Drachen, Gold und Gaunerehre - Miss Jemmys Abenteuer in London - Susanne Haberland - E-Book

Drachen, Gold und Gaunerehre - Miss Jemmys Abenteuer in London E-Book

Susanne Haberland

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Beschreibung

Ganz allein auf sich gestellt, strandet die junge Jemmy im viktorianischen London. Doch sie hat Glück und trifft auf Rackety, der sie in seine Bande holt. Gemeinsam mit ihm, Benjy, Miggs und Cockles erlebt sie die erstaunlichsten Abenteuer und nimmt es mit Drachen, Elfen, Trollen, Werwölfen, Zwergen und falschen Heiligen auf. Bis sie schließlich eines Tages an einen weit gefährlicheren Gauner gerät.

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Miss Jemmys Abenteuer in London

Drachen, Gold und Gaunerehre

Susanne Haberland

Für Martin, Marie und Sophie

Ein vergessener Aufsatz

·~·

Was für ein Unglück! Wie hatte ihr das nur passieren können!

Wie Trommelstäbe klackerten die Sohlen von Carnelas ordentlichen flachen Schuhen durch den Korridor der Bostoner Höheren Internatsschule Für Mittellose Waisenmädchen. Ihre hellblonden, straff gebundenen Zöpfe folgten ihr wie Sternschnuppen, als sie sich in die Kurve legte und die Treppe hinauf flitzte. Mit etwas Glück war der Klassenraum noch unverschlossen. Etwas Glück … das brauchte sie jetzt, denn sie hatte ihren französischen Aufsatz, nachdem sie ihn von Martha abgeschrieben hatte, glorreich unter der Bank liegen lassen. Dabei musste sie ihn bis spätestens zur Mittagspause bei Mademoiselle Dubois einreichen, wenn er noch gewertet werden sollte.

Dort war die Tür zu ihrem Klassenraum.

Sie hängte sich an die Klinke, rüttelte … verschlossen!

Mit einem Jammerlaut brach sie zusammen. Der Einzige, der die Schlüssel zu allen Klassenräumen besaß, war der Hausmeister, ein furchteinflößender, riesiger Geselle mit langem, zerzaustem Haar, einem Stoppelbart und Händen, so groß wie Kohlenschaufeln. Die Mädchen aus den höheren Klassen behaupteten, er wäre mindestens ein halber Troll, und selbst wenn das nicht stimmte und er nichts weiter als ein Mensch war, so war er doch schrecklich beeindruckend und ungemein furchteinflößend. Niemals hätte Carnela es gewagt, ihn herauszuklingeln und um den Schlüssel zum Klassenraum zu bitten.

»Na, was ist denn … Carnela, nicht wahr? Warum eröffnest du mitten im Gang einen Kanal? Geht gerade die Welt unter?«

Verschreckt schaute Carnela auf. Die sie angesprochen hatte, war Miss Jemima, die Lehrerin für Literatur und Handarbeit in der Oberstufe – und sie kannte ihren Namen!

Miss Jemima war kaum weniger furchteinflößend als der Hausmeister. Sie war recht groß für eine Frau. Das feuerrote Haar hatte sie stets straff im Nacken zusammengesteckt, dazu trug sie hochgeschlossene Kleider, von denen sie eine abenteuerliche Anzahl zu besitzen schien. Ihr Temperament war berüchtigt. Amalia aus der zweiten Stufe hatte mit eigenen Augen gesehen, wie Miss Jemima mit geballten Fäusten auf den Gärtner losgegangen war, als der behauptet hatte, Unkraut jäten wäre »Frauenarbeit«. Und Mistress Berbley, die Benimmlehrerin, die einmal eine abfällige Bemerkung über Miss Jemimas Londoner Unterschichtakzent gemurmelt hatte, hatte bald darauf einen waschechten Basilisken in ihrem Bett gefunden – ausgestopft zwar, mit einem Zettel um den Hals, auf dem »Versteinert, nachdem er die alte Hexe Berbley angeschaut hat!« geschrieben stand. Trotzdem schlief sie seitdem nicht mehr gut und hängte abends vier Schlösser vor ihre Tür.

»Also, was ist los, Mädchen?«, fragte Miss Jemima und legte den Kopf schief. »Was befindet sich hinter dieser Tür und sollte dringend auf der anderen Seite sein?«

»Mein … mein Französischaufsatz über die Schönheiten der Bourgogne. Ich muss ihn vor der Mittagspause abgeben.«

