Du hast mich wachgeküsst - Susan Mallery - E-Book

Du hast mich wachgeküsst E-Book

Susan Mallery

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Beschreibung

Seit Jahren führt Cathy wunderbare Gespräche mit dem reichen Stone, ihrem Traumprinzen, am Telefon. Und genau so lange hat Cathy sich vorgenommen, ihm die Wahrheit zu gestehen! Wie wird Stone darauf reagieren, dass alles erfunden ist, was sie ihm über sich erzählt hat?

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Seitenzahl: 202

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IMPRESSUM

Du hast mich wachgeküsst erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 1999 by Susan W. Macias Originaltitel: „The Millionaire Bachelor“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCABand 1194 - 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Tatjána Lénárt-Seidnitzer

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733767495

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

Cathy Eldridge blickte ungeduldig auf ihre billige Armbanduhr. Sie sah der Mitternacht ebenso ungeduldig entgegen, wie Aschenbrödel davor gegraut hatte.

Während die Märchenprinzessin befürchten musste, dass ihre Träume mit dem Glockenschlag zerstört wurden, bedeutete die verhexte Stunde für Cathy den Zutritt zu ihrer Fantasiewelt. Denn um Punkt zwölf Uhr rief Stone Ward an.

Es war kurz nach halb zwölf. Sie seufzte in dem Wissen, dass sich die Minuten vor Mitternacht endlos ausdehnen würden – ebenso wie nach dem Telefonat bis sieben Uhr früh, wenn ihre Schicht endete. Doch während sie mit ihm telefonierte, verging die Zeit stets wie im Fluge. Es kümmerte sie nicht, dass er sie für eine völlig andere Person hielt, als sie in Wirklichkeit war. Es kümmerte sie ebenso wenig, dass nur in ihrer Fantasie eine innige Beziehung bestand. Es reichte ihr, seine Stimme zu hören und zu wissen, dass er das Gespräch ebenso genoss wie sie.

Es war ein ruhiger Abend beim Auftragsdienst. Cathy hatte mit einer vielschichtigen Klientel zu tun: von Ärzten über Privatdetektive und Anwälte bis hin zu einer Schriftstelleragentur, die Drehbücher für Hollywood vermittelte. Es gab auch einige seltsame Kunden – wie die charmante, aber vergessliche Witwe, die sich täglich sechs Mal anrufen und an die Einnahme ihrer Medikamente erinnern ließ. Und wie den Vertreter, der regelmäßig Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter wünschte, damit sich seine Katze nicht so allein fühlte.

Cathy arbeitete bereits seit mehr Jahren für die Firma, als ihr lieb war, und sie erledigte jeden Anruf rasch und tüchtig. Für manche Kunden war sie die bevorzugte Kontaktperson – wenn auch nur aus Interesse an all den Geschichten über ihr aufregendes Privatleben, die sie erfand. Und dabei fiel ihr ein …

Sie öffnete ihre große schwarze Nylontasche und holte ihren Laptop hervor. Das Gerät hatte viel Geld gekostet und stellte den einzigen Luxus dar, den sie sich in den vergangenen drei Jahren geleistet hatte, aber es war jeden Penny wert. Mit einer Telefonleitung und diesem Laptop konnte sie die ganze Welt bereisen. Niemand brauchte zu erfahren, dass sie in einem schäbigen kleinen Büro hockte und eine stumpfsinnige Arbeit verrichtete, aus der es keinen Ausweg zu geben schien.

Sie schaltete das Gerät ein und meldete sich bei ihrem Provider an. Von dort aus besuchte sie das Internet – einen Ort, der ihr die Macht gab, sich zu verändern. Immer wieder wunderte sie sich über die Fülle der erhältlichen Informationen.

Das Wochenende über hatte sie bereits Hotels und Clubs in dem Urlaubsort Cancún in Mexiko erforscht. Nun fehlte ihr nur noch ein exotisches Restaurant mit der richtigen Speisekarte.

