Dorian Hunter 114 - Derek Chess - E-Book

Dorian Hunter 114 E-Book

Derek Chess

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Beschreibung

Das Totenlicht in der Kapelle erregte Erwin Woetzolds Aufmerksamkeit. Durch das Fenster erblickte er einen blumengeschmückten Altar mit Kerzen und links und rechts vom Katafalk niedrige Holzbänke. Der geöffnete Sarg schimmerte matt.
Das Mädchen darin war ungewöhnlich schön. Das Totenhemd hüllte ebenmäßige Schultern ein, die so glatt wie Marmor waren. Pechschwarze Haare fielen auf das Kissen. Die Lippen waren kirschrot wie bei einer Lebendigen.
Woetzold senkte den Blick. Es kam ihm wie eine ungeheuerliche Verschwendung der Natur vor, dass dieses Mädchen hatte sterben müssen.
Doch als er erneut hinsah, hatte sich die Tote verändert. Die makellose Haut war über und über mit abscheulichen Beulen übersät, Warzen und ein rasch wucherndes Fell bedeckten das ovale Gesicht. Die geöffneten Augen waren glanzlos - und dann platzten die Beulen auf und verspritzten ihren dämonischen Saft ...


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Seitenzahl: 142

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Was bisher geschah

DAS SPUKHAUS

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

mystery-press

Vorschau

Impressum

Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen.

Bald kommt Dorian seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren. Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten.

Als Rückzugsort in seinem Kampf bleibt Dorian neben der Jugendstilvilla in der Baring Road in London noch das Castillo Basajaun in Andorra, in dem er seine Mitstreiter um sich sammelt – darunter die ehemalige Hexe Coco Zamis, die aus Liebe zu Dorian die Seiten gewechselt hat. Kurz nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Martin versteckt Coco diesen zum Schutz vor den Dämonen an einem Ort, den sie selbst vor Dorian geheimhält.

Bald darauf veranlassen die Erinnerungen an seine Existenz als Michele da Mosto Dorian, nach der Mumie des Dreimalgrößten Hermes Trismegistos zu forschen. Er findet jedoch »nur« den Steinzeitmenschen Unga, der Hermon einst gedient hat und der sich nach seinem Erwachen schnell den Gegebenheiten der Gegenwart anpasst.

Auf Island gewinnt Dorian den Kampf um das Erbe des Hermes Trismegistos und richtet sich in dessen Tempel ein. Wie es sein Vorgänger Grettir prophezeit hat, verspürt Dorian schon bald keinen Drang mehr, in sein altes Leben zurückzukehren, zumal er von seinen Freunden seit Monaten für tot gehalten wird: Nur Coco, die einen Doppelgänger von Dorian vernichtet hat, weiß, dass er, ausgestattet mit den Kräften des Hermes Trismegistos, die Gestalt des harmlosen Richard Steiner angenommen hat.

Kurz darauf erwachen in Dorian Erinnerungen an sein fünftes Leben. Als Samurai Tomotada war er damals im Auftrag des Januskopfes Olivaros aktiv, der in der Gegenwart kurzzeitig als Oberhaupt der Schwarzen Familie agierte. Olivaros Nach-Nachfolger, der Erzdämon Luguri, unternimmt derweil alles, um den Bayerischen Wald in eine Brutstätte des Bösen zu verwandeln. In der Not lüftet »Richard Steiner« gegenüber seinem Freund Abi Flindt das Geheimnis, dass er noch lebt, zeigt sich ihm aber nicht in seiner wahren Gestalt. Abi schwört, den Dämonenkiller gemeinsam mit Coco und Unga zu finden – aber dafür muss zunächst Luguri zurückgeschlagen werden ...

DAS SPUKHAUS

von Derek Chess

Angst, dachte Erwin Woetzold, ist das Resultat unbewältigter Kindheitserinnerungen. Ein gesunder Mensch durfte keine Angst haben. Dennoch hatten die Menschen Angst. Anders konnte er sich den Boom okkulter Literatur nicht erklären. Er profitierte davon, denn er schrieb für eine bekannte deutsche Illustrierte eine Artikelserie über okkulte Erscheinungen.

Erwin Woetzold war zweiundvierzig Jahre alt, Junggeselle und passionierter Rennfahrer. Vor drei Tagen hatte er sich in der Redaktion abgemeldet, seinen Porsche vollgepackt und sich in Richtung Regensburg abgesetzt. Es wurde dunkel. Erwin fragte sich, ob er jetzt schon nach einem Quartier Ausschau halten sollte. Er entschied sich fürs Weiterfahren.

