Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 14 - Frank Hille - E-Book

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 14 E-Book

Frank Hille

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Beschreibung

Martin Haberkorn hatte als Einziger den Untergang des Bootes überlebt. Der BdU hatte ihn hoch dekoriert und vor die Wahl gestellt, als Ausbilder in der Flottille zu bleiben, oder als "Konfirmand" bei einem erfahrenen Kommandanten mitzufahren, um später selbst ein Boot übernehmen zu können. Trotz aller schrecklichen Erlebnisse entscheidet er sich für ein eigenes Boot. Fred Beyer und Günther Weber können sich zufällig mit Haberkorn treffen, da alle Heimaturlaub haben. Wieder zurück bei seiner Einheit erlebt Weber den Durchbruch der Russen bei Belgorod mit und gerät mit seinen SS-Panzergrenadieren in einen Kessel bei Borissowka. Fred Beyers Panzerkompanie wird in aller Eile vom Donez in das Gebiet von Tomarowka verlegt, um die auf Charkow vorstoßenden russischen Verbände abwehren zu können. Martin Haberkorn muss bei der Unternehmung mit dem Boot feststellen, dass die Abwehrkraft der Alliierten noch größer geworden ist. Allen drei noch jungen Männern wird klarer, dass die Überlegenheit der Gegner immer mehr zunimmt.

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Impressum

Drei Musketiere

Eine verlorene Jugend im Krieg

Band 14

1943

Copyright: © 2018 Frank Hille

Published by: epubli GmbH, Berlin

www. epubli.de

Martin Haberkorn, 1. Juli 1943, La Rochelle

Günther Weber, 2. Juli 1943, Ukraine

Fred Beyer, 3. Juli 1943, Gebiet Donez

Wiedersehen, 10. Juli 1943

Martin Haberkorn, 24. Juli 1943, Biskaja

Fred Beyer, 24. Juli 1943, Nürnberg

Martin Haberkorn, 25. Juli 1943, Atlantik

Günther Weber, 25. Juli 1943, bei Belgorod

Fred Beyer, 25. Juli 1943, bei Isjum

Martin Haberkorn, 2. August 1943, Atlantik

Günther Weber, 2. August 1943, bei Belgorod

Martin Haberkorn, 2. August 1943, Atlantik

Fred Beyer, 2. August 1943, bei Isjum

Martin Haberkorn, 2. August 1943, Atlantik

Günther Weber, 3. August 1943, bei Belgorod

Martin Haberkorn, 3. August 1943, Atlantik

Fred Beyer, 3. August 1943, bei Tomarowka

Günther Weber, 4. August 1943, bei Borissowka

Martin Haberkorn, 3. August 1943, Atlantik

Martin Haberkorn, 1. Juli 1943, La Rochelle

Das Gespräch beim Flottillenkommandanten war Haberkorn noch lange Zeit danach wie ein absurder und unwirklicher Abend im Cabaret vorgekommen, lediglich der viele Alkohol, die vom Zigarettenqualm vernebelte Lokalität, der Geruch nach billigem Parfüm und Schweiß und die grell geschminkten Nutten hatten gefehlt. Die Nummer Eins des Bootes hatte ihn zu einen zweistöckigen Gebäude etwas weg von den Hafenanlagen begleitet und sich dann verabschiedet.

"Wer weiß wie's geht" hatte der Mann gemeint und sich den Schweiß von der Stirn gewischt, denn es war drückend heiß, und er trug noch seine lederne Bordbekleidung "vielleicht sieht man sich noch mal wieder. Ihnen alles Gute, Herr Leutnant."

"Das wünsche ich Ihnen auch, Oberbootsmann. Ihnen meinen Dank für das Auffischen, auch ohne Ihre Hilfe würde ich hier nicht mehr so munter rumlaufen."

"Ich bin Seemann, Herr Leutnant. Für uns alle war das selbstverständlich."

"Noch mal, Nummer Eins! Ich werde Ihre Hilfe nie vergessen!"

"Na dann wird der liebe Gott ab jetzt noch mehr seine breite Hand über uns Gammelpäckchen drüber halten. Hoffe ich jedenfalls mal. Ihnen alles Gute, Herr Leutnant."

