Du bist die Welt für mich - Karin Bucha - E-Book

Du bist die Welt für mich E-Book

Karin Bucha

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Beschreibung

Karin Bucha ist eine der erfolgreichsten Volksschriftstellerinnen und hat sich mit ihren ergreifenden Schicksalsromanen in die Herzen von Millionen LeserInnen geschrieben. Dabei stand für diese großartige Schriftstellerin die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Fürsorge, Kinderglück und Mutterliebe stets im Mittelpunkt. Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht. Immer wieder liest Marina das Telegramm. Ja, so ist Annemarie. Ein feiner Kerl, impulsiv, aber durch und durch gerecht und ehrlich und unbestechlich in ihrem Urteil. Daß sie fünf Jahre älter ist als Marina, stört ihre Freundschaft nicht. Sie ist Innenarchitektin und hat sich von dem Vermögen, das ihr ihre Eltern hinterlassen hatten, selbständig gemacht. Drei Jahre hatten sie sich nicht gesehen, nur geschrieben. Marina Braun läßt sich in dem Sessel am Fenster nieder und träumt vor sich hin. Es wird ein gutes Leben mit Annemarie werden. Sie haben sich immer glänzend verstanden. Selbst wenn sie die Stelle bei der Firma Illermann, bei der sie sich beworben hat, nicht bekommt, ist ihr nicht bange. Annemarie wird Rat wissen. Sie weiß in jeder Situation Rat. Merkwürdig ist Marina zumute. Sie geht einer unbekannten Zukunft entgegen, da sie noch nicht einmal weiß, ob sie die Stellung im Illermann-Konzern erhält. Aber Annemarie wird schon Rat wissen, macht sie sich selbst Mut. Auch Neugier ist in ihr. Ja, es ist ihr, als würde gerade diese Zukunft, die für sie in Dunkel gehüllt ist, ganz bestimmte Überraschungen für sie aufbewahren. Annemarie Kolber läuft aufgeregt in ihrer entzückenden Zweizimmerwohnung umher. Es sind zwei geräumige, ineinandergehende Wohnzimmer, geschmackvoll und originell eingerichtet, wie sie es als Innenarchitektin für richtig hielt. Als es Zeit ist, Marina vom Bahnhof abzuholen, hat sie alles für ein festliches Mahl vorbereitet.

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Karin Bucha Classic – 7 –

Du bist die Welt für mich

Karin Bucha

Komme sofort stop bin verrückt vor Freude

Annemarie

Immer wieder liest Marina das Telegramm. Ja, so ist Annemarie. Ein feiner Kerl, impulsiv, aber durch und durch gerecht und ehrlich und unbestechlich in ihrem Urteil. Daß sie fünf Jahre älter ist als Marina, stört ihre Freundschaft nicht. Sie ist Innenarchitektin und hat sich von dem Vermögen, das ihr ihre Eltern hinterlassen hatten, selbständig gemacht.

Drei Jahre hatten sie sich nicht gesehen, nur geschrieben.

Marina Braun läßt sich in dem Sessel am Fenster nieder und träumt vor sich hin. Es wird ein gutes Leben mit Annemarie werden. Sie haben sich immer glänzend verstanden. Selbst wenn sie die Stelle bei der Firma Illermann, bei der sie sich beworben hat, nicht bekommt, ist ihr nicht bange. Annemarie wird Rat wissen. Sie weiß in jeder Situation Rat.

Merkwürdig ist Marina zumute. Sie geht einer unbekannten Zukunft entgegen, da sie noch nicht einmal weiß, ob sie die Stellung im Illermann-Konzern erhält.

Aber Annemarie wird schon Rat wissen, macht sie sich selbst Mut. Auch Neugier ist in ihr. Ja, es ist ihr, als würde gerade diese Zukunft, die für sie in Dunkel gehüllt ist, ganz bestimmte Überraschungen für sie aufbewahren.

*

Annemarie Kolber läuft aufgeregt in ihrer entzückenden Zweizimmerwohnung umher.

