als Teil der persönlichen Kultur und somit als Subtyp des Schemas verstanden werden. Kategorien existieren jedoch auch in symbolisch-diskursiver und sozial-materialisiert Form (Lamont und Molnár, 2002) als Teil der öffentlichen Kultur.

Als Wissen um die Einheit und Differenz von Sinneinheiten stellen Kategorien einen elementaren Bestandteil eines jeden kulturellen »tool kits« dar. Dieses Wissen ermöglicht das Markieren und Erkennen von symbolic boundaries (ebd.), definiert als »conceptual distinctions made by social actors to categorize objects, people, practices, and even time and space« (ebd., S. 168). Die Kompetenz zur Herstellung von Differenz (»splitting«) auf der einen und Einheit (»lumping«, für diese begriffliche Unterscheidung, siehe Zerubavel, 1996) auf der anderen Seite ist kulturell geteilt und individuell erlernt. »What gives categories their authority is indeed the fact that they are collectively crafted, sustained, and enforced and as a result, hardwired into our (naturalized) social world« (Fourcade, 2016, S. 176). Kognitive Kategorien reduzieren die Komplexität potenziell möglicher Wirklichkeitsdeutungen, indem sie die Zuordnung bzw. Unterscheidung von Elementen in mal mehr, mal weniger stabile kognitive Einheiten ermöglichen. Mit diesen Einordnungen und Unterscheidungen sind spezifische Erwartungen und damit Handlungsfähigkeit verbunden. Gemeinsam gruppierten Elementen werden geteilte Eigenschaften zugeschrieben, so dass in neuen Situationen und Begegnungen mit neuen Elementen durch die Herstellung von Analogien zwischen dem Neuen und Bekannten Erwartungen an das Neue und damit Sinn hergestellt werden kann. Dabei erfolgt die Klassifikation von Elementen, also deren Zuordnung zu einer Kategorie, wie auch die Wahl der jeweils relevanten Informationen der Kategorie situativ verschieden (Blumer, 1969).

Kategorien sind im persönlichen und im öffentlichen Modus »tools by which individuals and groups struggle over and come to agree upon definitions of reality« (Lamont und Molnár, 2002, S. 168), die soziale Konsequenzen nach sich ziehen. So verstetigen sich die symbolischen Grenzen zu social boundaries: »objectified forms of social differences manifested in unequal access to and unequal distribution of resources (material and nonmaterial) and social opportunities« (ebd., S. 168). Spätestens in dieser objectified form werden aus kognitiv verfügbaren Kategorien als Teil der persönlichen Kultur öffentlich verfügbare Institutionen, die Handeln beschränken oder ermöglichen. Sie unterscheiden sozio-kulturelle Formen, wie Gruppen, und ermöglichen so die Entstehung kollektiver Identitäten und Rivalitäten, eines Verständnisses von »uns« vs. »die« (exemplarisch Smith und Hogg, 2008), welches die Grundlage kollektiven Handels darstellt. Entsprechend ist das Erlernen der symbolischen wie sozialen Grenzziehung bzw. Kategorisierung ein wichtiger Bestandteil kultureller Reproduktions- bzw. Enkulturationsprozesse.

Dabei können Kategorien in Form von Institutionen Stabilität erlangen oder Wandel unterliegen, mal situativ aktiviert und damit relevant werden oder eben als situativ irrelevant in den Hintergrund treten (Hirschauer, 2014). Wirksam im Sinne einer Deutungsressource werden Kategorien, wie alle kulturellen Elemente, durch ihre internen wie externen Relationen. Entsprechend sind auch ihre Strukturen unabdingbar für die Entstehung von Sinn. So können den Relationen der Kategorien beispielsweise spezifische Bewertungs- und Vergleichskriterien zugrunde liegen, die diese ordnen und damit komplexere Elemente persönlicher Kultur, wie Mental Models, oder der öffentlichen Kultur strukturieren, wie Diskurse und Narrative.

