Domestik - Wegelius Charly - E-Book

Domestik E-Book

Wegelius Charly

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Beschreibung

Ein packender Tatsachenbericht aus dem Herzen des Pelotons: So leben und ticken Radprofis wirklich »Mein Name ist Charly Wegelius. Ich war elf Jahre lang Radprofi und nahm an den härtesten und berühmtesten Rennen der Welt teil. Ich fuhr in Diensten absoluter Spitzenmannschaften und besaß schließlich sogar einen gut dotierten Vertrag. Ich lernte, im Dienste meiner Mannschaft unglaubliche Schmerzen auf mich zu nehmen und buchstäblich das Letzte aus mir herauszuholen, aber ich gewann nie auch nur ein einziges Rennen. Ich war nur ein bezahltes Arbeitstier, ein Wasserträger, ein Domestik ... Vergessen Sie die glamourösen, bunten Bilder von der Tour de France. Willkommen im wahren, brutal harten, schaurig-schönen Leben eines ganz normalen Radprofis.« Unzensiert, hautnah am Geschehen und ungeheuer mitreißend erzählt Charly Wegelius aus dem Herzen des Pelotons: Freuen Sie sich auf eine Milieustudie, die den modernen Profiradsport zeigt, wie er wirklich ist. Gewinner des »SweetSpot Cycling Book of the Year Awards« und nominiert für den »William Hill Sports Book of the Year Award«. Stimmen zu diesem Buch: »Der beste Blick hinter die Kulissen des Pelotons seit der Autobiografie von Paul Kimmage.« (William Fotheringham, The Guardian) »Pflichtlektüre. Ein absolut herausragendes Buch.« (Paul Kimmage) »Die Wahrheit über den Profiradsport.« (The Times) »Höchst interessant und überaus aufschlussreich … oft witzig und bisweilen brutal ehrlich … die präziseste Beschreibung, was es wirklich bedeutet, ein hochgeschätzter Domestik im modernen Peloton zu sein.« (Cycling Weekly) »Wenn es so etwas wie Gerechtigkeit gibt, ist dies zweifellos das Sportbuch des Jahres ... Ein Buch, das man unmöglich wieder weglegen kann, ehe die letzte Seite erreicht ist.« (The Washing Machine Post.net) Die Autoren: Charly Wegelius, geboren 1978 als Sohn einer Britin und eines finnischen Olympia-Springreiters, wuchs im nordenglischen York auf, musste jedoch früh ins Ausland gehen, um seinen Traum von einem Leben als Radprofi zu verwirklichen. Während seiner Karriere, in der er für Spitzenmannschaften wie Mapei-Quickstep, Liquigas und Lotto fuhr, nahm er an vierzehn großen Landesrundfahrten teil. Seit 2012 ist er als Directeur sportif für das Team Garmin tätig. Co-Autor Tom Southam weiß als ehemaliger Radrennfahrer auf internationalem Niveau ebenfalls genau, wovon er schreibt. Er fuhr drei Jahre als Profi in Italien und bestritt zwei Mal die Straßen-WM an der Seite von Charly Wegelius. Inzwischen arbeitet er als Journalist für eine Reihe der bedeutendsten britischen und internationalen Radsportmagazine.

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CHARLY WEGELIUS mit TOM SOUTHAM

DOMESTIK

Das wahre Leben eines ganz normalen Radprofis

Die Originalausgabe dieses Buches erschien unter dem Titel »Domestique. The True Life Ups and Downs of a Tour Pro« bei Ebury Press, London. Ebury Press ist ein Teil der Unternehmensgruppe Penguin Random House. © Charly Wegelius 2013

Gemäß UK Copyright, Designs and Patents Act 1988 ist Charly Wegelius der Urheber dieses Werkes.

Charly Wegelius mit Tom Southam: DOMESTIK – Das wahre Leben eines ganz normalen Radprofis

Aus dem Englischen von Olaf Bentkämper

© der deutschsprachigen Ausgabe: Covadonga Verlag 2015 Covadonga Verlag, Spindelstr. 58, D-33604 Bielefeld ISBN (Print): 978-3-95726-005-5 ISBN (E-Book): 978-3-95726-007-9

Es wurden alle Anstrengungen unternommen, um die Inhaber etwaiger Urheberrechte an den in diesem Buch wiedergegebenen Fotografien ausfindig zu machen und zu kontaktieren. Sollten trotz allem entsprechende Angaben fehlen oder fehlerhaft sein, werden Rechteinhaber gebeten, sich mit dem Verlag in Verbindung zu setzen, damit in künftige Auflagen jeweils ein korrekter Verweis aufgenommen werden kann.