Martin Haberkorn sah sich das Haus näher an vor dem er jetzt stand. Das Gebäude an sich war vollkommen schmucklos, eher schon ziemlich heruntergekommen, denn nicht einmal der schon abgeplatzte Putz an den Wänden und die ihm schon lange vertrauten und typisch französisch abenteuerlich verlegten Stromleitungen unterschieden sich von den eigentlich nüchternen und zweckmäßigen Bauten des Hafens. Interessant war allerdings die Lage des Objektes, denn es befand sich zwar im streng abgeschirmten Sperrbereich des Hafens, war aber vermutlich schon vor langen Zeiten recht geschickt etwas abseits in das weitläufige Gelände eingeordnet worden. Es musste ein weitsichtiger Beamter gewesen sein der den Charme dieser Anhöhe erkannt hatte. Vielleicht hatte der Hafenmeister hier früher gewohnt. Eine mehrfach jeweils nach rechts und links abknickende Treppe, die dann immer wieder drei bis vier Meter in der Waagerechten verlief, führte den Besucher auf seinem Weg fast 15 Meter in die Höhe. Oben angekommen, sah man eine zweistöckige Hausfront mit regelmäßig angeordneten und blau gestrichenen kleinen Fenstern. Die fast zwei Meter breite Eingangstür war wohl ehemals von einem nicht so guten Tischler gefertigt worden, denn deren Ränder und Flächen waren schon ausgeplatzt und auch das häufige Anstreichen hatte ihr Aussehen nicht wesentlich verbessern können. Direkt an beiden Seiten neben ihr waren zwei im vollen Wichs und mit Karabinern 98k bewaffnete Soldaten aufgezogen. Das verstand er durchaus, aber warum man jeweils gut 20 Schritte rechts und links davon noch ein MG 34 in Stellung gebracht hatte, erschien ihm doch schon recht eigenartig. Die Bedienungen hockten gelangweilt hinter den Waffen und sahen ihn uninteressiert an.

Haberkorn hatte nach dem Untergang seines Bootes nur das nackte Leben retten können. Über Papiere verfügte er nicht mehr. Der Kommandant hatte aber nach Haberkorns Auffischung sofort den BdU informiert und die Nummer Eins noch an Bord angewiesen, für ihn einen Interimswehrpass auszustellen. Diesen zeigte er jetzt einem der Posten vor.

"Sie werden schon erwartet, Herr Leutnant" sagte der Gefreite freundlich "Sie haben's ja bis in die Presse geschafft. Ein unglaublicher Fall, wie der BdU wohl gemeint hat. Sehr selten, jedenfalls. Ein Zeugnis höchster Tapferkeit und von Heldenmut. Sie müssen ja da schon einiges durchgemacht haben."

"Kann man so sagen."

"Sie werden jetzt gleich zum Flottillenkommandanten gebracht werden. Seine Ordonanz wird Sie gleich hier unten abholen. Nur noch einen Moment. Ist warm heute, aber Sie sind ja ziemlich locker angezogen. Ist das bei der U-Boot-Waffe so üblich? Wir schwitzen uns in den Uniformen aus Filz im Sommer fast zu Tode, und im Winter frieren wir uns bald den Arsch ab."

"Unsere Kleiderordnung ergibt sich vor allem aus der Enge an Bord bei uns" sagte Haberkorn vorsichtig "da ist es wenig zweckmäßig, wenn wir so schweres Tuch tragen müssten. Versuchen Sie doch mal, mit solchen Sachen durch ein enges Schott zu kommen. Da muss man eben gut beweglich sein. Außerdem wechselt das Klima bei uns mehrfach am Tag. Wenn wir unter Wasser sind ist es warm, wenn wir auftauchen, können es schnell mal ziemlich tiefe Temperaturen sein die durch die kalte Seeluft dann durch das offene Turmluk reinkommen. Da muss man irgendwie n Mittelweg mit den Klamotten finden."