»Seltsam, in der Tat … Mademoiselle Dubois erwähnte heute früh, sie habe diesen Aufsatz für die abendliche Freiarbeit aufgegeben. Wenn du ihn gestern Abend im Gemeinschaftszimmer geschrieben hast, wie kommt er dann in den Klassenraum? Es sei denn … lass mich raten: In der ersten Stunde hattet ihr Gesangsunterricht bei Dekan Wiseman, nicht wahr? Bestimmt hat er wieder einen Vortrag über die Gregorianik gehalten. Und in dieser Zeit hast du unter der Bank deinen Aufsatz geschrieben – oder abgeschrieben? – Du brauchst nicht rot zu werden. So etwas macht wohl jeder von Zeit zu Zeit, das ist nicht weiter schlimm. Aber dann hast du den Aufsatz unter der Bank liegen lassen. Und da ist er jetzt, anstatt bei Mademoiselle Dubois auf dem Tisch zu liegen.«

Carnela nickte, mit einer Mischung aus Verlegenheit und Erleichterung, und blickte Miss Jemima voller Hoffnung an. Jetzt, wo sie das Problem kannte, wusste sie doch sicher einen Weg, um Abhilfe zu schaffen. Aber die Lehrerin fuhr sich nur nachdenklich mit dem Daumennagel über die Unterlippe.

»Für die Klassenräume habe ich keine Schlüssel«, erklärte sie schlicht. »Ich unterrichte ja nur am frühen Nachmittag, und zu diesem Zeitpunkt sind die Türen immer offen, deswegen hat Misses Jacobsen es offensichtlich nicht für nötig befunden, mir die Schlüssel auszuhändigen. Möglicherweise traut sie mir auch nicht ganz. Natürlich könntest du Mister Malone, den Hausmeister, fragen …«

»Oh, bitte nein, nur das nicht!«, rief Carnela voller Schrecken.

Miss Jemima hob amüsiert die Brauen. »Hast du etwa Angst vor ihm?«

»Natürlich – das haben doch alle! Er ist riesig und struppig und wild! Wenn ich ihn nach dem Schlüssel frage, fällt ihm vermutlich ein, dass er noch nicht gefrühstückt hat, und dann stopft er mich in sein furchtbares Maul und frisst mich mit Haut und Haar! Entschuldigung, Miss Jemima!«

Carnela war jetzt vollkommen verwirrt, denn die Mundwinkel der Lehrerin zuckten, als hingen sie an mesmerischen Drähten.

»Entschuldigen Sie, wahrscheinlich bin ich furchtbar dumm«, stammelte sie. »Aber ich kann das nicht. Um keinen Preis der Welt frage ich Mister Malone.«

»Na gut, ganz wie du willst. Aber sofern du trotzdem noch an deinem französischen Aufsatz interessiert bist, bleibt uns nur noch eine andere Möglichkeit. Wir müssen einen Bruch machen.«

»Einen – was?«

Miss Jemimas Augen funkelten wie leuchtend grüne Smaragde. »Du hast mich genau verstanden. Du brauchst den Aufsatz – wir haben keinen Schlüssel – und Mister Malone willst du nicht fragen. Deswegen gibt es keinen anderen Weg, als diese Tür aufzubrechen.«

»Miss Jemima!«, hauchte Carnela. Eisschauer jagten über ihren Rücken. »Miss Jemima, das können wir nicht tun! Es wäre ein furchtbares Verbrechen! Wir würden der Schule verwiesen!«

»Nur, wenn sie uns erwischen«, erwiderte die Lehrerin kaltblütig. »Und ich kann dir versichern: Bisher ist mir das noch nie passiert. Wir waren immer zu gut, um erwischt zu werden, Rackety, Miggs, Benjy, Cockles … und ich. Wir fünf waren die erfolgreichste Bande in ganz London, viele Jahre lang.«

Ihr Blick wurde vage und schweifte in die Ferne.

Carnela hielt den Atem an. »Sie haben früher tatsächlich in London gelebt?«

»Dort schlug damals das Herz der Welt. Alle Wissenschaftler zeigten dort ihre neuesten Entwicklungen, alle Forscher strebten dorthin, um ihre Reiseberichte und Artefakte zu präsentieren. Und was für uns Fünf am wichtigsten war: Auch alle Schätze der Welt sammelten sich dort. Das Gold aus Afrikas Bergwerken, feinstes zauberkräftiges Silber aus den Minen von Kandàr, leuchtende Perlen aus den karibischen Kolonien. Natürlich war es nicht einfach, diese Schätze zu erbeuten, denn mit ihnen zogen auch die verschiedensten Völkerstämme in die Hauptstadt ein. Trolle, die man nur durch Kälte lahm legen konnte. Elfen – ein schrecklicher Haufen, undiszipliniert, eingebildet, zickig – pfui Spinne! Und dann die Flugdrachen, die man unter ständiger Kontrolle halten musste, weil sie imstande waren, die gesamte Stadt abzufackeln. Dazu kamen die Wilden Männer aus Indien und die Nixen, Wassermänner und Nöcke, die sich im Fluss verbargen und Schiffe und Boote ins Verderben zogen. Aber mit allen sind wir fertiggeworden, weil wir immer fest zusammengehalten haben. Keinem von uns wäre es eingefallen, die anderen im Stich zu lassen, nur um die eigene Haut zu retten.«

Miss Jemima zog eine altertümliche, ein wenig verblichene Fotografie aus ihrer abgewetzten Handtasche. Das Bild zeigte drei Männer und eine junge Frau, die auf einer Brücke posierten.