Fotografien auf dem Umschlag: Timm Kölln (Cover), Hennes Roth (Coverrückseite)

Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlags.

Covadonga ist der Verlag für Radsportliteratur. Besuchen Sie uns im Internet: www.covadonga.de

Dulce bellum inexpertis. (Süß scheint der Krieg jenen, die ihn nie erfahren haben.)

DESIDERIUS ERASMUS VON ROTTERDAM

INHALT

Vorbemerkung des Autors

Vorwort

Prolog

1. Etwas, das ich tun musste

2. Von Ehrgeiz getrieben

3. Per Vincere!

4. Die Vuelta – oder wie ich lernte, meine Kräfte einzuteilen

5. Das Postamt

6. Giro d’Italia

7. Fahruntüchtig

8. »Tieni Duro«

9. Liquigas

10. Madrid

11. Alles wird gut

12. Die Tour

13. Erste Liga

14. Eine Tour zu viel

15. Vuelta a Asturias, 5. Etappe

Danksagung

VORBEMERKUNG DES AUTORS

Wie die meisten normalen Menschen habe ich mich nicht mit dem Gedanken im Hinterkopf auf meinen Lebensweg gemacht, eines Tages ein Buch darüber zu schreiben. Manche Leute sind da vielleicht anders, aber ich nicht. Selbst als die Idee an mich herangetragen wurde, unter die Autoren zu gehen, war ich unsicher, ob ich der Richtige dafür wäre. Ich hatte nichts zu beichten, aber einiges zu erzählen. Ich wollte nicht irgendein Buch schreiben.

Im Juli 2011 nahm dieses Buch dann langsam Formen an, und inzwischen hatte ich auch eine klare Vorstellung davon, worüber ich schreiben wollte: über das wahre Leben im Profipeloton. Die Ereignisse der vergangenen beiden Jahre haben es schwer gemacht, an diesem Vorhaben festzuhalten, ohne einem Thema, das in meiner Laufbahn nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat, unverhältnismäßig viel Platz einzuräumen.

Als Radprofi, dessen Karriere von 2000 bis 2011 dauerte, durchlebte ich eine für diesen Sport sehr turbulente Zeit – geprägt von zahlreichen Skandalen, Drogenrazzien, Geständnissen, Anschuldigungen, Enthüllungen und all den Problemen, die mit der im Radsport tief verwurzelten Dopingkultur einhergehen.

Insofern hinterlässt es einen bittersüßen Geschmack, dass auch im Jahr 2013 offenbar noch ein hinreichendes Interesse an meinem Sport besteht, so dass ein Typ wie ich ein Buch darüber schreiben kann, ich mich gleichzeitig aber genötigt fühle, gleich darauf hinzuweisen, dass dieses Buch – so wie meine ganze Karriere – keine spannenden Geschichten rund um das Thema Doping erzählt und dies auch gar nicht erst versucht.

Das soll nicht heißen, dass um mich herum nicht gedopt worden wäre. Ganz gewiss sogar ist dies der Fall gewesen. Wer mag, kann die Namen der Leute nachschlagen, mit denen ich zusammen in einem Team gefahren bin, und wird auf etliche Dopingvergehen stoßen. Ich versuche nicht, das zu bestreiten. Ich habe aber beschlossen, mich nicht auf dieses Thema zu konzentrieren.

Ich bin meiner Idee für dieses Buch treu geblieben. In dem Buch, das ich schreiben wollte, sollte es um etwas anderes gehen: um eine ganz normale Karriere im Radsport. Klar, hin und wieder geht es um Doping, wie könnte es auch anders sein, aber ich hoffe, dass die wenigen Auftritte, die das Thema in diesem Buch hat, einen Eindruck davon vermitteln, welch geringe Rolle es in meiner Laufbahn als Radprofi tatsächlich gespielt hat. Ich hatte schlicht und ergreifend andere Sorgen, und es gab zu viele andere Dinge, die mich beschäftigten und um die ich mich kümmern musste.