Es dauerte etwa zehn Minuten, das Gesuchte zu finden. Sie machte sich ein paar Notizen, nahm zwischendurch drei Anrufe von verschiedenen Klienten entgegen und gab Nachrichten an einen Anwalt weiter, der Überstunden einlegte. Währenddessen behielt sie die Uhr ständig im Auge. Noch fünf Minuten, dann drei, dann eine, und dann …

Es klingelte. Ihr Herzschlag hatte sich bereits vor einer Viertelstunde beschleunigt. Nun wurden ihre Handflächen feucht, und ihr Magen flatterte. Die Symptome waren ihr vertraut, denn sie traten jedes Mal auf, wenn er anrief. Sie rückte das Mikrofon ihres Headsets zurecht und drückte den blinkenden Knopf auf der Konsole.

„A bis Z Auftragsdienst“, sagte sie in mühsam gelassenem Ton, damit er nicht merkte, wie aufgeregt sie war. Obwohl sie sich schon seit Monaten unterhielten, beunruhigte er sie immer noch.

„Hi, Cathy, wie war dein Wochenende?“

Der tiefe, verführerische Klang seiner Stimme ließ sie förmlich dahinschmelzen und machte es ihr beinahe unmöglich, zu denken oder zu atmen.

„Hi, Stone. Mein Wochenende war großartig. Und deines?“

„Nicht besonders aufregend. Ich habe gearbeitet.“

Sie malte sich sein Büro aus: einen großen, in dunklem Holz getäfelten Raum mit hoher Decke, Ledermöbeln und Bücherregalen. Sie stellte sich immer einen Kamin und den Geruch von brennenden Holzscheiten vor, was lächerlich war. Denn sie befanden sich in Los Angeles, und dort wurde es nicht einmal mitten im Winter kalt. Doch Stone war ihre Fantasiegestalt, und daher hielt sie sich für berechtigt, ein romantisches Kaminfeuer zu erfinden, wenn es ihr beliebte.

„Du arbeitest zu viel“, warf sie ihm vor. „Du musst dir mal freinehmen. Verreisen.“

„Du reist genug für uns beide. Wo warst du dieses Wochenende? Auf den Bahamas?“

„In Mexiko. Das Wetter war fantastisch.“ Cathy blätterte in ihren Notizen. Nach Auskunft des Wetteramtes hatte das ganze Wochenende über strahlender Sonnenschein bei Tag und angenehme Kühle bei Nacht geherrscht.

Er lachte leise. „Also nicht wie in Paris? Kein Taifun?“

Sie lachte ebenfalls. „Das war kein Taifun. Nur ein herbstlicher Regenschauer.“

„Wenn ich mich recht erinnere, ist in der einen Woche mehr Regen gefallen als in den letzten Jahren. Du wurdest praktisch aus dem Hotel gespült und hattest einen ganzen Tag lang keinen Strom.“

Ihr Lächeln schwand, als ihr wieder einmal bewusst wurde, welch aufmerksamer Zuhörer Stone war. Er merkte sich jede Einzelheit, als ob ihr Leben, als ob ihre Person ungeheuer interessant für ihn wäre.

„Und mit wem warst du dort?“, wollte er wissen.

„Angie und Brad, Mark, Martin und Melissa.“

„Aha, die drei Ms War Raoul auch mit?“

„Er konnte nicht.“

„Du musst ihn vermisst haben.“

„Nicht so sehr, wie du vielleicht glaubst.“ Sie wünschte vergeblich, zumindest einen Anflug von Eifersucht in seiner Stimme entdecken zu können. Sie hatte Raoul erschaffen – groß, dunkelhaarig, gut aussehend, schweigsam. Der perfekte Mann. Eigentlich entsprach er ihrer Vorstellung von Stone. Ein weiterer Mann, dem sie nie begegnet war, der aber zumindest außerhalb ihrer Fantasie existierte – im Gegensatz zu Raoul, Angie, Brad und den drei Ms

