Doris Day. Ihr Leben, ihre Filme, ihre Lieder - Bettina Uhlich - E-Book

Doris Day. Ihr Leben, ihre Filme, ihre Lieder E-Book

Bettina Uhlich

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Beschreibung

- Die erste umfassende Biografie in deutscher Sprache über Doris Day. - Hommage an eine gefeierte Künstlerin, deren Lebensweg viele Höhen und Tiefen kannte. - Empathisch in der Herangehensweise, ergreifend geschrieben. Aus romantischen Filmkomödien wie "Bettgeflüster" (1959) oder "Ein Pyjama für zwei" (1961) kennt man sie nur zu gut, unvergessen ihre Interpretation des Liedes "Que Sera, Sera" im Hitchcock-Film "Der Mann, der zu viel wusste": Doris Day. Doch wer steckt hinter der vielfach ausgezeichneten Künstlerin, die an der Seite von Hollywood-Größen wie Rock Hudson oder Cary Grant ein Millionenpublikum begeistert? Doris' sehnlicher Wunsch ist es, Tänzerin zu werden. Doch ein Beinbruch in ihrer Jugend lässt diesen Traum zerplatzen. So konzentriert sich die junge Frau auf ihr Gesangstalent und feiert schnell erste Erfolge. Sie arbeitet mit großen Jazz-Bands zusammen und landet zahlreiche Nummer-eins-Hits. Bei einer Tournee wird Doris Day von Regisseur Michael Curtiz entdeckt und steigt in die Filmbranche ein. Für gut zehn Jahre verkörpert sie in populären Komödien tugendhafte Frauenfiguren und singt in Musicals. Doch die Mitte der Sechzigerjahre aufkommende Freizügigkeit im internationalen Film bietet für den Hollywood-Star immer weniger Platz. Als das Image der "Sauberfrau" unglaubwürdig wird, zieht sich Doris aus dem Filmgeschäft zurück. Ihr turbulentes Privatleben – sie ist viermal verheiratet – verläuft wenig sorgenfrei. Erfüllung findet Doris Day in ihrem Engagement für Tiere, wagt als 89-Jährige gar ein musikalisches Comeback: mit grandiosem Erfolg! Bettina Uhlich beleuchtet in ihrer Biografie die große Karriere Doris Days und wirft zudem einen Blick hinter Glanz und Glamour. Eine Hommage an eine besondere und außergewöhnliche Frau, die am 03. April 2022 100 Jahre alt geworden wäre.

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Bettina Uhlich

Doris Day

Ihr Leben, ihre Filme, ihre Lieder

Biografie

You take the grey skies outta my way

You make the sun shine brighter than Doris Day

You turned a bright spark …

Wham!

Contents

Klappe auf!

Vorwort

1

Doris, das deutsche Kind

2

Big Band Doris

3

Love and Marriage

4

Karriereglück und Mutterfreuden

5

Es geht aufwärts

6

The Great Feeling

7

Der Manager und sein Mädchen

8

Das Lächeln in der Stimme

9

Sonnenschein und Regen

10

Das Tal durchschreiten

11

Dramatische Höhen

12

Julie

13

Turbulenzen

14

Eine neue Zeit beginnt

15

Stark, schlau und sexy

16

Alte Muster

17

Doris und ihr Fels

18

Hausfrauennöte

19

Eine Frau wehrt sich

20

Königin des Klamauks

21

Tashlin Comedienne

22

Doris und die 1968er

23

Aufstehen, schütteln und weitermachen

24

Doris Day in ihren späten Jahren

Auf der Suche nach einem Star (von Marco Otto)

Abspann

Zeittafel

Personenverzeichnis

Doris Days Filme

Doris Days Studio-Alben

Literaturverzeichnis

Dank

Landmarks

Cover

Klappe auf!

Vorwort

Dass verregnete Sonntage in meiner Jugend immer ein wenig an Schrecken verlieren konnten, habe ich unter anderem Doris Day zu verdanken. Ihre schönsten Filme vermochten es, die ganze Familie vor der „Flimmerkiste“ zu vereinen. Die Eltern wussten, worum es in den Filmen ging, die Kinder ahnten es. Aber es war stets mit Spaß verbunden, was da auf dem Bildschirm geschah, und nach dem Doris Day-Film schien auf einmal wieder die Sonne. So kam es uns jedenfalls vor.

Mit Doris Days Liedern verhält es sich genauso, kaum erklingt ihre Stimme aus dem Schallplattenspieler, dem Autoradio oder der Bluetooth-Box. Die wunderbar positive Stimmung, die Doris Day verströmt, dringt durch den Gehörgang direkt ins Herz.

Grund genug, diesem Sonnenschein, der selbst in seinem Leben so manch verregneten Tag zu beklagen hatte, ein Buch zu widmen, das nun erstmals zu Doris Days 100. Geburtstag erscheinen soll. Man kann es auch so betrachten: Es ist mir eine Herzensangelegenheit.

Einem lieben Freund von mir, Marco Otto, ist es sogar vor ein paar Jahren gelungen, Doris Day zu treffen und eine persönliche Beziehung zu ihr aufzubauen. Im letzten Kapitel dieses Buches, das er als Beitrag zu dieser Biografie geschrieben hat, berichtet er über diese besondere Freundschaft.

1

Doris, das deutsche Kind

Doris Kenyon war der absolute Lieblingsfilmstar der kino- und theaterbegeisterten Alma Sophia Kappelhoff aus Cincinnati, Ohio. Es war 1922, und die 25-jährige Doris befand sich auf dem Höhepunkt ihres Ruhms und sollte zwei Jahre später mit der ­Rolle der Lady Mary in Monsieur Beaucaire sogar in einem Film mit ­Frauenschwarm Rudolph Valentino in der Hauptrolle mitwirken. Doris Kenyon besaß neben ihren schauspielerischen Fähigkeiten ein herausragendes Gesangstalent und trat häufig am New Yorker Broadway auf. Auch in einigen ihrer Hollywood-Filme hatte die vielseitig Begabte Gesangseinlagen1. Weit entfernt davon, ein besonders erotisch anmutender Star zu sein, wie es eine Gloria Swanson, Pola Negri oder Nita Naldi gewesen waren, wirkte Doris 1926 in einem Film namens Die Blonde Heilige mit. Die deutschstämmige, katholisch erzogene Alma bewunderte dennoch – oder gerade deswegen – Kenyons auf sie äußerst eindrucksvoll, beinahe überirdisch wirkende Leinwandpersönlichkeit2.

Die 1920er Jahre waren überhaupt ein dynamisches, anregendes Jahrzehnt mit bahnbrechenden Neuerungen in Wissenschaft, Kunst, Literatur sowie Musik und Tanz. Frauen der westlichen Welt erkämpften sich nie dagewesene Frechheiten und Freiheiten. Sonnenbaden in knappen Badeanzügen war nun ein Zeichen von Wohlstand und nicht mehr als Stigma der sonnengegerbten Arbeiterin zu beklagen. Praktische, kurzgeschnittene „Bubiköpfe“ und taillenlose Kleider ermöglichten den Frauen schon fast ein Gleichziehen mit den Männern. In den Hügeln vor Hollywood, Kalifornien, wurde gerade der bald bekannteste Schriftzug der Welt errichtet. „Hollywoodland“, ursprünglich einmal ganz unglamourös der Anwerbung für Käufer von Bauland dienend und in den 1940er Jahren dann verkürzt auf „Hollywood“, wurde für einige glückliche Darsteller wie Doris Kenyon zum Sprungbrett in den Ruhm – für andere in den Tod, wie für die junge Schauspielerin Peg Entwhistle, die sich nach ausbleibendem Durchbruch zum Starruhm 1932 vom Buchstaben „H“ aus in den Tod stürzte3.

In diesen aufregenden Zeiten sollte bald ein weiterer künftiger Hollywood-Stern auf die Welt kommen; einer, der „es schaffen“ würde und dessen Licht heller und länger erstrahlen sollte als das der meisten anderen.