Die Rolle, die ich ausfüllte, die eines Domestiken, eines Fußsoldaten des Radsports, war eine oft undankbare Aufgabe, die mich elf Jahre lang auf dem schmalen Grat zwischen der Gosse und den Sternen wandeln ließ. Nur diese Geschichte ist es, die zu erzählen ich mich berechtigt fühle, anhand der Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe.

Sie können mir glauben, dass ich dadurch, die Geschichte in dieser Form zu erzählen, eine Reihe von Leute verschont habe. Manche von ihnen habe ich vermutlich eher unbewusst ein klein wenig geschützt. Sollte dem so sein, ist ihr Fehlen vielleicht meine Art, ihnen etwas von dem menschlichen Anstand zurückzuzahlen, mit dem sie mir begegnet sind. Es gibt andere, die mir das Gegenteil entgegengebracht haben und die zu schützen mir von den Anwälten nahegelegt worden ist. Denen sage ich: Glück gehabt, ihr Drecksäcke.

Wie auch immer, ich kann Ihnen versichern, dass ich mich selbst nur wenig geschont habe in dieser Geschichte, und das ist letztlich alles, was ich tun kann.

Charly Wegelius, im Februar 2013

VORWORT

Dieses Buch beginnt ziemlich genau in dem Moment, in dem ich Charly Wegelius zum ersten Mal traf: Es war bei den Straßenweltmeisterschaften 1999 in Verona.

Als ich Charly bei dieser Gelegenheit in Mike Taylors Zimmer im Hotel Antico begegnete, war ich sofort von ihm beeindruckt. Ich wusste, dass er wenige Stunden zuvor seinen ersten Profivertrag unterschrieben hatte. Ich konnte nicht anders, als ihn zu fragen: »Wie hast du das gemacht?«

In diesem Moment, in dem Charly mir in Verona erstmals leibhaftig gegenüberstand, sah ich ihn so, wie ihn im Laufe der Jahre wohl tausende Menschen vom Straßenrand aus wahrgenommen haben: als ein Objekt der Bewunderung, als einen Menschen, der herausragende Athletik und wahre Klasse auf dem Rennrad verkörperte. Damals war ich, so wie er es einst gewesen war, von der Vorstellung besessen, eines Tages Radprofi zu werden. Ich wollte unbedingt selbst Teil des Pelotons werden, und da ich in den 1980er Jahren in Großbritannien aufgewachsen war, war ich von dieser Welt so weit entfernt, dass echte Radprofis mir wie Götter erschienen.

Charly war ein Mann, der den Radsport genauso sah wie ich, der herkam, wo ich herkam, und der es dennoch irgendwie hinbekommen hatte. Er hatte die Kluft überwunden zwischen dem, wo ich stand, und dem, wo ich hinwollte. Vier Jahre älter als ich und mit einem Profivertrag in der Tasche, erschien mir Charly Wegelius wie ein Mann, der das fast Unmögliche geschafft hatte.

Ich folgte Charly schließlich in den Profizirkus, und im Laufe der Jahre wurden wir Freunde. Unsere Wege trennten sich abrupt, als ich der Welt des professionellen Radsports, nach nur drei Jahren im Peloton, wieder den Rücken kehrte, denn sie war überhaupt nicht so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Diese Erkenntnis war ein ziemlicher Schock, den ich erst einmal verdauen musste.

Während Charly seine immer erfolgreichere Karriere fortsetzte und ich mich dem Journalismus zuwandte, blieben wir Freunde. Irgendwann kreuzten sich unsere beruflichen Wege wieder, wenn auch auf ganz andere Art und Weise, als sich die Gelegenheit ergab, seine Geschichte zu schreiben. Es war eine Geschichte, die ich gut kannte, denn ebenso wie Kurt Vonnegut in seinem Meisterwerk Schlachthof 5 quasi direkt neben Billy Pilgrim auf der Latrine saß, war auch ich bei vielen Begebenheiten in diesem Buch hautnah dabei.

Ich war in Verona dabei, als Charly der ganze Stolz des britischen Radsports war, und auch ein Jahr später bei den Peinlichkeiten rund um die Titelkämpfe in Plouay. Ich war oft zugegen und hatte sein Gästezimmer in Beschlag genommen, wenn er in seiner Zeit bei De Nardi nach einem Rennen in seine ungastliche Wohnung und zu seinem leeren Kühlschrank zurückkehrte, und ich war nicht nur dabei, sondern mittendrin, als er den größten Fehler in seiner Karriere als Radprofi beging.

