Drachenzunge - Seine zweite Reise - Thomas Wehlus - E-Book

Drachenzunge - Seine zweite Reise E-Book

Thomas Wehlus

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Beschreibung

Von Cornelius' Tod aufgewühlt, machen sich der magische Löffel Drachenzunge und der Drache Paternus gemeinsam auf zu Drachenzunges zweiter Abenteuerreise. Ihre Suche nach anderen Drachen führt sie tief in die verschneiten Bergregionen östlich der Drachenberge. Als sie Terg verlassen und entlang der Rhun hinauf ins Gebirge reisen, ahnen sie noch nichts von den schicksalhaften Begegnungen und Abenteuern, die ihnen bevorstehen. Sie finden Freunde an längst vergessenen Orten. Sie kämpfen auf Leben und Tod gegen die lebendigen Schatten. Sie ziehen mit ihren treuen Verbündeten in den aussichtslos scheinenden Krieg gegen die Schwarze Stadt. Das Schicksal der gesamten freien Welt liegt in ihren Händen. Werden sie die Schwarzen Magier bezwingen und ihre verwerflichen Pläne durchkreuzen? Können sie die Welt vor der Zerstörung durch das lebendige schwarze Feuer bewahren? Begleiten sie die ungewöhnlichen Helden Drachenzunge und Paternus in eine von Zauber und Zerstörung beherrschte Welt voller Abenteuer und Entdeckungen. ------------------------------------------------------------- Drachenzunge - Seine zweite Reise: Die Schwarze Stadt ist für Leserinnen und Leser ab dem Alter von 12 Jahren bis ins hohe Alter geeignet. Das Buch hat sozusagen FSK 12. Es handelt sich nicht um ein Kinder- oder Jugendbuch, sondern um Fantasy für alle Altersklassen. Ich schreibe dies, da auf manchen Plattformen die Einstufung "ab 12 Jahren" beispielsweise in eine Angabe "Altersklasse 10-14 Jahre" geändert wird. Dies ist hier explizit nicht gemeint. Es ist nicht notwendig, den ersten Band von Drachenzunges Reisen gelesen zu haben, bevor man den zweiten Band liest. Es wird aber empfohlen, da die Bücher inhaltlich aufeinander aufbauen. Mehr Informationen zum Buch und zum Autor auf www.Drachenzunge.com. ------------------------------------------------------------- Bisher erschienen in der Buchreihe Drachenzunges Reisen von Thomas Wehlus: Drachenzunge - Seine erste Reise: Der letzte Drachenreiter, ISBN: 978-3-755-79930-6 Drachenzunge - Seine zweite Reise: Die Schwarze Stadt, ISBN: 978-3-756-24059-3 -------------------------------------------------------------

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Seitenzahl: 404

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Für meine Familie.

Bisher erschienen in der BuchreiheDrachenzunges Reisen von Thomas Wehlus:

1. Drachenzunge - Seine erste Reise:

Der letzte Drachenreiter

ISBN: 978-3-755-79930-6

2. Drachenzunge - Seine zweite Reise:

Die Schwarze Stadt

ISBN: 978-3-756-24059-3

DANKE allen, die durch ihre Unterstützung der StartNext Kampagne, zum Erscheinen von

Drachenzunge - Seine zweite Reise - Die Schwarze Stadt beigetragen haben:

Elke und Alexander Uffinger, Augsburg

Christian Kolb, Kleestadt

Uwe Stenzel, Regensburg

Peter und Brigitte Wilz, Worms

Lena, Dormagen

Kapitelübersicht

Der Drache Cornelius

Die Reise nach Osten

Die Zwerge unter dem Berg Dhul

Schatten in der dunklen Nacht

Die Ruhe vor dem Sturm

Eine helle Nacht vor einem dunklen Morgen

Der Angriff auf die Schwarze Stadt

Kazgasch

Der Winter naht

Das Glück, Freunde zu haben

Der Drache Cornelius

Cornelius schaute aus dem Fenster. Draußen war es wolkig und trübe. Die Sonne war hinter den Wolken versteckt und lediglich ein fahles Licht erhellte die Höhle des alten Drachen. In den letzten Wochen war er wieder müde geworden und schlief lange, manchmal tagelang. Aber heute war er einigermaßen wach und saß im Schaukelstuhl am Fenster im fahlen Licht. Er war guten Mutes, auch wenn ihn seit einiger Zeit ein Gedanke plagte, der ihn auch heute wieder beschäftigte. Es war das Ende eines kalten Winters und die Sonne gewann jeden Tag ein wenig Kraft. Heute war sie zwar nicht zu sehen, aber das tat seiner guten Stimmung keinen Abbruch, vor allem, weil Paternus und Drachenzunge zu Besuch waren. Draußen lagen die Berggipfel noch tief verschneit, aber in seiner Drachenhöhle war es warm.

Drachenzunge und Paternus waren in der Küche und bereiteten Kaffee und Kuchen zu. Cornelius freute sich über die Gesellschaft der beiden. Seit Drachenzunge von seiner ersten Reise mit Wolfgang zurückgekehrt war und wieder bei Cornelius lebte, war der alte Drache oft sehr glücklich gewesen. Er genoss das gemeinsame Kochen und die guten Gespräche mit Drachenzunge. Paternus schaute alle paar Tage vorbei, um nach dem Rechten zu sehen und Nachrichten von Wolfgang und Julia aus Terg zu überbringen.

Paternus kam mit einem Tablett in das Zimmer. Drachenzunge schwebte neben ihm und trug eine große Kaffeekanne in seiner Löffelschale. Als sich alle gesetzt hatten und jeder ein Stück Kuchen vor sich hatte, saßen sie eine Weile schweigend beisammen. Nur das Schlürfen und Schmatzen der Drachen war zu hören. Dann wischte sich Cornelius mit einem Tuch den Mund ab und ergriff das Wort: „Das war vorzüglich. Drachenzunge, du kochst und backst wirklich wunderbar. Ich bin so dick geworden, seitdem du zurück bist, dass ich gar nicht weiß, ob ich noch fliegen kann. Ich werde vom Berg fallen wie ein Stein, wenn ich es versuche. Zum Glück liegt Schnee im Tal, um mich weich aufzufangen.“ Er grinste über das ganze Gesicht. Drachenzunge errötete ein wenig.

Cornelius fuhr fort: „Ich war der stärkste und wildeste der Menschen. Dann wurde ich erwählt, ein Drache zu werden. Die Zauberer verbrachten einen Tag und eine Nacht mit dem Ritual. Ich war der Erste der wenigen Drachen, die erschaffen wurden. Das war vor fast tausend Jahren, als das Böse über die Welt rollte und alles zu verschlingen drohte. Feuer regnete vom Himmel und die Welt verschwand im Rauch. Es war eine traurige Zeit voller Verlust und Angst. Wir Drachen waren ein Zeichen der Hoffnung, geboren aus Magie, um der dunklen Kraft des Feindes entgegenzutreten. Ilia, Siegfried, Amelia, Herekles, Enai und wie sie alle hießen.“ Er schaute aus dem Fenster in die Weite und hielt eine Weile inne.

Seine Gedanken schweiften zurück durch die Zeit. So viel war passiert. Mächtige Könige waren gekommen und gegangen. Tausend Mal war aus dem warmen Sommer der goldene Herbst, aus dem Herbst der kalte Winter und aus dem Winter schließlich wieder der Frühling geworden. Der blühende Frühling, der auch damals die Hoffnung brachte, nach den dunklen Jahren. Vieles vom Ende des Ersten Zeitalters hatte er vergessen. Aber er war einer der wenigen, die sich noch an den Zeitenwechsel erinnern konnten, die selbst dabei gewesen waren. Plötzlich kam die verdrängte Erinnerung an den Schmerz. Der Schmerz nach dem gewonnenen Krieg, jedes Jahr einen anderen Freund an die Zeit zu verlieren. Die Sehnsucht wieder ein Mensch zu werden, sterblich zu sein.