»Ist das etwa die Tower Bridge?«, fragte Carnela, nach Luft schnappend.

»Ja, sicher. Und das in der Mitte bin ich.«

Carnela kniff die Augen zusammen. »Man kann Ihre Haarfarbe nicht erkennen«, murmelte sie unsicher.

»Das Bild ist ungefähr zwölf Jahre alt«, schnappte Miss Jemima. »Es ist nur natürlich, wenn du mich darauf nicht auf den ersten Blick erkennst. Aber schau mal, der Blonde dort ist Miggs. Und das – das ist Rackety!«

Sie wies auf die Gestalt zur Linken, einen beinahe zierlichen, beweglichen Mann mit blonden Locken, in die hier und dort graue Strähnen eingeflochten waren. Sein Blick war verdunkelt, als habe er in seinem Leben bereits zu viel gesehen, und er hatte die Hand fürsorglich, doch zugleich ein wenig nachlässig unter dem rechten Ellbogen der jungen Miss Jemima platziert.

»Wir haben uns auf dem Platz mit den Löwen kennengelernt«, erzählte die Lehrerin, »ungefähr drei Jahre, bevor dieses Bild entstanden ist. Ich kann nicht viel älter als du gewesen sein, und ich war gerade erst in London angekommen – von meiner Tante und meinem Onkel ausgekniffen, falls du verstehst, was ich meine. Es war nicht mehr auszuhalten.«

Carnela nickte heftig. Sie verstand nur zu gut. »Wie haben Sie Rackety kennengelernt?«, erkundigte sie sich mit heißen Wangen.

Miss Jemima lehnte sich gegen die Tür und blickte versonnen in die Ferne, während sie begann:

Ich steckte meine Hand in seine Tasche, um seine Schnupftabaksdose zu stehlen. Allerdings war ich völlig unerfahren und so ungeschickt wie ein Welpe, denn Rackety erwischte mich sofort. »He, du kleines Luder!«, rief er, »das ist nicht deine Dose!«

»Ihre aber auch nicht«, sagte ich frech, »es sei denn, Sie wären der Earl of Bottomley« – dieser Name war nämlich in den Boden der Dose eingraviert – »Wie es aussieht, können Sie mich also gar nicht zur Polizei bringen, weil Sie dann genauso auffliegen würden.«

»Aber übers Knie legen könnte ich dich!«, rief er aufgebracht. Doch dann legte er den Kopf schief. »Schau mal einer an, du kannst lesen. Und du hast einen klaren Verstand, das ist auch eine Menge wert. Jemanden wie dich könnte ich gebrauchen. Wenn du möchtest, kannst du bei mir und meinen Männern einziehen.«

Na, du kannst sicher verstehen, dass ich sehr misstrauisch war. Ich war schließlich ein junges Mädchen und völlig auf mich allein gestellt. Andererseits wusste ich nicht, wo ich die Nacht verbringen sollte, und dass ich noch nicht in der Lage war, selbst für meinen Lebensunterhalt zu sorgen, hatte mir die kleine Eskapade mehr als deutlich gemacht.

»Was hätte ich da zu tun?«, fragte ich möglichst beiläufig und sah mich vorsichtshalber nach einem Fluchtweg um.

Rackety wurde dunkelrot. »Wie heißt du, Mädchen?«

»Jemima«, erwiderte ich. »Meine Eltern haben mich früher immer Jemmy gerufen.«

»Jemmy, Liebes … Vor mir und den Jungs musst du dich bestimmt nicht vorsehen. Wir würden nie … du kannst ganz sicher sein … Kannst du ein wenig kochen? Oder Socken stopfen, das wäre sehr hilfreich. Unser Hauptquartier ist in einer alten Fabrikhalle, und sie ist – nicht gerade besonders heimelig. Die weibliche Hand fehlt, denke ich. Traust du dir das zu?«

Hausarbeit hat mir nie besonders gefallen. Aber Rackety gefiel mir, wie er so dastand und rot war und verlegen lächelte, und ich dachte, wenn seine Männer nicht schlimmer wären als er, dann könnte ich es wohl mit ihnen aushalten. Also nickte ich nur und ging mit ihm.

Er hatte nicht übertrieben – das Hauptquartier war in einem furchtbaren Zustand. Jeder hatte in irgendeiner Ecke sein Lager aufgeschlagen und seine Sachen verstreut. Jacken, Westen, Gehröcke und Hosen lagen herum, einige mit Löchern oder ausgerissenen Ärmeln, andere ungeschickt geflickt. Neben dem Herd und der Spüle türmten sich Teller, Tassen und Töpfe. Der Staub lag in dicken Flocken herum, Spinnen hatten ihre Netze ungestört durch den gesamten Raum gesponnen.