Ich kannte das Gefühl, sich im Peloton mittelmäßig zu fühlen und trotz der unbarmherzigen Realität des Sports zu versuchen, ein anständiges menschliches Wesen zu bleiben.

Und trotzdem war ich nicht ganz sicher, ob dies wirklich das Buch war, das ich schreiben wollte. Tatsache war, dass ich, egal wie offen er in unserer gemeinsamen Zeit über sein Leben sprach, nie ganz die Überzeugung verloren hatte, dass Charly Wegelius schon immer ganz genau gewusst hat, wo es langgeht.

Erst als ich eines Vormittags im Dezember 2011 bei ein paar Negronis mit ihm zusammensaß, um über dieses Buch zu sprechen, erkannte ich, wie schwierig auch für Charly das Leben als Radprofi gewesen war. Da wusste ich, dass dies das Buch war, das ich schreiben wollte, denn mir wurde klar, dass seine Geschichte eine über den Radsport war, die noch nicht erzählt worden war.

Das war die Geschichte, die wir beide der Welt erzählen wollten: die Geschichte vom wahren Leben in der Mitte des großen Fahrerfeldes; die Geschichte der Rennfahrer, die jeden Tag einer Profession nachgingen, für die sie alles geopfert hatten – Freundinnen, Jobs, Ehefrauen, sogar ihre kostbare Jugend –, nur um dabei zu sein und sich für nicht mehr als ein Durchschnittsgehalt und die Chance, es am nächsten Tag wieder tun zu dürfen, die Seele aus dem Leib zu fahren.

Charly lebte das Leben, für das er ausgezogen war – bis zum bitteren Ende und trotz des Preises, den er dafür zahlen musste, und all der Narben, die er unterwegs davontrug. Charly lebte ein Leben, wie es nur wenigen Menschen vergönnt oder gegeben ist. Ihn dazu zu bringen, seine Geschichte zu erzählen, fiel uns beiden nicht immer leicht, aber es musste getan werden.

Ich denke, dass es uns mit diesem Buch zum Teil darum gegangen war, mit dem Mythos aufzuräumen, dass ein Radprofi mehr als ein normaler Mensch sei – abgesehen davon, dass er eine gewisse körperliche Begabung besitzt. Aber ironischerweise konnte ich gar nicht anders, als Charly umso mehr zu bewundern, je mehr ich über seine Lebensumstände und die Widerstände erfuhr, mit denen er fertig werden musste, um eine Karriere wie die seine zu haben. Es war ein Leben, das die Kraft und das Engagement eines aufs Äußerste entschlossenen Charakters erforderte. Aber auch für Charly war es ein Leben, das ganz anders war, als er es sich vorgestellt hatte.

Dank der Einblicke, die ich beim Schreiben dieses Buchs erhalten habe, und weil ich Charly schon seit so vielen Jahren kenne, weiß ich, wie und warum er es als Radsportler so weit geschafft hat. Aber selbst jetzt, da alles vor mir ausgebreitet ist, verstreut in Bergen von Papier, aufgezeichneten Interviews und den vielen hundert Gesprächen, die wir bei der Entstehung dieses Buchs geführt haben, gibt es immer noch einen Teil von mir, der sich fragt: »Wie hast du das gemacht?«

Tom Southam, im Dezember 2012

PROLOG

Ich lebe in ständiger Angst, und wahrscheinlich ist es das, was mich meistens dazu antreibt, mich ganz ordentlich aus der Affäre zu ziehen. Aber eigentlich mache ich mir die ganze Zeit in die Hose.

Als der Moment kam, in dem ich wusste, wirklich wusste, dass ich Radprofi werden würde, saß ich gerade auf der Rolle und machte mich für das WM-Rennen der U23 im Einzelzeitfahren warm, das im Oktober 1999 im Rahmen der Radweltmeisterschaften in Verona stattfand.

Bei solchen Titelkämpfen herrscht immer reger Betrieb, denn in dieser Altersklasse wimmelt es von jungen Fahrern, die unbedingt Profi werden wollen. Die WM bedeutet für viele dieser Burschen den Höhepunkt ihres bisherigen Lebens, und weil sie noch so jung sind, stehen sie emotional ziemlich unter Strom. Die Anspannung rund um das Rennen ist immens.