Es sind zwei geräumige, ineinandergehende Wohnzimmer, geschmackvoll und originell eingerichtet, wie sie es als Innenarchitektin für richtig hielt.

Als es Zeit ist, Marina vom Bahnhof abzuholen, hat sie alles für ein festliches Mahl vorbereitet. Sie zieht sich rasch um und besteigt den vor dem Haus wartenden Wagen.

Eine halbe Stunde später liegen sich die Freundinnen in den Armen. Sie sind beide gerührt von dem Wiedersehen.

Marina hat das Gefühl, als sei sie nach jahrelanger Reise heimgekehrt. Herzlichkeit und Vitalität gehen von Annemarie aus. Marina hat Annemarie schon immer bewundert. Nie wird sie so viel Selbstsicherheit wie die Freundin besitzen. Ewig wird sie ein Hasenfuß bleiben.

Später, während Annemarie zwischen Küche und Wohnzimmer hin und her saust, geht Marina bewundernd durch die Wohnung, die sie noch nicht kennt.

»Schön hast du es dir eingerichtet, Annemarie«, stellt sie aufrichtig fest. »Kein Wunder, daß du eine gesuchte Innenarchitektin geworden bist. Du besitzt Geschmack und Schönheitssinn.«

Annemarie stellt die letzte Schüssel auf den Tisch und lädt Marina zum Platznehmen ein. »So«, sagte sie und streicht sich eine Locke des blonden Haares aus der Stirn, »jetzt machen wir es uns gemütlich.« Schon springt sie wieder auf. »Zuerst einen Sherry, Liebes, damit du etwas Farbe bekommst.«

Sie reicht Marina ein gefülltes Glas. »Austrinken, nicht nippen«, befiehlt sie, und Marina gehorcht lächelnd. So war es immer, Annemarie gibt den Ton an.

Und so ist es auch jetzt, nachdem der Tisch abgeräumt ist und Annemarie die Kaffeemaschine in Gang gesetzt hat.

»Zigarette?« Sie reicht Marina die Zigarettendose und setzt sich neben die Freundin.

»Paß auf, Kleines, die Sache mit dem Illermann-Konzern klappt. Vielleicht beginnt für dich jetzt eine Glückssträhne?«

»Ich weiß nicht, Annemarie.« Marina drückt die Zigarette aus. Sie macht keinen besonders glücklichen Eindruck. »Schon beginne ich mir Sorgen zu machen, was geschieht, wenn ich die Stelle nun nicht bekomme.«

Annemarie faltet die Zeugnisse Marinas sorgfältig. »Bei deinen Zeugnissen, Kind? Damit bist du so gut wie engagiert.«

Marina fühlt sich zwar nicht recht wohl in ihrer Haut, aber bei so viel gesundem Optimismus lächelt sie doch.

»Na, siehst du, Liebes«, triumphiert Annemarie. »Schon scheint die Sonne wieder. Du brauchst ganz einfach einen Menschen, der dir kleinen Träumerin hin und wieder einen sanften Stoß gibt.«

Bewundernd sieht Marina die Freundin an. »Das glaube ich beinahe selbst, Annemarie. Ich bin viel zu schwerfällig.«

Annemarie drückt die Freundin abermals herzlich an sich. »Dabei bist du die Gutmütigere von uns beiden. Du läßt dein Herz sprechen – ich den Verstand.«

»Mir scheint, du bist mit deinem Verstand weiter gekommen als ich«, meint Marina mit unsicherer Stimme. »Immer hatte ich Pech mit meinen Chefs…«

»Das kommt daher, weil du viel zu hübsch bist. Auf dich fliegen die Männer direkt«, lacht Annemarie, ohne eine Spur von Neid. Außerdem weiß sie selbst, daß sie eine gutaussehende Frau ist, der es an Bewunderern nicht fehlt.