***

Alma Sophias Familie stammte aus Deutschland. Wie so viele deutsche Auswanderer ließ sich die Familie in Cincinnati, Ohio, nieder, wo der deutschstämmige Einwohneranteil am Anfang des 20. Jahrhunderts sogar mehr als die Hälfte betrug4. In dieser vielseitigen Stadt, in der Landwirtschaft und Handel florierten, kam am 6. Juli 1895 Alma Sophia Welz zur Welt. Ihre Eltern waren Wilhelm Welz aus Ötigheim in Baden und Anna Christina Mann aus Mückenloch, ebenfalls in Baden. Beide wanderten in jungen Jahren in die Vereinigten Staaten von Amerika ein und heirateten 1888 in Cincinnati. Wilhelm eröffnete dort eine Fabrik für Salzbrezeln und schuf somit Arbeitsplätze für die ganze Verwandtschaft. Wilhelms und Annas älteste Tochter Alma war die ge­borene Hausfrau – immer für andere da und mit dem Gen für absolute Sauberkeit ausgestattet.5

Ganze dreizehn Jahre früher als Alma, am 29. Juni 1882, wurde ebenfalls in Cincinnati der rothaarige William Kappelhoff6 geboren. Seine Familie väterlicherseits stammte aus Warendorf in Westfalen. Williams große Liebe war die klassische Musik: Er spielte Klavier, Geige und gab Unterricht in einem Gesangverein,7 von denen es zahlreiche gab, nach alter deutscher Tradition. Mit sechzehn war der zurückhaltende, ruhige William bereits Organist in der katholischen Kirche St. Mark’s.8 In eben dieser Kirche wurden am 3. Oktober 1916 William Kappelhoff und Alma Sophia Welz getraut9. Im Jahr darauf wurde ihr Sohn Richard geboren. Die film- und bühnenvernarrte Alma meldete den Kleinen bei einem Schönheitswettbewerb an, als er zwei Jahre alt war. Er gewann, starb aber schon kurze Zeit später. 1919 bekam das Paar einen zweiten Sohn, Paul; vier Jahre später folgte Alma Sophias letzte Schwangerschaft. Dieses Mal sollte es möglichst ein Mädchen werden, so der inständige Wunsch der werdenden Mutter, und: möglichst auch noch eine künftige Hollywood-Schauspielerin, wie Almas Lieblingsstar.

In den frühen Morgenstunden des 3. April 192210 ging der heiß ersehnte Traum Almas in Form von Baby Doris in Erfüllung – benannt nach Almas Idol Doris Kenyon. Die Familie Kappelhoff lebte damals im Vorort Evanston: in einer großen Wohnung in der Greenlawn Street Nr. 3475 in einem Haus mit roten Ziegelsteinen. Bei den Kappelhoffs mit im Haus lebte die 59-jährige, verwitwete Großmutter Welz, was ein wenig dazu beigetragen haben mochte, dass der ohnehin schon introvertierte William Kappelhoff noch in sich gekehrter wurde. Er konzentrierte seine Energie immer mehr auf seine musikalischen Aufgaben und war abends fast immer als Chorleiter in einem der größten Gesangvereine der Stadt beschäftigt.11 Als Vater versuchte er es immerhin mit Klavierstunden bei der kleinen Doris und ihrem Bruder Paul. Bei Doris war allerdings nicht das mangelnde Interesse für die Musik Ursache für eine gewisse Nachlässigkeit beim Klavierüben. Es war vielmehr ihre Neigung zur populären Musik und zum Tanzen. So kam es, dass das Mädchen eher in der Tanzschule anzutreffen war, als dass sie es mit Händel und Haydn versuchte.12

Es bedarf nur wenig Vorstellungskraft, um sich die Ehe der ­Kappelhoffs vor Augen zu führen: War der Vater nie zu Hause, weil der Haussegen ständig schief hing, oder trug umgekehrt seine häufige Abwesenheit zur Entfremdung der Eheleute bei? Nun, Alma Sophia war ohnehin eher den weltlichen, populären Künsten wie Film und Theater zugetan. Ihr Musikgeschmack war komplett konträr zu dem ihres Gatten – sie liebte Country- und Hillbilly-Western-Musik. Der Streit um die Musik wurde bei den Kappelhoffs meist direkt am Radiogerät ausgetragen: Wenn der eine den Knopf auf Oper stellte, drehte die andere zurück auf ­Hillbilly oder sonstige populäre Songs der Zeit.13

Auch ohne diese Kämpfe am Radioknopf war die Atmosphäre zu Hause schwer erträglich für die junge Doris. Wie sehr wünschte sie sich einander liebende Eltern, die sich ab und zu anlächelten und ein kleines bisschen Zuneigung und Zärtlichkeit zeigten. Doris beobachtete die Eltern ihrer Schulkameraden, wenn sie bei ihnen zu Besuch war, um festzustellen, ob alle Eltern sich so eisig zueinander verhielten wie ihre eigenen.14 Vermutlich unfähig, der Tochter gegenüber Gefühle zuzulassen, verhielt Vater William sich selbst dann kühl und streng, wenn Doris des Nachts von Albträumen geplagt wurde und die Nähe der Eltern brauchte. Er hielt das Mädchen für „verrückt“, warf ihr vor, „dass sie sich ständig Dinge ausdenken würde“, und beorderte sie in ihr eigenes Bett zurück. Doris wartete daraufhin stets voller Angst, dass ihr Vater einschlafen und ihre Mutter sie dann zurück ins mütterliche Bett begleiten würde15.

Abgesehen von den elterlichen Streitereien und der Disziplin, die mehr und mehr in das Leben der jungen Doris getragen wurde – Vater William bestand auf regelmäßigem Klavierunterricht, da er bei der Tochter ein ungewöhnlich gutes Gehör feststellte, Mutter Alma sah in Doris mehr die begnadete Tänzerin –, gab es für die Kinder in dem doppelstöckigen Haus viel Raum zur Entfaltung. Die Familie bewohnte den ersten Stock, und Doris hatte einen Abschnitt für eine kleine Spielküche, in der sie für ihre lebensgroßen Puppen kochte. Außerdem liebte sie Tiere. Im Alter von fünf Jahren bekam sie ihren ersten kleinen Hund, Tippy, den sie liebevoll umhegte.

Blond und blauäugig, mit vielen fröhlichen Sommersprossen und kecker Stupsnase im Gesicht, war die kleine Doris vom Gemüt her äußerst lebhaft, lebenslustig, immer freundlich und hielt stets mit den auf Bäume kletternden Jungs mit. So schien dieser pure Sonnenschein zunehmend in der Lage zu sein, die Hollywoodstar-Träume seiner Mutter Alma zu verwirklichen. Und Alma war ehrgeizig. Doris war noch im Kindergartenalter, da schickte ihre Mutter sie schon zur „Pep Golden’s Dance School“. Nachdem sie mit den Fortschritten ihres Lieblings nicht zufrieden war, gab Alma ihre Tochter in eine andere Einrichtung: „Shuster Martin’s“, eine Ballettschule. In der nächsten Schule, „Hessler’s“, begann Doris dann mit Gesangsstunden16.

Aber Alma tat gut daran, Doris zu fördern. Alle Mühen trafen auf fruchtbaren Boden. Das Mädchen war ungewöhnlich empfindsam, und ihre Fähigkeit, Töne auch bei schwierigen Melodien zu treffen, zeigte sich sehr früh. Doris’ Stimme hatte bereits eine gewisse Ausstrahlung, da hatte sie gerade das Sprechen gelernt. In der Schule kam Doris gut zurecht, sie gehörte zu den Klassen­besten der St.-Mark’s-Gemeindeschule und besuchte auch den Kindergottesdienst der St. Mark’s Catholic Church, wo ihr Vater Orgel spielte. Englisch war Doris’ liebstes Unterrichtsfach, und mit den Lehrern kam sie bestens zurecht. Im Sport brillierte sie mit ebensolcher Präzision wie beim Singen und spielte nach der Schule oft mit ihrem Bruder Paul und anderen Jungs Baseball17.

Doris war unbändig lebenslustig und ohne Scheu vor Menschen. Sie erinnerte sich als Erwachsene daran, wie ihre Mutter sie Besuchern regelrecht „vorführte“ und Doris tatsächlich nicht nur mitmachte, sondern nur schwer zu stoppen war. Als Teenager soll sie ihrem Onkel Frank anvertraut haben: „Weißt du, ich habe noch nie einen Fremden getroffen.“18

Im Alter von fünf Jahren gab es ein bemerkenswertes Ereignis in Doris’ jungem Leben. Bei einem Schönheitswettbewerb (die Mama versuchte es nach dem hübschen ersten Sohn mit der Tochter nun erst recht) wartete die kleine Doris, bis sie an der Reihe war. Das Kostümchen war ein wenig hinderlich, und so kam es, dass die Kleine den Gang zur Toilette vermied, um ihren Auftritt nicht zu verpassen. Der resultierende, nasse Fleck auf dem Stoff sprach Bände und sorgte für Gelächter im Publikum. Angeblich trug dieser peinliche Vorfall dazu bei, dass „Do Do“, wie sie auch von den Eltern zärtlich genannt wurde, seitdem unter Bühnenangst litt und unsicher vor Publikum war. Diese Angst hatte sie vor der Kamera hingegen nicht19.