Um die begehrten Plätze im Profizirkus wird ein erbitterter Konkurrenzkampf geführt, und ein Einzelzeitfahren ist ein ganz anderes Paar Schuhe als ein Straßenrennen, bei dem man sich vor dem Start im Kreise der Kollegen verstecken kann. Vor dem Zeitfahren wärmen sich sämtliche Teilnehmer einzeln auf der Rolle auf, nur wenige Meter entfernt von Kerlen, gegen die man das ganze Jahr angetreten ist; Kerle, gegen die man, ohne sie zu kennen, bewusst oder unbewusst eine starke Abneigung entwickelt hat. Jeder ist eifersüchtig auf den anderen.

Mir persönlich war dieser ganze Rummel immer zuwider: die Presse, die Manager, die anderen Fahrer und der ganze Unfug, der mit hohen Erwartungen einherging. Aber an diesem Tag, als ich mich umringt von Betreuern und Beobachtern warmfuhr, sah ich zwei Männer durch das Gedränge auf mich zukommen, auf deren blauen Trainingsjacken das vielfarbige Logo von Mapei zu erkennen war, einem Unternehmen, das Radsportfans als Sponsor des gleichnamigen Rennstalls bekannt war, dem damals größten und namhaftesten Profiteam im Geschäft.

Alvaro Crespi und Serge Parsani, zwei der sportlichen Leiter der Mannschaft, waren gekommen, um mir hallo zu sagen. Angesichts der neidvollen und neugierigen Blicke der anderen Fahrer war ich stolz wie Oskar, dass sie extra meinetwegen aufgetaucht waren. Der dürre kleine Charly kriegt Besuch von zwei Mackern von Mapei, um zu plaudern. Ich freute mich wie ein Schneekönig.

Es ist gar nicht so einfach, während der Aufwärmroutine vor einem Zeitfahren vernünftig zu denken und zu reden, denn das Blut schießt einem in die Beine und all die Rollentrainer summen, dazu kommt das hektische Treiben der Betreuer und der dröhnende Rennkommentar aus den Lautsprechern, die rund um die Strecke verteilt sind. Aber als die beiden auf mich zukamen, rasten meine Gedanken vor Aufregung. Ich kannte Crespi und Parsani bereits von einem früheren Treffen, und in dem Moment fiel mir wieder das erste Mal ein, als sie an mich herangetreten waren – die Repräsentanten einer Mannschaft, für die zu fahren ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht erhofft hätte.

Diese erste Begegnung mit Mapei hatte sich vor dem Start eines anderen Zeitfahrens zugetragen. Es war beim Etappenrennen Trans Canada, einem winzigen Profirennen, das ein einziges Mal ausgetragen wurde und die Kanadier dazu animieren sollte, eine geeintere Nation zu werden. Als ich damals auf dem Weg zum Start war, sprach mich Parsani an: »Bist du …?«

Er sah sich meine Startnummer an und dann mich, und ich dachte, er wolle vielleicht wissen, ob ich vor seinem Schützling an der Reihe wäre. Er brach sich einen ab bei dem Versuch, Englisch zu sprechen, was er nicht konnte, also machte ich es ihm leichter und verriet ihm, dass ich Französisch sprach, woraufhin wir uns beide entspannten. Er fragte noch einmal, diesmal auf Französisch: »Bist du Charly Wegelius?« Ich bestätigte, dass ich in der Tat Wegelius sei, woraufhin er sich erkundigte: »Gut. Wir haben uns nämlich gefragt, ob du dir vorstellen könntest, für unser Team zu fahren …«

Ich war vollkommen sprachlos. Ich dachte, dass er entweder den Falschen erwischt haben müsste oder vielleicht ein Amateurteam vertrat, mit dem er ebenfalls zu tun hatte. Das war aber nicht der Fall: Er war für Mapei da und er meinte mich.

Er bat um meine Telefonnummer, und dann machte ich mich auf den Weg und absolvierte das Zeitfahren wie in Trance. Ich hätte mich fast verfahren, weil ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Es hatte mich total umgehauen.