Das Gefühl in seinem Inneren kam ganz plötzlich. Ein Stechen und Summen. Genau wie damals. Ihm wurde mulmig zumute. Sollte heute der Tag sein?

Cornelius sprach weiter: „Ich habe nicht jeden Tag als Drache genossen. Gerade am Anfang habe ich mir oft gewünscht, wieder ein Mensch zu sein. Deshalb lebten die Drachen auch nach dem Krieg noch mit den Menschen zusammen. Nach dem Krieg lebten wir eine Weile gemeinsam in den Drachenbergen. Die verbliebenen Magier stellten ihre Kraft in den Dienst der Drachenreiter. Menschen und Drachen sicherten den Frieden, den sie so hart errungen hatten. Die anderen Völker hatten sich in ihre Reiche zurückgezogen. Nicht alle, die gekämpft hatten, wollten Teil der Allianz bleiben. Aber Drachen und Menschen standen für eine Weile füreinander ein.“

Cornelius trank einen Schluck aus seiner Tasse, dann fuhr er fort: „Doch die Menschen vergaßen all zu schnell. Schon nach hundert Jahren war der Krieg vergessen. Kaspian vom Rosental war der Letzte, der den alten Orden weiterführen wollte, doch die Drachen waren fast alle schon fort. Ich war der Einzige hier in den Bergen.“ Cornelius schaute prüfend in die Runde.

„Das hast du noch nie erzählt“, rief Drachenzunge, „du warst mal ein Mensch?“

„Vor ganz langer Zeit. Ich bin nicht aus einem Ei geschlüpft wie Paternus.“

Cornelius sah Paternus prüfend an. Paternus war groß geworden. Ein stattlicher Drache, wenn auch etwas zu dick. Aber das würde sich ändern, wenn Cornelius einmal nicht mehr sein würde. Dann würde sich Paternus sicher aufmachen, um die Welt zu erkunden. Er hatte das Vorrecht genossen, Paternus aufwachsen zu sehen. Hatte sich um ihn gekümmert, wie um einen eigenen Sohn. „Paternus war der Sohn, den ich nie hatte“, durchzuckte es Cornelius.

Das innere Brummen wurde stärker. Der Ort, an dem die Perlen eingeschlossen waren, vibrierte. Jetzt war er sich sicher. Heute würde der Tag sein.

Er zwinkerte dem jüngeren Drachen zu. „Das ist jetzt aber auch schon eine ganze Weile her“, meinte Paternus lachend.

„Paternus ist ein Kind der Liebe. Einer der Drachen, die nicht durch Magie erschaffen wurden. Leider mussten seine Eltern Ilia und Enai fliehen, als er sehr klein war, und konnten ihn nicht mitnehmen. Ich konnte ihn bei mir verstecken. Das war vor etwa sechzig Jahren, als die Drachenjäger ihr Unwesen trieben. Ich habe nie wieder von ihnen gehört.“

Paternus schnaubte: „Ich frage mich, was aus ihnen geworden ist. Ich würde sie doch immer noch gerne wiedersehen. Auch nach all den Jahren. Gibt es noch Drachenjäger?“

„Ich habe zum Glück seit langer Zeit keinen mehr gesehen.“ Cornelius legte sich im Sessel zurück und schloss kurz die Augen.

Cornelius reiste im Traum zu den Sternen. Er ließ seine Drachenhülle zurück. Sie zerfiel zu Staub. Er war frei. Ein Blitz in der Dunkelheit. Ein Nebel am Morgen. Ein Tautropfen auf einem Blatt nach einem Sommerregen. Alles und nichts, aber frei. Er lächelte.

„Er schläft wieder“, sagte Drachenzunge. Paternus nickte. „Ich frage mich immerzu, was aus meinen Eltern geworden ist. Ich war gerade geschlüpft, als meine Mutter von Drachenjägern aufgespürt wurde. Sie jagten sie unbarmherzig und sie rettete sich zu unserem Unterschlupf. Mein Vater und meine Mutter versuchten die Drachenjäger zu vertreiben, aber es gelang ihnen nicht. Schlimmer noch. Meine Eltern wurden von einem Zauber der Drachenjäger getroffen, der sie leicht auffindbar machte. Egal wohin sie flohen, am nächsten Tag waren die Jäger wieder bei ihnen. Auf ihrer Flucht trafen sie Cornelius. Er versprach auf mich aufzupassen, bis die Drachenjäger aufgeben würden und meine Eltern mich wieder abholen könnten. Sie sind nie zurückgekehrt.“

„Warum jagen sie euch Drachen?“, fragte Drachenzunge.

„Wegen unserer Kraft und dem Feuer in uns. Sie verwenden uns als Waffe gegen ihre Feinde. Manche wissen außerdem von den magischen Perlen“, sagte Cornelius, der wieder aufgewacht war. „Die Perlen sind in uns und geben uns unsere Kraft, so wie sie dir Kraft geben, Drachenzunge. Man kann sie benutzen, um Zauber zu wirken. Sie sind sehr wertvoll und sehr selten geworden.“

Cornelius nahm wieder einen Schluck Tee und schaute lange aus dem Fenster. „Ihr werdet euch sicher fragen, warum ich euch das erzähle.“ Paternus und Drachenzunge nickten.

Es würde schneller gehen als gedacht. Er musste sich beeilen. Er hatte immer gedacht, es würde langsam kommen. Aber die Perlen brummten schon so sehr, dass er meinte, er würde zerspringen. Es musste jetzt sein. Er musste es ihnen sagen. Eine Erinnerung durchzuckte ihn. Perlen dürfen nicht in die Sonne. Das musste er ihnen noch sagen. Er schaute Drachenzunge und Paternus an. Er liebte sie beide sehr. Er hatte es nie über das Herz gebracht, es Paternus und Drachenzunge zu sagen.

„Was ich euch eigentlich sagen wollte, ist etwas ganz anderes. Als ich erschaffen wurde, waren die Magier noch ungeübt. An manchen Stellen des Rituals mussten sie improvisieren. Meine Lebenszeit als Drache ist daher begrenzt auf ungefähr eintausend Jahre. Meine Zeit als Drache geht heute zu Ende. Meine Drachengestalt wird schwach und müde und bald werde ich ganz von dieser Welt verschwinden. Alles was zurückbleiben wird, sind die Perlen, mit denen ich verzaubert wurde. Die rohe Kraft ihrer Magie wird mich überdauern. Warum erzähle ich euch das?“ Cornelius schaute auf und sah den beiden in die Augen. „Solange die Perlen nicht erneut Teil eines Zaubers sind, dürfen sie auf keinen Fall der Sonne ausgesetzt werden. Wenn die Perlen der Sonne ausgesetzt werden, dann verderben sie und wecken das Böse bei allen, die mit ihnen in Kontakt kommen. Habt ihr das verstanden? Es ist wichtig!“

Drachenzunge und Paternus nickten. Sie hatten beide einen Kloß im Hals und wussten nicht recht, was sie sagen sollten.

„Aber sicher wird das noch eine Weile dauern!“, rief Drachenzunge, um die Stimmung etwas aufzuhellen. Er konnte sich ein Leben ohne den alten Drachen nicht vorstellen.

Cornelius lächelte ihn liebevoll an und sprach: „Drachenzunge, mein lieber Drachenzunge. Ich wünschte, es wäre so. Aber so ist es nicht. Es wird heute sein. Ich werde meinen Drachenkörper zurücklassen und zu den Sternen reisen, wo meine Freunde auf mich warten. Ich war sehr glücklich mit euch beiden in den letzten Monaten. Ihr habt mir meine Lebenskraft zurückgegeben und mir gezeigt, dass es sich lohnt zu leben. Mehr noch. Ich liebe euch beide sehr. Ich werde immer bei euch sein. Aber meine Kraft schwindet und der Feuerlilientrank verliert nun endgültig seine Wirkung. Vergesst mich nicht. Ich werde euch auch nie vergessen.“ Eine dicke Drachenträne kullerte über Cornelius‘ Gesicht. Auch Paternus und Drachenzunge weinten. Drachenzunge sagte schließlich: „Wir werden dich auch nicht vergessen, alter Freund.“

Cornelius spürte, wie sich die Verbindung aufbaute. Die Perlen überlagerten ihre Schwingungen, genau wie damals. Wenn die Resonanz erreicht war, war es zu Ende. Es war nur noch eine Frage von Minuten. Dann hörte er die Stimmen. Sie riefen ihn.