»Vielleicht sollte ich mir eine unmögliche Frisur zulegen.«

»Warum nicht gleich in Sack und Asche gehen?« lacht Annemarie dazwischen. Sie winkt energisch ab. »Du bleibst, wie du bist, ein entzückendes Mädchen mit strahlend blauen Augen und rötlich braunen Haaren. Weißt du, daß alle meine Bekannten nicht glauben wollten, daß deine Haarfarbe Natur ist?«

Unwillkürlich greift Marina mit beiden Händen in ihr Haar. »Findest du es wirklich so hübsch?«

»Hübsch? Ich finde es einfach zauberhaft. Überhaupt deine ganze kleine Person ist zauberhaft. Und wie du bereits bemerkt hast, bin ich nicht die einzige, die das festgestellt hat.«

Entsetzt läßt Marina die Hände sinken. »Erinnere mich bloß nicht an meine zweifelhaften Eroberungen. Sie haben mir nichts als Kummer eingebracht…«

»Nun sag bloß, du wirst nie, nie heiraten, nur weil ein paar Exemplare der sonst gar nicht so üblen Männerwelt sich unmöglich benommen haben.«

»Ans Heiraten habe ich überhaupt noch nicht gedacht, Mie«, erwiderte Marina ernsthaft. »Ich möchte in meinem Beruf vorwärtskommen und mein Können unter Beweis stellen. Vor allem wünsche ich, in Ruhe arbeiten zu können.«

»Na, schön, mein Schatz.« Annemarie nimmt wieder in ihrem Sessel Platz und gießt die Tassen noch einmal voll. Sie reicht der Freundin das silberne Körbchen mit dem feinen Gebäck. »Iß, Marina, und vergiß, was hinter dir liegt. Jetzt beginnt für dich ein neues Leben.«

Marina preßt die schlanken Hände zusammen.

»Wo werde ich denn wohnen, Mie?« erkundigt sie sich vorsichtig.

Annemarie macht erstaunte Augen. »Natürlich bei mir, du Schäfchen. Oder dachtest du, ich würde dich hinausjagen und vom Leben prügeln lassen?«

»Du bist einfach wunderbar«, stößt Marina aus tiefstem Herzen hervor.

»Na, na«, winkt Annemarie gelassen ab. »Ich bin für gewöhnlich ein Biest. Nur zu dir bin ich lieb, weil du es einfach verdienst.« Dann lenkt sie auf ein anderes Thema über. »Wann mußt du dich im Illermann-Konzern vorstellen?«

»In drei Tagen, Mie.«

»Herrlich!« jubelt Annemarie auf. »Dann haben wir zwei Tage vor uns, die uns allein gehören. Ach, da fällt mir ein: Für morgen abend habe ich zwei Konzertkarten gekauft. Inzwischen habe ich den Anruf eines Kunden bekommen, der unbedingt morgen abend meine Pläne sehen will. Irgendein reicher Snob, der sich ein Angeberhaus bauen läßt.« Sie zuckt mit den Schultern. »Mir kann es gleich sein, auf welche Weise die Leute ihr Geld unter die Menschheit streuen. In diesem Falle fällt auch ein Segen auf mich herab. Du wirst also allein ins Konzert gehen und dich recht gut amüsieren.«

»Och, Annemarie, allein ausgehen?« Marina sieht ganz kläglich drein. »Mit dir würde es mir größeren Spaß machen.«

»Wir haben noch so viel Gelegenheit, Konzerte und Theater zu besuchen. Mach es dir jetzt bequem. Wo das Badezimmer ist, weißt du. Kannst auch ein Bad nehmen. Inzwischen mache ich dir ein bildschönes, daunenweiches Bett zurecht. Du sollst dich wie im Paradies bei mir fühlen. Los, los, schnell ins Bad!«

Lachend schiebt sie Marina der Tür zu.

Dann sucht sie Bettzeug aus dem eingebauten Schrank in der kleinen Diele und baut für Marina ein bequemes Lager auf einer der breiten Couches.

Am nächsten Abend tanzt Annemarie um die Freundin herum und betrachtet sie wohlwollend von allen Seiten.

