DSA: Fesseln der Lust -  - E-Book

DSA: Fesseln der Lust E-Book

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Beschreibung

Aventurien – ein Kontinent voller spannender Abenteuer, doch nicht jedes führt Helden in den Kampf gegen Drachen, auf ein Schlachtfeld oder in eine unheimliche Ruine. Manche Heldentat wird im Namen der Liebe und der rahjanischen Leidenschaft vollbracht. Dieser Kurzgeschichtenband enthält erotische Geschichten, die den Leser nach Aventurien entführen. Erfahre mehr über die Beziehung zwischen Kaiserin Rohaja und ihrem Gemahl, Markgraf Rondrigan Paligan, die tragischen Liebschaften des Patriarchen von Al'Anfa, Amir Honak, oder über das Liebesleben der wohl bekanntesten Magierin ganz Aventuriens, der berüchtigten Nahema ai Tamerlein. Fesseln der Lust ist eine erotische Kurzgeschichtenanthologie in der Welt des Schwarzen Auges.

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Seitenzahl: 610

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HerausgeberAlex Spohr

Autorinnen, Autoren & AndereProf. Heinz FeatherlySerina HänichenLance HardHexaplexHinz KunzsonRose LipsdickLieschen MüllerAmelia PortlockAlex SpohrAxel SporMháire StritterNathander Weise

Alex Spohr (Hrsg.)

Fesseln der Lust

Elf erotische Das Schwarze Auge©Kurzgeschichten

Originalausgabe

Mit Dank an Nicolas Mendrek, Eevie Demirtel, Nicolas Mendrek, Philipp Neitzel, Sebastian und Louisa Würden und Louisa Würden(für ihre Expertise zum Thema Pornographie)

Liebe, wie es dir gefällt-Kushiel-Trilogie von Jacqueline Carey

Impressum

Ulisses SpieleBand US257114Titelbild: Nadine SchäkelAventurien-Karte: Daniel JödemannLektorat: Frauke ForsterKorrektorat: Julian HärtlUmschlaggestaltung und Illustrationen: Nadine Schäkel, Patrick SoederLayout und Satz: Michael Mingers

Copyright © 2018 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems. DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN und DERE, MYRANOR, RIESLAND, THARUN und UTHURIA sind eingetragene Marken der Significant GbR. Alle Rechte von Ulisses Spiele GmbH vorbehalten.

Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems, gestattet.

Printed in the EU.

Print-ISBN 9783963310140Ebook-ISBN 9783963310591

Vorwort

Liebe Leserinnen, liebe Leser und Andere!

Das ich jemals als Herausgeber für eine Anthologie mit dem Thema Erotik fungiere, hätte ich früher stets mit einem Lachen verneint. Mein Gebiet ist die Phantastik, da kenne ich mich aus, da bin ich Zuhause. Dennoch muss ich gestehen, dass ich zusammen mit der Idee von Wege der Vereinigungen insgeheim die Hoffnung hatte, zusätzlich eine Kurzgeschichten-Anthologie mit erotischen Inhalten herauszubringen. Meine geschätzte Kollegin Eevie hatte sich hingebungsvoll um die Kurzgeschichten aus dem Band Sternenleere gekümmert. Das war ein Projekt, was ihr sehr am Herzen lag und wofür sie alles gegeben hatte, damit es ein großartiges Buch wurde. Und so war es für mich selbstverständlich, dass ich mich auch um die erotischen Geschichten des in Fesseln der Lust kümmern würde, schließlich war ich zu Teilen auch Initiator des Bandes.

Phantastisch-erotische Geschichten waren Neuland, nicht nur für mich, sondern auch für einige der Autoren und Autorinnen. Es sind dennoch exzellente, spannende und erotische Geschichten bei den Arbeiten entstanden.

Wir hatten uns dazu entschlossen, vor allem Geschichten rund um bekannte aventurische Prominente zu verfassen. So werdet ihr beispielsweise erfahren, wie es um die Liebe zwischen Kaiserin Rohaja und ihrem Gemahl Rondrigan bestellt ist, oder was hinter einem Geschenk an die machtvolle Hochelfe Pardona, die Zunge des Namenlosen, steckt.

Wir haben uns bemüht, die ganze Vielfalt der aventurischen Erotik und Sexualität abzubilden. Deshalb werdet ihr Geschichten zu allen möglichen Spielarten der Liebe und in unterschiedlichen „Härtegraden“ wiederfinden. Bei einigen Geschichten möchte ich im Vorfeld darauf hinweisen, dass sie Themen beinhalten, die man nur lesen sollte, wenn man damit umgehen kann.

Amir und die Piraten beinhaltet einige sehr explizite und gewalttätige Beschreibungen bis hin zu sexueller Gewalt. Die Chroniken von Zirbel und Lutti sind weniger explizit, dafür spielen hier, wie in der Geschichte Fesseln der Lust, die Themen Dominanz und Unterwerfung eine größere Rolle. Der Rote Ritter und Schloss Rohajaslust sind teilweise sehr explizit in der Darstellung erotischer Inhalte. Blick in den Spiegel beschreibt einige gewalttätige Szenen. Unabhängig davon, sind die dortigen Erotikszenen ebenfalls sehr explizit.

Aber genug der Warnung: Viel Spaß bei der erotischen Reise durch Aventurien.

Waldems-Steinfischbach, an einem schwül-erotischen Sommertag 2018

Alex Spohr

Fesseln der Lust

von Alex Spohr und Nathander Weise

Niemand, außer uns Geweihten der Schönen Göttin, ahnt, wie wichtig Disziplin und Beharrlichkeit für eine Dienerin der Leidenschaft sind und welche exotischen Kenntnisse des Liebesspiels eine Priesterin beherrschen muss. Die meisten Menschen stellen sich vor, dass eine Rahjageweihte den lieben langen Tag dem Müßiggang, den weltlichen Genüssen und der körperlichen Liebe frönt. Gewiss, dies ist auch Teil unseres Lebens, aber wer uns darauf reduziert, hat den Willen der Göttin nicht verstanden und beurteilt unsere Ausbildung falsch. Es sind genau die gleichen Vorurteile wie die Behauptung, dass eine Rondrageweihte nur Duelle im Namen von Göttin und Ehre ausficht und eine Phexgeweihte einzig den Diebstahl begehrenswerter Kleinodien im Sinn hat. Eine Rahjageweihte ist viel mehr als eine Liebesdienerin.

Ich möchte euch deshalb eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die euch zeigen soll, dass die Aufgabe einer Dienerin der Leidenschaft mannigfaltige Herausforderungen bereithält, gleich ob körperlicher oder seelischer Natur. Doch zunächst gehört es sich, dass ich mich kurz vorstelle: Mein Name ist Yasmina saba-es-Sulef und ich bin eine Geweihte der Rahja. Geboren wurde ich in der mondsilbernen Stadt Zorgan, der immer noch mein Herz und meine Seele gehören, doch die sich beides mit der Serenissima teilen muss. Schon länger wohne ich in Belhanka, um der Göttin in ihrem wichtigsten Tempel zu dienen. Von Zeit zu Zeit reise ich aber durch halb Aventurien, denn anders als viele meiner Glaubensbrüder und -schwestern bin in gerne unterwegs und scheue auch nicht die Strapazen einer langen Reise. Ich konnte schon die Kaiserstadt Gareth bewundern (und habe ebenso ihre Schattenseiten kennengelernt), aber auch die Region Almada (deren Wein meiner Meinung nach der beste ganz Aventuriens ist) und die Stadt Auen (wo ein guter Freund von mir herstammt, Bruder Hilbert).

Das Leben und Rahja meinten es bislang gut mit mir. Weder kann ich mich über Hunger beklagen, noch über zu wenige oder die falschen Freunde. Als Jugendliche war ich weniger verantwortungsvoll als heute und man sagte mir wohl zu Recht nach, einen Hang zu Ilmenblatt, Zithabar und anderen Rauschkräutern zu haben, und dass ich den Gläubigen nicht richtig zuhörte. Heute sind zumindest meine Ohren immer dort, wo jemand eine Bitte an die Göttin richtet. Obwohl man es nicht erwarten würde, bin ich doch schon in so manches Abenteuer gestolpert. Ob auf der Suche nach dem legendären Schwertkönig an der Seite meines Freundes Djidhe oder als Blutopfer für einen finsteren oronischen Kult – meine Erfahrungen würden manchem Avesgeweihten Ehre machen! Doch auch ich bin hin und wieder in einer verzweifelten Lage. So wie vor einer Woche, als ich einen Brief meiner guten Freundin Elyria erhielt.

Elyria ist eine der angesehensten Lyceum-Kurtisanen der ganzen Serenissima. Ihre Kundschaft reicht weit bis über die Stadtgrenzen hinaus und ihr Ruhm hat dazu geführt, dass sie sich ihre Gunst in Dukaten aufwiegen lässt. Sie ist eine ganz besondere Frau, der Rahja eine Gabe geschenkt hat, die sie nur wenigen zuteilwerden lässt. Selbst unter uns Geweihten ist sie selten. Elyria ist eine Meisterin darin, Schmerzen während des Liebesspiels in heilige Ekstase zu verwandeln.

Wo Elyria darin eine Meisterschaft entwickelt hatte und auf ihre göttergewollten Gaben vertrauen konnte, war ich eine blutige Anfängerin auf dem Gebiet der al’anfanischen Spielarten der Liebe. Meine Stärken waren andere. Meine Lehrmeisterin meinte einst zu mir, dass ich sehr einfühlend sei und zärtlich zu jedem und jeder. Ich verstehe mich darauf, jedem durch die Berührung meiner Hände und meiner Zunge Freude zu bereiten. Die Kunst mit Peitsche und Fessel zu arbeiten war mir nur beiläufig beigebracht worden.

Dennoch traf ich mich mit meiner Freundin, schließlich wäre ich eine schlechte Ratgeberin, wenn ich mir bei jemandem, der mir so nahe steht wie sie, erlauben würde fernzubleiben. Als Dienerin der Leidenschaft ist es meine Pflicht und Berufung zu helfen.