In der Ferne donnerte es und dunkle Wolken stoben über den Himmel. Das Gewitter kam schnell näher. Ein Blitz zuckte um die Berge und schlug ganz in der Nähe in einen Berggipfel ein. Der Lichtblitz tauchte den Raum für kurze Zeit in ein gleißendes Licht. Die Drachen und der fliegende Löffel warfen scharfe Schatten an die weiße Wand der Höhle. Nahezu gleichzeitig ertönte ein ohrenbetäubender Donnerschlag.

Als der Donner verflogen war, sagte Cornelius: „Geht nun. Es ist so weit. Es ist noch so viel zu sagen und doch so wenig Zeit. Sie rufen mich bereits. Auf Wiedersehen, meine Freunde. Grüßt Julia und Wolfgang von mir. Ich hätte sie gerne nochmal besucht, aber ich war so müde.“

Paternus umarmte den alten Drachen, dann ging er wortlos hinaus. Viele Worte waren nicht sein Fall. Cornelius drückte Drachenzunge an sich.

„Auf Wiedersehen, mein Freund“, sagte Cornelius nochmals.

„Ich werde dich so vermissen“, weinte Drachenzunge. „Denk an mich, wenn du traurig bist. Ich werde immer bei dir sein. Du wirst es sehen.“ Er zwinkerte dem Löffel zu. „Nun geh. Die Zeit ist nah und ich möchte nicht, dass dir etwas passiert.“

Drachenzunge rief: „Auf Wiedersehen, mein Freund.“ Er schwebte zur Tür des Zimmers hinaus. Cornelius saß noch in seinem Schaukelstuhl. Dann sprang er auf und ging eilig zu einer Kommode.

Der Drache und der verzauberte Löffel standen vor der Höhlentür im Schnee. Hier war eine ebene Fläche zum Starten oder Landen angelegt worden, die mehreren Drachen Platz bot. Der Schnee war tief und es wehte ein kalter und unbarmherziger Wind. Cornelius hatte weitgehend auf das Schneeräumen verzichtet und die wenigen Besucher hatten es ihm bisher nicht übel genommen. Paternus zitterte leicht in der Kälte, nach dem langen Sitzen in der warmen Drachenhöhle und den überraschenden und traurigen Neuigkeiten.

Es war nicht nur ein äußerliches Zittern, auch sein Innerstes fühlte sich an, als würde es zerreißen. Das Gefühl seinen Ziehvater zu verlieren, ließ ihn hilflos und verzweifelt zurück. Vor allem, dass er nichts tun konnte, dass er es einfach hinnehmen musste, machte ihn fast wahnsinnig. Er ballte seine Krallen zu Fäusten und presste so fest zu, dass sie schmerzten. Seine Knöchel traten hell hervor. Die Kälte des Windes und des eisigen Schnees ließen ihn schließlich etwas ruhiger werden.

Frostige Windböen fauchten um den Berggipfel und es war fast, als würde man wilde Stimmen in ihnen hören, die in einer alten Sprache nach jemandem riefen. Aus weiter Ferne hörten sie ein dumpfes Donnergrollen.

„Das Beste, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, ist ein Aufenthalt im Freien“, meinte Paternus.

„Da hast du wohl recht“, antwortete Drachenzunge. Er war in Gedanken versunken und dachte an die vergangene Zeit mit Cornelius. Würde er wirklich für immer verschwinden? Einfach so und ganz plötzlich? Das konnte nicht sein. Es war bestimmt ein Missverständnis, das sich bald aufklären würde und über das dann alle herzhaft lachen würden. Paternus würde ihm sicher zustimmen.

„Was denkst du über Cornelius?“, fragte er.

Paternus schwieg lange. Dann sagte er leise: „Er ist schon sehr alt und er hat sich lange nach dem Ende gesehnt. Es macht mich traurig, dass er bald fort sein wird, aber gleichzeitig auch froh. Ich habe ihn seit langen Jahren nicht mehr so glücklich und zufrieden gesehen. Das ist auch dein Verdienst, als sein engster Freund.“

Drachenzunge errötete. Dann sagte er leise: „Ich mag den alten Drachen. Er hat mich erweckt und die meiste Zeit habe ich bei ihm verbracht. Er hat mir so viel beigebracht. Er ist wie ein Vater für mich. Bist du dir sicher, dass er sterben wird? Vielleicht ist das ja alles ein großes Missverständnis?“

Paternus wollte etwas erwidern. Er hatte schon seinen Mund geöffnet, da hielt er mitten in der Bewegung inne und spitzte die Ohren. Aus der Höhle von Cornelius kam ein tiefes Summen. Es war noch leise, schwoll aber schnell und stetig an. Wie ein riesiger Bienenschwarm, der sich mit rasender Geschwindigkeit näherte.

„Da kommt ein Summen aus der Höhle“, sagte er schließlich. „Hörst du das auch?“

Drachenzunge nickte. Licht drang aus den Fenstern der Höhle. Klares, helles Mondlicht, aber tausendfach heller. Es kam durch die Türen und Fenster, aber auch durch die Wände der Höhle und die Steine des Berges. Das Summen war so laut, dass sich Paternus die Ohren zuhalten musste. Die Helligkeit blendete ihn und er schloss die Augen. Nur Drachenzunge sah, wie im Licht der Schatten eines großen, stattlichen Drachens davonflog und im Himmel verschwand. Alles ging sehr schnell. Kaum war der Drache im Himmel verschwunden, da fuhr ein Blitz in den Berg und es ertönte ein lauter Donnerschlag. Mit ihm kam eine Druckwelle, die Paternus und Drachenzunge zu Boden warf. Dann war es dunkel und still.

„Er ist davongeflogen“, sagte Paternus traurig, während er sich wieder aufraffte. „Ich kann ihn nicht mehr spüren. Keine Spur von ihm.“

Drachenzunge weinte und rief: „Das kam jetzt aber doch sehr überraschend. Wenigstens ein paar Tage hätte ich noch gerne mit ihm verbracht.“ Er ließ sich auf den Boden fallen. Dann waren sie eine Weile still und lauschten dem Wind. Die fremden Stimmen waren noch da, aber sie wurden rasch leiser und verklangen schließlich ganz. Nur das Rauschen des Windes blieb zurück.

Der Wind strich über den Gipfel. In der Ferne sah man einen Adler vorbeiziehen. Langsam hellte es auf. Plötzlich rissen die Wolken entzwei und ein kurzer Sonnenstrahl fiel auf die beiden, die so einsam dort oben auf dem Berggipfel standen.

Irgendwann ergriff Drachenzunge das Wort: „Lass uns nachsehen, was passiert ist. Kommst du mit?“ Unsicherheit schwang in seiner Stimme. Er hatte Angst vor dem, was er vorfinden oder nicht vorfinden würde und doch wollte er auch Gewissheit.

Paternus schwieg eine Weile und dachte nach. Schließlich sagte er: „Es muss wohl sein. Besser gehen wir zu zweit.“

Die schwere Tür der Drachenhöhle stand, von der Druckwelle aufgesprengt, weit offen. Drachenzunge ging zuerst hindurch. Innen in der Höhle war ein schreckliches Durcheinander. Alle Dinge, die zuvor schön in Regalen und Schränken aufgereiht gestanden hatten, lagen nun verstreut am Boden. Das Porzellan war größtenteils zerbrochen und alle Scheiben der Höhle waren vom Donnerschlag zerborsten. Sämtliche Bücher der Bibliothek lagen übereinander am Boden und die Töpfe und Pfannen waren in der Küche verstreut. Drachenzunge und Paternus besahen den Schaden.