»Du wirst bestimmt eine Eroberung machen, Kleines. Du siehst einfach süß aus.«

In der Tat, Marina sieht zauberhaft in dem weißen Kleid mit dem weitschwingenden Rock aus. Die Pailletten funkeln im Licht und geben ihr etwas Rätselhaftes, zumal sie besonders reizvoll zu dem leuchtenden Kastanienbraun ihres Haares kontrastieren.

Marina ist mit ihrem Aussehen zufrieden. Sie wird von Annemarie bis zum Konzerthaus gebracht.

»Wir treffen uns nach der Vorstellung im Trocadero. Gleich um die Ecke, Marina. Du kannst das Lokal nicht verfehlen, die Lichtreklame leuchtet weithin. Tschüs, Liebes. Viel Vergnügen.«

Damit braust Annemarie Kolber davon, ihrer geschäftlichen Verabredung entgegen. Marina steigt nun langsam, fast feierlich zum Eingang der Musikhalle. Sie nimmt ihren Logenplatz ein und beobachtet aus wachen Augen das Publikum. Festliche Stimmung liegt über dem weiten Raum, der prachtvolle Lüster brennt und läßt den Schmuck der Damen aufblitzen. Ein ausgesprochen gutes Publikum – denkt Marina und beugt sich etwas über die Brüstung.

Just im gleichen Augenblick sieht ein Herr aus dem Parkett zu ihr herauf. Ein Paar tiefblaue Augen in einem schmalen, rassigen Gesicht blicken sie sekundenlang ernsthaft an. Marina spürt, wie sie errötet, und sieht rasch seitwärts.

Von diesem Augenblick an fühlt sie noch oft die tiefblauen Augen des fremden Mannes auf sich ruhen. Er sitzt neben einem jüngeren Mann, der wie das Ebenbild des älteren wirkt. Auch er hat schon ein paarmal zu ihr heraufgesehen.

Marina nimmt sich vor, nicht wieder in diese Richtung zu sehen. Vorläufig kommt sie auch gar nicht dazu, ihre Aufmerksamkeit den beiden Herren im Parkett zu widmen.

Zwischen den Vorträgen des Orchesters tritt der Tenor auf. Er ist eine glänzende Bühnenerscheinung und wird mit prasselndem Beifall überschüttet.

Seine Stimme ist einmalig, kraftvoll und in der Höhe weich und biegsam.

Marina hat sich tief in ihren Sessel zurückgelehnt und hält die Augen geschlossen. Für sie ist es ein Erlebnis. Wie oft hat sie sich gewünscht, den berühmten Tenor einmal persönlich zu sehen und zu hören. Und nun hat Annemarie ihr dieses unverhoffte Geschenk gemacht.

Zum Schluß wird der Sänger mit so viel Applaus und Blumen geehrt, daß er sich immer wieder nach allen Seiten dankbar verneigt.

Wohl oder übel muß er eine Zugabe geben. Marina lauscht mit vorgestrecktem Oberkörper, die Hände hat sie auf der Brüstung der Loge ineinandergeschlungen.

Sie hat das Gefühl, er würde nur für sie singen, da es ihr Lieblingslied ist:

Du bist die Welt für mich,

Ich lebe nur für dich,

Für dich allein.

Du bist mein lachender Mai,

Und gehst du fort,

ist mein Frühling vorbei.

Du bist die Welt für mich.

Ich liebe ja nur dich,

Dich – dich allein.

Marina war so ergriffen, daß ihr die Tränen in die Augen treten. Noch nie hat sie das Lied so schön, so innig singen hören. Wieder spürt sie, daß sie beobachtet wird. Ihr Blick trifft sich mit dem des Mannes im Parkett, und wieder vermag sie sich nicht von dem interessanten Gesicht und den tiefblauen Augen loszureißen.

Sie sieht nur noch den Mann, der unverwandt zu ihr emporblickt. Sie hört nicht das Beifallklatschen, sieht nicht, wie der Sänger sich abermals nach allen Seiten verneigt und wie sich der dunkelrote Vorhang hinter ihm schließt.

