DSA 148: Die Türme von Taladur 6 - Meister der Türme - Stefan Schweikert - E-Book

DSA 148: Die Türme von Taladur 6 - Meister der Türme E-Book

Stefan Schweikert

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Beschreibung

Sind die Bewohner Taladurs allesamt dem Wahnsinn anheimgefallen? Das fragt sich Olegro Petini, der Trovere, der nach Taladur reiste, um dem Geheimnis der Traumwanderer auf die Spur zu kommen. Denn die Querella nimmt beängstigende Formen an. Währenddessen bereitet Dom Alonzo von Zalfor unermüdlich den Winterball vor. Der machthungrige Mäzen handelt zum eigenen Vorteil, wenn er die streitenden Familias auf neutralen Boden zusammenruft. Entscheidungen müssen getroffen werden. Der Stuhl des Ratsmeisters ist noch immer verwaist, und viele würden gerne darauf Platz nehmen. Doch womöglich sind das alles unbedeutende Episoden in einer uralten Geschichte, die den Menschen von Taladur in ihren Träumen eingeflüstert wird.

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Biografie

Stefan Schweikertlebt und schreibt in Heidenheim an der Brenz, einer Stadt auf der Schwäbischen Alb, die definitiv keinerlei Ähnlichkeit mit Taladur hat.

Inzwischen sind drei DSA-Romane von ihm erschienen. Auf Über den Dächern Gareths, einer Diebesgeschichte aus Gareth, folgte Kamaluqs Schlund, ein Dschungelabenteuer inspiriert von der englischen Afrikaforscherin Mary Kingsley. Anschließend kehrte er mit dem Mörderlied nach Gareth zurück.

In Taladur hat Stefan Schweikert die ehrenvolle Aufgabe, die zahlreichen Handlungsfäden des sechsköpfigen Autorenteams zu einem phantastischen Finale zu führen.

Titel

Stefan Schweikert

Meister der Türme

Die Türme von Taladur VI

Ein Roman in der Welt von Das Schwarze Auge©

Originalausgabe

Impressum

Ulisses SpieleBand 11084EPUB

Titelbild: Anna SteinbauerAventurienkarte: Ralph HlawatschKarten der Umgebung: Melanie MaierLektorat: Eevie DemirtelBuchgestaltung: Ralf BerszuckE-Book-Gestaltung: Michael MingersKonzeption der Reihe Die Türme von Taladur: Bernard Craw

Copyright © 2013 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems.DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN, DERE, MYRANOR, RIESLAND, THARUN und UTHURIA sind eingetragene Marken der Significant GbR.

Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt.

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems, gestattet.

Print-ISBN 978-3-86889-216-1E-Book-ISBN 978-3-86889-821-7

Prolog – Morgengrauen

Taladur, die Stadt der Streittürme;

am achten Tag im Boronmond, 990 nach Bosparans Fall.

Jenseits der tief hängenden Wolkendecke nahm die Sonne ihre Wanderschaft übers Firmament auf und tauchte die Gassen Taladurs in schmutzig gelbes Zwielicht. Der stetige Nieselregen dämpfte das Pochen in Olegro Pentinis Schläfen; seine Glieder waren schwer, und der üppig genossene Wein rumorte in seinem Magen. Auch die schöne Göttin verteilt ihre Gaben nicht ohne Gegenleistung, erkannte der müde Trovere. Dem heiteren Gesang folgt eine heisere Kehle, den Wein bezahlt man mit einem schweren Kopf, und der Liebe verlangt sie unser Herzblut ab. »Und wenn Liebe und Wein zusammentreffen, kann es richtig teuer werden«, sagte er laut und lachte in sich hinein. Ein unvermittelt auftauchendes Hindernis unterbrach das Sinnieren; Olegro stieß dagegen ... stolperte, bekam den Stoff eines Kittels zu fassen, an dem er sich in eine stabile Lage ziehen konnte, hob den Blick und sah in ein Paar böse funkelnde Augen. »Und wenn man beim Gehen auf die eigenen Füße starrt, läuft man Gefahr, einem anderen auf die Hacken zu treten«, sprach Olegro aus, was ihm durch den benebelten Kopf ging.

»Dann glotz nicht auf deine Füße«, knurrte der Belästigte, ein Mann von vielleicht vierzig Jahren, etwa doppelt so breit und anderthalb Köpfe größer als Olegro. Der schrumpfte unter dem grimmigen Blick noch etwas mehr. Olegro nahm seine Finger von dem speckigen Kittel des Mannes und murmelte eine hastige Entschuldigung. Dann sah er zu, dass er wegkam. Die Stimmung in der Stadt war noch immer so aufgeheizt, dass auch aus nichtigem Anlass ›Genugtuung‹ gerufen wurde.

Als er um die nächste Ecke bog, folgte die dritte Erkenntnis an diesem grauen Morgen: Wenn man beim Gehen auf die eigenen Füße starrt, kann es vorkommen, dass man das Ziel verfehlt. Es war nicht einfach, sich in der Stadt der Türme zu verlaufen, sah man doch von jedem beliebigen Punkt aus mindestens einen davon – es sei denn, dieser Punkt befand sich in einer Gasse, die einer Bergklamm glich. Eigentlich hatte Olegro beabsichtigt, sich vor Tagesanbruch im Streitturm seiner Gastgeber einzufinden. Die Familia Ernathesa war großzügig. Als Gegenleistung für ihre Gastfreundschaft erwarteten sie nur die gelegentliche Darbietung seiner Künste, und – was viel wichtiger war – Dom Batholo wünschte umgehend, alle Neuigkeiten über seine Tochter Jazemina und den neugeborenen Enkel zu erfahren. Wobei es Olegro tunlichst zu vermeiden hatte, den Namen ›Boromeo‹ im Munde zu führen. Denn dieser war als Amazetti den Erzfeinden angehörig, und ein übelwollendes Schicksal hatte diesen Kerl zum Vater von Batholos Enkel gemacht!

Ja, Jazeminas und Boromeos Geschichte war schon eine ganz besondere. Die Geschichte der Liebe zwischen den Sprösslingen zweier aufs Blut verfeindeter Familias, die allen Fährnissen getrotzt hatte: Boromeos Entführung in die Zwangsarbeit, Jazeminas Vermählung mit einem gefühlskalten Fremden und der blutigen Querella zwischen den Familias. Jetzt war diese Liebe mit dem kleinen Schreihals Rahjano gesegnet, der sowohl Amazetti als auch Ernathesa war.

Eine Geschichte, wie aus einem Lied.

Eine Geschichte für ein Schauspiel!

Olegro hatte sich schon ein paar Notizen gemacht, und stellte sich vor, den Taladuri das Werk am Teatro de los Suenos zu präsentieren. Nur das Ende musste noch geschrieben werden. Denn die Geschichte war noch nicht vorbei. Jazemina und Boromeo hatten sich auf die Hacienda der Ernathesa in der Nähe der Minensiedlung Premura zurückgezogen, um sich und das Kind aus dem weiterhin schwelenden Konflikt zwischen ihren Familias herauszuhalten. Außerdem verfolgten sie die dürftigen Spuren zu den Drahtziehern hinter den Überfällen auf die Handelszüge, welche Olegro sowohl eine unangenehme Begegnung verschafft, als auch die Freundschaft mit Jazemina und Boromeo begründet hatten. Jetzt war er für sie Augen und Ohren in der Stadt. Wie prädestiniert er für diese Aufgabe war, ahnten sie nicht. Aber er konnte ihnen dieses Geheimnis nicht offenbaren – noch nicht.

Nein, das war kein Stoff für ein Schauspiel. Das reichte für ein halbes Dutzend und Olegro ahnte, dass auch er noch eine kleine Rolle bekommen würde.

Vor sich hin sinnierend trat er hinaus auf einen Platz: klein, fast dreieckig und zu einer der zahllosen Treppen der Stadt hin leicht ansteigend. Eigentlich nur der Punkt, an dem sich mehrere Gassen trafen. An einem halben Dutzend Stände warteten Händler und Handwerker auf Kundschaft.

Aus dem Nieseln wurde Regen. Olegro flüchtete unter das Vordach einer geschlossenen Taberna. Die wertvolle Vihuela, die almadanische Laute, die er auf dem Rücken trug, war zwar von einer Tasche aus gewachstem Leinen geschützt, aber Madalya – für Olegro war das Instrument kein Werkzeug – verabscheute die Feuchtigkeit und würde tagelang die Stimmung nicht halten.

Noch hatten die Händler kaum Kunden. Sie standen beieinander, schwatzten, lachten und begutachteten gegenseitig ihre Waren. Nur ein Bauernpaar blieb unbeteiligt hinter einer Auslage Obst und Gemüse stehen. Die hagere Statur der beiden sprach nicht unbedingt für die Qualität ihrer Ware. Während der Mann, Olegro schätzte ihn auf Ende fünfzig, den Stand gegenüber im Auge behielt, als ginge zwischen dem dort angebotenen Steingut Unverschämtes vor, sortierte die Frau eine Auslage Peraineäpfel um. Es dauerte eine ganze Weile, bis Olegro begriff, dass die Tätigkeit der Frau nicht war, wonach es aussah. Im Schutz des Dachvorsprungs ging er ein paar Schritte zur Seite, um besser sehen zu können. Er hatte gedacht, sie würde schlechte Ware aussortieren. Aber sie sortierte nur um. Noch etwas später erkannte er, dass die Frau dieser Tätigkeit nicht willkürlich nachging, sondern einem Muster folgte, bei dem der freie Platz in der Auslage in Schleifen und Kreisen auf und ab wanderte, ehe das ganze Spiel wieder von vorne begann. Dabei ging sie so verbissen vor, dass die robusten Früchte Druckstellen bekamen.