„Ein ganz schönes Durcheinander“, sagte Drachenzunge, „und Cornelius ist einfach verschwunden?“

„Es scheint so“, antwortete Paternus.

Im Wohnzimmer lag der leere Schaukelstuhl umgestürzt neben dem großen schweren Holztisch. Wenigstens der Tisch stand noch an seinem Platz, während das ganze restliche Zimmer verwüstet war. Mitten im Tisch steckte ein silberner Dolch im Holz. An seinem Heft war eine versiegelte Schriftrolle befestigt. Paternus griff nach der Rolle und betrachtete das Siegel. Ein großer Drache in einem runden Schild war mit rotem Siegelwachs auf die Rolle gepresst. Das Wachs war ganz frisch. Daneben stand in geschwungenen Lettern: „Für Paternus und Drachenzunge“. Paternus brach das Siegel und entrollte die Schriftrolle. Dann las er vor:

„Lieber Drachenzunge, lieber Paternus,

tausend Jahre sind vergangen und meine Zeit als Drache ist zu Ende. Ich habe diesen Moment lange ersehnt und doch hat er mich am Schluss überrascht ereilt.

Hier steht nun mein letzter Wille.

Alles in der Schatzkammer soll an Wolfgang und Julia übergeben werden. Nur die magischen Perlen nicht. Diese sind für Drachenzunge bestimmt. Drachenzunge, hüte sie wohl. Sie sind wertvoll und sehr mächtig. Achte gut auf sie, erzähle niemandem davon und denke daran: Die Perlen dürfen niemals das Angesicht der Sonne sehen.

Meine Drachenhöhle mit ihrem restlichen Inhalt vermache ich Paternus.

Paternus, Drachenzunge, ihr seid beide wie eigene Kinder für mich gewesen. Ich liebe euch sehr. Denkt an mich und tragt mich im Herzen.

Euer Cornelius, der erste Drache“

Drachenzunge flüsterte: „Auf Wiedersehen, Cornelius.“

Paternus zerbarst innerlich vor Trauer. Er ging zum Fenster und brüllte ein lautes Drachenbrüllen und spuckte Feuer, bis er keine Kraft mehr hatte und seinen großen Kopf hängen ließ. So blieb er eine Weile stehen. Dann richtete er den hölzernen Schaukelstuhl auf und ließ sich hineinfallen. Mit seinem Blick in die Weite gerichtet saß er da und suchte Ruhe für sein wild pochendes Herz. Drachenzunge ging es ähnlich, auch wenn er es nicht so zeigte.

Er begann das Zimmer aufzuräumen, ließ es dann aber sein und warf alles wieder auf den Boden. Dann legte er sich auf den Tisch und starrte an die kahle Zimmerdecke. So saßen und lagen sie eine lange Weile, lauschten dem Wind, der durch die zerbrochenen Fenster hineinwehte und hingen ihren Gedanken der Trauer nach. Wie lange sie so die Zeit verbrachten, wussten beide hinterher nicht mehr zu sagen. Nur, dass Paternus es war, der schließlich die Stille brach.

Paternus sagte: „Lass uns seinen letzten Willen erfüllen. Ich brauche etwas Abstand und ein Flug nach Terg wäre nicht schlecht. Das bringt uns vielleicht auf andere Gedanken.“

Drachenzunge gab sich einen Ruck und riss sich von dem Gedanken los, den er gerade verfolgt hatte. Langsam löste sich der Gedanke auf und wurde vergessen. Zurück blieben wieder nur die Trauer und das Gefühl der Leere. Paternus hatte recht. Etwas pragmatischer Aktivismus würde ihnen beiden sicher guttun.

„Gute Idee“, meinte Drachenzunge schließlich. „Lass uns in die Schatzkammer gehen und nachsehen, was wir dort vorfinden und wie viel wir transportieren müssen.“

Sie gingen zur Schatzkammer und öffneten ihre schweren Türen. In ihrem Inneren sah es aus, als hätte ein Sturm getobt. Es herrschte absolutes Chaos. Alle Dinge waren vermischt und lagen im Raum verstreut, wie von einer unsichtbaren Kraft an die Wand geschleudert. Die Felswände der kahlen, fensterlosen Kammer waren verrußt und es roch verraucht. Verbrannter Staub und Ruß wirbelten durch die Luft. Überall lagen Juwelen, Gold, alte Waffen, Schmuck und edle Kleider verstreut.

In der Mitte der Kammer lagen drei dicke Perlen in einer Vertiefung neben einer riesigen, doppelflügeligen Axt. Jede der Perlen war so groß wie ein fettes Wachtelei. Eine Perle war feuerrot, eine Perle grasgrün und eine Perle war cremeweiß. Sie schienen im fahlen Licht der Kammer sanft zu strahlen. Paternus nahm eine zwischen seine Krallen und hob sie vor seine Augen, um sie näher zu betrachten. Ein Blitz zuckte durch seine Finger und seine Haut brannte, als wäre die Perle aus Feuer.

Erschrocken ließ er die Perle fallen, schreckte zurück und schrie laut auf. Er drückte sich an die Höhlenwand und rief: „Drachenzunge, sei vorsichtig. Sie sind sehr heiß. Und sie machen mir Angst. Als ich sie angefasst habe, war es, als ob ein Schatten meine Seele erfasst hat.“

Drachenzunge flog vorsichtig zu den Perlen. Er nahm eine mit dem Löffel auf. Nichts geschah. Sanft rollte sie in der Schale des Löffels hin und her. „Ich spüre nichts dergleichen“, meinte Drachenzunge. „Aber ich weiß nicht, was ich mit den Perlen machen soll. Wie soll ich sie transportieren? Vor allem wenn kein Sonnenlicht an sie heran soll.“

„Kannst du sie vielleicht umschließen?“, schlug Paternus vor. „Du kannst dich doch der Länge nach aufspalten. Könntest du sie in dir einschließen?“

Drachenzunge versuchte es. Langsam spaltete er den Löffelstiel. Dann ließ er die Perlen aus der Löffelschale wie auf Schienen nach oben rollen, bis sie fast am Heft lagen. Dann versuchte er, die Perlen zu umschließen. Langsam weitete sich das Material und kroch Stück für Stück über die Perlen. Der schlanke Löffelstiel bekam drei dicke Wülste direkt unterhalb des Griffs. Es gelang ihm kaum, die Perlen zu bedecken.

„Ist irgendwo noch ein Loch?“, fragte Drachenzunge Paternus.

Der schüttelte den Kopf. „Es sieht so aus, als wäre es eine schöne Verzierung. Man sieht nichts mehr von den Perlen.“

Drachenzunge fand die drei Wülste in seinem Körper ungewohnt, hatte aber gerade andere Dinge im Kopf, als sich darüber zu beklagen. Er wollte optimistisch sein: „Es fühlt sich auf jeden Fall komisch an. Aber daran werde ich mich schon gewöhnen.“

Er lächelte schief. Dann fragte er: „Was machen wir mit dem Rest, der hier herumliegt?“

Paternus sah sich um. „Das ist ganz schön viel und ich glaube nicht, dass Wolfgang und Julia es abholen.“ Er schmunzelte kurz. Dann wurde er wieder ernst und traurig. „Da ist eine große Kiste und eine Umhängetasche. Die packen wir voll. Ich nehme die Kiste und du die Tasche. Was meinst du?“

Drachenzunge nickte zustimmend und begann Goldmünzen und Juwelen vom Boden in die Tasche zu schippen. Paternus tat das Gleiche mit der Truhe. Sie arbeiteten schweigend und ohne Pause, bis ihre Transportbehälter gefüllt waren.

Als sie fertig waren, brachten sie die Kiste und die Tasche vor die Tür der Höhle. Sie verriegelten die Fensterläden.

