Du meine Pappel im roten Kopftuch - Tschingis Aitmatow - E-Book

Du meine Pappel im roten Kopftuch E-Book

Tschingis Aitmatow

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Beschreibung

Iljas, ein junger, sympathischer Lastwagenfahrer mit überschäumender Energie, ist schnell zu begeistern und ebenso schnell in maßlose Wut zu versetzen. Asselj, ein stilles, kirgisisches Mädchen, lebt in einem Dorf und soll nach altem Brauch in eine Nachbarsippe hineinverheiratet werden. Als die beiden sich begegnen, entsteht eine Liebe, die sie alle Traditionen und Bräuche vergessen lässt. Für beide beginnt eine glückliche Zeit, die in der Geburt eines Sohnes den Höhepunkt findet. Doch als Iljas tollkühn auf eigene Faust mit seinem Lastwagen das verschneite Tianshan-Gebirge bezwingen will, beginnt die Katastrophe. Iljas verspielt sein Lebensglück.

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Über dieses Buch

Die Liebe zwischen Asselj und Iljas droht alle traditionellen Regeln zu brechen. Als Iljas tollkühn auf eigene Faust mit seinem Lastwagen das verschneite Pamirgebirge bezwingen will, beginnt die Katastrophe: Die liebevolle Hilfe Asseljs und den Rat seiner Freunde weist er zurück. Dabei verspielt er die Liebe seines Lebens.

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Tschingis Aitmatow (1928–2008) erlangte mit der Erzählung Dshamilja Weltruhm. Er besuchte das Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau und war Redakteur einer kirgisischen Literaturzeitschrift. Sein Werk fußt auf den Erzähltraditionen Kirgisiens und verarbeitet die Grundfragen der Zeit.

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Juri Elperin (*1917) war Zeit seines Lebens als Übersetzer aus dem Russischen und Deutschen für Verlage in der Sowjetunion, der DDR und Westdeutschland tätig.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Jubiläumsausgabe, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Tschingis Aitmatow

Du meine Pappel im roten Kopftuch

Erzählung

Aus dem Russischen von Juri Elperin

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 2 Dokumente

Die kirgisische Originalausgabe erschien 1970.

Originaltitel: Topolëk moj v krasnoj kosynke (1961)

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30755-1

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 22.09.2022, 05:56h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

DU MEINE PAPPEL IM ROTEN KOPFTUCH

Statt eines PrologsDie Geschichte des FahrersDie Geschichte des StraßenmeistersStatt eines EpilogsWorterklärungen

Mehr über dieses Buch

Über Tschingis Aitmatow

Tschingis Aitmatow: Über mein Leben

Kasat Akmatow: Tschingis Aitmatow bei sich zu Hause

Über Juri Elperin

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Statt eines Prologs

Als Journalist hatte ich oft im Tienschan zu tun. Einmal, im Frühjahr, ich war gerade in der Gebietsstadt Naryn, wurde ich dringend in die Redaktion zurückgerufen. Ich hatte Pech, der Bus fuhr mir vor der Nase weg. Der nächste ging erst in fünf Stunden. Mir blieb nichts anderes übrig, als per Anhalter zu fahren. Ich machte mich auf den Weg zur Chaussee am Rande der Stadt.

Gleich an der Straßenbiegung sah ich vor der Tankstelle einen Lastwagen. Der Fahrer hatte soeben getankt und schraubte den Deckel zu. Meine Freude war groß. An der Windschutzscheibe erblickte ich das Zeichen für die internationalen Routen: SU. Mir war klar, der Wagen kam aus China und fuhr zum Wagenpark für internationale Gütertransporte nach Rybatschje, von wo ich mühelos nach Frunse gelangen konnte.

»Fahren Sie gleich los? Würden Sie so freundlich sein, mich nach Rybatschje mitzunehmen?«, bat ich den Fahrer. Er wandte den Kopf, sah mich mürrisch an und richtete sich auf.

»Nein, Agai, das geht nicht«, sagte er ruhig.

»Ich bitte Sie sehr! Ich muss dringend nach Frunse.« Wieder sah mich der Fahrer mürrisch an.

»Ja, ich verstehe, aber seien Sie mir nicht böse, Agai. Ich nehme niemanden mit.«

Ich wunderte mich. Im Fahrerhaus war noch Platz, was hätte es ihm ausgemacht, mich mitzunehmen?