„Erzähl mir alles“, bat er. „Hast du einen Bikini getragen?“

„Was für eine Frage!“ Sie spielte das Spiel schon so lange, dass sie es blendend beherrschte. Sie log eigentlich nicht, sondern erfand nur unterhaltsame Geschichten, die niemandem schadeten und eine angenehme Abwechslung in Stones Leben darstellten. Wüsste er die Wahrheit über sie, würde er sie für langweilig halten. Die schlanke, wundervolle Cathy, die fabelhafte Freunde hatte und ein aufregendes Dasein führte, entsprach eher seinem Stil.

„Das Hotel war großartig“, verkündete sie.

„Eine Suite?“

„Diesmal nicht.“ Sie konsultierte einen Ausdruck über das Hotel. „Ich hatte ein ziemlich großes Eckzimmer für mich allein. Ich konnte das Meer sehen. Wir hatten riesigen Spaß. Am Pool ist eine Rutsche. Auf der habe ich mir praktisch den Hosenboden durchgescheuert.“

„Das hätte ich gern gesehen. Welche Farbe hat dein Bikini?“

„Rot.“

„Tief ausgeschnitten?“

Sie lächelte. „Meinst du das Oberteil oder das Unterteil?“

Er stöhnte. „Du machst mich wahnsinnig, Cathy. Ich kann es mir vorstellen, auch ohne dass du mir Details nennst. Hast du auch geschnorchelt?“

„Ja. Es war großartig. Wir sind mit einem Boot vom Hotel zu einem Wrack gefahren, das nur wenige Meter unter der Oberfläche liegt. Das Wasser ist so warm dort, dass man stundenlang schwimmen kann, und es gibt wahnsinnig interessante Fische und Pflanzen.“

„Das klingt abenteuerlich.“

Allerdings, dachte sie. Eines Tages wollte sie all die Orte besuchen, von denen sie ihm erzählt hatte. Doch in Wirklichkeit besaß sie nicht einmal einen Reisepass.

„Das Hotel hat ein Restaurant direkt am Meer“, fuhr sie fort. „Am Samstag waren wir alle dort. Es ging sehr formell zu.“

„Ich wette, du hast ein sehr kurzes und verführerisches Kleid getragen.“

„Hast du mir nachspioniert?“, neckte sie.

„Ich wünschte es. Erzähl weiter.“

„Das Dinner war fantastisch. Frischer Fisch und ausgezeichneter Wein.“ Cathy konsultierte ihren Laptop. „Die Spezialität des Hauses ist ein flambiertes Dessert, und wir wollten es natürlich alle probieren. Unser Kellner war offensichtlich neu. Er hat einen Flambierwagen direkt an unseren Tisch geschoben und das Dessert zubereitet. Aber die Pfanne, die er benutzt hat, war zu klein für sechs Personen. Er wollte wohl nicht in zwei Schüben flambieren.“

„Ich ahne ein Unglück.“

„Er hat eine Unmenge Brandy über die Zutaten geschüttet und dann ein Streichholz entzündet …“

Stone stöhnte. „Und das Restaurant ist in Rauch aufgegangen?“

Sie lachte. „Nicht ganz. Aber es hat einen lauten Knall und einen Feuerball gegeben. Der Kellner ist beinahe in Tränen ausgebrochen, und das Dessert hat ein bisschen angebrannt geschmeckt.“

„Dein Leben ist sehr aufregend, Cathy, das muss man dir lassen.“

„Das ist mein Ziel“, entgegnete sie leichthin. „Bist du wirklich das ganze Wochenende zu Hause geblieben?“

„Ja.“

„Stone, da draußen wartet eine ganze Welt auf dich. Du solltest sie erforschen. Du gehst nie aus.“

