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Dr. Daniel ist eine echte Erfolgsserie. Sie vereint medizinisch hochaktuelle Fälle und menschliche Schicksale, die uns zutiefst bewegen – und einen Arzt, den man sich in seiner Güte und Herzlichkeit zum Freund wünscht. »Weiß dein Onkel eigentlich, was ich Tag für Tag hier leiste?« fragte Dr. Harald Stein und sah seine Verlobte, die junge Anästhesistin Dr. Gabriela Köster, herausfordernd an. Gabriela konnte nur mit Mühe einen Seufzer unterdrücken. Sie liebte Harald von ganzem Herzen, aber sein beinahe schon krankhafter Wunsch nach Anerkennung ging ihr manchmal doch ein wenig auf die Nerven. »Natürlich weiß er es, Harry«, antwortete sie. »Erst heute hat er wieder gesagt, welch ein Glücksgriff er mit dir getan hat. Du bist der beste Chirurg an der ganzen Klinik.« Harald nickte zufrieden. Genau das war es, was er hören wollte. »Dann wird es Zeit, daß er mich zum Chefarzt oder wenigstens zum Oberarzt ernennt«, erklärte er sehr von oben herab. »Sonst könnte es sein, daß ich mir eine andere Klinik suchen muß, wo meine Arbeit mehr gewürdigt wird.« »Harry, das ist doch Unsinn«, wehrte Gabriela fast ein wenig heftig ab. Sie haßte es, wenn er so von sich eingenommen war – vor allem deshalb, weil sie selbst trotz ihrer erstklassigen ärztlichen Fähigkeiten sehr bescheiden geblieben war. »Du weißt genau, daß mein Onkel dich nicht einfach zum Chef der chirurgischen Abteilung ernennen kann. Immerhin ist da noch Dr. Bergen und…« »Er ist alt und macht Fehler«, fiel Harald ihr scharf ins Wort. »Erst gestern wäre ihm beinahe ein Patient auf dem Tisch weggestorben.« »An dem gestrigen Herzstillstand traf Dr. Bergen nicht die geringste Schuld«, entgegnete Gabriela. »Ich selbst war bei diesem Eingriff dabei. Was Dr. Bergen da geleistet hat, war beispielhaft. Nur seiner großen Erfahrung war es zu verdanken,
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Seitenzahl: 132
Veröffentlichungsjahr: 2015
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»Weiß dein Onkel eigentlich, was ich Tag für Tag hier leiste?« fragte Dr. Harald Stein und sah seine Verlobte, die junge Anästhesistin Dr. Gabriela Köster, herausfordernd an.
Gabriela konnte nur mit Mühe einen Seufzer unterdrücken. Sie liebte Harald von ganzem Herzen, aber sein beinahe schon krankhafter Wunsch nach Anerkennung ging ihr manchmal doch ein wenig auf die Nerven.
»Natürlich weiß er es, Harry«, antwortete sie. »Erst heute hat er wieder gesagt, welch ein Glücksgriff er mit dir getan hat. Du bist der beste Chirurg an der ganzen Klinik.«
Harald nickte zufrieden. Genau das war es, was er hören wollte.