Alles, was noch folgt, rauscht an ihren Ohren vorbei. Sie spürt ihr Herz heftig klopfen, und ihre Glieder beginnen zu zittern. Sie befindet sich in einem aufgewühlten Zustand, den sie noch nie erlebt hat. Wie ein Gewitter ist es über sie gekommen und bringt alles in ihr in Aufruhr.

Als eine der Ersten verläßt sie ihre Loge und sucht die Garderobe auf.

*

Günther Gellert stößt seinen Vater leicht mit dem Ellbogen an.

»Schau mal in die zweite Loge, Papa. Ist das Mädchen nicht wie ein schönes Bild anzusehen?«

Albert Gellert runzelt die Stirn. Längst hat er das schöne Mädchen entdeckt und sie, wie er glaubt, heimlich betrachtet. Er ärgert sich über die Bemerkung seines Sohnes. Wieder einmal muß er festellen, daß Günther einen ganz bestimmten Blick für schöne Mädchen hat. Er kennt seinen Sohn. Er weiß um seine Liebeleien und ist durchaus nicht damit einverstanden. Äußerlich gleicht sein Sohn ihm sehr. In Charakter und Veranlagung ist er seiner verstorbenen Frau ähnlich. Er hat deren Leichtlebigkeit geerbt, ihren Charme. Sie war wie ein schillernder Schmetterling. Oft hat er über sie nachgedacht. Ob sie wohl die Glücklichere von ihnen beiden gewesen war? Er ist schwerfälliger, kann sich nicht so schnell anschließen. Er prüft die Menschen erst genau, ehe er sich ein Urteil bildet. Manchmal ist ihm um Günther bang, da er alles auf die leichte Schulter nimmt.

»Na, Papa«, reißt Günther ihn aus seinen Überlegungen heraus. »Mußt du mir nicht recht geben?«

»Verzeihung, was meintest du?«

Günther lacht. »Du bist unverbesserlich, Papa. Du gehst an allen schönen Frauen ungerührt vorbei –«

»– während du an keiner vorbei-gehst«, gibt Albert Geüert trocken zurück.

»Danke, Papa, ich fasse das als Kompliment auf.« Günthers gute Laune ist durch nichts zu erschüttern. Sein Vater ist ein prachtvoller Mann, das muß er immer wieder feststellen. Vielleicht wird er auch einmal so, später, wenn er in dessen Alter ist. Innerlich muß er lachen. Vater wirkt durchaus nicht alt, im Gegenteil, er sieht einfach prächtig aus. Er weiß, daß es viele Frauen ihres Bekanntenkreises gibt, die gern seine zweite Frau werden würden.

Auch ein guter Kamerad ist sein Vater. Er hat schon manche Dummheit, die er leichtsinnigerweise begangen hat, wieder zurechtgebogen. Nie hat er ihm große Vorwürfe gemacht, ihm höchstens in seiner vornehmen Art ins Gewissen geredet.

Er wirft einen Blick zu der Loge hin und ist betroffen, daß sie leer ist.

Schnell erhebt er sich. »Laß uns gehen, Papa. Wir müssen sonst zuviel Zeit an der Garderobe verbringen.« In Wirklichkeit will er dieses schöne Mädchen wiedersehen.

»Ja, gehen wir«, stimmt Gellert seinem Sohn zu. »Ich kann allerdings nicht mit dir heimfahren, Junge. Habe noch eine geschäftliche Verabredung.«

»Soll ich dich hinfahren?« erbietet Günther sich, aber sein Vater winkt ab.

Die Konzertbesucher strömen aus dem Saal. Marina steht immer noch an der Garderobe, eingekeilt von den Menschen, die ebenfalls auf ihre Garderobe warten.

Immer weiter wird sie von rücksichtslosen Leuten zurückgedrängt. Dabei war sie eine von den ersten. Albert Gellert hat sie inmitten der Menschen entdeckt. Er sieht den etwas hilflosen Ausdruck auf ihrem schönen Gesicht und zwängt sich zu ihr durch.

