Doctor Who Monster-Edition 7: Sand der Zeit - Justin Richards - E-Book

Doctor Who Monster-Edition 7: Sand der Zeit E-Book

Justin Richards

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Beschreibung

Der Doktor ist mit Nyssa und Tegan im viktorianischen London – einer Stadt voller Mysterien. Als Nyssa im Britischen Museum entführt wird, müssen der Doktor und Tegan eine Reihe uralter Rätsel lösen. Ihre Suche führt sie über Kontinente und durch die Zeit, denn eine alte, ägyptische Prophezeiung bedroht die Zukunft Englands. Um Nyssa zu retten, muss der Doktor die Pläne des geheimnisvollen Sadan Rassul vereiteln. Doch während nachts Mumien umgehen, regt sich ein uralter Schrecken in seinem Grab. Ein Abenteuer mit dem fünften Doktor, gespielt von Peter Davison, und seinen Begleitern Nyssa und Tegan.

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Seitenzahl: 445

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Sammlungen



SAND DER ZEIT

JUSTIN RICHARDS

Ins Deutsche übertragen von

BERND SAMBALE

Die deutsche Ausgabe von DOCTOR WHO: SAND DER ZEITwird herausgegeben von Cross Cult /Andreas Mergenthaler,

Übersetzung: Bernd Sambale; Lektorat: Jana Karsch; Korrektorat: Peter Schild; verantwortlicher Redakteur: Markus Rohde; Satz: Rowan Rüster; Printausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohořelice.

Printed in the EU.

Titel der Originalausgabe: DOCTOR WHO – SANDS OF TIME

German translation copyright © 2021 by Cross Cult.

Original English language edition copyright

© die jeweiligen Autoren, BBC Worldwide Limited

und BBC Studios, 1996, 2014, 2021

Doctor Who is a BBC Wales production for BBC One.

Executive producers: Chris Chibnall and Matt Strevens

BBC, DOCTOR WHO, TARDIS, DALEK and CYBERMAN (word marks and logos) are trade marks of the British Broadcasting Corporation and are used under licence.

BBC logo © BBC 1996. Doctor Who logo © BBC 2018.

Dalek image © BBC/Terry Nation 1963.

Cyberman image © BBC/Kit Pedler/Gerry Davis 1966. Licensed by BBC Studios.

First published in 1996, THE MONSTER COLLECTION edition published in 2014 by BBC Books, an imprint of Ebury Publishing.

A Random House Group Company.

Printausgabe: ISBN 978-3-96658-028-1 • Digitale Ausgabe: ISBN 978-3-96658-029-8

September 2021

WWW.CROSS-CULT.DE

Inhalt

VORWORT

ALTES ÄGYPTEN CA. 5000 V. CHR.

MENA HOUSE OBEROI HOTEL, GIZEH SEPTEMBER 1896

CRANLEIGH HALL, OXFORDSHIRE 1926

KENILWORTH HOUSE, LONDON 1965

Kapitel 1

DIE LEGENDE VON OSIRIS

Kapitel 2

DAS TAL DER KÖNIGE 2000 V. CHR.

Kapitel 3

DIE LEGENDE VON HORUS

Kapitel 4

LONDON 1975

Kapitel 5

LONDON 1986

BRITISH MUSEUM, LONDON 1996

Kapitel 6

PHAESTER OSIRIS

Kapitel 7

PHAESTER OSIRIS

Kapitel 8

ÄGYPTEN JANUAR 1897

DAS TAL DER KÖNIGE, ALTES ÄGYPTEN CA. 5000 V. CHR.

Kapitel 9

SOTHEBY’S AUCTION HOUSE 1978

Kapitel 10

ÄGYPTEN 1798

Kapitel 11

ST. HELENA 1821

Kapitel 12

LONDON 1991

Kapitel 13

FRAGMENTE DER INSCHRIFTEN AUS DEM GRAB DER NEPHTHYS

Kapitel 14

ALTES ÄGYPTEN CA. 5000 V. CHR.

Kapitel 15

LONDON

Kapitel 16

VORWORT

Der zündende Funke für Sand der Zeit war ein Bild oder vielmehr eine bestimmte Vorstellung. Ich fand heraus, dass die Viktorianer gelegentlich »Mumienpartys« abhielten. Leute wurden zu einer Abendveranstaltung mit Essen und Getränken eingeladen, aber das Herzstück des Ganzen war eine echte ägyptische Mumie, die vor den Augen der Anwesenden ausgewickelt wurde – vorgeblich zu Bildungszwecken, in Wirklichkeit jedoch nur aus Sensationsgier.

Ich stellte mir nun vor, wie sich die Gäste versammeln. Ein prominenter Würdenträger ist spät dran, aber sie fangen trotzdem schon an. Doch als die modernde Mumie ausgewickelt wird, entdeckt man unter den echten, uralten Bandagen den fehlenden Gast. Diese Idee entwickelte sich natürlich weiter, aber hier hatte ich schon einmal einen Ausgangspunkt: Wie hatte das geschehen können? (Tatsächlich hat mir die Sache mit der Mumie so gut gefallen, dass ich sie noch einmal verwendet habe, in einem akademischeren Setting und mit einem ganz anderen Sinn: in meinem späteren Roman The Parliament of Blood.)

Da dies eine Doctor Who-Geschichte ist, muss die Antwort etwas mit Zeitreisen zu tun haben. Wenn ich ein Buch plane, entscheide ich immer zuerst, wovon es handelt, und nicht, was genau passiert. Ich wusste, dass mein Buch von Zeitreisen und ihren Folgen handeln sollte. Damals im Jahre 1995 war mir aufgefallen, dass Doctor Who erstaunlich selten die Auswirkungen und Komplikationen des Zeitreisens erkundete, obwohl es in der Serie doch so oft darum ging. Dieses Ungleichgewicht ist natürlich mittlerweile korrigiert worden, aber damals haben wir uns bei Weitem nicht so viel mit der Zeit und ihrem Knick befasst.

Dank der Szene mit dem Mumienauswickeln würde es im Buch auch um Ägyptologie gehen. Und wenn man schon eine Doctor Who-Story über die Mysterien des alten Ägyptens erzählt, dann darf man natürlich die Geschichte Pyramids of Mars mit dem vierten Doktor nicht außer Acht lassen.

Sand der Zeit nahm also allmählich Gestalt an, und zwar die eines großen Flussdiagramms – es erstreckte sich über etwa ein Dutzend DIN-A4-Seiten. Das war auch nötig, denn Peter Darvill-Evans und Rebecca Levene bei Virgin Books mussten überzeugt werden, dass das ganze zeitliche Hin und Her auch funktionierte und einen Sinn ergab. Peter war von dem Diagramm so beeindruckt, dass er es monatelang an seiner Bürotür hängen hatte – wahrscheinlich damit er den Wahnsinn des Geistes bestaunen konnte, der es hervorgebracht hatte!

Meine Gliederungen lesen sich immer wie Kurzgeschichtenversionen meiner Romane. Die Gliederung zu diesem war allerdings nicht besonders kurz: etwa 8000 Wörter. Als ich sie noch einmal durchsah, erkannte ich ein potenzielles Problem: Außer dem Doktor und Tegan gab es keine Figur, die über den gesamten Verlauf des Buches hinweg eine Rolle spielen würde. Mit dem Doktor und einem der etablierten Begleiter allein sind die Möglichkeiten des Autors begrenzt. Das bedeutete, dass ich keine Identifikationsfigur für den Leser hatte, aus deren Sicht ich erzählen und die sich anhand der Erfahrungen, die sie im Roman machte, merklich weiterentwickeln konnte.

Glücklicherweise fand ich dank der Zeitlinie des Flussdiagramms schnell eine Möglichkeit, wie sich so eine Figur hinzufügen ließe – und um wen es sich handeln würde. Also wurde Atkins kurzerhand zum Proto-Begleiter befördert. Meinem Plan zufolge sollte er wie die Figur Mr Stevens in Was vom Tage übrig blieb seinen Anfang nehmen; seine Erfahrungen würden ihn dann jedoch milder machen und befreien; womöglich könnte ich ihm sogar das Happy End geben, das für Stevens aufgrund seiner Natur einfach nicht erreichbar war.