Das Problem war, dass mir die Festnetznummer meiner Wohnung nicht mehr eingefallen war, als Parsani mich darum gebeten hatte. Auch an meine Handynummer konnte ich mich nicht erinnern. Die einzige Nummer, die mir in dem Moment einfiel, war diejenige, die ich mir als Kind, mit zehn Pence für die Telefonzelle in der Tasche, für den Fall eingeprägt hatte, dass während einer meiner Radtouren etwas passieren sollte: Ich hatte Parsani die Nummer meiner Mutter in York gegeben.

Während ich so benommen über den Zeitfahrkurs eierte, dass ich fast gestürzt wäre, wurde mir klar, dass ich nach dem Rennen nach Hause fahren und so lange dort ausharren müsste, bis jemand von Mapei anrufen würde.

Das Angebot war so überraschend gekommen, dass ich plötzlich Panik hatte, der Manager könnte anrufen und mich nicht erreichen, weil ich mal eben mit dem Hund raus oder in den Laden gegangen war, um eine Tüte Weingummis zu kaufen. Ich fürchtete, dass ihr Interesse ebenso schnell wieder erlahmen könnte, wie es aufgekommen war.

Nachdem ich ein paar bange Tage lang neben dem Telefon gewartet hatte, kam endlich der Anruf. Alvaro Crespi rief an und lud mich zu einer Reihe von Tests nach Italien ein. Allein schon seinen fetten italienischen Akzent zu hören, versetzte mich in helle Aufregung. Ich war damals schon viel herumgekommen, aber in Italien war ich noch nie gewesen. Der Nordwesten von Frankreich, wo ich als Amateur gelebt hatte, war das eine. Jeder ging damals nach Frankreich. Es war fremd, aber nicht exotisch. Italien war etwas ganz anderes. Es war weiter weg, es war mediterran und verheißungsvoll und außerdem ein Ort, über den ich so gut wie nichts wusste.

Ich nahm Crespis Anruf am Erkerfenster entgegen, das von unseren Hunden vollgesabbert war, die dort den ganzen Tag hockten und Passanten ankläfften. Über unser blaues Plastiktelefon seinen fremdländischen Akzent zu hören, kam mir vor, als würde ich eine Botschaft aus einem fremden Universum empfangen. Es war völlig surreal. Eben noch hatte kein Hahn nach mir gekräht und sich nicht einmal kleine Teams für mich interessiert, jetzt plötzlich warb der größte Profirennstall des Planeten um meine Dienste. Fast hätte ich geschrien: »Sie haben den Falschen erwischt!«

Ich hätte ihn gerne gefragt: »Haben Sie sich das auch gut überlegt?«

Für Belgier und Franzosen war der Weg ins Profigeschäft wesentlich geradliniger: Der eigene Trainer schleppte sie zu irgendwelchen Rennen und machte sie mit den richtigen Leuten bekannt; irgendwann fingen sie an, gemeinsam mit Profis zu trainieren, und sie wussten praktisch von Anfang an genau, was sie zu tun hatten und wohin die Reise ging. In England aber war man als junger Radrennfahrer zu dieser Zeit vollkommen auf sich allein gestellt. Es gab keinen wirklichen Austausch mit den Leuten, die man bei den Rennen traf, und meine Kollegen, mit denen ich damals in der Nationalmannschaft fuhr, waren sogar noch grüner hinter den Ohren als ich.

Nach dem Anruf von Crespi reiste ich im Vorfeld der WM zu Tests nach Italien und wohnte mit meinem Trainer Ken Matheson (dem damaligen Cheftrainer des britischen Verbandes) am Ufer des Comer Sees. Dort eröffnete sich mir eine wahre Welt der Wunder; ich erlebte unzählige »Kneif mich«-Momente. Als ich zum ersten Mal das italienische Fernsehen einschaltete und auf Dutzende herrlich komischer Trash-Sender stieß, war ich außer mir vor Begeisterung. Es war auf die theatralische Weise exotisch, wie sie für Italien typisch ist, angefangen vom warmen Herbstlicht bis hin zum Spinner auf dem Shopping-Kanal, dem angesichts der sagenhaften Schnäppchen, die er ekstatisch anpries, beinahe die Luft wegblieb.