Die Gespräche im Gasthaus von Vilshofen hatten ihn mehrere Stunden gekostet. Herausgekommen war recht wenig dabei. Die Leute waren verschlossen und schwiegen beharrlich. Sie hatten Angst. Aber nach einigen Klaren lösten sich ihre Zungen. Ein alter Bauer hatte Woetzold auf merkwürdige Todesfälle in der Nachbargemeinde aufmerksam gemacht. Dort waren – nach Auskunft des Alten – innerhalb von sechs Tagen dreizehn Menschen gestorben.

1. Kapitel

Woetzold glaubte nicht an übersinnliche Erscheinungen, Gespenster oder ruhelose Seelen. Er war Realist. Seine Geschichten waren raffiniert kalkuliert.

Der hochtourige Motor röhrte, als Woetzold herunterschaltete. Vor ihm führte eine schmale Brücke über die Donau. In der Dämmerung ragten die wuchtigen Holzpfeiler wie bizarre Riesenfinger in den Himmel. Abendrot leuchtete über den bewaldeten Bergkuppen. Auf der anderen Seite erklang Glockengeläut.

Ein junger Bursche raste mit seinem Moped heran, schnitt den Porsche und knatterte im Höllentempo auf die andere Seite.

Wenn ein Erntewagen über die Brücke will, dachte der Reporter, dann gibt's nur eines: ausweichen oder zurückfahren. Ausweichen wäre nicht drin gewesen. In der Mitte verengte sich die Brücke noch einmal.

Als Woetzold das Tempo erneut verlangsamte, sah er die Bruchstelle. Genau in der Brückenmitte klaffte ein halbmondförmiges Loch. Darunter gurgelte der Fluss.

Merkwürdig, dachte Woetzold und fuhr weiter.

Der kleine Ort lag an der B 388. Die weiß gekalkten Bauernhäuser bildeten einen Kreis um den Dorfplatz. Weiter hinten lagen noch einige Gehöfte im Dunkeln. Die kleine Kirche mit dem Zwiebelturm schmiegte sich an die Kiefernwäldchen. Draußen war kein Mensch zu sehen.

Woetzold kurbelte das Fenster herunter. Es roch nach Stallmist. Er bog in den Marktplatz ein und parkte den metallicfarbenen Wagen vor dem Gasthaus.

Inzwischen war das Bimmeln der Kirchenglocken verstummt. Geisterhafte Stille breitete sich aus. Zwischen den Häusern staute sich die Wärme des Tages.

Woetzold krempelte sich die Ärmel hoch. Ihm war plötzlich warm geworden. Er klopfte an die Tür des Gasthauses. »Hallo! Habt ihr heute zu, oder kann man noch ein Zimmer kriegen?«

Ein Hund bellte. In den Ställen rumorte das Vieh.

Woetzold wusste nicht warum, aber er hatte auf einmal ein merkwürdiges Gefühl. Es war keine Angst. Er hätte es eher als Vorahnung interpretiert. Er war nicht umsonst der Starreporter seiner Illustrierten.

»Schläft hier denn alles?«

Wieder keine Antwort. Woetzold drehte sich auf dem Absatz um. Er hätte doch in Vilshofen oder einem anderen Dorf auf der südlichen Donauseite übernachten sollen.

Woetzold öffnete beide Wagentüren und stellte die Lüftung an. Im Gepäck hatte er noch eine Thermosflasche. Während er in seinen Sachen herumstöberte, knatterte hinter den Häusern ein Moped.

Wenig später brauste der Fahrer über die Dorfstraße.

Woetzold sah ihm entgegen. Es war derselbe junge Mann, der ihn vorhin auf der Brücke überholt hatte. Er trug nur ein T-Shirt und ausgewaschene Jeans. Der Sturzhelm hing über der Lenkstange.

»He«, schrie der Reporter. »Moment mal!«

Der Mopedfahrer gab erneut Gas. Das Knattern wurde lauter.

Er muss mich gesehen haben, schoss es dem Reporter durch den Kopf, aber er hält nicht an.

Woetzold stellte sich an den Straßenrand und winkte. Der Fahrer blickte stur geradeaus. Die langen Haare des Jungen flatterten im Wind.

Er weint, registrierte der Reporter. »Halt! Warten Sie doch!«

Woetzold sprang geistesgegenwärtig zurück. Er landete am Heck seines Wagens. Der Luftzug des vorbeischießenden Mopeds zerzauste seine Haare.

»Idiot!«, schimpfte Woetzold hinter dem Jungen her.