So empfing mich Elyria im Lyceum Tulipan, einem der Höfe der Abendröte, der berühmtesten Kurtisanenschulen des ganzes Horasreiches. Obwohl sie sich eine eigene Villa leisten konnte, arbeitete Elyria von Zeit zu Zeit im Lyceum, da sie innerhalb der Stadt das republikanische Gesetz achtete, welches die Kombination von rahjanischen mit phexgefälligen Geschäften verbot. Sie liebte das meridianische Ambiente des Hauses und nirgendwo sonst konnte sie ihrer Berufung besser nachkommen, als hier.

Als ich sie in einem der Zimmer traf, bemerkte ich sofort, dass es ihr nicht gut ging. Elyrias sonst so strahlendes Gesicht war aschfahl. Sie lag auf dem Himmelbett und sah mich mit glasigen Augen an. Ich näherte mich ihr zwar, doch hielt Anstand, falls sie ansteckend war.

»Meine Liebe, danke, dass du gekommen bist«, sagte sie mühevoll und fing an zu husten. »Wie du siehst, hat es mich erwischt. Der Medicus sagt, dass ich einige Tage lang noch das Bett hüten muss.«

»Was hast du denn? Ich hoffe, es ist nichts Schlimmes!«, wollte ich wissen, denn ich machte mir ernsthafte Sorgen.

»Efferdsbrennen.«

Eine unangenehme Krankheit, sehr schmerzhaft, aber nicht gefährlich. Nur ihrer Berufung durfte Elyria einige Zeit nicht nachkommen. Es war zu gefährlich, dass sie einen ihrer Kunden anstecken würde.

Sie erklärte mir, dass sie selbstverständlich vorsichtig gewesen war, aber einer ihrer Freier, dem man die Krankheit nicht angesehen hatte, hatte sie offenbar angesteckt. Das war für Elyria aus mehreren Gründen unangenehm. Sie war krank und hatte Schmerzen, würde den Heiler bezahlen müssen und hatte Verdienstausfall für eine gute Woche. Am schlimmsten war aber der Grund, warum sie mich hergebeten hatte.

»Morgen sollte ich einen besonderen Gast im Lyceum empfangen. Den Sohn eines mhanadischen Emirs. Ein echter Prinz.«

»Du machst Scherze, Elyria.«

»Nein, meine Liebe. Es ist die Wahrheit. Sein Vater hat das Treffen arrangiert. Du wirst dich sicherlich fragen, warum er diese weite Reise auf sich genommen hat. Vor allem wegen einiger Geschäfte, aber eben auch, um mir einen Besuch abzustatten. Jadir, so heißt der Prinz, ist wohl sehr begeisterungsfähig für meine Kunst.«

Ich hätte nicht fragen sollen, aber so etwas weiß man vorher nie. »Und was gedenkst du nun zu tun? Kann kein Perainegeweihter dir schnell helfen?«

»Da ich krank bin, wird das Treffen nicht stattfinden können. Ich darf nicht riskieren, ihn anzustecken. Das würde schreckliche Konsequenzen für uns beide haben. Ich brauche aber seinen Vater als zuverlässigen Geschäftspartner. Ich brauche seine Stoffe für meine Kollektion. Und deswegen dachte ich mir, du könntest mir helfen und für mich einspringen. An die Perainegeweihten ist nicht zu denken. Ich hatte letztens mit Bruder Zintaro einen Streit. Du weißt doch, wegen seines Sohnes …«

Die Verführung von Zintaros Sohn war das Thema einer ganzen Woche in den Kneipen und Tavernen Belhankas gewesen. Elyria hatte den jungen Mann kostenlos in die Geheimnisse der Liebe eingewiesen, da sie ihn mochte. Der Junge hatte sich Hals über Kopf in sie verliebt und sein Vater kochte vor Zorn – nicht, weil er die Lyceum-Kurtisanen für unschicklich hielt, sondern weil Elyria den Geweihten selbst vor einigen Wochen abgewiesen hatte.

»Ich soll dir helfen? Aber es verlangt ihm nach dir? Das wäre eine Täuschung!«

»Das wäre es, aber eine in Rahjas und Phexens Sinne. Jadir wäre nicht enttäuscht, ich kann mit seinem Vater über weitere Geschäfte korrespondieren und würde dir einen Gefallen schulden. Für alle ein Gewinn.«

Ich hätte ablehnen können. Weder hätte Elyria etwas dagegen tun können, noch hätte ich meine kirchlichen Pflichten verletzt. Aber ich sagte aus einem mir unerfindlichen Grund zu. Vielleicht war es meine Neugier auf den Prinzen, vielleicht auch das Gefühl, dass ich meiner Freundin helfen sollte. Möglicherweise auch die Herausforderung, mich einer Spielart der Liebe zu stellen, von der ich noch weniger Ahnung als von der Pferdezucht hatte (ja, ich gestehe, Pferde und ich kommen nicht gut miteinander aus; mir waren Ponys schon immer lieber als große Shadifhengste). Zwar machte ich mir Sorgen, dass der Schwindel aufflog, aber Elyria hatte keine Bedenken. Meine Tätowierung am Knöchel wies mich nicht zwangsläufig als Rahjageweihte aus. Ich hatte damals bei der Weihe auf ein Rosenmotiv verzichtet und stattdessen das Symbol der Göttin gewählt. Insofern war meine Wahl durch Elyria eine gute. Fast jede andere Geweihte hätte der Prinz wohl durch die Rosentätowierung durchschaut. Und es ehrte mich, dass Elyria mich und keine andere Lyceum-Kurtisane ausgewählt hatte. Auch meine Zweifel, ob ich Jadir bei einem nächsten Treffen wieder zur Verfügung stehen müsste, zerschlug Elyria. Der Prinz hatte nur einen Termin mit ihr vereinbart und würde dann wieder nach Hause zurückkehren. Elyria würde die nächsten Jahre keinem weitere Treffen zustimmen und Jadir war wohl fast nie im Horasreich unterwegs, sondern für seinen Vater üblicherweise in Aranien, Maraskan und Meridiana. Es bestand also kein großes Risiko.

Am gleichen Tag traf ich mich mit Amaziella Bosvani im Weinlokal ‚Aves Netz‘. Man kann wohl behaupten, dass Amaziella und ich ebenfalls Freunde sind. Gelegentlich würde ich aber das Gegenteil behaupten. Wir waren wie eine Münze, nur jeweils die andere Seite. Wir waren das Gegenteil in Körper und Geist. Während ich klein war und schwarze Haare hatte, war sie über eins achtzig Schritt und ihr Haar leuchtete so hell wie die Strahlen der Praiosscheibe. Ich war eine gute Tänzerin, sie eine schlechte. Sie mochte Pferde, ich nicht. Meine Brüste waren von angenehmer Größe, ihre gigantisch (und wohl eine dauerhafte Modifikation durch einen Verwandlungszauber – so erzählte man es sich im Tempel). Aber wir liebten beide die Menschen und die Göttin. Und unser gemeinsames Vergnügen erfüllte uns beide trotz unserer Unterschiede mit freudiger Erinnerung.

Ich glaubte, dass sich Amaziella mit al’anfanischen Praktiken besser auskannte als ich, also wollte ich mir bei ihr Rat einholen. Trotz aller Unterschiede schätzen wir uns gegenseitig und Amaziella würde helfen, schließlich würde ich dafür in ihrer Schuld stehen. Vermutlich würde sie den nächsten Besuch bei ihrer Lieblingschneiderin Ninara oder bei der Konfiserieabteilung der Schokoladenmanufaktur auf meine Rechnung setzen. Das war es mir wert.

»Ein tulamidischer Prinz, der auf al’anfanische Spielchen steht? Bei Rahja, du meinst aber nicht Jadir ibn Khorim?«, fragte Amaziella wenig begeistert und nippte an ihrem Raschtulswaller Wein.

»Das ist sein Name.«

»Meine Liebste, ich muss dir gestehen, ich würde mich von ihm fernhalten.« Amaziella, die ich nur selten nicht lächeln sah, machte ein besorgtes Gesicht.

»Gibt es etwas, das ich über ihn wissen sollte? «

Sie machte eine längere Pause, kippte den restlichen Wein hinunter und fing an mit ihren Fingern einige ihrer Haarsträhnen zu zwirbeln.

»Mir ist zu Ohren gekommen, dass er während des Liebesspiels die Grenze zwischen Rahjas Freude und finsteren Gesinnungen nicht allzu ernst nimmt. Zahlreiche Frauen sollen nach einer Nacht mit ihm die Hilfe eines Medicus benötigt haben.«

»Rahja bewahre! Hat er sie körperlich schwer verletzt?«

»Keine körperlichen Wunden, die ein wenig Wirselkrautsalbe nicht heilen könnte. Der Schaden an der Seele war schwerwiegender.«

Amaziella wirkte bedrückt, ein Zustand, den ich so von ihr nicht kannte.

»Wie viel Erfahrung hast mit der al’anfanischen Praxis?«, wollte Amaziella wissen.

»Nicht viel. Sieht man von sanften Hieben mit der Hand auf den Po ab. Und die Sache mit dem Levthansband …«

»Ah, die Sache mit dem Levthansband. Und dem Zwerg, richtig? Dem Zwerg!« Plötzlich war sie wieder zu Scherzen aufgelegt und wirkte fröhlich.

»Vielleicht wird dir das helfen. Du kennst das Gefühl, wenn etwas Göttliches über dich hereinbricht, und du dich nicht wehren kannst. Aber sei gewarnt: Jadir wird dich fordern, so wie noch nie jemand dich gefordert hat. Es wird dir alles abverlangen.«

Mit einem mulmigen Gefühl traf ich meine Vorbereitungen. Ich übte im Tempel mit Amaziellas Hilfe noch einmal den Umgang mit der Lustpeitsche, dem Paddel und dem Brabaker Rohr. Im Rahjasutra ging ich noch einmal alle Positionen durch, die sich näher mit den levthanischen Praktiken beschäftigten. Und ich betete inbrünstig zu Rahja.