„Ich lebe lieber zurückgezogen.“

„Das ist ungesund.“

„Das Thema hatten wir bereits“, rief er ihr in Erinnerung. „Du kannst mich nicht umstimmen.“

„Ich weiß.“ Cathy seufzte. „Aber ich mache mir Sorgen um dich.“

Es stimmte, obwohl es verrückt war. Stone war ein exzentrischer Millionär. Ihm gehörte die erfolgreichste Investmentfirma an der Westküste. Er lebte geheimnisvoll abgeschieden. Soweit sie wusste, verließ er nicht einmal das Haus, um seine Firma aufzusuchen, und niemand schien seine private Telefonnummer zu kennen. Nicht einmal der Auftragsdienst, der die Nachrichten für ihn entgegennahm und speicherte, bis er sie abrief.

„Ich weiß deine Sorge zu schätzen, aber sie ist unbegründet.“

„Wenn du meinst … Hast du das Buch durchgelesen?“

„Gestern Abend. Du hattest recht. Es ist sehr spannend. Ich habe bis zum Schluss nicht erraten, wer der Mörder ist.“

Sie hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, einander Bücher zu empfehlen. Ausführlich diskutierten sie über ihren bevorzugten Kriminalschriftsteller. Zwischendurch musste sie einige Anrufe behandeln, aber ansonsten unterhielten sie sich ungestört beinahe eine Stunde lang.

„Es ist schon spät“, sagte er schließlich. „Ich sollte dich jetzt in Ruhe arbeiten lassen.“

Sie nickte stumm. Sie wollte nicht, dass er das Gespräch beendete. Doch das konnte sie ihm nicht sagen.

„Hast du morgen Dienst?“

„Natürlich.“

„Zur selben Zeit?“

„Gern.“ Sie befürchtete, dass ihre Stimme zu viel verriet, doch sie konnte es nicht ändern. Seine Anrufe stellten die Glanzlichter in ihrer bescheidenen Existenz dar.

Er seufzte tief. „Weißt du, Cathy, eines Tages werde ich mich in dein Büro schleichen und dich persönlich kennenlernen.“

Es war eine vertraute Drohung. Als er sie zum ersten Mal ausgesprochen hatte, war sie in Panik geraten. Aber inzwischen wusste sie, dass er es nicht ernst meinte. Er neckte sie nur gern.

„Ich sitze im siebten Stock, und der Wachdienst würde dich nicht in den Fahrstuhl lassen.“

„Ich habe meine eigenen Wege.“

Daran zweifelte sie nicht. „Leeres Gerede“, konterte sie. „Gute Nacht, Stone.“

„Bis morgen. Gute Nacht.“

Cathy wartete, bis er aufgelegt hatte. Dann setzte sie seufzend das Headset ab. Sie stand auf und ging zur Kaffeemaschine. Wie jede Nacht würde sie das Gespräch im Geiste immer und immer wieder durchgehen, seine Stimme und seine Worte analysieren.

Sie schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Bevor sie an ihren Schreibtisch zurückkehrte, blickte sie in den Spiegel an der Wand. Aufgrund ihrer Äußerungen hielt Stone sie für eine hochgewachsene, gertenschlanke und langbeinige Blondine, die umwerfend aussah in knappen Bikinis, Miniröcken und hautengen Jeans. Es war reine Fantasie. Aber es schadete niemandem. Sie würde gern so aussehen.

Sie starrte ihr Spiegelbild an. Hellbraune, in der Mitte gescheitelte Haare reichten weit über die Schultern hinab, fielen ihr ins Gesicht und verbargen weitgehend ihre unscheinbaren Züge. Sie trug unförmige Jeans und ein weites T-Shirt, um ihre zwanzig Pfund Übergewicht so weit wie möglich zu verbergen. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie einen Bikini getragen.