Schemas und insbesondere ihr Subtypus Kategorien gehören zu den wichtigsten Konzepten der vorliegenden Arbeit. Sie zu rekonstruieren, wird im Zentrum stehen, da sie verstehen lassen, welche kulturellen Einheiten in welcher Beziehung (und Wertigkeit) in den Deutungen der Lehrenden der Lehrsituation und ihres eigenen Lehrhandelns relevant sind. Neben diesen formbezogenen Aspekten ermöglichen sie zudem den Zugang zur Deutung jener Kulturen, die sie repräsentieren. Was wird wie unter Soziologie verstanden? Was unter Methoden? Wie verhalten sich diese Kategorien zueinander, wie sind sie weiter auszudifferenzieren? In welchen Relationen liegen mögliche Inkonsistenzen begründet? Nicht zuletzt sind Kategorien und Schemas für die Deutung der organisatorischen Rahmenstruktur, beispielsweise die Strukturierung von Instituten durch Lehrstuhldenominationen oder die Struktur von Studiengängen, und des mit dieser im Wechselverhältnis stehenden Lehrhandelns unabdingbar. In diesen Strukturen materialisieren sich Kategorien und Schemas der repräsentierenden und repräsentierten Kulturen.

2.3.3Materialisiertes Wissen

Kulturobjekte

Kulturobjekte sind kulturelle Elemente materieller Natur und somit Bestandteil der öffentlichen Kultur. Sie gehen in ihrer materiellen Form aus anderen kulturellen Elementen hervor – symbolischer, kognitiver oder auch verkörperter Art. Diese verdichten sich zu Kulturobjekten, »by which I mean a set of shared symbols embodied in a tangible or expressive form« (Griswold, 1987, S. 1081).10 Die Materialisierung anderer kultureller Formen zu Objekten leistet die Funktion eines kulturellen Gedächtnisses, welches verschiedene Potenziale für Bedeutung unabhängig von individueller Kognition speichern und verbreiten, schlussendlich also kommunizieren kann (Spillman, 2020, S. 44–46). Dabei liegt ihr Beitrag zur Herstellung von Bedeutung gleichermaßen in ihrem symbolischen Gehalt und ihrer materiellen Beschaffenheit (exemplarisch McDonnell, 2010; Taylor, Stoltz und McDonnell, 2019) begründet. Zum einen besitzen kulturelle Objekte inhärente, kontextunabhängige »Qualitäten«, die bestimmen, wie »the materiality of the cultural object and its setting enhance or diminish an audience’s exposure to its symbolic content«. McDonnell bezeichnet diese Eigenheit kultureller Objekte als »perceptibility« (2010). Ergänzt wird dieses Konzept um die »legibility«, die auf die kontext- und damit auch publikumsabhängige Mehrdeutigkeit kultureller Objekte verweist. In dem damit verbundenen Konzept der »Affordances« (ein mittlerweile auch in der Soziologie erfolgreiches Konzept, ursprünglich entwickelt vom Psychologen Gibson, 1979) resultieren die Charakteristiken der Objekte und des Publikums in einem »latent set of possible actions that environments and objects enable« (McDonnell, 2010, S. 1806) oder behindern.

Interessant ist also primär das Zusammenspiel sozio-kultureller und materieller Bedingungen der Interpretation des symbolischen Gehaltes der Objekte bzw. der entsprechenden Bedingungen ihrer Einbindung in kulturelle Praktiken (vgl. Griswold, 1987, S. 1079). In diesem Sinne unterscheiden sich die Bedeutungszuschreibungen zu den Objekten bzw. zu Kontexten, zu denen diese Objekte gehören, nicht nur auf Grund ihrer inhärenten Charakteristika, sondern auch auf Grund »socially shared presuppositions« (ebd., S. 115), also der sozialen Gruppenzugehörigkeit des Publikums. Kulturelle Objekte markieren somit symbolische wie soziale Grenzen. Objekte mit klarer sozio-kultureller Zugehörigkeit bezeichnet Puetz als »anchor objects«, deren Bevorzugung kommuniziert, »to which group you belong, no matter whether that is your intention« (Puetz, 2017, S. 242). Die Enkulturation in eine soziale Gemeinschaft etabliert somit auch die Beziehung zu entsprechenden Objekten, vielfach geschieht dies in Form von Ritualen (vgl. Collins, 2004, S. 26) und über die Einbindung der Objekte in die gleichermaßen zu erlernenden Praktiken (vgl. Bowker und Star, 2017, S. 181; Lave und Wenger, 2011). Das Pendant zur Grenzziehungsleistung des anchor objects stellen »boundary objects« (Star und Griesemer, 1989) dar. Sie zeichnen sich dadurch aus, »[that they carry] different meanings in different social worlds but their structure is common enough to more than one world to make them recognizable, a means of translation. The creation and management of boundary objects is a key process in developing and maintaining coherence across intersecting social worlds« (ebd., S. 393). Sie zeichnen sich durch Bedeutungsvielfalt aus, die jedoch in spezifischen Kontexten sozio-kulturelle Einheiten integriert, statt sie zu unterscheiden. Welche Leistung für welche Publika kulturelle Objekte also erbringen, bleibt eine empirische Frage. Abschließend sei noch auf das Potenzial kultureller Objekte als Stabilisatoren kultureller Ordnung bzw. als Unterstützer kulturellen Wandels hingewiesen. So kann zum einen im Sinne des »meaning-making« Bedeutung durch die Erzeugung eines kulturellen Objektes (»innovating«) hergestellt werden.11 Zum anderen kann im Prozess des »indexicalizing« (Taylor, Stoltz und McDonnell, 2019, S. 2) die in der Objektherstellung intendierte Bedeutung bestätigt werden. Dies entspricht der Leistung des »meaning-maintaining« (Patterson, 2014, S. 7).