»Ich bin Journalist und habe es sehr eilig. Ich zahle jeden Preis.«

»Was heißt zahlen? Ich würde Sie auch umsonst mitnehmen, aber heute gehts eben nicht«, fiel er mir ins Wort und trat wütend gegen den Reifen. »Seien Sie mir nicht böse, von uns kommen gleich noch mehr Wagen, fahren Sie mit einem von denen, bei mir gehts wirklich nicht.«

Sicher ist der Platz schon für jemanden reserviert, folgerte ich.

»Na, und hintendrauf?«

»Das geht auch nicht. Verzeihen Sie vielmals, Agai.«

Der Fahrer warf einen Blick auf die Uhr und hatte es plötzlich eilig.

Verständnislos zuckte ich die Achseln und sah fragend den Tankwart an, eine bejahrte Russin, die uns schweigend aus dem Fenster beobachtet hatte. Sie schüttelte den Kopf, was wohl bedeuten sollte: Lassen Sie ihn doch.

Der Fahrer kletterte auf seinen Sitz, klemmte sich eine Zigarette zwischen die Zähne und ließ den Motor an. Er war noch jung, um die Dreißig, war hoch gewachsen und hielt sich leicht gebeugt. Was sich mir einprägte, waren die großen kräftigen Hände am Lenkrad und die Augen mit den müden gesenkten Lidern. Bevor er Gas gab, fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht, seufzte schwer und blickte erregt auf die vor ihm liegende Bergstraße.

Der Wagen fuhr los.

Die Russin kam zu mir heraus. Sie wollte mich wohl beruhigen.

»Regen Sie sich nicht auf, Sie werden auch gleich fahren.«

Ich schwieg.

»Tja, der Bursche hat so seine Sorgen. Das ist eine lange Geschichte. Seinerzeit hat er hier bei uns neben dem Umschlagpunkt gewohnt …«

Ich kam nicht mehr dazu, mir die Geschichte anzuhören, denn ein Pobeda nahm mich mit.

Erst am Dolonpass holten wir den Lastwagen ein. In unzulässigem Tempo, unzulässig selbst für einen routinierten Tienschanfahrer, raste der Wagen dahin, jagte mit heulendem Motor durch die Kurven, preschte unter hängenden Felsbrocken Steigungen hinan und schoss aus Senken hervor, in die er eben hinabgetaucht war. Die Enden seiner Plane flatterten im Wind und klatschten gegen die Seitenwände.

Doch unser Pobeda zeigte, was in ihm steckte. Schließlich holten wir den Lastwagen ein. Beim Überholen sah ich hinüber. Was war das für ein Wagehals, wo trieb es ihn hin, dass er dieses mörderische Tempo fuhr? Im Graupelregen, der plötzlich eingesetzt hatte, eine häufige Erscheinung auf Pässen, und der in prallen, schrägen Strähnen niederging, flimmerte hinter der Windschutzscheibe ein bleiches, angespanntes Gesicht mit einer Zigarette zwischen den Zähnen. Die Hände handhabten sicher und flink das Lenkrad. Außer dem Fahrer war niemand auf dem Wagen zu sehen.

Bald nach meiner Rückkehr aus Naryn wurde ich nach Südkirgisien, in das Gebiet Osch, geschickt. In permanenter Zeitnot, die für uns Presseleute nun einmal typisch ist, kam ich erst kurz vor Abfahrt des Zuges auf dem Bahnsteig an. Ich stürzte in ein Abteil und beachtete nicht gleich den Mann, der auf einem der Fensterplätze saß und hinaussah. Auch als der Zug bereits mit voller Geschwindigkeit fuhr, wandte er sich nicht um.

Aus dem Lautsprecher tönte Musik. Es war eine bekannte Melodie, eine kirgisische Weise, die ich immer als das Lied eines einsamen Reiters in der abendlichen Steppe empfinde. Ein weiter Weg, uferlose Steppe, gedankenverloren singt der Reiter halblaut ein Lied. Er singt von allem, was sein Herz bewegt. Und was bewegt einen Menschen nicht alles, wenn er allein ist, umgeben von tiefer Stille, die nur durch Hufgetrappel unterbrochen wird. Leise sang das Komus, wie das Wasser im Aryk, das über glatte, helle Steine plätschert. Das Komus sang von der Sonne, die hinter den Hügeln versinkt, von der lautlos über die Erde eilenden blauen Kühle, dem schiefergrauen Wermut und dem gelben Reihergras am braunen Weg, die sich leise wiegen und ihren Blütenstaub verstreuen. Und die Steppe wird dem Reiter lauschen, wird träumen und mit ihm singen.

Vielleicht war einst auch hier so ein Reiter dahingezogen, während die Abendsonne am fernen Steppenrand verglühte, der Himmel rötlich gelb wurde und der Firn im Schein der letzten Sonnenstrahlen rosig aufschimmerte.