Ob die Frau krank war? Oder schlief sie mit offenen Augen? Was auch immer mit ihr nicht stimmte, ihren Gatten störte es nicht, und vermutlich war er es gewohnt. Er fand die Töpfe, Krüge und Schüsseln gegenüber weiterhin viel interessanter. Vielleicht schämte er sich auch und sah deshalb krampfhaft beiseite?

Am Stand neben dem Bauernpaar hatte sich inzwischen ein Kunde eingefunden, der die Auslage eines Kesselschmieds kritisch beäugte. Hellgraue Beinlinge steckten in hohen Stulpenstiefeln, ein weißes Rüschenhemd stach unter dem schwarzsamtenen Wams hervor. Das dunkle Haar hatte er mit einer hellen Schleife zu einem Pferdeschwanz gebunden. Die Wangen waren glatt rasiert, sodass die hufeisenförmige Narbe auf der rechten zur Geltung kam. Nur den Schnauzer hatte er stehen lassen, und das breite Kinn zierte ein fingerlanger Spitzbart. Die aufrechte Haltung ließ ihn stattlich wirken, auch wenn Olegros geschulter Blick ihn kaum größer als sich selbst maß. Und sich selbst hielt Olegro für etwas zu kurz geraten.

Der Mann nahm eine Kupferschüssel, schlug mit den Fingerknöcheln dagegen und legte sie so achtlos zurück, dass es schepperte. Dann nahm er einen Krug und wiederholte die Prozedur.

Die Augen des Kesslers wurden enger. Aber gegenüber dem Mann, der offensichtlich zur Nobleza gehörte, wagte er nicht, sich die Misshandlung seiner Ware zu verbitten.

Der unwillige Kunde nahm zwei bronzene Schalen und schlug sie gegeneinander. In Olegros Ohren klang es wie ein Handgong.

»Taugt alles nichts«, sagte der Spitzbart und knallte die Ware auf den Stand zurück. Dann wandte er sich zum Gehen.

»Und das erkennst du daran, dass du Dellen reinschlägst?«, rief der Händler so erbost, dass er alle Umgangsformen fahren ließ.

»Ich höre es«, sagte der Mann, ohne sich umzudrehen, und ging langsam weiter. »Deine Bronze taugt nichts.«

»Das ist die beste Bronze in der Stadt!«, rief der Kesselschmied.

Der Spitzbart war inzwischen beim Stand des Töpfers angekommen. Er blieb stehen und wandte sich noch mal um. »Ernathesa-Bronze?«, fragte er.

»Natürlich!«, rief der Kessler und wuchs um einige Finger.

»Dann ist mir alles klar«, sagte der Caballero leichthin. Er klopfte mit dem Knöchel gegen eine Karaffe aus Steingut und bedachte den Töpfer mit einem Nicken, das diesem die Brust schwellen ließ.

»Was soll das heißen?«, rief der Kessler.

»Dass mir alles klar ist«, erwiderte der Spitzbart. »Im Gegensatz zu dir.«

»Du bist also ein Amazetti! Schleich dich! Meine Ware ist zu gut für dich!«

Der Caballero konzentrierte sich ganz auf die Ware des Töpfers und sagte, gerade so laut, dass es der Kessler hören musste: »Deinen Dreck fass ich sowieso nicht noch mal an.«

Ungehobelte Worte werden auch im Mund der Nobleza nicht fein, dachte Olegro.

»Dreckig ist hier nur das, was du angefasst hast! Da rostet mir sogar die Bronze!«, rief der zornesrote Kesselschmied.

»Ist Ernathesa-Bronze. Die rostet eben«, sagte der Spitzbart gelassen.

Darüber lachte der Töpfer.

»Halt dich da raus, Dreckfinger!«, rief der Kessler dem Töpfer zu, mit dem er vor wenigen Augenblicken noch zusammengestanden und gelacht hatte.

»Meine Sachen rosten wenigstens nicht!«, erwiderte der Töpfer.

»Das ist ja keine Kunst!« Schweißperlen standen auf der Stirn des Kesslers. »Das ist gepresste Kuhscheiße, so wie es von dir rüber stinkt! Oder kommt das aus deinem Arsch?«

Das wischte das Lachen vom Gesicht des Töpfers. »Halt‘s Maul, Blechdengler!«, rief er. »Wenn der Dom sagt, dass dein Zeug nichts taugt, dann taugt es nichts.«

Der ›Dom‹ war inzwischen weitergegangen und kümmerte sich nicht mehr um den Streit, den er angezettelt hatte.

»Ich zeig dir gleich, was meine Töpfe taugen! An deinem Schädel!« Schon flog ein Kupferkessel, verfehlte den Kopf des Töpfers und knallte in dessen Auslage, die dabei zu Bruch ging.

Der Töpfer schien nicht zu beabsichtigen, seine eigene Ware als Wurfgeschoss zu missbrauchen. Er krempelte die Ärmel hoch, ging um den Stand herum und auf den Kesselschmied zu.

»Jetzt bekomme ich es aber mit der Angst zu tun«, kommentierte dieser und plusterte sich auf. »Wenn deine Dreckfinger mich berühren, drehe ich dir den Hals um.«

Doch der Töpfer wollte sich nicht an seinem Gegenüber vergreifen. Er packte das Auslagebrett des Standes und riss es hoch. Scheppernd und krachend rollte die Ware über das nasse Pflaster.

»Ich schlag dich tot! Jetzt schlag ich dich tot!«, rief der Kessler und ging zum Angriff über.

»Amazetti oder Ernathesa?«, fragte eine Stimme neben Olegro.

Der Unheil bringende Kunde hatte sich aus der Affaire gezogen und stand jetzt neben Olegro im Trockenen.

›Weder, noch‹, wäre die richtige Antwort, dachte Olegro. Und ›sowohl, als auch‹ wäre auch nicht falsch. Aber Olegro sparte sich die Erwiderung.

Inzwischen wälzten sich die beiden Männer zwischen ihren Waren im Dreck.

Innerhalb weniger Augenblicke hatten die anderen Händler und ein Dutzend Passanten einen Kreis gebildet und feuerten die beiden an.

»Amazetti oder Ernathesa! Heute geht es um alles!«, rief der Mann neben Olegro. »Dreckfinger oder Blechklopfer!«

»Ich dachte, Ihr seid ein Amazetti«, sagte Olegro und wandte sich erstmals seinem Nebenmann zu.

»Habe ich das gesagt?«, fragte dieser. Das selbstzufriedene Lächeln auf seinem Gesicht wurde noch etwas breiter.

Olegro überlegte.

»Nein, habt Ihr nicht«, bestätigte er. Vor diesem Mann musste er sich in Acht nehmen.

Der Streit erklomm auch ohne das Zutun des vornehmen Aufwieglers die nächste Stufe. Der Töpfer stieß den Kesselschmied gegen einen Zuschauer. Dieser rutschte auf dem nassen Pflaster zwei Schritt rückwärts und ging zu Boden. Der eben noch unbeteiligte Gaffer rappelte sich auf, klopfte in dem vergeblichen Versuch, den Dreck herauszubekommen, seine nasse Kleidung ab. Dann stürmte er den Duellplatz und teilte willkürlich zwischen den Streithähnen aus.

Wenig später gab es, abgesehen von Olegro und dem spitzbärtigen Caballero, keine Zuschauer mehr.

Fast keine.

Erstmals achtete Olegro wieder auf das hagere Bauernpaar. Sie standen noch immer so stoisch und abwesend da wie zu Beginn. Ließ sie das alles gleichgültig, oder träumte der Mann ebenfalls?

Schon krachte einer der Streithähne in ihren Stand. Obst und Gemüse rollten in den Dreck und zwischen die Beine der Streitenden, platzte auf und wurde zu einer glitschigen Masse zertreten, die so manchem Kämpfer zum Verhängnis wurde. Die Bauersfrau ging in die Knie und begann die Ware aufzusammeln, ohne darauf zu achten, dass sie der prügelnden Meute gefährlich nahe kam.

Der junge Mann, der im Gemüse gelandet war, schien es als persönlichen Affront anzusehen, dass er ohne Konsequenzen den Besitz des Bauern zerstören konnte. Er gab ihm eine schallende Ohrfeige. Doch der Gedemütigte fasste sich nur an die Wange.

»Was bist du für einer!«, rief der Angreifer. »Bist dir wohl zu gut für uns!«

Der Bauer rieb sich weiter die Wange und achtete nicht auf den wütenden Mann.

»Bist ein Cordellesa?«, fragte der, packte den Bauer an den Schultern und riss ihn herum. »Aufrührerisches Paktiererpack! Willst uns mit deinem Mist vergiften!« Der junge Mann sah sich um, riss ein armdickes Kantholz aus dem zertrümmerten Stand, hob es über den Kopf und ließ es zu einem Schlag herabfahren, der dem Bauern den Schädel zertrümmert hätte, wäre der Angreifer nicht im letzten Augenblick wie vor einer tollwütigen Bestie einen Schritt zurückgewichen.

Das geht jetzt aber zu weit, dachte Olegro. Wenn das Bauernpaar träumte, so war der junge Mann auch nicht bei sich. Die Adern an seinen Schläfen pulsierten, als würden sie gleich platzen. Was immer er auch in den Bauern sah, er hasste und fürchtete es zu gleichen Teilen.