Im Rahmen meiner Arbeit werden kulturelle Objekte als Datenmaterial – Syllabi und Lehrbücher – als auch als Referenzobjekte in den verbalisierten Deutungen der Lehrenden ihrer Lehrgestaltung relevant. Sie werden als Materialisierung von kultur- und damit gruppenspezifischen Schemas verstanden, die somit zum Bestandteil öffentlicher Kultur werden. Zugleich repräsentieren beispielsweise Lehrbücher nicht nur Weltsichten ihrer Autor:innen (in primär deklarativer Form), sondern unterstützen zugleich deren Aneignung durch die Studierenden im Zuge ihrer Enkulturationsprozesse.

Abbildung 3: Schematische Darstellung der drei relevanten Kulturen

Abschließend sei noch einmal betont, dass mich in meiner Arbeit primär jene verkörperten, kognitiven, symbolischen wie materiellen kulturellen Formen interessieren, die aus der Perspektive der Lehrenden Kontextbedingungen der soziologischen Methodenlehre darstellen, im symbolinteraktionistischen Sprachgebrauch also für die Deutung und Gestaltung der Lehre einen Unterschied machen. Diese Elemente sind somit Teil der persönlichen Kulturen der Lehrenden, die sich unter anderem aus der öffentlichen Kultur der Wissenschaft und der Soziologie, die es zu repräsentieren gilt, speisen und der öffentlichen Kultur der Lehre im universitären Studium, welche wissenschaftliches Wissen repräsentiert. In der für die jeweilige Lehrsituation spezifischen Konstellation dieser drei Kulturen vermute ich das Potenzial für Deutungs- und Handlungskonflikte, die den Lehrenden gleichermaßen auf der Deutungs- und Handlungsebene Lösungen abverlangen.

Anschließend an diese Vorstellung der wichtigsten kultursoziologischen Konzepte meiner Arbeit steht im Folgenden die Kernaktivität der Lehrenden im Zentrum: die Gestaltung des Enkulturationskontextes bzw. die Rekontextualisierung soziologischen Wissens im Kontext der universitären Lehre. Das deklarative und non-deklarative Lehrwissen, das den Lehrenden für diese Gestaltung zur Verfügung steht, besteht gleichermaßen aus ihrem disziplinär oder methodologisch spezifischen Wissen als auch ihrem Wissen um die Kontextbedingungen des universitären Studiums. Somit entspricht das Wissen, das ihr Lehrhandeln informiert, dem Ideal nach der Schnittmenge der drei Kulturen (siehe Abbildung 3).

2.4Gestaltung von Enkulturationsprozessen

Den Bildungskontext des für diese Arbeit relevanten Enkulturationsprozesses stellt das universitäre Studium dar, in dem soziale und kulturelle Ordnung(-en) reproduziert werden. Dass soziale und kulturelle Reproduktion (und damit Enkulturation) eine Grundfunktion jeder Form der (Aus-)Bildung darstellen, hat die Bildungssoziologie vor allem für Schulbildung aufgezeigt (als wegweisend siehe Bernstein, 1981). Dabei stellen Form und Inhalt der Lehre kulturelle Produkte als auch Grundlagen eines fortlaufenden Reproduktionsprozesses von Kultur dar.