Der aus dem Haus tretende Mann hätte bei Martin Haberkorn fast einen Lachanfall hervorgerufen, aber er riss sich zusammen. Der Adjutant des Flottillenkommandanten war nach seiner Schätzung noch nicht einmal 30 Jahre alt, recht beleibt, keine ein Meter und fünfundsechzig Zentimeter groß, seine Augenbrauen waren perfekt gestutzt, und er trug zu allem Überfluss noch ein Monokel. Vermutlich hatte er einmal gesehen, wie die großen Schlachtenlenker vor etlichen Jahren mit verkniffener Miene durch diese Sehhilfe starrten, immer in der bangen Erwartung, das Glas trotz aller Anstrengungen im unpassenden Moment zu verlieren. Dazu kam, dass Haberkorn instinktiv sofort merkte, dass der Mann stockschwul war. Die Bewegungen des Kapitänleutnants waren mehr als geschmeidig, seine Arm- und Handführungen voller Weichheit. Dass er in diesem Alter einen schon recht ordentlichen Dienstgrad erreicht hatte konnte eigentlich nur zwei Gründe haben: er hatte sich schon als blutjunger Kommandant mit Versenkungen hervorgetan, oder er war seinen Protegés zu Willen gewesen. Haberkorn vermutete letzteres. Darauf kam es jetzt aber nicht an.

"Wir sind stolz, Herr Leutnant" konnte er jetzt von einer leicht schleppenden Stimme hören "sehr stolz, einen deutschen Seehelden bei uns begrüßen zu können. Der Flottillenkommandant brennt regelrecht darauf, Sie kennenzulernen. Selbst der Reichsminister Dr. Goebbels hat Sie in einem Beitrag erwähnt. Ich möchte Sie ja nicht vor den Kopf stoßen nach all den Strapazen, aber vielleicht möchten Sie sich vor dem Gespräch noch etwas frisch machen und umkleiden."

"Aber sehr gern" erwiderte Haberkorn "ich komme gerade von Bord, und eine Dusche wäre nicht schlecht. Umkleiden wird aber nicht gehen, ich habe nur das am Leib, womit ich gerettet worden bin."

"Nun gut" sagte der Adjutant doch recht verärgert "ich bringe Sie jetzt zu den Waschräumen. So auf die Schnelle kann ich für Sie auch keine neue Kluft auftreiben, und mir ist hier fast alles möglich. Geben Sie mir Bescheid wenn Sie fertig sind. Ich möchte Ihnen aber jetzt schon ganz klar sagen, dass der Chef höchsten Wert auf eine piekfeine Anzugsordnung legt."

"Damit werde ich wohl leider nicht dienen können" antwortete Haberkorn trocken "aber ich werde ihm wohl die Gründe für meinen nicht angemessenen Auftritt erläutern können.

Er wusste ganz genau, dass er in seiner vergammelten Bordbekleidung, die mehr an einen ausgeblichenen und etwas zu großen und schon abgetragenen Trainingsanzug erinnerte, seinen Sportschuhen ähnelnden Latschen und vor allem seinem Äußeren, kaum in diese von allen Schrecken abgeschirmte Welt passte. Was aber sicher noch entscheidender war, war, dass er mit seinem körperlichen Aufzug kaum zu diesen geschniegelten Leuten passte. Er war zwar einigermaßen ausgeruht an Bord seines dann versenkten Bootes gegangen, aber hatte dann so viel erleben müssen, dass sich all dieses Grauen zwar äußerlich unsichtbar für andere, aber in seinem Gesicht doch sehr deutlich eingegraben hatte. Martin Haberkorn war jetzt knapp 24 Jahre alt, er wirkte aber insgesamt älter. Erste graue Strähnen zogen sich durch seine Haare, die Falten in seinem Gesicht waren schon tief. Immerhin war er noch sehr muskulös, und auch seine Kondition war gut. Eigentlich fühlte er sich noch wie ein leistungsstarker junger Mann. Damit lag er auf seine physischen Fähigkeiten bezogen durchaus richtig, aber seine Psyche hatte schon einige ernsthafte Knackse wegbekommen. Natürlich war ihm nicht verborgen geblieben, dass er die Gelassenheit und Unbeschwertheit der Jugend schon verloren hatte. Er sah sich aber selbst als Fatalist, der noch immer aus der dicksten Tinte irgendwie schon herauskommen würde. Tatsächlich war das bislang auch so gewesen. Das Flakfallen-Desaster, der Luftangriff in Hamburg, der Untergang des Bootes - irgendwie war immer Rettung in der Nähe gewesen. Vielleicht war er wirklich davor gefeit, das Zeitliche zu früh segnen zu müssen.