»Darf ich um Ihre Garderobenmarke bitten?«

Marinas Kopf fährt herum. Vor ihr steht der Mann aus dem Parkett. Seine tiefblauen Augen ruhen nun freundlich auf ihr.

»Bitte.« Sie reicht ihm die Marke, und Albert Gellert gibt sie seinem Sohn weiter, der soeben ihrer beider Garderobe in Empfang nimmt. »Bring das noch mit, Günther.«

Günther wirft einen Blick zurück, sieht das schöne Mädchen und greift schnell zu der Garderobenmarke. Wenig später taucht er neben Marina auf und überreicht ihr ihren Abendmantel. Albert Gellert hilft ihr, hineinzuschlüpfen. Mit einem Kopfnicken und einem gemurmelten »Danke« eilt Marina aus dem Bereich der faszinierenden Männeraugen.

Sie atmet tief und erregt und geht langsam den Weg, den Annemarie ihr beschrieben hat.

Sie hört eilige Schritte hinter sich, und schon steht Günther Gellert an ihrer Seite.

»Gestatten Sie, daß ich Sie heimfahre?«

Etwas an dem jungen Mann stört Marina. Sie blickt kaum zur Seite. »Danke, ich gehe lieber zu Fuß.«

»Dann gehe ich mit Ihnen«, sagt er hartnäckig.

Marina bleibt unter einer Straßenlaterne stehen. »Wenn Sie auch so liebenswürdig waren, mir meine Garderobe mitzubringen, so haben Sie noch lange kein Recht, sich mir aufzudrängen.«

»Seien Sie doch nicht albern«, erwidert er und nimmt ihren Arm. »Dann haben wir eben den gleichen Weg.«

»Lassen Sie mich sofort los, bitte«, sagt sie scharf, aber das reizt Günther Gellert nur. Er läßt sie nicht los. Er neigt sich etwas zu ihr und blickt ihr in das schöne, erregte Gesicht.

»Sie sind noch schöner, wenn Sie wütend sind. Kommen Sie endlich«, befiehlt er. »Ich lade Sie ein.«

»Soll ich noch deutlicher werden?« fragt sie und reißt sich von ihm los.

Schnell hat er sie umfaßt und küßt sie. Ebenso blitzschnell reagiert Marina.

Ihre Hand schnellt vor und trifft seine Wange. Es ist ein harter Schlag. Sofort gibt er sie frei. Er kocht vor Wut. Noch nie hat er eine solche Abfuhr erlebt.

Marina rennt förmlich davon. Sekundenlang hat sie in sein wutverzerrtes Gesicht gesehen. Sie fürchtet sich vor ihm. Erst als sie die Lichtreklame des »Trocadero« sieht, atmet sie auf.

Sie schlüpft durch die Eingangstür und fühlt sich geborgen.

Günther Gellert reibt sich die Wange, stößt einen unterdrückten Fluch aus und wendet sich wütend dem Parkplatz zu.

*

Nachdem Annemarie Kolber Marina vor dem Konzerthaus abgesetzt hat, fährt sie dem »Trocadero« zu, dem Treffpunkt mit dem neuen Kunden.

Es ist zwar nichts Außergewöhnliches, daß sie sich mit irgendeinem ihrer Kunden zu so vorgerückter Stunde trifft. Aber hier handelt es sich um einen neuen Kunden. Für gewöhnlich suchen sie sie zuerst in ihrem Stadtbüro auf. Sicher ist es ein sehr wohlhabender Mann, der glaubt, für sein Geld die Leute tanzen sehen zu können.

Sie wappnet sich mit Abwehr und Gleichmut, als sie das vornehme Lokal betritt. Suchend blickt sie sich um. Da erhebt sich von einem Ecktisch ein Mann und geht ihr einige Schritte entgegen.

»Fräulein Kolber?« fragte er, und als sie nickt, reicht er ihr die Hand. »Fein, daß Sie gekommen sind. Darf ich Sie an den Tisch begleiten?«

Verwirrt geht sie hinter ihm her. Er rückt ihr den Sessel zurecht und blickt sie erwartungsvoll an. Ziemlich jung, denkt er. Ob sie der Aufgabe gewachsen ist?

