Dr. Junkie - Berlin im Rausch - Stefan Schweizer - E-Book

Dr. Junkie - Berlin im Rausch E-Book

Stefan Schweizer

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Beschreibung

DIE SERIE: Sie existieren seit Beginn der Menschheit und prägen das Leben bis heute. Drogen versprechen das Paradies, sie zeigen dir den Himmel, sie lassen dich nie mehr los. Doch was passiert, wenn ein unbescholtener Bürger in den Szenesumpf der Drogenhauptstadt Nummer 1 – Berlin – abgleitet und keinen Halt mehr findet? Wenn er unfreiwillig gemeinsam mit seiner Tochter eine Drogenerfahrung nach der anderen sammelt? Wenn er Heim, Familie und Beruf wegen der Sucht verliert und auf der Straße landet? Wenn er nur noch den nächsten paar Euros hinterher jagt für den nächsten Kick? "Dr. Junkie" zieht dich rein, saugt dich auf, zeigt dir die Urgewalt von Substanzen, die mehr versprechen als einen Rausch: Sie öffnen dir neue Horizonte, sie packen dich und dein Leben, sie nehmen Besitz von dir und deinem Kopf, sie krempeln dich um, treiben dich zur Ektase und reißen dich mit … Sie rauben deine alte Identität und schenken neues Leben. Sie geben dir alles, ohne dafür etwas zu verlangen. Sie ersetzen deine Liebsten, irdische Bedürfnisse und befreien dich von bürgerlichen Zwängen. Sie werden deine Familie, dein Schloss und dein Lamborghini, obwohl du nur die nächste Line oder das nächste Blech im Kopf hast. Dr. Junkie geht wie eine Nadel unter die Haut und beschreibt schonungslos den Weg eines Arzts hinauf in den Himmel der Drogen und hinab zur Hölle der Straße. Gibt es für Dr. Junkie einen Weg zurück ins normale Leben oder führt ihn sein mit Drogen gepflasterter Weg direkt ins Grab? BAND 1 Psychopharmaka und Alkohol: Dr. Paul D. Straff hat es geschafft: Endlich ist seine lang ersehnte Hausarztpraxis in Potsdam eröffnet. Alles könnte so schön sein, doch genau da knallt es: hohe Schulden, Eheprobleme mit Christine und seine pubertierende Tochter Hygieia hat ihren ersten Freund, Mika, mit dem sie auf Klassenfahrt Wodka trinkt, auf dem Bassinplatz kifft und sich dabei von der Polizei erwischen lässt. Zu viel für Paul. Der Druck, die Familie zusammenzuhalten, wächst. Er greift zu Benzodiazepinen, um zu funktionieren. Es geht eine Weile gut, doch schnell braucht er mehr ...

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Stefan Schweizer

Dr. Junkie–Berlin im Rausch

Band 1:Psychopharmaka und Alkohol

eISBN 978-3-911008-03-7

Copyright © 2024 mainbook Verlag

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Gerd Fischer

Coverdesign und Umschlaggestaltung: Florin Sayer-Gabor – www.100covers4you.de unter Verwendung von Grafiken von iStock: josefkube

Illustration ‚Dr. Junkie‘: Lukas Hüttner

Auf der Verlagshomepage finden Sie weitere spannende Bücher: www.mainbook.de

Inhalt

Autor Stefan Schweizer

Prolog

Das Paradies auf Erden.

Mittwoch, 1. Februar 2023

Montag, 13. Februar 2023

Sonntag, 26. Februar 2023

11. März 2023

27. März 2023

31.3. 2023

31.3. 2023

2.4. 2023

Autor Stefan Schweizer

Stefan Schweizer studierte, promovierte und lehrte an der Universität Stuttgart. Er lebt im Speckgürtel der Bundeshauptstadt, bewegt sich gerne in fremden Kulturen, in exotischen subkulturellen Milieus und ist Grenzgänger zwischen den Scenes.