»Dann wird es Zeit, daß er mich zum Chefarzt oder wenigstens zum Oberarzt ernennt«, erklärte er sehr von oben herab. »Sonst könnte es sein, daß ich mir eine andere Klinik suchen muß, wo meine Arbeit mehr gewürdigt wird.«
»Harry, das ist doch Unsinn«, wehrte Gabriela fast ein wenig heftig ab. Sie haßte es, wenn er so von sich eingenommen war – vor allem deshalb, weil sie selbst trotz ihrer erstklassigen ärztlichen Fähigkeiten sehr bescheiden geblieben war. »Du weißt genau, daß mein Onkel dich nicht einfach zum Chef der chirurgischen Abteilung ernennen kann. Immerhin ist da noch Dr. Bergen und…«
»Er ist alt und macht Fehler«, fiel Harald ihr scharf ins Wort. »Erst gestern wäre ihm beinahe ein Patient auf dem Tisch weggestorben.«
»An dem gestrigen Herzstillstand traf Dr. Bergen nicht die geringste Schuld«, entgegnete Gabriela. »Ich selbst war bei diesem Eingriff dabei. Was Dr. Bergen da geleistet hat, war beispielhaft. Nur seiner großen Erfahrung war es zu verdanken, daß der Patient erfolgreich wiederbelebt werden konnte.«
Harald wurde abwechselnd rot und weiß vor Zorn. »Willst du damit etwa sagen, daß er mir weggestorben wäre?«
»Ich will damit gar nichts sagen – erst recht nicht das, was du mir gerade unterstellt hast. Ich will nur richtigstellen, daß Dr. Bergen trotz seiner vierundsechzig Jahre ein erstklassiger Chirurg ist, der es nicht verdient, wegen eines jüngeren Arztes von seinem Chefarztposten abgesägt zu werden.«
Vorwurfsvoll sah Harald sie an. »Ich dachte wirklich, du würdest mich lieben, aber wenn du es so siehst…«
»Das alles hat nichts mit meiner Liebe zu dir zu tun«, verwahrte sich Gabriela sofort. »Du weißt genau, daß ich dich liebe, aber…« Sie seufzte. »Ach, Harry, wenn du so bist wie gerade eben, dann… ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll. Irgendwie bist du mir in solchen Augenblicken sehr fremd.«
Harald spürte, daß er sich jetzt auf einer gewagten Gratwanderung befand. Er mußte Gabriela rasch besänftigen, denn schließlich brauchte er sie noch. Daher zwang er sich zu einem liebevollen Lächeln und nahm Gabriela in die Arme.
»Tut mir leid, Gabi«, murmelte er und bemühte sich dabei um einen zerknirschten Ton. »Es ist doch nur, weil ich… nun ja, ich bin jung und möchte eben weiterkommen. Und gerade hier dachte ich… immerhin ist der Direktor der Klinik ja dein Patenonkel.«
»Das allein wäre für ihn kein Grund, dich zum Chefarzt zu machen.« Gabriela lächelte. »Aber keine Angst, Harry, du bekommst deine Chance schon noch. Du bist doch erst dreiunddreißig, und wer weiß? Wenn Dr. Bergen nächstes Jahr in Pension geht, dann…« Sie ließ den Satz bedeutungsvoll offen.
»Tja, ich weiß nicht. Da ist immer noch der Oberarzt, und der ist auch schon ganz spitz auf den Posten«, wandte Harald ein, um zu sehen, wie Gabriela darauf reagieren würde. Er selbst hielt den Oberarzt nämlich für keine ernsthafte Konkurrenz.
»Vielleicht spreche ich mal mit Onkel Toni«, schlug Gabriela vor. »Allerdings glaube ich, daß du gute Chancen hast, den Chefarztposten nächstes Jahr zu bekommen. Wie gesagt, Onkel Toni sieht in dir seinen besten Chirurgen.«
Trotz dieser sehr beruhigenden Aussichten überlegte Harald schon, wie er sich diesen erstrebenswerten Posten wirklich sichern könnte.
Wenn ich Gabi heiraten würde… noch in diesem Jahr, dachte er. Immerhin wäre ich dann mit dem guten Onkelchen verwandt… irgendwie jedenfalls. Und dann könnte er gar nicht anders, als mich zum Chefarzt machen.
*
»Oh, Harry, Liebling, ich bin einfach verrückt nach dir.«
Mit einem fast überheblichen Lächeln sah Harald die wunderschöne, aber ansonsten recht geistlose Frau neben sich an.
