Dr. Stefan Frank 2510 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank 2510 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

Unverhofft kommt oft
Während Andreas ernste Sorgen hat, findet er plötzlich das große Glück

Erst vor knapp einem Monat hat der attraktive Pilot Andreas Kiehl seinen regelmäßigen Gesundheitscheck über seinen Arbeitgeber absolviert. Alle Werte waren einwandfrei. Und doch sitzt er jetzt in der Praxis seines Hausarztes Dr. Stefan Frank und klagt über ein schon länger andauerndes Krankheits- und Schwächegefühl.
Dazu kommen die ständigen Sorgen um seine alleinstehene Mutter, die sich einfach nicht helfen lassen will, obwohl sie zunehmend Probleme hat, alleine klarzukommen.
Dr. Frank sieht die Not des Neununddreißigjährigen und macht sich seine ganz eigenen Gedanken dazu. Wer weiß - vielleicht kann der Grünwalder Arzt seinem Patienten nicht nur medizinisch zur Seite stehen, sondern ihm sogar zum ganz großen Glück verhelfen ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Unverhofft kommt oft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: jacoblund / iStockphoto

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 9-783-7325-8362-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Unverhofft kommt oft

Während Andreas ernste Sorgen hat, findet er plötzlich das große Glück

Erst vor knapp einem Monat hat der attraktive Pilot Andreas Kiehl seinen regelmäßigen Gesundheitscheck über seinen Arbeitgeber absolviert. Alle Werte waren einwandfrei. Und doch sitzt er jetzt in der Praxis seines Hausarztes Dr. Stefan Frank und klagt über ein schon länger andauerndes Krankheits- und Schwächegefühl.

Dazu kommen die ständigen Sorgen um seine alleinstehende Mutter, die sich einfach nicht helfen lassen will, obwohl sie zunehmend Probleme hat, alleine klarzukommen.

Dr. Frank sieht die heimliche Not des Neununddreißigjährigen und macht sich seine ganz eigenen Gedanken dazu. Wer weiß – vielleicht kann der Grünwalder Arzt seinem Patienten nicht nur medizinisch zur Seite stehen, sondern ihm sogar zum ganz großen Glück verhelfen …

„So geht es nicht weiter“, brummte Andreas Kiehl und stoppte an der roten Ampel. Müde rieb er sich die Augen, fühlte sich danach allerdings auch nicht wacher.

Beim Gesundheitscheck, den er wie jeder Pilot der Fluglinie regelmäßig absolvieren musste, hatte er vor einem Monat mit Bestnoten abgeschnitten. Und wie fühlte er sich heute? Erschöpft, verspannt, ausgelaugt …

Eine Hupe riss ihn aus seinen Gedanken. Er zuckte zusammen und blickte in den Rückspiegel. Sein Hintermann gestikulierte wild. Offenbar, weil Andreas nicht in jenem Sekundenbruchteil losgefahren war, in dem die Ampel von Rot auf Grün gesprungen war.

Entschuldigend hob er kurz die rechte Hand und fuhr weiter. Es wurmte ihn, dass er sich entschuldigen musste. Schließlich war er bekannt für sein exzellentes Reaktionsvermögen. Noch nie hatte er anderen Autofahrern einen Grund geliefert, zu hupen.

Mit grimmiger Miene bog er in die Grünwalder Gartenstraße ein und parkte vor der Praxis seines Hausarztes. Den Blick geradeaus, senkte er die rechte Hand auf den Knopf für den Sicherheitsgurt und drückte ihn. Mit der linken Hand hielt er den Gurt fest, damit der nicht zu schnell zurückschnappte und mit einem lauten Klick in der Endposition landete.

Laute Geräusche taten Andreas Kiehl im Moment körperlich weh. Sie schienen viel lauter zu hallen, als sie tatsächlich waren. Das Hupen seines Hintermannes von eben dröhnte ihm noch immer in den Ohren. Und die ruckartige Kopfbewegung, mit der er in den Rückspiegel geschaut hatte, war auch nicht gerade gut für seinen verspannten Nacken gewesen. Im Gegenteil.

Langsam und leise rollte sich der Gurt auf. Andreas seufzte erleichtert, stieg aus und schloss die Fahrertür im ersten Anlauf so zaghaft, dass er noch einmal dagegendrücken musste, damit sie richtig einrastete.