Olegro sprang über einen am Boden liegenden Kämpfer und wich einem anderen aus, wurde angerempelt und ging fast zu Boden. Die Saiten der Vihuela brummten wie ein zorniges Tier. »Ich bringe uns gleich hier raus«, murmelte Olegro. »Aber ich kann sie da nicht so stehen lassen. Sie werden blutig gehauen oder totgeschlagen, ohne dass sie es merken.«

Er eilte zurück, nahm die Vihuela von den Schultern und drückte sie dem überraschten Caballero in die Hände. Der ließ sie fast fallen. Wieder brummten die Saiten.

Du magst ihn auch nicht, dachte Olegro, aber ich hab keine andere Wahl. »Passt bitte auf Madalya auf«, sagte er zu dem unfreiwilligen Helfer, dann eilte er zurück in das Handgemenge, bei dem sich inzwischen die Hälfte der Beteiligten am Boden wälzten, die anderen aber so verbissen kämpften wie zuvor. Wer hier ein Amazetti oder ein Ernathesa oder Klient irgendeiner anderen Familia war, spielte längst keine Rolle mehr – vermutlich hatte es das auch nie.

Die Bauersfrau krabbelt noch immer zwischen den Trümmern ihres Standes herum und sammelte das verdorbene Obst und Gemüse auf. Keiner schien derzeit auf sie zu achten, also eilte sich Olegro, dem Bauern zur Hilfe zu kommen.

Sein Eifer war nicht ganz uneigennützig. Dass die beiden in einem Traum gefangen waren, davon war er inzwischen überzeugt. Und wer am hellen Tage und mit offenen Augen träumen konnte, der war für Olegro interessant. Die Suche nach einem seltsamen Häuflein Menschen, das die Taladuri ›die Traumwanderer‹ nannten, hatte ihn in die Stadt geführt. Aber die meisten Mitglieder der Gruppe waren tot, wer noch lebte, hielt sich bedeckt und war nicht auffindbar. Und Yelador Tefoso, ihr ominöser Anführer, saß in Feste Spähricht im Kerker. Der Burgvogt des Grafen hatte Olegro klar gemacht, dass ein ›dahergelaufener Trovere‹ den Kerker nur dann zu sehen bekäme, wenn er dessen Mauern und Gitterstäbe von innen begutachten würde. Gehörten die Bauern den verschollenen Traumwanderern an? Nein, das konnte nicht sein. Alle, die er bisher befragt hatte, beschrieben die Mitglieder der Gruppe als junge Leute aus besseren Familias, da würde sich keine verhärmte Bauersfrau darunter verirren. Aber in den Tabernas gingen in den letzten Wochen Gerüchte um, dass viele Taladuri von seltsamen Träumen berichteten, aus denen sie gar nicht mehr erwachen wollten. Dass manche am hellen Tag von diesen Träumen heimgesucht wurden, für einige Stunden schlafwandelnd umhergingen und anschließend nicht wussten, was sie getan hatten. Das Tabernavolk hatte schnell einen Namen dafür gefunden: Traumsucht!

War Olegro endlich Zeuge solchen Geschehens?

Er stolperte über die Trümmer des Marktstandes und stieß den jungen Mann von dem Bauern weg.

Der Bursche starrte Olegro entgeistert an. Einen Moment sah es so aus, als würde jetzt Olegro die Prügel abbekommen, dann erst schien der Bursche des Kantholzes in seiner Hand gewahr zu werden; als frage er sich, wie es dort hingekommen sei. »Ich ...«, murmelte er und ließ den Prügel fallen. »Ich weiß nicht ...«

»Was hast du gesehen?«, fragte Olegro. »Du hast geträumt! Was hast du in ihm gesehen?«

Aber der junge Mann schüttelte nur den Kopf. »Nichts«, murmelte er. »Nichts.« Er ging rückwärts, sein Blick wanderte unstet zwischen dem Bauern und Olegro hin und her. Dann wandte er sich um und suchte das Weite.

»Warte!«, rief Olegro ihm hinterher. »Ich muss mit dir reden!« Aber er war schon verschwunden.

Olegro wandte sich dem Bauern zu und sagte: »Kommt da weg!« Der Mann ließ sich ohne Widerstand zum Rand des Platzes führen. Anschließend holte Olegro die Frau. Sie wehrte sich zunächst, wollte ihre verdorbene Ware nicht im Stich lassen und murmelte: »Ich muss dem Baum seine Früchte bringen ... Sie will, dass wir sie zu ihm bringen ... Die Frucht verdirbt, wenn wir sie nicht bringen ...«

Aber mit sanftem Druck ließ sie sich dann doch zu ihrem Mann führen.

Kaum hatten sie den Bauern erreicht, machte dieser große Augen und rief: »Was machst du mit meinem Weib, Kerl!« Er wollte schon auf Olegro losgehen, da sah er die Trümmer seines Standes und die sich prügelnde Meute. Olegro wurde uninteressant. Er gab seiner Frau eine schallende Ohrfeige. »Warum hast du nicht aufgepasst!«

Auch sie schien aus dem Traum zu erwachen, sah den vernichteten Besitz und schrie auf.

Ohne Olegro eines Blickes zu würdigen, stürzten sie sich auf das Menschenknäuel, das sich noch immer auf dem Platz wälzte, und waren gleich darauf darin verschwunden.

»Aber was ist mit dem Baum – und den Früchten? Was meinst du damit? Und wer ist ›sie‹?«, rief er ihnen hinterher.

Dann ging er achselzuckend zurück unter den Dachvorsprung. Der Spitzbart überreichte ihm sein Instrument. »Madalya?«, sagte er. »Eure Laute habt Ihr mir schon vorgestellt. Jetzt verratet mir noch, wer der so edle wie missverstandene Retter der Bauersleut‘ ist.«

»Olegro Pentini, wandernder Trovere aus Punin. Und mit wem habe ich die Ehre?« Ich werde mir deinen Namen merken, um dir in Zukunft aus dem Weg zu gehen.

Der Spitzbart deutete eine Verbeugung an und sagte: »Jacinto von Zalfor, ganz zu Euren Diensten, edler Trovere.«

»Von Zalfor?«, rutschte es Olegro heraus. »Ihr seid mit Dom Alonzo verwandt?«

»Mit ihm sicher nicht«, sagte Jacinto von Zalfor. »Aber ich verzeihe Euch, als einem unwissenden Fremden. Soberana Madalena von Zalfor war meine Schwester.«

»Mein Beileid, Dom Jacinto.«

»Dass es statt ihr nicht diesen Straßenköter traf, finde ich bedauerlich. Hattet Ihr schon ein Gastspiel am Teatro?« Er verzog das Gesicht. »Wobei wir wieder bei Alonzo sind. Aber ich muss gestehen, dass er im Teatro ein geschicktes Händchen hat. Auch wenn es heißt, dass jenes Händchen ständig unter den Röckchen der Schauspielerinnen ist. Habt Ihr ihn schon kennengelernt?«

Olegro nickte.

»Nun, ich kann mir vorstellen, dass er an Euch Gefallen fand.« Das war jetzt so zweideutig, dass Olegro am liebsten die Flucht ergriffen hätte. Jacinto von Zalfor machte ihn wütend und wollte ihn offensichtlich aus der Reserve locken.

»Da ich noch nicht auf der Bühne des Teatro stand, werde ich sein Wohlwollen nicht errungen haben«, sagte er ausweichend. Immerhin hatte Dom Alonzo schon Interesse an seinen Künsten bekundet und Olegro wartete sehnsüchtig auf eine Einladung zum Vorspielen.

»Was nicht ist, kann ja noch werden. Wenn ich Euch behilflich sein kann ...«

»Ich dachte, ihr mögt Euren Schwager nicht. Und über mein Talent habt ihr Euch auch noch kein Urteil bilden können.«

»Ihr weilt noch nicht lange in der Stadt«, folgerte Dom Jacinto. »Es gibt Liebesbündnisse, und es gibt Zweckbündnisse. Ich gestehe, dass in meinen Ohren die Darbietung so mancher gepriesenen Trovera den Liebesschreien der Katzen gleicht. Es bedeutet mir nichts. Aber wenn ich Euch helfen kann. Wie heißt es so schön: Eine Hand wäscht die andere?«

Bevor ich mir von dir die Hand waschen lasse, hacke ich sie mir ab. »Ich hoffe doch, dass es mein Talent ist, das mich ans Teatro bringt«, sagte er.

»Von edler Gesinnung«, sagte Dom Jacinto, als sei dies etwas Schlimmes. »Dann möchte ich Eure Träume nicht weiter stören. Aber – wo wir schon bei den Träumen sind – was habt Ihr diesem so weltentrückten wie undankbaren Paar nachgerufen?«

Olegro sah Dom Jacinto forschend an. Also war ihm das Verhalten der Bauern ebenfalls aufgefallen, und er hatte die gleichen Schlüsse gezogen. »Sie träumten am hellen Tag und mit offenen Augen«, sagte er ausweichend.

»Eine Angewohnheit, die sie mit vielen Träumern teilen«, sagte Dom Jacinto.

Auch das war doppeldeutig und zielte auf seine Bestrebungen, einen Platz am Teatro zu bekommen. Olegro wusste nichts darauf zu erwidern.