Veröffentlichungen (Auswahl): „Seitenwende“ (gemeinsam mit Gerd Fischer, mainbook 2023), Thriller-Trilogie „Götterdämmerung“, „Siegfried“ und „WalhallaX“ (gemeinsam mit Autor Michael Seitz, mainbook 2021-2023), „Mörderklima“ (Klimawandel-Krimi, mainbook, 2020), „50 Jahre RAF“ (Südwestbuch, 2019), „Goldener Schuss“ (Gmeiner, 2015).

Prolog

Dezember 2025

Paul sitzt frierend auf dem Boden. Er zittert wie altes Espenlaub im Herbstwind. Er ist müde. Er kann nicht mehr. Zugleich tobt in seinem Inneren ein Kampf, der sich kaum mit Worten beschreiben lässt. Er fühlt sich wie die alte Hure Babylon, da er sich für immer einer Sache verschrieben hat, die sein Leben bis in die letzte Faser seines Körpers bestimmt. Die ganze DNA, sein Wesen und seine Seele sind nur noch auf diesen einen Götzen ausgerichtet. Hätte er Zeit und Geld, er würde ihm den prächtigsten Tempel mitten in Berlin errichten und alle Anhänger dieses Glaubens zu einer gigantischen Feier einladen. Doch das sind Fantasien, also huldigt er ihm täglich voller Inbrunst in seiner eigenen Innerlichkeit, unabhängig davon, ob sein neuer Gott für ihn da ist oder nicht. Sein Vorhandensein wie seine Abwesenheit bestimmen sein Leben gleichermaßen.

Er lungert mit seiner neuen Bekanntschaft direkt vor dem Bahnhof Zoologischer Garten herum. An diesem Ort hat sich der Charme vergangener Tage verflüchtigt. Der Bahnhof Zoo hat seine frühere Bedeutung verloren, ist nur noch eine Haltestelle mehr auf dem Weg in die Stadtmitte oder in die westlichen Randbezirke der Bundeshauptstadt. Es ist frisch. Kalt. Arschkalt. Die innere Kälte ist aber die schlimmste. Der Wind pfeift schnittig auch in die allerletzten Ritzen. Die beiden Männer sitzen auf einem Gitterrost, nur eine dünne Decke unter ihnen, die sie vorhin aus einer Mülltonne gerettet haben. Die Flecken auf der Decke ergeben ein eigenes, abgefahrenes Muster. Paul und Rolf kennen sich erst seit zwei Stunden. Dennoch kommt ihm Rolf wie sein bester Freund vor, mit dem er schon seit Jahr und Tag abhängt. Diese beiden Menschen verbindet etwas, das stärker ist als alle anderen menschlichen Emotionen. Etwas, das beinahe genauso alt ist wie die Menschheit. Die Sehnsucht des Menschen nach Rausch.

Die anonymen Passanten auf dem Hardenbergplatz eilen geschäftig an ihnen vorbei, die meisten gehen in das Bahnhofsgebäude hinein. Aber auch aus der Station strömen Menschen beinahe ohne Unterlass heraus. Paul nimmt nur noch Silhouetten wahr. Auch die Umrisse des Waldorf Astoria, die in den grauen Westberliner Himmel ragen. Keines der Gesichter nimmt Gestalt an. Sein Scheuklappenblick, den er seit Längerem nicht mehr ablegen kann, verhindert es. Menschen sind ihm inzwischen egal. Sein Leben dreht sich nur noch um diese eine Sache. Ein einziges Ding, das noch zählt. Und dennoch fühlt er sich nicht verloren, sondern geborgen und geliebt, wie nur Jesus lieben und geliebt werden konnte. Aber nur, solange es keinen Mangel an dem Manna gibt. Noch hat er die Gelegenheit zurückzukehren und aufzuhören, falls er das tatsächlich möchte. Für ihn ist das keine Frage: Er spielt mit dem Mat und nicht umgekehrt. Zumindest glaubt er das, ebenso, wie es Millionen von Überdosierten vor ihm bereits getan haben.

Große Regentropfen fallen aus dem grauen Berliner Himmel und werden kurz vor dem Aufprall auf die Erde zu dicken Schneeflocken. Berlin im Spätherbst, da ist nicht nur leichte Melancholie, sondern heavy Blues angesagt.