Jadir ibn Khorim hatte ein Treffen nach Sonnenuntergang im Lyceum Tulipan vereinbart. Ich hatte mich deshalb am Morgen noch einmal intensiv meiner körperlichen Ertüchtigung und Reinigung gewidmet. Nach den morgendlichen Rahjasutra-Übungen ging ich in das Tulamidische Bad, das mich bei jedem Besuch an meine alte Heimat erinnerte. Ich schwamm, ließ mich massieren und hatte einen besonderen Spezialisten unter den Frisören der Stadt bezahlt, um mich von jedem lästigen Haar unterhalb meines Kopfes zu befreien. Mit meiner neuen aranischen Frisur fühlte ich mich bereit, dem Schicksal entgegenzugehen, dass Rahja für diese Nacht für mich vorgesehen hatte.

Jadir sollte mich nicht als Rahjageweihte erkennen, also trug ich einen schwarzen Mantel aus Elyrias Garderobe und darunter aufregende schwarze Seidenstrümpfe und einen Halter. Die Unterkleidung war angeblich von dem Schneider Tuti dy Linera hergestellt worden und man sagte dem Stoff eine legendäre Beständigkeit nach (nur Fingernägel konnten ihm schaden, wo sogar Flammen versagten). Der Raum, in dem wir uns trafen, war ein luxuriöses Schlafzimmer, allerdings mit einem Arsenal von Liebesspielzeug der exotischeren Art. Neben erotischen Motiven der Künstlerin Ravene di Sarto und dem einen oder anderen Roman der Schriftstellerin Lutisana da Marazin hingen dort Lederfesseln, Haken und eine Neunschwänzige. Meine ganze Aufmerksamkeit galt aber dem purpurnen Band aus Seide.

Jadir war ein gutaussehender Mann. Zumindest in meinen Augen. Er war für einen Tulamiden groß, zumindest größer als ich, (wobei ich in dieser Kategorie eher als durchschnittlich zählen muss). Er hatte sein Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden und an einigen Stellen kürzer geschnitten als den Rest des Haupthaars. Er erinnerte mich an einen Rosenritter, den ich vor einiger Zeit im Rahjatempel von Elburum kennengelernt hatte und der so manches Geheimnis hütete. Sein Lächeln zeigte deutlich, dass er für mich Ähnliches empfand. Das würde es leichter machen. Zumindest dachte ich das zu diesem Zeitpunkt.

Bei den meisten Männern und Frauen gelingt es mir schnell, sie zu erregen. Bei Jadir war das anders. Ich musste mein ganzes Können abrufen und einsetzen. Zu Beginn unseres Spiels entledigte ich mich des Mantels, sodass er bewundern konnte, wonach er begehrte. Er wirkte ungerührt. Ich drückte ihn sanft und lächelnd auf das Bett, setzte mich kniend neben ihn und fing an, seine Lust mit jenen Techniken zu erwecken, die man in meiner Heimat den Biss der Schlange nennt. Nicht, dass ich mich rühmen will, aber jene, die schon in den Genuss meiner Kunstfertigkeit im horasischen Liebesspiel gekommen sind, behaupten, dass selbst Rahja es nicht besser machen würden. In mancher Hinsicht eine ketzerische Behauptung, aber ich nehme dieses Kompliment gerne entgegen. Nur beim Verschlingen des Python muss ich noch ein wenig üben und die Reflexe meines Körpers beherrschen lernen.

Von all dem zeigte sich Jadir aber unbeeindruckt. Ich war keineswegs verzagt, sondern vielmehr angespornt, dem Prinzen zu seinem Glück zu verhelfen. Ich strich mit meinen Haaren über seinen Körper, verwöhnte ihn mit meinen Händen, meinen Lippen, meinen Brüsten und meiner Zunge, doch seine Männlichkeit ließ sich nicht überzeugen. Erst dachte ich, dass er vielleicht keinen Reiz an einem Frauenkörper empfand, aber nach allem, was ich über ihn wusste, konnte dies nicht der Grund sein. Ich fühlte mich schon halb wie eine Versagerin, wie ein Magier, der nicht mehr zaubern konnte, oder eine Kriegerin ohne ihr Schwert.

Doch aufgeben wollte ich nicht. Vielleicht hatte Jadir einfachere Bedürfnisse, also wendete ich eine Handtechnik an, die wenig ausgeklügelt, dafür aber effektiv war. Im Tempel wird sie zwar besprochen und sie ist in einigen Ausgaben des Rahjasutras illustriert, aber da sie vor allem von Huren und Lustknaben angewandt wird, wird sie nur selten von Rahjageweihten benutzt, da sie nicht als kunstfertig gilt. Zwischendurch wählte ich noch das Aussaugen der Mango als zusätzliche Technik an, um Abwechslung zu bieten.

Es gelang mir endlich, sein Glied soweit zu erregen, dass ich nun anders weitermachen konnte. Hastig setzte ich mich auf ihn und wollte meinen ersten Erfolg durch die rhythmischen Bewegungen meines Körpers weiter wachsen sehen – oder spüren –, doch offenbar beging ich einen Fehler. Sein Glied erschlaffte und schlüpfte aus mir heraus. Ich war aufgelöst und verzweifelt. Noch nie hatte ich derart versagt. Schwierigkeiten treten gelegentlich auf, aber diese Herausforderungen gilt es zu überwinden. Bei Jadir jedoch fühlte ich mich wie eine Jugendliche, die die schlimmsten Fehler bei ihrem ersten Mal erlebte.

»Ich bin ein wenig überrascht. Wollten wir beide uns so vergnügen? Auf die herkömmliche Art? Ich dachte, du bietest mir mehr das, wonach mir der Sinn steht«, sagte er ein wenig enttäuscht.

»Bitte, sag mir, wonach dir verlangt.« Ich war verzweifelt ob meiner Unfähigkeit, also überlies ich ihm die Wahl unseres weiteren Vorgehens. Jadir sah sich um und ergriff die purpurnen Seidenfesseln auf dem Nachttisch. Er band meine Hände und Füße an die Bettpfosten, geschickt wie jemand, der dies schon hundertfach getan hatte. Ich hatte Angst. Ich wusste nicht, was auf mich zukam und Amaziellas Worte kamen mir wieder in den Sinn.

Anfangs begnügte sich Jadir mit der Lustpeitsche. Ich sah, wie seine Männlichkeit ganz ohne meine Berührungen wieder wuchs, prachtvoller als bei all meinen halbgelungenen Versuchen. Die Schläge wurden immer fester und ich musste mehrfach aufstöhnen. Zum einen war es der ziehende Schmerz jener Stellen, an denen er mich traf, zum anderen eine überraschende Wonne der Lust, die meinen Körper durchfuhr. Als er mich knebelte, wollte ich für einen kurzen Moment rebellieren, aber als er mich nach dem Lösungssignal fragte, sagte ich ihm, dass ich ihm vertraute und keines brauchte. Dieses Vertrauen erregte ihn noch mehr und so wie die Steifheit seines Gliedes zunahm, nahmen auch Pein und Qualen zu, die ich erlitt. Er wechselte während der Tortur seine Instrumente wie ein Ingerimmgeweihter seine Werkzeuge. Das Brabaker Rohr war schrecklich, die Neunschwänzige noch furchtbarer, aber als er kleine Klemmen fand und damit meine Rahjasknopsen einklemmte, durchfuhr mich ein nie gekannter Schmerz. Und doch verstand ich nun ein wenig besser, welche Lust Elyria empfand.

Jadirs Gesichtsausdruck wechselte zwischen Anspannung, Zorn und Freude. Körperlich berührte er mich nie, nur seine Spielzeuge machten sich an meinem Körper zu schaffen. Ich hatte das Gefühl, dass er mich mindestens eine Stunde bearbeitet hatte, als er aufhörte.

»Du bist dein Geld wert. Würdest du nun das gleiche für mich tun, was ich für dich getan habe?«, fragte er voller ausgelassener Freude.

Ich verstand erst nicht, aber als ich begriff, was Jadir wollte, nickte ich. Er entfesselte mich, nahm mir den Knebel ab und sah mich erwartungsvoll an. Ich war nicht schwer verletzt, aber durch die al’anfanischen Spielchen so mitgenommen, dass ich kaum Kraft hatte, seinem Wunsch Folge zu leisten. Ich betete kurz und leise vor mich hin, flehte Peraine und Rahja an, und spürte, wie meine Lebensgeister zurückkehrten.

Derart gestärkt ergriff ich die Fessel und band Jadir die Hände auf den Rücken. Obwohl sich dies grausam anhört, ich freute mich darauf, ihn zu bearbeiten. Von nun an war er der Ausgelieferte meiner Phantasien. Zwar muss ich zugeben, dass die al’anfanischen Spielarten der Liebe nie zu meinen Favoriten gehört haben, doch in dieser Nacht empfand ich dabei großes Vergnügen. Jeder Schlag mit der Neunschwänzigen war mir eine Freude und das heiße Wachs der Kerze, dass ich über seine Brust bis hinab zu seinem Glied vergoss und das ihn aufzucken ließ, waren mir ein Hochgenuss. Wir verbrachten drei gemeinsame Stunden, bis weder er noch ich mehr konnten.

»War dein Besuch zu deiner Zufriedenheit?«, fragte ich ihn, erschöpft neben ihm auf dem Bett liegend.

»Er war besser als ich es erwartet habe.« Sein Lächeln verriet allerdings seine Zufriedenheit.

Es gibt Menschen wie Jadir, deren Liebesleben auf eine einzige Spielart fixiert ist. Ich wusste, dass er darunter litt, aber ich wusste zugleich auch, dass ich nicht nur Elyria einen Gefallen getan hatte, sondern Rahjas Willen erfüllt hatte. Er wirkte glücklich und ich hatte einen Rausch erlebt, den ich noch nicht kannte. Jeden Tag würde ich dies nicht durchstehen, aber es konnte nichts schaden, seine Grenzen besser zu kennen.