Ich stemmte die Arme in die Hüften. »Wer hat hier denn bisher für Ordnung gesorgt?«, fragte ich.

»Na ja, je nachdem, wer gerade an der Reihe war«, erwiderte Rackety verlegen. »Aber da sind sie auch schon. Der gerade herein kommt, ist Miggs, mein Stellvertreter. Jack Migglesby mit vollständigem Namen. Er sorgt meist für das Essen, weil er die Leute auf dem Markt kennt.«

Ein Blondschopf trat durch die Tür, höchstens vier oder fünf Jahre älter als ich, mit einem breiten Grinsen und leuchtend blauen Augen. Ich hob die Nase in die Luft, so hoch ich konnte. Dieser Bengel sollte sich nur keine Frechheiten einbilden.

»Miggs kommt aus Cornwall«, erklärte Rackety. »Seine Eltern waren Fischer. Das Leben dort ist hart.«

»Mein Leben ist auch hart!«, sagte ich, »Kein Grund, die Anrichte verstauben zu lassen.«

Miggs blieb vor mir stehen, musterte mich von oben bis unten und hob die Nase noch höher als ich. »Das ist Frauenarbeit«, erklärte er mit fester Stimme. »Und dafür bist du ja jetzt zuständig.«

Noch ehe ich etwas erwidern konnte, schob sich hinter ihm ein sehr großer und breiter junger Mann herein, der sich vorsichtig bewegte, als habe er andauernd Angst, irgendetwas zu zertrümmern, und sich behutsam mit dem Rücken gegen die Anrichte lehnte. Er hatte riesige Hände, ein großes, grobes Gesicht und sanfte, graue Augen.

»Der dort ist Cockles«, sagte Rackety. »Er hat sein gesamtes Leben in London verbracht und kennt hier jeden Stein. Er vergisst nie etwas, wenn er es auch nur einmal gesehen hat, keinen Ort, keinen Gegenstand und keinen Menschen. Und gleich dahinter kommt Benjy. Er stammt aus Wales und ist erst seit ein paar Monaten in der Stadt.«

Benjy nickte mir kurz zu und hockte sich dann auf seinen Stammplatz auf dem Fensterbrett. Er war etwas älter als die anderen beiden, klein, sehr schmal und dunkelhaarig. Als wir uns kennenlernten, war er immer ein wenig brummig und schlecht gelaunt.

»Seltsam!«, warf Carnela ein, noch immer in die alte Fotografie vertieft. »Auf dem Bild strahlt er von einem Ohr zum anderen. Er kommt mir beinahe ein wenig albern vor.«

»Männer«, sagte Rackety, »dies hier ist Miss Jemima. Sie gehört ab heute zu uns und wird sich um unser Hauptquartier kümmern.«

»Aha!«, rief Miggs und klatschte gemessen Beifall. »Also nimm dir einen Besen, Miss Jemima, und feg das Zimmer aus!«

Ich ballte die Fäuste und machte Anstalten, auf ihn loszugehen. »Glaub nur ja nicht«, fauchte ich, »dass ich dein Dienstmädchen bin oder sonst wie deinen Befehlen gehorche. Wenn ich mich um den Haushalt kümmere, dann bedeutet das, ich habe hier drinnen das Sagen! Und jetzt häng deine Jacke an den Haken!«

Rackety, Benjy und Cockles schauten uns ein wenig hilflos zu, wie wir einander umkreisten wie gereizte Katzen. Es war Cockles, der schließlich den Bann durchbrach. Er ging zu seinem Bett, hob seine Jacke auf und hängte sie an den Garderobenhaken.

»In Ordnung«, sagte er, »das scheint eine vernünftige Regelung zu sein.«

Jetzt schälte sich auch Benjy aus seiner Ecke und begann unter leisem Murren sein Lager aufzuräumen.

Rackety schaute ihm eine Weile zu und fuhr sich mit dem Daumennagel über die Unterlippe. Schließlich stieß er sich seufzend von der Wand ab, holte seinen Hut und ging zur Tür.

»Ich denke, ihr werdet miteinander klarkommen. Allerdings muss ich noch rasch etwas erledigen.«

»Was macht er denn noch, um diese Zeit?«, fragte ich verdutzt, nachdem er verschwunden war.

»Jedenfalls nicht aufräumen«, grunzte Miggs und ließ sich auf die Knie fallen, um unter dem Küchenschrank nach einem Schuh zu angeln. »Das macht er nie, wetten? Nicht einmal du kriegst ihn dazu, Miss Jemima.«

»Wetten, das schaffe ich doch?«, sagte ich und hielt ihm die Hand hin. Nach einem kleinen Zögern schlug er ein.