Manche Menschen werfen den modernen Wegelagerern im Vorbeihuschen einen schnellen Blick zu. Mit dabei sind: Mitleid, Ekel und Gleichgültigkeit. Immer wieder diese schwer zu ertragende Gleichgültigkeit, eine unendliche Gefühlskälte. Kein Wunder. Paul und sein Kumpan sehen wie zwei Gestalten aus, die gerade der Kloake entstiegen sind. Das letzte Mal hat er sich vor Tagen oder vielleicht sogar Wochen geduscht und frische Kleidung angezogen, so genau führt er in dieser Sache kein Buch mehr. Was für ihn vollkommen nebensächlich ist. Macht ihn das zu einem anderen Menschen? Er kann ein Zittern am ganzen Körper nicht unterdrücken.

Zweihundert Meter entfernt von ihnen stehen drei uniformierte Bundespolizisten unter dem Bahnhofsvordach. Sie trinken Kaffee, rauchen Filterzigaretten, essen Plunderstücke vom Bio Discounter und reißen politisch unkorrekte Witze. Vielleicht gründen sie gerade eine neue Chatgruppe, in der sie über Abschaum wie ihn ablästern und darüber mutmaßen, wie und wo sie ihn am besten entsorgen könnten. Sie fühlen sich überlegen, das ist nicht zu übersehen. Was aber wirklich zählt: Sie schenken ihm und seinem Kumpanen keine Beachtung. Was gut ist. Denn Paul explodiert beinahe. Er kann die Hand nicht mehr gerade ausstrecken, ohne einen Tremor zu kriegen, der es in sich hat. Schmerzen am ganzen Körper in unvorstellbarem Maße erfassen ihn immer wieder. Im Kopf zieht und drückt es allerorten. Da ist ein Brett drin, das sich in alle Richtungen ausbreitet. Die Nase läuft ohne Unterlass, inzwischen hat er aufgehört, sich alle paar Sekunden den Rotz wegzuwischen. Aus den Augen trieft in einem fort Flüssigkeit. Sein Magen ist in Aufruhr wie ein Vulkan kurz vor der Eruption. Dabei war er heute schon einige Male auf der Toilette, aber immer nur mit einem dünnen Rinnsal als Resultat. Kein Wunder, denn er kriegt seit Tagen kaum mehr einen Happen runter, wirklich nur das Allernötigste und wenn es sein muss, auch frisch aus der Mülltonne. So einen Durchfall hatte er nicht einmal bei einer der wenigen, heftigen Magen-Darm-Erkrankungen in seinem vorigen Leben. Die Eingeweide ziehen sich wie eine Naturgewalt zusammen, und er spürt jedes einzelne Organ. Das sind unsägliche Schmerzen. Es ist, als kehre sich das Innere seines Körpers nach außen. Sein Ich ist in Auflösung begriffen. Nur sein Zaubermittel kann diese Dissoziation stoppen. Ohne es ist er aber gnadenlos verloren. Das Schlimme daran ist die Psyche und ihr Bewusstsein dieses absolute Ausgeliefertseins. Wenn es eine Hölle auf Erden gibt, dann diese hier. Mangel, der existenziell ist.

„Setz dich vor mich hin“, meint Rolf. „Dann sehen uns die Typen nicht.“

Paul versucht den Anweisungen Folge zu leisten, obwohl sein Körper beinahe vollständig streikt. Jede Veränderung der Muskeln löst bei ihm höchstes körperliches Unbehagen aus. Furchtbare Schmerzen. Ein Ziehen, wie er es noch nie erlebt hat. Die Ohren rauschen und hallen, als lauschten sie in die einsame Kälte des Universums. Es fühlt sich hundertmal schlimmer als jede Horror Grippe an.

„Ein wenig nach rechts“, dirigiert ihn sein neuer Freund.