Trotz allem Ärger über den abgehobenen Umgang mit ihm war ihm jetzt klar, dass er sich zu nichts zwingen lassen würde. Es war ihm mehr als deutlich bewusst, dass er wie ein Schreckgespenst daher kam und vor allem: er stank wie die Pest. Das winzige Waschbecken im Klo an Bord des Bootes mit dem bisschen Seewasserseife und dem schwachen Wasserstrahl konnte Niemandem an Bord eine vernünftige Körperpflege garantieren, und es war eine unabgesprochene Vereinbarung unter den U-Boot-Männern, dass sie eben unter ganz besonderen Verhältnissen leben und so zwangsläufig nicht zu den Saubersten zählen würden. Wenn ein Kommandant nicht aufpasste, konnte das aber durchaus üble Folgen annehmen. Auf Haberkorns Boot war es einmal zu einem Fall der Entdeckung von Sackratten gekommen und der Sani hatte alle Mühe gehabt, die Sache wieder in den Griff zu bekommen. Von Hygiene an Bord eines Bootes zu reden war ohnehin lächerlich. Alles war dem eigentlichen Zweck des Unterwasserfahrzeuges untergeordnet worden: so viele Schiffe des Gegners wie möglich zu versenken. Dass da nur Platz für zwei WC übrig geblieben war, konnte keinen wundern. Eines wurde ohnehin immer als Proviantlast gefahren. Als sich ein Matrose einmal gewagt hatte die Nummer Eins daraufhin anzusprechen, man könne doch die Verpflegung woanders im Boot verstauen, war der Oberbootsmann, ein Berliner, fast aus dem Frack gesprungen.

"Hasste n Arsch offen, du Witzfigur? Wat willste? Mehr fressen, oder besser scheißn? Du bist so blöd, dich sollte man ma unterm Kiel durchziehen! So wat is aufm U-Boot? Ick fass et nich!"

Dass das ölig stinkende Bilgewasser unter den Flurplatten hin und her schwappte, dass die Männer Abfälle dorthin beförderten, dass im Bugraum eigentlich unhaltbare enge Zustände herrschten, dass die Wachwechsel immer bedeuteten, dass sich einer der Abgelösten in die dreckige und furchtbar stinkende Wäsche eines Anderen legten, dass sich keiner manchmal wochenlang einigermaßen reinhalten konnte, das alles spielte keine Rolle. Die Männer an Bord hatten sich relativ klaglos damit abgefunden: vielleicht war es sogar besser, als in Russland irgendwo in Dreck und Kälte campieren zu müssen und von den Sowjets ständig mit den T 34 angegriffen zu werden.

Eine ganze Generation war lange auf solche Zustände vorbereitet worden. Ihnen war immer wieder eingeredet worden, dass Schwäche nicht männlich wäre – und wer wollte sich schon so als Feigling oder Versager bezeichnen lassen. Flink wie die Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl: das war die Bestimmung der jungen deutschen Männer, um dem Land wieder ein Gewicht in der Welt verleihen zu können. Dass sie damit schon recht weit gekommen waren bewies ein Blick auf die Landkarte, aber unübersehbar schrumpfte der deutsche Herrschaftsbereich immer mehr. Eigentlich war es für Verständige bereits zu Beginn des Einfalls in Russland und dem Scheitern der Einnahme von Moskau und Leningrad, dem panischen Rückzug und dem kraftlosen Neuantreten mit dezimierten Kräften im folgenden Jahr klar gewesen, dass bereits alle Messen für Deutschland gelesen waren. Was jetzt noch passierte war nur ein von der Führung wider besseren Wissens herausgezögerter Überlebenskampf, aber diese Leute, die den Überblick über das Große und Ganze hatten, waren allesamt feige Duckmäuser vor dem Führer, gewissenlose Karrieristen und hatten sehr wohl begriffen, dass auch ihr Leben und die Gunst von Adolf Hitler abhängen würde. Noch war der Bevölkerung mit solchen Worthülsen wie "Frontbereinigung", "Verkürzung des Abwehrbereiches" und "heldenhaften Halten" einzureden, dass es nur um momentane Ereignisse ging, aber in Wahrheit hatte sich schon eins in der Realität verfestigt: Deutschland würde diesen Krieg wegen seiner totalen personellen, materiellen Unterlegenheit und den vollkommen übersteigerten und maßlosen Kriegszielen verlieren.