Da ich mich in meiner Arbeit mit dem empirischen Fall der Methodenausbildung innerhalb des Soziologiestudiums beschäftige, ist anzunehmen, dass es sich bei der zu reproduzierenden Kultur um soziologische Kultur(-en) handelt. Doch wie kann kulturelles Wissen, welches für gewöhnlich im Kontext praktischer Forschungserfahrung Bedeutung gewinnt, im Kontext des universitären Studiums repräsentiert und verinnerlicht werden? Wie also verhält sich die zu repräsentierende Kultur zum Kontext ihrer Repräsentation?

In diesem Unterkapitel widme ich mich der theoretischen Vorbereitung dieser später empirisch verfolgten Fragen. Als Erstes werde ich Bernsteins Konzept der Rekontextualisierung einführen. Dieses vermittelt zwischen dem wissenschaftlichen Wissen und dem Kontext seiner Repräsentation über die Teilprozesse Klassifikation und Framing. Daran anschließend geht es um den Zusammenhang der Beschaffenheit von spezifischem kulturellem Wissen und der Möglichkeit, dieses über den Prozess der Rekontextualisierung in der Lehre zu repräsentieren.12 Ich widme mich also der folgenden Frage: »Are disciplines and the curricula that are designed to induct students into their mysteries one and the same thing?« (Muller, 2009, S. 215)

2.4.1Rekontextualisierung von Kultur

Die Übersetzung kulturellen Wissens intellektueller Domänen, wie der Wissenschaft, in den Kontext von Bildungs- bzw. Enkulturationsprozessen entspricht einem sozio-kulturellen Produkt und Prozess einer Vielzahl an Differenzierungs-, Selektions- und Ordnungsentscheidungen beteiligter Akteur:innen. Die Elemente des Lehrplans und die Form ihrer Vermittlung entsprechen somit einem »system of choices« (Bernstein, 2009, S. 72), welches kognitive Kategorien (Klassifikation) der persönlichen Kulturen der Lehrenden in spezifischer Weise (Framing) als Kategorie’ (siehe Abbildung 4) in den Modus der öffentlichen Kultur überführt und damit den Enkulturationsprozessen der Lernenden zugängig macht. Diese Kategorien liegen beispielsweise in materialisierter Form eines Lehrplans vor oder werden diskursiv zum Ausdruck gebracht. Am Ende dieses Prozesses stellt sich den Lernenden diese ihnen neue Kategorie in »naturalisierter« (vgl. Bowker und Star, 2017, S. 194) statt sozial konstruierter Form dar (vgl. auch Bernstein, 1981, S. 336). Zusammen ergeben Klassifikation und Framing den Prozess der »Rekontextualisierung« (Bernstein und Solomon, 2010, S. 268).13

Abbildung 4: Rekontextualisierung von Wissen zu Wissen’ unter Rückgriff auf das »Cultural Triangle« von Lizardo (2017)

Klassifikation

Bernstein bezeichnet die Gesamtheit der Entscheidungen der Lehrenden hinsichtlich der durch sie innerhalb der Lehre relevant zu machenden Wissenskategorien als »Klassifikation«. Im Zentrum steht die Markierung relevanter und legitimer Sinneinheiten, das Ziehen unterschiedlich starker Grenzen, sowie deren Relationierung.

Where classification is strong, contents are well insulated from each other by strong boundaries. Where classification is weak, there is reduced insulation between contents for the boundaries between contents are weak or blurred. Classification thus refers to the degree of boundary maintenance between contents. Classification focuses our attention upon boundary strength as the critical distinguishing feature of the division of labour of educational knowledge. (Bernstein, 1971, S. 49)

In diesem Zitat spricht Bernstein auch die bereits eingeführte Verbindung symbolischer wie sozialer Grenzen an, wenn der Prozess der Klassifikation nicht nur Sinneinheiten unterscheidet, sondern sich auch in spezifischen Rollen der arbeitsteiligen Organisation der Lehre materialisiert. Zudem ist, wie bereits im vorherigen Kapitel thematisiert, die Beteiligung an dieser Art von Klassifikationsprozessen und die Durchsetzung von sozio-kulturell spezifischen Wirklichkeitsdeutungen im Zusammenhang mit der Erstellung von Curricula eine Folge spezifischer Machtverteilungen. Der Prozess der Klassifikation markiert nicht nur, was gelehrt wird, sondern auch, wer dies entscheiden kann, und entsprechend, wessen Deutung von Welt repräsentiert wird.

