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»Euer Leben besitzt Anfang und Ende. Der Zyklus eurer sterblichen Existenz besteht aus Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Der Tod ist euer Erlöser. Nach einem kurzen, erbärmlichen Leben, das vom Leiden der niederen Kreatur erfüllt ist, zerfallen eure Körper zu Staub. Der Wind treibt eure Überreste in alle Richtungen davon. Die Bilder eurer Jugend vergilben, und die Zeugnisse eurer einstigen Kraft verblassen. Die Kleinodien eures Lebens setzen Patina an. Erinnerungen lösen sich auf, und die Zeit geht über euch hinweg.
Meine Existenz aber kennt weder die Erlösung noch die mildtätige Kraft des Vergessens. Ich bin ewig, und die Ewigkeit ist meine Kerkermeisterin. Deshalb hasse ich euch!« - Ys-Dahuts Gesänge der Ewigkeit
Während Dorian das Geheimnis um seine Lebensuhr gelüftet hat, war Martha Pickford in der Jugendstilvilla dem Einfluss des Spiegels aus Ys ausgeliefert - mit dramatischen Folgen, denn plötzlich häufen sich überall auf der Welt unheimliche, rätselhafte Erscheinungen ...
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Was bisher geschah
DIE TOTENWACHE
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
mystery-press
Vorschau
Impressum
Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen.
Bald kommt Dorian seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren. Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten.
In der Folge beginnt Dorian die Dämonen zu jagen – doch diese schlagen zurück und zersetzen die »Inquisitionsabteilung« des Secret Service, der Dorian vorübergehend unterstützt hat. Der ehemalige Leiter der Inquisitionsabteilung, Trevor Sullivan, gründet die Agentur Mystery Press, die Nachrichten über dämonische Aktivitäten aus aller Welt sammelt. Hunter bleibt nur sein engstes Umfeld in der Jugendstilvilla in der Londoner Baring Road: die Hexe Coco Zamis, die selbst ein Mitglied der Schwarzen Familie war, bis sie wegen ihrer Liebe zu Dorian den Großteil ihrer magischen Fähigkeiten verlor; der Hermaphrodit Phillip, dessen Fähigkeiten ihn zu einem lebenden Orakel machen, sowie ein Ex-Mitarbeiter des Secret Service namens Donald Chapman, der bei einer dämonischen Attacke auf Zwergengröße geschrumpft wurde.
Beinahe wird die schwangere Coco Zamis ein Opfer der Machtkämpfe innerhalb der Schwarzen Familie, doch nach einer Flucht um den halben Erdball bringt Coco ihr Kind in London sicher zur Welt – und versteckt es an einem Ort, den sie selbst vor Dorian geheimhält. Cocos Vorsicht ist berechtigt, da bald eine neue, »alte« Gegnerin auftaucht: Hekate, die Fürstin der Finsternis, wurde von Dorian einst in seinem vierten Leben als Michele da Mosto verraten, sodass ihre frühere Liebe sich in glühenden Hass verwandelt hat.
Die Erinnerung an seine Existenz als da Mosto veranlasst Dorian, sich mit Alchemie zu beschäftigen und nach der Mumie des Dreimalgrößten Hermes Trismegistos zu suchen, der sich mit seinem Wissen als Hilfe im Kampf gegen die Schwarze Familie und insbesondere Hekate entpuppen könnte. Doch statt auf die Mumie stößt er auf den Steinzeitmenschen Unga und einen Hinweis auf die versunkenen Stadt Ys im Golf von Morbihan. Aus dem Meer birgt Dorian einen sonderbaren Spiegel – und bald darauf werden die Menschen in London von einer unheimlichen Vision heimgesucht ...
DIE TOTENWACHE
von Derek Chess
Ich hasse euch!
Eure Zeit ist begrenzt. Euer Leben besitzt Anfang und Ende. Der Zyklus eurer sterblichen Existenz besteht aus Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Der Tod ist euer Erlöser. Nach einem kurzen, erbärmlichen Leben, das vom Leiden der niederen Kreatur erfüllt ist, zerfallen eure Körper zu Staub. Asche zu Asche, Staub zu Staub! Der Wind treibt eure Überreste in alle Richtungen davon. Die Elemente sind ewig, ihr aber seid vergänglich. Die Bilder eurer Jugend vergilben, und die Zeugnisse eurer einstigen Kraft verblassen. Die Kleinodien eures Lebens setzen Patina an. Erinnerungen lösen sich im ewigen Nichts auf, und die Zeit geht über euch hinweg.