Haberkorn hatte immer nur seine begrenzte Sicht auf die Entwicklung im Seekrieg gehabt, aber auch er hatte mit großer Sorge feststellen müssen, dass die Boote jetzt nahezu chancenlos waren. Was ihm seine Schulfreunde Fred Beyer und Günther Weber schrieben gab auch wenig Anlass zum Optimismus, denn sie sprachen ebenfalls von einem enormen Druck des Feindes und dem Fehlen vieler Ressourcen. Aber alle versuchten sich irgendwie selbst zu versichern, dass sich das Blatt mit den neuen und noch streng geheimen Waffen bald wieder entscheidend wenden würde. Eigentlich glaubte er nicht mehr richtig daran, aber Beyer hatte ihm von seinem "Panther" regelrecht vorgeschwärmt und warum sollte die Kriegsmarine auch nicht neue und moderne Boote erhalten.

Nachdem er sich geduscht hatte war er wieder in seine alten und abgenutzten Sachen gestiegen, und bereitete sich schon gedanklich auf das Gespräch mit dem Flottillenkommandanten vor. Er hatte sich beim Adjutanten gemeldet, und dieser war dann mit ihm in das Büro des Offiziers gegangen. Der Fregattenkapitän war fast das Ebenbild seines Unterstellten. Auch er hatte eine geringe Körpergröße, einige Kilo zu viel auf dem Leib, war mit seinen rötlichen Haaren sicher als Junge die Zielscheibe von hämischem Spott gewesen und schwitzte aus allen Poren. Sein Gesicht war rot angelaufen und Haberkorn wusste, dass der Mann seit seiner Zeit an Land in Frankreich sicher täglich zwei Flaschen Rotwein konsumierte, und wahrscheinlich öfter Gast in den guten Restaurants war. Natürlich immer mit seinem Galan an der Seite. Die beiden Männer gaben sich nicht einmal allzu viel Mühe, ihre Liaison zu verbergen. Vermutlich hatte der Kapitän einen Gönner der Führung im Hintergrund der ihm bedeutet hatte, dass alles Private keine Rolle spielen würde, wenn er denn seinen Laden nur im Griff hätte.

Haberkorn kramte in seinem Gedächtnis und dann fiel ihm ein und er erinnerte sich genau, dass der Flottillenkommandant zu denjenigen U-Boot-Männern gehört hatte, die in der Anfangszeit des Krieges mit viel Können, Ehrgeiz, Wagemut und Rücksichtslosigkeit über die Schiffe des Gegners hergefallen waren. Damals war die Abwehr des Gegners noch nicht organisiert gewesen, aber Haberkorn wusste schon sehr genau, dass die Führung eines U-Bootes eine hochkomplizierte Aufgabe war, und dass dazu enorm viel Wissen gehörte. Es war ja nicht bloß damit getan das Boot über oder unter Wasser zu bewegen, sondern so ein Mann musste viele Entscheidungen treffen und wenn es besonders eng und knifflig wurde, bei einer Wasserbombenverfolgung oder einem Angriff etwa, gab es Niemanden, der ihm bei seinen Entscheidungen helfen konnte. In solchen Augenblicken war ein Kommandant ganz auf sich allein gestellt und einige konnten nicht unterscheiden, ob ein Ritterkreuz oder das Leben von 50 Männern wichtiger war. Dieser Korvettenkapitän hatte in seiner Zeit an Bord von U-Booten mehr als 165.000 Tonnen gegnerischen Schiffsraum versenkt. Für Haberkorn war dies eine beeindruckende Leistung.