Ich fand mich im Trainingszentrum von Mapei ein und staunte über die reibungslosen, professionellen Abläufe. Ich saß in einem echten italienischen Stau fest (ein Erlebnis für sich, wenn man ein solches Hupkonzert nie zuvor gehört hatte), während der legendäre Trainer Max Testa uns beiläufig Geschichten aus der Zeit erzählte, als das Motorola-Team während der Saison in Europa seinen Sitz am Comer See hatte. Es war, als hätte sich vor mir eine Tür geöffnet, durch die ich nur hindurchgehen musste. Ich konnte nicht fassen, dass sie sich für mich geöffnet hatte.

Nachdem ich eine Reihe von Tests mit dem Team absolviert hatte, war ich guten Mutes, als ich Crespi und Parsani in Verona wiedertraf, aber weil noch nichts in trockenen Tüchern war, hatte ich nicht die Gewissheit, dass sich mein Traum wirklich erfüllen würde. Als ich mich an jenem Tag in Verona warmfuhr, sahen mir Crespi und Parsani eine Weile zu, wie mir immer heißer und mein Gesicht immer röter wurde und mir der Schweiß ausbrach, während die Minuten bis zu meiner Startzeit heruntertickten. Schließlich hielten sie den richtigen Moment für gekommen. Ich bekam die Worte zu hören, die ich hören wollte: »Alles klar für nächstes Jahr. Wir holen dich in die Mannschaft. Morgen kommen wir mit dem Papierkram ins Hotel.«

Endlich hatte ich die Gewissheit. Ich würde tatsächlich bei einem Profiteam unterschreiben, noch dazu beim besten der Welt: Ich würde eine Karriere als Radprofi machen.

Ich wäre beinahe von der Rolle gefallen.

Ich war quasi das ganze Jahr hindurch einer der erfolgreichsten Amateurrennfahrer gewesen, aber weil ich keine Angebote erhielt, kam es mir dennoch fast so vor, als wäre ich gescheitert. Plötzlich jedoch versicherte mir die beste Mannschaft der Welt, mir einen Platz im Team geben zu wollen. Von außen betrachtet ergab es durchaus Sinn, für mich aber kam es wie ein Schock. Weil alles so schnell und auf so surreale Weise vonstattenging, hatte ich das Gefühl, auf einen raffinierten Scherz hereingefallen zu sein.

Das war ein Gefühl, das ich nie ganz abschütteln konnte, obwohl ich unheimlich stolz war, als ich bei einem so renommierten Rennstall meinen ersten Profivertrag unterschrieb. Doch die Freude darüber, es geschafft zu haben, währte nur kurz. Als mir der Ernst der Lage bewusst wurde, fing ich nicht an zu tanzen und zu feiern, sondern machte mir stattdessen in die Hose – schon jetzt wollte ich meine zukünftige Mannschaft auf keinen Fall enttäuschen, indem ich ein schlechtes Zeitfahren hinlegte.

Ich kehrte mit dem Vertrag in der Hand von den Titelkämpfen zurück, und der Ex-Profi und Sportreporter Paul Sherwen rief an, um zu gratulieren. Paul hatte mir zu Beginn meiner Karriere zur Seite gestanden und versicherte mir natürlich, wie toll es sei, einen Vertrag unterschrieben zu haben. Aber er erklärte mir auch, dass es erst der erste Schritt wäre. Bisher sei ich als Radrennfahrer praktisch noch zur »Schule« gegangen, nun hätte ich den Sprung an die »Universität« geschafft – mehr aber auch nicht. Sherwen ermahnte mich, niemals zu vergessen, welch hartes Brot der Radsport sei. Bislang sei alles wie geschmiert gelaufen, aber als richtiger Profi dürfe ich mich erst dann fühlen, wenn ich einen Anschlussvertrag bekäme. »Rein kommen viele«, sagte er, »aber durchsetzen können sich nur wenige.«

Die Angst, niemals einen Vertrag zu bekommen, wich der Angst, keinen zweiten zu erhalten. Pauls Mahnung gab den Ton für meine ganze Karriere vor. Ich fing sofort an, alles dafür zu tun, mich nützlich zu machen, mich unersetzlich zu machen, nicht in Vergessenheit zu geraten, wenn die Zeit für eine Vertragsverlängerung käme.