Nun, da die Story stand, musste ich mich entscheiden, wie ich sie erzählen wollte. In gewissem Maße halfen mir hier die Umstände. Ich wusste, dass ich in den vier Monaten, die ich für den Roman zur Verfügung hatte, viel geschäftlich in den USA unterwegs sein würde. Zum Glück hatte ich für meine Arbeit einen (recht primitiven!) Laptop dabei. Also musste ich die Handlung so aufbauen, dass ein großer Teil aus relativ kurzen Kapiteln oder Stücken bestand, die ich als eigenständige Abschnitte schreiben konnte, immer dann, wenn ich beim Reisen gerade etwas freie Zeit zur Verfügung hatte. Ich weiß noch, welchen Teil ich im Café des Flughafens von Miami geschrieben habe, welchen Abschnitt mir in einem Marriott-Hotel in Atlanta schwaches amerikanisches Bier und ein Teller Nachos versüßten und welche Stelle auf einem unbequemen Stuhl im Abflugbereich des Terminals im Birmingham International Airport Gestalt angenommen hat …

Die meisten der kurzen Sequenzen zwischen den Kapiteln sind zunächst einmal auf diese Weise verfasst worden. Aus erzählerischer Hinsicht sind viele davon unnötig. Sie verleihen dem Buch jedoch nicht nur eine interessante Struktur, sondern geben ihm auch einen Rahmen und eine Breite, die sonst gefehlt hätten.

Ich denke, der so entstandene Roman hat die Zeit recht gut überdauert. Ich habe viele glückliche Erinnerungen daran, wie ich ihn geschrieben habe. Viel würde ich wohl nicht anders machen, nun, da ich darauf zurückblicke. Einen Fehler gibt es allerdings – Fans von Downton, die einen scharfen Blick haben, entdecken ihn vielleicht: Lord Kenilworths Haushälterin spielt in der Geschichte keine große Rolle, aber sie wird als Miss Warne bezeichnet. Zu jener Zeit wäre eine Haushälterin als »Mrs« bezeichnet worden, verheiratet oder nicht. Ich hätte das leicht berichtigen können, aber ich habe mich am Ende dazu entschieden, alles so zu lassen, wie es ist. Um ihre Geschichte zu verstehen, müssen wir uns bewusst sein, dass die Lady unverheiratet ist, und Schreiber sollten die Bedeutung von Klarheit niemals unterschätzen.

Justin Richards

Oktober 2013

Wie immer ist dieses Buch für Alison und Julian.Danke für die Zeit.

Ich danke auch Craig, Peter und Andy,weil sie den Rohentwurf gelesen habenund hinreichend unhöflich waren.Aber nicht zu sehr.

ALTES ÄGYPTEN

CA. 5000 V. CHR.

Die junge Frau war noch am Leben, als widernatürlicher Donner über den Himmel rollte. Der Blitz verästelte sich durch den peitschenden Regen und stach in den Wüstensand. Regen prasselte auf die Dünen und lief die Böschung hinunter auf den Eingang der Grabstätte zu, spülte über Stein hinweg, der tausend Jahre lang der sengenden Sonne ausgesetzt gewesen war.

Sie war kaum mehr als ein Mädchen und ihre Augen verrieten ihre Furcht, als sie im warmen Regen zitterte. Die Priester standen links und rechts von ihr und hielten ihre Arme ausgestreckt fest. Sie hielten die Köpfe gesenkt – vielleicht aus Scham, vielleicht wollten sie auch nur trocken bleiben.

Sie kreischte, als der Geist, den sie beherbergte, gespalten und aus ihr herausgerissen wurde. Sie ging in die Knie und wurde nur noch von den Priestern aufrecht gehalten. Feuchter Sand beschmutzte ihr weißes Baumwollkleid. Ihre Nackenmuskeln verspannten sich vor Schmerz, ihre Schreie hallten durch die Nacht und übertönten den Donner. Aber sie war noch am Leben

Die Götter schauten schweigend vom Grat der Düne aus zu, während der Regen an ihren maskierten Gesichtern und ihren Roben herablief. Dann traten Anubis und Horus vor und stiegen bedächtig zu der Bestattungsgesellschaft hinab. Das Licht der Blitze spiegelte sich auf ihren Ritualmasken, hob die goldenen Details hervor und vertiefte die dunklen Löcher ihrer Augen. Die Frau hob leicht den Kopf, als sie vor ihr stehen blieben. Das linke Augenlid flatterte, als Anubis den Deckel von dem Kanopenkrug hob. Dann zuckte ihr Körper erneut, als Horus ihre Wange berührte und den eingeschlossenen Geist hervorzog, sodass nur der Instinkt und die Intuition zurückblieben, die sie geerbt hatte.

Sie war noch am Leben, aber Rassul tat nichts.

Er sah zu, als sie das zusammengesunkene Mädchen zur Grabstätte zerrten. Er folgte ihnen und nahm den ihm zugewiesenen Platz ein, als ihr die letzten Relikte hinterhergetragen wurden: der Ring Bastets auf einem Samtkissen, die Schlangenstatue von Netjerankh, das Skarabäusarmband und die Figur von Anubis, Gott der Totenrituale. Rassul folgte ihnen und hielt die Sanduhr wie einen Talisman vor sich, was sie schließlich auch war. Er hörte, wie hinter ihm die Totenfresserin frustriert den Kiefer zuschnappen ließ, weil sie um ihr Opfer betrogen worden war.

Das Mädchen lebte noch, als sie ihr das Kleid auszogen. Sie konnte nun allein stehen, reglos abgesehen von ihren Augen. Sie lebte noch, als Anubis die Priester anwies, ihren nackten Körper mit Pech zu beschmieren.

Sie lebte noch, als sie anfingen, sie mit Bandagen zu umwickeln. Und Rassul tat nichts.

Als die Bandagen ihr Gesicht erreichten, schrie sie erneut, den Kopf zurückgeworfen und den Mund weit aufgerissen, als wollte sie alle daran erinnern, dass sie noch ihre Zunge hatte. Sie schrie ein einziges Wort, voller Grauen, Wut und Anklage. Ein einziges Wort schleuderte sie Rassul entgegen, der vor ihr stand. Und nichts tat. Die nächste Bandage erstickte ihre Stimme, schnitt tief in ihren Mund und knebelte sie.

Sie lebte noch, als die Bandagen sich über ihre Stirn legten und nur einen schmalen Schlitz freiließen, durch den Rassul erkennen konnte, wie ihre Augen groß wurden. Sie beobachtete ihn, den Blick starr auf ihn gerichtet. Und er sah, wie sich ihre Pupillen weiteten, konnte ihr Entsetzen beinahe spüren.

In dem Moment, als sie den Mund aufgerissen und diesen Schrei ausgestoßen hatte, war es Rassul so vorgekommen, als ob reine Energie in ihn hineinströmen würde. Seine Muskeln hatten sich gestrafft und sein ganzer Körper hatte sich angespannt. Sie hatte ein einziges Wort geschrien.

Seit diesem Augenblick wusste er, was er zu tun hatte, sah seine Bestimmung vor sich wie eine Prozession, die sich durch die Wüste schlängelte.

Er spürte, wie sein Leben sich vor ihm erstreckte, unerbittlich einer neuen Bestimmung zugeführt wurde.

Rassul platzierte das Stundenglas an der festgelegten Position. Er sah zu, wie sie den mumifizierten Körper in den inneren Sarkophag legten und den schweren Deckel drüberzogen. Er beobachtete, wie die Priester den Göttern aus der Grabstätte hinausfolgten. Er wandte sich um, als sie den Durchgang erreichten, verbeugte sich ehrerbietig und schickte sich an, sich der Prozession anzuschließen.

Dann griff er nach der Sanduhr und drehte sie um. Ein Rinnsal aus Sand, eine feine Zeitlinie, rieselte in die untere Glaskugel. Einen Augenblick lang schaute Rassul zu, dann folgte er dem letzten Priester. Draußen wartete er, als sie den Zugang verschlossen und versiegelten.

Die Götter waren bereits fort. Die Priester warteten nicht länger als nötig, um die letzten Rituale abzuschließen. Wie Rassul hatten sie das Pochen im Inneren des Sarkophags gehört. Wie Rassul wussten sie, dass sie noch immer am Leben war.

MENA HOUSE OBEROI HOTEL, GIZEH

SEPTEMBER 1896

Lord Kenilworth prustete in seinen Single Malt, wischte sich mit einem durchnässten Taschentuch den feuchten Kragen und starrte mit ungläubigem Blick zum gegenüberliegenden Ende des Raumes hinüber. Er saß allein in der Nähe des Fensters an einem Tisch voller Karten, über denen er fast den ganzen Nachmittag gebrütet hatte, wobei er Routen zu möglichen Fundstätten geplant und sie aus Mangel an konkreten Hinweisen wieder verworfen hatte. Jenseits der weitläufigen Hotelgärten bot sich ihm, wann immer er hinaussah, ein fantastischer Blick auf die Pyramiden. Mehr als die antiken Monumente, die er innerhalb der letzten siebenundvierzig Jahre studiert hatte, verwunderte ihn jedoch die Anwesenheit des Mannes, der gerade die Bar betreten hatte.