"Es ist mir eine große Freude, Herr Leutnant" sagte der Mann jetzt "Ihnen persönlich die Hand schütteln zu können. Wie der Reichsminister für Volksaufklärung schon so treffend sagte, sind Sie ein Vorbild an Mut, Standhaftigkeit und Heldentum. Ganz im Sinne unserer arischen Rasse. Mit solchen Männern wie Ihnen werden wir den Gegner mit Sicherheit in die Knie zwingen. Da gibt es nicht den geringsten Zweifel und kein Vertun! Jetzt wird es darauf ankommen die momentane Durststrecke schnell hinter uns zu bringen, aber wie der BdU verlauten ließ, ist Großes in Entwicklung. In kürzester Zeit werden wir neue revolutionäre Boote an den Gegner bringen, und ihn dann endgültig von der Fläche fegen. Aber Sie sehen mitgenommen und durstig aus. Ein Glas Rotwein zur Feier des Tages?"

Martin Haberkorn hatte längst bemerkt, dass der Flottillenkommandant in der doch schon langen Zeit an Land ein erhebliches Alkoholproblem aufgebaut hatte. Vermutlich war das nicht von heute auf morgen gekommen, sondern schon während der seelisch und körperlich äußerst extrem belastenden Feindfahrten entstanden. An Bord gab es natürlich nur ein paar Flaschen Bier oder einige Pullen Schnaps, die nach einer Versenkung fällig wurden. Durch die hohe und ständige Anspannung konnten die Männer während der Reise noch vieles verdrängen, aber an Land, wenn alles von ihnen abfiel, liefen schlechte Filme in ihren Köpfen ab. Manche konnten es schlucken, andere nahmen es als so gegeben hin, einige kamen damit nie mehr klar. Zu diesen Männern zählte der Flottillenkommandant. Haberkorn sah genau, dass der Offizier mit zitternden Händen zwei Gläser mit Wein füllte. Es war ungefähr 11 Uhr.

"Na denn mal Prost" sagte der Mann und kippte den Wein hinter.

"Frankreich ist zwar schön" versuchte er abzulenken "und der Wein schmeckt, aber Sie wissen ja nicht wie anstrengend es ist, hier was auf die Reihe zu kriegen. Von früh bis abends bin ich mit tausenden Dingen beschäftigt, und meistens sind es Sachen, über die bei uns zu Hause keiner reden würde. So sind sie eben, die Südländer. Sich einen schönen Tag machen und dann kommt am Abend noch das Schlemmen dazu."

Er goss sich Wein nach.

"Sie haben ja keine Ahnung, wie wir die Werftarbeiter erst mal früh zusammen bekommen müssen. Vor 9 Uhr ist doch keiner der Herren da! Und dann geht es ganz laaaangsam los. Ja nichts mit Tempo! Und was die Qualität der Arbeit betrifft, ich könnte Ihnen Geschichten erzählen! Nicht zu fassen! Und dann müssen wir wie die Schießhunde aufpassen, dass uns die Kerle ja nicht noch die Boote mit vorsätzlichen Fehlern sabotieren. Neulich habe ich drei dieser Verbrecher erschießen lassen. Seitdem ist wieder n bisschen Ruhe eingekehrt. Es ist wie es ist: der Wein ist gut, die Leute sind faul und renitent."

Er goss sich das dritte Glas voll.

"Meine Lieblingssorte" erklärte er Haberkorn "die Trauben wachsen an einem Südwesthang. Klingt für den Laien unverständlich, weil ja dort nicht alle Sonne hinkommt. Das ist aber der Trick! Durch die etwas langsamere Reifung entwickeln sich besondere Schwefelstoffe, die den Wein unverwechselbar machen. Dazu kommt noch der gute phosphathaltige Boden. Ich habe mich kürzlich bei dem Winzer dort eingekauft, und bin jetzt Besitzer von einigen Hektar. Ein bisschen Ablenkung muss der Mensch ja auch haben! Wenn ich früh hier anfange weiß ich gar nicht, was ich zuerst erledigen soll. Der Tisch ist voller Vorgänge, und alle müssen ja bearbeitet werden. Ein paar einfache Sachen kann ich zwar abgeben, aber das Meiste bleibt eben doch an mir hängen."

Er goss sich nach.