Draußen glitten Gärten, Weinberge und dunkelgrüne, buschige Maisfelder vorüber. Ein zweispänniger Wagen mit frisch gemähter Luzerne näherte sich dem Bahnübergang und blieb an der Schranke stehen. Der Kutscher, ein braun gebrannter Junge in verschossenem Turnhemd und bis über die Knie aufgekrempelten Hosen, erhob sich von seinem Sitz, lächelte und winkte jemand im Zug zu.

Die Melodie verfloss sanft mit dem Rhythmus des dahineilenden Zuges. Statt Hufgetrappel Rädergehämmer. Mein Nachbar saß, den Kopf in die Hand gestützt, am Klapptisch. Mir schien, dass er ebenfalls lautlos das Lied des einsamen Reiters sang. Mochte er nun trauern oder träumen, jedenfalls wirkte er niedergedrückt, als zehre ein unstillbarer Kummer an ihm. Er war so in sich gekehrt, dass er meine Anwesenheit gar nicht bemerkte. Forschend betrachtete ich ihn. Wo war ich diesem Mann schon einmal begegnet? Sogar seine gebräunten Hände mit den kräftigen, langen Fingern kamen mir bekannt vor.

Da fiel es mir ein: Es war der Fahrer, der mich seinerzeit nicht mitnehmen wollte. Damit war meine Neugier befriedigt. Ich holte ein Buch hervor. Lohnte es sich überhaupt, mich in Erinnerung zu bringen? Sicher hatte er mich längst vergessen. Schließlich haben Fahrer unterwegs nicht wenig zufällige Begegnungen.

So fuhren wir noch eine ganze Weile, jeder mit sich selbst beschäftigt. Draußen begann es zu dunkeln. Seufzend zog mein Nachbar Zigaretten hervor und riss ein Streichholz an. Dann hob er den Kopf, sah mich überraschend an und wurde rot. Er hatte mich erkannt.

»Guten Tag, Agai«, sagte er mit schuldbewusstem Lächeln.

Ich gab ihm die Hand.

»Fahren Sie weit?«

»Sehr weit!« Er stieß langsam den Rauch aus und fügte nach einer Pause hinzu: »In den Pamir.«

»Dann haben wir ja denselben Weg. Ich fahre nämlich nach Osch. Urlaub? Oder werden Sie dort arbeiten?«

»So ungefähr. Rauchen Sie?«

Wir qualmten schweigend. Es gab wohl nichts mehr, worüber wir uns hätten unterhalten können. Mein Nachbar war wieder in Gedanken versunken. Er saß mit gesenktem Kopf, hin und her schaukelnd im Takt der Räder. Mir schien, dass er sich in der Zwischenzeit sehr verändert hatte. Er war abgemagert und hohlwangig, drei scharfe Furchen kerbten seine Stirn. Die zusammengeschobenen Brauen ließen sein Gesicht finster wirken. Unvermittelt rang er sich ein Lächeln ab und fragte: »Sicher waren Sie mir damals sehr böse, Agai?«

»Wann denn? Was meinen Sie eigentlich?« Ich wollte nicht, dass unsere Begegnung ihn peinlich berührte. Aber er sah mich so reumütig an, dass ich Farbe bekennen musste.

»Ach ja, damals. Das war doch unbedeutend, ich habs längst vergessen. Unterwegs passiert einem so manches. Und Sie, Sie denken immer noch daran?«

»Zu jeder anderen Zeit hätt ichs vielleicht vergessen, aber an dem Tag …«

»Was war denn damals? Ein Unfall?«

»Wie soll ich Ihnen das erklären, nein, kein Unfall.« Er suchte nach Worten und lachte plötzlich gezwungen auf.

»Heute würd ich Sie hinfahren, wohin Sie wollen, nur bin ich heute selber bloß Fahrgast.«

»Macht nichts. Ein Pferd tritt tausendmal in dieselbe Spur, vielleicht begegnen auch wir uns noch einmal.«

»Sicher, dann ziehe ich Sie selber ins Fahrerhaus.«

»Ich nehme Sie beim Wort«, scherzte ich.

»Abgemacht«, antwortete er, sichtlich erleichtert.

»Und warum haben Sie mich damals nicht mitgenommen?«

»Warum?« Sein Gesicht verdüsterte sich. Er senkte den Blick und begann, in hastigen Zügen zu rauchen. Ich begriff, dass meine Frage ihm peinlich war, und wusste nicht, wie ich meinen Fehler wiedergutmachen sollte. Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und stieß hervor: »Ich konnte nicht. Ich wollte meinen Sohn mitnehmen, er wartete auf mich.«

»Ihren Sohn?«

»Das ist so … Verstehen Sie … Wie soll ich Ihnen das erklären …« Er bezwang seine Aufregung, zündete sich eine neue Zigarette an, sah mich ernst und entschlossen an und begann zu erzählen.