»Du liebe Güte, Atkins«, platzte Kenilworth heraus und erhob sich halb, als der Mann näher kam. »Was zur Hölle?«

»Es tut mir leid, Sir. Mir ist klar, dass dies etwas unerwartet kommt.« Atkins senkte den Kopf ein wenig beim Sprechen. »Es hat sich jedoch etwas ergeben.«

»Unerwartet? Das können Sie laut sagen.« Kenilworth bedeutete dem großen Mann, auf einem Stuhl Platz zu nehmen, und wischte sich über die Stirn.

Atkins setzte sich mit kerzengerader Haltung hin, was seine nahezu makellose Aufmachung noch mehr zur Geltung brachte. Kenilworth war nicht anzumerken, ob er den Schlamm und den Sand an Atkins’ Schuhen und Hosenaufschlägen bemerkt hatte. Er wartete.

»Und was hat sich nun ergeben, dass Sie deswegen den ganzen Weg von London hergekommen sind? Was hat Sie dazu gebracht, Ihre Pflichten zu vernachlässigen – und meinen Haushalt, möchte ich hinzufügen – und persönlich nach Kairo zu kommen, statt mir ein Telegramm zu schicken?«

Atkins räusperte sich höflich. »Tatsächlich sind wir in Gizeh, Sir.«

»Ich weiß, wo ich bin, vielen Dank. Und es wird mir doch wohl gestattet sein, mich ein paar Kilometer von meiner Residenz zu entfernen. Besonders wenn man bedenkt, dass mein Butler sich anscheinend Tausende Kilometer von seiner entfernt hat.« Er nickte einmal knapp, um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen. Dann lachte er plötzlich, ein kurzes amüsiertes Schnauben. »Sie haben mir allerdings einen ganz schönen Schrecken eingejagt, das gebe ich gern zu.« Kenilworth stellte seinen Drink auf einer der Karten ab und rieb einen Moment lang mit dem Daumen über die kühle Glasoberfläche.

Ein Schatten fiel auf den Tisch und ihm wurde mit einem Mal bewusst, dass sich noch jemand zu ihnen gesellt hatte. Der Mann stand neben Kenilworths Stuhl, eine Silhouette vor dem Fenster, eingerahmt von den Pyramiden.

»Und wer zum Teufel sind Sie, Sir?«, fragte Kenilworth. Er zog die Karten vom Tisch und rollte sie zusammen. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Atkins rasch nach dem Whiskyglas griff, ehe er die Karte darunter hervorziehen konnte.

»Dieser Gentleman, Sir«, erklärte Atkins leise, während er den Drink wieder auf den Tisch stellte, »möchte Ihnen ein Angebot unterbreiten, das bestimmt von Interesse für Sie ist.«

»Ach, tatsächlich?« Kenilworth spähte ins Licht der Abendsonne. Der Mann war groß, aber Kenilworth konnte keine Gesichtszüge ausmachen. Sein Gesicht lag komplett im Schatten und bildete ein dunkles Oval. »Nun denn, Sir, heraus mit der Sprache. Was ist das für ein Angebot, dass Sie deswegen meinen Butler entführt und ihn um den halben Globus geschleppt haben?«

Die Stimme des Mannes klang jung, gebot jedoch zugleich Respekt. Sie war kultiviert und abgesehen davon, dass er Englisch sprach, hörte man ihm keinerlei Akzent an. »Sie sind auf der Suche nach einer Grabstätte«, sagte der Mann. »Einer verborgenen Pyramide südlich von Sakkara.«

Kenilworths Augen verengten sich. »Woher wissen Sie das?« Er wandte sich seinem Diener zu. »Atkins?«, fragte er anklagend.

Atkins schüttelte unmerklich den Kopf. »Ich glaube, Sie sollten dem Gentleman zuhören, Sir. Ich habe guten Grund zu der Annahme, dass er nützliche Informationen für Sie hat.«

Kenilworth schnaubte noch einmal und griff nach seinem Drink.

Der Fremde beugte sich leicht vor. »Mr Atkins hat recht, Lord Kenilworth.«

»Wirklich? Und was für Informationen haben Sie dann bitte für mich?«

Der Mann richtete sich wieder auf. »Sie müssen sich auf einiges an Mühsal gefasst machen, fürchte ich. Es liegen viele Gefahren vor uns, ja sogar der Tod. Wenn Sie jedoch einwilligen, kann ich Ihnen für Ihre Expedition meine Dienste zur Verfügung stellen.«

»Und was genau bieten Sie mir an?«

Der Mann wandte sich ab und dem Fenster zu, blickte zu den Pyramiden hinüber. Die Sonne sank träge zwischen ihnen herab und ihre Strahlen ergossen sich über den Wüstensand. Einen Moment lang war der Fremde still, als dächte er nach. Dann schien er zu einem Entschluss zu gelangen und wandte sich wieder Kenilworth zu.

»Ich kann Sie zu dem Grab führen«, sagte er.

CRANLEIGH HALL, OXFORDSHIRE

1926

Das Orchester nahm einen großen Teil der Terrasse ein. An einem Ende des Rasens war das Büfett nebst Bar angerichtet; der Rest stand den Gästen zur Verfügung. Einige standen herum und aßen, andere unterhielten sich miteinander. Manche tanzten auf dem kleinen Teil der Terrasse, der nicht von Musikern besetzt war, oder sahen den anderen dabei zu, wie sie fröhlich den Schritten eines flotten Charleston folgten.

Lord und Lady Cranleigh schlängelten sich ohne Unterlass und Mühe durch die Gäste. Sie lächelten und plauderten. Sie nickten und nahmen gute Wünsche und Komplimente entgegen. Sie stimmten allen Bemerkungen zu; nur wenn es sich um Religion oder Politik handelte, gaben sie unverbindliche Antworten und gingen rasch weiter.

»Schön, so wunderschön«, sagte Smutty Thomas zum vierten Mal und hob sein jüngstes Champagnerglas schwungvoll in die Richtung des glücklichen Paars. »Reizende Kirche. Und der Bischof ist ein guter Kerl.« Champagner spritzte vor Lady Cranleighs Füßen auf den Rasen. Sie lächelte und tat so, als hätte sie es nicht bemerkt.

»Die Reden – exzellent. Vortrefflich.« Smutty Thomas nickte enthusiastisch.

Lord Cranleigh lachte. »Zu den Reden sind wir doch noch gar nicht gekommen.«

Smutty Thomas legte mit einiger Anstrengung die Stirn in Falten. »Na ja«, sagte er gedehnt, »sie werden bestimmt außerordentlich gut sein.«

»Oh ja, das werden sie sein«, sagte jemand direkt hinter Cranleigh. Die Stimme klang atemlos und beherrscht zugleich, als hätte der Sprecher gerade einen Hundert-Meter-Sprint hingelegt, wäre dabei jedoch nicht ins Schwitzen geraten. »Insbesondere die Anekdote vom Schwein im Exeter-College werde ich genießen.«

Lord Cranleigh stand der Mund offen. »Sie können doch unmöglich wissen …«, fing er an und drehte sich zu dem Mann um, der gesprochen hatte. Sobald er erkannte, um wen es sich handelte, verwandelte sich seine Überraschung in Entzücken und Begreifen. »Doktor«, rief er strahlend, »wie schön, dass Sie gekommen sind!«

»Nicht doch.« Der Doktor erwiderte das Lächeln und ergriff die Hand, die Cranleigh ihm hinhielt. »Herzlichen Glückwunsch! Die Hochzeitstorte schmeckt wunderbar.«

»Wir haben sie noch gar nicht angeschnitten«, sagte Lady Cranleigh.

Aber ihr Ehemann lachte nur wieder und hielt mahnend einen Finger hoch. »Ich weiß nie, ob Sie scherzen, Doktor!«

»Sind Sie allein hier?«, fragte Lady Cranleigh. Sie spähte am Doktor vorbei und suchte unter den Gästen in seiner Nähe nach seinen Begleitern.

»Ich fürchte, das bin ich.« Das Lächeln des Doktors verblasste.