»Ich weiß, Bienchen«, entgegnete er selbstgefällig. »Du hast mit mir auch einen guten Griff getan. Immerhin werde ich wohl in Kürze Chefarzt der chirurgischen Abteilung sein, und dann werden wir beide ein Leben wie Gott in Frankreich führen. Weißt du, was ich als Chefarzt für ein Gehalt bekommen werde?«
Erwartungsvoll sah Sabine Götz ihren Liebhaber an, doch Harald schwieg sich über die Höhe seines zu erwartenden Gehalts natürlich aus. Schließlich wäre er ganz schön dumm gewesen, hätte er diesem einfältigen Mädchen alles gesagt. Sie war für ihn ein reizendes Betthäschen – mehr nicht.
»Werden wir dann auch endlich heiraten?« fragte Sabine hoffnungsvoll.
Da wurde Haralds Gesicht sofort abweisend. »Du bist wohl verrückt geworden? Was hätte ich davon, wenn ich dich heiraten würde?«
Sabine verzog ihren Schmollmund, als würde sie gleich anfangen zu weinen.
»Aber, Harry…«, brachte sie mühsam hervor. »Wir lieben uns doch.«
Harald bemühte sich um einen sanfteren Ton, denn schließlich wollte er Sabine ja nicht vergraulen. »Natürlich, Bienchen, und genau deshalb muß ich eine Frau
heiraten, die uns beiden diesen
hohen Lebensstandard, von dem wir träumen, auch finanzieren kann.«
Sabine dachte über seine Worte nach und machte dabei kein sehr intelligentes Gesicht, trotzdem war sie immer noch schön, was für Harald der untrügliche Beweis war, daß man im Leben eben nicht alles haben konnte. Schönheit und Intelligenz ließen sich scheinbar nicht vereinigen – außer bei ihm. Harald hielt sich selbst nämlich nicht nur für ausgesprochen gutaussehend, sondern auch für hochintelligent. Nur deshalb war es ihm auch vergönnt, eine kluge und gewandte Frau wie Gabriela Köster zu bekommen und gleichzeitig eine perfekte und bildschöne Geliebte wie Sabine zu haben.
»Aber wenn du diese andere Frau heiratest…«, begann Sabine, doch Harald fiel ihr sanft ins Wort.
»Bienchen, ich heirate Gabriela Köster nur, weil ihrem Patenonkel die Klinik gehört, in der ich arbeite. Und wenn Onkelchen einmal den Löffel abgibt, dann wird die liebe Gabi die Klinik erben. Das bedeutet, daß ich dann nicht nur Chefarzt, sondern vielleicht auch Klinikdirektor sein werde.«
»Und ich?« fragte Sabine in ihrer kindlich-naiven Art.
Da streichelte Harald mit einem Finger über ihre Wange. »Du wirst mein süßes Häschen sein, das mich tröstet und liebhat, wenn ich müde bin von der Arbeit und meine ungeliebte Frau satt habe.«
Da strahlte Sabine. »Ja, Harry, das ist fein!« Dann küßte sie ihn, und nun war von ihrer Naivität nichts mehr zu spüren. Sie war für Haralds Zwecke wirklich perfekt, und daß sie die Klugheit nicht gerade mit Löffeln gegessen hatte, war für ihn nur gut.
*
Gabriela Köster wollte die Klinik ihres Onkels gerade verlassen, als sie von Harald zurückgehalten wurde.
»Gut, daß ich dich sehe, Liebes«, erklärte er hastig. »Ich muß noch mal in den OP. Ein Notfall. Wärst du wohl so lieb, meinen Anzug aus der Reinigung zu holen? Ich habe sonst keine Gelegenheit mehr dazu, und morgen ist doch schon der große Empfang.«
Gabriela gab ihm einen zärtlichen Kuß. »Geht in Ordnung, Harry.« Sie lächelte. »Schließlich will ich doch auch, daß du morgen gut aussiehst. Der Abend könnte für deine weitere Karriere ja ganz entscheidend sein.«
Harald nickte knapp. »Und ob!« Dann küßte er Gabriela flüchtig. »Du bist ein Schatz, Gabi. Wir sehen uns nachher noch, ja?«
Gabriela sah ihm nach, wie er zum Operationssaal eilte, und dabei wurde ihr wieder einmal bewußt, daß sie es mit Harald gut getroffen hatte. Wenn er auch manchmal sehr von sich eingenommen war, so war er doch ein zärtlicher und liebevoller Mann, an dessen Seite sie bestimmt sehr glücklich werden würde.