Die Scheiben waren zwar zerbrochen, aber so würde wenigstens kein Wasser oder keine Tiere eindringen können. Es war nun recht spät am Abend. Bald würde die Sonne untergehen. Ihre feurige Scheibe streifte schon den Rand des weiten Ozeans im Westen. Paternus schloss die Tür mit dem großen eisernen Schlüssel ab.

„Wir räumen morgen auf, was meinst du?“, fragte er Drachenzunge.

Dieser nickte und sagte: „Ich muss jetzt auch erst Abstand gewinnen. Das Aufräumen läuft uns ja nicht weg.“

Dann sagte er zur Tür gewandt: „Auf Wiedersehen, Cornelius.“

Dann flogen sie mit dem letzten Sonnenstrahl in Richtung Terg los.

Terg war ungefähr zwei Flugstunden entfernt. Es war schon spät am Abend, als Drachenzunge und Paternus in Terg eintrafen. Aus der Ferne sahen sie bereits das Leuchtfeuer der Grafschaft. Wolfgang hatte auf dem hohen Turm, in dem Julia einst gefangen war, ein Leuchtfeuer erbauen lassen. „Ein Leuchtturm in den Bergen ist zwar etwas ungewöhnlich“, hatte er gesagt.

„Aber so findet ihr zu Not auch nachts einfach hierher.

Zudem erinnert es Julia an das Meer, an dem sie aufgewachsen ist“, hatte er damals verkündet.

Der lange Flug durch die Kälte ließ sie müde und gedankenleer im Tal von Terg ankommen. Sie näherten sich, vom Talschluss kommend, dem Schloss am Rande der kleinen Stadt. Schloss Talblick lag ruhig vor ihnen.

Sie umkreisten das Schloss einige Male und Paternus brüllte ein Drachenbrüllen, bevor sie im Hof landeten.

Hier war der Schnee ordentlich beiseite geräumt worden, aber der Boden war doch frostig und kalt. Sie hatten gerade die Kiste auf den abgeschliffenen Pflastersteinen abgestellt, da kamen Wolfgang und Julia schon aus dem großen Saal zu ihnen heraus. Einige Bedienstete folgten ihnen.

Wolfgang rief freudig: „Der Erste Löffel des Königs!

Herzlich willkommen in Terg, Drachenzunge! Paternus, schön dich zu sehen. Was treibt euch so spät am Abend nach Terg?“

Julia ergänzte: „Es ist wirklich schön euch wiederzusehen. Ihr müsst müde sein.“

Wolfgang und Julia waren gerade mit dem Abendessen fertig geworden. Sie hatten den ganzen Tag Rat gehalten und es war spät geworden. Die Vertreter der Bergleute und der Minenbetreiber hatten sich mit verschiedenen Punkten an sie gewandt. Im Wesentlichen ging es um eine Erhöhung der Sicherheit in der Mine und eine Verlängerung der Abbaurechte. Die Betreiber der Mine hatten beides auf komplizierte Weise miteinander sowie mit den Löhnen und den Steuerzahlungen verknüpft.

Wolfgang und Julia hatten das Gefühl, dass sie übers Ohr gehauen werden sollten.

Außerdem beschäftigte sie das große Tal jenseits der Rhenusmündung, das auch zu ihrer Grafschaft gehörte, aber unbewohnt war. Es war fruchtbar und weitläufig, aber durch steile, schroffe Felsen im Bereich des Talzugangs nur sehr schwer zu erreichen. Sie hatten vom König eine Aufforderung erhalten, die Grenzsicherung in diesem Teil ihrer Grafschaft zu verbessern, da der König Schmuggel über die Südostgrenze seines Königreichs hinweg fürchtete.

Von den in Terg ansässigen Handwerkern wurde die schwere Verfügbarkeit von Rohstoffen durch den schwierigen Talzugang kritisiert. Die Hängebrücke über den Choron-Wasserfall war mit Wagen bereits im Sommer nicht zu befahren, im Winter war schon eine einfache Querung zu Fuß gefährlich. Dies war für die Versorgung des Tals und den Export der Waren ein großer Nachteil. Wolfgang und Julia sollten hier für eine Verbesserung sorgen.

Julia und Wolfgang waren daher wirklich froh, alte Freunde zu sehen und andere Themen zu besprechen.

„Kommt doch herein und erzählt uns drinnen, was euch so spät am Abend noch zu uns führt“, lud Julia sie ein.

Paternus nickte. Er sah traurig und bedrückt aus. Julia sah ihn fragend an.

Drachenzunge sagte: „Wir freuen uns auch sehr, euch zu sehen. Wolfgang, Julia, es ist eine ganze Weile her. Wir kommen mit guten und schlechten Nachrichten. Aber lasst uns drinnen sprechen, wenn wir allein sind.“

Wolfgang legte seinen Kopf schief und nickte. Er wollte etwas fragen, aber er entschied sich zu schweigen. Julia ging schließlich voraus. Drachenzunge und Paternus folgten mit ihrem Gepäck. Wolfgang ging hinterher und überlegte, was der späte Besuch wohl zu bedeuten hatte.

Julia führte die Gäste in das Kaminzimmer des Schlosses. Es war gerade groß genug für den großen Drachen, die zwei Menschen und den Löffel. Wolfgang schloss die Tür hinter sich und setzte sich zu Julia und den anderen.

„Nun erzählt. Was bringt euch zu später Stunde noch zu uns. Und warum habt ihr eine solch große Kiste als Gepäck dabei?“, fragte er.

Drachenzunge räusperte sich. Dann erzählte er, was passiert war. Während er erzählte, schien das dunkle Kaminzimmer noch zu schrumpfen. Das Feuer schien fahler zu werden und die Wände näher an sie heranzurücken.

Als Drachenzunge seine Erzählung beendet hatte, fragte Wolfgang: „Cornelius ist also tot? Ich kann es nicht glauben.“

Paternus antwortete: „So ist es und es bricht mir das Herz.“ Und nach einer Weile der Stille fügte er etwas verdrießlich hinzu: „Damit bin ich der traurige letzte Drache in den Drachenbergen. Ich fühle mich so einsam.“

Ein tiefer Seufzer entfuhr ihm.

Sie überreichten auch das Gold und die Juwelen, aber Wolfgang und Julia freuten sich nicht richtig. Es wäre ihnen lieber gewesen, wenn Cornelius noch bei ihnen wäre.

Nach dem Bericht von Drachenzunge saßen sie noch eine Weile beisammen und erzählten von ihren Erlebnissen mit Cornelius. Erst weit nach Mitternacht gingen Julia und Wolfgang zu Bett. Drachenzunge und Paternus blieben im Kaminzimmer zurück. Paternus rollte sich sogleich zusammen und schlief ein. Das flackernde Feuer im Kamin beleuchtete seinen großen Drachenkörper.

Schatten huschten über die Wände und tauchten den Raum in ein unruhiges Licht. Draußen vor dem Fenster leuchtete eine ganz junge Mondsichel.

Das Kaminzimmer war mehr als nur ein Zimmer mit Kamin. Es hatte eine fast zehn Meter hohe, gewölbte Decke und drei hohe Fenster. Ein gemauerter Kamin nahm ein gutes Viertel des Raums ein. Er spendete Licht und Wärme, wenn es in den Bergen allzu kalt wurde.

Aber es gab noch etwas in diesem Raum. Er war vollgestopft mit Büchern. Vollgestopft mit alten Büchern, die nach Rauch und Kaminfeuer rochen. Neben den Fenstern, der Tür und dem Kamin waren fast die gesamten Wände mit massiven Bücherregalen bedeckt.

Und während Paternus schlief, flog Drachenzunge hin und her und stöberte in allen Ecken der Bibliothek, um sich abzulenken.

Als Paternus am nächsten Morgen erwachte, war Drachenzunge ganz aufgeregt. Er hatte eine spannende Entdeckung gemacht und plapperte sofort darauf los.

Paternus war noch müde von der Nacht und hing seinen Gedanken nach, während er Drachenzunge mit einem halben Ohr zuhörte.

