Doctor Who Monster-Edition 4: Waage der Ungerechtigkeit - Gary Russel - E-Book

Doctor Who Monster-Edition 4: Waage der Ungerechtigkeit E-Book

Gary Russel

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Beschreibung

Als ein Junge verschwindet und eine Polizistin anfängt, Höhlenmalereien anzufertigen, kommt dem Doktor ein Verdacht: Die Silurianer sind zurück. Da der Brigadier in der Heimat mit eigenen Problemen ringt, verpflichtet der Doktor dessen Assistentin Liz Shaw zur Geheimhaltung und ermittelt auf eigene Faust. Doch auch Liz selbst stellt Nachforschungen an: Sie tut sich mit einem Journalisten zusammen, um Personen aufzuspüren, die es nicht gibt. Was ist das mysteriöse Glashaus, und warum ist es so geheim? Während die Silurianer aus ihrem langen Schlaf erwachen, werden der Doktor, Liz und der Brigadier in eine Verschwörung verstrickt, die tief ins Zentrum der britischen Regierung hineinreicht.

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Sammlungen



WAAGE DERUNGERECHTIGKEIT

GARY RUSSELL

Ins Deutsche übertragen von

BERND SAMBALE

Die deutsche Ausgabe von

DOCTOR WHO: WAAGE DER UNGERECHTIGKEIT

wird herausgegeben von Cross Cult /Andreas Mergenthaler,

Übersetzung: Bernd Sambale; Lektorat: Jana Karsch; Korrektorat: Peter Schild;

verantwortlicher Redakteur: Markus Rohde; Satz: Rowan Rüster;

Printausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohořelice.

Printed in the EU.

Titel der Originalausgabe: DOCTOR WHO – SCALES OF INJUSTICE

German translation copyright © 2021 by Cross Cult.

Original English language edition copyright

© die jeweiligen Autoren, BBC Worldwide Limited

und BBC Studios, 1996, 2014, 2021

Doctor Who is a BBC Wales production for BBC One.

Executive producers: Chris Chibnall and Matt Strevens

BBC, DOCTOR WHO, TARDIS, DALEK and CYBERMAN (word marks and logos) are trade marks of the British Broadcasting Corporation and are used under licence.

BBC logo © BBC 1996. Doctor Who logo © BBC 2018.

Dalek image © BBC/Terry Nation 1963.

Cyberman image © BBC/Kit Pedler/Gerry Davis 1966. Licensed by BBC Studios.

First published in 1996, THE MONSTER COLLECTION edition published in 2014 by BBC Books, an imprint of Ebury Publishing.

A Random House Group Company.

Printausgabe: ISBN 978-3-96658-022-9 • Digitale Ausgabe: ISBN 978-3-96658-023-6

Januar 2021

WWW.CROSS-CULT.DE

Inhalt

VORWORT

MITTEILUNG

MITTEILUNG

ERSTE EPISODE

ZWEITE EPISODE

DRITTE EPISODE

VIERTE EPISODE

FÜNFTE EPISODE

SECHSTE EPISODE

SIEBTE EPISODE

VORWORT

Ich stehe total auf Reptilien. Wissen Sie, ich liebe alle Storys von Malcolm Hulke: Zwischen 1967 und 1974 schrieb er einige der besten Doctor Who-Fernsehabenteuer aller Zeiten. Nur in zwei davon kommen keine Reptilien vor: Kriegsspiele (1969) verfasste er zusammen mit Terrance Dicks, The Ambassadors of Death (1970) war eine Überarbeitung von David Whitakers Originaldrehbüchern. Na gut, in The Faceless Ones gibt es auch keine Reptilien, aber die Schurken werden als Chamäleons bezeichnet, das soll mir genügen. In Frontier in Space traten Drakonier auf (und es wäre auch eine riesige ogronverschlingende Echse vorgekommen, wenn bloß das Budget gereicht hätte – so mussten wir uns mit einem aufblasbaren Gummimonster zufrieden geben). Colony in Space hatte einen bizarren, menschenaufschlitzenden Roboter zu bieten, der so tat, als wäre er eine gigantische Echse aus Archivaufnahmen (kommen Sie schon, lassen Sie sich einfach drauf ein …), und Invasion of the Dinosaurs bietet uns die größten Echsen überhaupt!! Ein Hoch auf die Reptilien.

Mr Hulkes wichtigster Beitrag zu Doctor Who waren für mich jedoch die Homo Reptilia, Erdreptilien, Eozäner, oder – wie wir sie alle kennen und lieben – die Silurianer und Seeteufel. Ein Hoch auf die dreiäugigen Wesen, die unter der Erde leben, und ihre fischäugigen Cousins aus dem Meer.

Wenn Sie eher die jüngeren Versionen der Silurianer kennen, vertreten etwa durch Vastra, Alaya oder Bleytal im modernen Doctor Who, verwundert es Sie vielleicht, dass die Silurianer in diesem Buch drei Augen haben. Im Jahr 1996, als Waage der Ungerechtigkeit erstmals veröffentlicht wurde, waren die modernen, menschenähnlichen Silurianer noch nicht erfunden. In der Geschichte wird jedoch klar, dass es bei der Physiognomie der Silurianer alle möglichen Variationen gibt, genau wie bei Menschen unterschiedliche Hautfarben vorkommen. Demnach kann man sich durchaus vorstellen, dass im Hintergrund der Szenen mit Icthar oder Baal Wissenschaftler wie Malohkeh herumlaufen.

Warum habe ich nun also dieses Buch geschrieben, abgesehen von meiner überwältigenden Liebe zu drolligen, kleinen Reptilien? War es meine Faszination für dubiose Regierungstypen, die im Geheimen agieren, hier vertreten durch einen Vorläufer von Torchwood mit seinem Gewölbe voller außerirdischer Technik? War es meine Liebe zum Brigadier und mein Wunsch – hervorgegangen aus Gesprächen mit meinem verstorbenen Freund und Wegbegleiter Nicholas Courtney –, etwas mehr von seinem Privatleben zu erzählen und vom Druck, der mit der Leitung von UNIT einhergeht? War es meine Entschlossenheit, Liz Shaw eine (hoffentlich anständige) Abschiedsstory zu gönnen? Oder war es nur meine absurde Obsession, haarsträubende Verbindungen zwischen UNIT-Mitarbeitern zu knüpfen, möglichst jeden wenigstens kurz zu erwähnen und nebenbei noch Mike Yates’ Beförderung mitzuerleben? Um ehrlich zu sein, trifft alles zu. Hinzu kommt meine lebenslange Begeisterung für die Ära des dritten Doktors und meine Lieblings-Doctor Who-Staffel, die erste mit Jon Pertwee, ausgestrahlt im Jahre 1970.

Es gab Bemerkungen, ich hätte in diesem Buch ein bizarres Vergnügen daran, Menschen auf vielfältige und grauenvolle Weise umzubringen. Kurioserweise haben sechzehn Jahre Schreiberfahrung mir gezeigt, dass ich eigentlich nicht gern Leute kaltmache. Der heutige Grussell hätte ein gutes halbes Dutzend der Figuren in diesem Romans am Leben gelassen. Denn darin liegt die größere schriftstellerische Herausforderung: Figuren umzubringen, ist leicht; den Mord an ihnen zu rechtfertigen, ist deutlich schwerer; sie anhand ihrer Erfahrungen eine Verwandlung durchmachen zu lassen, ist jedoch am allerschwersten – doch definitiv auch am lohnendsten. Ich bin nicht sicher, ob dieser spezielle Aspekt des Romans geglückt ist. Also entschuldigen Sie bitte die hohe Opferzahl. Schreiben Sie es meiner jugendlichen Unerfahrenheit zu und dem irrigen Glauben, dass es bei Doctor Who eben genau darum ginge.

Zwei Dinge stimmen mich jedoch auch heute beim erneuten Lesen zufrieden und erfüllen mich mit Stolz. Erstens das Gewölbe mit dem blassgesichtigen Mann und seinen zwei irischen Auton-Assistenten (deren Werdegang weitererzählt wird in den derzeit vergriffenen, aber hoffentlich irgendwann wieder erhältlichen Büchern Business Unusual und Instruments of Darkness, beides Romane mit dem sechsten Doktor und Melanie Bush). Dies ist ein schändliches Beispiel dafür, wie sehr sich ein Schriftsteller in die eigenen Figuren verlieben kann. Aber ich werde mich dennoch nicht dafür entschuldigen, denn, nun, ich halte sie ehrlich gesagt für gar nicht so übel. Ich finde sie interessant und ich glaube, sie verdienen einen erneuten Auftritt und eine Weiterentwicklung.