Der Levthansweg

Die Chroniken von Zirbel und Lutti 1

von Hexaplex und Rose Lipsdick

Zirbel saß in seiner Kammer. Zwischen Büchern und Kerzen hatte er seinen Kopf in stiller Andacht zur Tischplatte sinken lassen. War es schon an der Zeit, seiner seelischen Unschuld zum letzten Geleit zu winken? Er wollte nicht sentimental werden, doch etwas an diesem kreisrunden Turmkämmerchen war ihm bereits so vertraut geworden, dass es ihn ängstigte.

Durch die schopfgroßen Löcher in den Wänden, die wohl für Fenster herhalten sollten, war kaum auszumachen, ob der Morgen bereits herangebrochen war. Dunkle Holzdielen bedeckten den Boden und verschluckten das meiste vom spärlichen Schein einer Reihe von Kerzen, die direkt auf dem Tisch gepflastert worden waren. Alles knarrte bei der leichtesten Berührung. Kaum hatte man den großen Zeh vom quietschenden Bett auf den Boden gesetzt, wurde eine Kettenreaktion bedrohlichen Ächzens und Keuchens ausgelöst, das vom dunklen Grund die Streben hinaufzitterte, welche das ebenfalls hölzerne Firmament auf ihren Schultern trugen. Schweren Herzens versuchte Zirbel seinen verkrampften Rücken zu strecken ohne dabei den Kopf vom Tisch zu nehmen. Als er sich schließlich sein Versagen in selbst diesem Belang eingestehen musste, tropften die Kerzen bereits in großen Lachen vom Schreibtisch zu Boden. Honigsüßer Wachsduft stieg empor und kitzelte Zirbels Nase.

Heftig schnaubend versuchte er das aufdringliche Aroma zu vertreiben. Es half nicht. Er ließ sich langsam vom Stuhl zu Boden gleiten, bis seine Knie unter dem Tisch zu Rande des Wachsteichs niedersanken. Während er abwesend das warme Wachs mit seinen sorgfältig abgekauten Fingernägeln bearbeitete, bemerkte er den glatt-matten Schimmer, den die Dielen angenommen hatten. Nicht weniger als ein Zeugnis unzähliger Generationen, die sich zu ihrer Zeit in seiner Situation befunden haben mussten. Hatten sie, wie er, nächtelang den schmalen Pfad zwischen Bett und Schreibtisch abgeschritten? Sich fragend, ob ihre Eltern sie noch lieben könnten, nach allem was sie hier gesehen und getan hatten?

Erzmagus Thomeg Atherion, Spektabilität der Akademie der Geistigen Kraft und Erhabener Fasars, hielt ihn wie eine Stubenkatze. Ein furchtbarer Gedanke, besonders wenn Zirbel bedachte, wie viele streunende Tiere er während seiner Jugend in Engasal aufgelesen und in sein Heim gesperrt hatte.

Seine sogenannten besten Absichten hatte er sich stets in Form der Ausdrücke ›Fürsorge‹ und ›Sicherheit‹ vorgebetet. Wie sollten die armen Kreaturen ohne ihn überleben, verlassen, in der Wildnis? Im Gegenzug verlangte er nur ein gewisses Maß an Gehorsamkeit und Liebe.

Erst jetzt wurde Zirbel klar, wie anders man jene Bedingungen verstehen konnte. Wie falsch. Absonderlich. Verdreht. Selbst wenn Atherion eine ganz andere Art von Liebe im Sinn hatte. Für einen Moment konnte Zirbel sein Hirn nicht davon abhalten, die losen Enden seines unglücklichen Vergleichs zu verbinden. Am schlimmsten war, dass Zirbel in seinem geistigen Auge Meister Atherions zufrieden edatisches Lächeln bis ins kleinste Fältchen um dessen Mundwinkel abbilden konnte, während er schnurrend seine Stiefel leckte.

Ein Zucken erschütterte Zirbels Brust und sein Rückgrat versuchte instinktiv die Belastung mit einer Gegenbewegung auszugleichen. Bevor er es verhindern konnte, krachte sein Kopf gegen die Tischplatte über ihm. Noch während seine Hände die Beule weg zu massieren versuchten, bevor sie spross, und kleine Tränchen aus seinen Augen vertrieben, sah er einen brennenden Kerzenstummel vom erschütterten Tisch zu Boden fallen.

Nun vollends panisch pustete und wedelte er mit seinen Robenärmeln dem Flämmchen entgegen. Durch die Aufmerksamkeit erst recht ermutigt, wuchs es auf die doppelte Größe an. In einer Bewegung griff Zirbel nach seinem Spitzhut auf der Stuhllehne und schlug ihn wiederholt heftig auf die sprießenden Flammen, bis sie endlich aufgaben. Mit dem Schwinden des rhythmischen Pochens in Zirbels Ohren, wurde er der lautstarken Nachwehen des Turmzimmers gewahr, das, geschlagen und gebrandmarkt, bis ins Fundament röchelte.

Scheinbar zufrieden mit ihrem Kommentar, verfiel die Kammer wieder ins Schweigen.

Was für ein Zauberer du bist ... kannst nicht mal Feuer löschen. Was sieht Meister Atherion nur in mir …?

Wenn Schlaf inmitten dieser Symphonie des Grauens unmöglich zu finden war, sollten ein paar Stunden Meditation wenigstens Zirbels Nerven beruhigen. Er glaubte sich selbst nicht, als er sich im Lotossitz aufs Bett setzte. Was sollte es schon helfen? Atherion war ein herausragender Lehrmeister. Seit Zirbel sich nach Fasar begeben hatte, um vom Pionier der Sexualmagie höchst selbst zu lernen, hatten sich seine Fähigkeiten enorm weiterentwickelt.

Seine Heimat Engasal rühmte sich zwar damit, die einzige Spezialausbildung für sexualmagische Künste in ganz Aventurien anzubieten, doch Zirbel wusste mittlerweile, dass das Engasaler Völkchen nicht nur mit Gebäck den Mund regelmäßig zu voll nahm. Die Liebesspielzeugmanufaktur Engasals war für ihren Erfindungsreichtum tatsächlich bis in die Freudenhäuser Al’Anfas bekannt. Niemand hatte jedoch je etwas von einer Engasaler Zauberschule gehört, geschweige denn, dass jemand Qualität erwarten würde.

Zirbels zauberhaftes Zauberlädchen in Grangor, beziehungsweise die Tatsache, dass niemandem auffiel, dass er es abgestoßen hatte, zeugte davon. Sein alter Lehrmeister Halbert in Engasal hatte über sechzig Götterläufe hinter sich, betrieb außerdem eine Brauerei und war Teilzeitgardist der örtlichen Konditorei. Der bekam sie alle. Auch ohne Magie. Trotz allem. Zirbel musste schmollen. Es liegt daran, dass dem Ollen immer ein Bier locker sitzt … Gewiss, genau, jawohl.

Nirgends, da war Zirbel sich sicher, waren eintausend Dukaten schlechter angelegt als in einer sexualmagischen Ausbildung Engasaler Schule. Das lag auch daran, dass Meister Halbert seinen Magierstab schon vor einigen Jahrzehnten verloren hatte. Im Grunde war er nichts als ein aventurischer Aufreißer, der von Zirbel Goldmünzen kassierte, ohne tatsächlich praktische Magie zu lehren. Trotz allem so weit gekommen zu sein, erfüllte Zirbel mit Stolz. Er hatte gelernt, sich selbst zu lehren. Er war kreativ geworden, hatte eigene Artefakte erschaffen und so manche interessante Reaktion erzeugt. Doch was hier in Fasar gelehrt wurde, überstieg seine kühnsten Hoffnungen.

Spektabilität Atherion war der erste Mensch, mit dem Zirbel jemals über die Künste der Fleischeslust gesprochen hatte. Zumindest in einem akademischen Sinne. Der alte Halbert in Engasal verstand Magietheorie und konnte sie vermitteln, würzte sie mit seinen Lebensweisheiten über die Lenden der jungen Leute und schob sie Zirbel als Sexualmagie unter. Meister Atherion war anders.

Ein Frösteln überkam Zirbel. Morgen schon sollte er sich beweisen.

Seit seinem ersten Zusammentreffen mit dem Magier hatte er viele Stunden in sein Studium investiert und einige Male einen Zauber unter den Augen seiner Mitschüler und der vielen Lehrer vorgeführt, deren Gunst er gewinnen musste, um schließlich bei Atherion vorsprechen zu dürfen. Es war ihm gelungen, Kraft seiner Gedanken seine Kleidung abzulegen. Ebenso konnte er mittlerweile zuverlässig Erregung anderer erspüren.

Dies war nichts im Vergleich zu der Macht, die in Atherion zu ruhen schien. Zirbel konnte fast körperlich spüren, wie lange der Weg von seinem Fertigkeitsstand zu dem seines Meisters war, wann immer er sich im selben Raum befand. Zu verstehen, warum er – von allen Leuten – hier in diesem Zimmer saß, um morgen den Levthansweg zum Feuerkloster zu beschreiten, überstieg sein Fassungsvermögen. Sein Talent war begrenzt, seine Ausbildung lückenhaft. Es fehlte schlicht am Fundament für ein magisches Meisterwerk, selbst wenn Spektabilität Atherion Zirbels Durchschnittlichkeit als Herausforderung begriff.

Vielleicht stellte Zirbel sich die falsche Frage. Sein Privileg musste ein Unfall sein. Trotz all der astralen Gewalt im Arsenal des Meisters mangelte es ihm möglicherweise an der Urteilskraft, einen verlorenen Fall aufzugeben. Und Stolz stand einem Mann wie ihm. Es gehörte zum Bild. Dennoch: Wenn Schüler versagten, war es doch wirklich des Meisters Misserfolg. Warum also das Risiko?