So hörte ich die Geschichte des Fahrers.

Wir hatten viel Zeit, denn bis Osch brauchte der Zug fast zwei Tage. Weder drängte ich den Erzähler, noch unterbrach ich ihn durch Fragen. Es ist gut, wenn ein Mensch von selbst alles ausspricht und dabei zuweilen mitten im Satz abbricht, weil er alles noch einmal erlebt und überdenkt. Allein, es kostete mich Überwindung, nicht in den Bericht einzugreifen, weil ich, teils zufällig, teils dank meinem unsteten Journalistendasein, einiges von meinem Reisegefährten und den Menschen wusste, mit denen das Schicksal ihn zusammengeführt hatte. Ich hätte seinen Bericht ergänzen und manches aufklären können, aber ich beschloss, das erst zu tun, nachdem er geendet hatte. Dann überlegte ichs mir jedoch anders, und ich meine, dass ich recht daran tat. Mögen die Helden der Geschichte selbst sprechen.

Die Geschichte des Fahrers

Alles begann völlig unerwartet. Damals war ich gerade aus der Armee entlassen worden, wo ich in einem motorisierten Truppenteil gedient hatte. Zuvor hatte ich die Zehnklassenschule beendet und als Fahrer gearbeitet. Ich war im Kinderheim aufgewachsen. Mein Freund Alibek Dshanturin war ein Jahr vor mir demobilisiert worden und arbeitete in Rybatschje, im Wagenpark für internationalen Gütertransport. Ich fuhr zu ihm. Wir hatten beide schon immer davon geträumt, in den Tienschan oder den Pamir zu fahren. Ich wurde gut aufgenommen und im Ledigenheim untergebracht. Sogar einen fast neuen SIL, ohne einen einzigen Kratzer, bekam ich. Meinen Wagen liebte ich wie einen guten Freund. Er hatte einen außerordentlich leistungsfähigen Motor. Freilich konnte ich ihn nicht immer voll beladen. Sie kennen ja selbst die Autostraße im Tienschan, schließlich gehört sie zu den höchsten Bergstraßen der Welt, sie führt an Schluchten entlang, über Gebirgsgrate und Pässe. In den Bergen gibt es genug Wasser, trotzdem nehmen die Fahrer immer welches mit. Vielleicht ist Ihnen schon aufgefallen, dass vorn, in einer Ecke des Ladekastens, ein Wasserbehälter baumelt, denn auf den Serpentinen überhitzt sich der Motor, obwohl man nicht allzu viel lädt. Anfangs zerbrach ich mir den Kopf, wie man es anfangen könnte, mehr zu laden, aber mir fiel nichts ein. Berge sind eben Berge.

Die Arbeit machte mir Spaß, und auch die Gegend gefiel mir. Der Wagenpark lag am Ufer des Issyk-Kul-Sees. Wenn ausländische Touristen kamen und stundenlang wie verzaubert auf den See starrten, war ich stolz auf unseren Issyk-Kul. So was Schönes bekommt man nicht so leicht zu sehen. Nur eines ärgerte mich anfangs. Es war der Frühling nach dem Septemberplenum, als die Kolchose zu erstarken begannen. Auf dem Lande arbeitete man mit Feuereifer, es mangelte jedoch an Maschinen und Fahrzeugen. Ein Teil unserer Wagen wurde zur Unterstützung der Kolchose eingesetzt, namentlich wir Neuen wurden ständig in die Aile gejagt. Gerade hatte ich mich an die Touren auf der Autostraße gewöhnt, schon war es aus damit, und es ging in diesen oder jenen Kolchos. Ich sah zwar ein, dass das wichtig und notwendig war, aber schließlich war ich Fahrer, und mir tat mein Wagen leid, dem die Schlaglöcher und der Dreck auf den Landwegen schlecht bekamen. Solche Wege kann man sich nicht einmal im Traum vorstellen.