Zweitens erfreuen mich die Homo Reptilia (natürlich würde ich nie im Leben behaupten, dass ich derjenige war, der den Autor Chris Chibnall an diese Bezeichnung erinnert hat, als er in The Hungry Earth gerade an ihrer Rückkehr arbeitete, aber … ähm, so war es). Ich schöpfte aus allem, was Malcolm Hulke geschrieben hatte, aus seinen TV-Storys Doctor Who and the Silurians und The Sea Devils (sowie den bei Target erschienenen Romanversionen, zwei Glanzstücke, die wohl zu den besten Doctor Who-Büchern gehören, die je veröffentlicht wurden). Statt altes Material wieder aufzuwärmen, habe ich versucht, eine eigenständige Geschichte zu kreieren. Ich konnte meine Recherchen schön mit der Entwicklungsgeschichte der Kulturen beider Spezies abrunden, wie sie in Warriors of the Deep vorkam, Johnny Byrnes Fortsetzung zu den beiden Storys – ein hervorragendes Drehbuch, das fürs Fernsehen vielleicht nicht so erfolgreich umgesetzt worden ist, wie es das verdient hätte. Ich hatte also alles, was ich brauchte, und musste es nur noch zusammenfügen. Ich bin mächtig stolz auf die Homo Reptilia in dieser Story, und wenn bei der Leserschaft wenigstens ein Zehntel meines Gefühls für die Zivilisation, die Hintergründe und die Wirklichkeit dieser wunderbaren Wesen ankommt, verbuche ich das als Erfolg. Auch wenn die Meinungen über die Myrka aus dem Fernsehen auseinandergehen mögen, so hoffe ich doch, Sie stimmen mir zu, dass diese Spezies einen Platz in diesem Buch verdient hat, abzüglich der nicht ganz so geglückten Requisite, die im Fernsehen zu sehen war (mit »nicht ganz so geglückt« meine ich natürlich »zum Wiehern, offen gesagt«). Wie Sie jedenfalls feststellen können, habe ich wirklich nichts ausgelassen!!

Also lehnen Sie sich zurück und lesen Sie weiter, und wenn Sie möchten, dürfen Sie mitzählen, wie viele ungeheuerliche (und unverzeihliche) Kontinuitätsverweise in diesem Buch vorkommen. Nach der Erstveröffentlichung sprachen Rezensenten recht unbarmherzig von »Hunderten«. Ich glaube ja, es waren bloß neunundneunzig und noch ein paar dazu …

Gary Russell

Oktober 2013

Dieses Buch ist für Paul Neary und Mike Hobson.Wir hatten eine tolle Zeit.

MITTEILUNG

An:

Professor Andrew Montrose

Forschung und Entwicklung

Naturwissenschaftliche Abteilung

Universität Cambridge

Cambridgeshire

14. Oktober

Sehr geehrter Professor Montrose,

ich schreibe Ihnen bezüglich der bestehenden Vereinbarung zwischen Ihrer Abteilung und Abteilung C19 des Verteidigungsministeriums Ihrer Majestät, Aktenzeichen JS/77546/vgl.

Wie Ihnen bekannt ist, hat C19 in den vergangenen Jahren immer wieder eine große Zahl individueller Projekte und Lehrveranstaltungen subventioniert und viele Mitarbeiter Ihrer Einrichtung mitgesponsort.

Auf Grundlage der obigen Vereinbarung beantragt die Abteilung C19, dass die vier unten genannten Mitarbeiter unverzüglich an von uns festgelegten Standorten eingesetzt werden. Der Zeitraum ist auf eine Spanne von zwölf bis vierundzwanzig Monaten angesetzt.

Wir benötigen die Unterstützung folgender Forscher:

Richard Atkinson

Doktor James D. Griffin

Doktor Elizabeth Shaw

Cathryn Wildemann

Bitte informieren Sie die genannten Personen, dass ihr Dienst am Montag, dem 21. Oktober, beginnen wird. Sie werden von unseren Repräsentanten abgeholt und zu ihrem Einsatzort gebracht.

Bitte setzen Sie die Mitarbeiter in Kenntnis darüber, dass sie sich, um die Auflagen des (geänderten) Zivilschutzgesetzes (1964) zu erfüllen, schriftlich zum Gesetz zur Wahrung des Staatsgeheimnisses (1963) bekennen müssen, bevor sie Cambridge verlassen.

Sie können ihnen versichern, dass sie nicht gezwungen werden, an Projekten teilzunehmen, die sie für moralisch fragwürdig erachten, einschließlich der Entwicklung von Waffen und Rüstungsgütern sowie etwaiger dazu in Verbindung stehender Angelegenheiten. Wir danken Ihnen im Voraus für Ihre Kooperation in dieser Sache.

Hochachtungsvoll,

Sir John Sudbury

Sachbearbeiter

Abteilung C19

Verteidigungsministerium

An:

Sir Marmaduke Harrington-Smythe CBE

Das Glashaus

14. Oktober

Sehr geehrter Sir Marmaduke,

heute möchte ich in zwei wichtigen Punkten auf Ihre Schreiben vom 23. und 27. September eingehen.

Erstens geht es um die Zukunft der privaten Pflegeeinrichtung, die unter dem Namen Glashaus bekannt ist. Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir Ihren bestehenden Vertrag um weitere achtzehn Monate verlängern werden, geltend ab dem 31. Oktober dieses Jahres. Unsere Zahlungen für Ihre Dienste erhöhen sich ab demselben Datum um 2,3 %.

Sie werden mir sicher zustimmen, dass wir mit einigen Startschwierigkeiten zu kämpfen hatten, von denen einige bereits im Zuge Ihres Aufbaus dieser für unser Ministerium hochwichtigen Einrichtung aufgetreten sind, während andere bei der Koordination des nötigen Verwaltungsaufwands (insbesondere der Anwendung des Gesetzes zur Wahrung des Staatsgeheimnisses (1963)) zutage kamen. Der Minister teilt mittlerweile jedoch die Ansicht anderer Mitglieder von C19, mich selbst eingeschlossen, dass wir einen befriedigenden Pflegestandard für diejenigen unserer Veteranen erreicht haben, deren Verletzungen sich nicht für die Behandlung in herkömmlichen Krankenhäusern eignen – stets unter Wahrung der vollkommenen Diskretion, die diese Abteilung einfordert.

Zweitens legten Sie in Ihrem Schreiben vom 27. September dar, dass das Glashaus bessere wissenschaftliche Mitarbeiter benötigt, um mit den Materialien zu arbeiten, die wir Ihnen zur Verfügung stellen. Zu diesem Zweck werden wir die von Ihnen beantragte Umgestaltung des Kellerbereichs zu einem Labor subventionieren, solange gewährleistet ist, dass nur von uns bereitgestellte Mitarbeiter von dessen Existenz erfahren. Zusätzlich werden Ihnen vier neue Mitarbeiter zur Verfügung gestellt, die direkt von unserer Abteilung bezahlt werden. Geleitet wird dieses Team von Doktor Peter Morley, der Ihnen vielleicht schon durch seine Arbeit an der Fakultät für Angewandte Naturwissenschaft an der Universität Warwick bekannt ist.

Bei Fragen können Sie sich jederzeit gerne an mich wenden.

Hochachtungsvoll,

Sir John Sudbury

Sachbearbeiter

Abteilung C19

Verteidigungsministerium

MITTEILUNG

VON:

Commander, Britischer Zweig, UNIT

AN:

alle Mitarbeiter AZ: 3/0038/ALS/mh

BETREFF:

Ankunft der wissenschaftlichen Beraterin

DATUM:

24. Oktober

Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass demnächst Elizabeth Shaw als wissenschaftliche Beraterin zu UNIT stoßen wird.

Doktor Shaw hat während der letzten Jahre in Cambridge mit dem hochangesehenen Montrose-Team gearbeitet. Am Montag, dem 31. Oktober, wird sie bei uns eintreffen. Sie untersteht direkt Captain Munros und meinem Befehl und wird unsere neue wissenschaftliche Abteilung aufbauen. Außerdem wird sie in medizinischen Angelegenheiten eng mit Doktor Sweetman zusammenarbeiten.

Sicher werden Sie Doktor Shaw gemeinsam mit mir in unserer Organisation willkommen heißen und ihr alle Hilfe und Unterstützung bieten, die sie während ihrer Eingewöhnungszeit benötigt. Wir freuen uns alle auf dieses wertvolle neue Teammitglied.

Brigadier A. Lethbridge-Stewart

Commander

Britischer Zweig, UNIT

ANDREW MONTROSE

THE CUPPS HOUSE

BRIDGE STREET

CAMBRIDGE

An:

Richard Atkinson

 

Doktor James D. Griffin

 

Doktor Elizabeth Shaw

 

Cathryn Wildeman

25. Oktober

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich füge einen Brief bei, den ich heute von C19 bekommen habe. Uns war wohl allen klar, dass es einmal so weit kommen könnte, und jetzt scheint es, als ob sie endlich ihren Tribut einfordern wollen.