»Vielleicht ist das ganz gut«, bemerkte Cranleigh. »Ich könnte mir vorstellen, dass es für einige Verwirrung sorgen würde, wenn Miss Nyssa hier auftauchen würde.« Er drehte sich zum schwankenden Smutty Thomas um. »Wissen Sie, sie ist Ann wie aus dem Gesicht geschnitten«, vertraute er ihm an. »Sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Ganz schön unheimlich.« Sein Freund schenkte jedoch seinem Champagnerglas mehr Aufmerksamkeit als ihm: Er hatte genug damit zu tun, dafür zu sorgen, dass die perlende Flüssigkeit in seinem zitternden Glas blieb.

Ann Cranleigh tätschelte dem Doktor die Schulter. »Jedenfalls freue ich mich, Sie zu sehen«, sagte sie. »Wenn Sie uns das nächste Mal besuchen, müssen Sie aber Nyssa, Tegan und Adric mitbringen! Sie sind hier immer willkommen.«

»So ist es«, pflichtete Cranleigh seiner Gattin bei. »Wir sind Ihnen einiges schuldig, Doktor.«

»Vielen Dank«, sagte der Doktor. Er biss sich auf die Unterlippe, als dächte er gerade über etwas Wichtiges nach. »Ich weiß, dass Sie im Augenblick ein wenig beschäftigt sind«, sagte er schließlich, »aber ich habe mich gefragt, ob Sie mir einen kleinen Gefallen tun könnten.«

»Alles, was in meiner Macht steht, Doktor«, sagte Cranleigh ernst. »Hauptsache, es geht nicht um Geld«, fügte er mit einem Zwinkern hinzu.

Der Doktor lachte. Dann wurde er sofort wieder ernst. »Nein, um Geld geht es nicht. Und eigentlich muss ich Ihre Gemahlin um etwas bitten. Sie dürfen aber gern ein wenig darüber nachdenken, bevor Sie zustimmen.«

»In dem Fall«, Lady Cranleigh ergriff den Arm des Doktors, »dürfen Sie mich beim Tanzen fragen.«

»Beim Tanzen?«, rief der Doktor bestürzt. Als sie ihn auf die Terrasse zu führte, verrenkte er sich den Hals und warf Cranleigh über die Schulter einen verzweifelten Blick zu.

Cranleigh hob zur Antwort sein Glas. »Wir sehen uns später, Doktor«, rief er und drehte sich gerade noch rechtzeitig wieder um, um Smutty aufzufangen, als er umkippte.

KENILWORTH HOUSE, LONDON

1965

Aubrey Prior erstarrte. Das Glas schwebte einen Moment lang vor seinem offenen Mund, dann blinzelte er mit einem Mal und stellte es ab. Das Licht des schweren Lüsters spiegelte sich in den geschliffenen Facetten des Bleikristalls, sodass der erlesene Portwein von innen heraus zu leuchten schien. Er gehörte zu den besten der vielen Portweine, die Aubrey Prior bisher gekostet hatte.

»Wie lange weißt du schon davon? Sind sie sicher? Mein Gott, wie schaffst du es nur …« Aubrey schüttelte den Kopf. »Entschuldige, ich … Entschuldige.«

Cedric blickte traurig lächelnd zu ihm hinüber. Er stand mit dem Rücken zum Feuer und ließ den Arm auf dem Kaminsims ruhen. »Ich weiß es tatsächlich schon seit einer ganzen Weile«, sagte er. »Obwohl ich es eine Zeit lang nicht glauben konnte.«

»Aber es muss doch irgendwas geben … irgendwie muss man es doch behandeln können. Wenn es eine genetische Instabilität ist oder ein Defekt in der DNA …«

Cedric hob die Hand, um seinen Neffen zu unterbrechen. »In ein paar Jahren wirst du mit deinen Kollegen bestimmt genug an unseren Genen herumgebastelt haben, um alles restlos heilen zu können, Aubrey.« Einen Moment lang starrte er abwesend den Kronleuchter an. »Aber so viel Zeit habe ich nicht mehr. Mir bleiben nur ein paar Wochen.«

»Wochen?«

Cedric Prior nickte. »Allerhöchstens drei, wie es scheint. Dabei ist es mir weiß Gott wie lange nicht mehr so gut gegangen wie jetzt.« Er blickte sich im Gesellschaftszimmer um, nahm jedes Detail des Mobiliars und der Verzierungen in sich auf. Aubrey kam es so vor, als würde sein Onkel sich das Zimmer zum ersten Mal richtig ansehen. Oder zum letzten Mal. »Ich hatte gehofft, er würde kommen, so lange ich noch lebe. Ich wollte endlich herausfinden, was es mit alledem auf sich hat …« Seine Stimme erstarb und er schüttelte langsam und traurig den Kopf.

»Er?« Aubrey stand auf und trat zu seinem Onkel ans Feuer. Sie waren ebenso sehr Freunde wie Verwandte und Aubrey hatte sich wochenlang auf diesen Abend gefreut. Wahrscheinlich länger, als sein Onkel noch zu leben hatte. Er stellte sein Glas auf den Sims. Plötzlich hatte er keine Lust mehr auf seinen Drink.

Cedric Prior blickte immer noch ins Leere, die Augen glasig. Aubrey wartete eine Weile, doch sein Onkel schien tief in Gedanken versunken. »Möchtest du, dass ich …« Aubrey machte eine vage Geste zur Tür.

Cedric schaute ihn an. »Was? Oh nein. Nein. Tut mir leid, ich war …« Er blickte zur Tür, auf die Aubrey gezeigt hatte. »Ja, ja. Wir müssen aufbrechen. Es wird Zeit, dass du von deinen Pflichten erfährst, von der Aufgabe, mit der deine Familie betraut ist.«

Aubrey folgte seinem Onkel auf den Flur und fragte sich, ob die Krankheit bereits sein Gehirn in Mitleidenschaft gezogen hatte. Er entschied, dass genau das der Fall sein musste, als Cedric Prior ihn zu dem Schrank unter der Treppe führte und seinem Neffen bedeutete, ihm ins Innere zu folgen.

»Da rein? Also wirklich, Onkel, ich denke nicht …«

»Komm mit. Ich warte schon darauf, dir das hier zu zeigen, seit du geboren wurdest.« Cedric ergriff seine Hand und zog ihn hinein. Dann hockte er sich hin und fing an, an einer der Bodendielen herumzutasten.

Audrey spähte über seine Schulter: Cedric versuchte, einen Messingring hochzuhebeln, der ins Holz eingelassen war. Sobald er ihn richtig zu fassen bekam, zog er daran. Ein Abschnitt des Schrankbodens hob sich und wirbelte eine Staubwolke auf. »Eine Bodenluke!«

Cedric lächelte und nickte. »Hinunter mit dir.« Als er beiseitetrat, sah sein Neffe, dass eine steinerne Treppe in einen Keller darunter hinabführte.

Aubrey hatte einen schummrigen Raum voller Spinnweben und Staub erwartet. Stattdessen begrüßte ihn ein großer, hell erleuchteter Raum mit steinernem Boden und tiefroten Samtvorhängen, die die Wände verdeckten. Auf niedrigen Tischen und Regalen im ganzen Zimmer befanden sich allerlei Schmuckstücke und Statuetten. Doch Aubrey nahm kaum Notiz von ihnen.

Auf der gegenüberliegenden Seite gab es ein Podest. Zwei Steinstufen führten zu dem erhöhten rechteckigen Bereich hinauf. Und auf dem Steintisch in der Mitte stand ein Sarkophag.

Ohne zu schauen, ob sein Onkel ihm folgte, ging Aubrey langsam darauf zu. Die Geräusche seiner Schritte auf dem Steinboden wurden von den schweren Vorhängen geschluckt. Als er näher trat, sah er, dass der Sarkophag mit dem Alter nachgedunkelt war. Einst war er mit aufwendigen, bunten Hieroglyphen übersät gewesen: drei Reihen winziger Bilder, die um das menschenförmige Behältnis verliefen. Nun waren sie jedoch verblasst und schwarz geworden, sodass man nur noch ihre schattenhaften Umrisse erkennen konnte, wenn das Licht darauf fiel.