Bekannte und Verwandte erinnerten sich an die junge Doris als an jemanden, der sehr auf seine Erscheinung und sein Auftreten achtete. Klassenkameradin Margie Farfsing fiel auf, dass Doris als Einzige unter den Schülerinnen die Kordel der Schuluniform nicht um die Körpermitte herum trug, wie es sich gehörte, sondern sie sich auf stilvolle Weise um die Brust band. Niemand sagte etwas dazu20. Nicht bei Doris. „Doke“, wie ihr Bruder Paul sie gerne nannte, zeigte ganz allgemein Eifer darin, anderen zu gefallen. Wenn sie einmal eine Sache nicht besser beherrschte als eine(r) ihrer Freundinnen oder Freunde, konnte sie geradezu wütend werden; und sie kämpfte beständig darum, bei den Jungs mitzuspielen – beim Baseball und bei Schneeballschlachten.

***

Im Jahr 1935 gab es einen ersten, markanten Einschnitt in Doris’ recht normales, geradliniges junges Leben. Doris war inzwischen dreizehn Jahre alt, und ihr Bruder Paul sechzehn. Sie entdeckte den Grund für die vielen familiären Fehlzeiten des Vaters, und die Leichtigkeit der Kindheit war für alle Zeit verloren. Vater William, so stellte sich nämlich heraus, war nicht immer nur mit seiner Musik beschäftigt. Eines Abends, die Kappelhoffs gaben eine ihrer seltenen Partys für Verwandte und Freunde, begab sich Doris trotz der freudigen Aussicht, länger aufbleiben zu dürfen, irgendwann doch in ihr Zimmer und ging zu Bett. Bevor Doris einschlafen konnte, hörte sie Geflüster vor der Tür und merkte, wie ihr Vater auf Zehenspitzen durch das Zimmer schlich, um in das dahinter liegende Zimmer zu gelangen. Er war nicht allein. Im Schlepptau hatte er Mama Almas beste Freundin, Freda Wingate. Die Laute des darauffolgenden Liebesspiels ihres Vaters mit seiner heimlichen Geliebten waren für das Mädchen, das sich die ganze Zeit über schlafend stellte, deutlich durch die Wand zu hören. Als die beiden zurückgeschlichen kamen, hatte Doris große Mühe, ihr Schluchzen mit dem Bettzeug zu unterdrücken21.

Bemerkenswert ist Doris’ Haltung nach diesem Vorfall. Sie hasste ihren Vater nicht, besser gesagt: Sie versuchte, es nicht zu tun, weil das Kind Doris die heile Familie um jeden Preis bewahren wollte. Sie sagt in ihren Erinnerungen, es sei nicht Teil ihrer Natur gewesen, den Vater für das Fremdgehen zu verdammen, und dass „Hass einfach nicht in mir ist“22. Dieses Schlüsselerlebnis dürfte eine prägende Bedeutung für Doris gehabt haben: immer positiv denken, stets blendende Laune bewahren und den Sonnenschein darstellen – Verdrängung und unbeugsamer Optimismus als Überlebensstrategie. Besonders die Tatsache, dass es sich bei der Geliebten des Vaters um die beste Freundin der Mutter handelte, war schmerzhaft. Die Töchter von Almas Freundin Freda Wingate gingen im Kappelhoff’schen Haushalt ja ein und aus, und gerade dann, wenn Freda angeblich einen Arzttermin wahrnehmen musste und die Wingate-Töchter derweil von der treusor­genden Alma mit beaufsichtigt wurden, betrog Freda die gute Freundin Alma mit deren Ehemann.

Konsequenterweise folgte bald die Trennung der Kappelhoffs. Alma Kappelhoff schaffte es allerdings nicht, die Kinder aus den unschönen, emotionalen Verstrickungen herauszuhalten. Doris berichtet in diesem Zusammenhang in ihren Erinnerungen von dem Tag, an dem sie mit ihrem Tanzpartner Jerry und ihren beiden Müttern nach der Tanzstunde, wie so oft, noch eine Kleinigkeit essen gehen wollten. Alma fuhr mit Doris, Jerry und dessen Mutter in Richtung Avondale, einem anderen Ortsteil Cincinnatis, und stoppte das Auto vor einem Apartment-Gebäude. Doris wunderte sich und fragte, warum sie dort wären. Alma tat geheimnisvoll, es würde nicht lange dauern. Nach einer gewissen Zeit sahen sie den Vater, wie er seinen Wagen vor dem Gebäude parkte. In diesem Moment begriff Doris. Sie wusste, dass die Geliebte des Vaters geschieden wurde und nach Avondale gezogen war. Sie fragte sich zu Recht, aus welchem Grund die Mutter sie mitgenommen hatte an diesen Ort. Als Zeugen, weil der Rechtsanwalt es empfohlen hatte, oder um Verständnis für ihre, Almas, Situation zu erbitten? Der Zweck heiligte die Mittel hier keinesfalls, denn die heranwachsende Doris war „tief verletzt“23 von diesem Erlebnis.

Der Traum der Tochter von einer heilen, funktionierenden Beziehung der Eltern war geplatzt. So sehr wünschte sie sich, die Eltern sollten eine gute Ehe haben, und für sich selbst wollte Doris nichts sehnlicher als Hausfrau in einer guten, intakten Ehe zu sein. So wichtig war es ihr, dass sie eine glückliche Beziehung als „einzigen wirklichen Ehrgeiz“, den sie jemals gehabt hatte, be­­zeichnete24; viel mehr als der Traum, eine Tänzerin oder ein Hollywoodstar zu sein.

Vor dem Hintergrund der Zeit, in der Doris aufwuchs, mag der modernen Frau diese Aussage vielleicht etwas weniger heikel erscheinen. Die USA befanden sich immer noch in einer Wirtschaftskrise. Roosevelts New Deal Politik von 1932 wurde noch einmal ausgedehnt zu einem Second New Deal (1935/36), der weitere Behörden ins Leben rief für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, für die Ankurbelung der Wirtschaftsleistung und die Schaffung eines neuen Sozialversicherungssystems25. In Zeiten wie diesen war es für ein Kind vermutlich noch viel schwerer zu verkraften, wenn der Vater, in den allermeisten Fällen der Haupternährer einer Familie, sich ihr entzog und die Ehefrau mit den Kindern somit nicht nur emotional, sondern auch wirtschaftlich in eine unsichere Lebenssituation brachte.

Der Tag, an dem Vater William von zu Hause wegzog, war wohl Doris’ persönlicher „schwarzer Freitag“. Die Elfjährige verfolgte das Geschehen, das auch eine herzzerreißende Filmszene hätte sein können, vom Wohnzimmer aus, versteckt hinter einem weichen, Trost spendenden Vorhang. Bruder Paul half währenddessen dem Vater die Koffer ins Auto zu packen. Wie ein leidendes Hündchen, das sein Herrchen aus dem Blickfeld verliert, beobachtete Doris, wie das Fahrzeug die Straße entlang fuhr und schließlich verschwand. Paul kam zurück und fragte seine Schwester, warum sie weine. Sie fragte sich, warum er es nicht tat26.

Doris und Paul schliefen nach der elterlichen Trennung ab­­wechselnd im Bett des Vaters neben ihrer Mutter. Auf diese Weise empfanden sie die Abwesenheit des Vaters als ein wenig erträglicher; das leere Bett mit dem unbenutzten, glatten Bettzeug wäre für die Kinder sicher ein grausames Mahnmal der Verlassenheit gewesen27.

Die Scheidung der Kappelhoffs wurde im Oktober 193528 bewilligt, nach fast zwanzig Jahren Ehe. Zur Anwendung kamen die damals üblichen, standardisierten Formeln „extreme seelische Grausamkeit und grobe Pflichtverletzung“. Alma Kappelhoff wurde zwar Unterhalt zugesprochen, sie musste aber zwei Monate später Klage wegen Nichterfüllung einreichen.29 Nach der Scheidung zog die Mutter mit den Kindern vom geräumigen Haus in Evanston in das genau am anderen Ende der Stadt gelegene College Hill, in günstigeren Wohnraum.