Sie senkte den Blick und wandte sich von dem Spiegelbild ab. Es war nicht weiter schlimm. Stone war nicht an ihrer wahren Person interessiert. Er mochte die fiktive Cathy, die nur eine angenehme Stimme am Telefon darstellte. Er lebte in seiner eigenen Welt, und sie bezweifelte, dass sie mehr als eine Fußnote in der Geschichte seines Lebens darstellte.

Als sie sich wieder an den Schreibtisch setzte und das Headset aufsetzte, blickte sie zur Uhr. Knapp dreiundzwanzig Stunden bis zu seinem nächsten Anruf.

Stone starrte auf den Computerausdruck vor sich, doch er nahm die Zahlen darauf nicht wahr. Er, der gewöhnlich über eine fast übernatürliche Konzentrationsfähigkeit verfügte, war zerstreut. Es lag an der Tageszeit. Besser gesagt an der Nachtzeit. Beinahe Mitternacht. Beinahe Zeit, Cathy anzurufen.

Seltsam, dass eine geisterhafte Stimme am Telefon eine so große Rolle in seinem Leben spielte. Seit zwei Jahren war sie seine Lebensader und einzige Gefährtin. Sie warf ihm oft vor, ein Eigenbrötler zu sein. Doch sie hatte keine Ahnung, wie er in Wirklichkeit lebte und dass er sein selbst erwähltes Gefängnis niemals verließ. Sie wusste nicht, dass er sich an ihr Lachen, ihre bezaubernde Stimme, ihre Erzählungen von einer sonnigen, freudevollen Welt klammerte. Es waren die einzigen Fantasien, die er sich gestattete.

Er konnte sich nicht genau entsinnen, wie ihre Beziehung eigentlich begonnen hatte. Er rief seine Nachrichten stets spät am Abend ab. Irgendwann war ihm bewusst geworden, dass immer dieselbe junge Frau antwortete. Er erinnerte sich nicht, wer von beiden als Erster über private Dinge gesprochen hatte oder warum.

Er wunderte sich über Cathy. Sie war offensichtlich klug und witzig. Sie führte ein großartiges Leben. Warum also hatte sie die Nachtschicht eines Auftragsdienstes angenommen? Wer war sie wirklich? Versteckte sie sich vor jemandem oder etwas? Er spürte Geheimnisse in ihrer Stimme. Manchmal vermutete er, dass ihre Geschichten nur erfunden waren. Aber es störte ihn nicht. Er hörte ihr gern zu. Sie brachte ihn zum Lachen und gestattete ihm, er selbst zu sein.

Da er nicht wollte, dass sie die Wahrheit über ihn erfuhr, drängte er sie nie nach privaten Informationen. Er hätte mit Leichtigkeit Ermittlungen über sie anstellen können. Doch es erschien ihm unfair.

Er legte den Bericht beiseite und blickte zur Uhr. Nur noch wenige Minuten. Beinahe zwei Wochen waren seit ihrem Wochenendtrip nach Mexiko vergangen, und er fragte sich, ob sie eine weitere Reise geplant hatte. Für gewöhnlich fuhr sie zwei Mal im Monat fort. Ihm graute vor ihrem Jahresurlaub. Die Zeit schlich immer dahin, wenn sie fort war.

Er stand auf und trat an den Tisch am Fenster. Er starrte durch das Glas auf den von Scheinwerfern erhellten Garten. Dahinter erstreckte sich leere Finsternis, und in der Ferne blinkten die Lichter des kleinen Ortes Redondo Beach. Tagsüber bot dieser Raum einen spektakulären Ausblick über den Pazifik und die Strände im Norden der Halbinsel. Bei Nacht war das Wasser dunkel und nichtssagend, obwohl das Rauschen der Wellen zu hören war.

Er schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und kehrte an seinen Schreibtisch zurück. Es war Zeit. Er wählte die vertraute Nummer.