Ich aber existiere! Deshalb hasse ich euch. Meine Existenz kennt weder die Erlösung durch den Tod noch die mildtätige Kraft des Vergessens. Mein Leben besitzt weder Anfang noch Ende. Der Tod ist mein Beschützer, doch er besitzt keine Macht über mich. Ich werde niemals zu Staub zerfallen. Meine Taten währen ewig, meine Jugend ist allgegenwärtig. Die Kleinodien meiner Blütezeit sind unvergänglich.
Ich bin ewig, und die Ewigkeit ist meine Kerkermeisterin.
Deshalb hasse ich euch!
Ys-Dahuts Gesänge der Ewigkeit
Es hatte geregnet. Die ersten Oktobertage in London waren nasskalt. Nebel kroch über die Themse, und das Tuten der Schleppkähne wurde wie von einem Samtvorhang verschluckt. Es war erst vier Uhr nachmittags, doch man konnte kaum zehn Meter weit sehen. Die Schleimfinger des Nebels krochen durch Türen und Ritzen in das Innere der ausgedehnten Lagerhallen am westlichen Kai.
Brian Donelly zog den Reißverschluss seiner Wildlederjacke hoch. Ihn fröstelte. Er steckte sich eine Zigarette an. Das Papier war feucht und pappig. Er zerrieb den Tabak zwischen den Fingern und schnippte den Filter weg.
Brian Donelly war achtunddreißig Jahre alt und Witwer. Er war schlank und etwas grobknochig, wirkte aber keineswegs unbeholfen. Er neigte den Kopf leicht nach vorn und zog die Schultern hoch. Das verlieh ihm das Aussehen eines Grüblers. Er war der typische Einzelgänger. Besonders in den letzten zwei Jahren hatte er jegliche Gesellschaft gemieden.
Die Kaianlagen waren dreißig Meter entfernt. Er konnte das Gurgeln des Wassers hören. Doch er sah weder die Themse noch die anlegenden Kähne. Er sah nur das graue Einerlei des Nebels.
Auf dem Asphalt erklangen Schritte.
»Alicia?«
Die Schritte wurden schneller. Das Klappern der Absätze beschleunigte sich, und dicht vor Brian schälten sich die Konturen einer jungen Frau aus dem Nebel. Sie trug einen leichten Wettermantel, der ihre reizvolle Figur an den Hüften betonte. Ihre flachsblonden Haare hingen wirr und ungeordnet herunter. Sie hatte Angst. Ihre Stirn war schweißbedeckt.
»Ist dir jemand gefolgt, Alicia?«
Die Blonde schüttelte den Kopf. Sie holte tief Luft. Das Laufen hatte sie erschöpft.
»Hast du den Brief bei dir?«
Ohne die Frage zu beantworten, zog sie ein schmales Kuvert aus der Manteltasche. Er nahm es an sich und schob es grinsend in seine Jacke.
»Gut gemacht, Alicia ...«
»Kann ich jetzt gehen? Costa wird mich vermissen«, stieß sie hervor. »Wenn er mir auf den Zahn fühlt, platzt das ganze Unternehmen. Du weißt, dass er mich in der Hand hat.«
Donelly zog sie näher an sich heran. Er sah ihr prüfend in die Augen. Ihre Pupillen waren winzig wie schwarze Apfelkerne. Ihr Atem ging unruhig. Auf einmal wirkte sie unsicher wie ein kleines Schulmädchen.
»Du hast wieder von dem Teufelszeug genommen, nicht wahr?«
Sie schüttelte erregt den Kopf. »Nein«, sagte sie schnell. »Ich bin sauber, ehrlich!«
Kurz entschlossen riss er ihr den Mantelärmel über dem rechten Arm hoch. Doch er konnte nichts entdecken. Weder die verräterischen Einstichnarben noch die Einschnürungen eines Lederriemens.
»Ich sagte dir doch, dass ich das Zeug nicht mehr brauche.«
Donelly machte ein enttäuschtes Gesicht. Er hatte gehofft, Alicia derart in die Enge treiben zu können, dass sie ihm alles über Costa und dessen Dealer hätte verraten müssen. Aber er war auf ihr Vertrauen angewiesen. Nicht sehr beruhigend bei einer Rauschgiftsüchtigen.