Sie werden wohl alle ein paar Tage benötigen, um Ihre Angelegenheiten zu regeln und Ihre gegenwärtigen Projekte unter Dach und Fach zu bringen. Weder weiß ich, wo Sie landen werden, noch ob Sie als Gruppe oder getrennt arbeiten werden. Tut mir leid, aber hierbei sind wir den Entscheidungen von C19 weitestgehend ausgeliefert. Eins jedoch kann ich Ihnen sagen: Auf Sir John Sudbury ist Verlass. Wenn er sagt, dass Ihre Arbeit nichts mit dem Militär zu tun hat, glaube ich ihm das.

Wir werden wohl leider nicht noch einmal hier in Cambridge zusammenarbeiten können. Wie Sie wissen, scheide ich im Mai nächsten Jahres aus dem Dienst, und Sie vier werden für die nächsten ein, zwei Jahre von der Außenwelt abgeschnitten sein. Ich hebe für jeden von Ihnen ein Stück Kuchen auf.

Machen Sie das Beste aus dieser Gelegenheit. Das alles mag ein bisschen orwellisch auf Sie wirken, aber es ist sicher nichts dabei. Genießen Sie es, meine Lieben, genießen Sie es!

Und halten Sie die Ohren steif.

Andrew

ERSTE EPISODE

»Heilige Scheiße«, keuchte Grant Traynor in der Finsternis. Im Tunnel roch es nach Chloroform, Feuchtigkeit und Desinfektionsmittel. Als wäre das nicht schlimm genug gewesen, mischten sich auch noch Amylnitrit und -nitrat sowie eine kräftige Note von Urin darunter – ein ekelhafter Gestank, der etwas so Grauenhaftes repräsentierte, dass Grant nicht glauben konnte, dass er tatsächlich in diese Sache verwickelt war.

Warum war er hier? Wie hatte er so tief sinken und das alles akzeptieren können? Rund zehn Jahre lang hatte er stillschweigend zugelassen, dass die abscheulichsten Dinge passierten, war sogar selbst daran beteiligt gewesen und hatte erst jetzt erkannt, dass er etwas dagegen unternehmen musste. Zuerst hatte es einfach zu seinem Job gehört, doch nun verstand er nicht mehr, wie er je an den Operationen hatte teilnehmen können, ohne sich zu übergeben, zu schreien oder zu protestieren.

Aber das spielte ohnehin keine Rolle mehr, denn er hatte endlich begriffen, was zu tun war: Er hatte beschlossen, der ganzen Sache ein Ende zu bereiten.

»Wenn ich fertig bin«, knurrte er, als er über eine Unebenheit im Boden stolperte, »werden die sich nirgendwo mehr blicken lassen können.«

Die Zeitungen. Er musste lediglich ein Telefon finden und die Medien über diese Einrichtung informieren. Sicher würde es kaum mehr als drei Stunden dauern, bis es in den Laboren, Büros und – das war das Beste – im Gewölbe nur so vor Reportern wimmeln würde.

Das Gewölbe. Das war der Ort, der zuallererst dichtgemacht werden musste. Dort hatte sich das wahre Grauen abgespielt, dort waren einige der bösesten Taten aller Zeiten begangen worden, alles vermeintlich zugunsten von Wissenschaft, Forschung und Geschichte.

»Sicher doch. Na, bald kommt alles ans Licht und dann werden sie …«

Aus der Finsternis drang ein Geräusch an sein Ohr. Von wo? Hinter ihm? Vor ihm? Er lauschte angestrengt. Das bisschen Licht im Tunnel reichte kaum, um zu sehen, wohin er trat, geschweige denn, was sich einen Meter weiter voraus oder hinter ihm befand. Er hörte ein Schnuppern, wie von einem Tier, einem Schwein, das nach Trüffeln suchte. Es klang wie …

»Oh Gott, nein! Nicht hier unten!« Grant beschleunigte seine Schritte. »Sie wissen, dass ich weg bin. Sie haben den Pirscher auf mich angesetzt!«

Das Schnüffeln kam näher und nun konnte er auch das Knurren hören. Es klang tief, ein wenig gequält, und selbst der bösartigste Rottweiler hätte bei diesem Geräusch Reißaus genommen. Traynor hatte selbst dazu beigetragen, dass der Pirscher so klang; er kannte seine Schwächen. Wusste, dass er keine hatte.

Grant war sich sicher, dass er einen ordentlichen Vorsprung hatte. Auch wenn der Pirscher verdammt schnell war, würde er ihn nicht so rasch einholen können – zumindest redete er sich das ein. Das Vieh besaß jedoch weit bessere Augen als er und vor allem konnte es im Dunkeln sehen. Außerdem war der Pirscher in der Lage, die Witterung sämtlicher Fährten aufzunehmen: von der stärksten Knoblauchfahne bis zum schwachen Hauch des feinsten Schweißfilms. Für diese spezielle Verbesserung war Grant persönlich verantwortlich gewesen und er wusste, wie gut das gelungen war. Bestimmt wusste der Jäger, dass er hier war. Er musste es wissen …

Aber vielleicht auch nicht. Traynor blieb stehen und lauschte. Vielleicht blufften sie nur, in der Hoffnung, dass er Angst bekäme, wenn er den Pirscher im Tunnel hörte. Dass er es sich anders überlegen und zu ihnen zurückkehren würde. Aber das konnten sie sich abschminken.

Das Knurren wurde lauter und lauter, was nur bedeuten konnte, dass das Biest ihm doch dichter auf den Fersen war, als er gehofft hatte. Wie groß war Grants Vorsprung noch, reichte er aus? Immer schneller stolperte er durch die Dunkelheit und ignorierte den Schmerz, der jedes Mal aufflammte, wenn er sich die ausgestreckten Hände an den unsichtbaren Steinwänden aufriss.

»Sie haben recht, Traynor«, rief jemand hinter ihm. »Wir haben Ihnen den Pirscher hinterhergeschickt. Sind Sie in der Nähe?«

Traynor hielt an und drückte sich gegen die Tunnelwand, als könnte ihn die Dunkelheit vor dem Pirscher beschützen. Mörder waren sie, allesamt! Was, wenn irgendjemand anders sich hierher verirrte? Jemand Unschuldiges? Und wenn schon – dann hätte er eine Geisel. Sie würden niemals zulassen, dass der Pirscher einen Unschuldigen zu fassen bekam.

Verdammt, Traynor war der Unschuldige. Nicht er verhielt sich falsch – sie taten es!

»Traynor, kommen Sie zurück zu uns.«

Du kannst mich mal, du lispelndes Arschloch. Als würde ich dir trauen. Vielleicht sollte er seinem Verfolger mal ins Gesicht sagen, was er von ihm hielt, von ihm und seinen verfluchten Schergen, die im Gewölbe zurückgeblieben waren. Vielleicht sollte er … Moment, war er nun vollkommen übergeschnappt? So würde er dem Pirscher bloß verraten, wo er sich versteckte.

Ja, er war näher gekommen, aber bis zur Ausfahrt konnte es nicht mehr weit sein. Und der chemische Geruch musste seine Raubtiernase ja wenigstens ein wenig durcheinander bringen. Hoffentlich …

»Traynor, bitte, das führt doch zu nichts. Sie haben doch gewusst, worauf Sie sich einlassen, als Sie damals die Dokumente unterschrieben haben. Ihnen war klar, dass Sie das Projekt nicht einfach verlassen können würden. Wir brauchen Sie, Traynor! Lassen Sie uns über Ihre Unzufriedenheit sprechen. Sie sind uns und dem Chef zu viel wert, um Sie auf diese Weise zu verlieren.«

Traynor ließ seinen Hinterkopf gegen die feuchte Wand sinken und verzog die Lippen zu einem freudlosen Lächeln. Darauf würde er wohl kaum hereinfallen.

»Traynor?«

Sie waren ihm jetzt so nah. Und dieser Widerling war persönlich hier unten, zusammen mit dem Pirscher. Mutig ist der Kerl, das muss man ihm lassen, dachte Traynor. Psychotisch, pervers, verschlagen und böse. Aber mutig.

So sehr er ihn dafür bewundern mochte, er würde sich nicht aufhalten lassen. Das durfte er einfach nicht. Es war zu wichtig, zu entkommen und der Presse alles zu verraten. Es war zu …

»Hallo, Traynor.«

»Oh Gott.« In der Finsternis konnte Traynor nur eines erkennen: Sein eigenes Spiegelbild in den Gläsern der Sonnenbrille seines Verfolgers. Es war dieselbe Sonnenbrille, die er immer trug, bei jedem Wetter, wohin er auch ging oder mit wem er sich traf.