Aubrey erreichte die Plattform, erklomm die Stufen und blickte in den Sarg. Er sog scharf die Luft ein, als er den bandagierten Leichnam sah. Anhand der Größe und Form glaubte er, sagen zu können, dass es sich um eine Frau handelte, oder vielmehr gehandelt hatte. Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Mein Gott. Wie lange hast du das schon hier?«

Hinter ihm, am Fuß der Treppe, lachte Cedric Prior. »Ich hab den Sarkophag da nicht hingestellt. Mir wurde auch nicht gesagt, wer das getan hat.« Er trat vor und sprach ein wenig leiser weiter. »Und ich habe mich gehütet, danach zu fragen.« Langsam kam er die Stufen herauf und blickte eine Zeit lang in den Sarkophag. »Nun bist du für sie verantwortlich, Aubrey.«

»Ich?«

»Oh ja. Als mein Alleinerbe bekommst du das Haus und alles, was sich darin befindet. Sie eingeschlossen.«

»Aber wozu? Ich meine …« Aubrey wedelte mit den Händen in Richtung der bandagierten Gestalt. »Wozu ist sie da? Was soll ich mit ihr machen?«

»Wahrscheinlich nichts. Sie liegt einfach nur so da, unberührt und ungestört, bis unsere Familie ihrer Pflicht entbunden wird.«

»Und wann ist das?«

Cedric griff in seine Jacke und zog einen Umschlag hervor. Er war spröde und vom Alter vergilbt; als der Onkel ihn vorsichtig öffnete, blätterte ein Papierfetzchen ab und schwebte zum Kellerboden hinab. Aus dem Inneren zog er ein Stück Pappe hervor und reichte es seinem Neffen.

»Eine Einladungskarte?« Tatsächlich war es nur die Hälfte einer Karte. Das verblasste Gold der abgerundeten Kante endete abrupt an der Stelle, wo das steife Papier längs entzweigerissen worden war. Aubrey las die halben Sätze auf der bedruckten Seite und versuchte, die fehlenden Wörter und Wendungen jenseits der gezackten Kante zu erahnen.

»Wahrscheinlich wirst du das an den nächsten Verwandten weitergeben, so wie ich es jetzt tue«, sagte Cedric leise. »Aber möglicherweise erlebst du es noch, dass er kommt.«

»Wer denn?«

»Derjenige, der die andere Hälfte der Einladungskarte hat. Er wird kommen, um die Mumie einzufordern, und du musst sie ihm aushändigen.«

»Und was dann?«

Cedric Prior zuckte mit den Schultern. Er fuhr mit dem Finger über den Rand des antiken Sargs und starrte die verrotteten Bandagen auf dem Gesicht der Frau an. »Wenn ich das nur wüsste«, erwiderte er leise.

1

Der Doktor war tief in Gedanken versunken. Das fiel Nyssa auf, sobald sie den Konsolenraum betrat. Noch im Korridor der TARDIS hatte sie den melodischen Ton gehört, der verkündete, dass sie gelandet waren. Nun sah sie, dass die Mittelsäule der Steuerkonsole zum Stillstand gekommen war.

Der Doktor stand über die Konsole gebeugt da und blickte durch die neblig-transparente Mittelsäule darüber hinweg ins Leere. Eine einzelne Falte zeigte sich auf seiner dem Anschein nach jungen Stirn.

Von der Tür aus beobachtete Nyssa, wie der Doktor plötzlich den Kopf schüttelte und begann, eilig um die Konsole herumzuhuschen. Sein blondes Haar geriet dadurch in Aufruhr. Er murmelte vor sich hin, während er verschiedene Instrumente zu Rate zog und mit finsterer Miene Anzeigen ablas.

Plötzlich erklang Tegans Stimme direkt neben Nyssas Ohr: Ihre Freundin stand direkt hinter ihr. »Sind wir gelandet?«

»Ja.« Nyssa trat beiseite, um Tegan hereinzulassen. »Ich bin aber nicht sicher, ob wir da sind, wo der Doktor hinwollte.«

»Was gibt’s sonst noch Neues?« Tegan positionierte sich so, dass der Doktor sie nicht übersehen konnte, als er die nächste Runde um die Konsole in Angriff nahm.

»Ah, Tegan«, sagte er, als er fast mit ihr kollidierte. »Gut. Ja. Wir sind gelandet.« Er rammte die Hände tief in die Taschen seines langen cremefarbenen Jacketts und spähte über Tegans Schulter auf die Konsole hinab.

»Das sehen wir selbst, Doktor«, sagte Nyssa, als sie zu ihnen trat.

Der Doktor nahm die Hände aus den Taschen und tippte auf dem nächsten Bedienfeld geistesabwesend eine Kombination ein. »Nur leider …«, sagte er leise. Dann hörte er plötzlich auf zu tippen und starrte konzentriert die Tasten des Panels an.

»Leider was, Doktor?«

Einen Moment lang regte er sich nicht. Dann straffte er sich und legte die Stirn in Falten wie ein Schuljunge, der zu spät und um die passende Ausrede verlegen war. »Wir sind nicht da, wo wir sein sollten«, sagte er, als käme das für ihn völlig überraschend.

»Haben wir uns schon gedacht«, verriet ihm Tegan.

»Hm?«, machte der Doktor mit gequälter Stimme.

»Und wo sind wir dann?«, fragte Nyssa, ehe sie noch anfingen, sich um die exakte Prozentzahl zielgenauer Landungen in letzter Zeit zu streiten.

Ruckartig drehte sich der Doktor zu Nyssa um. »Das weiß ich nicht«, sagte er, als wäre ihm diese Frage vorher gar nicht in den Sinn gekommen.

»Ich probier’s mal mit dem Scanner«, bot Nyssa an.

Er zeigte nichts an.

»Der ist einfach nur schwarz«, sagte Tegan, was ihr einen bösen Blick vom Doktor und ein Schulterzucken von Nyssa einbrachte.

»Vielleicht ist ja draußen einfach alles schwarz. Irgendeine Art Leere oder so.«

»Nein, Nyssa. Der Scanner spielt nur verrückt, das ist alles.« Der Doktor schaltete den Bildschirm ab und machte eine wegwerfende Handbewegung in Richtung Steuerkonsole. »Das wird sich schon bald von selbst erledigen.«

»Was denn?«

»Was? Ach so, der Relativdimensionalstabilisator hat versagt. Ist nicht das erste Mal – die TARDIS weiß, wie sie das wieder hinkriegt. Und dann können wir uns wieder auf den Weg machen.«

»Einfach so?« Tegan schien nicht überzeugt zu sein.

»Ähm, nun, eigentlich nicht. Nicht ganz.«

»Hätte mich auch gewundert.«

»Wir müssen neu kalibrieren. Das geht aber im Handumdrehen.« Der Doktor grinste. »Sobald wir die Daten haben.«

Tegan blickte vom Doktor zu Nyssa. Da der Doktor offenbar nicht vorhatte, irgendetwas zu erklären, übernahm Nyssa das für ihn. »Wir müssen wissen, wo wir sind, um rauszufinden, wie wir wieder auf Kurs kommen.« Sie hoffte, sie hatte das Problem verstanden.

»Ganz recht, Nyssa. Wo und wann. Sobald wir das wissen, können wir’s noch mal versuchen.«

»Also müssen wir rausgehen.«

Der Doktor nickte. »Aufregend, oder?« Er betätigte den Türöffner und die Haupttüren schwangen schwerfällig auf.

»Kommen Sie, meine Damen!« Der Doktor hatte bereits seinen Panamahut in der Hand. Er setzte ihn auf und schob sich an Nyssa und Tegan vorbei. »Wo ist denn Ihr Sinn fürs Abenteuer?«

»Meiner ist irgendwo in Amsterdam einen langen und qualvollen Tod gestorben«, sagte Tegan leise zu Nyssa. »Und deiner?«

»Ich weiß nicht, ob ich je einen hatte«, antwortete Nyssa. Aber sie folgte den beiden trotzdem.

Der Saal war groß und unbeleuchtet. Nur der Mond warf sein Licht durch die staubigen Fenster. Als Tegan sich in der Düsternis umblickte, konnte sie dunkle Umrisse ausmachen, die sich über die Länge der Halle erstreckten. Ein schwarzer Fluss schien sie zu umgeben. Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, erkannte sie, dass es sich um einen Teppich handelte, der sich zwischen den Silhouetten entlangschlängelte. Der Doktor preschte bereits voran und spähte in die Schatten. Sie sah, wie er eine Halbmondbrille aus seiner Brusttasche holte und sie aufsetzte.

Tegan wollte ihm folgen. Sie war sich bewusst, dass Nyssa neben ihr war. Etwas berührte ihre Hand, nur eine Sekunde lang, und ließ wieder los. Tegan keuchte vor Schreck und sprang zurück.

Nyssa lachte. »Das ist nur ein Seil, Tegan!«

»Das seh ich selbst.« Und das tat sie auch – jetzt zumindest. Das Seil lief am Rand des Teppichs entlang und sperrte den Bereich außerhalb davon ab. Um auf den Pfad zu gelangen, mussten sie darüber hinwegsteigen. Als sie dem Doktor folgten, erkannte Tegan, dass das Tau zwischen niedrigen Pfosten gespannt war. Allmählich begriff sie, wo sie sich befanden.