Zirbel entwand seine Beine aus dem Lotossitz, um seinen Rücken auf das Bett zu legen. Quietschen erfüllte den Raum. Wie gestorben und liegengeblieben lag er dort, im Blickduell mit wabernden Weben am Holzfirmament. Einen Moment lang lenkte der Gedanke ihn ab, was er täte, wenn eine Fluse zu ihm herabgleite, entgegen seines Gesichts, unausweichlich immer näher. Doch es spielte keine Rolle.

Er wollte nur schlafen, den Grübelfluss trockenlegen, sich mit allem belasten, wenn es unmittelbar bevorstand, nur nicht mehr heute. Aber die Erinnerung kam näher. Flusen ließen sich wegpusten. Atherions Einfluss war kein so leichter Stoff.

Zirbel erinnerte sich. An ihr erstes Treffen.

Es war in Grangor.

Muffige Nebelschwaden stiegen an diesem Morgen über den Waaten auf, als Zirbel die Stadt gen Norden durchquerte. Von seinem Zauberhaften Zauberlädchen am Rande Süd-Grangors bis in die illustreren Gegenden Alt-Grangors war es stets eine amüsante kleine Abenteuerreise. Für die Grangorer Leute gab es hier nichts Spannendes zu sehen. Ein Leben in Engasal, zwischen fünf Häusern pendelnd, die er betreten konnte, ohne als Eindringling betrachtet zu werden, brachte in einem jedoch die Fähigkeit für endloses Staunen hervor.

Man konnte hier auf einer Strecke von wenigen hundert Schritt den gesamten Querschnitt der Grangorer Gesellschaft in aufsteigender Ordnung beobachten. Wacklige Bruchbuden, die halb im Dreck ertranken, wandelten sich in Etappen zu einfachen Bürgershäusern, bis man schließlich jenseits des Schinderwaats die ersten Paläste der alteingesessenen Händlerfamilien erspähen konnte. Ebenso spien die Portale der Häuser grundverschiedene Leute auf die Straße, wie Zirbel gelernt hatte. Zwar wurden hier, im krassen Kontrast zu seiner Heimat Engasal, fast ausschließlich gedeckte Grau-, Schwarz- und Blautöne getragen, doch konnte sich an den Materialien der hochgeschlossenen Gewänder zuverlässig bestimmen lassen, wie gut das Leben es mit jedem einzelnen Bewohner der Stadt meinte.

Für Zirbel verlor selbst nach den vielen Monaten, die er mittlerweile in Grangor lebte, dieser eigentümliche Wandel von schäbig zu schön, von nichts zu alles nicht seine Poesie. Auch weil er noch immer, während er so schritt, träumte, an dieser Skala einmal nach oben zu klettern. Mit seinem spitzen Hut und Magierstab vermittelte Zirbel einen Eindruck von Gelehrtheit, der mit Wohlstand verbunden wurde. Bald hatte auch der letzte Bettler auf Zirbels morgendlicher Route gelernt, dass der Schein trog. Eine Lektion, die erstaunlich gelassen aufgenommen wurde, vielleicht deshalb, weil die örtliche Magierakademie vor allem die Kunst der Illusion lehrte. Von plötzlichem Unwohlsein übermannt, blieb Zirbel einen Moment stehen und stützte sich auf seinen Stab.

Die Erinnerung an seine erste Woche in der Stadt lag noch immer wach in seinem Herzen und regte sich schmerzhaft, wenn sie Aufmerksamkeit bekam. Unbewusst ballte er seine rechte Hand zur Faust, sodass sich das Siegel seiner Zunft auf seinem Handrücken spannte. Der grausame Spott seiner Grangorer Kollegen hatte ihn schließlich sogar dazu getrieben, stets mit Handschuhen das Haus zu verlassen. Bis er sich wieder gefangen und die Selbstleugnung aufgegeben hatte, waren einige Tage Meditation und nicht weniger Mitleidskäufe seiner Artefakte durch seine beste Freundin Lutisana notwendig gewesen.

Er wollte besser sein als diese Schnösel, nicht nur mächtiger, sondern besser. Und warum nicht gleich beginnen, fragte er sich, als er eine Gruppe mitleiderregend aussehender Bettler erspähte. Für einen Augenblick verweilte Zirbels Hand bei seiner Geldkatze, doch die Erfahrung hatte ihn eines Besseren belehrt. Wenn er nur einen Heller ans Licht brächte, würden bald Scharen an Bettlern aus ihren Löchern wuseln wie Mäuse und ihn verfolgen, bis er sich zur Flucht in einen Kanal warf. Oder fiel. Aber daran wollte er sich nicht erinnern. Stattdessen begann er gerade, seinen Blick wieder auf die Pracht der Szenerie zu lenken, als etwas sehr schicksalhaftes geschah.

»Was wagt Ihr es, euren Knöchel zu entblößen! Im Angesicht der Mutter Gans! Ich esse hier, verdammich! Hört ihr mich!«, krächzte es durch die Morgenluft.

Ein furchtbar angespannt dreinblickender Mann mit scharlachrot geäderten Wangen stampfte wiederholt mit einer kleinen hölzernen Kanzel, die verdächtig selbstgebaut aussah, in den Staub. Man sah, dass er sich soeben auf einem Schemel zur Pause niedergelassen hatte und schon ein angebissenes Stück Brot in den Händen hielt, als er doch wieder aufsprang, um halb hustend den Städtern nachzubrüllen, die nichtsahnend die Schinderwaatbrücke überqueren wollten.

Zirbel wünschte sich, er könnte in seinem Hut verschwinden und zog die Krempe so tief in sein Gesicht, wie der Umfang seines Kopfes es erlaubte. Denn er kannte diesen da besser als er wollte. Vollkommen unnötig, angesichts der ausufernden Prüderie der Grangorer, hatte Bruder Trajan vom Tempel der Heiligen Zuflucht eine ›traviagefällige‹ Hetze gegen seinen Laden vorangetrieben, der auch die letzten zwei der fünf Kunden vertrieben hatte, die nicht zu seinen Freunden zählten.

»Wen haben wir denn da? Der Magus der Sünde! Wie ich sehe habt Ihr diesen unsäglich widerwärtigen Stab abgedeckt … vielleicht kann Euch doch noch geholfen werden.« Trajan verzog angewidert und zugleich zufrieden das Gesicht, sodass Zirbel dessen viel zu kleine Zähne deutlich sehen konnte, als er seine Hutkrempe wieder hob.

Ein weiches Lachen wehte von der Schinderwaatbrücke herüber und Zirbel verfolgte den Ton mit dem Auge bis –

zu einem weißen Seidenturban,

einer goldenen Spange mit smaragdgrünen Federn,

und nahezu schwarzen Augen, die ein Geheimnis offen verbargen.

Zirbel erkannte diese Kombination von einer Zeichnung, die der alte Halbert ihm aus seinem selbstgeschriebenen Lehrbuch über Sexualmagie gezeigt hatte. Damals hatte er gesagt (und sein Gesicht war dabei so ernst geworden, wie Zirbel es nie vorher und nie danach wiedersah), dass sein Treffen mit Thomeg Atherion das Unglaublichste gewesen sei, was er je erlebt hatte. Als Zirbel Engasal verließ, hatte er das Bild des Erzmagus aus dem Buch geklaut und tief in seine Tasche gesteckt. Und dort hätte es bleiben sollen, bis er sich bewies, dass aus ihm etwas werden konnte. Es in den Raum geholt vor sich zu sehen, ließ seine Brust erzittern und seine Lippen beben.

»Tatsächlich, mein Kleiner?«

Er hat dich angesprochen. Bei Hesinde, er spricht mit dir. Er sieht dich an. Tu etwas, sieh zurück, sieh ihn an, sag doch etwas, Zirbel, sag etwas, los, los!

Etwas an Zirbels erbärmlichem Zittern schien dem Magus zu gefallen, denn er neigte leicht den Kopf und trat näher, was einige nahestehende Leute erschrocken zurückweichen ließ.

Trajan war unterdessen sein Frühstück entglitten und er blickte nicht minder erbärmlich als Zirbel drein, als er unverhofft seinem moralischen Erzfeind gegenüberstand. Ein wortloser Schrei stieg in seiner Kehle auf, mischte sich mit Überbleibseln trockenen Brotes in seinem Mund und kam als quäkendes Keuchen ans Licht der Welt. Mit beiden Händen umklammerte er seine kleine Holzkanzel und riss sie mit ungeahnter Kraft in die Luft, wo er sie schwenkte wie eine Keule und mit langgezogenen Ausrufen seinem Unmut Luft machte:

»Unheiliger …! Zwölf mal zwölf verfluchter Frevler! Eigens für dich und deine Brut der Niederhöllen wurde dieser Waat ausgehoben, um euch zu ersäufen bevor w-wir alle mit in die Verdammnis gerissen werden!«

Trajan schnappte nach Luft und musste die Kanzel kurz absetzten, um das heiße Brennen in seinen Armen zu vertreiben. Bevor er wieder ansetzten konnte, wurde Zirbel (durch diese, ausnahmsweise, willkommene Ablenkung vom Blick Atherions) eines unruhig anschwellenden Murmelns vom Brückensteg her gewahr.

Zirbel sah, dass eine farbenfrohe Prozession dem Magier nachfolgte, die zwölf verschleierte Gestalten umfasste, die mit erhobenen Köpfen und verschränkten Armen einen scharfen Gegensatz zur grauen Masse der kauernden Grangorer um die Läden am Schinderwaat bildete. Einer oder eine von ihnen, wie die Schleier nicht verrieten, beugte sich Atherion entgegen, doch er hob die Hand, um jede Anmerkung hinfort zu wischen.

Mit erhabener Langsamkeit drehte er die erhobene Handfläche langsam dem schnaubenden Traviageweihten entgegen, ohne jemals den Blick von Zirbel abfallen zu lassen.