»Kann ich jetzt gehen, Brian?« Sie zog fröstelnd die Schultern hoch. Es fiel ihm auf, dass sie sich während der letzten Minuten mehrmals scheu umgesehen hatte.
»Ich möchte dich gern dabei haben, Alicia.«
Sie machte große Augen. Fast so, als könne sie Donellys Wunsch einfach nicht fassen. Dann wurde sie ärgerlich. »Ich habe Kopf und Kragen riskiert, als ich den Brief aus Costas Tresor fischte. Wenn er etwas rauskriegt, lande ich in der Themse ...«
Donelly unterbrach seine Informantin grob. »Der Tod wäre eine Erlösung für dich, Alicia ... Gib's doch zu, dass du Angst hast! Du fürchtest im Grunde nur eins – dass dir eines Tages der Stoff ausgeht.«
Sie schluckte schwer. Donelly kannte sie seit einigen Monaten. Er hatte ihr zu einer Entziehungskur verholfen. Doch sie war zu schwach gewesen. Nach einigen Tagen war sie in Costas Vergnügungsschuppen PAM zurückgekehrt. Dort verkaufte sie Zigaretten und rote Rosen.
Trotz ihrer Sucht war sie ungemein hübsch. Daran änderten auch nichts die dunklen Ringe, die sich unter ihren mandelförmigen Augen abzeichneten.
»Was willst du eigentlich, Brian?«, fragte sie kurzatmig.
Offensichtlich war sie mal wieder am Ende ihrer Kraft. Sie hatte Angst und wurde nicht allein damit fertig. Deshalb brauchte sie einen Schuss Heroin.
»Erzählte ich dir das noch nicht?«, erwiderte Donelly. »Du weißt, dass meine Frau seit fünf Jahren tot ist. Ich hatte nur noch Patty.«
»Deine Tochter?«
Donelly nickte nachdenklich. Er fuhr sich mit der Rechten durch das kurz geschnittene Kraushaar. Er schien vergessen zu haben, dass er knapp dreißig Meter vom Themse-Ufer entfernt am Kai stand. Links von ihm zeichneten sich die schweren Schiebetüren eines Verladeschuppens ab. Wenn er mit der Rechten über die Brusttasche strich, hörte er den Umschlag knistern. Alicia hatte ein Duplikat von Costas Verkaufsunterlagen entwendet. Darauf waren sämtliche Dealer im Großraum London verzeichnet.
Donelly spürte den Kolben seiner Smith & Wesson.
Das beruhigte ihn ein bisschen. Er besaß keinen Waffenschein, aber er hatte sich das Schießeisen besorgt, weil er wusste, dass Costa und seine Kanaillen schon manchen Schnüffler ins Jenseits befördert hatten.
»Bei Patty fing's genauso an wie bei dir, Alicia ... Auf einer Party draußen in Enfield lernte sie einen netten Jungen kennen, Sie war damals gerade siebzehn geworden. Der nette Junge verpasste ihr den ersten Schuss. Das gefiel meiner kleinen dummen Patty ungeheuer. Sie genoss die bunte Traumwelt ohne Arbeit, Kummer und Sorgen. Schließlich wollte sie mehr von dem Zeug. Und bekam auch mehr davon. Als ich es merkte, war es schon zu spät.«
Ein bitterer Zug erschien auf Donellys Gesicht. Seine Lippen bildeten schmale Striche. Alicia berührte seinen Arm. Sie wollte ihn trösten, doch sie hätte in diesem Augenblick selbst Trost bitter nötig gehabt.
»Sie fanden meine kleine Patty in einer U-Bahn-Toilette. Die Schufte hatten den Stoff mit Strychnin gestreckt.«
Donelly senkte den Kopf. Plötzlich hörte er das Aufheulen eines schweren Wagenmotors. Alicia wollte davonrennen, doch Donelly hielt sie mit eisernem Griff fest. Er versuchte den Nebel mit seinen Augen zu durchdringen, doch er sah nur das graue, konturlose Wabern vor sich.
»Du hast mich verraten – du kleine, miese Ratte!« Donelly konnte sich nur schwer beherrschen. Er hätte Alicia am liebsten geohrfeigt, doch er zerrte sie an sich heran. Eigentlich hatte er damit rechnen müssen. Alicia war kein Mensch, dem man vertrauen konnte. Für einen Schuss Heroin tat sie alles. Dafür hätte sie sogar ihre Mutter verkauft.