»Das sind Särge«, sagte Nyssa, als sie den ersten der größeren Schatten erreichten. Der Mittelgang des Raums beherbergte eine Aufreihung ähnlicher Formen. Alle Särge waren offen, etwas mehr als zwei Meter lang und knapp einen Meter breit. In jedem schien ein Leichnam zu liegen.

Nyssa warf einen Blick in den nächsten Sarg. »Die Leiche ist mit irgendeinem Schutzmaterial bedeckt«, berichtete sie. »Das muss ein hoch entwickeltes Verfahren sein, das auf Kryotechnik basiert. Eine Methode, um den Körper zu erhalten, sodass er später wiederbelebt werden kann.«

Diesmal lachte Tegan. Sie war froh, dass sie ausnahmsweise einmal besser Bescheid wusste als Nyssa. »Ein hoch entwickeltes Verfahren? Das glaub ich kaum.«

»Ach, seien Sie doch nicht so, Tegan.« Irgendwie war der Doktor plötzlich zwischen ihnen aufgetaucht und starrte in den Sarg. »Die Prozedur ist ziemlich hoch entwickelt, alles in allem. Und die Grundidee war genau das, was Nyssa gesagt hat: Sie glaubten, nach der Bestattung werde die Seele wieder mit dem Körper vereint. Also musste die Leiche konserviert werden, um die Unerbittlichkeit des Jenseits zu überdauern.«

Tegans Augen hatten sich inzwischen so weit ans schwache Licht gewöhnt, dass sie sehen konnte, wie Nyssa grinste. »Doktor, das sind Mumien«, sagte sie. »Nyssa mag glauben, was sie will, aber wir sind in einem Museum. Einem Museum voller Sarkophagen und antikem ägyptischem Zeugs.«

»Sarkophage«, verbesserte sie der Doktor. »Aber Sie haben recht.«

Sie blickten sich noch einmal genauer um, nun, da sie besser sehen konnten. Die Sarkophage bildeten eine Reihe, die sich mitten durch den Raum zog. An den Seiten standen aufrecht weitere Särge und Sarkophage. Die TARDIS befand sich in einer Ecke, nur eine weitere Kiste in einer großen Sammlung seltsam geformter Särge. Hier und da standen niedrige Tische und auf jedem waren eines oder mehrere Objekte symmetrisch angeordnet, von Statuetten, Urnen und Vitrinen voller Juwelen bis hin zu Papyrusfragmenten wurde hier alles ausgestellt.

»Und das ist nicht nur ein Museum«, fuhr der Doktor fort. »Es ist das Museum – zumindest so weit es die Erde betrifft.« Langsam drehte er sich einmal im Kreis und sah sich mit offenkundigem Stolz in dem Raum um. »Das ist die Ägypten-Ausstellung des British Museum.« Wieder stiefelte er los. »Jetzt müssen wir nur noch die Zeit rauskriegen«, rief er über die Schulter zurück.

»Es ist Nacht«, rief Tegan ihm nach. »Und kalt ist es auch.« Sie trug noch immer das Trägerhemd und die kurze Hose aus dünnem Stoff, die sie nach Amsterdam mitgenommen hatte. Zum dortigen Klima hatten sie gut gepasst, aber nun war ihr klar, dass ihr Outfit kaum besser als Unterwäsche war.

»Haben die echt geglaubt, die würden im Jenseits wieder aufwachen?«, fragte Nyssa. »Danach?« Sie wies auf die bandagierte Gestalt in dem Sarg vor ihnen.

»Schätze mal schon.« Tegan schauderte. »Sind ein paar schöne Filme dabei rausgesprungen: Mumien, die zum Leben erwachen und ihren Opfern hinterherwanken.« Sie machte einen tollpatschigen Ausfallschritt auf Nyssa zu. Ihre Freundin kicherte und trat ihr aus dem Weg.

»Wenn er noch länger bleiben will, muss ich mir einen Mantel holen.« Tegan schaute dem Doktor dabei zu, wie er langsam von Relikt zu Relikt schritt und hin und wieder etwas auf einen kleinen Block kritzelte, den er mit einem Mal in der Hand hatte. »Ist dir gar nicht kalt?«, fragte sie Nyssa.

Nyssa schüttelte den Kopf. Sie trug eine braune Cordhose und ein dazu passendes langes Tunikakleid aus Samt.

Tegan fasste einen Entschluss. »Na gut«, sagte sie. »Ich bin in einer Minute wieder da.« Sie nickte der fernen Silhouette des Doktors zu. »Pass auf, dass er nicht wegspaziert«, sagte sie. Dann ging sie zur TARDIS zurück und fluchte einmal kurz, als sie an dem niedrigen Absperrseil hängen blieb.

Nyssa lächelte, als sie Tegan erneut stolpern sah. Sie erwiderte das verlegene Winken ihrer Freundin und beobachtete, wie sie die TARDIS betrat. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den bandagierten Leichnam in dem Sarkophag vor ihr. Sie fragte sich, welche Rituale und Glaubenssätze eine Kultur wohl haben mochte, die sich so sehr um ihre Toten kümmerte. Sie versuchte, das Alter der Leiche und des Sarges zu schätzen, warf jedoch bald die Flinte ins Korn. Sie gab dem schlechten Licht und dem Fehlen von Hintergrundinformationen die Schuld. Sie würde ein paar der anderen Artefakte in Augenschein nehmen und dann den Doktor fragen. Vielleicht würde sie sogar einen Versuch wagen, das Alter eines der Relikte zu schätzen.

Das erste Stück, das sie genauer betrachtete, war ein Armreif, der auf einem der Tische am Mittelgang lag. Er war groß und schwer, ließ sich öffnen und um das Handgelenk oder vielleicht den Unterarm schließen. Als sie ihn in den Händen drehte, sodass er das Mondlicht einfing, bemerkte sie, dass er aus Gold gefertigt war und Einlegearbeiten aus einer blauen Emaille aufwies, die sie nicht erkannte. An einer Seite befand sich ein Bild. Es schien ein Kind zu zeigen, das auf einem Blätterhaufen saß. Die Gestalt hielt einen Stab, dessen Spitze eine Schlaufe bildete, und trug einen Kopfschmuck, der mit einer sich aufbäumenden Schlange verziert war. Das Bild wurde von zwei weiteren gebogenen Schlangen eingerahmt, deren Schwänze sich über dem Kopf des Kindes trafen. Der Hintergrund war verblasst und abgenutzt, aber die Reliefarbeit selbst war gut erhalten. Wenn sie sich anstrengte, konnte sie sogar die feine Linie des Mundes erkennen. Die Figur hielt einen Finger an die Lippen, als wollte sie Nyssa bitten, leise zu sein.

Vorsichtig platzierte sie den Armreif wieder auf dem Tisch, nicht klüger als zuvor. Ein größeres Objekt würde ihr vielleicht mehr Hinweise geben. Sie ging zu einem Sarkophag hinüber, der aufrecht an einer Wand stand.

Er war größer, als sie erwartet hatte, überragte sie um gut einen halben Meter. Er schien aus Holz gefertigt zu sein und war grob der Form einer Person nachempfunden – wahrscheinlich die der Leiche darin. Anhand der Seitenlängen des Sarges, den sie sich schon angesehen hatte, und der Größe der Mumie darin nahm sie an, dass im Inneren dieses Sarges noch reichlich Platz sein musste, selbst wenn sich ein Toter darin befand. Die Personen waren bei Weitem nicht so groß gewesen wie ihre Särge.

Ein Mondstrahl beschien die Seite und das Kopfende des Sarkophags – ein Grund, warum Nyssa sich entschieden hatte, ihn zu inspizieren – und sie konnte erkennen, dass das Gesicht, das auf den Kopfabschnitt gemalt war, einer Frau gehörte. Der Rest des Körpers war mit kleinen Bildern von Tieren und Vögeln geschmückt. Es waren auch einige Menschenfiguren zu sehen, doch sie hatten die Köpfe anderer Kreaturen. Ein bestimmtes Symbol, ein stilisiertes Auge, tauchte immer wieder auf. Darüber erhob sich eine Augenbraue, als wäre die Person überrascht, und zwei Linien liefen von dort aus abwärts. Eine verlief senkrecht zum Auge, die andere in einem Winkel nach links und verjüngte sich, bis sie in einem ausgemalten Kreis von der Größe einer Pupille endete. Im schimmernden, staubigen Mondlicht wirkten sie wie Tränen, die am Sargdeckel herabliefen.