Doris sah ihren Vater von nun an immer einmal wöchentlich, am Mittwochnachmittag. Er fuhr dann mit Doris und Paul zum Hause seiner Schwester30, wo er seit dem Auszug lebte. Doris empfand diese Ausflüge in die neue Welt des Vaters als bloße Pflichterfüllung, ohne Freude, denn er redete kaum ein Wort mit ihr oder ihrem Bruder. Außerdem gab es da auch die Befürchtung, der neuen Frau an der Seite des Vaters über den Weg zu laufen31. Vater William heiratete Freda Wingate bald darauf, und die Verbindung wurde eine glückliche. Allerdings war das Glück nur von kurzer Dauer, denn Freda starb wenig später an Krebs. Dieses Erlebnis bewirkte eine starke Veränderung in William Kappelhoff. Er, der bislang bigotte Katholik, der von Vorurteilen gegenüber anderen Nationalitäten, wie Italienern, anderen Religionen, wie dem Judentum, oder auch ethnischen Gruppen, wie Afroamerikanern, beseelt gewesen war, heiratete in dritter Ehe seine afroamerikanische Angestellte Luvenia Williams Bennett – da war Doris bereits ein Filmstar. Doris teilte die Vorurteile ihres Vaters nicht, sie war eher ein Freigeist. Ihr gefiel das Dogma der katholischen Kirche nicht sonderlich, und nach der Trennung der Eltern wandte sie sich vom katholischen Glauben ab.32

Mutter Alma brauchte nach der Scheidung einen sanften Anschubser, um auszugehen und einen neuen Mann kennenzulernen. Ihre Versuche waren aber eher halbherzig. Sie fuhr im eigenen Auto zu den Treffen, um unabhängig zu sein, kam verfrüht zurück, denn sie fand den Mann einfach nur „langweilig“ und gab vor, Kopfschmerzen zu haben. Doris räumte ein, dass die Weigerung der Mutter „ein neues Leben anzufangen“, für sie eher Vorteile gehabt hatte.33 So konnte sich die „Bühnenmutter“ ganz auf die Förderung des Talents ihrer Doris konzentrieren und die Tochter später, nach deren eigenen gescheiterten Beziehungen, seelisch auffangen.

Das Ende einer schlechten Beziehung der Eltern, mit zu viel häuslichem Zwist, kann auch eine förderliche Seite für die Entwicklung von Kindern haben. Doris wird allgemein als sehr charakterstark beschrieben. Sie war ziemlich reif für ihr Alter, im seelisch-geistigen Sinne. Ihr Bruder Paul erinnert sich, dass Doris stark auf die Gegenwart konzentriert war, dass sie ganz im Hier und Jetzt lebte. „Wenn etwas passieren soll, dann passiert es auch“, war ihr fatalistisches Credo34. Dies verlieh Doris die Fähigkeit, klar zu denken, wie Paul befand. Seine Schwester konnte aber auch Charakterzüge des Vaters in ihrem Wesen erkennen lassen. Dann war sie tief versunken in Gedanken und außer Reichweite für die Menschen um sie herum.

Auffallend ist das starke Empfinden Doris’ für die Ungerechtigkeit Tieren gegenüber: Nachbarn ihrer Tante und ihres Onkels ließen ihren Hund einmal übers Wochenende einfach alleine in der Kälte zurück, ohne Wasser oder Nahrung; da schritt Doris ein und brachte den Hund kommentarlos zu den Verwandten. Auch im Umgang mit ihren Mitmenschen zeigte sie oft große Empathie: Mary Goodwin war zwölf Jahre alt und einsam, als Doris sie ansprach und einlud, mit der „Gang“ Softball zu spielen. Die beiden wurden gute Freundinnen und sahen sich jeden Samstag die neuesten Kinofilme an. Mama Alma konnte die vollkommen in die Filmwelt versunkenen Mädchen kaum von ihren Sitzen lösen, berichtete Mary später.

Trotz ihrer Wildfangallüren und der zeitweise jungenhaften Mentalität kleidete sich Doris gerne perfekt und erwachsen. Schwärmerische Gespräche über Filmstars wurden am Küchentisch mit den Freundinnen geführt. Sie wäre total vernarrt in Clark Gable, erzählte Doris einmal, und sie brachte seinen Namen so oft wie möglich ins Gespräch, wenn sie so zusammen saßen35. Vielleicht überwog in der Waagschale ihres Genpools letztendlich doch das mütterliche Genom.

***

Doris ging jetzt auf die Schule „Our Lady of Angels School“, die aber nicht so renommiert war wie die „Regina High“, die alle ihre Freunde besuchten. Mutter Alma hatte einen Job in einer Bäckerei angenommen, um sich und die Kinder zu versorgen und um vor allem der Tochter, dem zukünftigen Filmstar (da war sich Alma ganz sicher), Tanz- und Gesangsunterricht (auch akrobatischen Tanz) zu ermöglichen36. Doris liebte das Tanzen über alle anderen Disziplinen. An der Tanzschule „Shuster Martin’s Ballet School“ gewann sie einmal sogar den ersten Preis von 25 kostenlosen Unterrichtsstunden für den längsten Handstand37. Im Jahre 1936 tat sich Doris mit Jerry Doherty zusammen. Sie lernten sich an der Tanzschule kennen und entwickelten gemeinsam eine Stepptanznummer namens Clouds. Die hübschen blauen Kostüme für die Vorführungen stammten natürlich von Mama Alma. Immerhin war das junge Tanzduo so beliebt in Cincinnati, dass es die Unkosten durch Auftritte in Kirchen und bei Wohltätigkeitsveranstaltungen, die ein paar Dollars einbrachten, rasch wieder hereinbekam.38

Doris und Jerry gewannen bald einen von dem Kaufhaus Alms and Doepke ausgelobten Tanzwettbewerb, den sie mit einer komödiantischen Song-Tanznummer namens The Bird on Nellie’s Hat bestritten39. Die Mütter Kappelhoff und Doherty fragten ihre be­­gabten Sprösslinge, ob sie nicht mit den gewonnenen 500 Dollar40 nach Hollywood gehen wollten, um an der berühmten Tanzschule „Fanchon und Marco“ bei dem führenden Stepptanz-Lehrer Louis da Pron zu lernen41.

Hollywood. Für Doris bedeutete der Name erst einmal nicht mehr als für jeden anderen Kinogänger. Sie dachte an eine Tanzkarriere, nicht an eine Filmkarriere, obwohl sie sich durchaus für Hollywood-Schauspieler und -Schauspielerinnen interessierte. Besonders aufregend fand Doris die Live-Auftritte mancher Hollywoodstars auf der Bühne nach der Vorführung des Films: Betty Grable etwa tanzte einmal auf der Bühne des Albee Theaters, und dieses Erlebnis festigte Doris’ Wunsch, Tänzerin zu werden. Wenn sie mit ihrer Cousine Jean Movie Star spielte, war sie immer „Ginger Rogers“ und der „Movie Boyfriend“ war stets Lew Ayres, der da­­malige Ehemann von Ginger Rogers. Noch ahnte Doris damals nicht, dass sie ihn Jahrzehnte später in ihrer Fernseh-Show als Gaststar begrüßen würde. Im Rollenspiel mit der Cousine wurde auch deutlich, dass diese mehr Ahnung von Schauspielstars zu haben schien als Doris. So sagte Doris beispielsweise der Name „Jeanne Eagels“, der Star aus Rain, gar nichts, und sie glaubte, die Cousine hätte sich den Namen nur ausgedacht42.

Im Sommer 1937 setzte sich Alma ans Steuer ihres Wagens und chauffierte das neue „Ginger & Fred“-Duo zusammen mit Jerrys Mutter nach Hollywood. Es war die erste längere Fahrt für Doris, und die Reise dauerte fast eine Woche, da die Mutter eine vorsichtige Fahrweise hatte. Doris erinnerte sich besonders intensiv an die Restaurants und Diners, in denen sie zum Essen Halt machten. Geprägt von „deutscher Reinlichkeit“, berichtete sie als Erwachsene selbsthumorig, wie sie das Essen in Küchen vermied, wenn diese nicht dem Sauberkeitsstandard ihrer deutschen Verwandtschaft entsprach. Egal, wie hungrig sie auch sein mochte: Doris bestellte nichts außer Milch, wenn die Küche nicht entsprechend gepflegt aussah43. In der Retrospektive war Doris geradezu erschrocken von ihrer Reaktion über fremdländische Mitarbeiter in Restaurants: Sie waren schon in Kalifornien, nicht mehr weit von ihrem Zielort Hollywood, Los Angeles, entfernt, da rannte Doris sofort aus dem Restaurant, als sie in der Küche einen Chinesen erblickte. So stark beeinflusst war sie offenbar von den Vorurteilen des Vaters, dass sie nichts von einem „finsteren Chinesen“ essen mochte. Die Menschen in Doris’ Heimatort Evanston verhielten sich seinerzeit allgemein leider nicht anders, vielleicht auch deshalb, weil es dort einfach diese anderen Menschen44 nicht gab. Wie gut doch diese Reise in eine (vielleicht) etwas vorurteilsfreiere Welt tun würde!