Er ging durch den Vorgarten, öffnete die Tür der Praxis und trat an den hohen Tisch am Empfang.

„Grüß Gott, Schwester Martha.“

„Grüß Gott, Herr Kiehl.“ Schwungvoll hakte die mollige Arzthelferin den Namen des Patienten in dem breiten Kalender ab, der vor ihr lag.

„Sie haben eine neue Frisur“, stellte Andreas fest. „Steht Ihnen gut.“

„Finden Sie?“ Geschmeichelt zupfte Martha Giesecke an einer kurzen grauen Strähne. „Ick dachte gar nicht, det man es merkt. An einem Kurzhaarschnitt kann man ja nicht wahnsinnig viel verändern.“

„Also, mir ist es sofort aufgefallen. Nicht, dass Ihnen die alte Frisur nicht gestanden hätte“, versicherte Andreas, „aber diese finde ich irgendwie flotter.“

„Oh, vielen Dank, Herr Kiehl. Dann seien Sie doch bitte so nett und bestellen Ihrer Mutter einen schönen Gruß. Sie hat in den höchsten Tönen von ihrer neuen Friseurin geschwärmt, bis ick auch hingegangen bin.“

Andreas‘ Lächeln wurde einen Tick schmaler. Seine Mutter. Die hatte er glatt für ein paar Minuten vergessen.

„Ich richte es ihr aus. Sie freut sich bestimmt.“

Martha Giesecke kniff die Augen leicht zusammen.

„Sie sind aber ganz schön blass um die Nase, wenn man bedenkt, det Sie gerade aus der Karibik kommen. Hatten Sie nicht drei Tage Aufenthalt auf Kuba?“

Er brauchte keine Kristallkugel, um zu wissen, woher die Berlinerin seinen Dienstplan kannte. Edith Kiehl erzählte ihren Bekannten oft, wo sich ihr Sohn, der Pilot großer Passagierflugzeuge, gerade befand. In ihrem mütterlichen Stolz mochte sie übertreiben, aber das nahm er ihr nicht übel. Das nicht.

„Doch, doch, stimmt schon, Schwester Martha. Allerdings war es die ganze Zeit bewölkt.“

„Sagen Sie bloß! Was für ein Pech.“

„Für die Touristen ist es natürlich bitter, wenn ein kostbarer Urlaubstag nach dem anderen verstreicht, ohne dass sie die Sonne sehen.“ Andreas zuckte die Schultern. „Aber mich hat das Wetter nicht gestört. Ich finde es ganz gut, dass es noch ein paar Dinge auf der Welt gibt, die der Mensch nicht beeinflussen kann.“

Martha Giesecke nickte. „Da haben Sie völlig recht, Herr Kiehl. Ick weiß, wovon ick rede.“ Sie tippte mit dem Kugelschreiber auf ihren Kalender. „Marie-Luise und ick können noch so gut planen … Ein oder zwei Notfälle, und der ausgeklügelte Plan war mal ein Plan. Det Leben lässt sich halt nicht perfekt durchorganisieren. Ah, wenn man vom Teufel spricht.“

Sie lächelte ihre jüngere Kollegin an, die gerade mit einem Aktenordner aus dem Labor kam.

Marie-Luise Flanitzer lächelte ein wenig verdattert zurück.

„Teufel? Grüß Gott, Herr Kiehl.“

„Grüß Gott, Frau Flanitzer.“ Andreas strich sich die braunen Haare aus dem Gesicht – langsam, um seine verspannten Schultermuskeln nicht zu provozieren.

„Ick habe eben erzählt, det wir beide unseren Arbeitstag so gut planen können, wie wir wollen – wenn Notfälle reinkommen, ist die ganze Planung nichts wert.“ Schwester Martha wandte sich wieder dem Patienten zu: „Aber keine Sorge, bisher läuft es heute wie am Schnürchen. Nehmen Sie bitte noch einen Moment im Wartezimmer Platz?“

„Natürlich.“ Andreas nickte den beiden Arzthelferinnen freundlich zu – wenn auch nur leicht. Sein Nacken nahm ihm jede heftigere Bewegung übel.

***

Vier Minuten später führte Schwester Martha ihn in das Untersuchungszimmer. Dr. Stefan Frank kam um seinen Schreibtisch herum und streckte seinem Patienten die rechte Hand entgegen.