Trajans Augen glänzten ungläubig und sein Keuchen wandelte sich zu gutturalem Grunzen. Erst ließ er die Holzkanzel zur Seite kippen, wo sie dumpf aufschlug. Dann taumelte er einige Schritte vorwärts, bis er, heftig stöhnend, vor Atherion in den Staub fiel.

Unterdessen hatte Zirbel sich die Hände vors Gesicht geschlagen, in der Hoffnung den unnachgiebigen Druck von Atherions Präsenz zu schmälern und ihm den Augenkontakt zu erschweren. Außerdem wurde ihm bewusst, was der Magnus Controllarius da tat, und so auf offener Straße bloßgestellt, stieg ihm die Schamesröte ins Gesicht.

Scheinbar noch nicht zufrieden mit seinem Werk, krümmte der Erzmagier seine Hand kaum merklich entgegen des Geweihten. Dieser seufzte laut auf und rollte sich in einem letzten Kraftakt vom Boden auf die Knie, um seinen Schritt mit beiden Händen erreichen zu können. Ein schmales Lächeln auf Atherions Gesicht kündigte an, dass es bereits zu spät war. Ob es aufgrund der Geste des Magiers oder angestachelt durch die zunehmend unerträglichen, schmerzerschütterten und zugleich lüsternen Laute des Geweihten dazu kam, war unklar, aber Zirbel konnte sich nicht mehr halten und eine ihm bisher unbekannte Schadenfreude explodierte in seinem Inneren.

»Das hast du davon, mich öffentlich zu verspotten, du Wahnsinniger!«, schrie er Trajan mit geballten Fäusten entgegen und im eben gleichen Moment schluchzte dieser noch einmal auf, als ein riesiger weißlicher Fleck dessen heilige Gewänder durchtränkte.

Die verschleierte Prozession der Anhänger der Spektabilität applaudierte und raunte begeisterte Ausrufe in einer Vielzahl von Sprachen. Von sich selbst erschrocken und vom Grangorer Volk mit entsetzten Blicken bedacht, wollte Zirbel nur eines: fliehen. Aber ehe er einen Muskel dazu bewegen konnte, sich zu regen, war Atherion auf ihn zugetreten und griff nach Zirbels Magierstab. Auf der Spitze des zwei Schritt langen Stockes hatte Zirbel nach endlosen Ermahnungen nicht nur Trajans, sondern diverser Gardisten und einiger anderer Zauberer, ein kleines Säckchen befestigt, das dessen Spitze verbarg. Atherion zog es ab und warf es neben den wimmernden Trajan in den Staub.

»Betrachte dich als frei.

Und nun folge mir nach.«

Zirbels Augen öffneten sich. Der Morgen war da.

Mit einem finsteren Grinsen im Gesicht durchstreifte Thomeg Atherion die dunklen Gänge der Akademie, die Gedanken weit von dem zugigen Kuppelbau entfernt, der im draußen tobenden Sturm mit den Wölfen um die Wette heulte. Die Erinnerung an den selbstgefälligen Religionsfanatiker mit der eigenen Kanzel in Grangor riefen selbst jetzt noch eine Mischung aus Verachtung und Wut in ihm hervor, wann immer er an ihn zurückdachte. Er war selten in Grangor und hätte diese prüde Stadt gemieden, wenn er dort nicht geschäftliche Dinge zu erledigen gehabt hätte. Das Endurium, das ihm die Spektabilität von Grangor besorgt hatte, wollte er persönlich abholen.

Endlich wird der Schwertmeister vollendet. Ich bin gespannt auf das Ergebnis.

Verachtung, weil der armselige Wicht in seinen selbstgeschmiedeten Ketten aus Dogmen, Entbehrungen und Hörigkeit niemals in der Lage sein würde, die wahre Freiheit erhobener Geister zu verstehen, wie er selbst einer war.

Und Wut, weil dieser beschränkte Fanatiker seine Ignoranz nicht nur für sich selbst zum Höchsten aller Ziele erklärte, sondern versuchte, auch andere Seelen, die zu Außergewöhnlichem bestimmt waren, in diese Ketten zu schlagen.

So wie den Knaben mit dem Spitzhut, dachte Atherion verdrießlich. Wie hieß er doch gleich? Wirbel? Nein. Irgendwas mit Z … wie Zwiebel … Zwirbel? Ja, Zwirbel.

Zufrieden mit sich selbst öffnete er die schwere Holztür zu seiner Schreibstube und trat an sein Pult. Gewöhnlich merkte er sich nie die Namen von Schülern, die seine Akademie besuchten. Als Leiter der Einrichtung und unangefochtener Meister der Magie erachtete er es als unter seiner Würde, sich selbst vor die Schüler zu stellen und ihre unwürdigen Köpfe mit den Perlen seines einzigartigen Verstandes zu überschütten. Bei den meisten war dies ohnehin verlorene Mühe.

Aber der Junge mit dem Phallusstab in Grangor hat etwas an sich, sinnierte Atherion, während er sich setzte und die Hände aneinanderlegte. Obwohl er sich eingestehen musste, dass er die Scham des Geweihten derart ausgekostet hatte, dass er den Burschen daneben vermutlich keines zweiten Blickes gewürdigt hätte, wenn dieser auf seine Lektion nicht mit einem ehrlichen, unverstellten Ausbruch seiner selbst reagiert hätte.

Doch diese Reaktion hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Es war ein unverstellter Impuls gewesen.

Ein Impuls wahrer Freiheit. Verschüttet unter dem Schutt eines ganzen Lebens voller Konventionen und Scham, Regeln und Tabus, Verzicht und Unterdrückung … So geht die Welt zugrunde. Wie soll ein wahrhaft großer Geist jemals das volle Potenzial seiner selbst erfahren, wenn die Welt ihn durch die Fesseln der Moral erstickt? Nur wer seine Fesseln abwirft, wird die reine, unverstellte Freiheit finden und zu Großem in der Lage sein.

Grimmig biss Atherion die Zähne zusammen. Auch wenn die Welt bislang mit allen Mitteln versucht hatte, die innere Flamme des Burschen zu ersticken. Sie war noch nicht erloschen. Ein Funke war geblieben, schwach zwar und klein und durch jeden noch so unbedeutenden Hauch zu vernichten, doch Atherion hatte sich geschworen, ihn zu schüren, bis der Funke zu einer kräftigen Flamme in der Finsternis der Ignoranz werden würde.

Schließlich gab es ohnehin zu wenig Menschen, deren Geist zu Höherem berufen war. Die meisten krochen durch den intellektuellen Schlamm ihrer selbst und erschufen sich in ihrer zweifelhaften Tugendhaftigkeit bereitwillig ihr eigenes Grab, unter dessen Trümmern ihre Seelen anschließend krepierten, wenn der Sturm der Freiheit es schließlich zum Einsturz brachte.

Aber der Junge war anders. Er hatte Potenzial. Und mit der richtigen Anleitung – seiner Anleitung – würde sein Feuer eines Tages hell auflodern und sich zu einem regelrechten Flächenbrand ausweiten, dessen war sich Atherion sicher.

Das Heulen des Windes auf dem Gang draußen holte ihn jäh wieder aus seinen Gedanken. Es war ein direkter Vorbote der Eindringlinge, die soeben den Korridor zu seiner Schreibstube betreten hatten, hervorgerufen durch den Luftzug des geöffneten Fensters, das stets einen klagenden Schrei durch das Gemäuer hallen ließ. Ein Blick auf sein Stundenglas verriet Atherion, dass es an der Zeit war, seine Scholaren zu empfangen.

Und tatsächlich ertönte in diesem Moment bereits ein leises Flüstern hinter der Tür, das schnell zu einem unsicheren Tuscheln anschwoll. Schon jetzt genervt, rollte Atherion mit den Augen. Jedes Jahr war es das gleiche Theater. Wann immer unter den Schülern seiner Akademie jemand für so talentiert oder gelehrig gehalten wurde, dass eine Lehrkraft ihn für Atherions persönliche Lehreinheit empfahl – die einzige, zu der er sich selbst einmal im Jahr persönlich herabließ – erstarrten selbige in ehrfürchtiger Nervosität vor der Schwelle seines Erkers, wenn sie ihm tatsächlich von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten sollten. Jedes Mal erklang dann eine gedämpfte Diskussion hinter der Tür und manchmal rangen sich die Feiglinge erst nach Minuten zu einem zaghaften Klopfen durch.

Schnaubend schwang er seinen Stab und im nächsten Augenblick sprang die Tür mit der Kraft eines Pfeils, der von einer Sehne schnellt, auf und gab den Blick auf eine Reihe schreckensbleicher Gesichter in weiten Umhängen frei, die scheu zu ihm herein spähten.

»Eintreten!«, bellte Atherion mit militärischer Strenge, woraufhin sich der Trupp in Bewegung setzte und in einer langen Reihe vor seinem Pult versammelte. Verdrießlich ließ er seinen Blick über die handverlesene Auswahl derer gleiten, die es in den Augen ihrer Mentoren wert sein sollten, an seinem Wissen teilzuhaben. Es waren neun Jugendliche aus der Akademie, vier Jungen und fünf Mädchen, sowie der Bursche aus Grangor.

Zwirbel, dachte Atherion grinsend. Der Name belustigte ihn und es stimmte ihn sogleich wieder etwas fröhlicher, dass der Bursche als einziger unter den Versammelten den Schneid hatte, ihm ins Gesicht zu sehen, während alle übrigen ihre Blicke verschüchtert zur Erde geneigt hatten.