***

Hollywood in den 1930er Jahren – die vier Optimisten hätten sich kein blühenderes Gefilde für ihre Ambitionen aussuchen können. Die Filmbranche hatte sich seit Mitte des Jahrzehnts weitgehend von der Wirtschaftskrise erholt, der Tonfilm hatte sich etabliert. Verschiedene Genres bildeten sich heraus: Western, Horrorfilme, Komödien, Musical- und Tanzfilme erfreuten sich großer Beliebtheit beim Publikum. Der klassische Gangsterfilm war schon wieder auf dem Abstieg, das Musical kam dagegen gerade in Schwung: mit den innovativen, künstlerisch fragmentierten Bildkompositionen des Regisseurs Busby Berkely oder durch Ginger Rogers und Fred Astaire, die den Zuschauern in Swing Time (1936) bühnengleiche Solo-Tanznummern vorwiegend in der Totalen darboten45. Eine bedeutsame technische Neuerung in dieser Zeit war das Technicolor-Verfahren, das den allmählichen Beginn der Farbfilm-Ära markierte46.

Der Hunger des Publikums nach immer mehr Filmen verlangte auch nach neuen Talenten, die beständig nachgefragt waren in Hollywood. Zukünftige Stars benötigten aber die entsprechende Ausbildung. Da war der bereits filmerfahrene Choreograf Louis da Pron vom Studio „Fanchon und Marco“ genau der Richtige für Doris und Jerry. Während der einmonatigen Ausbildung an der Tanzschule teilten sich die jungen Leute mit ihren Müttern zusammen ein Einzimmer-Apartment mit winziger Küche47. Aber die Entbehrung lohnte sich, denn Doris und Jerry wurden von ihrem Lehrer rasch auf Veranstaltungen in und um Hollywood geschickt. Man war angetan von Doris’ Tanzkünsten, und Doris war begeistert von Hollywood. Sie dachte an ihre Lieblinge Ginger Rogers, Jean Arthur und Betty Grable und daran, wie sie es ihnen gleichtun wollte.

Doris, Jerry und ihre Mütter taten dann auch, was jeder tut, der nach Hollywood fährt – sich einen Movie-Star-Stadtplan kaufen und auf Tour zu den Häusern der Angebeteten fahren. Und es erging ihnen, wie es den meisten Besuchern ergeht: Keinen der Filmstars bekamen sie zu Gesicht.

Nach dem vierwöchigen Aufenthalt in der Traumstadt und nach großem Zuspruch in der Tanzschule beschlossen Alma Kappelhoff und Frances Doherty, zusammen mit ihren Kindern ganz nach Hollywood zu ziehen, hatten sie doch viel zu gewinnen und wenig zu verlieren außer ihrer spießigen, miefigen Heimatstadt. Sie wollten zunächst nach Cincinnati zurückfahren, ihre Wohnungen weitervermieten und sich von Freunden und Familie verabschieden, um dann mit ihrer Habe an die Westküste zu ziehen. Die Kraft für diese Entscheidung holten Doris und Alma nicht nur aus den begeisterten Reaktionen auf Doris’ Können als Tänzerin, sondern auch aus dem tiefverwurzelten Selbstvertrauen, das Doris in ihre Fähigkeiten hatte48.

***

Es war Mittwoch, der 13. Oktober 1937. Das befreundete Ehepaar Holden plante eine Abschiedsparty für Mutter Alma in Hamilton, ungefähr 25 Meilen nördlich von Cincinnati. Es muss so zwischen zehn und elf Uhr abends gewesen sein, als Doris während der ­Feier einen Telefonanruf erhielt. Am Apparat war ihr Freund Larry Doherty, Jerrys Bruder. Er befand sich in Gesellschaft von zwei weiteren Freunden, Albert Schroeder und Marion Bonekamp, und wollte Doris abholen.

Mit Albert am Steuer und Marion als Beifahrerin fuhren die jungen Leute kurz zu einem Hamburgerladen am anderen Ende Hamiltons, bevor sie sich entschlossen, nach Cincinnati zurückzukehren, da die Party sich wohl ohnehin ihrem Ende näherte. Doris saß auf der Rückbank hinter dem Fahrer, rechts neben ihr Larry. Wegen des kalten, regnerischen Wetters waren die Scheiben des Wagens beschlagen. Die jungen Leute waren langsam unterwegs, hatten das Radio aber in ziemlicher Lautstärke laufen und unterhielten sich. Marion hatte sich dabei den hinten Sitzenden zugewandt. Man war wohl allgemein ein wenig unaufmerksam, als die aufblitzenden Lichter des herannahenden Güterzuges erkennbar wurden. Zweimal wurde der Wagen getroffen in Doris’ Erinnerung, zunächst von der Lokomotive, dann von den Güterwaggons dahinter. Albert und Marion wurden durch die Windschutzscheibe geschleudert, wobei Marion stark blutete. Larry schien unverletzt, und das Gleiche dachte Doris von sich. Aber als sie aussteigen wollte, um nach den beiden schwerer Verletzten zu sehen, sackte sie weg. Ihr rechtes Bein wollte sie einfach nicht tragen, also robbte Doris ein Stück weiter. Als sie mit der Hand an ihrem schmerzenden Bein entlangfuhr, spürte sie das Blut und fühlte kurz darauf die zersplitterten Knochen, die aus dem Bein herausragten. Doris, unter Schock, führte Selbstgespräche: „Wie soll ich tanzen? Wie kann ich tanzen?“ Immer wieder, bis sie schließlich ohnmächtig wurde49.

1 S. 166 f. Habel

2 S. 3 Kaufman

3 S. 203 Zeruk

4 Cincinnati: Our German History, unter: web.archive.org und Vollmar, gesehen auf wikipedia.org v.03.05.2021.

5 S. 4 Kaufman und S. 11 ff. Hotchner.

6 Einigen Quellen zufolge war der Name „Wilhelm von Kappelhoff“.

7 S. 5 Kaufman

8 S. 13 Hotchner

9 S. 4 Kaufman

10 Frühere Quellen benennen Doris Days Geburtstag als den 3. 4. 1924. Möglich ist, dass Doris dieses Datum eventuell damals fälschlich angegeben hat, um sich während ihrer Zeit als Big Band-Sängerin älter zu machen.

11 S. 5 Kaufman

12 S. 14 Hotchner

13 S. 13 Hotchner

14 S. 15 Hotchner

15 S. 5 ff. Kaufman

16 S. 13 Young

17 S. 7 ff. Thomey

18 S. 7 Kaufman

19 S. 7 Kaufman

20 S. 7 Kaufman

21 S. 11 Kaufman

22 S. 17 Hotchner

23 S. 18 Hotchner

24 S. 18 Hotchner

25 S. 260 Weltgeschichte in Bildern

26 S. 19 Hotchner

27 S. 36 Braun

28 S. 12 Kaufman

29 S. 12 Kaufman

30 Vermutlich in Avondale, bei Cincinnati.

31 S. 12 Kaufman

32 S. 35 Braun

33 S. 21 Hotchner

34 S. 13 Kaufman

35 S. 13 ff. Kaufman

36 S. 36 f. Braun

37 S. 37 Braun

38 S. 37 f. Braun

39 S. 25 Hotchner

40 S. 25 Hotchner

41 S. 38 f. Braun

42 S. 26 Hotchner

43 S. 27 Hotchner

44 S. 27 f. Hotchner

45 S. 96 Röwekamp

46 S. 72 Röwekamp, vgl. Endnote 45, wo von 20 % die Rede ist, und S. 35 Bergan.

47 S. 17 Kaufman

48 S. 29 Hotchner

49 S. 30 Hotchner

2

Big Band Doris

Während Doris sich Sorgen um ihre Karriere als Tänzerin machte, sorgten sich die Ärzte im Mercy Hospital eher darum, ob sie jemals wieder vernünftig würde gehen können. Doris hatte einen komplizierten Bruch, die Knochen waren gesplittert, und die betreffende Stelle musste mit einem Nagel stabilisiert werden. Das Bein wurde nach der Operation vom Oberschenkel bis zu den Zehen eingegipst. Aber was kam nach dem Krankenhaus, wohin würde es gehen? Mutter Alma gelang es, ihr Apartment in Cincinnati zurückzubekommen, und statt nach Hollywood zogen sie erst einmal zurück in das alte Zuhause. So sehr sich Doris in dieser Situation auch bedauert haben mag, noch mehr Mitleid hatte sie mit Tanzpartner Jerry. Er besuchte mit seiner Mutter zusammen Doris am Tag nach dem Unfall im Krankenhaus und musste begreifen, dass seine Tanzpartnerin, sein „zweites Paar Beine“ sozusagen, nun an Krücken ging und für die nächsten vier Monate an den Rollstuhl gefesselt sein würde. Beinahe hatte Doris Schuldgefühle, dass sie Jerry so enttäuschen musste. Wie sich später herausstellen sollte, wurde Jerry Dougherty nach der High School Milchmann.