Cornelius war gestern gestorben. Seine Eltern waren vor langer Zeit verschwunden. Er war allein. Paternus fühlte sich elendig.

„Und deshalb könnte es gut sein, dass wir dort einige andere Drachen finden“, schnappte er von Drachenzunge auf.

„Was? Sag das nochmal“, murmelte er. „Hast du mir überhaupt zugehört?“, fragte Drachenzunge.

Paternus sah ihn an und wiegte den Kopf hin und her.

Dann sagte er schließlich verschmitzt: „Ohne Kaffee kann ich doch gar nicht zuhören. Mein Gehirn schläft doch noch.“

Er versuchte zu grinsen, aber es misslang und wurde ein trauriges Gesicht.

„Ehrlich gesagt habe ich an Cornelius und meine Eltern gedacht.“ Er ließ seinen großen Drachenkopf hängen.

Drachenzunge nickte verständnisvoll. „Das kann ich gut verstehen. Mir geht es auch noch elend wegen gestern.

Komm, wir holen uns einen Kaffee und gehen eine Runde raus“, versuchte er den Drachen aufzumuntern.

Die beiden durchsuchten das Schloss nach einem Kaffee und stapften dann mit einer Kanne und zwei großen Tassen nach draußen auf den Schlosshof. Es war noch sehr kühl, aber den beiden machte die Kälte nichts aus.

Raureif lag auf den Steinen der Burg und die Sonne war noch hinter den Bergen im Osten versteckt. Oben am Rand des Tals beleuchtete ihr helles Licht bereits den Hang. Es würde noch ein wenig dauern, bis ihre Strahlen den Talgrund erreichen würden.

„Komm, wir fliegen dort hoch in die Sonne“, murmelte Paternus und flog, ohne zu warten, los. Drachenzunge folgte ihm. Auf einem Gipfel im Westen ließen sie sich nieder. Von hier konnte man weit über das Gebirge nach Osten schauen. Bergkamm hinter Bergkamm, bis zum Horizont. Im Süden war das tief eingeschnittene Tal der Rhun zu erkennen, verlor sich aber dann hinter den Berghängen. Nach Süden wurde das Gebirge flacher und verlor sich in Hügelketten in der Ferne. Dort lagen die Südlichen Lande.

Paternus trank einen großen Schluck Kaffee. Dann schaute er Drachenzunge von der Seite an und sagte:

„Bitte verzeih mir meine schlechte Laune von heute Morgen. Erzähl mir bitte noch einmal, was du herausgefunden hast.“

Drachenzunge rührte eine Weile in seiner Kaffeetasse.

Dann erzählte er: „Ich habe alte Bücher gefunden. Sie erzählen auch von Drachen und der Zeit, nachdem sie erschaffen wurden. Die Drachen waren die Menschen an der Küste leid. Zuerst waren sie Helden gewesen und wurden verehrt. Dann aber bekamen die Menschen Angst vor ihnen. Die Drachen wurden angefeindet und zogen sich zunächst in die Berge zurück. Aber auch dort fanden sie keinen Frieden. Sie machten sich auf den Weg nach Osten.“

Drachenzunge räusperte sich. Dann trug er vor:

„Drachenberge, Westen, Meer, nimmermehr, nimmermehr, auf nach Osten mit dem Wind, geschwind, geschwind.

Hinab zu den Bäumen, die dort stehend träumen, soweit ich seh‘.

Die Menschen vergessen, die Freiheit erringen, von Freude umgeben, Lieder singen.

Vom Baumwipfel auf, zu den Gipfeln hinauf, wo ich so gerne steh‘.

Wo Sonnenstrahlen lachen für mich und die Drachen, Freuden erwachen, Mut machen.

Reitet die Wolken, singt mit dem Sturm, im hohen Gebirge am Drachenturm.

Dort sollen wir uns treffen, geht einer verlor’n, am kreisrunden See, am Drachendorn.

Wo Zuversicht waltet und Einsamkeit weicht.

Wo Drache mit Drache Frieden erreicht.

Reitet die Wolken, tanzt mit dem Schnee, im hohen Gebirge am kreisrunden See.

Freunde singen, Drachenflügel schwingen, im hohen Gebirge am kreisrunden See, am kreisrunden See.“

Drachenzunge grinste verlegen: „Das stand in einem Buch.“

Paternus schmunzelte: „Ein wahrlich schlechtes Gedicht.

Steht ein Autor dabei?“

Drachenzunge nickte: „Ein gewisser Zesart vom Einsamen Tal. Mir gefällt es auch nicht wirklich. Es ist ein wenig mit der Brechstange gereimt. Aber es spricht mich doch auch irgendwie an.“ Drachenzunge schaute Paternus erwartungsvoll an.

Paternus runzelte die Stirn: „Da musst du mir helfen.

Was willst du mir mit der schlechten Lyrik sagen?“

„Dass wir uns auf die Suche nach weiteren Drachen machen sollten. Da draußen müssen ja noch mehr sein, oder?“

„Ich weiß nicht. Die Heimat verlassen?“, Paternus schüttelte den Kopf. „Für ein schlechtes Gedicht?“

„Nicht für ein Gedicht. Für uns. Die Welt entdecken.

Willst du nicht rausfinden, was hinter den Bergen liegt?

Wir können zusammen den kreisrunden See suchen. Wir könnten weitere Drachen finden. Findest du das gar nicht spannend?“

Paternus schnaufte. „Wer gießt meine Blumen, wenn ich weg bin?“, fragte er.

Drachenzunge schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an. „Kann es sein, dass du zu viel Zeit mit einem alten Drachen verbracht hast? Einem, der jahrelang nicht mehr oft vor die Tür gegangen ist? Einem respektablen alten Herrn, dessen Verhalten und dessen Einstellungen auf dich abgefärbt haben? Ich mochte Cornelius auch sehr gerne. Aber er würde es nicht wollen, dass wir tagelang in seiner alten Höhle sitzen und Trübsal blasen.“

„Du magst recht haben“, antwortete der Drache. „Ich werde darüber nachdenken.“

Die Sonne stand jetzt höher am Himmel. Gerade erreichten ihre Strahlen den Talgrund. Drachenzunge schaute hinab in das Tal. Am Osthang wurden Bäume gefällt, entastet und mit Pferden über den schneebedeckten Weg in das Tal geschleppt. Am Sägewerk wurden die Stämme bereits erwartet. Aus den Minen am Talrand wurden Wagen voller Erz zu den Schmelzöfen gefahren. Die Häuser von Terg hatten schwere Schneehauben auf ihren Dächern und aus ihren Schornsteinen quoll dunkler Rauch hervor. Im windstillen Tal stieg er fast senkrecht nach oben. Die Menschen gingen ihrem Tagwerk nach. Auf dem Stausee fuhren Kinder mit ihren Schlittschuhen und etwas unterhalb von Terg auf dem Talweg konnte man eine Gruppe von Riesen erkennen.

„Alle sind beschäftigt“, murmelte Drachenzunge. „Die Holzfäller, Gerber, Bäcker, Metzger, Färber, Bergleute, Schmiede, Wachen, Bauern, Schneider und so weiter. Sie haben eine Aufgabe zu erfüllen.“ Er schaute über die Berge in die Ferne. Dann grübelte er im Stillen: „Was ist meine Aufgabe? Bis gestern hätte ich jetzt mit Cornelius gekocht und gebacken. Heute sitze ich hier. Ich kann tun und lassen, was ich möchte, und doch fühle ich mich einsam und allein.“

„Was ist meine Aufgabe?“, murmelte er in Gedanken versunken.

Drachenzunge schaute Paternus an. Der große Drache hatte es sich auf einem Felsen gemütlich gemacht. Erst hatte er den Schnee weggeräumt und dann den Felsen mit einem Feuerstrahl angewärmt, bevor er sich daraufgelegt hatte. Jetzt hatte er die Augen geschlossen und genoss die Wärme der Sonne. Drachenzunge betrachtete den Drachen. Er war kleiner als Cornelius, aber auch deutlich jünger, als dieser es gewesen war.