Den Großteil meiner Karriere schien ich von dem Gedanken getrieben zu sein, irgendwie durchhalten zu müssen – bis zur nächsten Runde, zur nächsten Etappe, zur nächsten Saison. Es war eine kontinuierliche negative Motivation. Außenstehende nehmen Radprofis vielleicht wie in die Haarspitzen motivierte Wesen wahr, die nichts dem Zufall überlassen – dieser ganze Quatsch von wegen »ultimative menschliche Höchstleistungen«. Dabei sind es in Wirklichkeit echt beschissene Dinge, die einen antreiben, zum Beispiel der Gedanke, wie peinlich es wäre, vorzeitig auszusteigen, weil man weiß, wie es sich am Montag anfühlen wird, keinen guten Job gemacht zu haben. Vieles von dem, was mich anspornte, diente vor allem dazu, mir ein ruhiges Gewissen zu verschaffen.

Sherwen wusste, dass ich mir keine Vorstellung davon machte, worauf ich mich einließ, als ich meinen ersten Profivertrag unterschrieb. In den folgenden Jahren sollte ich das wahre Antlitz meines Sports kennenlernen, und zwar auf die ganz direkte und brutale Weise – fast so, als würde man ein Tier, das man überfahren hat, eigenhändig sezieren müssen.

Wie es ist, ein großer Champion zu sein, werde ich nie erfahren. Was ich Ihnen erzählen kann, ist, wie es ist, mit dem Radfahren seine Brötchen zu verdienen. Der Job eines Radprofis ist außergewöhnlich, aber das Peloton besteht aus ganz normalen Typen, wie ich es bin, die hart, sehr hart gearbeitet haben, um irgendwann einen Beruf ausüben zu dürfen, der sie bisweilen bloßstellt und manchmal überfordert. Ich wollte kein Buch darüber schreiben, wie schwer es ist, Radprofi zu werden; ich möchte über das Leben berichten, das man führt, wenn man einer geworden ist.

Radprofi zu werden, war etwas, für das ich mich ganz bewusst entschieden habe, und diese Entscheidung traf ich lange, bevor die beiden Männer von Mapei in Kanada an mich herantraten. Für mich war schon früh klar: Ich würde es schaffen, und bis ich es nicht geschafft hätte, würde ich keinen Frieden finden.

KAPITEL 1

ETWAS, DAS ICH TUN MUSSTE

»Monsieur Chaminaud … Charly Wegelius.«

Ich bemerkte die verständnislose Miene des Herrn in mittleren Jahren, der vor mir gegen den Kofferraum des weißen Teamfahrzeugs gelehnt stand, und beschloss, es noch einmal zu versuchen. Ich streckte die Hand aus und wiederholte, diesmal mit noch ausgeprägterem französischen Akzent, der den ungewöhnlichen Klang meines finnischen Nachnamens bis zur Unkenntlichkeit verzerrte:

»Char-lieh Weg-je-lie-üs.«

Nach einem bangen Moment des Zögerns schien bei ihm der Groschen zu fallen, und eine kalte Hand ergriff die meine und schüttelte sie zur Begrüßung. Trotz meiner Erleichterung darüber, dass Jean-François Chaminaud sich endlich entsann, wer ihm gegenüberstand, war das nicht gerade der Empfang, den ich mir erhofft hatte. Hinter dem Lächeln auf dem Gesicht meiner einzigen Bezugsperson beim französischen Amateurteam Vendée U, an dessen Stützpunkt ich soeben eingetroffen war, meinte ich einen Blick zu erkennen, der mit einem Anflug von Panik zu sagen schien: »Ach du Scheiße – bist du echt gekommen?«

Fairerweise muss ich sagen, dass ich nicht den besten Moment erwischt hatte, um mich bei meinem neuen Team vorzustellen. Als wir nach einer nächtlichen Fährüberfahrt am vereinbarten Treffpunkt ankamen, machte sich der Rest der Mannschaft gerade zum morgendlichen Training auf. Während ich nervös aus dem roten Ford Fiesta meiner Mutter stieg und die Gitane-Räder auf dem Dach des Vendée-U-Teamwagens sah, rollten die Fahrer allein oder zu zweit in den Morgen davon. Manche hatten argwöhnisch herübergeblickt, andere interessierten sich nicht die Bohne für den bebrillten blonden Teenager, der eben aufgetaucht war und darauf wartete, dass sich jemand um ihn kümmerte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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