Eine Frau mit grauem Kostüm und weißem Regenmantel mustert Paul eingehend. Zieht irritiert die rechte Augenbraue hoch. Sie erinnert ihn entfernt an seine ehemalige Mitarbeiterin, und er hält ihr sitzend die offene Hand entgegen – bitte, bitte, bitte … Aber sie geht einfach weiter, zieht die Tür auf und ist bereits im Bahnhofsgebäude verschwunden. Wäre auch zu schön gewesen, wenn sie ihm etwas Geld gegeben hätte. Kohle für die nächste Nase oder das Blech, was beides folgt, so sicher wie der Tag auf die Nacht folgt, nur der Zeitpunkt dafür unterliegt keiner Gesetzmäßigkeit.

Kugeln mit Äitsch gibt es erst ab zehn Euro. Ein Betrag, den niemand, der nicht gerade im Lotto gewonnen hat oder einen gigantischen Schuldkomplex mit sich rumträgt, ohne Gegenleistung verschenkt. Doch die Zeit, seinen Körper zu verkaufen, um damit Geld zu machen und dieses in Drogen umzutauschen, ist vorbei. Für ihn gibt es nicht einmal mehr wenige Cents, da mag der Freier verzweifelt sein, wie er will, denn Berlin ist Berlin und Berlin hat alles im Überfluss. Auch Körper, die man kaufen kann. Schöne, junge und unverbrauchte. Gewisse Typen stehen auf den Kontakt mit Junkies und lieben den Schmuddel-Sex, aber selbst in dieses Beuteraster der Freier fällt Paul nicht mehr.

„Beeil dich“, fordert er Rolf auf, der aufgrund seiner Gewohnheiten auch Spritzen Rolli genannt wird. „Ich kann nicht mehr warten, Mann …“

Spitznamen sind in der Szene wichtig. Umso bedauerlicher ist es, dass Paul immer noch Paul ist, manchmal auf Berlinerisch Paule, nie mehr, aber er hat alle anderen Vorschläge für einen Szenennamen kategorisch abgelehnt. Und seinen zweiten Vornamen, der eine geniale Vorlage für alle erdenklichen Drogenkosenamen liefern würde, meidet er wohlweislich, wie der Teufel das Weihwasser, denn das würde Erinnerungsschübe auslösen, die er nur mit noch mehr Drogen unterdrücken könnte.

Paul hat in seinem paranoiden Zustand den Eindruck, die Polizisten haben Augen, die im 360° Radius sehen können.

Röntgenaugen.

Dabei sind das auch nur Menschen, so wie du und ich. Spritzen Rolli antwortet auf die Aufforderung zur Eile mit einem unvergleichlichen, für Junkies typischen Zischgeräusch, indem er den Rotz und Speichel zwischen den wenig verbliebenen Zähnen und eingefallenen Wangentaschen hin und her schleudert. Gerade waren sie noch glücklich über den gelungenen Kauf und jetzt, mit dem Mat auf Tasche, geht der Stress erst richtig los. Um sich einen geschützten und sicheren Platz zu suchen, hatten sie keine Zeit mehr. Der Suchtdruck ist zu groß. Das Monster frisst beide von innen auf. Der Affe auf ihrer Schulter martert sie mit jeder Sekunde stärker.

Rolf ist mehr als am Ende. Das kommt von der beschissenen Ballerei, also wenn eine Fixe die nächste jagt und so weiter und so fort, bis es irgendwann nicht mehr geht und die Organe kollektiv kollabieren. Intravenöser Konsum verwichst noch mehr als alles andere, da ist sich Paul sicher. Am schlimmsten ist aber nicht das Heroin, oh nein, mit gutem Heroin und keinen anderen schlechten Angewohnheiten kann man 90 Jahre alt werden. Es ist die schlechte Qualität des Mats, die die Leute sterben lässt wie Fliegen. Die sogenannte Shore, das Heroin des kleinen Mannes. Drei Prozent, vier Prozent Heroin, vielleicht sogar fünf, wenn es hochkommt, der Rest ist … was auch immer. Eine bunte Mischung aus Babyabführmittel, Strychnin, Neuroleptika, Antidepressiva und anderem Scheiß. Eigentlich ein Wunder, dass so etwas überhaupt konsumiert wird, aber sobald der Entzug eintritt, würden die Junkies sogar ihre eigene Scheiße fixen, solange noch ein Krümel Äitsch drin ist und sie sich eine winzige Wirkung davon versprechen.