„A bis Z Auftragsdienst.“

„Hi, Cathy.“

„Stone! Wie geht es dir?“

Die offenkundige Freude in ihrer Stimme ließ ihn lächeln. „Großartig.“

„Hast du heute eine Million verdient?“

„So ungefähr.“

Sie sprachen nicht oft über seine Geschäfte. Sie wusste, dass er mit Aktien und Immobilien zu tun hatte, aber das war alles. Er wollte nicht, dass sie zu viele Details erfuhr und neugierig wurde. Wenn sie Nachforschungen über seine Vergangenheit anstellte und die Wahrheit über ihn erführe, wäre alles vorbei.

„Wie läuft es so bei dir?“, erkundigte er sich.

„Wie üblich. Mrs Morrison war heute beim Arzt und hat daher eine neue Liste mit Medikamenten. Weißt du noch, wer sie ist?“

„Ja. Die exzentrische alte Dame, die immer an die Einnahme ihrer Medizin erinnert werden will.“

„Genau. Eine der anderen Telefonistinnen hat heute mehrere Stunden mit ihr und ihrem Arzt telefoniert, und wir sind uns immer noch nicht sicher, ob alles geklärt ist. Zum Glück habe ich vor einer halben Stunde den letzten Anruf hinter mich gebracht.“

„Irgendwelche interessanten Anrufer, die auf Kaution freigelassen werden wollen?“

Sie lachte. „Bisher nicht. Aber diese Art von Problem tritt gewöhnlich erst in ein paar Stunden auf.“

Sie erzählte von ihrem Tagesablauf und einem Kinofilm, den sie sich angesehen hatte. Sie diskutierten über das nächste Buch, das sie gemeinsam lesen wollten. Er schlug einen Spionagethriller vor, während sie sich für die Biografie eines berühmten Wissenschaftlers interessierte.

„Wie langweilig“, wandte er ein.

„Woher willst du das wissen, wenn du das Buch nicht kennst?“

„Glaubst du etwa im Ernst, dass verschrobene Wissenschaftler ein interessantes Leben führen?“

„Aha, wir wollen also verallgemeinern. Dann reden wir doch mal über Geschäftsmagnaten, die rauben und die Wirtschaft plündern.“

Stone grinste. Cathy besaß Temperament, und er genoss es von Zeit zu Zeit, es in Wallung zu bringen. Sie ging ihm stets auf den Leim. „Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie geraubt oder geplündert.“

„Das bezweifle ich nicht. Ich will damit nur sagen, dass Verallgemeinerungen unmöglich sind.“

„Wie die Behauptung, dass alle Blondinen dumm sind?“

„Genau.“

Er schloss die Augen und fragte sich, wie sie aussehen mochte. „Du bist eine Blondine und trotzdem nicht dumm.“

„Ich halte das nicht für ein Kompliment und bedanke mich deshalb auch nicht.“

Er lachte leise. „In Ordnung. Du hast gewonnen. Wir lesen die Biografie.“

„Sie wird dir gefallen“, versprach Cathy. „Ich gehe in den Buchladen und …“

Ein plötzliches Schrillen unterbrach ihren Satz.

Stone umklammerte den Hörer. „Cathy, was ist das für ein Geräusch?“

„Ich weiß es nicht.“ Ihre Stimme war über den Lärm hinweg kaum zu verstehen. „Ich glaube, es ist der Feueralarm. Bleib dran.“

Ein Klicken ertönte, gefolgt von Stille. Er rief sich in Erinnerung, dass sie sich im siebten Stock eines geschlossenen Gebäudes befand und ein Wachmann im Dienst war. Sie war in Sicherheit. Dennoch spürte er Unbehagen.