Beschwingt trat sie zu ihrem Auto, stieg ein und steuerte dann die Reinigung an, in die Harald seinen Anzug gebracht hatte. Die Besitzerin kannte Gabriela.
»Guten Tag, Frau Doktor«, grüßte sie freundlich. »Sie wollen sicher den Anzug Ihres Verlobten abholen.«
Gabriela lächelte. »Ja, Frau Gerstle. Er ist doch hoffentlich fertig.«
»Selbstverständlich«, bekräftigte Helga Gerstle, dann ging sie nach hinten, um das edle Stück zu holen. »Der Herr Doktor hatte sein Feuerzeug in der Jackettasche vergessen. Ich habe es in ein Tütchen gesteckt und vorsichtig dazwischengelegt.«
Gabriela nickte. »Das ist nett, Frau Gerstle, vielen Dank.« Sie bezahlte, verabschiedete sich von der freundlichen Frau und verließ die Reinigung.
Zu Hause hängte sie Haralds Anzug sorgfältig auf, dann holte sie das besagte Feuerzeug aus der Papiertüte und wollte es gerade wieder in die Anzugtasche stecken, als ihr die zarte Gravur auffiel.
Meinem Liebling zum 40. Geburtstag. Bienchen, las sie, dann runzelte sie die Stirn. Das konnte doch nur eine Verwechslung sein. Nachdenklich drehte Gabriela das Feuerzeug hin und her. Sie konnte sich nicht erinnern, es jemals in Haralds Hand gesehen zu haben.
»Sicher ein Irrtum von Frau Gerstle«, murmelte Gabriela, dann legte sie das Feuerzeug auf den Tisch. Sie würde es morgen zurückbringen, damit der rechtmäßige Besitzer es wiederbekommen würde.
Gabriela schenkte dem Feuerzeug keine Beachtung mehr, dafür stach es Harald gleich ins Auge, als er das Wohnzimmer betrat.
»Wie kommt das denn hierher?« entfuhr es ihm. Im selben Moment wußte er, daß er sich mit dieser Frage verraten hatte.
Mit großen Augen sah Gabriela ihn an. »Harry, was soll das heißen? Wem gehört dieses Feuerzeug?«
»Ich… äh, ich weiß es nicht«, versuchte sich Harald herauszuwinden, doch sein Erröten bewies, daß er log. »Ich habe es gefunden und wollte es zum Fundbüro bringen, aber…«
»Das ist nicht wahr!« fiel Gabriela ihm ins Wort. »Sei ehrlich, Harry, wer ist ›Bienchen‹?«
Harald seufzte. »Also schön, Gabi. Wir hatten vor ein paar Monaten eine Patientin, die… nun ja, sie hatte eben ein Auge auf mich geworfen. Irgendwie hat sie herausbekommen, wann ich Geburtstag habe, und…« Er zuckte die Schultern. »sie hat mir dieses Feuerzeug eben geschenkt…«
»Mit der Gravur Meinem Liebling?« entgegnete Gabriela, dann schüttelte sie den Kopf. »Sag mal, Harry, für wie dumm hältst du mich eigentlich?« Angewidert sah sie von ihm zu dem Feuerzeug, das beinahe drohend zwischen ihnen lag. »Ich hielt es schon für einen Irrtum… ich dachte, Frau Gerstle wäre wohl ein Versehen unterlaufen, doch jetzt… du betrügst mich also. Und das sogar schon vor der Ehe.« Abrupt wandte sie ihm den Rücken zu. »Geh, Harry!«
»Aber, Liebes, das ist doch nichts von Bedeutung!« Harald versuchte zu retten, was noch zu retten war. »Es war… na ja, sie himmelte mich so an, und ich… ich bin doch auch nur ein Mann.« Er wollte Gabriela in die Arme nehmen, doch sie entwand sich ihm. »Es war ein kurzes Abenteuer, Gabi, aber du bist doch die einzige Frau, die ich wirklich liebe!«
Da drehte sich Gabriela zu ihm um. Der Ausdruck ihrer sonst so warmen, dunklen Augen war kalt.