Intravenöser Konsum bedeutet nicht nur Endstation, sondern er ist der finale Akt des Endes. Keine Klimax mehr, sondern nur noch der freie Fall. Danach ist alles vorbei. Eine kleine Gnadenfrist und dann kommt der Exitus.

Zum Glück hat Paul diese Grenze bisher nie überschritten. Das Zeug fesselt ihn ohnehin mehr als der stärkste Sekundenkleber der Welt. Wenn er bei der Letzten Generation mitmachen würde, würde er sich mit gutem Heroin am Boden festkleben und dann den Polizisten viel Spaß beim Wegtragen wünschen. Gutes Heroin macht dich so platt, dass du die Erdanziehung in jeder Faser deines Körpers spürst. Er weiß ganz genau: Einmal intravenös und er wird unweigerlich für immer dem Stoff verfallen sein, wenn er es jetzt schon nicht ist, wovon er nicht ausgeht. Beim Fixen aber gibt es kein Zurück mehr, das ist die Einbahnstraße, die direkt in den offenen Sarg führt, um den er bisher herumtänzelt.

Er versucht den Kopf herumzudrehen, um zu sehen, wie weit Rolf mit den Vorbereitungen gediehen ist, aber seine Muskeln streiken. Die winzige Kopfdrehung, die ihm möglich ist, verursacht Schmerzen, wie er sie in seinem Leben noch nie gekannt hat. Er könnte einfach kotzen. Ihm ist so furchtbar schlecht. Die Eingeweide krampfen sich immer wieder aufs Neue zusammen. An der bekannten Berliner Pommes Bude Curry 36 stehen drei Typen, die ungeniert zu ihnen herüberschauen. Entweder sind Paul und Spritzen Rolli für sie Trash Reality TV von RTL 2 live, das sie zum Nulltarif genießen dürfen, oder es sind zivile Greifer. Für Paul heißt es jetzt nur, setz doch einen Haufen drauf. Sollen sie kommen, wenn sie was wollen. Er muss jetzt sein Zeug kriegen, koste es, was es wolle. Er wirft hastig einen schnellen Blick in die Richtung der arabischen Risa Hähnchen Bude auf der anderen Straßenseite hinüber. Alles okay dort – safe. Nur Mustafa mit Ayshe, die sich den Bauch mit arabischem Fast Food vollgestopft haben und sich nun müde, aber glücklich auf den Heimweg machen. Das Leben kann einfach sein.

„Pass auf!“, fordert er Rolf auf, denn jede Komplikation mit den Polizisten oder DB Security Leuten verlängert sein Leiden ins Unendliche, was nicht passieren darf, sonst dreht er durch und glaubt, augenblicklich zu sterben. „Die beobachten uns. Mach schnell!“

Statt einer Antwort hört er lediglich einen Seufzer der Erleichterung, der im himmlischen Paradies nicht wohliger ausfallen könnte. Paul schafft es, sich umzudrehen. Spritzen Rolli hat den Stempel der Fixe ganz durchgedrückt. Die Spritze baumelt noch in seiner Vene und steckt in seinem eigenen Fleisch. Er verdreht wohlig die Augen und gibt seltsame Geräusche von sich. Allein seinem Drogenbruder zuzuschauen, verschafft Paul beinahe Linderung. Seinen Mund hat Rolf zu einem diabolischen Grinsen verzogen. Wenn so die Hölle aussieht, möchte Paul dort sofort einziehen. Durch die massiven Veränderungen der Gesichtsmuskeln platzen Rollis Verschorfungen auf und er blutet, besonders unter dem rechten Auge. Was ihn nicht im Geringsten juckt. Er hat sich den dringend nötigen Affentöter verpasst, aber Pauls Affe wütet nach wie vor wie ein Orang-Utan auf einer Überdosis vom feinsten Crystal Meth. Das ist nicht zum Lachen, sondern todernst.