„Grüß Gott, Herr Kiehl.“

Ein wenig steif schlug Andreas ein. Zum Glück war sein Hausarzt keiner dieser Männer, die glaubten, sie müssten die Hand ihres Gegenübers so heftig schütteln, dass sie ihm fast den Arm auskugelten.

„Grüß Sie, Dr. Frank.“

„Bitte sehr.“ Stefan Frank zeigte auf den Sessel vor seinem Schreibtisch. Als Andreas saß, nahm der Arzt auch selbst wieder Platz. „Was führt Sie denn heute zu mir?“

Andreas suchte nach den richtigen Worten. Wenn man vor Halsschmerzen kaum noch schlucken konnte oder vor Fieber glühte, war es einfach, eine Antwort zu geben. Aber in seinem Fall …

„Ich sollte vorwegschicken, dass ich vor einem Monat den üblichen Gesundheitscheck meines Arbeitgebers absolviert habe. Alle Werte waren einwandfrei, aber seitdem ging es bergab. Mein Nacken und die Schultern sind verspannt. Morgens wache ich wie gerädert auf.“

Stefan Frank blickte seinen Patienten aufmerksam an.

„Schlafen Sie schlecht?“

„Ja. Abends bin ich zwar hundemüde, aber dann dauert es trotzdem lange, bis ich einschlafe. Ich wache auf, bevor mein Wecker klingelt, und habe das Gefühl, überhaupt nicht ausgeruht zu sein, sondern erschöpft. Den ganzen Tag.“

„Verstehe. Haben Sie noch weitere Symptome? Irgendwelche Schmerzen?“

„Der verspannte Nacken setzt mir arg zu, aber sonst habe ich nichts, was den Namen ‚Schmerzen‘ verdient. Ich fühle mich bloß wesentlich älter als neununddreißig.“

Dr. Frank erhob sich. „Setzen Sie sich bitte auf die Untersuchungsliege am Fenster, dann beginnen wir mit der allgemeinen körperlichen Untersuchung.“

Erst schaute er seinem Patienten in den Mund und die Ohren. Dann horchte er Lunge und Herz ab und maß den Blutdruck. Schließlich tastete er Lymphknoten, Nacken und Schultern ab.

„Donnerwetter, solche Muskelverspannungen habe ich lange nicht mehr erlebt“, stellte er fest. „Kein Wunder, dass Ihr Nacken schmerzt, Herr Kiehl. Verschleiß der Halswirbelsäule kann in Ihrem Alter noch nicht der Grund sein. Eine Fehlhaltung schließe ich ebenfalls aus. Haben Sie kürzlich in Zugluft gesessen?“

„Nein, das wäre mir bestimmt aufgefallen.“

„Haben Sie vielleicht eine plötzliche, ruckartige Bewegung mit dem Kopf gemacht?“

„Nur vorhin, auf der Fahrt hierher. Aber da hatte ich die Beschwerden längst.“

„Fieber oder Krämpfe haben Sie nicht?“, vergewisserte sich Stefan Frank.

„Nein, weder noch.“

„Spüren Sie manchmal ein Kribbeln in Ihren Armen oder Händen? Fühlen die sich möglicherweise taub an?“

„Auch nicht“, antwortete Andreas verwundert. Kribbeln? Krämpfe? Langsam wurde ihm mulmig zumute.

„Gut. Dann haben Sie es offenkundig nicht mit etwas Gravierendem zu tun, sondern ‚nur‘ mit Verspannungen. Aber so hart, wie sich Ihre Nackenmuskulatur anfühlt, glaube ich Ihnen gern, dass Sie arge Schmerzen haben.“

Der Pilot nickte knapp. Es tat gut, ernst genommen zu werden. Natürlich hörte er auch mit Erleichterung, dass er nicht ernstlich krank war. Gleichzeitig dachte er reuevoll an einen Kollegen, der sich neulich wegen Verspannungen krankgemeldet hatte. Das hatte Andreas für völlig übertrieben gehalten. Heute sah er es anders.