Sein Schuppenkleid war rotbraun und glänzte in der Sonne. Sein Schwanz hatte am Ende mehrere lange Dornen und an seinem Kopf waren ebenfalls einige Dornen zu sehen. Unter seinem Schuppenpanzer konnte man starke Muskeln erahnen. Drachenzunge selbst hatte schon gesehen, zu was ein solcher Drache mit reiner Körperkraft fähig war. Und dann noch das Feuer. Es brannte heiß in Paternus und war gefährlich, wenn es hervortrat.

„Er ist fett und faul“, stellte Drachenzunge laut fest.

Paternus öffnete ein Auge und schaute Drachenzunge an.

Dann sagte er: „Das ist das Ergebnis meiner Freiheit. Ich kann tun und lassen, was ich will. Ich kann so viel essen, wie ich will und hingehen, wohin ich will.“

„Also sitzt du zuhause und isst den ganzen Tag?“, neckte ihn Drachenzunge. Paternus gähnte, reckte sich und lächelte. Dann antwortete er: „Was ist schon der Sinn des Lebens? Ich strebe nicht nach Macht und Reichtum. Ich muss nicht der schlaueste, schnellste und stärkste Drache im Gebirge sein, auch wenn ich es gerade wohl bin.“

Er schaute Drachenzunge traurig an: „Ich denke, wir haben beide unser Leben um das von Cornelius herumgebaut. Du wurdest von ihm erweckt und warst seitdem an seiner Seite - von der Reise mit Wolfgang mal abgesehen. Ich wurde von ihm aufgezogen und hatte wenige andere Vorbilder. Außerdem war es immer sehr nett mit ihm und es gab exzellentes Essen.“

Er schloss wieder seine Augen. Dann sagte er: „Ich habe übrigens nachgedacht.“ Drachenzunge schaute ihn erwartungsvoll an. Paternus ließ einen kleinen Rauchring aus seiner Nase aufsteigen.

„Mach es nicht zu spannend“, sagte Drachenzunge.

Paternus grinste frech: „Nun, ich denke du hast recht.

Ich bin zu dick und bin diesem Ort zu sehr verhaftet.

Lass uns gemeinsam den kreisrunden See suchen. Egal, ob es ihn gibt oder nicht.“

Drachenzunge machte vor Freude einen Satz in die Luft.

Er rief: „Es wird wunderbar. Danke, mein Freund, dass du mich begleitest.“

„Wie willst du es anfangen?“, fragte Paternus.

„Ich würde gerne entlang der Rhun nach Osten reisen und sehen, was jenseits des Gebirges liegt. Soweit ich weiß, gibt es keine Straße nach Osten. Man muss auf dem Fluss reisen, wenn man dorthin gelangen will. Dort aber gibt es Wasserfälle und Stromschnellen. Die Reise ist gefährlich. Der meiste Handel mit dem Osten passiert entlang der Südküste. Das ist weit weg vom Landesinneren und es geht viele Tagesreisen nach Süden, bevor es nach Osten geht. Generell findet man kaum Berichte von den Ländern östlich der Drachenberge“, erklärte Drachenzunge seine Pläne.

Paternus nickte dazu: „Das Gebirge ist sehr tückisch, wenn man es überfliegen möchte. Es gibt Fallwinde und Luftwirbel und manchmal auch Wände aus Luft. Das klingt jetzt komisch. Aber einmal hat es mich so durchgewirbelt, dass ich landen musste und mir beinahe den Hals gebrochen hätte. Das ist aber schon lange her.“

Drachenzunge war die Vorfreude auf die Reise anzusehen. Er wäre am liebsten sofort losgeflogen.

Paternus lachte, als er den aufgeregten Löffel sah. „Eine Sache noch“, sagte er. „Wir räumen vorher noch die Höhle auf. Ich möchte nicht, dass sie noch mehr beschädigt wird, als sie es ohnehin schon ist.“

„Einverstanden“, erwiderte Drachenzunge.

„Und noch etwas. Wir können Cornelius nicht begraben, aber wir sollten ihn verabschieden. Ich denke, mit einem Essen. Das würde ihm am besten gefallen“, sagte Paternus. „Am besten gemeinsam mit Julia und Wolfgang.“

Drachenzunge stimmte zu. „So wollen wir es machen“, sagte er.

Es war jetzt fast Mittag. Die Wärme der Sonne hatte sich im Talkessel gestaut und die Schneeberge auf den Dächern und Wegen begann zu schmelzen. Überall tropfte Schmelzwasser herab. Das Wasser sammelte sich in kleinen Bächen und floss durch Terg in den Rhenus.

Drachenzunge und Paternus flogen hinab zum Schloss.

Sie landeten im Schlosshof. Dort waren inzwischen auch die Riesen, die sie im Tal gesehen hatten, angekommen.

Drachenzunge erkannte den großen Hans. Er war der Anführer der Riesen. Der große Hans hatte sich auf den Boden gesetzt. Vor ihm auf einem Felsen stand Wolfgang.

Der große Hans gestikulierte wild und rief: „Baumling unruhig. Wollen Chef sprechen wegen Fluss.“ Er zeigte auf Wolfgang.

Dieser antwortete: „Ich werde nächste Woche zu ihnen kommen. Wir müssen auch über eine neue Brücke über die Rhun sprechen.“

Der Riese schüttelte den Kopf. „Zu langsam. Hans sagt Baumling Bescheid. Baumling unruhig wegen Fluss.

Hans fertig.“

Wolfgang nickte und sprach: „Ich habe auch keine Aufträge mehr. Danke für deinen Bericht. Eure Vorräte liegen bereit. Ihr könnt sie am Lagerhaus abholen. Danke für eure Dienste.“

Die Riesen standen auf und verneigten sich. Dann gingen sie davon.

Wolfgang sah den Riesen nach. Dann bemerkte er Drachenzunge und Paternus. Er kletterte vom Felsen und lief auf die beiden zu. Er rief schon aus der Ferne: „Da seid ihr ja endlich. Die Leute im Tal sind schon ganz nervös. Ich habe Berichte von einem monströsen Drachen erhalten, der das Tal auskundschaftet.“

Paternus lachte und wollte gerade etwas erwidern, da wurde Wolfgang von einem Mann angesprochen: „Eure Hoheit. Es ist Zeit für euer Treffen mit dem Rat. Die Ratsmitglieder warten im Streitzimmer auf euch. Es geht heute um die Steuerlast für den Holzhau und die Instandsetzung der Wegtore. Zudem...“

Wolfgang unterbrach den Mann mitten im Satz: „Danke.

Ich werde in Kürze dorthin aufbrechen. Geh bitte voraus und sorge dafür, dass alles bereit ist.“ Der Mann verbeugte sich und ging davon. Wolfgang seufzte.

„Viel los?“, fragte Drachenzunge.

Wolfgang nickte. Dann sagte er: „Es ist immer was zu tun. Der ganze Tag ist verplant. Ich hatte gehofft, es wird irgendwann besser. Aber es kommt immer etwas Neues dazu.“ Er legte seinen Kopf schief. „Manchmal wünsche ich mir die alten Zeiten zurück. Was nützt all der Reichtum und Besitz, wenn man keine Zeit mehr hat, mit seinen Freunden zu reden.“

Drachenzunge lachte und rief: „Graf Wolfgang! Verzaget nicht. Besitz bringt Ehre und Reichtum, aber auch Verantwortung und Pflicht. Als zukünftiger König solltet ihr das wissen.“

Wolfgang schaute verdrießlich. Paternus klopfte ihm mit seiner großen Pranke auf die Schulter. „Wenn wir zurück sind, dann helfen wir dir ein paar Wochen.“

„Zurück? Ihr wollt schon weg?“

„Wir fliegen zurück zur Höhle und reparieren alles und räumen auf“, erklärte Drachenzunge. „Dann gehen wir auf eine Reise.“ In kurzen Sätzen erklärte Drachenzunge, was sie vorhatten. „Wir sind bestimmt nicht lange weg“, meinte er. „Nur ein paar Wochen.“

Wolfgang nickte verständnisvoll: „Ich wünsche euch eine gute Reise. Kommt ihr vorher nochmal vorbei?“

Sie verabredeten sich für ein Treffen in drei Tagen. Dann wollten Sie auch die Zeremonie für Cornelius abhalten.