Nyssa kam bald zu dem Schluss, dass sie ohne Hilfe niemals die Symbole und Bilder enträtseln können würde. Daher befasste sie sich lieber mit dem Gesicht der Toten. Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen und etwas nach vorn beugen, weil das Fußende des Sargs menschlichen Füßen nachempfunden war und dementsprechend ein Stück hervorragte. Die Hälfte des Gesichts lag im Schatten, den Rest konnte sie jedoch recht deutlich ausmachen: die weit aufgerissenen Augen, die hohen Brauen, die bemalten Wangen und die sanfte Linie der Nase. Nyssa musterte die abblätternden Lippen: Sie bogen sich leicht nach oben, warfen an den Mundwinkeln jedoch Schatten nach unten. Sie streckte sich und fuhr mit der Hand über die matte Farbe des dunklen Lockenhaars, das sich von einem Scheitel aus ungleichmäßig über die künstlichen Schultern ergoss. Ein ängstliches Schaudern lief ihr kalt über den Rücken.

Tegan trug den längsten, schwersten Umhang, den sie in der Garderobe der TARDIS hatte finden können. Sie hatte in Erwägung gezogen, sich komplett umzuziehen, bezweifelte allerdings, ob der Doktor auf sie warten würde, bis sie etwas Passendes gefunden hatte. Daher war sie nun von Kopf bis Fuß in den schwarzen Umhang gehüllt, der aus irgendeinem dicken Tuchgewebe bestand, und die schwere Kapuze, die ihr locker um den Hals hing, zog an ihren Schultern.

Ihr erstes Problem war, das Seil zu überwinden, an das sie sich diesmal allzu gut erinnerte. Sie musste den Umhang mit jedem Bein darüber hinwegheben. Sie beglückwünschte sich selbst zu der geglückten Operation, ließ ihn wieder zu ihren Knöcheln hinabfallen und blickte sich nach Nyssa und dem Doktor um.

Sie konnte keinen der beiden entdecken.

Als sich ihre Augen jedoch wieder ans Halbdunkel gewöhnt hatten, erspähte sie eine Gestalt auf der gegenüberliegenden Seite des Saals: Einen Moment lang zeichnete sich die Silhouette vor dem helleren Durchgang in der Wand ab. Die Gestalt steckte die Hände in die Hosentaschen und drehte sich langsam zuerst in die eine und dann in die andere Richtung. Tegan lächelte und ging auf den Doktor zu.

Sie hatte den Weg zur Hälfte zurückgelegt, da nahm sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung war. Zuerst dachte sie, es wäre Nyssa, die ein anderes Artefakt untersuchte. Aber es war keine Person, sondern die Reflexion von irgendetwas, das kurz aufgeleuchtet hatte. Sie blieb stehen und drehte sich zu der Lichtquelle um.

Doch es war nichts zu sehen. Nur ein weiterer Sarkophag, der an der Wand stand, hoch und breit und wie eine aufrecht stehende Gestalt geformt, genau wie alle anderen. Die Arme waren über der Brust gekreuzt und jede Hand umfasste einen Stab. Der Kopfschmuck, der das Gesicht einrahmte, bestand aus Streifen, abwechselnd schwarz und eine hellere Farbe. Mehr Details konnte Tegan in der Düsternis nicht erkennen. Einen Augenblick lang betrachtete sie den Sarkophag. Still, reglos und einsam stand er da.

Gerade als sie weitergehen wollte, fiel ihr ein schwaches Summen auf. Es war dem Hintergrundbrummen im Konsolenraum der TARDIS nicht unähnlich. Tegan blickte sich um, um herauszufinden, woher es kam. War die Tür der TARDIS hinter ihr aufgeschwungen? War vielleicht ihr Umhang in den Spalt geraten und nun stand sie noch offen? Aber die Tür war zu. Das Geräusch kam von hinten – aus dem Sarkophag. Sein Inneres wurde nun von einem gespenstischen Licht erhellt, das anscheinend aus den helleren Streifen des Kopfschmucks hervordrang und sich über den Rest des Korpus ergoss.

Das blau flackernde Licht hypnotisierte Tegan eine Sekunde lang. Es hielt ihre Aufmerksamkeit und ihren Geist in Bann. Dann, gerade als sie sich von dem Anblick losriss und ihre Stimme wiederfand, erlosch das merkwürdige Leuchten.

»Doktor«, rief sie durch den Saal. Ihre Stimme schallte über die Relikte hinweg und wurde von den Wänden zurückgeworfen.

In der Ferne drehte sich der Doktor ruckartig um, dann rannte er los. Einen Moment lang, vom Licht im Durchgang hinter ihm erhellt, schlüpfte leise und geschwind eine weitere Gestalt herein.

Die Hand war groß und rau und sie roch nach Fisch. Nyssa hatte gerade noch Zeit, zu einem erschrockenen Schrei anzusetzen, dann verschloss ihr die Hand den Mund. Ihr Schrei brach abrupt ab, als der Angreifer zupackte.

Am anderen Ende des Saals sah sie Tegans dunkle Gestalt und den Umriss des Doktors, der auf Tegan zueilte, bei ihr ankam, sie an den Schultern packte und sie fragte, was los sei. Der Anblick wurde kleiner, als Nyssa in die entgegengesetzte Richtung davongezerrt wurde. Der Mann, der sie fest hielt, knurrte, während er sie angestrengt davon abhielt, zu schreien oder sich loszureißen. Nyssa biss und zappelte und strampelte, aber nichts schien der Entschlossenheit oder dem Griff ihres Angreifers etwas anhaben zu können. Sie zerrte an der riesigen Hand auf ihrem Mund, doch ohne Erfolg.

In der Ferne konnte sie gerade noch ausmachen, wie der Doktor, eingerahmt vom Mondlicht, einen kurzen Blick in ihre Richtung warf. Nyssa stellte sich vor, wie er in die Schwärze blickte und sich fragte, wo sie war und was er gerade für ein Geräusch gehört hatte. Ihre Augen weiteten sich zu einem stummen Flehen und sie strampelte nur umso heftiger.

Dann wandte sich der Doktor wieder Tegan zu. Er schob sie zur Seite und fing an, den Sarkophag hinter ihr zu untersuchen. Nyssa unternahm eine letzte verzweifelte Anstrengung und wand sich im Durchgang. Sie trat mit dem Fuß nach einem nahe gelegenen Ausstelltisch und krallte mit ihrer halb freien Hand nach dem Türrahmen, als sie aus dem Saal geschleift wurde.

»Sehen Sie sich nur das handwerkliche Können an«, sagte der Doktor noch einmal, während er der Figur imaginären Staub vom Gesicht wischte. »Definitiv osirianischer Einfluss.« Er deutete auf die stilisierten Linien der Augenbrauen, um seine Behauptung zu untermauern. »Nun, jetzt wissen wir zumindest, was die TARDIS vom Kurs abgebracht hat.« Er wandte sich zu Tegan um und ließ sich kaum davon entmutigen, dass sie ihm keinerlei Beachtung schenkte, sondern sich im Saal hinter ihnen umblickte. »Hat wahrscheinlich auch den Fehler im Stabilisator ausgelöst.« Er rammte die Hände wieder in die Taschen und beugte sich plötzlich vor. »Tegan, wenn Sie es nicht wissen wollen, dann fragen Sie bitte gar nicht erst«, sagte er, ohne den Tonfall zu ändern, so als würde er lediglich den vorigen Satz fortsetzen.

Wie er vermutet hatte, registrierte sie weder den Themenwechsel noch die Kritik in seiner Stimme.

»Wo ist Nyssa?«, fragte sie stattdessen.

»Oh, ich nehme mal an, sie …«

Der Doktor wurde in seinen Annahmen unterbrochen, als ein Tisch krachend umkippte. Alles, was sich darauf befunden hatte, ergoss sich über den Boden und verursachte einen Höllenlärm. Etwas zerbarst in einer kleineren Explosion aus Staub und Gipsklümpchen. Etwas anderes rutschte und kullerte über den Boden, blieb am Rand des Teppichs liegen und drehte sich im Kreis, bis es endlich liegen blieb.

Tegan und der Doktor wirbelten herum und bekamen gerade noch mit, wie zwei Silhouetten auf der anderen Seite des Saals miteinander rangen, als Nyssa von einer größeren, dunklen Gestalt durch den Durchgang gezerrt wurde.

»He!«, rief Tegan. Sie wollte losrennen, trat dabei jedoch auf ihren Umhang und strauchelte. Der Doktor stürmte an ihr vorbei und sprang über eine Sammlung von Relikten hinweg, die sich zwischen ihm und der Tür befand. Er hörte, wie Tegan hinter ihm mit ihrem Mantel kämpfte. Vor sich sah er Nyssa verschwinden und dann fiel hinter ihr die Tür zu.