»Damit hatten wir beide eine Art Waffenstillstand geschlossen«, schloss die Lehrerin. »Mehr ist daraus nie geworden, aber Rackety duldete in seiner Bande keinen Streit, und da keiner von uns bereit war, Rackety und seine Männer aufzugeben, mussten wir uns eben arrangieren … Aber für diese alten Geschichten haben wir jetzt keine Zeit, Mädchen. Dein französischer Aufsatz liegt immer noch hinter dieser Tür.«

Miss Jemima drehte sich zu beiden Seiten um und blickte den Gang entlang, dann zog sie eine Haarnadel aus dem straffen Haarknoten, prüfte sie mit dem Daumen und rammte sie ins Schloss. Es klackte etwas, dann rutschte die Nadel wieder heraus.

»Verflixt!«, knurrte sie. »Und ich dachte immer, so etwas verlernt man nicht. Damit hast du den Beweis, Carnela: Nur Übung macht den Meister, und wer nicht rudert, treibt zurück. Also noch einmal.«

Diesmal ließ sie sich mehr Zeit und führte die Haarnadel behutsam ins Schlüsselloch ein. Wieder klackte es, jetzt tief im Schloss, und dann sprang die Tür auf.

»Miss Jemima!« Carnela wippte vor Aufregung auf den Zehenspitzen. »Sie haben gerade eine Schultür geknackt!«

»Wir beide haben gemeinsam einen Bruch gemacht, Mädchen, denn du hast Schmiere gestanden. Deswegen sollte das unter uns bleiben. So, nun lauf und hole deinen Aufsatz, dann schaffst du es gerade noch rechtzeitig zum Lehrerzimmer.«

Carnela stürmte los und zog das Heft unter ihrer Bank hervor. Doch dann kehrte sie langsam und zögernd zur Tür zurück.

»Miss Jemima?«

»Ja, was gibt es denn noch?«

»Den Aufsatz – den habe ich von Martha abgeschrieben. Vielleicht – hm – wäre es gar nicht so gut, wenn Mademoiselle Dubois ihn bekäme. Ich meine: Sie wird die Ähnlichkeiten bestimmt bemerken, oder?«

Miss Jemima stieß einen rauen Laut aus, der sowohl ein Lachen als auch ein Knurren hätte sein können.

»Und das fällt dir erst jetzt auf? Na, besser spät als nie. Siehst du: Manchmal bemerkt man die Lücken im Plan erst während der Ausführung. So ist es uns damals auch ergangen, bei der Sache mit Fergus und seinem Amulett. Nur gut, dass Titch uns allen aus der Patsche geholfen hat – und das sage ich, obwohl sie eine Elfe war.«

»Eine richtige, waschechte Elfe?«, hauchte Carnela und ließ sich in eine Bank sinken. »Sie haben mit ihr gesprochen? Wie war sie? Und warum hat sie Ihnen geholfen?«

Gedankenverloren nahm Miss Jemima am Pult Platz und stützte das Kinn in die Handflächen. »Das ist eine lange Geschichte …«, murmelte sie.

»Das macht nichts«, sagte Carnela schnell. » Jetzt ist es ja nicht mehr eilig – wir haben die ganze Mittagspause Zeit.«

»Nun gut … Es war in meinem zweiten Sommer bei Racketys Bande. Eines Tages kam er zum Hauptquartier zurück, mit einem merkwürdig strahlendem Lächeln im Gesicht und sehr beunruhigenden Nachrichten …«

Titch und der Bruch

·~·

Als wir erfuhren, dass Rackety sich mit einer Elfe verloben wollte, waren wir alle entsetzt.

»Wie groß werden Elfen?«, fragte Benjy, kaum dass Rackety den Raum verlassen hatte.

»So.« Ich hielt die Hand in die Höhe meines Ausschnitts, und Miggs brach in lautes Gelächter aus.

»Dann läuft sie ihm ja unterm Kinn durch!«

»Wenn er spuckt, glaubt sie, es regnet«, knurrte Benjy.

»Auf die Größe kommt es nicht an«, sagte ich giftig, denn ich war eine Handbreit größer als Rackety. »Viel schlimmer ist doch, was man über ihren Charakter hört.«

»Was denn?«, fragte Cockles begriffsstutzig, und Miggs grinste breit.

»Hinsetzen, Jungs! Miss Jemima erzählt uns jetzt alles über den Charakter der Elfen.«

»Sie sind«, begann ich zögernd, denn mir fiel ein, dass ich kaum etwas über Elfen wusste, »sie sind komplett anders als wir. Zunächst einmal leben sie im Wald und nicht hier in der Stadt. Sie leben in Bäumen, könnt ihr euch das vorstellen?«

Benjy schüttelte grimmig den Kopf, und Cockles bekam Kulleraugen. Nur Miggs blickte sich in der Ruine um, die wir zurzeit als unser Hauptquartier bezeichneten, und in seinem Gesicht war deutlich zu lesen: Verkommener als in dieser Bruchbude kann‘s in einem Baum auch nicht sein.