Traynor erkannte Furcht in seinem Spiegelbild: die Furcht eines Mannes, der gerade von seinem direkten Vorgesetzten und dem Pirscher erwischt worden war.

»Tut mir leid, Traynor. Sie hatten Ihre Chance, aber Sie haben sie vertan.«

Etwas schnüffelte in der Nähe seines linken Fußes, dann stürzte er. Was folgte, war Schmerz. Er schrie und nahm nichts anderes mehr wahr als die Qual, als der Pirscher glatt durch seinen Unterschenkel biss. Er schlug auf dem Boden auf und der Gestank seines Bluts vermischte sich mit den penetranten Gerüchen im Tunnel. Irgendwo in der Dunkelheit kicherte jemand. Das Letzte, was Grant Traynor durch den Kopf ging, war die bittere Ironie seiner Situation: Mit den genetisch verbesserten Fängen, die er selbst zu genau diesem Zweck entworfen hatte, riss der Pirscher ihm nun das Fleisch aus dem Leib. Liz Shaw blickte sich im Labor des UNIT-Hauptquartiers um. Ihr Blick wanderte über ein Durcheinander aus Reagenzgläsern, Bunsenbrennern und Drahtspulen. Dazwischen befanden sich wissenschaftliche Artefakte, die sich deutlich schwerer identifizieren ließen; wahrscheinlich stammten sie von fremden Welten oder zumindest aus alternativen Dimensionen. Nun, vielleicht. Wo das Zeug auch herkommen oder wozu es dienen mochte, es lag ohne Ordnung oder Sinn auf den Werkbänken herum, war zu nichts nütze, war einfach nur da.

Der Kram ging ihr auf die Nerven.

Es war halb elf am Morgen. Ihr Auto hatte fast eine halbe Stunde gebraucht, um anzuspringen, und es regnete. Nein, sie hatte heute wirklich nicht die beste Laune.

»Die Sonne hat ’nen Hut auf. Hipp-hipp-hipp hurra! Die Sonne hat ’nen Hut auf und ist zum Spielen da!« Der Doktor sang schief und ohne viel Rücksicht auf Rhythmus und Tempo zu nehmen, aber Liz fand, dass es mit Ach und Krach der Wörterbuchdefinition von »Gesang« entsprach. Gerade so.

Seit acht Monaten saß sie nun in diesem großen, trostlosen UNIT-Labor fest, glotzte schon viel zu lang dieselben grauen Mauersteine an, dieselben sechs Werkbänke mit demselben Chaos aus Schläuchen, Brennern und Petrischalen darauf. Bevor Brigadier Lethbridge-Stewart sie hier abgeladen hatte, hatte sie ihr Leben in Cambridge genossen. Dort hatte sie erforscht, wie man biologisch nicht zersetzbaren Müll mit ökologischen Methoden abbauen konnte. Es war eine anspruchsvolle Aufgabe gewesen, die sie aller Voraussicht nach einige Jahre lang beschäftigt hätte. Wissenschaftlicher Fortschritt ging selten rasch vonstatten.

Stattdessen hatte sie eine Reihe erbitterter Schlachten ausfechten müssen: gegen das Nestene-Bewusstsein, seltsame Affenmenschen, noch seltsamere Reptilienmenschen, paranoide Wesen von fremden Welten und andere einheimische sowie außerirdische Bedrohungen. Anfangs war sie verständlicherweise zynisch gewesen, was den Sinn und Zweck von UNIT anging. Bald hatte sie jedoch Gefallen an den zahllosen ungewöhnlichen, unerklärlichen und häufig unnatürlichen Phänomenen gefunden, mit denen sie es im Rahmen ihrer neuen Tätigkeit zu tun bekam. Erst vor Kurzem hatte sie einem fremden Feind gegenübergestanden, wobei sie nicht nur in tropische Gefilde, sondern – dank des bizarren »Raum-Zeit-Visualisierers« des Doktors – auch in verschiedene Zeiten gereist war. Ja, aufregende neue Erfahrungen hatte ihr UNIT durchaus beschert.

Doch während sie einen Stift zwischen ihren Fingern drehte und darauf wartete, dass ihr Unbewusstes einen Sinn in der komplexen chemischen Formel entdecken würde, die der Doktor nachts an die Tafel gekritzelt hatte, machten ihr drei Dinge zu schaffen. Wie lange würde sie sich noch mit den unmoralischen militärischen Lösungen abfinden können, die UNIT manchmal anwandte? Mit all der Geheimniskrämerei – Nacht-und-Nebel-Aktionen, alles streng geheim, die Wände haben Ohren etc.? Und vor allem: Wie lange würde sie die Anwesenheit von UNITs wissenschaftlichem Berater noch aushalten können? Er mochte ja brillant, intelligent, charmant und eloquent sein, war aber zugleich auch unerträglich, chauvinistisch und launisch.

Sicher, sie würde wohl niemals eine inspirierendere und intellektuellere Person als den Doktor kennenlernen. (»Mensch« konnte sie nicht sagen, weil das menschliche Wurzeln voraussetzte, und sie wusste ja, dass er keine hatte.) Gleichzeitig war er die unerträglichste Person, der sie je begegnet war. Und als Assistentin war Liz für ihn etwa so nützlich wie eine Kugel im Kopf.

Hmmm. Manchmal hatte diese Analogie einen gewissen Reiz …

»Tut Ihnen irgendwas weh, Doktor?«, fragte der Brigadier, der gerade den Kopf zur Tür hereinstreckte. Er trug ein ungewohnt breites Grinsen auf dem Gesicht.

Der Doktor hörte abrupt auf zu singen. Liz war drauf und dran, ihren Arbeitgeber so barsch, wie sie es sich traute, darauf hinweisen, dass er gerade genau das Falsche gesagt hatte, aber sie kam nicht dazu. Der Doktor seufzte und unterbrach seine Tätigkeit. Liz war nicht sicher, woran genau er da arbeitete, aber es sah kompliziert und furchtbar öde aus, und sie hatte schon vor zehn Minuten beschlossen, lieber nicht zu fragen: Der Doktor konnte sehr herablassend sein, wenn er gereizt war. Und er war andauernd gereizt.

»Haben Sie gerade was gesagt, Brigadier, oder hat sich da ein bisschen was von der angestauten heißen Luft in Ihrer Hose einen Weg gebahnt?«

Der Brigadier durchquerte das Labor und zeigte mit seinem Lieblings-Offiziersstöckchen auf das Gehäuse der TARDIS, das in der Ecke stand. »Heute verderben Sie mir nicht die Laune, Doktor – dafür bin ich zu gut drauf.«

Der Doktor nahm seine Werkzeuge und wandte sich wieder seiner Werkbank zu. »Wie schön.«

Liz hielt ein wenig Takt für angebracht. »Und warum geht’s Ihnen so gut?«

Der Brigadier drehte sich zu ihr um und lächelte. »Weil, Miss Shaw, heute unser Zahlmeister Sir John Sudbury von C19 vorbeikommt und uns mitteilen wird, wie viel Geld wir im kommenden Finanzjahr zur Verfügung haben werden.« Er lehnte sich gegen einen der Tische und beugte sich mit verschwörerischer Miene vor. »Wenn wir richtig Glück haben, springt vielleicht ein neuer Captain für mich raus. Ich bin ziemlich beeindruckt von diesem Yates – der gibt einen prima Offizier ab. Vielleicht kriegen Sie ja sogar eine Gehaltserhöhung!«

Liz lachte. »Ach, kommen Sie. So gut meinen es die Geldgötter nicht.«

Der Brigadier zuckte mit den Schultern. »Kann sein.« Er machte eine Kopfbewegung in Richtung des Doktors, der fieberhaft Geräte hin- und herschob und mit dem Lötkolben bearbeitete. »Und was treibt er gerade?«

Liz schüttelte den Kopf. »Als ich heute Morgen reinkam, saß er noch an genau derselben Stelle wie gestern Abend. Ich glaub, er hat keine Minute geschlafen.«

Der Doktor wirbelte herum und zeigte mit dem heißen Lötkolben auf sie, als wäre es eine außerirdische Waffe. »Meine liebe Liz: Schlaf, hat ein weiser Mann einmal gesagt, ist was für Schildkröten. Und wenn Sie’s unbedingt wissen wollen, Lethbridge-Stewart: Ich führe ausnahmsweise mal einen Ihrer Befehle aus.« Er stand auf, hängte den Lötkolben in den Ständer und ließ seine Juwelierlupe in seine Hand fallen. »Wie gewöhnlich waren Sie beide so in Ihr Geplauder vertieft, dass Sie gar nicht bemerkt haben, dass hier im Labor etwas Wichtiges fehlt.« Er hatte den Raum durchquert und stand nun direkt vor dem Brigadier. Er nahm ihm sein Offiziersstöckchen ab, ließ es wie einen Zauberstab zwischen den Fingern kreisen und tippte sich damit gegen die Schläfe. »Kommen Sie drauf?«

Liz blickte sich einen Moment lang um, dann sog sie erschrocken die Luft ein. »Die TARDIS-Konsole! Sie ist weg!«

Der Doktor lächelte sie an. »Sehr gut, Liz. Eins mit Sternchen.« Er warf dem Brigadier einen Seitenblick zu. »Wenigstens hat einer hier die Augen offen.«

Der Brigadier zuckte mit den Schultern. »Und wo ist das Ding?«

»Wieder in der TARDIS?«, fragte Liz. »Schon wieder richtig!«

»Pah«, machte der Brigadier. »Wie soll man so was Großes durch diese winzigen Türen kriegen?« Er zeigte auf die TARDIS, an die sich der Doktor nun gelehnt hatte.