„Ich schreibe Ihnen ein Rezept für eine Physiotherapie“, fuhr Stefan Frank fort. „Am besten lassen Sie sich noch heute das erste Mal behandeln, damit die Nackenschmerzen gelindert werden.“

„Linderung klingt großartig. Ich war noch nie bei einer Physiotherapie, Dr. Frank. Können Sie mir jemanden empfehlen? Und glauben Sie wirklich, dass man mir so kurzfristig einen Termin gibt?“

„Mit etwas Glück dürfte es klappen. Und ja, ich kann Ihnen jemanden empfehlen. Einen ausgezeichneten Physiotherapeuten in München. Wenn Sie einverstanden sind, ruft Schwester Martha gleich dort an und fragt nach einem Termin. Das hat sich schon oft bewährt.“

„Ja, vielen Dank, das wäre sehr freundlich.“

„Augenblick, ich sage ihr schnell Bescheid.“ Stefan Frank drückte eine Taste auf seinem Telefon und wechselte ein paar Worte mit Martha Giesecke. Dann legte er auf, tippte etwas in seinen Computer und wandte sich wieder zu seinem Patienten um. „Hat sich in dem Monat seit dem letzten Gesundheitscheck etwas in Ihrem Leben verändert, Herr Kiehl? Haben Sie vielleicht mehr Stress im Beruf?“

„Nein, als stressig empfinde ich meine Arbeit nicht. Pilot ist mein Traumberuf. Und ich habe Glück, denn mein Arbeitgeber ist finanziell großzügig, und das Betriebsklima stimmt auch.“

„Das freut mich für Sie. Und privat?“, erkundigte sich Dr. Frank. „Gibt es da möglicherweise ein Problem, das Sie beschäftigt?“

Andreas zögerte. Seine Mutter … Nein, die konnte er sicher nicht für seinen Zustand verantwortlich machen, auch wenn sie durchaus eine Herausforderung darstellte.

„Also, Stress mit einer Partnerin scheidet aus, weil ich derzeit keine habe“, antwortete er. „Das kann bei mir aber auch kein Grund für Stress sein, denn es stört mich nicht. Ich bin nicht der Typ, der ständig eine Frau an seiner Seite braucht. Ich habe gute Freunde, mit denen ich etwas unternehme und auf die ich mich verlassen kann.“

„Verstehe. Ist Ihr Hobby eigentlich nach wie vor die Jagd?“

„Oh ja. Wenn ich in meinem Revier nach dem Rechten sehe, bekomme ich immer den Kopf frei.“ Andreas runzelte die Stirn. „Das heißt – in den letzten Wochen eigentlich nicht mehr so sehr.“

„Haben Sie das Interesse an Ihrem Hobby verloren?“

„Das nicht. Ich finde die Jagd nach wie vor faszinierend. Aber wenn ich es mir recht überlege, waren die Stunden draußen schon mal entspannender.“

„Gibt es vielleicht in Ihrem Freundeskreis ein Problem, das Sie sich zu Herzen nehmen?“, fragte Stefan Frank geduldig. „Oder in Ihrer Verwandtschaft?“

Der Pilot blickte aus dem Fenster und wieder zurück. Was hatte er zu verlieren, wenn er einräumte, dass er sich oft den Kopf wegen seiner Mutter zerbrach? Nichts. Obwohl er nach wie vor nicht glaubte, dass seine Beschwerden daran lagen.

„Tja, es ist niemand schwer krank oder so, da kann ich wirklich dankbar sein. Allerdings baut meine Mutter in letzter Zeit deutlich ab.“

„Meinen Sie körperlich oder geistig? Oder beides?“

„Geistig ist sie voll da, aber das Gehen fällt ihr schwerer, und sie sieht immer schlechter. Das liegt an einer Erkrankung des Sehnervs. Irgendwann wird sie erblinden, das lässt sich leider nicht ändern. Noch sieht sie einigermaßen, aber es bedrückt sie natürlich, zu wissen, dass sie in der Zukunft gar nichts mehr sehen wird. Sie hat immer leidenschaftlich gern gelesen. Das fehlt ihr jetzt sehr.“

„Mit einer Lupe hat Ihre Mutter es vermutlich schon probiert?“, fragte Dr. Frank.