Doris’ Aussichten auf eine glanzvolle Karriere waren nicht minder gefährdet. Aus vier Monaten Rekonvaleszenz wurden schnell vierzehn Monate: Ihre Knochen wollten trotz der Gaben von Kalzium und anderen Heilmitteln einfach nicht so schnell zusammenwachsen. Auch in der Schule hatte Doris Probleme. Sie war immer so aktiv gewesen, so dominierend, und nun brachte man ihr Mitleid entgegen, weil sie sich in den Räumlichkeiten mit ihren Krücken nicht so agil bewegen konnte, wie sie es gewohnt war. Mitleid! Nach eigenen Aussagen war dies ein Gefühl, welches Doris verabscheute. Mama Alma konnte Doris nicht zur Schule fahren, da sie arbeiten gehen musste. Also beschlossen sie, Doris erst einmal aus der Schule zu nehmen, bis das Bein vollständig ge­­heilt sein würde. Niemand vermochte allerdings das Wann zu prognostizieren, und so blieb das zweite High School-Jahr für Doris die letzte schulische Ausbildung, die sie erhalten sollte50.

Aber was macht eine junge Frau mit so viel Zeit? Untätig zu sein, hätte nicht zu Doris gepasst, und so fand sich sehr schnell ein Betätigungsfeld für das begabte Mädchen. Onkel Charlie verkaufte zu dieser Zeit gerade seine Bäckerei an seinen Bruder und übernahm dafür ein Lokal in Cincinnatis Stadtteil Price Hill. Alma besorgte sich kurzerhand den Posten in der Restaurantküche, und im Gegenzug erhielt die Familie freie Kost und Logis. Doris war zufrieden mit der neuen Unterkunft über dem Lokal. Sie hörte während der Phase der Heilung viel Radio und Jukebox und begann, Lieblingssängerinnen für sich zu entdecken und sie nachzuahmen. Besonders angetan hatte es ihr dabei die wundervolle Ella Fitzgerald, deren Stimme mit dem weichen Timbre irgendwie zu Doris’ eigener Stimme passte und die von der (beinahe ebenbürtigen) Lena Horne als die Stimme einer „goldenen Schreibmaschine“ bezeichnet wurde51.

Die quirlige Doris konnte nicht still sitzen und brach sich das fast geheilte Bein ein zweites Mal beim Versuch, mit den Krücken zu tanzen52. In demselben Maße, wie dadurch die Hoffnung Almas auf eine Tanzkarriere der Tochter sank, erblühte mehr und mehr die Singstimme des Mädchens. 1938 hatte Doris ihr Gesangsdebüt, einen Auftritt in Charlie Yee’s Shanghai Inn in Downtown Cin­cinnati, einem chinesischen Restaurant. Sie war noch immer auf Krücken angewiesen, die sie aber als Show-Einlage nutzte, um damit den Rhythmus zu klopfen. Fünf Dollar pro Auftritt am Abend erhielt Doris als Gage, und zweimal trat sie für gewöhnlich auf. Oft hatte sie kaum mehr Publikum als die erweiterte Familie Yee, aber es war ein Anfang. Allerdings sollten diese Gesangsabende denkwürdiger sein, als man zu diesem Zeitpunkt vermuten konnte, denn Doris Day war eine Sängerin, die nahezu all ihre Liveauftritte mit Big Bands absolvierte. Später gab sie weder Konzerte, noch trat sie am Broadway oder bei ähnlichen Gelegenheiten auf53.

***

Die große Zeit der Big Bands, also jener Form der Jazzmusikgruppen, die in den melodieführenden Instrumenten mehrfach besetzt sind, begann mit den 1930er Jahren. Der spezielle, volle Sound dieser optimal tanzbaren Musik vermochte den Leuten die Zeit der wirtschaftlichen Depression ein wenig erträglicher zu machen, daher erfreute sie sich einer ungeheuren Popularität. Swing war das Ding schlechthin damals, und die großen Gruppen wurden von namhaften Bandleadern wie Count Basie, Benny Goodman, Les Brown, Duke Ellington, Harry James oder Glenn Miller geleitet. Zur Blütezeit der Big Bands spielte das Fernsehen noch keine Rolle; man ging noch aus, um tanzen zu gehen. Die Big Bands waren vorwiegend Tanzorchester mit 15 bis 20 Instrumentalisten, die eine gezähmtere Form des Jazz spielten und die Sänger und Sängerinnen beschäftigten, die in der Band ein Sprungbrett für die große Solokarriere sahen, so wie der unvergleichliche Frank Sinatra54.

Mutter Alma hatte einen Bekannten namens Danny Engel, der neue Songs promotete. Durch ihn traf sie auf Grace Raine, eine Gesangslehrerin. Entweder hatte Doris einen schlechten Tag oder sie – jedenfalls lehnte Raine es zunächst ab, Doris zu unterrichten. Sie hielt es für beiderseitige Zeitverschwendung, da Doris kein Talent besäße. Möglicherweise wurde hier einfach nur von falschen Voraussetzungen ausgegangen, denn Doris hatte nach eigenen Angaben keine „klassische Stimme“ und studierte ja zunächst auf eigene Faust Gesang, bevor sie auf Raine traf. Die Gesangslehrerin erklärte später, dass sie Doris ein paar Male im Radio gehört hätte, aber dass sie, Doris, es einfach nicht konnte. Als der Songpromoter Raine darlegte, dass es bei Doris’ Schönheit egal wäre, ob sie singen könne oder nicht, erklärte Raine sich bereit, Doris zum reduzierten Preis zu unterrichten. Und bald sollte sie eine große Überraschung erleben: Nach nur drei bis vier Gesangsstunden zeigte sich bei ihrer Schülerin eine erstaunliche Verbesserung. Doris sollte eigentlich drei Stunden pro Woche erhalten, aber Almas Geld reichte nur für eine. Also einigte man sich auf zwei Mal eine halbe Stunde Unterricht wöchentlich55. Und auch dafür musste Alma eine Arbeit, einen Nähjob, annehmen.

Doris sang neben dem Shanghai Inn auch noch für eine Radioshow des Senders WCPO, wofür allerdings keine Gage gezahlt wurde56. Was zählte war, dass sie nun als Sängerin von sehr vielen Zuhörern wahrgenommen werden konnte und nicht nur von ein paar Zuschauern in einem relativ kleinen Restaurant.

Barney Rapp, ein Bandleader, hörte irgendwann Doris den Song Day by Day singen. Er bot ihr 25 Dollar pro Woche an, wenn sie mit seiner Band sänge. Rapp ließ sich von dem Song zu Doris’ Namensänderung inspirieren und schlug „Day“ als passenden Nachnamen für Doris vor. Doris mochte den Namen „Doris Day“ nicht sonderlich, und es sollte sich herausstellen, dass sie ihn niemals wirklich mögen würde, weil er für sie zu sehr nach Burlesque Star, also nach „billigem Star“57 klang. Aber scherzhaft meinte sie zu Rapp, dass sie froh sei, dass er sie nicht dabei erwischt hätte, wie sie „Götterdämmerung“ sang58. Doris sollte nun in Rapps neu gegründetem Night Club singen, wohin Alma sie zunächst jeden Abend fahren musste, bis man eine andere Lösung fand. Bald stellte sich heraus, dass ein junger Posaunist der Band in der Nähe wohnte und Doris somit mitnehmen konnte.