»Das ist doch kinderleicht, mein lieber Alistair, also wirklich. Nach unserem kleinen Abstecher auf die Pazifischen Inseln, nachdem sich Amelia Grover zugunsten der Zukunft geopfert hat, haben Sie mich gebeten, die TARDIS wieder zum Laufen zu bringen. Nun, die Konsole ist wieder an ihrem Platz und im Augenblick versuche ich gerade, die Dematerialisierungsschaltkreise instand zu setzen. Zufrieden?« Er kehrte zur Werkbank zurück, zog sein Jackett aus und warf es über einen Hocker. »Und jetzt muss ich hier weitermachen.« Er warf dem Brigadier einen letzten Blick zu. »Auf Wiedersehen, Brigadier.«

Der Brigadier stieß sich vom Tisch ab, gegen den er sich gelehnt hatte. »Na dann … sollte ich mich wohl mal vergewissern, dass alles parat ist, wenn Sir John und der alte Scobie kommen.«

Liz lächelte. Sie hatte eine Schwäche für Major-General Scobie. »Wann kommt der General denn an?«

Der Brigadier schaute auf seine Uhr. »Sergeant Benton holt ihn gerade zu Hause ab. Essen Sie mit uns zu Mittag? Es gibt leider nur kaltes Büfett, fürchte ich, aber das Beste, was ich auftreiben konnte.«

Liz nickte. »Es wäre mir eine Freude.« Sie schaute zum Doktor hinüber, der ihr den Rücken zugewandt hatte. »Natürlich nur, wenn’s für mich hier nichts mehr zu tun gibt.«

Der Doktor hob nicht einmal den Kopf, sondern murmelte nur irgendwas über Müßiggang, Appetithäppchen und Militäroffiziere, die gern hübsche Beine begafften.

»Das darf ich dann wohl als ›Nein‹ verstehen, nicht wahr?« Sie wandte sich wieder dem Brigadier zu. »Um halb eins?«

»Haargenau, Miss Shaw, haargenau.« Er warf der TARDIS einen letzten Blick zu. »Durch diese Türen? Pah. Eines Tages geh ich da rein und schaue mir an, was genau er eigentlich mit dem Geld von UNIT macht.« Er klemmte sich sein Stöckchen unter den Arm und marschierte hinaus.

Liz ging zu einem der großen Bogenfenster des Labors hinüber und blickte auf den Kanal hinunter. Der Regen hatte aufgehört und gerade brach die Sonne durch die Wolken. Ein buntes Narrowboat navigierte durch die Schleuse. Ein braunes Shire Horse stand auf dem Treidelpfad und durfte kurz verschnaufen, bevor es dem Kahn wieder seine Kraft zur Verfügung stellen musste. Der Morgen schien allmählich besser zu werden. Liz lächelte: Sie mochte sonnige Tage.

Hinter ihr hob ein unangenehmes Gejaule an. Oder Gesang, je nachdem, welche Definition man zugrunde legte: »Raindrops keep falling on my head …«

Liz warf ein Klemmbrett nach dem Doktor und stürmte aus dem Labor.

Tageslicht. Bei Tageslicht geht’s nicht.

Nachts. Es muss nachts sein, sonst könnte, nein wird noch jemand versuchen, mich aufzuhalten. Und das darf nicht sein.

So kalt. Warum ist es nur so kalt? Die Sonne steht doch am Himmel. Sie strahlt hell, aber … sie scheint weiter weg zu sein, oder? Nein, das muss eine Illusion sein. Aber der Himmel! Sieh nur, der Himmel! Er wirkt wie verschleiert. Staub und Schmutz zwischen uns und dem blauen Himmel.

Die Luft ist schmutzig. Diese Welt ist schrecklich verunreinigt, vielleicht so schlimm, dass es sich nicht mehr rückgängig machen lässt. Warum haben sie nicht besser darauf aufgepasst?

Lächerliche Narren. Armselige, idiotische Primitivlinge. Schwachsinnige Affen!

Früher einmal war Jossey O’Grahame Schauspieler gewesen. Ja, früher war er Justin Grayson gewesen, ein Star auf der Bühne, auf der Leinwand und im Radio. Er hatte das goldene Zeitalter der Ealing-Komödien, Lime-Grove-Dramas und Riverside-Support-Features miterlebt, hatte in den Fünfzigern gemeinsam mit Guinness, Richardson und Olivier an Filmen mitgewirkt. In Policeman’s Lot hatte er den jungen Johnny Mills erschossen, in The Game’s Up Jane Wyman geheiratet und Trevithick in They Came from the Depths angegriffen. Die Sechziger waren gut zu ihm gewesen, in Radio und Fernsehen war sein Talent voll zur Geltung gekommen.

»Nichts bringt eine größere Verantwortung mit sich als großes Potenzial«, hatte sein Agent einmal gesagt. Aber dann war ihm der Skandal mit diesem dummen jungen Model in die Quere gekommen – sie als Schauspielerin zu bezeichnen, kam ihm wie ein Sakrileg vor, nachdem er mit Größen wie Dors, Ashcroft und Neagle gearbeitet hatte, in jener verworfenen Komödie über die Energiekrise: Carry on Digging. Sie hatten ihn vom Gelände der Pinewood Studios geworfen. Sein Vertrag und sein Ruf waren ruiniert gewesen und die Produktionsfirma hatte ihn auf Schadensersatz verklagt, weil der unfertige Film nun praktisch für die Tonne war. Und das alles nur, weil die kleine Schlampe einen bescheuerten Brief geschrieben und zu viele Schlaftabletten genommen hatte.

Die Zeitungen hatten sich als treulose Tomaten entpuppt. In ihrer Berichterstattung waren sie unerbittlich und gnadenlos gewesen.

Schließlich hatte sich Jossey an die Südküste »zurückgezogen« und war achtzehn Monate lang durch Ferienlager, Bingohallen und kleine Klubs getingelt, wo er altes Comedymaterial von Galton und Simpson aufgewärmt hatte, bis er es schließlich nicht mehr ausgehalten hatte – und sein Berater bei der Bank ihn nicht mehr sehen wollte. Er war pleite gewesen, ganz und gar erledigt.

Am Ende war er also hier gelandet, im billigsten Bed-and-Breakfast, das sich auftreiben ließ, und lebte von Almosen und Sozialhilfe. Er hatte keine Zukunft, also war ein Tag wie der andere. In den paar Stunden, die er in wachem Zustand verbrachte, sah er den Wellen dabei zu, wie sie gegen die Felsen der örtlichen Selbstmordklippe brandeten, hielt sich an einer Flasche billigem Whisky fest und fragte sich wieder und wieder, ob auch er springen sollte.

Wieder einmal starrte er auf das endlose Auf und Ab des Wassers hinab und lauschte dem Kreischen der Seemöwen, die über der kleinen Stadt am Fuße der Klippe kreisten. Er wusste, dass ihm der Mut zum Springen fehlte. Außerdem besaß dieser Ort den Ruf, dass sich hier vor allem Liebende in den Tod stürzten – doch ihn hatte nie jemand geliebt, genauso wenig wie er jemals einen anderen Menschen wirklich geliebt hatte. Was hätte das also für einen Sinn gehabt? Er zog den abgenutzten Mantel fester um seinen schmalen Körper: Es war kalt für März und der Wind wehte frisch und schneidend über den Gipfel. Die halb geleerte Whiskyflasche funkelte ihn an und er nahm noch einen Schluck, gegen die Kälte und um die düstere Laune zu vertreiben. Irgendetwas würde geschehen und dann würde sich schlagartig alles ändern, da war er ganz sicher. Seine kurze Zeit im Licht der Öffentlichkeit war noch nicht vorbei. Eines Tages würde sein Name wieder in den Zeitungen stehen.