»Aber man sagt, dass auch so mancher, der seinen Lebtag Tun und Denken mit wachen Geist Deres Antlitz zugewandt hat, seit Neuestem den Verlockungen der Traumlande verfallen ist. Keiner scheint davor gefeit«, sagte Dom Jacinto. Ehe Olegro nachhaken konnte, deutete Jacinto eine Verneigung an und sagte: »Nun, dann wünsche ich Euch alles Gute, unverstandener Held des Bauernvolks. Wir sehen uns sicher bald wieder.«

Olegro graute bei dem Gedanken.

***

Teatro de los Suenos, Taladur; zur selben Stunde.

Am Morgen nach einer Vorstellung gehörte das Teatro de los Suenos Dom Alonzo von Zalfor allein. Zu dieser Stunde atmete das Haus ganz die Leidenschaft und die Hingabe an die Kunst. In der abgestandenen Luft schien die Musik noch nicht verklungen. Die Echos der Lacher und Seufzer des Vorabends warteten nur darauf, aus der jetzt dunklen Tiefe des Saals hervorzubrechen und die Schatten der Tänzer und Schauspieler waren auf der Bühne noch nicht verblasst.

Vergessene Tücher, die Tränen der Freude und Trauer getrocknet hatten, lagen am Boden, einfache Rupfen auf den billigen Plätzen und spitzenbesetzte Seide in den Logen. Dort fand sich auch manches Zeugnis anderer Art. Die Angehörigen der Nobleza hatten sich hier schon übergeben und erleichtert, Blut war vergossen worden, wie die Säfte der Lust. Nicht alles war schön anzusehen, nicht alles schmeichelte der Nase. Aber für Dom Alonzo gehörte es dazu. Dom Alonzo konnte in den Hinterlassenschaften seiner Gäste lesen wie in einem Buch.

Ohne Eile ging er durch das Haus, besuchte die eine oder andere Loge, ehe er sich durch die Tür am Ende des Wandelganges in seinen privaten Salon und von dort hinab zur Bühne begab. Hier verharrte er schweigend und lauschte dem verklungenen Applaus, ehe er sich vor dem unsichtbaren Publikum verneigte und die Bühne in Richtung Garderoben verließ.

Das war der Ort, den er sich bei seinem morgendlichen Rundgang immer für den Schluss aufhob. Hier war die Magie am stärksten zu spüren. Dies war die Wiege der Träume, die auf der Bühne Gestalt annahmen. Hier verwandelten sich Fellachen in Könige, Bauernmädchen in Amazonen, Straßengaukler in Caballeros. Die Luft roch nach Schweiß und Schminke, aber Alonzo störte es nicht, es erinnerte ihn daran, dass die Wunder des Teatro eine Illusion waren, und trotzdem so wirklich wie der Wein und der Tod.

Seine Hand glitt über das Kostüm von Zalamea, seiner einstigen Favoritin. Sie hatte es gestern auf der Bühne getragen, es roch wie ihre Leidenschaft, frisch und herb. Zalamea hatte ihn über den Tod von Madalena hinweggetröstet. Erst nach Urritos Tod und der tiefen Demütigung, die er in der Familia erfahren hatte, hatte er sich von ihr abgewandt. Nicht, weil er sie nicht mehr gemocht hätte. Er wollte sie schützen, und eigentlich hätte er sie vom Teatro fortschicken sollen. Denn die raffinierte Leidenschaft seiner Lenden schien verdorrt und hatte einer wütenden Lust Platz gemacht, die er lieber bei den Huren im Haus zur stolzen Lanze auslebte.

Er vermisste sie: Zalamea und natürlich Madalena und Urrito. Aber am meisten vermisste er sein altes Leben und den festen Anker der Familia. Sie hatte ihn als bürgerlichen Emporkömmling an Madalenas Seite immer nur geduldet. Sie hatte seine Mühen wie selbstverständlich angenommen, bis er an Madalenas Seite ›de facto‹ der Soberan gewesen war, da sich seine geliebte Gattin ungern darum gekümmert hatte. Die Familia hatte Alonzo die Arbeit machen lassen, bis Madalena unter der Erde gewesen war. Aber mit Madalenas Tod war auch die Duldung vorbei, der Preis der Mühen, der Platz des Soberans, der ihm auch ›in nomine‹ zustand, würde ihm versagt bleiben. Und dann war alles schief gegangen. Wenn nur Urrito noch gelebt hätte! Sein Sohn war nie der gewesen, den Alonzo sich gewünscht hatte, aber die Frucht seiner Lenden auf dem Platz des Soberans und sich hinter dem Stuhl, so wie einst mit Madalena, damit hätte er sich abfinden können. Jetzt war auch Urrito tot. Im vergangenen Jahr hatte er alles verloren.

Nicht ganz!

Noch hatte er das Teatro!

Nicht aus Wohlwollen: Tennetto, der sich an Alonzos Leid geweidet hatte wie eine hungrige Ratte, schien sich der Bedeutung dieses Hauses nicht bewusst und ließ Alonzo gewähren, anstatt sich die Mühe zu machen, ihn auch von diesem Platz zu verdrängen. In einer Stadt, in der alles und jeder einer der großen Familias gehörte, war das Teatro ein neutraler Ort. Und wer diesen Ort kontrollierte, der besaß Macht. Keine offensichtliche Macht, wie die Familias mit den Alaunminen oder jene mit waffenstarrenden Söldnerheeren. Es war die subtilere Macht des Wissens und der Einflüsterung, hier an dem Ort, an dem alle willkommen waren und alle gehört wurden, selbst jene, die glaubten, nur ein vertrauliches Raunen von sich zu geben.

Aber wie lange würde Alonzo das Teatro noch kontrollieren? Wer auch immer den Platz Madalenas an der Spitze der Familia einnehmen würde: Wenn er oder sie nicht so dumm war wie Tennetto, würde die Bedeutung des Teatros zum Thema werden. Und dann würde Alonzo endgültig zu einem bedeutungslosen Anhängsel der Familia werden. Noch bedeutungsloser als der einfachste Klient.

Es war nur eine Frage der Zeit.

Er war ein geschlagener alter Mann.

Alonzo schüttelte sich.

Nein, er war weder geschlagen noch war er alt.

Es herrschte keine Einigkeit in der Familia und der Stuhl am Tischende blieb unbesetzt. Tennetto war zwar dumm, aber nicht so dumm, dass er – als Ratsmitglied und Zunftmeister der Winzer und Weinhändler – auch noch den Platz des Soberan hätte einnehmen wollen. Eine solche Machtanhäufung käme einer Selbsttötung gleich.

Aber wer sollte sonst am Tischende Platz nehmen?

Etwa dieser widerwärtige Geck Jacinto?

Der war gar kein richtiger Taladuri mehr. Der hatte die letzten Jahre irgendwo in der Welt verbracht.

Nein, noch war Alonzo nicht geschlagen. Noch besaß er das Teatro und damit die Macht der Träume.

Sie sollten nur sehen, wer in der Familia den Ton angab!

Er nahm Zalameas Kostüm vom Haken und versenkte sein Gesicht darin. Tief sog er ihren Duft ein. Dann zerriss er den feinen Stoff vom Dekolleté bis zum Schritt und stellte sich vor, wie seine Fingernägel rote Streifen auf ihre alabasterweiße Haut zeichneten.

***

Streitturm der Ernathesa, Taladur; zur selben Stunde.

Es war nicht die Zeit, zu der Domñatella Daroca Ernathesa üblicherweise vor dem Spiegel saß. Aber da sie sowieso nicht schlafen konnte, war das der angenehmste Ort, den sie im Augenblick finden konnte. In den letzten Wochen wurde sie oft von Schlaflosigkeit geplagt. Die Niederlage im Kampf um den Platz der Mundilla war ein Tiefschlag, den sie noch nicht verkraftet hatte. Wobei Vater noch nichts entschieden hatte. Aber welchen Grund sollte es noch geben, sie zu seiner designierten Nachfolgerin zu machen? In der Querella hatte sie sich nicht schlecht geschlagen und die eher unrühmlichen Episoden waren Vater nicht bekannt. Aber der Streit zwischen den Familias war fast beigelegt, und Schuld daran waren ihre Schwester und der Bastard, den sie mit dem Erzfeind gezeugt hatte. Dass in der Querella der angetraute Gatte Jazeminas draufgegangen war, hatte Dom Batholo inzwischen verkraftet. Darocas Ehe hingegen war durch den Tod des Zukünftigen geplatzt, ehe sie geschlossen worden war. Und auch Darocas Versuch, den verhassten Bastard zu beseitigen, hatte in einer grandiosen Niederlage geendet.

Mit der flachen Hand schlug sie auf den Tisch. Sie hätte jetzt gerne etwas zerbrochen, aber dazu fehlte ihr die Kraft.

Es klopfte, und die Tür wurde lautlos einen Spalt geöffnet. Das runde Gesicht ihrer Zofe erschien im Spiegel.

»Domñatella Daroca«, sagte sie schüchtern. »Ich habe Euch gehört und mich gefragt, ob ich Euch zu so früher Stunde schon stören darf.«

»Jetzt hast du es ...«, sagte Daroca.

Tani wurde rot. Das Gesicht wollte wieder im Türspalt verschwinden.

»... und ich hoffe, es wird nicht umsonst gewesen sein!«, fügte Daroca hinzu.