„Zieh schnell die Pumpe raus, das fällt doch jedem Depp auf!“, mahnt er ihn zur Eile und Vorsicht. „Mach hin! Ich brauch jetzt meine Line.“

Paul bemüht sich so gut es geht, nicht in Panik zu verfallen, dennoch muss er seinem Kumpanen Beine machen. Auf offensichtliche Aussetzer warten diese Aufpasser der Gesellschaft doch nur, dann kassieren sie einen sofort ein und legen die Acht an. Ab zur Sammelstelle und wenn es doof läuft, sogar zum Haftrichter – ohne festen Wohnsitz experimentiert man auf diesem Gebiet nicht herum. Nein, danke.

Paul fleht die Erlösung innerlich herbei. Es ist ihm unmöglich, einen Gedanken für mehr als drei Sekunden festzuhalten. Rolf bindet sich ab und entfernt in Super Slow Motion die Spritze. Für ihn ist es gut gelaufen. Er ist fein raus. Gut, er hat auch zwei Euro fünfzig mehr in den Einkauf investiert, also ist es in Ordnung, wenn er zuerst drankommt. Auf der Straße herrschen klare Regeln. Da herrscht keine Anarchie, wie häufig vermutet wird. Das Gesetz der Metropolenstraße ist nämlich rigoroser als die bürgerlichen Gesetze. Außerdem hängt Rolf bereits seit zwei Jahrzehnten an der Fixe, während Paul immer noch lediglich Nase zieht oder Blech raucht.

Brown sugar.

Wild horses.

Braunes.

H.

Das Paradies auf Erden.

Das Beste, das es überhaupt gibt, es sei denn, Gott hat etwas Besseres für sich zurückbehalten.

Es bedeutet die Erlösung. Dinge, die ihm früher fremd waren, wie Sadomasochismus oder Cyber Sex. Der gigantische Affe, den er gerade schiebt, und der höhnisch auf seiner Schulter sitzt und auf seinen Zusammenbruch lauert, lastet wie Tonnen von Blei auf ihm. Der Entzug droht seine Eingeweide und das Innere des Gehirns in ihre Einzelteile zu zerpflücken.

„Wo ist meins?“, fragt Paul. „Die verdammte Line?“

Rolfs Augen sind auf Halbmast. Er kratzt sich eine Eiterbeule an der Hand auf. Der gelbe Eiter läuft dickflüssig hinaus. Er schleckt ihn genüsslich ab und schluckt ihn herunter. Willkommen im Heroin …

… Lalaland.

„Moooment.“

Immerhin ist er ansprechbar. Aber Paul hat keine Zeit zu verlieren. Keine einzige Sekunde. Das Gefühl, auf der Stelle zu sterben, wird immer stärker.

„Wo ist meine Line?“, brüllt er ihn an und inzwischen ist es ihm scheißegal, ob es jemand hört.

Ruckartig fällt Spritzen Rollis Kopf nach unten, um danach wieder nach oben zu schnellen. Paul ist klar, wo er sich gerade befindet und was bei ihm abgeht, auch wenn er nicht drückt und fest entschlossen ist, es nicht zu tun. Niemals, niemals, niemals. Das wäre sein Untergang, das Zeug ist so schon viel zu geil, um jemals die Aussicht zu haben, wieder davon runterzukommen. Die Fixe hingegen bedeutet den sofortigen Tod in immer kürzer werdenden Intervallen. Mit Nase oder Blech hat er immerhin noch eine längere, wenn auch etwas weniger intensive Konsumzeit vor sich. Nadelgeilheit überlässt er den dazu Berufenen.

Trotz intravenösem Konsum muss Rolf an die Kameradschaft denken. Gesetz der Straße. Punkt. Und er hat Paul mehrfach versichert, ihm die Hälfte des Einkaufs als Line zurecht zu harken, während dieser das Umfeld sondiert und aufpasst.

„Leiiiin?“, lallt Spritzen Rolli in einer Lautstärke, die gut ins Berliner Olympiastadion nach einem Tor passen würde.