In diesem Augenblick entstand auf der anderen Seite des Dorfplatzes eine milchige Wand. Sie leuchtete von innen heraus, rückte noch etwas zurück und füllte die Straße ganz aus.

Der Mopedfahrer raste genau auf das mysteriöse Hindernis zu. Es gab einen höllischen Knall, als er sich überschlug. Der Motor starb blubbernd. Der Schrei des Jungen gellte sekundenlang über den Platz. Das verformte Fahrzeug schrammte über die abschüssige Straße und blieb im Rinnstein liegen.

Woetzold sah sich aufgeregt um. Niemand ließ sich blicken.

»Verdammt noch mal!«, schrie er laut. »Will denn keiner helfen? Der Junge ist doch aus euerm Kaff!«

Er holte den Erste-Hilfe-Koffer aus dem Wagen, rannte über den Platz, kam am Brunnen vorbei und erreichte die Stelle, an der vor wenigen Augenblicken das milchige Etwas geschwebt hatte. Jetzt war die Erscheinung natürlich verschwunden. Woetzold wurde unwillkürlich an die Materialisation eines Geistes erinnert, doch er verdrängte diesen Gedanken. Obwohl er ständig über okkulte Dinge schrieb, wollte er sie nicht wahrhaben.

Der Junge lag mit dem Gesicht auf dem Boden. Seine Arme waren angewinkelt. Die Beine schienen merkwürdig verrenkt.

»Hallo? Ist da jemand? Ich brauche Hilfe!«

Bis auf das Miauen einer Katze war nichts zu hören.

Der Verunglückte gab keinen Laut von sich. Er lag wie eine leblose Puppe da. Woetzold streckte eine Hand aus und berührte ihn an der Schulter. Es kostete ihn einige Überwindung, denn er ekelte sich vor Blut.

Entsetzt zuckte er zusammen. Die Haut des Jungen war eisig kalt. Er drehte ihn herum und brachte ihn in die Seitenlage. Die Arme ließen sich nicht bewegen. Sie waren in der kurzen Zeit bereits erstarrt.

Er ist tot, schoss es dem Reporter durch den Kopf. Ich kann ihm nicht mehr helfen.

Das Gesicht des Verunglückten war wachsbleich. Die Lippen waren hellblau verfärbte Striche. Die Augen waren weit aufgerissen. In ihnen spiegelte sich das Grauen wider, das er im Augenblick des Todes schockartig erlebt hatte. Erst jetzt bemerkte Woetzold, dass sich auch die Pupillen verfärbt hatten. Sie waren hellgrau.

Irgendetwas stimmt hier nicht, dachte er und stand langsam auf. Er zitterte.

Der Wind strich durch die verlassenen Gassen. Strohbüschel wurden über das Kopfsteinpflaster geweht. Die Katze, die der Reporter eben noch gehört hatte, verschwand mit einem Sprung über ein Hoftor.

Ich bin allein, wurde ihm schmerzhaft bewusst. Allein mit einem Toten.

Da sah er Lichter aufflackern. Ihr schwacher Schein reichte nicht aus, um die Umgebung zu erhellen. Wie Glühwürmchen schwebten sie auf der Stelle, keine fünfhundert Meter weit weg.

Woetzold überlegte kurz, ob er wieder zurückfahren sollte. Das südliche Donauufer erschien ihm wie das verheißene Land. Hier war alles kalt und leer. Er fröstelte, fürchtete sich auf einmal vor der Fahrt über die Brücke. Die paar Kilometer bis zu den Nachbargemeinden kamen ihm plötzlich unbeschreiblich weit vor.

Ich bleibe hier, entschloss er sich. Ich werde die Leute aus den Federn holen und zu einer Aussage zwingen.

Er schalt sich einen Narren. Der Unfall war nun mal geschehen. Er konnte den jungen Mann auch nicht wieder lebendig machen. Jedenfalls wollte er die Angehörigen unterrichten. Vielleicht würde er von ihnen erfahren, weshalb der Junge wie ein Verrückter durch die Gegend gerast war.

Die Lichter flackerten im Wind. Zwölf Stück, zählte Woetzold. Das dreizehnte hing an einem schmiedeeisernen Gitter.

Während er langsam die schmale Straße hochging, überlegte er, wie er aus dem Geschehenen Kapital schlagen konnte. Mysteriöser Unfall durch Seelenmaterialisation. Angesichts der geisterhaften Erscheinung verlor er die Kontrolle über sein Fahrzeug.

Woetzold blieb erstaunt stehen. Vor ihm war eine mannshohe Mauer. Es war dunkel geworden. Die Kiefern standen wie riesige Pilze vor dem Nachthimmel. Der Wind verfing sich in ihren Ästen und erzeugte ein klagendes Säuseln.