Ein eigenartiges Zischen drang an sein Ohr. War das Geräusch die ganze Zeit schon dagewesen und er hatte es nur nicht bemerkt? Vielleicht hatte irgendwer hinter ihm ein Auto oder ein Motorrad geparkt und einer der Reifen hatte ein Loch. Mühsam wandte er den Kopf. Komisch, nichts zu sehen: kein Auto, kein Motorrad, gar nichts. Der Wind peitschte durch das schüttere Gras, das um seine Bank herum wuchs, aber das war nicht das Geräusch, das er gehört hatte.

»Ist da jemand?«, fragte er mit lallender Stimme.

Keine Antwort. Er lehnte sich nach vorne, um über den Klippenrand spähen zu können. Nichts. Vielleicht kam es von dem alten Cottage, ein paar Hundert Fuß entfernt, wo vor ein paar Jahren die Hippies die Sommersonnenwende gefeiert hatten. Damals hatten sie diese hübschen Tauben freigelassen. Liebe, Frieden und Harmonie. Ha. Pustekuchen …

Da war es wieder. Eigentlich war es kein Zischen. Es klang jetzt regelmäßiger, als würde jemand atmen. Möglicherweise war noch jemand aus der Stadt hier oben, zum Trinken oder um ein Schwätzchen zu halten. Die Atemzüge klangen nach Bronchialinfekt, vermutlich hatte sich da jemand jahrelang mit zu viel Alkohol und Zigaretten die Gesundheit ruiniert. Da konnte er mitreden.

»Larry? Larry, bist du das? Lunger da nicht so rum!«

Dann sah er es. Er wollte schreien, aber es gelang ihm nicht. Er brachte nur ein klägliches Wimmern heraus, alle anderen Geräusche blieben ihm in der Kehle stecken. Seine Augen versuchten, das Ding zu erfassen und seinem Gehirn zu versichern, dass es nicht real sein konnte. Er packte seine Whiskyflasche fester, während sich etwas Altes, längst Vergessenes in seinen Geist schlich.

Teufelsrücken! Ich laufe, laufe um mein Leben. Der Teufelsrücken ist hinter mir her, alle sind hinter mir her, sie schreien und kreischen. Zischen und spucken, ich kann sie hören … Ein Netz. Ich bin in ein Netz verstrickt und werde fortgeschleift. Ich schreie.

Mutter. Vater. Helft mir. Nein! Nein, die sollen mich nicht anfassen … Ich will nicht wieder ins Gehege! Ich halt’s da nicht aus. Die lassen mich tagelang in der Sonne schmachten, ohne Essen und Wasser, während mein Fell immer trockener und räudiger wird. Die Insekten kriechen auf mir herum, in meine Augen, meine Ohren, meinen Mund. Ich werde nicht sauber genug. Keine Familie. Keine Freunde. Nur das Knurren der Teufelsrücken. Ich muss kämpfen, muss weg von ihnen, muss schreien …

Jossey O’Grahame sah, wie die Vision des Schreckens, an den er sich nur halb erinnerte, sich über ihn beugte und mit dem … Kopf wackelte?

SCHMERZ! Überwältigender Schmerz und Hitze brandeten über ihn hinweg: Er spürte, wie sich seine Haut zusammenzog und plötzlich zu eng für seinen Körper wurde. Sein Mund war staubtrocken, er brachte keinen Schrei heraus. Seine Augen taten weh. Seine Trommelfelle wollten platzen. Die Flasche in seiner Hand wurde auf einmal heiß: Der Whisky darin brodelte und dampfte. Er versuchte, sie loszulassen, aber seine Hand schien mit dem Glas verschmolzen zu sein. Mit erschreckender Ruhe wurde ihm klar, dass der Schmerz in seiner Brust daher kam, dass sein Herz aufgehört hatte zu schlagen. Er sah das Gesicht seiner Mutter, die ihn anlächelte. Die Flasche zerbarst, zerfetzte seine Hand und ihr kochender Inhalt ergoss sich über seinen schwelenden Mantel. Er bemerkte es nicht.

Im letzten Augenblick seines Lebens wurde Jossey schlagartig bewusst, dass er niemals König Lear spielen würde.

Nein! Er konnte nicht tot sein.

Ich wollte doch nur, dass er mit diesem schrecklichen Geräusch aufhört, das die Affen immer von sich geben. Dieses Exemplar hatte diesen ganz speziellen Blick … Millionen von Jahren sind vergangen und sie haben immer noch Angst vor uns. Er ist ausgewachsen, daran besteht kein Zweifel, warum hat er also versucht, so ein Geräusch zu machen? Junge Schlüpflinge, meinetwegen, aber Erwachsene? Armselige Wesen. Vielleicht stimmt das, was Baal sagt, und man muss Ungeziefer einfach vernichten. Aber Sula glaubt, dass wir ihre DNA brauchen. Wer hat nun recht?

Verfluchte Sula. Und verfluchter Baal – wenn er einen Schlüpfling will, soll er ihn sich doch selbst holen! Jetzt hat dieser Affe Sachen gesehen, die er nicht hätte sehen dürfen, und ist tot. Die Affen haben ihre Toten seit jeher in irgendeiner Art und Weise betrauert, also wird hier bestimmt bald eine ganze Schar von ihnen auftauchen. Ihre Telepathie ist rudimentär, überwiegend instinktiv und empathisch, aber durchaus funktionstüchtig.

Noch ist nichts zu hören. Seltsam. Trotzdem besser, sich zu verstecken. Ja, da drüben.

Scheint nichts Lebendiges drin zu sein. Ein sicherer Ort. Und jetzt muss ich nur noch bis zum Einbruch der Nacht warten.

Liz’ Tag wurde endlich besser.

Zuerst hatte sie sich auf die Jagd nach Ersatzteilen begeben, um ihr Elektronenmikroskop aufmöbeln zu können. Eines hatte sie immerhin während der Arbeit mit dem Doktor innerhalb der letzten paar Monate gelernt: Wie man verschiedene »primitive« wissenschaftliche Geräte am besten ausschlachten, neu zusammenbauen, modifizieren und sie im Allgemeinen verbessern konnte.

Mister Campbell, der Lagerleiter, war gerne bereit, in den hintersten Winkeln seiner Schubladen und Schränke zu wühlen, um alles zu finden, was sie brauchte, und den Kram für sie in einen Pappkarton zu packen.

»Einem Mitinsassen helf ich doch immer gern«, sagte er und lachte.

Liz lächelte, dankte ihm für die Mühe, ging mit der Kiste von dannen und versuchte, die leichte Gänsehaut zu ignorieren, die sie immer bekam, wenn sie mit dem Schotten sprach. Seine Vorliebe für das, was er selbst für harmloses Geplänkel mit den wenigen weiblichen UNIT-Mitarbeitern hielt, war im ganzen Gebäude wohlbekannt. Carol Bell war die Erste gewesen, die sie vor Campbells »Charme« gewarnt hatte.

»Wenn Sie einfach nur die Zähne zusammenbeißen und lächeln, kommen Sie gut mit ihm aus. Alles andere würde er sofort falsch auffassen.«

Maisie Hawke, UNITs oberste Funkerin, hatte Bell beigepflichtet. »Es gibt so wenige Frauen hier, dass er regelrecht nach Aufmerksamkeit lechzt. Wir haben einmal versucht, uns bei Jimmy Munro zu beschweren, aber der meinte, er könne nichts machen.«

Das, fand Liz, war typisch für Captain Munro, der mittlerweile wieder in den regulären Dienst bei der Armee zurückgekehrt war. Eigentlich ein netter Bursche, aber Leute zur Rede zu stellen oder zu disziplinieren war nichts für ihn.

Auf dem Rückweg lief sie einem neuen jungen Private namens Boyle über den Weg. Er bot ihr an, die Kiste für sie ins Labor zu tragen.

»Es ist im zweiten Stock«, erklärte sie. »Finden Sie den Weg?«

Boyle salutierte, wie alle es taten, wenn sie gerade erst bei UNIT angefangen hatten – einerseits wollten sie gut rüberkommen (sie hätte ja eine Offizierin sein können, die gerade keine Uniform trug), andererseits freuten sie sich, eine junge Frau im Komplex zu sehen –, dann marschierte er mit der Kiste davon und murmelte dabei, dass er es gar nicht erwarten könne, den Doktor kennenzulernen, von dem er schon so viel gehört habe.