»Ihr seid hier, weil ihr die strebsamsten und vielversprechendsten Scholaren meiner Akademie seid und mir versichert wurde, dass es nicht meinen Intellekt beleidigen würde, euch die verborgenen Geheimnisse und Mysterien der Magie zu lehren«, begann er ohne Umschweife. »Ich muss wohl nicht erwähnen, welch ein Privileg euch damit zuteilwird. Von mir unterrichtet zu werden, ist eine Gelegenheit, wie ihr sie nur einmal im Leben erhalten werdet. Aber damit eines von vornherein klar ist: Ich gebe mich nicht mit Dummköpfen und Blendern ab. Wer diese Akademie also bloß ihres Ansehens und Einflusses wegen besucht, der verschwinde jetzt und wage es nicht, mir noch einmal unter die Augen zu treten.«

Er machte eine kurze Pause, um die Reaktionen der Halbwüchsigen auf sich wirken zu lassen. Einige waren erwartungsgemäß zusammengezuckt und zogen noch verunsicherter die Köpfe ein. Auf anderen Gesichtern zeigte sich kaum eine Regung, da sie offensichtlich versuchten, ihr Unbehagen hinter einer Maske der Gleichgültigkeit oder der Entschlossenheit zu verstecken.

Schnaubend stieß Atherion den Atem aus und erhob sich. Sein Magierstab surrte durch die Luft und vollführte anklagende Pirouetten.

»Du, du, du, du, du und du! Raus!«

Kaum war seine Stimme verklungen, verloren die sechs Angesprochenen bereits den Halt und wurden rücklings, von einer unsichtbaren Druckwelle getroffen, zurückgeworfen, bis über die Schwelle seines Studierzimmers. Zufrieden registrierte Atherion die erschrockenen Schreie, welche die Masken auf ihren Gesichtern schlagartig hatten bröckeln lassen. Mit einem grimmigen Lächeln hob er abermals den Stab und ließ die Tür mit einem Schwung hinter den Hinausgeworfenen zuschlagen.

Dann wandte er sich erneut der Gruppe vor seinem Schreibtisch zu. Die vier verbliebenen Scholaren wirkten verschreckter denn je.

»Nun«, begann er ungerührt und setzte sich mit unheilvoller Ruhe in der Stimme wieder an seinen Tisch. »Wie ich schon sagte: Ihr Vier genießt das einmalige Privileg, die Gelegenheit zu erhalten, von mir in Künsten der Magie unterwiesen zu werden, die fernab des staubigen Studiums alter Schriften und Pentagramme existieren.«

Er hielt kurz inne, um seinen Worten den angemessenen Nachdruck zu verleihen, ehe er fortfuhr.

»Doch ich muss euch warnen: Die Formen der Magie, die ich euch lehren kann, erfordern absolute Hingabe und unerschütterliche Entschlossenheit, zu der nur die wenigsten Menschen in der Lage sind. Wer diesen Weg beschreitet, muss bereit sein, sich von sämtlichen weltlichen Ketten loszusagen. Und ich kann nicht garantieren, dass jeder von euch die nötige Kraft und Weisheit aufbringen wird, ihn bis zum Ende zu gehen.«

Er unterbrach sich, um jeden der Vier mit einem durchdringenden Blick zu bedenken, und genoss den kollektiven Schauder, der sich durch die Reihe zog, als die Scholaren verunsichert aus den Augenwinkeln zu ihren Sitznachbarn hinüber spähten.

»Es ist eine einmalige, gleichwohl ebenso erbarmungslose Möglichkeit, die sich euch hier bietet. Denkt daher gut darüber nach, ob ihr sie ergreifen wollt. Ob ihr es schafft oder nicht, ihr werdet hinterher nicht mehr dieselben sein. Ihr habt eine Nacht, um euch zu entscheiden. Wer im Morgengrauen noch immer gewillt ist, sich auf diesem Weg von mir führen zu lassen, den erwarte ich bei Sonnenaufgang am Eingang der Akademie. Gebirgstauglich.«

Einen Augenblick verharrten die vier Gestalten vor ihm in überwältigter Schweigsamkeit. Doch dann hob eines der Mädchen zögerlich den Arm, eine unausgesprochene Frage in den Augen funkelnd.

»Ähm … Wenn Ihr ›gebirgstauglich‹ sagt, meint Ihr damit, dass wir tatsächlich irgendwohin gehen werden? Ich dachte, der Weg, von dem Ihr spracht, sei rein spirituell. Eine Metapher.«

Er lächelte grimmig, was auf seine Scholaren nur noch einschüchternder wirken musste, denn jeder von ihnen schien plötzlich gespannt den Atem anzuhalten. Aber das kümmerte ihn nicht.

»Es ist keine Metapher. Der Weg, auf den ich euch führen werde, ist ein tatsächlicher Weg, der von Fasar bis hoch auf die Gipfel des Raschtulswalls führt. Dort oben liegt ein Kloster, wo alle, die es bis dorthin schaffen, ihre endgültige Prüfung vor mir ablegen dürfen. Der Aufstieg dorthin führt über mehrere Etappen, die je einen Tagesmarsch voneinander entfernt liegen. Die einzelnen Stationen bis dorthin werden euch alles abverlangen. Sie sind darauf ausgelegt, jeden einzelnen an seine Grenzen zu bringen und diese zu überwinden. Der Pfad, den wir bestreiten, wird seit Jahrhunderten der Levthansweg genannt. Fürchtet ihn, denn es ist ein Weg ohne Gnade.«

Aus seinem unwillkommen traumreichen Schlaf befreit, hatte Zirbel sich hastig aus dem Bett geworfen und sich nach dem Dekret der Nachricht gekleidet, die in Form eines präzise gerollten Pergaments aus dem Nichts neben seinem Kissen erschienen war. Vor der nächtlichen Ruhe, während der Reise durch Bishdariels Welt, im Erstkontakt mit der wachen Welt – immer waren es die Worte seines Meisters, die ihn durch die Sphären führten.

Hopsend brachte Zirbel die steile Treppe seines Turmquartiers hinter sich, ungewöhnlich halsbrecherisch und seinen langen Stab vorsichtig zwischen den schmalen Wänden navigierend. Fast hätte er zu pfeifen begonnen, als er die große Empfangshalle der Akademie erreichte, hätte dies nicht die Gefahr mit sich gebracht, von einem Adepten der schwarzen Magie zum Duell gefordert zu werden, nur damit dieser sich Zirbels lästig würdelosen Gemüts permanent entledigen konnte.

Warmes Licht streichelte Zirbels Wangen, als er sich schließlich durch die Grüppchen missmutiger Magister aus dem Gebäude gewunden hatte. Wie ein dreiköpfiger Riesenlindwurm drehten die drei Scholaren ihre Köpfe zu Zirbel, als er sich näherte, keine Mühe darauf verschwendend zu verbergen, dass ihr lästerliches Tuscheln ihm galt. Keiner machte Anstalten ihn zu begrüßen.

Wie wunderbar, dass ich mit so kontaktfreudigen Menschen die Lehre genießen darf, dachte Zirbel bitter.

Ebenso mysteriös wie das Pergament in seinem Bett erschien Atherion plötzlich vor ihnen. Elegant löste der Meister seine verschränkten Arme, während er mit strengem Blick jeden Scholaren nacheinander fokussierte, offenbar höchst interessiert daran, jede Reaktion auf sein magisches Erscheinen zu analysieren. Besorgt stellte Zirbel fest, dass Atherion ihn zuletzt und nur äußerst kurz musterte. Ob es daran lag, dass ihm gefiel was er sah, oder weil es für ihn nichts zu sehen gab, das seiner Aufmerksamkeit würdig war, vermochte Zirbel nicht zu deuten.

Es stellte sich heraus, dass er jede Menge Zeit haben würde, seine Ängste vor den unbekannten Prüfungen auszukosten, die die Spektabilität ihnen abverlangen würde. Denn die höchsten Gipfel des Raschtulswalls maßen zweieinhalbtausend Schritt. Ohne zu begreifen, was diese Zahl tatsächlich bedeutete, bekam er eine Ahnung, sobald sie nach einem zweistündigen Marsch durch ätherisch duftende Teeplantagen den Fuß des Berges erreichten.

Nun, mit unverstelltem Blick betrachtet, verstand Zirbel das erste Mal, weshalb das Gebirge in Sagen und Legenden für die den niedergefallenen Leib eines Giganten gehalten wurde. Der Aufstieg zum Feuerkloster würde sich über einige Tage erstrecken.

Entsprechend der morgendlichen Instruktion hatte Zirbel sich in ein leichtes Zeremoniengewand gehüllt, das vorwiegend orangerote Muster über seinen Körper zog. Offenbar hatte die Nachricht die drei anderen Scholaren ebenfalls erreicht, denn auch sie hoben sich im scharfen Kontrast vom starren Kalkgestein ab, das ihnen einen Pfad durch immergrüne Fichteninseln und flechtenbewachsene Kiesbette wies. Bald stießen die Scholaren an ihre körperlichen Grenzen, wie das Geräusch holpernden Keuchens bezeugte, das sich ins Blattrauschen einzufügen begann.

Zirbel wurde ungeduldig und sein Verstand zahlte ihm die Stunden mangelnder geistiger Geschäftigkeit mit einem Sturm von Erinnerungsfetzten heim. Beschämt musste er an seine ersten drei Nächte in Fasar zurückdenken, als er vor dem kleinen Spiegel stehend die Klangfarbe seines Meisters zu imitieren versucht hatte.

Bis jetzt hatte er Atherion als redseligen Mann kennengelernt – beobachtet – wie könnte ich mir einbilden ihn zu kennen? Er wollte wissen, was sein Meister dachte. Allein schon, um einen Hinweis darauf zu bekommen, was die erste Prüfung von ihm abverlangen würde. Die volle Wahrheit war jedoch, dass Zirbel es schlicht genoss, den Meister sprechen zu hören. Er konnte sich nicht davon abhalten, Atherions Züge zu studieren, wann immer es möglich war und hatte sich mehrmals dabei ertappt, wie er ihn anstarrte, ohne sich dessen gewahr zu sein.

Doch nun, als der Meister an der Spitze der Gruppe leichtfüßig den Berg erklomm, konnte Zirbel sich selbst unter größer Gewalt seines Willens nicht zwingen ihn anzublicken. Auge zu Auge fand ein Austausch statt, bei dem sich Atherion gewiss aus Zirbels Person zu pflücken vermochte, was immer er begehrte. Es war gerecht, ein Handel gewissermaßen. Nach seinem Gusto von Atherion zu nehmen ohne zu bieten wirkte hingegen anmaßend.