Sofort war das Gesicht wieder da, dazu der ganze Rest des kleinen, hübschen, vielleicht ein wenig molligen Mädchens. Darocas Leibzofe knickste. »Soeben wurde ein Brief für Euch abgegeben, Domñatella Daroca. Der Bote sagte, es sei nicht dringend, aber da ich Euch hörte, dachte ich ...«

»Ja, ja, ja! Das hast du schon gesagt. Und jetzt gib her! Oder hast du bei all den vergeblichen Versuchen, zu denken, den Brief vergessen?«

»Nein, Domñatella, hier ist er.« Sie knickste noch einmal und streckte die Hand aus, um Daroca den Brief zu reichen.

Es hätte Daroca wenig Mühe gekostet, sich ein wenig zu recken, um dem Brief in Empfang zu nehmen, aber dazu war sie nicht in der Stimmung.

»Da hätte ich ja gleich selber zur Tür gehen können, du tumbes Ding!« Sie sprang auf, riss Tani das Schreiben aus der Hand und schlug es ihr links und rechts um die Ohren. Die Zofe fiepte wie eine Maus, als das Siegel auf ihre Wangen klatschte.

Daroca setzte sich wieder. »Bürste mir das Haar«, befahl sie. »Aber wehe, es zieht!«

Die Zofe begann, von den Spitzen an Darocas blondes Haar zu bürsten. Die sah zufrieden, dass man den Abdruck des Siegels auf Tanis Wangen sehen konnte. Dann widmete sie sich dem Schreiben.

Das Siegel war durch die unsanfte Behandlung eingerissen, aber nicht gebrochen. Es zeigte das Wappen derer von Zalfor.

Daroca schluckte.

Kein halbes Jahr war es her, dass sie die Braut Urrito von Zalfors gewesen war. Aber der dumme Junge hatte sich in einem Duell besiegen lassen und lag jetzt auf dem Boronanger vor den Mauern der Stadt. Nicht, dass ihr an Urrito etwas gelegen hätte, aber der Junge wäre Wachs in ihren Händen gewesen, und mit seinem Tod war einem Teil ihrer Zukunftspläne ein jähes Ende gesetzt worden.

Was wollte die Familia jetzt von ihr?

Sie brach das Siegel und entfaltete das Blatt.

Domñatella Daroca,

es wäre mir eine Ehre, wenn Ihr Euch am kommenden Wassertag, dem vierzehnten Tag des Boronmondes, des Abends im Teatro einfinden würdet. Es erwarten Euch anregende Gespräche in einer erlesenen Runde. Für das leibliche und geistige Wohl wird in angemessener Weise gesorgt sein.

Euer ergebener

Dom Alonzo von Zalfor

Post Scriptum: Eine Antwort auf diese Einladung wird nicht von Nöten sein. Ich freue mich auf Euer Erscheinen.

Daroca las den Brief zweimal. Ihr war durchaus bekannt, dass Dom Alonzo in unregelmäßigen Abständen Angehörige der Taladurer Nobleza ins Teatro lud. Das Haus war – obwohl den von Zalfors gehörend – neutraler Grund, und anders als im Ratssaal im Palacio Torreda konnte man davon ausgehen, dass das dort Gesprochene auch dort blieb. Außerdem hatte Daroca den Verdacht, dass bei diesen Treffen unter dem Deckmantel der Politik und des intellektuellen Diskurses auch dem Spiel, der Muse und so manchem anderen phex- und rahjagefälligen Treiben gefrönt wurde.

Bald würde sie es herausfinden.

Aber warum war sie eingeladen? Hatten sich Vaters Schwächeanfälle inzwischen in Taladur herumgesprochen, obwohl die Familia so sehr darauf bedacht war, es nicht einmal dem Gesinde publik zu machen?

Und bedeutete das dann, dass Dom Alonzo sie – Daroca – als zwar nicht nominierte, so doch designierte Mundilla ansah?

Ein so wohliges Gefühl erfüllte sie, dass sie völlig vergaß, Tani für das von einer widerspenstigen Haarsträhne ausgelöste Ziepen zu maßregeln.

***

In den Gassen Taladurs; etwas später.

Wie schnell sich die Zeiten ändern, dachte Boromeo Amazetti. Noch vor wenigen Wochen war er durch die Stadt gestürmt und hatte blutige Schlachten geschlagen. Heute hatte er die Kapuze seines Umhangs tief ins Gesicht gezogen, um nicht erkannt zu werden. Nicht, dass er sich daran gestört hätte, aber er war es Jazemina und dem Kind schuldig, keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Eigentlich hätte er den kürzesten Weg zum Castello der Wehr nehmen können, einen kleinen Abstecher in die Oberstadt gönnte er sich dennoch. Die Spuren der blutigen Querella waren an vielen Stellen noch zu sehen, und so vermied es Boromeo, den Weg über die Plaza zu wählen, auf der der Brunnen der Cordellesa stand. Das war ein Dämon, dem er sich noch zu stellen hatte. Aber nicht alles war so deutlich zu erkennen wie die rußgeschwärzten Ruinen. Es schien, als habe die Querella die Menschen der Stadt in einem wirren Traum zurückgelassen, aus dem sie nur widerwillig erwachen wollten. Boromeo ging an einem Mann vorbei, der an der Ecke vor einem nicht vorhandenen Publikum über einen Fluch der Götter dozierte. Wenig später wälzten sich zwei betrunkene Raufbolde über das Straßenpflaster. Das war auch am frühen Morgen an sich noch nichts Ungewöhnliches. Aber mehrere Passanten stiegen und stolperten einfach über sie hinweg, anstatt ihnen auszuweichen oder dazwischenzugehen. Als nähmen sie einander gar nicht mehr wahr. Hatten diese Menschen solch Schreckliches erlebt, dass ihr Geist zerrüttet und an einen fernen Ort geflohen war? War das eine Folge der Querella? Und war es damit seine Schuld? Kein schöner Gedanke. Dass es etwas mit den Traumwanderern zu tun hatte, das war absurd. Was auch immer Olegro dazu sagte. Was interessierte sich der Puniner Trovere überhaupt für die Traumwanderer? Ihre Geschichte taugte nicht für eine Ballade!

Kurz spielte Boromeo mit dem Gedanken, den Turm der Familia zu besuchen, entschied sich aber dagegen. Bei aller Begeisterung, mit der die Familia – allen voran Doloresa – in der Querella gestritten hatte, wuchs in Boromeo der Eindruck, sie sei inzwischen zu dem Schluss gekommen, der Verlust von Leben, Hab und Gut sei es nicht wert gewesen, einen unbedeutenden Angehörigen zu rächen, dem nichts Besseres eingefallen war, als ein Kind der Erzfeinde zu schwängern. Vielleicht täuschte er sich. Soberana Emiglia betonte immer wieder, wie sehr ihr Boromeo zum Sohn geworden sei. Und vielleicht lag die Wahrheit auch irgendwo dazwischen.

Nachdem er einige Zeit durch die morgendlichen Straßen gestreift war, wandte er sich der Unterstadt und dem Castello der Wehr zu.

Den Gardisten in der Wachstube kannte Boromeo nicht. Und der schien Boromeo ebenfalls weder zu erkennen, noch den Fremden mit der Kapuze als Gefahr anzusehen. »Was willst du?«, fragte er eher gelangweilt als unfreundlich.

»Ist Capitan Starazza anwesend?«, fragte Boromeo.

»Nein.«

»Wann kommt er?«

»Weiß ich nicht, und es geht dich nichts an.«

»Ich muss mit Capitan Starazza sprechen, es ist wichtig!«

»Er ist nicht da, und ich weiß nicht, wann er zurückkommt. Also, hau ab.«

»Hör mal gut zu!«, schnappte Boromeo.

Der Gardist stand auf, seine Hand ging zu dem Degen an seiner Seite. »Nein, du hörst jetzt zu. Wenn du nicht ganz schnell verschwindest, mache ich ein Loch in dich und sehe nach, ob da bloß Stroh hervorkommt.«

Boromeo hatte Mühe, die Hand vom eigenen Degen fern zu halten. Langsam, ohne den Gardisten aus dem Auge zu lassen, ging er rückwärts zur Tür. Das war gründlich schiefgegangen. Warum ließ er sich so leicht provozieren?

Ehe er die Tür erreichte, meldete sich eine Frauenstimme zu Wort: »Wer schreit hier herum?«

Boromeo kannte die Stimme nur allzu gut.

Gleich darauf trat Kallista aus dem Gang zu den Zellen. Die rechte Hand des Garde-Capitans war genau die Person, die Boromeo gehofft hatte, nicht anzutreffen.

»Wer bist du?«, fragte sie barsch. Dann fuhr sie den Wachhabenden an: »Schau dir sein Gesicht an! Ich dulde keine Kapuzen in der Wachstube!«

»Los! Zeig mir dein Gesicht!«, rief der Gardist.

Boromeo tat, wie ihm geheißen.

»Du!«, stieß Kallista in einer Mischung aus Überraschung und Wut hervor. Gleich darauf hatte sie sich gefangen und fügte hinzu: »Das ist aber erfreulich. Soll ich Euch gleich in Euer neues Zuhause führen?«

»Kallista! Ich muss mit Erresto sprechen«, sagte Boromeo.

»So? Es sieht aber eher so aus, als wolltet Ihr hier nur Ärger machen.«

»Es ist wichtig!«

»Was sollte Capitan Starazza mit Euch zu reden haben? Wollt Ihr ihm erklären, warum Ihr die halbe Stadt abfackeln wolltet?«

»Ich habe die Häuser am Wollmarkt nicht angezündet. Und den anderen ist alles aus dem Ruder gelaufen! Aber das ist jetzt vorbei. Die Querella ist beendet.«

»Geht nach draußen, Domnito Boromeo, und schaut nach, ob die Querella vorbei ist! Erst heute Morgen haben sich zwei Dutzend Leute blutig geschlagen, weil sie sich nicht einig waren, ob Ernathesa-Bronze etwas taugt. Das habt Ihr angezettelt, auch wenn Ihr nicht dabei wart.«

»Kallista, ich ...« Er wusste nicht weiter und schwieg.