Der Friedhof!, durchzuckte es ihn. Die Lichter sind nichts anderes als Totenkerzen.

Ihm fiel wieder das Gerede über die seltsamen Todesfälle ein. Dreizehn Opfer in relativ kurzer Zeit – was bei einer Dorfbevölkerung von schätzungsweise achthundert Seelen ein hoher Prozentsatz war.

Unter seinen Schritten knirschte Kies. Der Mittelweg führte genau auf die Kapelle zu. Rechts war der Komposthaufen. Die Blumengebinde stanken bestialisch. Ein paar Grabschleifen flatterten im Wind. Marmorengel, schmiedeeiserne Kreuze und einfache Monolithgrabsteine wechselten miteinander ab. Unter einem Kastanienbaum stand das Kriegerdenkmal. Wir ehren die Toten des großen Krieges 1914 – 18. Es folgten die in alphabetischer Reihenfolge angeordneten Namen.

Woetzold näherte sich der Kapelle. Das rote Totenlicht schien ihn wie ein Zyklopenauge anzustarren. Die Scheiben der Kapelle waren blind vor Dreck. Efeu rankte sich um die Mauern. Irgendwo raschelte es im Gebüsch. Ein Uhu schrie.

Woetzold zuckte zusammen. Kalte Schauer liefen ihm über den Rücken. Er wischte über die Scheiben. Als er sich in einer Efeuranke verfing, flatterte ein Nachtfalter auf. Die wie mit Puder bestäubten Flügel streiften sein Gesicht. Angeekelt sprang er zurück.

Dann erregte das Totenlicht in der Kapelle erneut seine Aufmerksamkeit. Er sah einen blumengeschmückten Altar mit Kerzen und links und rechts vom Katafalk niedrige Holzbänke. Der Sarg schimmerte matt.

Eine Tote! Der Reporter wollte sich umdrehen und weglaufen, doch irgendetwas faszinierte ihn.

Das Mädchen war ungewöhnlich schön. Das Totenhemd hüllte ebenmäßige Schultern ein, die so glatt wie kostbarer Marmor waren. Pechschwarze Haare fielen auf das Kissen. Die Lippen waren kirschrot wie bei einer Lebendigen.

Woetzold senkte den Blick. Es kam ihm wie eine ungeheuerliche Verschwendung der Natur vor, dass dieses Mädchen sterben musste.

Als er erneut hinsah, hatte sie die Position verändert. Nur ein paar Zentimeter, aber immerhin so viel, dass es der Reporter sofort bemerkte. Sie lebt!, dachte er entsetzt und erleichtert zugleich. Ich muss sie aus der Kapelle holen. Die frische Nachtluft wird ihr gut tun.

Die Tür war verschlossen. Sosehr er am wuchtigen Türgriff rüttelte, sie ließ sich nicht öffnen.

Wieder sah er durchs Fenster. Diesmal erschrak er. Das Mädchen lag zwar noch im Sarg, aber sie hatte sich furchtbar verändert. Die makellose Haut war über und über mit abscheulichen Beulen übersät, Warzen und ein rasch wucherndes Fell bedeckten das ovale Gesicht. Die geöffneten Augen waren glanzlos.

Woetzold schrie laut auf, als sich die Beulen des Leichnams öffneten. Wie von einer Riesenfaust wurde der Leichnam hochgehoben, sackte dann wieder in sich zusammen und verspritzte den dämonischen Saft.

Woetzold übergab sich würgend. Als er sich wieder einigermaßen gefangen hatte, sah er die schwankenden Gestalten, die quer über den Friedhof kamen. Sie waren unförmig und groß. Einer trug eine Axt.

Dämonen, dachte der Reporter gehetzt. Gespenster! Grauenhafte Bestien aus dem Zwischenreich. Ich muss weg. Sie bringen mich um.

Auf einmal kamen ihm die Dinge, über die er bisher geschrieben hatte, gar nicht mehr so abwegig vor. Doch darüber machte er sich jetzt keine Gedanken. Er hatte Angst, und diese Angst rührte nicht aus seiner Kindheit her, wie er so oft scherzhaft erklärt hatte.

Die Irrwische Luguris tauchten im Gehölz unter. Sie hatten genug gesehen, um ihrem Meister berichten zu können.