***

Albert Paul Jorden, genannt „Al“, war 23 Jahre alt und eine große, schlanke, attraktive Erscheinung59. Doris selbst war noch keine 17 Jahre alt. Sie fragte Al, einen der besten Musiker der Band, ob es ihm etwas ausmachen würde, sie mitzunehmen. Sie würde auch gerne für das Benzin zahlen. Al zögerte und führte Argumente auf, die dagegensprachen. Als ob er Doris vor sich selbst warnen wollte, entgegnete er ihr außerdem, dass er pünktlich sein müsse. Und wenn einen Musiker eines davon abhalten würde, pünktlich zu sein, dann wäre es für gewöhnlich die Sängerin. Er würde ihr ja gerne helfen, aber er hätte nie Glück mit Bandsängerinnen. Er könne es sich einfach nicht leisten, zu spät zu kommen. Doris insistierte: „Du kennst mich nicht, Al, ich bin ein on-the-mark60 Mädchen ...“. Er wand sich weiter wie ein Aal, bis Doris ihre ­Mutter ins Spiel brachte: Alma wäre schon genug geplagt mit diversen Arbeiten – die Tochter in den frühen Morgenstunden abholen zu müssen, zehre an ihren Kräften. Noch immer meinte Al, er müsse an sich selbst denken, bis Doris einwarf, dass er nur einmal zu hupen bräuchte, und wenn sie dann nicht aus der Tür raus und in seinem Auto wäre, dann wäre es das eben gewesen. Dann könnte er losfahren. Immer noch mit großer Unlust willigte Al schließlich ein. Derart gestalteten sich auch ihre gemeinsamen Fahrten am Anfang. Der mürrische Al sprach kein Wort zu Doris, er blickte starr vor sich hin. Mit größter Mühe lockerte Doris die Situation ein wenig auf, aber die Atmosphäre war geprägt von Jordens reizbarem Wesen.

Die anderen Männer in der Band waren allesamt lustige, lebendige Gesellen, die nach dem Auftritt noch zusammensaßen, um etwas zu trinken und zu entspannen. Doris gehörte gerne dazu, zudem war sie stets hungrig und freute sich auf saftige Hamburger mit Zwiebeln plus fettem Milchshake. Leider konnte Doris nie wissen, ob Al nicht doch ganz plötzlich aufbrechen musste, um zu seiner Verabredung zu gelangen. (Er war mit einem Mädchen aus einer anderen Band liiert.) Man lachte und lästerte über das Arran­gement, das Doris aufspringen ließ, wann immer Jorden seine Hupe betätigte61. Seine Übellaunigkeit ließ er mit voller Wucht an Doris aus: Warum es so furchtbar nach Essen riechen würde in seinem Auto (Doris nahm den Hamburger, den sie gerade aß, meistens mit, wenn er losfahren wollte); und dass sich seine Freundin das letzte Mal ihr Kleid mit dem Ketchup von Doris’ Hamburger beschmiert hätte, das auf den Autositz getropft war. Außerdem müsste er eigentlich in die entgegengesetzte Richtung fahren, um zu seinem Date zu gelangen, nicht nach Price Hill. Al war wütend und voller Grimm. Doris lud ihren Frust über den Kerl bei ihrer Mutter ab: Warum sie nur mit dem einzigen mürrischen Typen in der Band mitfahren müsste, warum es nicht Don sein könnte. Für Don, den Klarinettisten, hatte Doris etwas übrig.

Während einer zweiwöchigen Zwangspause vermisste Al die Fahrten mit Doris dann wohl doch mehr, als sie ahnte. Denn er rief eines Tages an und hatte Mutter Alma am Apparat. Doris wollte nicht für Gold mit Al essen oder ins Kino gehen, aber Alma überredete die Tochter. Hätte Doris gleich Ja gesagt, hätte Alma es ihr vermutlich ausgeredet62. Zu Doris’ Verblüffung verlief der Abend mit Al äußerst amüsant; er zeigte das andere, das charmante Gesicht seiner mutmaßlich gespaltenen Persönlichkeit.

Wir erinnern uns an dieser Stelle: Doris wollte nichts lieber als eine gute Ehe mit einem guten Ehemann führen. Ja, einem guten Ehemann, zu dem Albert Jorden so wenig taugte wie ein Elefant zum Balletttanz. Die nächste Verabredung mit dem jungen Musiker hatte Doris nur einen Tag später, am 2. September 193963. Die beiden machten einen Bootsausflug auf dem Fluss Ohio, zusammen mit dem Drummer der Band, Wilbur Shook, und seiner Frau Virginia. Al gehörte ein fast fünf Meter großes Schnellboot, mit dem er gefährlich nahe ins Fahrwasser der Island Queen fuhr, einem riesigen, über 1000 Menschen fassenden Dampfschiff. Wie ein manisch Getriebener manövrierte Al das Boot so lange umher, bis sie kenterten und erst einmal in ihren Schwimmwesten auf Hilfe warten mussten, da Vorbeifahrende das Spektakel anfangs wohl für ein lustiges Badevergnügen hielten64. Rückblickend begriff Doris selbst kaum, wieso sie Al weiterhin traf. Vielleicht, weil eine 17-Jährige das leichtsinnige Verhalten eines 23-Jährigen einfach glamourös findet?65

Nachdem Al bei einem Motorradunfall verletzt worden war, besuchte Doris ihn zusammen mit ihrer Mutter zu Hause. Dort traf sie das erste Mal auf Als Mutter. Nach kurzer Zeit nahm diese Doris beiseite und dozierte mit eindringlichem Blick: „Ich sollte dir eines klar machen, Doris: Albert wird niemals heiraten. Er hat versprochen, mich und seinen Vater niemals zu verlassen, und ich denke, es ist nur fair, dass du das weißt“.66 Doris versicherte Als Mutter, dass sie sich nur hin und wieder mit ihm verabredete. Sie fragte sich, was das für eine Mutter sei, die so von ihrem Sohn redete, und natürlich auch, welcher Sohn sich so etwas bieten ließe.

Zunächst wurde das junge Pärchen getrennt. Al Jorden wurde zu Drummer Gene Krupas neu gegründeter Band nach New York gerufen. Er schrieb Doris Briefe und rief sie an. Währenddessen fiel es Doris immer schwerer, den harten Anforderungen ihres Jobs gerecht zu bleiben. Barney Rapps Band musste für viele Auftritte oft 50 bis 100 Meilen weit fahren und dann stundenlang musizieren, nur um anschließend die ganze Strecke wieder im klapprigen Tourbus zurückzufahren. Grace Raine kam da gerade recht mit ihrem Vorschlag, Doris solle in Chicago Bob Crosby vorsingen. Es war ein Aufstieg: Doris, „Little Miss Cincinnati“, sang nun mit Leuten, die sie bisher nur von ihren Schallplatten und aus Magazinen kannte.

Für die Jungs in der Band war Doris wie die „kleine Schwester“, man wusste um ihre Fernbeziehung mit Al und neckte sie deswegen67. Doris lernte sehr viel durch das Touren mit der Band, sie entwickelte „Stil“. Aber die Nachteile dieses Nomadenlebens überwogen. Doris verbrachte eine längere Zeit schlafend mehr im Bussitz als im Bett68. Es war dabei nicht nur der vermeintliche Zauber, in einer berühmten Band zu singen, der Doris dieses anstrengende Leben durchhalten ließ. Sie brauchte auch das Geld, um etwas davon ihrer Mutter für die Behandlung von Doris’ erkranktem Bruder Paul zu geben. Paul war inzwischen ein fähiger Baseballspieler bei den Cincinnati Reds. Bei einem der Spiele war er von einem Pitch getroffen und schwer am Kopf verletzt worden69, was schließlich zu einer Epilepsie führte.

Doris’ Zeit bei Crosby sollte sich als eine kurzlebige erweisen. Als die „Bobcats“, so der Name der Gruppe, einmal einen Auftritt in New York hatten, kam ihr eine andere Sängerin, Bonnie King, in die Quere und ersetzte Doris fortan. Angeblich steckte die Agentur der Band dahinter. Doris war enttäuscht, aber es meldete sich sogleich Les Brown bei ihr, der sie nun für seine Band haben wollte. Doris hatte sich bei den sogenannten „Song Pluggern“ bereits einen Namen gemacht, und so erfuhr Les Brown von der großartigen Sängerin Doris Day, die in die Stadt gekommen war.