Verflixt! Ich hätte aufräumen und putzen sollen, aber es ging mir auf die Nerven, dass die Hausarbeit immer an mir hängenblieb. Putzen, waschen, flicken, kochen... alles Frauenarbeit, jedenfalls wenn es nach den Jungs ging.

»Elfen reden mit Tieren«, fuhr ich fort. »Und den ganzen Tag pflücken sie Blümchen und winden Kränzchen und machen lauter anderes niedliches Zeug. So eine passt nicht hierher. Das muss Rackety doch einsehen.« Ich zog einen Schmollmund und starrte vor mich hin.

Cockles legte den Kopf schief und sagte: »Jemmy, ich dachte, Rackety wäre mit dir zusammen.«

»Wenn er sich bei mir irgendwelche Chancen ausgerechnet hat«, erwiderte ich kühl, »dann ist er doch wesentlich dümmer, als ich dachte.« Und dann fiel ich über Cockles her und kratzte und biss und trat ihn, bis ich so aus der Puste war, dass ich von ihm ablassen musste.

Ein paar Tage lang sprach Rackety nicht mehr von der Elfe, und wir glaubten schon, es sei nur wieder eine von seinen verrückten Ideen gewesen. Aber am Sonntag meinte er ganz beiläufig: »Leute, macht euch fein. Ich möchte euch in einer halben Stunde gewaschen und in euerm besten Zeug sehen.«

»Gehen wir in die Kirche?«, brummte Benjy.

»Nein. Wir erwarten meine Verlobte zum Essen.« Er drehte sich zu mir, legte mir den Arm um die Schultern, ganz so, als sei alles wie immer. »Jemmy, Liebes …«

»Nenn mich nicht so!«, fauchte ich und riss mich los.

Verblüfft machte er einen Schritt zurück. »Hab ich dir irgendwas getan? Ich wollte nur fragen, ob du kurz ausfegen könntest und was Hübsches kochen.«

»Was denn?«, schnappte ich gallig. »Kandierte Blütenblätter? Nektarsüppchen mit Rosenschaumklößen?«

Er fuhr sich mit dem Daumennagel über die Unterlippe und dachte nach. »Gut, dass du fragst. Ich habe keine Ahnung, was Titch am liebsten isst. Schau am besten auf dem Markt, ob sie irgendein frisches Grünzeug haben. Und stell Blumen auf den Tisch, ja?«

Er warf mir eine Kusshand zu, nahm seinen Hut vom Haken und ging zur Tür hinaus. Wir schauten ihm verdattert nach.

Miggs fasste sich als Erster. »Ich glaube, ich habe gar kein bestes Zeug«, sagte er. »Irgendwie sieht alles gleich aus. Jemmy, Liebes …« Er grinste frech und duckte sich, um dem fliegenden Putzlappen auszuweichen. »Miss Jemima, wollte ich sagen. Könntest du meine Jacke flicken? Der Ärmel ist ausgerissen.«

»Ich werde mal sehen, was ich tun kann«, seufzte ich. »Cockles, schnapp dir den Besen und feg aus.«

»Aber das ist Frauenarbeit …«, murrte er, fing dann meinen Blick auf und begann ohne ein weiteres Wort eifrig zu kehren.

Ich drehte mich zu den anderen. »Benjy, wasch dich, rasier dich und geh auf den Friedhof, Blumen holen. Aber keinen Kranz. Wir brauchen ein Sträußchen. Und du, Miggs, holst erstens deine Jacke und zweitens irgendein frisches Grünzeug vom Markt.«

Als Rackety wiederkam, konnte er stolz auf uns sein. Alles glänzte. In Benjy konnte man sich sogar spiegeln. Ich hatte mein gelbes Kleid herausgeholt, das mit der Stickerei, das nur am Saum ein bisschen ausgefranst war. Alles war aufgeräumt, auf dem Tisch stand das zusammenpassende Porzellan. Auch das Grünzeug hatte ich prima hinbekommen, es war beim Kochen gelb geworden und etwas zusammengefallen, aber es roch gut.

Rackety schaute sich im Zimmer um und nickte zufrieden. Dann trat er aus dem Türrahmen. In seinen Augen war ein stilles, glückliches Leuchten. Er räusperte sich, drehte sich ein wenig um und sagte mit ganz weicher Stimme: »Das ist meine Verlobte Titch. Komm doch rein, Titch, meine Freunde möchten dich willkommen heißen.«

Wir starrten erwartungsvoll zur Tür. Es kicherte ein bisschen. Dann raschelte es. Und dann wehte sie tatsächlich ins Zimmer, die Elfe. Sie war klein. Sie reichte mir nicht einmal bis zum Ausschnitt, sondern höchstens bis da, wo das Kleid ein wenig gerafft ist. Ihr Haar war lang und glatt und hatte die Farbe von Sonnenschein auf einem Gerstenfeld, und ihr Kleid war schneeweiß. Da, wo der Ausschnitt sein sollte, waren Rosenblüten aufgenäht. Sie hob das Kleid ein wenig an, als sie über die Schwelle trat, und ich konnte die silbernen Schuhe an ihren winzigen Füßen sehen und das Klingeln der Glöckchen hören, die sie um ihre Knöchel gewunden hatte.