Kaum eine Minute später kehrte sie ans Telefon zurück. „Ich weiß nicht genau, was es ist“, verkündete sie besorgt. Im Hintergrund ertönte immer noch das Heulen. „Ich konnte den Wachmann telefonisch nicht erreichen. Aber der Schalttafel nach zu urteilen, sind die Rauchmelder ausgelöst worden.“

„Hast du 911 angerufen?“

„Nein. Wahrscheinlich ist es nichts weiter.“

„Ruf sofort an. Lass die Feuerwehr lieber wegen falschen Alarms kommen, als dass etwas passiert und sie nicht rechtzeitig eintrifft. Ich bleibe solange dran.“

„Ich glaube nicht …“

„Cathy, tu es!“

„Okay. Eine Sekunde.“

Diesmal dauerte es länger, bis sie wieder an die Strippe kam. Ihre Stimme klang schrill vor Panik. „Stone, im Korridor ist Rauch. Ich habe nachgesehen, bevor ich die Feuerwehr gerufen habe. Er kommt aus dem Fahrstuhl. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“

Er fluchte leise. „Wie weit ist es bis zur Feuerleiter?“

„Sie ist am anderen Ende des Flurs, aber sie ist verschlossen. Ich habe keinen Schlüssel.“

„Wie bitte? Sie müsste doch ständig zugänglich sein.“

„Ja, aber in den letzten Monaten haben einige Einbrüche stattgefunden, und seitdem wird sie nachts verschlossen. Der Wachmann kommt mehrmals in der Nacht vorbei und sieht nach mir. Bisher hat es nie ein Problem gegeben.“

„Es wird alles gut“, versicherte er ihr mit einer Überzeugung, die er allerdings nicht verspürte. „Die Feuerwehr kommt bestimmt gleich.“

„Stone, ich habe Angst.“

Er beugte sich vor, so als könnte er sich ihr dadurch körperlich nähern. „Ich weiß, aber ich bin ja bei dir. Ich bleibe da, bis du in Sicherheit bist.“

„Danke. Ich weiß ja, dass es albern ist, aber …“ Sie rang nach Atem. „Oh Gott, ich rieche Rauch. Er kommt unter der Tür durch. Es riecht komisch. Ich muss hier raus.“

Angst schnürte ihm die Kehle zu. Angst um sie und Verzweiflung, weil er nichts tun konnte. „Cathy, hast du der Feuerwehr gesagt, wo du bist?“

„Ja.“

„Dann werden sie dich holen.“

„Vielleicht sollte ich in den Flur gehen. Oh Stone, der Rauch wird immer dichter.“

„Bleib ruhig. Ruf noch mal die Feuerwehr an. Sag ihnen, dass du eingeschlossen bist. Ich warte.“

„Okay.“

Eine scheinbare Ewigkeit lang herrschte Stille in der Leitung. Dann verkündete sie mit tränenerstickter Stimme: „Sie ist unterwegs, aber es dauert eine Weile, bis sie hier ist, und das Feuer hat sich ausgebreitet. Ich habe solche Angst, Stone.“

„Ich weiß, Honey. Aber ich bin ja bei dir.“

„Sie haben gesagt … dass ich mir ein nasses Handtuch um den Kopf wickeln soll.“

„Dann tu das. Ich warte auf dich.“

„Okay.“

Er hörte das Headset auf den Tisch klappern. Nie zuvor hatte er sich so hilflos gefühlt. Er schüttelte den Kopf. Das stimmte nicht. Genauso hilflos hatte er sich vor etwa drei Jahren gefühlt. Auch damals hatte er nichts tun können, und deshalb war Evelyn gestorben.

Stone verdrängte diese Gedanken und konzentrierte sich auf Cathy. Er lauschte und hörte schließlich ihre raschen Schritte.

„Ich sehe Flammen!“, schrie sie. „Was soll ich jetzt tun? Ich weiß nicht …“

Eine laute Explosion unterbrach sie. „Cathy? Cathy, kannst du mich hören?“

Er hörte einen Schrei und ein Poltern. Dann herrschte völlige Stille.

„Cathy? Cathy?“

Nichts. Ein Klicken ertönte, gefolgt von einem leisen, steten Rufzeichen.