Dafür, dass UNIT eine streng geheime Organisation ist, wird in der Armee ganz schön viel darüber geredet, dachte Liz. Andererseits war wohl niemand sonderlich scharf auf eine Versetzung zu UNIT und die ganzen Gerüchte von Gefahr und hohen Opferzahlen waren sicher auch stark übertrieben.

Allerdings hatte UNIT tatsächlich die höchste Sterblichkeitsrate unter allen Sektionen der britischen Armee und einiges an Informationen darüber war definitiv im Umlauf – Liz wusste von mindestens drei Privates, die um eine Versetzung nach Nordirland gebeten hatten, um nicht zu UNIT zu müssen. Und eines musste sie Lethbridge-Stewart lassen: Er hatte bisher nie versucht, einen Soldaten unter Druck zu setzen, sondern die Verweigerung stets akzeptiert und sich einfach dem nächsten potenziellen Rekruten gewidmet.

Und nun stand UNIT wegen der Finanzen unter Beobachtung. Liz hatte vom ersten Tag an gewusst, dass UNIT nicht so gut unterstützt wurde, wie es eigentlich nötig gewesen wäre. Spezialwaffen und die neuesten elektronischen Geräte waren Mister Campbells Brot und Butter. Diese Dinge zu entwerfen und Prototypen davon zu bauen, kostete, was man bei der CIA »die dicke Kohle« nannte. Der britische Zweig von UNIT hatte keine dicke Kohle, nicht einmal mittelmäßig viel Kohle, und auch wenn die Ausrüstung der Organisation der kommerziellen Technologie um Jahrzehnte voraus sein mochte, blieb sie doch hinter den Rivalen zurück.

»Guten Morgen, Miss Shaw«, grüßte Mike Yates, der einen Haufen Gewehre im Arm trug.

Sie nickte dem gut aussehenden Sergeant zu. Irgendwie wirkte er wie ein besonders beliebter Internatsschüler und nicht zum ersten Mal fühlte sie sich bei seinem Anblick an die Helden aus den Jungencomics der Fünfziger erinnert oder an eine der Illustrationen furchtloser junger Abenteurer von Eileen Soper, die damals auf den Romanen von Enid Blyton prangten. Mike und Liz hatten zusammen einige brenzlige Situationen erlebt, und wenngleich sie nie behauptet hätte, sie wären enge Freunde, bestand doch eine gewisse Verbindung zwischen ihr und dem jungen Sergeant.

Ihr fiel ein, dass der Brigadier sie bereits um ihre Meinung gebeten hatte, was Yates’ Eignung zum Captain anging. Wenn Ehrlichkeit, Rechtschaffenheit und Verlässlichkeit für eine Beförderung beim Militär wichtig waren, dann war Mike Yates perfekt dafür geeignet.

»Wo wollen Sie denn damit hin?«, fragte sie und machte eine Kopfbewegung in Richtung der Waffen.

»Zum Lager. Werden für schlechte Zeiten weggepackt.«

Liz runzelte die Stirn.

»Na ja.« Mike zuckte mit den Schultern. »Wenn wir versuchen, mehr finanzielle Unterstützung für UNIT zu bekommen, wär’s gut, wenn nicht überall Ausrüstung rumliegt – sonst denken die noch, dass wir schon mehr als genug hätten. Bessere Chancen auf mehr Zaster, haben Benton und ich uns gedacht.«

»Hmmm. Als Steuerzahlerin weiß ich nicht so recht, ob ich damit einverstanden bin.« Sie gab ihm einen verspielten Klaps auf den Arm. »Aber als arme, überarbeitete und furchtbar unterbezahlte Laborratte weiß ich das enorm zu schätzen.«

Mike lächelte und schlenderte Richtung Waffenkammer davon. Liz schaute ihm einen Moment lang nach, dann setzte sie ihren eigenen Weg durchs Gebäude fort, zum Büro des Brigadiers. Sie wollte kurz mit ihm besprechen, was das Protokoll sagte, wenn es um den korrekten Umgang mit Sir John Sudbury ging – sie hatte den Mann noch nie getroffen und wollte gern wissen, was sie zu ihm sagen durfte und was nicht.

Schließlich war es immer am besten, sich mit C19 gut zu stellen.

27. März

Mir ist so langweilig. Dad hätte sich kein kaffigeres Kaff für mich aussuchen können. Ich bin erst seit zwei Tagen hier und die gehören zu den beschissensten, die ich bisher erlebt habe.

Ich hab schon lange nichts mehr in dieses Tagebuch geschrieben. Sollte ich echt öfter machen, denn irgendwann werden meine Memoiren alle Bestseller sein, wenn ich erst mal ein bekannter Politiker und Staatsmann von Welt bin.

Zumindest sagt Dad das immer. Ich will lieber Sänger oder Schauspieler werden, irgendwas Spannendes, aber er sagt, damit kann man kein Geld machen. Geht’s denn im Leben nur um Geld? Mum sagt, ich sei zu jung, um solche Fragen zu stellen. Was soll das denn heißen? Mrs Petter sagt, man sei nie zu jung, um sich über Geld Gedanken zu machen und über all das Gute und Böse, das es hervorbringt. Dad sagt, sie ist bestimmt so ein »Scheißkommi«, aber ich finde, sie hat recht. Für Stinkreiche wie ihn und die anderen im Parlament ist alles schön, aber viele andere Leute haben kein Geld, außerdem weiß Dad mit der Hälfte seiner Kohle gar nichts anzufangen. Kurz bevor sie mich hierhergeschickt haben, hat er ein Boot gekauft. Ich weiß jetzt schon, dass er es nie benutzen wird. Steve Merrett hat es als Statussymbol bezeichnet. Gestern Abend hab ich Dad am Telefon gefragt, was das heißt, und er meinte, Steve und sein Vater seien nur neidisch, und die Nachbarn seien Abschaum. Was wohl heißt, dass Steve recht hatte.

»Die Memoiren von Sir Marc Marshall. Band 2: Die beunruhigenden Jugendjahre eines von Angst geplagten Teenagers.« Würd ich nicht drauf wetten. Aber jetzt hab ich schon mal angefangen und hier gibt’s eh nichts anderes zu tun, also …

Warum bin ich hier? Verdammt gute Frage, Marc, das muss man schon sagen. Die offizielle Antwort: »Die Meeresluft wird dir guttun und Tante Eve fragt so lange schon, ob du sie mal besuchen kommst.« Na, sicher doch. In Wahrheit werden Mum und Dad den nächsten Monat damit verbringen, sich bei Wählern einzuschleimen: Jeden Abend gibt’s Grillpartys oder sie falten Mitteilungsblätter, hängen Plakate auf oder halten endlose Meetings mit verschiedenen örtlichen Gruppen ab. Und ich wär dabei natürlich nur im Weg.

Mrs Petter hat gesagt, ich solle stolz sein, dass mein Dad was fürs Gemeinwohl tut, aber ich glaub, sie hat das sarkastisch gemeint. Vielleicht sind Scheißkommis ja genau das: Lehrer, die was Bestimmtes über die Eltern denken und deren Kindern genau das Gegenteil sagen. Ich werde Tante Eve fragen.

Dieser Ort heißt jedenfalls Smallmarshes und liegt in Kent. Hastings soll nicht allzu weit weg sein, da kann man wohl gut einkaufen. Dungeness ist auch nicht weit, aber da kann man wohl nur gut verstrahlt werden. Ich glaub, Tante Eve hält nicht viel davon. Jetzt fällt mir auch wieder ein, dass Dad und sie sich mal wegen Kernreaktoren gestritten haben. Sie ist Mums Schwester und er hat sie noch nie gemocht. Mich mag er auch nicht besonders. Das erklärt wohl, warum er mich in den Schulferien hierhergeschickt hat.

Steve Merretts Dad betreibt einen Zeitungsladen unten auf der Deansgate. Seine Mum arbeitet in diesem großen Büroblock neben dem Parkplatz vom Arndale Centre. Sie ist Sekretärin oder so was. Warum können meine Eltern nicht normal sein? Warum muss Dad ein Abgeordneter sein? Warum geht Mum nicht arbeiten wie alle anderen Mums?

Heute Nachmittag fahr ich nach Dungeness, stell mich neben den Kernreaktor und lass mich verstrahlen. Dann fallen mir alle Haare aus, meine Haut wird grün, und ich sterbe. Und das steht dann in allen Zeitungen.

Warum?

Weil Dad dann so richtig ausflippt. Darum.

Na gut, wenn man davon ausgeht, dass ein durchschnittlicher 14-Jähriger nicht gleich stirbt, bloß weil er neben einem Reaktor steht – Tante Eve lebt noch, und sie sagt, sie hätte sich mal ans Tor gekettet –, werde ich wohl später drüber schreiben. Machen wir uns nichts vor, was anderes gibt’s hier eh nicht zu tun.