Brown erinnerte sich an ein Mädchen, das Angst hatte und am liebsten nach Hause wollte. Er schaffte es aber, sie zum Bleiben zu überreden, und so begann Doris im August 1940 bei den „Duke Blue Devils“ für einen Verdienst von 75 Dollar pro Woche. Drogen und Alkohol wurden damals schon häufig in Verbindung gebracht mit Musikbands, aber die Brown-Truppe sollte ein „sauberes“ Bild von sich geben und wurde promoted als „Malted Milk“70-Band. „Sauber“ bedeutete auch „unsexy“, aber Aufnahmen von Doris vom Oktober 1940 lassen eine viel verführerischere Stimme erkennen, als sie die spätere Doris zumeist zeigte. Mit der Brown-Band wurde Doris endgültig zur professionellen Sängerin, wobei die Band auch stark von ihr profitierte und durch sie ihren guten Ruf erwarb. Brown stellte Doris auf dieselbe Stufe wie Bing ­Crosby und Frank Sinatra: Sie könne, ebenso wie Sinatra, einen Songtext am besten verkaufen71.

Mittlerweile hatte Al Jorden von Krupas Band zu Jimmy ­Dorseys Combo gewechselt. Solange Dorseys Band sich die ganze Zeit auf Tour befand, musste Doris sich mit Liebesbriefen von Al begnügen. Im Frühjahr 1941 trafen ihre jeweiligen Bands dann in New York aufeinander, und laut Doris verbrachten sie und Al „jede Nacht“ zusammen. Zu der Zeit machte Al Doris einen Heiratsantrag. Und das war es ja, was Doris immer wollte: eine Ehefrau und Mutter sein. Ihr Umfeld warnte sie. Les Brown sah Doris ihre „glorreiche Karriere“ wegwerfen; auch Mutter Alma war nicht erbaut darüber, dass die Tochter so jung schon so weit gegangen war. Zudem konnte Alma das Lebensmodell „Ehe“ nun wirklich niemandem empfehlen, ging es bei ihr doch gründlich schief. Doch inwiefern die Dickköpfigkeit bei Doris eine Rolle spielte, der Mutter zum Trotz eine Ehe eingehen zu wollen, bleibt fraglich. Spielte bei Doris vielmehr das sexuelle Erwachen und der übermächtige Wunsch, eine eigene, glückliche Familie zu gründen, eine Rolle? Ein Grund, warum die Mutter die Tochter vor der Ehe mit Al Jorden warnte, war sicher, dass Al von Doris verlangte, nach der Hochzeit ihre Karriere aufzugeben72. Es war allerdings nicht weiter ungewöhnlich in den 1940er Jahren, wenn ein Ehemann dies von seiner zukünftigen Frau erwartete, noch dazu in einem so familienfeindlichen Beruf wie dem eines ständig herumreisenden Big Band-Musikers oder einer -Musikerin.

So kam es, dass Doris Day im März 1941 die immer erfolgreicher werdende Les Brown-Band verließ. Die Band hatte gerade ein Engagement in Chicago, um mit ihren Songs am Mike Todd’s Theatre Café das Programm der Stripkünstlerin Gypsy Rose Lee aufzufüllen. Nun schloss die Lücke, die Doris hinterließ, eine noch jüngere Sängerin namens Betty Bonney auf. Mit ihr wurde dann die erste richtige Hitsingle, die man der Band zuschreiben konnte, aufgenommen: Joltin’ Joe Dimaggio. Im Sommer 1941, die USA waren dabei, in den Zweiten Weltkrieg einzutreten, hatte die Band dann die Ehre, Bob Hope regelmäßig zu begleiten, als er auf Tour ging, um die Truppen zu betreuen73.

50 S. 32 Hotchner

51 S. 17 Santopietro

52 S. 18 Kaufman

53 S. 48 Bloom

54 S. 34 Havers

55 S 19 f. Kaufman

56 S. 15 Young

57 S. 22 Kaufman

58 S. 15 Young

59 S. 15 Young

60 So etwas wie: zuverlässig, pünktlich.

61 S. 44 ff. Hotchner

62 S. 46 ff. Hotchner

63 S. 39 Thomey

64 S. 47 f. Hotchner

65 S. 48 Hotchner

66 S. 49 Hotchner

67 S. 51 Hotchner

68 S. 52 Hotchner

69 S. 52 Hotchner

70 Malzmilch

71 S. 26 f. Kaufman

72 S. 29 Kaufman

73 S. 29 Kaufman

3

Love and Marriage

Doris und Al heirateten am 17. April 1941 in der City Hall in New York. Doris trug ein beigefarbenes Kleid an ihrem „großen Tag“. Sie war nun ihrem Traum von der „einzigen Karriere, die ich jemals wirklich gewollt habe“, ganz nahe, nämlich ein Heim und eine Ehe zu haben. Doris nannte sich selbst „a hausfrau at heart“, eine Hausfrau im Herzen. Sie selbst erklärte sich diesen übereilten Heiratswunsch, den niemand in ihrem Umfeld verstehen konnte, so, dass sie sich alleine und einsam gefühlt habe und dass der Ring an ihrem Finger sie an jemanden binde, der sie „wollte und liebte“.74 Der Empfang nach der Zeremonie wurde in einem kleinen Raum im Hotel Edison in Manhattans Theatre District abgehalten.

Das frisch vermählte Paar bewohnte zunächst ein bescheidenes Zwei-Zimmer Apartment im Whitby, einem in den 1920er Jahren erbauten Gebäude, in dem einst Charlie Chaplin und Schlagzeugstar Gene Krupa lebten. Doris empfand ihre neue Umgebung wohl als zu schmuddelig, aber bei einer Freundin der Sauberkeit, wie Doris sie war, konnte man vielleicht noch von einem einiger­maßen vernünftigen Zustand der Räume ausgehen. Diese Bleibe, speziell gedacht für Broadway-Schauspieler, die während der Spielzeit untergebracht werden mussten, war natürlich möbliert, und die erste hausfrauliche Herausforderung für Doris war das Kochen mit zigfach zuvor benutzen Töpfen und Pfannen. Schnell wurde klar: Die Hausfrau in spe hatte selbst eine Vollbluthausfrau als Mutter und bisher gar keine Gelegenheit gehabt, sich am Herd zu beweisen. „Ich hatte nie zuvor eine Mahlzeit gekocht und musste es nun mit einem Kochbuch versuchen“, erinnerte sich Doris Day später an diese Zeit. Das Timing beim Singen fiel ihr leicht, nicht so beim Kochen. Sie habe die Sachen nie gleichzeitig fertigbekommen und sei danach so erledigt gewesen, dass sie nichts davon essen mochte75.

***

Doris war ein gerade voll erblühender Teenager mit sinnlicher Ausstrahlung und Al Jorden ein im Innersten zutiefst zerrissener, unsicherer junger Mann. Schon einen Tag nach der Hochzeit soll es eine schlimme Eifersuchtsszene gegeben haben. Doris begleitete den Band-Manager Billy Burton in sein Büro, um das Hochzeitsgeschenk, ein ledernes Make-up-Köfferchen, in Empfang zu nehmen. Jorden kam ihnen hinterhergeeilt, packte seine Frau am Arm und zog sie zurück zum Whitby. Im Apartment rastete er aus, schlug Doris ins Gesicht, schrie sie an und beschimpfte sie als Flittchen und kleine Hure.

Ganze zwei Monate nach der Hochzeit merkte Doris, dass sie schwanger war; sonst hätte sie Al verlassen76. Es sollte sich herausstellen, dass Doris ihren Ehemann gerade deswegen verlassen musste. Les Brown hatte sie gewarnt, wie schwer das Leben als Ehefrau eines Bandmitglieds sein würde. Er meinte damit die Einsamkeit und Langeweile, denn die Frauen warteten gewöhnlich bis zwei oder drei Uhr morgens auf die Heimkehr ihrer Männer. Doris hoffte, dass es sich bei Als Eifersuchtsanfall um eine einmalige Angelegenheit handelte. Denn es gab für Doris ja auch freudvolle Momente in ihrer Beziehung mit Al – oder war es nur das zeitweilige Fehlen des Schreckens? Sie beschrieb ihn als humor- und liebevoll, und sexuell verstünden sie sich gut.

Das Jekyll-und-Hyde-Spiel ging noch eine Weile so weiter. Al gelobte reuevoll und unter Tränen Besserung. Dann gingen sie irgendwann gemeinsam einkaufen, und sobald Doris mit einem Mann auch nur kurz sprach, verwandelte Al sich geradezu körperlich, bis die Fratze der Eifersucht aus dem attraktiven jungen Mann ein Monster werden ließ. Als Doris ihm mitteilte, dass sie schwanger sei, sagte er kein Wort, begann aber zu weinen. Doris hoffte, dass es ein Ausdruck der Freude sei, wie bei ihr: Ein weiterer Baustein ihres Glücks würde das Kind sein, nach der Hochzeit. Und die Eifersucht, die hätte keinen Platz mehr, wenn erst das Kind da wäre77.