»Ich habe dir am Anfang unserer Beziehung bereits gesagt, daß ich dir alles verzeihen könnte – nur einen Seitensprung nicht«, erklärte sie eisig. »Das gilt auch heute noch.« Sie streifte ihren Verlobungsring ab. »Gleichgültig, was zwischen dir und dieser Frau vorgefallen ist, oder noch immer besteht – mit uns beiden ist es jedenfalls aus.«
Entsetzt starrte Harald sie an. Gabriela selbst war ihm ja vollkommen gleichgültig, nicht jedoch der Reichtum, der hinter ihr stand.
»Gabi, das ist doch nicht dein Ernst!« rief er, und seine Stimme überschlug sich dabei.
Gabriela hielt seinem Blick stand, und ihr verschlossener Gesichtsausdruck gab nicht preis, wie sehr ihr Herz in Wahrheit blutete.
»Doch, Harry, es ist sogar mein voller Ernst«, entgegnete sie. »Und jetzt verlaß meine Wohnung.« Sie wies auf das Feuerzeug. »Das hier und deinen Anzug kannst du gleich mitnehmen. Alles andere, was noch von dir so herumliegt, holst du bitte, wenn ich nicht zu Hause bin. Außer auf beruflicher Ebene will ich dir nicht mehr begegnen.«
*
Frau Dr. Erika Metzler, die Anästhesistin der Waldsee-Klinik und Ehefrau des dortigen Chefarztes, war zum Umfallen müde, als sie aus dem Dienst nach Hause kam. Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich auf das gemütliche Sofa im Wohnzimmer sinken. Schon seit ein paar Wochen fühlte sie sich völlig ausgelaugt.
Sie warf einen prüfenden Blick auf ihre Armbanduhr. Es wäre im Moment noch früh genug, um Dr. Daniels Praxis aufzusuchen. Mit ihrem Mann konnte sie vor acht Uhr abends ohnehin nicht rechnen. Als sie vorhin kurz mit ihm gesprochen hatte, hatte er gemeint, daß er bestimmt noch ein paar Stunden in der Klinik festsitzen würde.
Erika seufzte noch einmal, dann stand sie entschlossen auf und verließ das kleine Vorgebirgshäuschen, das sie und Wolfgang seit ihrer Eheschließung bewohnten. Die Luft war kühl, trotzdem ließ Erika das Auto in der Garage stehen und ging den knappen halben Kilometer bis zu Dr. Daniels Praxis zu Fuß. Der zum Schluß doch recht steile Weg, der zu der stattlichen weißen Villa hinaufführte, brachte Erika zum Keuchen, und so mußte sie erst ein paar Minuten verschnaufen, bevor sie die letzten Meter zurücklegen konnte. Dann stand sie endlich vor der schweren eichenen Eingangstür.
Dr. Robert Daniel, Arzt für Gynäkologie stand auf dem großen Messingschild, und darunter waren die Sprechzeiten verzeichnet. Erika zögerte noch einen Moment, dann drückte sie auf den Klingelknopf neben dem Schildchen Praxis. Mit einem dezenten Summen sprang die schwere Eichentür auf, und Erika gelangte in ein modern eingerichtetes Vorzimmer, wo ihr die junge Empfangsdame Gabi Meindl mit einem freundlichen Lächeln entgegensah.