»Marcus?«

Nenn mich nicht Marcus. Ich heiße Marc. »Ja, Tante Eve?«

»Mittagessen ist fertig.«

Bratwürstchenauflauf? Fischstäbchen? Mal keine Spaghettiringe auf Toast, bitte? Irgendwas mit ein bisschen Fleisch drin, sonst krepier ich.

»Das wird dir schmecken. Kartoffelhälften, gefüllt mit Frischkäse und roten Kidneybohnen. Komm essen, so lange es noch heiß ist.«

Oh. Dufte. Genau das hab ich gewollt.

»Doktor Shaw, immer wieder eine Freude, Sie zu sehen, meine Liebe. Wie geht’s, wie steht’s? Stewart passt doch hoffentlich gut auf Sie auf?«

Liz schenkte Major-General Scobie ein warmes Lächeln. »Alles in bester Ordnung, danke, General.« Sie liebte die Tatsache, dass der wieselgesichtige alte General den Brigadier immer »Stewart« nannte, so als würde er nur die schottische Herkunft seiner Familie würdigen und sich weigern, den englischen Teil der Abstammung von UNITs Mitbegründer anzuerkennen, weil er wusste, dass das den jüngeren Mann ärgerte.

Schon bei ihrem ersten Treffen mit Scobie vor einigen Monaten war Liz zu dem Schluss gekommen, dass der Mann das perfekte Äußere für die Rolle eines alternden Militäroffiziers besaß und jeder Besetzungschef alles dafür tun würde, jemanden wie ihn für seinen Film zu ergattern. Zwischen seiner Oberlippe und der gebogenen Nase, die aus seinem schmalen Gesicht hervorragte, prangte ein winziger schneeweißer Schnurrbart und seine Wangenknochen stachen derart hervor, dass man Teetassen daran hätte aufhängen können.

Während des Krieges hatte er sich mehrfach in Burma aufgehalten und mit seiner inzwischen verstorbenen Frau war er außerdem längere Zeit in Singapur stationiert gewesen. Das hatte ihm eine permanente Bräune beschert, die unglücklicherweise so aussah, als wäre sie aufgesprüht. Das Beste an ihm waren jedoch seine stahlgrauen Augen: Mit nur einem Blick konnte er einen neuen Private in einen Haufen Wackelpudding verwandeln. Sobald man ihn besser kennenlernte, stellte man allerdings fest, dass sich unter der rauen Schale ein regelrechtes Schmusekätzchen verbarg. Der General war jedoch absolut loyal und man konnte sich auf ihn verlassen. Als einen Spitzenkommandanten hatte Jimmy Munro ihn einmal bezeichnet und Liz hatte bald herausgefunden, dass er mit dieser Einschätzung vollkommen richtiglag.

Scobie und der Brigadier empfanden eine Art Hassliebe füreinander. Scobie diente als Verbindungsoffizier zur regulären Armee, daher war es sein Job, jede Entscheidung von Lethbridge-Stewart zu hinterfragen und genauestens unter die Lupe zu nehmen. Manchmal tat ihr der Brigadier richtig leid. Der alte Scobie spielte gerne des Teufels Advokat und trieb das Ganze manchmal derart auf die Spitze, dass es beinahe lächerlich war. Doch wenn dadurch UNIT effizienter wurde und hin und wieder ein paar Leben gerettet wurden, war es das natürlich wert. Liz wusste, dass der Brigadier es insgeheim genauso sah. Seine Persönlichkeit erlaubte es ihm jedoch nicht, sich das anmerken zu lassen – schon gar nicht gegenüber Scobie.

Liz hatte schon vor langer Zeit begriffen, dass Männer im Militär nur übergroße Schuljungen waren, die ihre Steinschleudern und Stinkbomben gegen Granatwerfer und Raketen eingetauscht hatten.

Während sie sich ein Käsepastetchen in den Mund steckte, beobachtete sie einen Neuankömmling, der in Begleitung von Private Boyle eintrat. Es war offensichtlich Sir John Sudbury, ein ausladender Mann, dem »Minister für Budgetkürzung« geradezu auf die Stirn geschrieben stand. Abgesehen von einigen Haarbüscheln um die Ohren war er nahezu kahl, dazu besaß er eine rötliche Gesichtsfärbung, die darauf schließen ließ, dass seine Leber keine fünf Jahre mehr mitmachen würde. Die roten Ränder um seine trüben Augen mochten von zu viel Kontakt mit Tabakrauch herrühren, wahrscheinlich in irgendeinem albernen Herrenklub, den er und seine Freunde in der Nähe der St. James’s Street in London frequentierten.

Dieser doch recht herbe Eindruck wollte so gar nicht zu dem strahlenden Lächeln passen, das seine Hängebacken kräuselte: Der Ausdruck erinnerte Liz an einen betrunkenen Seelöwen. Mit ausgestrecktem Arm hopste er durch das Büro des Brigadiers, ergriff Scobies Hand und schüttelte sie eifrig.

»Scobie, alter Knabe, wie schaut’s bei Ihnen aus, hm? Und Lethbridge-Stewart«, fuhr er ohne Pause fort, bevor Scobie zu einer Antwort ansetzen konnte. »Schön, Sie wiederzusehen, altes Haus.« Er wirbelte herum und winkte Boyle zu, der gerade den Raum verließ. Als er die Tür geschlossen hatte, verkündete Sudbury: »Ein famoser junger Mann ist das, Brigadier. Höflich, angenehm, gesprächig. Schön, dass Ihre Soldaten den hohen Standard auch weiterhin beibehalten.« Er schnappte sich ein Kanapee vom Schreibtisch, schluckte es mit einem Happs herunter und hielt nur kurz inne, um ein Glas Mineralwasser entgegenzunehmen, das Carol Bell ihm reichte. »Danke, Corporal«, murmelte er und nickte ihr zu, als sie ihn anlächelte. »Ein famoser Empfang, Brigadier, wirklich wunderbar.« Sein Blick blieb an Liz hängen. »Ah, und wer ist dieses entzückende junge Ding, hm? Sie haben mir ja gar nicht erzählt, dass es hier jetzt noch mehr Damen gibt. Corporal Bell hat Ihnen wohl nicht gereicht, was?«

Unter anderen Umständen wäre Liz bei solchen Äußerungen vor Zorn sofort an die Decke gegangen, aber Sir John wirkte dermaßen albern und harmlos, dass es ihr den Ärger nicht wert zu sein schien. Der alte Mann hatte offensichtlich keine Ahnung, wie sexistisch er sich verhielt. Aus dem Augenwinkel sah sie jedoch, dass der Brigadier es mit der Angst zu tun bekam. Gut, fand Liz. Zumindest ihn hatte sie inzwischen erzogen.

»Sir John Sudbury, nehme ich an?« Liz schüttelte nachdrücklich seine Hand. »Ich heiße Elizabeth Shaw. Ich gehöre zum wissenschaftlichen Bereich von UNIT.«

»Natürlich tun Sie das, meine Liebe. Doktor Shaw … aus Cambridge, richtig? Doktor in Chemie und Medizin, Ehrendoktor in Metaphysik und Geisteswissenschaft. Außerdem verschiedene Qualifikationen in Wirtschaft, Geschichte und Latein. Hab ich irgendwas ausgelassen?«

»Abgesehen von meinen guten Noten im Werkunterricht wahrscheinlich nicht. Ich fühle mich geschmeichelt.« Liz merkte, dass sie rot wurde. Sie räusperte sich, um ihre Verlegenheit zu überspielen. »Das, und meine Forschungsarbeit im paranormalen Bereich.«

Sir John blickte sie überrascht an. »Wirklich? Das muss mir entgangen sein. Ich habe Ihre Akte ehrlich gesagt erst kürzlich durchgesehen. Ich muss mich noch schlau machen, was den ganzen Weltraumabwehrkram betrifft, weil wegen Jim Quinlans Tod auch seine Arbeit an mir hängengeblieben ist. Tut mir leid, aber das dauert seine Zeit.«

Liz nickte. »Natürlich. Nun, dieses Interesse habe ich sowieso erst durch meine Arbeit hier entwickelt. Ich habe festgestellt, dass ich … meinen Horizont ein wenig erweitern musste.«

Sir John Sudbury schnappte sich ein weiteres Häppchen vom Büfett und ließ sich in einen bequemen Drehstuhl plumpsen. Er knarrte gefährlich unter seinem Gewicht, als er sich damit zu ihr drehte. »Ohne Zweifel der Einfluss des Doktors. Prächtiger Bursche.«