»Was hat Costa dir dafür bezahlt?«
Alicia schwieg. Sie schluchzte haltlos vor sich hin. Ihr zierlicher Körper bebte. Das Motorengeräusch wurde lauter. Donelly drehte sich um. Plötzlich geisterte hinter ihm ein grelles Scheinwerferpaar durch den Nebel.
Sie haben mich in der Zange, durchzuckte es ihn. Wegrennen kann ich nicht mehr. Ich komme niemals lebend an diesen Kanaillen vorbei.
Kurz entschlossen langte er nach seiner Smith & Wesson.
Idiot, sagte eine innere Stimme. Costas Hyänen haben bessere Waffen. Bevor du einen einzigen Schuss abgibst, haben sie ein Sieb aus dir gemacht.
Ohne dass Alicia etwas bemerkte, ließ er die kaum handtellergroße Waffe in ihr Täschchen gleiten, das sie an einem Riemen um die Schulter trug.
»Lass mich laufen!«, presste die junge Frau verzweifelt hervor. »Ich bitte dich, Brian!«
»Du bleibst jetzt dicht bei mir, Alicia ... Glaube ja nicht, Costa würde dich schonen, weil du mich seinen Leuten ans Messer geliefert hast. Mitwisser kann der große Boss nicht gebrauchen. Darauf kannst du Gift nehmen.«
Es kam ihm ungeheuer sarkastisch vor, als er mit dem zitternden Junkie am Themse-Ufer stand, um den Mördern seiner Tochter entgegenzutreten. Aus dem Jäger war plötzlich ein Gejagter geworden.
Die Scheinwerferkegel schnitten sich in der Mitte. Im Schnittpunkt zeichneten sich Donellys und Alicias Körper ab. Sie machte verzweifelte Anstrengungen, um sich seinem Griff zu entwinden. Doch er ließ nicht locker.
Eine Wagentür klappte.
»Filz den Kerl!«, ertönte eine Stimme, deren Cockney-Akzent unverkennbar war.
Ein spindeldürrer Kerl kam auf die beiden zu. In der Rechten hielt er eine kurzläufige MP. Grinsend hob er den perforierten Lauf und deutete damit auf Donellys Magengrube.
»Taschen entleeren!«
Donelly fixierte den Spindeldürren, dessen gelichtetes Haar ölig und glatt in die Stirn hing. »Mach's kurz, Bruder ... Was willst du von mir?«
»Dich ins Jenseits befördern«, sagte der Dürre ungerührt. »Aber vorher will der Boss ein paar Worte mit dir wechseln.«
Donelly öffnete den Reißverschluss seiner Windjacke. Der kalte Nebel kroch ihm sofort unter das Hemd. Langsam zog er das Taschenfutter heraus. Seine Zigaretten fielen auf den Boden. Er beförderte ein Messer und eine Geldbörse zutage.
»Ist das alles?«, fragte der Killer ungläubig. »Bist du ohne Pustemann hergekommen?«
Donelly machte ein unbeteiligtes Gesicht. Das irritierte den anderen. »Boss – der Kerl ist sauber!«
Costa schwang sich aus dem Fond des Bentley. Er trug einen hellen Kamelhaarmantel. An seinen feisten Fingern glänzten dicke Ringe. Er war knapp einsfünfundsechzig groß. Daher nannten sie ihn auch den »Kleinen«. Costa war kahlköpfig. Im Nacken wölbten sich Speckfalten, und seine Augen waren klein wie die eines Schweins.
»Hast du wirklich gedacht, du könntest mich reinlegen?«, fragte Costa mit seiner öligen Stimme.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, entgegnete Donelly.
Der Spindeldürre rammte ihm den stählernen Kolben seiner MP in den Magen. Donelly konnte nicht mehr ausweichen. Er ging stöhnend in die Knie. Grelle Schemen tanzten vor seinen Augen. Er schnappte verzweifelt nach Luft. Als sich sein Blick wieder klärte, standen noch drei Figuren vor ihm. Einer von ihnen richtete eine Automatik auf seinen Kopf.
»So spricht man mit mir nicht«, sagte Costa. Sein feistes, glänzendes Gesicht drückte Hohn und grenzenlose Überlegenheit aus.