„Ja, ich habe ihr mehrere Modelle besorgt. Theoretisch könnte sie sich damit noch behelfen, wenn sie die Lupe ganz langsam über die Wörter schieben würde, aber dazu fehlt ihr die Geduld. Sie sagt, es macht sie verrückt, wenn sie nur einzelne Buchstaben erkennen kann. Außerdem würde sie sich mit einer Lupe behindert fühlen.“

„Hm. In dem Fall sind Hörbücher vielleicht eine Alternative?“

Andreas winkte ab. „Das dachte ich auch. Darum habe ich meiner Mutter einen Stapel geschenkt, aber sie hat ihn mir zurückgegeben. Sie sagt, sie wird nervös, weil die Sprecher entweder zu schnell oder zu langsam reden oder falsch betonen. Sie möchte in ihrem eigenen Tempo lesen.“

Stefan Frank verkniff sich ein Schmunzeln. Er kannte Edith Kiehl seit vielen Jahren und konnte sich lebhaft vorstellen, dass ihr Sohn mit seinen Bemühungen an Grenzen stieß. Sie wusste genau, was sie wollte, und wich ungern von ihren Vorstellungen ab. Sicher widerstrebte es ihr enorm, zu akzeptieren, dass sie nicht mehr wie früher lesen konnte.

„Ihre Mutter wohnt nach wie vor in der Kapuzinergasse?“, erkundigte sich der Arzt.

„Ja.“ Andreas blickte düster drein. „Und sie will partout nicht ausziehen. Obwohl absehbar ist, dass sie in dem Haus mit seinen Treppen bald überfordert sein wird. Ich habe mir seniorengerechte Wohnungen angesehen, in denen sie eine maßgeschneiderte Betreuung hätte. Sie ist nicht bereit, auch nur einen Fuß in eine solche Wohnung zu setzen. Wenn ich sie gut versorgt wissen will, kann ich ja zu ihr ziehen, findet sie.“

Jetzt konnte Stefan Frank sich das Schmunzeln doch nicht mehr verkneifen.

„Lassen Sie mich raten: Sie bleiben lieber in Ihrer eigenen Wohnung?“

„Selbstverständlich! Meine Mutter ist mir wichtig, aber ein wenig Abstand tut uns beiden ganz gut. Außerdem muss ich im Notfall innerhalb einer Stunde am Flughafen sein. Das ist von Grünwald aus nicht gesichert, deshalb wohne ich ja auch in München.“

„Vielleicht engagiert Ihre Mutter zunächst einen ambulanten Pflegedienst? Dann könnte sie in ihrem Haus bleiben und sich langsam an eine Betreuung gewöhnen.“

Andreas seufzte. „Das habe ich auch schon angesprochen, aber sie leugnet, dass sie Betreuung braucht. Außerdem will sie keine Fremden im Haus. Ambulante Pflegedienste können nicht immer dieselben Mitarbeiter zu ihren Patienten schicken. Die Leute wechseln, und das lehnt meine Mutter kategorisch ab.“

„Dann kommt es vermutlich auch nicht infrage, dass jemand bei ihr einzieht? Eine feste Bezugsperson?“

„Wäre meine Mutter jetzt hier, würde sie Ihnen die Freundschaft kündigen“, meinte Andreas mit einem schwachen Lächeln. „Damit hat sie mir nämlich gedroht, als ich mit dem Vorschlag kam. So verärgert habe ich sie noch nie erlebt. Ich fürchte fast, es muss erst noch schlimmer werden, bevor es besser wird.“

Es klopfte kurz, und Marie-Luise Flanitzer steckte den Kopf in das Untersuchungszimmer.

„Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber gerade ist eine Patientin mit einer Platzwunde am Kopf hereingekommen.“

Andreas erhob sich von der Untersuchungsliege. Es gab wahrlich Bedeutsameres als die Wohnsituation seiner Mutter.

„Vielen Dank, dass Sie sich so viel Zeit für mich genommen haben, Dr. Frank.“

„Keine Ursache, Herr Kiehl. Ich habe meinen Mitarbeiterinnen das Rezept für die Physiotherapie gemailt. Lassen Sie es sich bitte von Schwester Martha ausdrucken. Vielleicht weiß sie schon Näheres wegen Ihres ersten Termins. Gute Besserung. Frau Flanitzer, Sie bringen bitte die Dame mit der Platzwunde herein und gehen mir bei dem Notfall zur Hand.“

„Sofort.“

Andreas drehte sich um. Beim Anblick der Dame, deren hellblonde Haare und gelbes Sommerkleid blutverschmiert waren, bekam er ein schlechtes Gewissen. Diese Frau war wirklich krank. Seine verspannten Muskeln hingegen – eine Lappalie.