Zweifach gefaltet ruhte das kleine, notizgeschmückte Portrait Thomeg Atherions griffbereit neben Zirbels Schlafstätte im Turmzimmer der Al’Achami. Dort, wo es immer war, seit er Engasal den Rücken gekehrt hatte. Nüchtern betrachtet grenzte sein Verhalten ähm, punktuell ... eventuell an Obsession.

Mit einem überzogen beschleunigten Marschgang versuchte Zirbel sich soweit außer Atem zu bringen, dass er keine klaren Gedanken mehr fassen konnte, doch die irritierten Seitenblicke seiner Mitschüler zähmten seinen Schritt. Es war viel zu gefährlich so nah am Meister unkontrolliert sein Gedankenkästchen auszuleeren. Wenn er je erführe, wie lange ihre gemeinsame Geschichte aus Zirbels Perspektive zurückreichte – undenkbar. Oh nein, nein, nein, Zirbel, nein hör einfach auf zu denken– sieh mal! Ist das etwa ein Olginwurz? Und in dieser Höhe! Das ist ein viel besseres Thema. Und diese … Sache mit dem Schrein vergessen wir einfach, das braucht niemand je zu erfahren.

Hingabe. Entschlossenheit, wiederholte Zirbel Meister Atherions Forderungen vom Vortag für sich. So viel konnte er bieten. Vielleicht.

Ich habe keinen Ort, an den es sich lohnen würde zurückzukehren. Alles, was ich immer wollte, ist hier.

Ein Blick nach vorne verriet ihm, dass die erste Station des Levthansweges Stein an Stein ihre Pforten präsentierte.

Das Anwesen, in dem sie am Abend des ersten Tages einkehrten, lag direkt an einer Felskuppe nahe eines steilen Abhangs gelegen, wodurch sichergestellt war, dass sich niemand durch Zufall hierher verirrte. Von außen machte die wettergegerbte Fassade mit den verwitterten Steinmauern nicht viel her, was die luxuriöse Innenausstattung nur noch außergewöhnlicher anmuten ließ.

Ganz im Stil aranischer Paläste war die mehrstöckige Anlage in einen Ost- und einen Westflügel gegliedert, welche durch einen weiten, von Säulengängen gesäumten Innenhof verbunden waren.

Die Erschöpfung des Aufstiegs hatte für angenehmes Schweigen unter den Scholaren gesorgt und Atherion genoss die gefräßige Ruhe, als sie sich im großen Speisesaal des Westflügels versammelten und nahezu wortlos die Mahlzeiten verzerrten, die seine wenigen Bediensteten hier oben bereits vorbereitet hatten. Das Essen, bestehend aus Mhanadischer Käsecreme, Bastrabunsbällchen, Mherweder Kräuterlamm mit Rashduler Granatapfel-Sesamsoße und Pidda, schien die Lebensgeister seiner Lehrlinge jedoch nur allzu bald wieder zu erwecken und als der Nachtisch in Form großer Mengen Süßen Novadis aufgetragen wurde, war das dumpfe Klirren des Geschirrs allmählich wieder von ersten Gesprächsfetzen durchsetzt.

Doch als Atherion sein Mahl beendet hatte und sich daraufhin sacht räusperte, erstarben sämtliche gerade erst aufgekeimten Konversationen sofort wieder und wichen einer erwartungsvollen Stille. Mit festem Blick auf jeden der Anwesenden erhob er sich von seinem Platz und sah mit gönnerhafter Miene auf die vier Gestalten hinab, die mit offenkundig gemischten Empfindungen zu ihm aufblickten.

»Da ihr die erste Etappe gemeistert und es bis zur ersten Station eures Weges geschafft habt, habt ihr es euch verdient, nun in die Grundlagen der magischen Finessen eingeweiht zu werden, deren Ausübung ich mein Leben gewidmet habe«, verkündete er feierlich. »Wie ihr wisst, gehöre ich zu den Magiern, die ihre Kräfte abseits herkömmlicher Traditionen praktizieren. Weiß einer von euch, wie die Form meiner Magie genannt wird?«

Er sah, wie die Vier sich vorsichtige Blicke zuwarfen. Dann hob der Junge aus Grangor zögerlich die Hand.

»Sexualmagie, Meister?«

»Korrekt«, bestätigte Atherion knapp. »Und weißt du auch, was Sexualmagie ist, Kleiner? Und wie sie sich von den anderen Formen der Magie unterscheidet?«

»Es ist die Fähigkeit, Sinnlichkeit und Genuss zu verbreiten«, antwortete das Mädchen zu seiner Linken an seiner Stelle. »Sexualmagier sind Künstler des Vergnügens. Sie nutzen Magie, um Menschen zu betören und ihnen Freude zu schenken.«

Schnaubend funkelte Atherion das Mädchen an.

»Wenn das der Fall wäre, wären Sexualmagier kaum etwas anderes als besonders kostspielige Liebesdiener, Kleine«, knurrte er kalt und warf einen abschätzigen Blick in die Runde. »Wenn es das ist, was ihr hier zu lernen wünscht, dann spart euch euer Schuldgeld und geht ins Gewerbe. Dort lernt ihr die Praxis der fleischlichen Sinnlichkeit, deren einziges Ziel die Befriedigung niederer Triebe ist.«

Die verunsicherten Blicke der Scholaren bereiteten ihm Verdruss und er zwang sich, tief durchzuatmen.

Vielleicht sollte ich über Veränderungen im Kollegium nachdenken, wenn das wirklich die besten Schüler meiner Akademie sein sollen …

»Ihr alle wisst natürlich, wie Zauber grundsätzlich gewirkt werden«, begann er, so gefasst wie möglich. »Magie befindet sich losgelöst in dieser Sphäre, bis jemand kommt, der sie bündelt und mittels magischer Formeln, Artefakte oder Riten in eine Richtung lenkt, um eine bestimmte Wirkung zu erzeugen.«

Ehrfürchtiges Nicken antwortete ihm.

»Im Grundprinzip funktioniert magisches Wirken daher immer gleich: Man erlernt den rituellen Umgang mit etwas, das es einem ermöglicht, die Macht zu bündeln und damit für sich nutzbar zu machen. Gildenmagier bedienen sich dazu traditionellerweise ihrer Vernunft und ihres Verstandes, während Hexen ihre Kräfte aus ihren Emotionen beziehen und Elfen wiederum die Kraft direkt aus ihrem magiedurchwirkten Leib schöpfen.«

Wieder hielt er inne und wartete auf zustimmende Reaktionen seiner Zuhörer. Dann fuhr er fort.

»Magie kann also aus unterschiedlichen Quellen bezogen werden, die sich immer in eine der folgenden drei Kategorien einordnen lassen: Logik, Empfindung oder Physis. Oder auch Verstand, Gefühl und Leib. Das Besondere an Sexualmagie ist nun jedoch, dass rahjagefällige Erregung, fleischliche Hingabe und ekstatische Höhepunkte der Lust sowohl leibliche, sinnliche, wie auch mentale Empfindungen im Menschen zu wecken vermögen. Und zwar zugleich. Um sich ungehemmt körperlichen Genüssen hingeben zu können, müssen Körper und Geist im Einklang miteinander sein. Etwas, das sich falsch anfühlt, kann ebenso wenig zur Ekstase führen, wie ein Verhalten, gegen das unser Verstand sich wehrt, selbst wenn es körperliche Bedürfnisse erfüllt. Physis, Emotionen und Verstand sind beim Liebesspiel also untrennbar miteinander verbunden, sie bilden eine Einheit. Daher vereinen levthanische Praktiken alle drei Quellen der Macht in sich.«

Mit strenger Miene sah er auf die Versammelten hinab, blitzte jeden von ihnen mit eindringlichem Blick an und fühlte die Anspannung seiner Scholaren in der Luft zittern.

»Es versteht sich von selbst, dass Sexualmagie folglich um ein Vielfaches machtvoller ist, als alle traditionellen Formen der Zauberei. Allerdings nur, wenn man auch in der Lage ist, sich zu sämtlichen Quellen Zugang zu verschaffen, um die Macht aus all diesen Quellen zugleich beziehen zu können«, setzte Atherion mit verschwörerischem Lächeln nach.

Bedeutungsschweres Schweigen erfüllte nach seiner Ankündigung den Raum und er kostete die Ehrfurcht und Anspannung eines jeden Augenblicks aus, ehe er erneut das Wort ergriff.

»Ich habe euch versprochen, euch auf dieser Exkursion in die Geheimnisse der Magie einzuführen, mit deren Hilfe euch Allmacht und Freiheit winken. Und ich beabsichtige, euch genau das zu lehren. In den folgenden Tagen werde ich euch anleiten, wie ihr eure mentalen, körperlichen und emotionalen Hemmschwellen überwindet, wie ihr Logos, Moralis und Physis entfesselt. Jede Etappe dieser Reise ist darauf ausgelegt, euch den Zugang zu einer jener drei Kategorien zu ermöglichen. Ich werde euch dabei vor Aufgaben stellen, die euch zwingen werden, euren Willen, euren Körper und eure Empfindsamkeit von den derischen Fesseln zu befreien, in die Natur, Moral und Sachzwänge euch geschlagen haben, damit ihr lernt, eure Kräfte daraus zu beziehen.«

Wieder hielt er kurz inne.

»Ich will euch nichts vormachen. Der Kampf um die Freiheit des eigenen Selbst – des eigenen Willens, des eigenen Körpers und des eigenen Moralgefühls – wird nicht in wenigen Tagen gewonnen. Manche von euch werden womöglich niemals in der Lage sein, ihre eigenen Schwächen zu besiegen und die Macht zu erfahren, die daraus resultiert. Es ist ein langer und steiniger Weg, auf den ich euch führe, doch wer es schafft, dem verspreche ich, dass ihm allumfassende Macht und absolute Freiheit winken.«