»Guten Tag, Frau Doktor«, grüßte sie höflich. »Sie wollen den Chef hoffentlich nicht in die Waldsee-Klinik entführen. Wir brauchen ihn hier in der Praxis nämlich auch dringend.«
Erika lächelte. »Das kann ich mir schon vorstellen, Fräulein Meindl.« Sie schwieg einen Moment. »Ist Dr. Daniel gerade sehr beschäftigt? Ich wollte ihn eigentlich nur kurz sprechen.«
»Nun ja, im Wartezimmer sitzen noch vier Patientinnen«, entgegnete Gabi. »Eine knappe Stunde wird’s also schon dauern. Könnten Sie so lange warten?«
Erika nickte. »Selbstverständlich, Fräulein Meindl.« Und dabei wußte sie die Freundlichkeit der Empfangsdame durchaus zu schätzen, denn normalerweise war Gabi Meindl nicht sehr erfreut, wenn Patientinnen unangemeldet in die Praxis kamen, aber bei der netten Anästhesistin drückte sie natürlich gern ein Auge zu.
Jetzt betrat Erika das ausgesprochen wohnlich eingerichtete Wartezimmer und setzte sich so hin, daß sie durch das Fenster den majestätischen Kreuzberg sehen konnte. Sie war so verzaubert von diesem Anblick, daß sie gar nicht merkte, wie die Zeit verging. Daher sah sie überrascht und fast ein bißchen erschrocken hoch, als sie von der Sprechstundenhilfe Sarina von Gehrau aufgerufen wurde.
»Erika, das ist aber eine Überraschung«, meinte Dr. Daniel und kam ihr mit einem herzlichen Lächeln entgegen, dann betrachtete er sie genauer. »Sie sehen ziemlich blaß aus. Fühlen Sie sich nicht wohl?«
Erika seufzte. »Ja und nein. Ach, Robert, ich weiß selbst nicht, was zur Zeit mit mir los ist. Ich bin ständig müde, habe keinen Appetit, und seit ein paar Tagen machen mir auch noch Kreislaufprobleme zu schaffen.«
»Haben Sie mit Wolfgang schon darüber gesprochen?«
Erika schüttelte den Kopf. »Er hat doch ohnehin so viel um die Ohren. Außerdem…« Sie zuckte die Schultern. »Vielleicht vergeht es ja auch von allein wieder.«
»Daran glauben Sie ja wohl selbst nicht«, meinte Dr. Daniel. »Sonst wären Sie sicher nicht zu mir gekommen.« Er überlegte kurz. »Am besten wird es wohl sein, wenn ich als erstes eine Blutuntersuchung vornehme. Vielleicht ergibt sich dabei ja schon etwas Aufschlußreiches.« Wieder schwieg er einen Moment. »Wenn Sie einverstanden sind, könnten wir die Auswertung von Gerrit machen lassen, dann würden wir das Ergebnis nämlich heute noch bekommen. Und er müßte ja nicht unbedingt erfahren, von wem die Blutprobe ist.«
Erika zögerte einen Augenblick, dann nickte sie. »Einverstanden.«
Dr. Daniel hob den Telefonhörer ab, wählte die Nummer der Waldsee-Klinik und ließ sich dann mit dem Oberarzt Dr. Scheibler verbinden.
»Hallo, Gerrit, hier ist Robert«, gab sich Dr. Daniel zu erkennen. »Stehen Sie gerade sehr im Streß?«
»Nicht mehr als sonst«, meinte Dr. Scheibler, und an seiner Stimme erkannte Dr. Daniel, daß er lächelte. »Worum geht’s denn?«
»Ich habe hier eine Blutprobe, die dringend auszuwerten wäre. Nichts Außergewöhnliches, nur so das Übliche. Würden Sie das heute noch schaffen?«