»Es ist mir ein Rätsel, warum Erresto Euch mit Samthandschuhen anfasst. Ich weiß, dass Soberana Emiglia die Hand über Euch hält. Aber – irgendwann, in einer dunklen Gasse, wird die Gerechtigkeit Euch erreichen, Boromeo Amazetti. Und jetzt verschwindet, ehe ich es mir anders überlege.«

Auch jetzt hatte Boromeo Mühe, die Finger vom Degen zu lassen. Aber er sah Kallista an, dass sie gerade darauf hoffte. Und wenn er die Waffe gegen ein Mitglied der Taladurer Wehr zöge, dann könnte niemand Kallista Vorwürfe machen, wenn sie ihn umbrächte.

»Ja«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich gehe jetzt besser.«

Kallista nickte und gab sich keine Mühe, die Enttäuschung zu verbergen.

***

Hacienda der Ernathesa, nahe Premura; zur selben Stunde.

»Jazemina!«, rief eine vertraute Stimme. »Jazemina!«

Amaria Cordellesa polterte so ungestüm ins Zimmer, dass Rahjano aufwachte und zu weinen anfing.

»Oh, das tut mir aber leid!«, rief Amaria und stürzte sich entschuldigend auf den kleinen Burschen, der dies als Bedrohung auffasste und noch lauter brüllte.

Durch einen beherzten Satz gelang es Jazemina, vor Amaria am Kinderbettchen zu sein und Rahjano aus der Gefahrenzone zu bringen. Während sie das Kind in den Armen wiegte, bis es schließlich still war, erschlaffte die stolze Haltung ihrer Besucherin. War da Eifersucht in Amarias Augen zu lesen? Zumindest schien sie müde – müde und traurig.

Die Suche nach den Drahtziehern hinter den noch immer andauernden Überfällen auf die Transporte aus der Stadt und der Vernichtung und Verunreinigung des wertvollen Alauns, hatte sie zusammengeführt. Vom gemeinsamen Anliegen beflügelt, hatten sie die Gräben zwischen den Familias überwunden, aus Bundesgenossen waren Freunde geworden.

»Nimm ihn«, sagte Jazemina großmütig.

Amarias Miene hellte sich auf und sie schien sich auf das Kind stürzen zu wollen wie ein Berglöwe auf sein Opfer. »Ich habe ihn zum Fressen gern«, hatte Amaria Jazemina einmal gestanden. Und die junge Mutter hatte den Eindruck, dass die ungestüme Freundin eines Tages genau das machen würde.

Jazemina wich zurück und flüsterte: »Er schläft jetzt.« Dann übergab sie das Kind behutsam Amarias Armen. Sie würde es keinen Moment aus den Augen lassen.

»Was führt dich bei Tage hierher?«, fragte Jazemina. »Du weißt, du könntest gesehen werden.«

»Ich muss mit Boromeo sprechen. Es ist dringend.«

»Worum geht es? Er ist in der Stadt und kommt erst in den nächsten Tagen zurück.«

»Du weißt, dass ich nicht in die Stadt kann.«

»Dann sage es mir, und ich richte es ihm aus, wenn er wieder da ist«, schlug Jazemina vor. Die Freundin machte sonst kein Geheimnis aus den Aktionen, die sie plante.

Aber Amaria blieb verschlossen. »Jazemina, Freundin, das muss ich mit Boromeo besprechen. Du musst auf das Kind achtgeben. Du bist keine Kriegerin.«

»Was hat das damit zu tun? Boromeo ist mein Mann, und was du ihm sagst, kannst du auch mir sagen.«

»Ich ...« Amaria schien mit sich zu ringen. Dann stieß sie hervor: »Sage Boromeo einfach, dass ich ihn sprechen muss!«

Jazemina spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Sie hasste es, wenn sie rot wurde, dann sah sie wie ein sommersprossiger Backfisch aus.

»Gib mir Rahjano!«, rief sie.

»Jazemina?«

»Gib ihn mir. Ich muss ihn stillen, und dazu möchte ich alleine sein.«

»Aber ich war doch oft genug dabei, wenn du ...« Amarias Miene verfinsterte sich. Sie drückte Rahjano grob zurück in Jazeminas Arme, der Kleine erwachte und fing wieder zu weinen an. Dann wirbelte Amaria herum und rauschte zur Tür. »Sag Boromeo, ich warte auf ihn! Er weiß, wo«, rief sie noch und knallte die Tür hinter sich zu.

Jazemina eilte ihr nach. »Was ist denn los!«, rief sie.

Doch Amaria hatte sich schon auf den Rücken des Pferdes geschwungen und galoppierte davon.

Wenn ich auch so reiten und kämpfen könnte, dachte Jazemina. Wenn ich bloß auch so tollkühn wäre – und so frei.

Dann erkannte sie, wie dumm das war. »Wir neiden einander das, was die andere besitzt, anstatt uns daran zu erfreuen«, sagte sie, schickte diesen Gedanken der Freundin als stummen Gruß hinterher und drückte Rahjano fest an die Brust.

Ein anderer Ort; zu einer anderen Zeit.

»Nicht dorthin«, sagt Denata. »Ich mache mir das Kleid schmutzig!«

»Feigling!«, ruft Doloresa. »Memme! Hast keine Traute! Bist keine rechte Amazetti! Du bist eine Ernathesa! Nein! Eine Cordellesa!«

Das trifft.

Denata verzieht das Gesicht zu einer Fratze. Dann schiebt sie das Kinn nach vorne und stößt hervor: »Bin ich nicht!« Ihre Schultern straffen sich, sodass sie Doloresa um zwei Köpfe überragt. »Und was sind das für Wörter? Memme? Traute? Wo hast du das wieder aufgeschnappt? Hast dich mal wieder zu viel im Keller und in der Küche rumgetrieben?«

»Du traust dich ja nicht! Dann muss ich halt mit Joselito spielen!«

»Joselito? Der Küchenjunge?«

»Mm.«

»Der ist blöd.«

»Ist er nicht. Er spielt mit mir.«

»Und mich guckt er komisch an.«

»Spielst du jetzt mit? Du hast es versprochen.« Damit wäre alles gesagt, aber sie kann es sich nicht verkneifen, noch ein wenig zu sticheln: »Wie heißt er?«

»Wer?«

»Der Domnito, für den du schön sein willst? Alrico? Jacopo? Aus welcher Familia ist er?«

»Rede keinen Blödsinn«, sagt Denata und wird rot. »Ich will nur nicht dreckig werden. Außerdem bin ich zu alt zum Verstecken spielen.«

Doloresa weiß, dass ihre große Schwester inzwischen mit erstaunlicher Ausdauer vor dem Spiegel sitzen und mit dem Fächer wedeln kann. Jetzt steht auch noch ein Ball im Teatro an, und Denata darf erstmals die Eltern begleiten. Aber sie bleibt Doloresas Schwester, und eine große Schwester ist für eine kleine Schwester so etwas wie ... Eigentum.

»Bist du nicht!«, ruft Doloresa. »Man ist nie zu alt! Nie! Nie! Nie! Außerdem hast du es versprochen!« Sie zieht jene Schnute, die in leuchtenden Buchstaben anzeigt, dass sie sogleich zu heulen beginnen wird – es sei denn, sie bekommt umgehend ihren Willen. »Versprochen ist versprochen.«

Es funktioniert – wie immer.

»Na gut«, lenkt Denata ein. »Aber nur eine Runde. Denn ...«

Denatas Stimme wird tiefer, ihre Züge verzerren sich, als sie schreit: »... du weißt, da unten bekommt man ein ganz grünes Gesicht!« Und Denatas Gesicht schmilzt, als sei es aus Wachs.

Doloresa beginnt zu schreien ...

Streitturm der Amazetti, Taladur;

am achten Tag im Boronmond, 990 nach Bosparans Fall.

Mit einem Schrei schlug Doloresa die Augen auf. Ihre Haut war schweißnass und sie fröstelte. Das Ding unter ihrer Haut bewegte sich. Nein, es räkelte sich, als sei es ebenfalls soeben erwacht. Nur musste der Traum des Parasiten ungleich erholsamer gewesen sein. Welch absurder Gedanke, sich zu fragen, ob das Ding, das mich mein ganzes Leben plagt, ebenfalls träumt, dachte Doloresa.

Sie hatte geträumt.

Das war noch nichts Ungewöhnliches, auch wenn normalerweise die Erinnerung schneller zerrann, als Wasser in der hohlen Hand.

Sie hatte von Denata geträumt.

Auch das war bisweilen geschehen.

Aber sie hatte von dem Tag geträumt, an dem es geschehen war!

Doloresa hatte mitnichten ihr ganzes Leben dieses Ding im Gesicht gehabt. Fünf Jahre hatte sie eine große Schwester zum Versteckspiel gehabt, fünf Jahre einen Vater, der ihr manchmal den Hosenboden versohlt, und sie viel öfter gedrückt hatte. Fünf Jahre war sie ein ganz normales Kind gewesen.