Die Pilger hielten sich sklavisch an ihre Anweisung. Sie waren schon vierundzwanzig Stunden unterwegs. Ohne Pause marschierten sie durch den Bayerischen Wald. Sie mieden die einsamen Gehöfte und Siedlungen, durchquerten Fichtenschonungen und krochen die steilen Hänge hoch. Sie verlangten weder nach Wasser noch Brot, sie waren genügsam. Ihr freier Wille war längst ausgeschaltet worden.

Unter ihnen befand sich auch Abi Flindt, der zur Mannschaft des Dämonenkillers gehörte. Er Er blieb einen Moment stehen. Die Pilger schlurften weiter. Sie liefen vorgebeugt durch den Wald. Keiner sagte ein Wort. Ihre Kleider raschelten unheimlich. Es waren fast hundert.

Abi strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. Er war breitschultrig und muskulös und konnte die große Anstrengung des Marsches gut verkraften, ohne schlappzumachen. Dennoch wünschte er sich, endlich am Ziel anzukommen. Wo war das Ziel? Irgendwo in den dichten Wäldern des Großen Arber?

Abi pflückte ein paar Brombeeren. Die überreifen Früchte zergingen auf seiner Zunge. Spinnweben verfingen sich zwischen seinen Fingern.

In letzter Zeit hatten sich die mysteriösen Ereignisse im Bayerischen Wald überschlagen. Menschen waren verschwunden, um später als mordgierige Bestien wieder aufzutauchen. Abi ließ die Ereignisse an seinem geistigen Auge vorbeiziehen. Er wollte Ordnung in das Geschehen bringen, doch es gelang ihm nicht.

Warum habe ich mich den Pilgern angeschlossen?, fragte er sich. Richtig! Die Runenhexe hatte sich ihm als Mittelsmann des Dämonenkillers zu erkennen gegeben. Mit dem Codewort Hunter hatte sie ihn erst dazu gebracht. Er hatte sämtliche Bedenken über den Haufen geworfen, denn er wollte Dorian Hunters Schicksal aufklären. Dafür würde er sich sogar in das Versteck des Erzdämons wagen.

Oberhalb der Fichtenschonung stand Margot Artner auf einem Hügel. Die Pilger stapften an ihr vorbei. Als der Mond hinter einer Wolke hervorkam, leuchtete ihr langes Blondhaar geisterhaft. Ihre Augen hatten einen rötlichen Glanz. Das geisterhafte Feuer stammt von den gefangenen Seelen, dachte Abi. Die triebhaften Es-Anteile, die einmal zur Persönlichkeit der Pilger gehört hatten, waren auf Margot übergegangen.

Er wusste nicht, ob seine Erklärung richtig war. Vielleicht würde er die Zusammenhänge später in einem ganz anderen Licht sehen.

»Abi!«, rief das Mädchen, und es klang säuselnd wie der Wind, der durch die Baumkronen strich.

»Ich komme!«

Die Runenhexe hatte ihm geraten, ständig bei Margot zu bleiben. Das war ihm nicht schwergefallen. Die Kleine war außergewöhnlich hübsch.

Trotz des dämonischen Glanzes in ihren Augen entwickelte er eine starke Zuneigung zu ihr. Sie hatte ebenfalls nichts gegen seine Begleitung einzuwenden.

Abi vertraute darauf, dass die Runenhexe bald Kontakt mit ihm aufnehmen würde. Sie hatte es ihm versprochen. Normalerweise hätte er ihr kein Wort geglaubt.

Allein die Nennung des Codewortes Hunter hatte alle seine Bedenken beiseite gewischt. Später – vielleicht am Ziel des Pilgerzuges – würde er weitere Informationen über Dorian Hunter bekommen.

Abi strich dem Mädchen über die Wangen. Ihre Haut glühte fast, sie atmete schwer, und ihre prallen Brüste hoben und senkten sich wie nach einem Hundertmeterlauf.

»Geht es dir nicht gut, Margot?«

Sie schüttelte den Kopf. »Lass es gut sein, Abi. Wir müssen weiter.«

»Wie lange sollen wir denn noch durch die Nacht irren? Weißt du überhaupt, wo es hingehen soll?«

Sie beantwortete seine Frage nicht, sondern schloss sich wieder dem Pilgerzug an. Vor ihnen gabelte sich der Weg. Unter einer uralten Eiche standen Holzbänke. Rechts am Wegrand bemerkte er ein Hinweisschild.

Großer Arber, las Abi.

Mein Gott, wir werden uns in den Wäldern verirren. Hier kann man tagelang umherlaufen. Außer einigen Wölfen gab es hier gar nichts. Sie konnten inmitten der dicht bewaldeten Berglandschaft zwischen Rachel und Arber spurlos verschwinden. Niemand würde sie vermissen, keiner würde sie suchen.