2. KAPITEL

Stone verließ sein Arbeitszimmer im zweiten Stock und eilte die Treppe hinunter in die Küche. Ula, seine Haushälterin, blickte erstaunt auf, als er eintrat. Sie war Anfang fünfzig, und obwohl es spät war, sah sie immer noch so frisch aus wie am frühen Morgen.

„Oh, Mr Ward, welch eine Überraschung.“ Ihre kleinen, dunklen Augen funkelten, aber sie lächelte nicht. „Sagen Sie bloß nicht, dass Sie Hunger haben. Es ist doch erst ein paar Tage her, seit ich Sie zwingen konnte, etwas zu essen. Normalerweise lassen Sie mich länger warten.“

Für gewöhnlich hob ihre Neckerei seine Stimmung, und er hätte ihr vorgehalten, dass sie dafür zu wenig schlief. Doch an diesem Abend war ihm nicht nach Geplänkel zumute. „Ich gehe aus.“

„Jetzt? Allein?“

Er verstand ihr Staunen. Gewöhnlich ließ er sich von einem Chauffeur in der Limousine kutschieren. Aber er hatte keine Zeit zu verlieren. „Ich nehme den BMW. Keine Sorge. Ich komme schon zurecht.“

Öfter als Ula wusste, fuhr er nachts mit dem Wagen herum. Doch er achtete darauf, stets vor Sonnenaufgang zurück zu sein. Er führte ein seltsames Leben. Während er nicht die übernatürlichen Kräfte eines Vampirs besaß, konnte er die Furcht vor dem Tageslicht nachempfinden. Nicht weil er sich durch Sonnenlicht in Staub verwandelt, sondern nur diejenigen erschreckt hätte, die das Pech hatten, ihn zu sehen.

„Warten Sie nicht auf mich“, sagte er, während er die Schlüssel vom Haken neben der Tür nahm.

Kurz darauf fuhr er in westlicher Richtung über die gewundene Straße. Zwanzig Minuten später bog er auf die Schnellstraße ein. Es war weit nach Mitternacht. Nur wenige Fahrzeuge waren unterwegs, und er kam zügig voran. Quälende Fragen schossen ihm durch den Kopf. Was hatte sich ereignet? War Cathy noch am Leben?

Der Auftragsdienst befand sich im Ventura Boulevard. Mehrere Feuerwehrwagen, Polizeiautos und Ambulanzen versperrten die beiden rechten Fahrspuren. Rote Lichter blinkten in der Dunkelheit. Trotz der späten Stunde hatten sich zahlreiche Schaulustige eingefunden.

Stone stellte den Wagen so nahe wie möglich ab und ging zu Fuß weiter. Das Gebäude ragte hoch und versehrt im Schein der Straßenlaternen auf. Rauch drang durch zerbrochene Scheiben. Schläuche verliefen über den Bürgersteig, und zur Haustür strömte Wasser heraus. Mehrere Polizisten hielten die Zuschauer zurück.

Stone bahnte sich einen Weg durch die Menge. Er war froh, dass es dunkel war und die Leute zum Haus aufblickten. Es roch nach verbranntem Holz, Plastik und anderen Materialien, die er nicht identifizieren konnte. Er tippte einem jungen Polizisten auf die Schulter. „Entschuldigung. Ich möchte mich nach einer Freundin erkundigen.“

„Wenn Sie kein Verwandter sind, können wir Ihnen keine Auskunft erteilen“, entgegnete der Beamte, ohne ihn anzusehen.

„Ich verstehe. Ich will auch keine Details wissen. Ich bin nur besorgt. Es geht um Cathy Eldridge. Sie arbeitet beim Auftragsdienst. Ich habe gerade mit ihr telefoniert, als das Feuer ausbrach. Ich möchte nur wissen, ob sie in Sicherheit gebracht werden konnte.“