Bis zu jenem Tag, an dem man sie in einem Loch außerhalb der Stadt gefunden hatte. Seitdem waren Denata und Vater verschwunden, und Doloresa trug das Gesicht eines Ungeheuers.

Doch nicht die geringste Erinnerung an jenen Tag war geblieben.

Bis jetzt!

Sie hatte Denata ganz deutlich vor sich gesehen. Die große Schwester, in ihrem dunkelgrünen Lieblingskleid, das so wunderbar zu ihren Augen passte. Abgesehen von den letzten Worten, als der Traum zum Albtraum wurde, war jedes Wort so gesprochen worden, da war sie sich sicher.

Aber wo waren sie gewesen?

Wo waren sie hingegangen?

Der Traum hatte es ihr nicht gezeigt.

Die Erinnerung glich einem Zimmer, das dreizehn Jahre verschlossen gewesen war. Jetzt hatte sie es betreten, und was damals geschehen war, lag vor ihr. Noch war es unter einem schwarzen Tuch verborgen, sie konnte die Konturen erkennen und ertasten. Schon bald würde auch das Tuch fortgezogen.

Sollte sie den Tag fürchten?

Nein.

Warum auch?

Etwas erwachte, das nie geschlafen hatte.

Tag und Traum

Streitturm der Ernathesa, Taladur;

am Morgen des neunten Tages im Boronmond,

990 nach Bosparans Fall.

Der Stand der Sonne verriet Olegro, dass es bereits später Nachmittag war. Warum hatte ihn niemand geweckt? Er sprang aus dem Bett, wusch sich das Gesicht, zog sich an und verließ die kleine Kammer im Gesindebereich, die ihm Soberan Batholo zugewiesen hatte.

Nach wenigen Schritten hielt er inne. Im Turm der Ernathesa herrschte Stille. Selbst das geschäftige Treiben der Bediensteten schien zum Erliegen gekommen zu sein. Als Olegro einen Blick in die Küche wagte, war das Gesinde zwar anwesend, aber es ging fast lautlos und mit ernster Mine zu Werke.

»Was ist denn los?«, fragte er.

»Dom Batholo«, flüsterte die Küchenmagd.

»Was ist mit ihm?« Der Soberan war in letzter Zeit oft unpässlich gewesen, aber erst gestern Nachmittag hatte ihn Olegro mit ein paar zotigen Liedern so erfreut, dass der Salon von seinem Lachen gebebt hatte.

»Es geht ihm nicht gut«, sagte das Mädchen. »Er verlangte heute Morgen wie gewöhnlich nach seinem Frühstück. Als ich es ihm brachte, saß er da und rührte sich nicht mehr. Ich dachte, er ist ... Ich muss geschrien haben, denn alle sind zusammengelaufen. Aber er ist nicht tot. Domna Nelaria hat ihn dann in den Salon bringen lassen. Seitdem sitzt er da und scheint nicht zu wissen, wo er ist. Es ist, als ob er mit offenen Augen ...«

»... schläft und träumt«, vollendete Olegro den Satz.

»Woher wisst Ihr das?«, fragte sie überrascht.

»Ich wusste es nicht«, sagte Olegro und machte auf der Stelle kehrt. Halb die Treppe oben, entsann er sich der Stille im Turm und zähmte seine Ungeduld. Die letzten Stufen nahm er leise wie ein Dieb und schlich zur Tür, die in den Salon führte. Durfte er eintreten? Er war nur Gast im Haus und zweifelte daran, dass seine Anwesenheit in einer solchen Angelegenheit erwünscht war.

Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als sich die Tür öffnete. Daroca blieb in der offenen Tür stehen und sah ihn an. Olegros Herz machte einen Sprung. Jazeminas jüngere Schwester sah bezaubernd aus: das lange blonde Haar und die vollen Lippen, auf denen immer ein spöttisches Lächeln zu liegen schien. Die grazile Gestalt, noch fast ein Mädchen und doch wohlgerundet, was sie durch die gezielte Wahl der Garderobe unterstrich. Und natürlich die stolze Haltung.

Olegro wusste, was sich hinter dem so standesbewussten wie unschuldigen Äußeren verbarg. Daroca war eine machthungrige Intrigantin, rücksichtslos im Kampf und mit einer Zunge wie Gift. Zuletzt hatte sie sogar versucht, Jazeminas Kind töten zu lassen, weil sie es in jenem Weg glaubte, der sie an die Spitze der Familia führen sollte. Aber Olegro war sich sicher, dass sie nicht wirklich böse war. Sie war eben eine Taladuri durch und durch.

Und sie war einfach zu schön.

Jetzt standen sie einander etwas zu lange gegenüber. Darocas Miene war unergründlich. Normalerweise scheute sie sich nicht, ihm tödliche Blicke zuzugedenken, wenn sie alleine waren. Immerhin hatte er mitgeholfen, ihre Pläne zu vereiteln.

»Geh rein«, sagte sie plötzlich und rauschte die Treppe hinab. Hatte er soeben eine Träne in ihren Augen blinken sehen? Am liebsten wäre er ihr nachgerannt.

Stattdessen betrat er auf leisen Sohlen den Salon. Dom Batholo saß in seinem Lieblingssessel. Seine Augen waren offen, der Blick entrückt und die Gesichtszüge so weich und gelassen, wie Olegro es an dem oft jähzornigen Mann nie gesehen hatte. Auch Tote hatten manchmal diesen Ausdruck, wenn man ihnen das Attribut ›friedlich entschlafen‹ zugestand. Aber Dom Batholos Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig.

Sein Leib war hier und atmete, doch sein Geist war an einem fernen Ort. Wenn das die Ursache für Dom Batholos vergangene Unpässlichkeiten war, hatte es die Familia erfolgreich vor Olegro und dem Gesinde verheimlicht.

Die Blicke der Anwesenden waren auf ihn gerichtet. Da saß Domna Nelaria, in einem Sessel neben ihrem Gatten, sie berührte ihn nicht und sie sah nicht ihn an, sondern Olegro, und ihr Blick war voller Angst. Hinter Batholos Sessel stand Yedra, die Leibwache des Soberans, die ihn auch in seinen Träumen beschützen würde, wenn sie es könnte.

»Ich ...«, stotterte Olegro. »Ich habe das scho...schon ein...mal ges...ses...sehen.«

»Was hast du gesagt?«, fragte Domna Nelaria streng.

»Ich habe das schon gesehen«, stieß er hervor. »Erst gestern früh. Auf einem Markt. Zwei Bauersleute und ...«

»Was haben Fellachen mit meinem Gatten zu tun?«, fragte Domna Nelaria scharf.

»Sie standen nur da, schienen ihre Umgebung nicht mehr wahrzunehmen. Als ob ...« Olegro war sich gewiss, eine Dummheit gemacht zu haben. Er schätzte die Gastfreundschaft der Familia und er war drauf und dran, ihr Wohlwollen zu verspielen. Aber der einzige Weg hier raus ging nach vorne. »In den Tabernas wird darüber gesprochen ...

»Was?«, rief Domna Nelaria. »Wer spricht über meinen Gatten? Woher wissen sie ...«

»Nein, nein!«, beeilte sich Olegro. »Sie sprechen nicht über Euren Gatten, Domna Nelaria. Sie sprechen über die Traumsucht. So nennen sie es. Nicht nur Dom Batholo ist davon ergriffen.«

Domna Nelaria sprang auf und eilte zu ihm. »Olegro! Was weißt du? Was ist das?«

»Ich weiß es nicht, Domna Nelaria«, sagte Olegro und senkte den Kopf vor ihrem strengen Blick. »Es tut mir leid. Es ist, wie ich gesagt habe. Ich habe in den Tabernas die Gerüchte gehört. Und dann habe ich die Augen offengehalten. Ich sah Menschen, die sich benahmen, als seien sie an einem anderen Ort. Manche standen oder saßen ganz still, und wenn man sie ansprach, sahen sie einen nicht. Andere sprachen mit jemandem, der nicht da war, oder rannten herum und schlugen sich mit unsichtbaren Gegnern, wobei nicht selten ein Unbeteiligter zu Schaden kam. Aber nie konnte ich mit Gewissheit sagen, ob es sich nicht einfach um Sonderlinge und Verrückte handelte. Bis gestern früh. Die Bauersfrau sprach in ihrem Traum von Bäumen und Früchten. Von einer Saat, die nicht verloren gehen darf. Und sie erwähnten eine ›sie‹. Ich weiß nicht, wer ›sie‹ ist. Und als die Frau erwachte, konnte sie sich an nichts erinnern. Oder sie wollte es nicht, denn in ihren Augen sah ich sowohl Angst als auch die Sehnsucht nach dem Traum, den sie soeben verlassen hatte. Sagt, Domna Nelaria, hat Dom Batholo ebenfalls so etwas gesagt?«

»Sie ist erwacht? Wie? Einfach so, oder hast du etwas dazu getan.«

Olegro schüttelte den Kopf. »Sie sind einfach ... aufgewacht. Sowohl der Mann als auch die Frau. Aber sagt, Domna, hat er gesprochen? Hatte er solche Anfälle schon zuvor?«

»Sie sind wieder erwacht«, sagte sie leise. Und die Erleichterung war deutlich zu hören. »Danke, Olegro Pentini, du darfst jetzt gehen.«

Das war ein Rausschmiss, und weitere Antworten würde er nicht bekommen. Er verneigte sich tief und beeilte sich, den Salon zu verlassen.