Framing

Ergänzt wird die Klassifikation um den Prozess des Framings, die Gestaltung des »context in which knowledge is transmitted and received« (ebd., S. 50). Hierbei geht es um das Prinzip hinter dem Wie der Vermittlung einer spezifischen Form (Klassifikation) kulturellen Wissens im Zuge der Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden. Definiert ist das Framing durch die Verteilung der Kontrolle »over the selection, organization and pacing of the knowledge transmitted and received in the pedagogical relationship« (ebd., S. 50) zwischen den Lehrenden und Lernenden. Eine starke Ausprägung des Framings liegt vor, wenn die Lehrenden die Kontrolle ausüben. Das Framing gilt hingegen als schwach, wenn die Lernenden die Wahl, Ordnung und das Tempo der Vermittlung des jeweils durch die Klassifikation bestimmten kulturellen Wissens mitbeeinflussen. Eine weitere Dimension des Framings ist die Moderation des Verhältnisses von »educational knowledge«14 und dem den Lernenden bereits zur Verfügung stehenden Alltagswissen im Rahmen der Lehre.

Wenn die Lehrenden also unter Rückgriff auf ihr persönliches Wissen zur disziplinären Kultur als auch zur Kultur des universitären Studiums Sinneinheiten für die Lehre abgrenzen und ordnen, folglich klassifizieren, bestimmen sie what is to be reproduced. Dies können große Kategorien wie die Themen ganzer Lehrveranstaltungen sein, aber auch diejenigen einzelner Sitzungen und kleiner Einheiten, wie Konzepte, in den Sitzungen. Wenn die Lehrenden entscheiden, in welchem »mode of exposure« (Lizardo, 2017, S. 92) sie diese Sinneinheiten in der Lehre relevant machen, legen sie die Parameter des Framings fest. Mit dieser Festlegung, z.B. ob die Lernenden spezifische Inhalte wählen können oder zu diesen verpflichtet werden, ob sie ein Buchkapitel (materialisiertes, symbolisches Wissen) lesen, eine spezifische Form der Datenerhebung praktizieren (verkörpertes Wissen) oder einem Vortrag (symbolisches, diskursives Wissen) folgen, entscheiden die Lehrenden auch über die mögliche »form of its [der Sinneinheiten, LK] acquisition« (Bernstein, 1981, S. 343).

Zusammen leisten die Prozesse der Klassifikation und des Framings die Rekontextualisierung von Wissen bzw. Kultur für den Enkulturationskontext des disziplinären Studiums an einer Universität. Ich konzeptualisiere das Wissen zu diesen Prozessen als das Lehrwissen der individuellen Lehrenden bzw. als Lehrkultur der Soziologie, wenn sich dieses Wissen zu Mustern über individuelle Lehrende hinaus stabilisiert (siehe Abbildung 3). Es beinhaltet das Wissen darum, was wie gelehrt/gelernt wird. Dabei liegt das Lehrwissen, genauso wie das gelehrte Wissen, im deklarativen und non-deklarativen Modus vor (vgl. Bernstein und Solomon, 2010, S. 267). Somit sind Klassifikation und Framing nicht zwingend, aber doch möglicherweise Gegenstand des absichtsvollen Handelns der Lehrenden. Dies bleibt eine empirische Frage.

Kombinationen von Klassifikation und Framing

Je nach Ausprägungen von Klassifikation und Framing unterscheidet Bernstein zwei Idealtypen von »knowledge codes«, die die jeweilige Rekontextualisierung qualifizieren: den »collection code« und den »integrated code«. Ersterer zeichnet sich durch eine starke Klassifikation, das heißt Grenzziehung zwischen kulturellen Elementen, und durch ein starkes Framing, das heißt starke Kontrolle der Lehrenden über den Vermittlungsprozess, aus.

For the many, socialization into knowledge is socialization into order, the existing order, into the experience that the world’s educational knowledge is impermeable. (Bernstein, 1971, S. 57)