Zunächst betrachtet Annemarie prüfend den Mann. Daß er hochgewachsen und schlank ist, hat sie schon festgestellt. Seine grauen, etwas spöttisch blickenden Augen irritieren sie. Sein Mund ist gutgeschnitten, das Gesicht kantig. Im ganzen gesehen ein Mann, der weiß, was er will. Sein Anzug ist von ausgesuchter Eleganz.

Seine Stimme ist sonor, und seine Hände sind schmal und doch kantig.

»Was darf ich Ihnen bestellen?« hört sie ihn sagen, und das bringt sie in die Wirklichkeit zurück.

»Ich trinke, was Sie trinken«, antwortet sie. »Herr Doktor Hartmann, nicht wahr, so war doch Ihr Name?«

Er verneigt sich leicht zustimmend. »Doktor Konrad Hartmann, und wenn wir uns einig werden, Ihr jüngster Kunde.«

»Noch sind wir uns nicht einig, da ich Ihre Wünsche nicht kenne«, meint sie überlegend.

»Nun, zu diesem Zweck haben wir uns schließlich hier getroffen.« Er betrachtet sie nachdenklich. »Sie sind mir von einem guten Bekannten wärmstens empfohlen worden. Architekt Todt hat das Haus gebaut, und Sie sollen es mir wohnlich und gemütlich einrichten.«

»Und wo liegt das Haus?« erkundigt sie sich. Jetzt ist sie nur Geschäftsfrau.

»Wenn es Ihre Zeit erlaubt, werde ich Ihnen das Haus morgen früh zeigen. Es liegt außerhalb der Stadt auf einem Hügel. Augenblicklich ist man dabei, die Gartenanlage zu machen. Paßt es Ihnen gegen elf Uhr?«

»Ich werde mich jedenfalls freimachen. Bevor ich das Haus nicht gesehen habe, kann ich Ihnen keine Vorschläge machen.«

»Das habe ich auch nicht erwartet«, meint er, und da der Kellner den Wein bringt, wird er abgelenkt.

Annemarie fühlt sich behaglich wie lange nicht. Sie muß ihre Meinung ändern. Er ist kein Snob. Er ist einfach und herzlich und behandelt sie äußerst zuvorkommend. Ihre Neugier ist geweckt.

»Und warum haben Sie mich hierher bestellt? Sie hätten mich doch in meinem Büro aufsuchen können«, sagt sie aus ihren Gedanken heraus.

Er hat den Kellner weggeschickt und läßt den goldgelben Wein in die Gläser fließen.

»Sehr einfach, meine Gnädigste, ich wollte Sie kennenlernen.«

»Aha«, macht sie und nimmt das Glas aus seinen Händen. »Und wie ist Ihr Urteil über mich eigentlich ausgefallen?«

»Noch kann ich mir kein Urteil erlauben.« Er blinzelt sie verschmitzt an, was sein hartes Gesicht plötzlich gelöst erscheinen läßt. »Das heißt, Sie persönlich gefallen mir ganz gut, wenn Sie mir auch reichlich jung für einen solchen Auftrag erscheinen…«

»Ich bitte Sie«, fährt sie wütend dazwischen. »Was hat mein Alter mit meinem Können zu tun?«

»Sehen Sie«, triumphiert er, »jetzt sind Sie beleidigt.«

»Beleidigt? Keineswegs. Ich bin wütend. Sie scheinen mich nicht ernst zu nehmen.«

»Doch, sehr sogar. Zunächst habe ich festgestellt, daß Sie eine aparte junge Frau sind und mir Ihre Gesellschaft gut gefällt. Wenn Sie mir morgen Vorschläge für mein Haus machen, die mir zusagen, werde ich mich gern von Ihrem Können überzeugen lassen.« Er blinzelt ihr belustigt zu. »Nun seien Sie nicht mehr wütend auf mich. Lassen Sie uns den Abend recht nett verbringen.«

Sie blickte auf ihre Uhr. »Lange werden Sie sowieso nicht mehr mit mir rechnen können. Ich erwarte meine Freundin hier. Sobald das Konzert aus ist, holt sie mich ab.«

Er hebt das Glas. »Wenn Ihre Freundin nur halb so nett ist wie Sie, werde ich sie an unseren Tisch bitten.«

Sie sucht vergeblich in seinen Augen nach Spott.