Wenig später wanderte Olegro durch die Gassen Taladurs. Er hatte weder Ziel noch Plan. Insgeheim suchte er nach weiteren Zeichen dieser Traumsucht. Aber wie so oft, wenn man etwas suchte, war es unauffindbar. Vielleicht sollte er Jacinto von Zalfor seine Aufwartung machen, dem das zunehmend seltsame Verhalten der Taladuri ebenfalls nicht fremd schien? Nein, der Gift sprühende Caballero war der Letzte, den er um Hilfe bitte wollte. Oder noch einmal den kleinen Markt aufsuchen? Sinnlos. Am Abend war der Markt geschlossen, und auch wenn ihr Stand nicht in Trümmern liegen würde, so würden die Bauersleute kaum an zwei oder drei aufeinanderfolgenden Tagen dort anwesend sein.

Er konnte nur hoffen, unter günstigeren Umständen ein weiteres Mal Zeuge eines solchen Vorfalls zu werden.

Also ging er weiter.

Es wurde Abend, und Olegros Füße begannen zu schmerzen. Auch wenn ihm der Magen knurrte, war er nicht in der Stimmung, in einer Taberna Zuflucht zu suchen. Außerdem hatte er Madalya nicht dabei, mit deren Unterstützung das Mahl dann üppiger ausfallen würde.

Er ging nördlich vom Gongplatz die Eisenstraße entlang, als er einige Schritt voraus eine Person entdeckte, die ihm vertraut vorkam. Mit der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze gab sie sich im winterlich kühlen Taladur so auffällig unauffällig, dass sich Olegro fragte, warum ihr nicht alle Passanten nachstarrten. Die Gaben Phexens wurden Boromeo Amazetti nicht in die Wiege gelegt, dachte Olegro und folgte dem Freund, der offensichtlich dabei war, die Stadt zu verlassen. Ich könnte dir jetzt die Hose klauen, ohne dass du es merken würdest. Er schloss zu ihm auf und sagte mit tiefer Stimme: »Boromeo Amazetti! Kundschaftest du neue Orte für deine Untaten aus?«

Wie schnell Boromeo herumwirbelte und den Degen zog, war unheimlich. Die Spitze kam eine Handbreit vor Olegros Herzen zum Stehen. »Olegro!«, keuchte Boromeo. »Ich hätte dich fast getötet. Wie konntest du dich so an mich heranschleichen?«

»Wenn deine Augen und Ohren von einer dicken Kapuze bedeckt sind, ist es keine Kunst«, erwiderte Olegro. Sein Herz pochte bis in den Hals. »Boromeo, ich muss dich etwas fragen.«

»Dann frage«, forderte ihn Boromeo auf. Der Überfall hatte ihn offensichtlich verärgert. »Aber ich habe wenig Zeit. Ich habe Jazemina versprochen, morgen vor Sonnenuntergang zurück zu sein.«

»Was hast du in Taladur gemacht?«

»Ich wollte Erresto den Ring zeigen.«

»Ihr habt es also endlich eingesehen?«

Sie hatten mehrmals darüber diskutiert, den Ring, den Amaria Cordellesa bei einem nächtlichen Streifzug einem unbekannten Mittelsmann der Flusspiraten abgenommen hatte, jemandem zu zeigen, der bestätigen konnte, wem er gehörte. Sie hatten einen Verdacht. Aber Amaria konnte die Stadt nicht betreten, ohne um ihr Leben zu fürchten, und auch Boromeo hatte sich bisher geweigert, das Schmuckstück aus der Hand zu geben.

»Ja«, erwiderte Boromeo kurz angebunden.

»Und?«

»Er war nicht da. Dafür hätte mich Kallista fast abgestochen.«

»Du marschierst am hellen Tag durch Taladur und in das Castello der Wehr, und weißt nicht einmal, ob der da ist, den du suchst?«

»Wie soll ich es sonst machen?«

»Indem du ihm eine Nachricht zukommen lässt. Oder indem du mich vorschickst.«

»Du hast recht. Aber als ich mich endlich dazu durchgerungen habe ...«

»... konntest du es nicht mehr abwarten und hast aufgehört zu denken.«

»Ich kann Erresto vertrauen. Er hat mich aus der Mine geholt.«

»Ja. Und du hast es ihm gedankt, indem du die halbe Stadt angesteckt hast.«

»Ich habe das Haus nicht angesteckt. Das war dieser Ernathesa-Bastard, dieser Semano. Und der ist tot. Erresto weiß, dass ich damit nichts zu tun habe!«, rief Boromeo.

»Ich weiß, ich weiß«, sagte Olegro besänftigend. »Ich glaube dir ja. Und Erresto wird dir wohl auch glauben. Aber viele Leute in dieser Stadt sind anderer Meinung. Nach allem, was ich gehört habe, war deine Rolle in der Querella nicht die eines Lämmchens.«

»Das mag sein. Aber dies ist Taladur«, sagte Boromeo.

»Was auch immer du mir damit sagen willst. Aber, Boromeo, worüber ich mit dir sprechen wollte ...«

»Ja?«

»In der letzten Zeit sind mir viele Leute in Taladur aufgefallen, die sich seltsam verhalten.«

»Noch seltsamer als sonst?« Boromeo lachte bellend auf. »Du bist noch nicht lange hier.«

»Nein. Ich meine: Sie scheinen zu schlafen und zu träumen, mitten auf der Straße. Kann es nicht sein, dass das die verschollenen Traumwanderer sind? Oder dass sie etwas damit zu tun haben?«

Boromeos Miene verfinsterte sich ein weiteres Mal. »Du fängst schon wieder damit an! Was immer mit den Leuten los ist, es hat nichts mit den Traumwanderern zu tun. Die Traumwanderer sind alle tot! Und ihre Geister spuken nicht in den Träumen der Lebenden.«

»Bist du dir sicher? Wenn ich an die Traumwanderer herankommen würde ...«

»Du kannst auf dem Boronanger an sie herankommen, sonst nirgendwo.«

»Ich ...«

»Ich weiß nicht, warum du so versessen darauf bist, ihnen zu begegnen. Du benimmst dich fast wie die Boroni. Aber ich sagte dir: Sie sind alle tot! Alle!«

»Aber ...«

»Hör zu«, sagte Boromeo und legte Olegro beschwichtigend die Hand auf die Schulter. »Ich muss mich jetzt wirklich auf den Weg machen. Komm doch in den nächsten Tagen auf die Hacienda, dann können wir über alles reden.«

»Ich habe für morgen eine Einladung von Dom Alonzo. Er will mir das Teatro zeigen. Die Gelegenheit darf ich mir nicht entgehen lassen.«

»Dann komm anschließend. Leb’ wohl, Olegro.« Boromeo beschleunigte seine Schritte und ließ den Trovere stehen.

Als Olegro den Streitturm der Ernathesa betrat, wurde er von Darocas Leibzofe Tani empfangen. Das Lächeln auf ihrem Gesicht nahm die gute Nachricht vorweg: »Dom Batholo ist erwacht. Es geht im gut. Es ist, als sei er nie krank gewesen. Und er hat nach Euch gefragt.«

Doch ehe er in den Salon eilen konnte, reichte ihm das Mädchen einen Brief. »Der ist für Euch abgegeben worden, Olegro.«

Das Schreiben trug das Wappen derer von Zalfor. Olegro brach das Siegel und entfaltete es.

Tani machte so ungelenke Versuche, einen Blick auf den Inhalt zu erhaschen, dass Olegro ihr das Schreiben zurückgab.

»Ich kann nicht lesen«, gestand das Mädchen unter heftigem Erröten. »Und ich wollte nicht neugierig sein.«

»Warst du aber«, sagte Olegro.

Das Mädchen sah nicht, dass er dabei lächelte, denn es fand seine Zehen viel interessanter. »Ich wollte nicht ...«

»Schon gut, es steht ja nichts Geheimnisvolles darin«, sagte Olegro und senkte verschwörerisch die Stimme. »Außer, wie man den spukenden Geist des Teatro von seinem Leiden erlösen kann und dadurch einen großen Schatz erringt.« Er fasste das Mädchen mit zwei Fingern unter dem Kinn und gebot ihm, den Blick zu heben. Sie war hübsch. Nicht so exquisit wie Daroca, nicht so bezaubernd wie Jazemina, aber auf eine schlichte und ehrliche Weise anziehend. Besonders mit dem Schmollmund, der signalisierte, dass sie begriffen hatte, dass Olegro sie auf dem Arm nahm.

»Ich wollte doch nur wissen, ob Ihr bald im Teatro auftreten werdet. Dom Alonzo ist ja so ein imposanter Mann.«

»Ja?«

Das Mädchen nickte heftig. »Und?«, fragte sie dann.

»Da ich es dir wohl nicht vorenthalten kann, ohne dass du vor Neugierde platzt: Dom Alonzo hat das Treffen im Teatro um vier Tage verschoben. Er wollte mich morgen empfangen. Aber nun wird es wohl erst am Wassertag sein.«

»Und dann werden Ihr ...«

»Dann werde ich hören, was der imposante Dom Alonzo mir zu sagen hat.«

Das Mädchen schien enttäuscht.

»Und du wirst die Erste sein, die es erfährt«, fügte er hinzu und ließ seine Finger über ihre Wange gleiten. Wäre sie ein Kätzchen gewesen, hätte sie jetzt geschnurrt. »Aber jetzt möchte ich deinem Herren die Aufwartung machen, Tani. Dom Batholo ist ebenfalls ein imposanter Mann, findest du nicht?«

»Natürlich, Dom Olegro, natürlich. Ich wollte nur ...«