Rackety war ganz rot vor Glück. »Titch«, sagte er, »das hier ist Jemmy.«

Sie schwebte ganz nah an mich heran und riss die veilchenblauen Augen auf. »Ist sie deine Haushälterin, Rackety?«, hauchte sie.

Cockles ging hinter der Anrichte in Deckung, und Benjy hechtete in Richtung Fenster. Nur Miggs regte sich nicht. Er war schon seit seiner Rückkehr vom Markt sehr schweigsam und in sich gekehrt gewesen. Jetzt schaute er zwischen Titch und mir hin und her, als sei er eigentlich mit etwas Wichtigerem beschäftigt und wolle nur erst unser kindisches Geplänkel abwarten, bevor er sich zu Wort meldete.

Ich hatte so lange zu Miggs geschaut, dass der Augenblick verpasst war, um angemessen auf Titch loszugehen. Also fasste ich stattdessen Rackety scharf ins Auge und knurrte: »Die Dame hat dich etwas gefragt.«

Rackety sammelte sich mühsam und stotterte schließlich: »Nein, sie ist … sie ist eine von meinen Männern, sozusagen.«

Titch lächelte süß. »Und deine anderen Männer, sozusagen?«

»Der Blonde da ist Miggs, mein Stellvertreter. Der kleine Dunkle, der halb aus dem Fenster hängt, ist Benjy. Und der Große, der versucht, hinter die Anrichte zu kriechen, ist Cockles. Und das hier, meine Lieben, das ist also Titch.«

Wir schwiegen unbehaglich. Schließlich riss ich mich zusammen und deutete auf den Tisch. »Wollen wir essen?«

Titch hob die Nase und schnüffelte, dann schob sie den Deckel ein wenig von der Schüssel. »Das ist … oh, es tut mir leid, aber das kann ich nicht essen. Ich hätte vorher sagen sollen, dass ich niemals Lauch esse … ich kann ihn einfach nicht vertragen.« Sie legte ihre weißen Finger federleicht auf Racketys Handgelenk und schaute ihn mit großen Augen an.

»Das ist allein meine Schuld«, sagte er galant. »Ich hätte mich vorher bei dir erkundigen sollen. Darf ich dich zum Essen in die Stadt einladen?«

Er griff schon nach seinem Hut, da trat Miggs dazwischen. »Fergus ist in der Stadt«, murmelte er nur.

Rackety ließ den Hut fahren und setzte sich so heftig auf den Stuhl, der ihm am nächsten stand, dass er ihn beinahe zu Boden gerissen hätte. Er sog scharf die Luft durch die Lücke zwischen seinen Vorderzähnen. Es gab ein pfeifendes Geräusch, das einzige im Raum.

Miggs griff sich einen anderen Stuhl, setzte sich umgekehrt darauf und verschränkte die Arme über der Lehne. »Ich habe es vorhin auf dem Markt gehört«, fügte er hinzu, »als ich das Grünzeug besorgt habe.«

Benjy schwang sich aus dem Fensterrahmen zurück ins Zimmer und hockte sich auf die Tischkante. Cockles, unter dem die meisten Stühle und Tischkanten zusammenbrachen, kam hinter der Anrichte hervor und lehnte sich behutsam mit dem Rücken daran.

»Jemmy, Liebes«, sagte Rackety, und seine Stimme klang ganz flach und tonlos, »zeig Titch doch bitte unseren Garten.«

Sie öffnete den Mund, um zu protestieren, und schloss ihn dann wieder. Mir versetzte es einen Stich. Sie kannte Rackety bereits gut genug, um zu wissen, dass dies der Tonfall war, der absoluten sofortigen Gehorsam verlangte.

Ich schob die Hintertür auf, die in den kleinen zugewachsenen Hof führte. »Komm, Titch!«

Sie machte ein paar Schritte, dann drehte sie sich noch einmal um. »Wer ist Fergus, Rackety?«

»Ein Freund!«, schnappte Miggs sehr scharf, und sie floh an mir vorbei durch die Tür, sodass die Glöckchen an ihren Knöcheln verängstigt schepperten.