Sie war nicht verschlossen, aber im Raum dahinter war niemand zu sehen.

Für den Bruchteil einer Sekunde hielt der Doktor inne. Dann rannte er wieder los, durch den kleinen Raum hindurch, und krachte durch die Tür auf der anderen Seite. Er hörte, wie sie hinter ihm gegen die Wand knallte und wieder ins Schloss fiel, während er bereits die Treppe hinunterschlitterte. Tegans gedämpfte Rufe ertönten hinter ihm, als sie ihm folgte. Er erhaschte einen kurzen Blick auf Nyssas Bein, mit dem sie wild um sich trat, als ihr Entführer mit ihr am Absatz der breiten Steintreppe um die Biegung verschwand. Doch als der Doktor dort ankam, hatte er keine Ahnung, in welche Richtung er musste. Die Treppe führte weiter hinab, allerdings gingen auch drei Türen zu der Etage ab, auf der er sich befand. Der Doktor hielt an, um zu Atem zu kommen, und lauschte auf irgendein Zeichen, doch er hörte nur Tegan, die hinter ihm die Treppe herunterpolterte.

»Wo sind sie hin?«, fragte sie, als sie mit wehendem Umhang bei ihm auf dem Absatz ankam.

Er machte ein gequältes Gesicht. »Glauben Sie, ich würde noch hier rumgammeln, wenn ich das wüsste?«

»Na toll. Und was machen wir jetzt?«

»Wir denken.«

»Denken?«

»Ja, Tegan, denken. Das ist manchmal wirklich ganz hilfreich – Sie sollten es gelegentlich versuchen.«

Tegan schnaubte. »Was hat Nyssa davon, wenn wir hier rumstehen und nachdenken? Wir müssen sie finden!«

»Warum, zum Beispiel, haben die – wer die auch sein mögen – Nyssa entführt? Hm?«

»Spielt keine Rolle, Doktor. Wir müssen sie finden!«

Der Doktor lächelte und hob mahnend den Zeigefinger. »Aber wenn wir wüssten warum, dann wüssten wir vielleicht auch wohin. Wie es aussieht, müssen wir raten. Und ich würde raten, dass sie sie woanders hinbringen.«

»Brillant«, sagte Tegan. Es klang so, als meinte sie eigentlich etwas ganz anderes.

»Tegan«, rügte der Doktor. »Woanders legt nahe, dass sie sie aus dem Gebäude herausschaffen. Weg vom Museum.« Er nickte, in erster Linie, um sich selbst zuzustimmen. »Also müssen wir auch nach draußen. Wir müssen herausfinden, welches Transportmittel sie verwenden.«

»Transportmittel?«

»Sie werden Nyssa nicht durch Londons Straßen schleifen, während sie um sich tritt und kreischt, oder? Würden Sie das machen?«

Aber der Doktor wartete ihre Antwort nicht ab, sondern lief bereits weiter die Treppe hinab. »Kommen Sie schon«, rief er über die Schulter und sprang drei weitere Stufen hinunter.

Die Nachtluft war kalt und trocken. Das bisschen Atem, das Nyssa durch die Finger der feuchtkalten Hand, die ihren Mund bedeckte, ausstoßen konnte, trieb als warmer, feuchter Dunst davon und verflüchtigte sich rasch. Nyssa hatte ihren Kampf so gut wie aufgegeben und versuchte nun stattdessen, ihr Fortkommen so sehr wie möglich zu verlangsamen. Oben im Museum hatte sie hinter sich ein Poltern gehört und hoffte nun, dass der Doktor sie einholen würde.

Sie wurde rückwärts aus einem Seiteneingang des großen Gebäudes gezerrt und konnte unmöglich sagen, wohin die Reise ging. Dafür bekam sie einen guten Blick darauf, wo sie gewesen war. Sie verschwendete wenig Zeit damit, darüber nachzudenken, wie typisch diese Sache für Reisen mit dem Doktor war, und konzentrierte sich mehr darauf, ihre Füße träge durch die dünne Schneeschicht schleifen zu lassen, die das gefrorene Kopfsteinpflaster bedeckte. Ihre Hacken sprangen über die kleinen runden Steine und ihre Waden wurden durch die Stöße durchgeschüttelt.

Weiter hinten im dunklen Schatten des Gebäudes öffnete sich eine andere Tür in die neblige Nacht. Schwer schwang sie nach außen und federte leicht zurück, als sie die Grenze ihres Scharniers erreichte. Einen Moment später kam der Doktor hindurchgesprungen, dicht gefolgt von Tegan. Sogleich blieb der Mann, der Nyssa wegzerrte, stehen.

Ihr erster Gedanke war, dass der Mann sie freilassen und weglaufen würde. Der Doktor und Tegan waren jetzt so nahe, dass sie ihn fangen mussten. Der Doktor winkte und rief; Tegan hatte zu kämpfen, dass ihr der Umhang nicht unter die Füße geriet. Der Nebel teilte sich vor ihnen, als sie vorwärts sprinteten.

Doch dann wurde Nyssa hastig ein paar hohe Trittstufen hinaufgezogen und durch eine kleine Tür bugsiert. Im selben Moment nahm der Mann die Hand von ihrem Gesicht und ein Ruck ging durch den Boden. Sie wurde auf eine gepolsterte Sitzbank geschleudert. Vor ihr funkelte ein dunkles Augenpaar und eine Sekunde lang spiegelte sich das Licht der Gaslaternen in einer Messerklinge. Hinter sich hörte sie über den immer schnelleren Rhythmus von Pferdehufen und das Knallen der Kutscherpeitsche hinweg, wie der Doktor immer wieder nach ihr rief.

Rasch wurde die Kutsche von der nebligen Nacht verschluckt. Eine Weile lang waren noch die Hufschläge auf dem verschneiten Kopfsteinpflaster und das Rumpeln der Räder zu hören, doch durch den dichten Nebel klang der Lärm zunehmend gedämpft. Erst als nichts mehr zu hören war, blieb der Doktor stehen. Er holte tief Luft, warf seinen zusammengerollten Panamahut auf die Straße und trat bedächtig drauf.

Als Tegan ankam, sah sie, wie er den Hut wieder aufhob, ausrollte, an seinem Mantel ausklopfte und sich das kalte, durchnässte Ergebnis auf den Kopf setzte. Dann ließ er sich in den Schnee plumpsen, zog die Knie an die Brust und starrte in die Nacht hinaus.

Tegan sagte nichts. Sie zog den Umhang fester um sich und setzte sich die Kapuze auf, da ihr trotz der erzwungenen Sporteinheit die Kälte nun sehr bewusst wurde.

»Die Straßenlaterne.« Der Doktor machte eine Kopfbewegung zu der nächstgelegenen. »Interessant, finden Sie nicht?«

»Nein.« Tegan hockte sich neben ihn. »Doktor, wir haben Nyssa verloren!«

»Ja, ich weiß«, sagte der Doktor ohne jede Spur von Sarkasmus. Vielmehr schien er nachdenklicher Stimmung zu sein. »Und wir sollten sie schnell wiederfinden.« Er sprang auf und ging raschen Schrittes zu dem Laternenpfahl hinüber. »Der Beleuchtungstechnik, den Umgebungsgeräuschen und«, er wedelte mit dem Arm in der nebligen Nachtluft herum, »der Luftverschmutzung nach zu urteilen würde ich sagen, dass wir etwa in der spätviktorianischen Zeit sind.«

Tegan hatte keinen Grund, ihm zu widersprechen. »Hilft uns dieses Wissen?«

Der Doktor dachte einen Augenblick lang nach. »Wahrscheinlich nicht«, gestand er schließlich ein. »Ich hab nur gern eine klare Vorstellung von den Dingen. Und wir brauchen immer noch das genaue Datum, um die Navigationssysteme der TARDIS zurückzusetzen.« Er ging um den Laternenpfahl herum, wobei er matschige Fußspuren im Schnee hinterließ. »Dieser osirianische Magnetstein muss einen Rest Vortexenergie von der Zeitspur der TARDIS aufgefangen haben. Das würde erklären, warum wir von unserem Kurs abgebracht wurden, und es könnte den Stabilisatorausfall verursacht haben.« Er beendete seine Umrundung und warf Tegan einen nachdenklichen Blick zu. »Deswegen schien auch der Sarkophag zu leuchten. Hat wahrscheinlich die Zeitdifferenz entweichen lassen, um einen Kurzschluss zu vermeiden.«

»Und bringt uns das irgendwie weiter?«