»Meine Freundin ist nicht nur nett, sondern auch bildschön.«

Er betrachtet sie mit einem Ausdruck der Verwunderung.

»Hm. Es gibt wenige Frauen, die die Schönheit anderer anerkennen.«

Sie zuckt mit den Schultern. »Übrigens können Sie sich selbst überzeugen. Da ist sie schon.«

Mit roten Wangen geht Marina schnell den Mittelgang entlang, blickt sich um und sieht Annemarie sit-

zen.

Doktor Hartmann erhebt sich, und Annemarie stellt Marina vor. Er rückt genau wie vorher Annemarie auch Marina einen Sessel zurecht.

»Darf ich Sie bitten, mein Gast zu sein?«

Etwas hilflos blickt Marina von einem zum anderen. »Wollten wir nicht heimfahren?« meint sie. Sie möchte das Erlebnis von vorhin gern loswerden.

Doktor Hartmann antwortet, ehe Annemarie nur den Mund öffnen kann.

»Bitte machen Sie mir die Freude. Wenn Sie nicht bleiben, bin ich auch Fräulein Kolber los.«

Daraufhin nimmt Marina Platz. »Ich möchte nicht in Ihre geschäftliche Besprechung einbrechen.«

Annemarie winkt ab. »Das ist bereits klar, Liebes. Herr Doktor wird mir morgen sein Haus zeigen, erst dann kann ich meine Pläne entwickeln. Ich mußte erst die Feuerprobe als Mensch bestehen –.«

»Und haben Sie Vertrauen zu meiner Freundin?« fällt Marina ihr ins Wort.

»Unbedingt!« Und einschränkend setzt er hinzu: »Soweit ich das in so kurzer Zeit beurteilen kann.«

»Meine Freundin ist ein wunderbarer Mensch«, glaubt Marina sagen zu müssen.

Wieder lächelt Hartmann. »Also eine wirklich treue Freundschaft. Ähnliches hat mir Fräulein Kolber von Ihnen erzählt.«

Er winkt der Bedienung, bittet um ein drittes Glas, und als es auf dem Tisch steht, schenkt er es für Marina voll.

»Trinken wir auf gutes Gelingen«, schlägt er vor, und hell klingen die Gläser aneinander.

»Vielleicht machen Sie mir die Freude und kommen morgen früh mit?« wendet er sich an Marina. Sie blickt auf Annemarie, und diese nickt.

»Gern, morgen habe ich Zeit.«

Sie unterhalten sich glänzend. Von Geschäften wird nicht mehr gesprochen. Später bietet er seinen Wagen zur Heimfahrt an, doch Annemarie lehnt ab.

»Vielen Dank, mein Wagen parkt um die Ecke.«

Sie verlassen das Lokal, und Doktor Hartmann begleitet die beiden Damen zu Annemaries dunkelrotem Sportwagen, den er von allen Seiten fachkundig betrachtet.

»Sehr schön«, sagte er. »Muß eine Stange Geld gekostet haben. Scheint doch allerhand einzubringen – Ihr Beruf!«

»Es geht«, erwidert Annemarie abweisend und ärgerlich. Sie findet seine Bemerkung taktlos. Also doch ein Snob, denkt sie. Er sieht ganz wie ein erfolgreicher Geschäftsmann aus. Vielleicht kann er nur in Geld denken?

Annemarie sitzt schon hinter dem Steuer. Sie kann sich die Frage nicht verkneifen: »Und darf man fragen, was Sie für einen Wagen fahren?«