»Macht endlich Schluss!«, brachte Donelly mühsam hervor. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Er nahm Alicia nur undeutlich wahr. Sie stand mit weit aufgerissenen Augen neben ihm, kaum zwei Meter entfernt.
»Den Umschlag, Sportsfreund!« Costas Finger machten das Zeichen des Geldzählens.
Langsam zog Donelly den Umschlag aus der Jackentasche und übergab ihn mit einer müden Bewegung. Verblüfft sah er, dass Costa ihn öffnete und ein leeres Blatt herauszog. Dabei grinste er unverschämt.
»Glaubst du im Ernst, ich würde so wichtige Unterlagen aus dem Haus wandern lassen?« Costa lachte, und unter dem eleganten Mantel hüpfte der feiste Bauch. »Im PAM findest du nichts dergleichen. Wir hatten schon mehr als eine Razzia. Da musst du dich schon selbst in die Höhle des Löwen wagen, Bulle.«
Donelly kam langsam wieder auf die Beine. Sein Magen schmerzte höllisch. »Ich bin kein Polizist!«
»Ach, nein?« Der Spindeldürre äffte Donellys Tonfall nach. »Welchem Verein gehörst du dann an?«
Costa trat ganz dicht an Donelly heran. Eine Wolke teuren Parfüms umgab ihn. Donelly wandte sich angewidert ab.
»Für wen arbeitest du?«
»Für mich selbst!«
Costas Schläfenadern traten grotesk hervor. Er schnappte verzweifelt nach Luft. »Ich lasse dich ganz langsam verrecken«, keuchte der Dicke. »Du wirst auf Knien angekrochen kommen und mich um einen schnellen Tod bitten. Du wirst mir die Schuhsohlen ablecken ...«
Donelly spie dem Tobenden ins Gesicht. Sekundenlang war Costa wie gelähmt. Dann wischte er sich mit einem schwarzseidenen Taschentuch die Wange ab. »Legt ihn um!«, befahl er kurz.
Alicia schrie gellend auf und sprang zwischen Donelly und die Bewaffneten. »Das dürft ihr nicht tun – er ist kein Bulle!«
»Darling«, knurrte Costa, »übertreibst du nicht ein bisschen? Kriech in den Wagen. Ich habe dir 'ne Spritze mitgebracht. Als Belohnung. Du solltest froh sein, dass dein lieber Daddy so für dich sorgt. Und jetzt geh mir aus dem Weg.«
Alicias Augen flammten auf. Sie schien über sich selbst hinauszuwachsen. Sie schämte sich, dass sie Donelly in den sicheren Tod gelockt hatte.
»Er wollte seine Tochter rächen!«, stieß sie hervor.
»Ach, nein«, sagte Costa mit einem süffisanten Grinsen. »Der dreckige Spitzel soll ein edler Rächer sein! Komm, Baby, lass diese Schauermärchen. Sei schön brav und verschwinde aus der Schusslinie. Ich habe heute noch mehr zu erledigen.«
»Das kann ich mir denken!«, kreischte Alicia unbeherrscht. »Andere mit dem Teufelszeug versorgen – andere, die nie wieder davon loskommen werden!«
»Habe ich dich nicht immer gut damit versorgt, Baby?«
Alicia warf Brian einen verzweifelten Blick zu. Doch der senkte den Kopf und zog die breiten Schultern noch höher. Er streckte unauffällig seine Rechte nach Alicias Umhängetasche aus. Wenn er an sein Schießeisen herankam, hatte er eine Chance, Costa zur Rechenschaft zu ziehen. Er bildete sich nicht ein, dass er gegen die ganze Crew ankommen konnte. Er wollte lediglich den Boss ausschalten.
»Du kotzt mich an, Costa!« Alicia heulte vor Wut und Scham auf.
Der Dicke verzerrte das Gesicht zu einer Fratze. Mit sich überschlagender Stimme schrie er: »Schafft mir diese hysterische Fixerin vom Leib! Erledigt sie mit ihm zusammen!«
Alicia schien den Sinn seiner Worte nicht begriffen zu haben. Sie wollte etwas sagen, doch Donelly riss sie plötzlich an sich. Im selben Augenblick spürte er den metallischen Lauf seiner kleinen Smith & Wesson zwischen den Fingern. Eine Drehung, und er umklammerte den Griff. Sein Zeigefinger umspannte den Abzug. Die Trommel drehte sich, und der Hahn fuhr knackend zurück.