Drachenzunge und Paternus würden zum Mittag in Terg ankommen und am nächsten Tag zu ihrer Reise aufbrechen. Dann verabschiedete sich Wolfgang hastig.

Drachenzunge und Paternus flogen davon.

Nachdem sie die Höhle aufgeräumt, die Fenster repariert und die restlichen Schätze verpackt hatten, blieb ihnen noch ein Tag Zeit bis zum vereinbarten Treffen in Terg.

Diese Zeit nutzten sie, um Paternus‘ Höhle auszuräumen und seine Besitztümer in seine neue Unterkunft umzuziehen. Abends waren sie fertig. Drachenzunge kochte eine Kürbissuppe und Paternus machte ein Feuer gegen die Kälte, die durch die Ritzen in die Höhle kroch.

Das Wetter in den letzten Tagen war gut gewesen und sie hatten alle Reparaturen zügig ausführen können. Aber abends wurde es noch empfindlich kalt auf dem Berggipfel, in dem die Höhle lag.

„Du hast gar keine Pflanzen“, sagte Drachenzunge.

Paternus grinste und aß eine weitere Schale Kürbissuppe. „Zu viel Arbeit“, sagte er. „Die müssen ja dauernd gegossen werden. Ich gehe lieber raus und schau mir die Pflanze in ihrer natürlichen Umgebung an.“ Er zwinkerte Drachenzunge mit einem Lächeln im Augenwinkel zu, dann wurde er traurig: „Cornelius liebte Pflanzen. Er hat immer von den vielen Pflanzen erzählt, die er in seiner Jugend gesehen hat. Er ist auf einer Insel aufgewachsen. Ich muss immerzu an ihn denken, wenn ich hier in der Höhle bin.“

Drachenzunge nickte und sprach: „Mir geht es genauso.

Alles hier erinnert mich an ihn.“

Wie oft in den letzten Tagen saßen sie eine Weile still und trauerten um Cornelius. Sie hatten gehofft, dass die Arbeit sie ablenken würde, aber das war nicht der Fall gewesen. Ihre Gedanken schweiften immer wieder zu ihrem alten Freund.

„Was nehmen wir auf die Reise mit?“, unterbrach Paternus die Stille.

Drachenzunge sagte: „Ich nehme nichts mit. Brauchst du was?“

Paternus dachte nach. „Ein wenig Salz vielleicht?“, meinte er. „Und einen kleinen Kessel und einen Bratspieß?“

„Wenn wir einen Kessel mitnehmen, dann können wir auch Pfeffer und ein paar getrocknete Kräuter mitnehmen“, sagte Drachenzunge, „und einen Löffel, eine Gabel, ein Messer und ein Schneidebrett.“

„Ein Tuch, eine Seife, ein kurzes Seil und ein paar Goldmünzen“, ergänzte Paternus.

„Zuletzt ein Notizbuch und einen Kohlestift“, rief Drachenzunge, „haben wir jetzt alles?“

„Einen Zentner Kartoffeln als Notvorrat, drei Laibe Brot und fünfzig Äpfel, ein Tuch voller Nüsse, ein Netz Zwiebeln, ein Pfund - nein besser - drei Pfund Butter, zwei Pfund getrocknete Trauben und zehn große Trockenwürste“, sagte Paternus grinsend.

Drachenzunge zog die Augenbrauen hoch: „Das große Sofakissen, die kleine Handbibliothek, die Steinesammlung mit den bunten Marmorkugeln, zwanzig Flaschen Wein und deinen neuen Lieblingsschaukelstuhl?“

Paternus lachte: „Ja, ja, ich hab’s verstanden. Ich packe nicht ganz so viel an Vorräten ein. Aber eine große Flasche mit Feuerlilientrank, die nehme ich mit.“

Die Höhle aufzuräumen, war für die beiden sehr schwer gewesen. So viele persönliche Dinge von Cornelius waren überall zu finden. So viele Erinnerungen, die mit Cornelius verknüpft waren. Über manchen Dingen hatten sie lange gesessen und überlegt, was damit zu tun sei.

Jetzt, wo sie damit fertig waren und etwas gegessen hatten, ging es ihnen besser und sie waren guter Dinge.

Die Vorfreude auf die anstehende Reise stimmte sie zuversichtlich und ließ sie ihre Trauer eine Weile vergessen.

Nachdem sie alles, was sie mitnehmen wollten, zusammengesucht hatten, brachten sie ihr Reisegepäck vor die Höhle. Im Westen waren am Horizont einige Wolken zu sehen, aber das Wetter war noch freundlich.

Vor der Sonne lag ein Dunstschleier, aber es würde ein schöner Tag werden.

Paternus hatte bereits alle Fenster und Fensterläden geschlossen und schloss gerade die schwere Höhlentür ab. Er steckte den Schlüssel in die große Umhängetasche mit dem Reisegepäck. Nach einem letzten Blick auf die Höhle und die umgebenden Berge flogen sie los. Heute genossen sie die zwei Flugstunden nach Terg. Sie umflogen die Gipfel der Drachenberge im Tiefflug und segelten die verschneiten Hochtäler entlang. Einmal erschreckten sie im Überflug eine Herde Gämsen, die aufgescheucht davonsprang, dass der Schnee nur so staubte. Beide genossen ihre Freiheit.

Kurz vor Mittag landeten sie in Terg vor dem Schloss.

Julia erwartete sie bereits: „Herzlich willkommen zurück.

Schön, dass ihr da seid.“

„Die Freude ist ganz auf unserer Seite, Gräfin“, erwiderte Paternus höflich. Nach einer ausgiebigen Begrüßung und einer Übergabe der restlichen Dinge aus der Schatzkammer kam auch Wolfgang dazu.

Graf und Gräfin hatten ihre Rüstungen angelegt.

Wolfgang trug seine Drachenreiterrüstung und Julia die leichte Rüstung, die sie von Cornelius erhalten hatte.

Paternus lachte und nickte: „Das sind die richtigen Kleider für einen Flug zu Burg Drachenstein für unser gemeinsames Abschiedsessen. Ihr seht gut aus.“

Julia und Wolfgang schauten traurig, aber auch stolz.

„Das Essen ist hier zusammengepackt“, sagte Wolfgang.

Er zeigte auf einen großen Korb.

Schon kurze Zeit später flogen sie los. Burg Drachenstein war schnell erreicht und sie landeten im Hof der schwarzen Burg, direkt neben der großen Kuppel. Das schwarze Gestein der Festung hatte sich in der Sonne erwärmt und fast der gesamte Schnee im Innenhof war geschmolzen. Lediglich im Schatten der Südmauer lag noch etwa davon. Trotzdem war es noch kühl.

Paternus stellte alles ab, was er getragen hatte, und flog kommentarlos davon. Kurze Zeit später kam er mit dem Stamm einer vertrockneten Buche zurück.

„Die ist mir beim Flug hierher schon aufgefallen“, rief er.

„Damit machen wir uns ein schönes Feuer.“

Paternus zerbrach den Stamm wie ein Streichholz und steckte das Holz mit einem Flammenstoß in Brand. Für Julia und Wolfgang legte er ein Stück Stamm als Sitz bereit. Julia und Wolfgang öffneten den Picknickkorb und richteten das Essen. Drachenzunge half ihnen dabei.

„Essen mit Freunden im Freien ist doch das Schönste, was es gibt“, meinte Wolfgang. „Da schmeckt das Essen gleich doppelt so gut.“ Er lächelte in die Runde und die anderen lächelten zurück. Dann wurde er plötzlich ernst.