Während ich auf die grauen Pflanzen deutete und mir von Titch ihre Namen nennen ließ, rasten meine Gedanken. Fergus war in der Tat einmal so eine Art Freund gewesen. Er arbeitete mit seinen Männern in einem anderen Stadtteil, sodass wir uns nicht in die Quere kamen. Ein paar Mal hatten wir versucht, aufkommende Grenzstreitigkeiten dadurch zu lösen, dass wir uns zusammentaten, aber seine Männer waren zu wild, und es waren zu viele, als dass er ihnen allen hätte vertrauen können. Rackety dagegen sagte immer: »Wenn ich einen Bruch mache, dann bleibt nichts zurück – keine Beute, keine Spur und vor allem kein Verletzter. Alles andere ist schlampige Arbeit.« So kam es, dass wir einander aus dem Weg gingen und die Häuser und Geschäfte im Grenzbereich unangetastet ließen, um Ärger zu vermeiden.

Und dann geschah die Sache mit der Galerie. Fergus hatte im Auftrag eines reichen Bildersammlers ein Gemälde abgegriffen. Der Bruch war gut durchgeplant, es hätte nichts schiefgehen dürfen. Aber einer seiner Männer konnte plötzlich einer vergoldeten Maske nicht widerstehen, die in der Mitte des Raumes in einer gläsernen Vitrine stand. Als er das Vitrinenglas mit einem Kerzenständer einschlug, alarmierte das Klirren den Nachtwächter. Der erlitt einen Anfall von Heldenhaftigkeit, stürmte herbei und schrie, wild die Laterne schwenkend, »Halt! Wer da?«, bis der Kerzenständer ihn außer Gefecht setzte.

Fergus musste die Stadt verlassen. Bevor er ging, kreuzte er überraschend in unserem damaligen Hauptquartier auf, einer leeren Lagerhalle hinter der Kerzenfabrik. Wir hatten keine Ahnung, dass jemand von unserem Unterschlupf wusste, bis an diesem Abend unvermittelt Fergus in der Tür stand. Er war groß, beinahe so groß wie Cockles, aber viel leichter gebaut, und seine Augen schienen zu glühen wie schwarze Kohlen.

»Ich bin allein gekommen«, sagte er und wies unaufgefordert die leeren Handflächen vor.

Wir waren alle wie erstarrt, bis Rackety pfeifend die Luft durch seine Zahnlücke sog, langsam wieder ausatmete und sich dann betont unbekümmert der Tür näherte. »Darf ich dir etwas anbieten?«, fragte er höflich.

Fergus machte einen vorsichtigen Schritt nach vorn und schloss die Tür hinter sich, ohne sich umzudrehen. »Ich werde für eine Weile weg sein«, tastete er sich weiter.

Rackety hob die Augenbrauen. »Weißt du schon, wohin?«

Fergus machte eine vage Handbewegung. »Übers Meer. Wird länger dauern.«

Wir anderen standen um die Anrichte herum, immer noch unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, und hörten den Beiden zu. Miggs platzte beinahe vor Ungeduld. Cockles musste ihn festhalten, damit er nicht auf Fergus losstürmte.

»Was willst …« begann er, aber Rackety stoppte ihn mit einer Geste.

»Sind noch Geschäfte offen?«, fragte er mit sehr klarer Stimme.

Fergus schüttelte den Kopf. Er holte ein paar Mal Atem, als müsse er in kaltes Wasser springen. Schließlich sagte er: »Ich bitte dich, etwas für mich aufzubewahren.«

Racketys Augen weiteten sich vor Erstaunen. »Warum fragst du nicht deine Männer?«

Fergus machte eine beinahe hilflose Geste. »Du kennst sie.«

Wir alle kannten sie. Sobald Fergus fort war, würden sie aufeinander losgehen wie Kampfhähne im Ring. Nichts wäre vor ihnen sicher. Und bei ihnen wäre wohl auch nichts sicher.

Fergus griff langsam in seine Gürteltasche und achtete darauf, dass wir seine Hände gut im Blick behielten. Er zog ein schmales Päckchen heraus. »Das hier ist es«, flüsterte er. »Es ist sehr wertvoll für mich. Ich könnte es nicht ertragen, wenn es in die falschen Hände geriete.«

»Was ist das?«, fragte Benjy misstrauisch.

»Ein … ein Amulett, nichts weiter. Für niemanden von Wert als nur für mich. Werdet ihr es aufbewahren?«

Wir schauten Rackety an. Miggs schüttelte kaum merklich den Kopf. Er spürte den Ärger schon, wenn er sich nur näherte. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass meistens er es war, der den Ärger verursachte. Benjy zog eine argwöhnische Miene. Cockles, die Hände noch immer auf Miggs‘ Schultern, hatte vor Aufregung den Mund ein wenig geöffnet.

Rackety strich sich mit dem Daumennagel über die Unterlippe. »Wir machen‘s«, sagte er schließlich. Er nahm das Päckchen vorsichtig aus Fergus‘ Händen, trug es zu der Vase auf der Anrichte, in der wir alle wertvollen Sachen aufhoben, und ließ es hineingleiten. Dann kehrte er zu Fergus zurück, streckte ihm beide Hände entgegen, die Handflächen nach oben gekehrt, und sagte: »Gute Fahrt.«