Eines Tages fuhr ich Schiefer für den neuen Kuhstall eines Kolchos. Der Ail lag im Vorgebirge, der Weg dahin führte durch die Steppe. Zunächst ging alles glatt, der Weg war bereits trocken, bis zum Ail war es nur noch ein Katzensprung, als ich plötzlich bei der Durchfahrt durch einen Aryk stecken blieb. An dieser Stelle war der Weg so ausgefahren, dass ein Kamel darin hätte absaufen können. Ich versuchte den Wagen herauszubekommen, doch erfolglos. Die Erde saugte ihn an und hielt ihn wie mit Zangen fest. Zudem hatte ich vor Ärger das Lenkrad so weit herumgerissen, dass sich das Lenkgestänge verklemmt hatte und ich unter den Wagen kriechen musste. Wie ich verdreckt und verschwitzt unter dem Wagen lag und den Weg verfluchte, hörte ich plötzlich Schritte. Von unten sah ich nur ein Paar Gummistiefel. Die Stiefel kamen heran und blieben vor mir stehen. Mich packte die Wut. Was gabs hier zu gaffen? War ich vielleicht ein Zirkus?

»Mach, dass du weiterkommst, und reiz mich nicht!«, schrie ich unter dem Wagen hervor. Da erspähte ich einen Rocksaum, ausgefranst und mit Kuhmist bespritzt. Anscheinend war es eine Alte, die bis zum Ail mitfahren wollte.

»Geh schon, Großmutter!«, bat ich. »Ich werd hier noch ’ne ganze Weile schmoren. So lange kannst du nicht warten.«

Darauf sie: »Ich bin gar keine Großmutter.«

Sie sagte es unsicher, mit einem kleinen Lachen.

»Was denn sonst?«, fragte ich wütend.

»Ein Mädchen.«

»Ein Mädchen?« Ich schielte nach den Stiefeln und fragte scherzhalber: »Wenigstens hübsch?«

Die Stiefel traten erst ein Weilchen auf der Stelle und dann zur Seite, als wollten sie fortgehen. Schnell kroch ich unter dem Wagen hervor. Tatsächlich, es war ein schlankes Mädchen mit streng zusammengezogenen Brauen, einem roten Kopftuch und einem lose um die Schultern hängenden, viel zu großen Jackett, das anscheinend von ihrem Vater stammte. Wortlos sah sie mich an. Ich vergaß, dass ich völlig verdreckt auf der Erde hockte.

»Wirklich hübsch«, sagte ich lächelnd. Sie war tatsächlich hübsch. »Nur Pumps fehlen noch«, scherzte ich und erhob mich.

Das Mädchen drehte sich brüsk um und ging, ohne sich umzusehen, rasch davon.

Nanu? War sie beleidigt? Ich erschrak. Ich wollte ihr schon nachlaufen, besann mich aber, sammelte schnell mein Werkzeug zusammen, kletterte ins Fahrerhaus und gab Gas. Ich versuchte, den Wagen durch Vor- und Zurückstoßen freizubekommen, beseelt von dem einen Gedanken, das Mädchen einzuholen. Der Motor heulte auf, der Wagen erbebte, rutschte nach links und rechts weg, kam aber keinen Schritt vorwärts. Das Mädchen entfernte sich immer mehr. Ich brüllte den Dreck unter den festsitzenden Rädern an: »Lass los! Lass los, sag ich! Hörst du?«

Dann gab ich erneut Gas, ächzend kroch der Wagen zentimeterweise vorwärts und rollte plötzlich, wie durch ein Wunder, aus der verschlammten Stelle heraus. War ich glücklich! Ich raste den Weg entlang, wischte mir mit dem Taschentuch den Dreck vom Gesicht und strich mir das Haar glatt. Als ich das Mädchen eingeholt hatte, stoppte ich und stieß, weiß der Teufel, woher ich das überhaupt hatte, elegant den Schlag auf: »Bitte sehr!«

Dazu machte ich eine einladende Geste.

Das Mädchen ging ruhig weiter, ohne stehen zu bleiben. Mein Schneid war wie weggeblasen. Ich holte sie erneut ein. Diesmal entschuldigte ich mich zuerst und sagte dann: »Bitte, seien Sie mir nicht böse. Ich wollte doch nur … Steigen Sie ein!«

Aber das Mädchen gab keine Antwort.

Da überholte ich sie und stellte den Wagen quer über den Weg. Ich sprang heraus, lief um den Wagen herum, öffnete den Schlag und blieb, die Hand am Griff, stehen. Zögernd kam sie näher und sah mich an, als wollte sie sagen: Was willst du nur von mir! Ich wartete schweigend. Ob aus Mitleid oder weshalb auch immer, jedenfalls nickte sie und stieg, ohne ein Wort zu sagen, ein.

Wir fuhren los.

Ich zerbrach mir den Kopf, wie ich ein Gespräch anknüpfen könnte. Im Umgang mit Mädchen war ich nicht unerfahren, aber diesmal verließ mich der Mut. Warum nur? Beim Lenken blickte ich manchmal verstohlen zu ihr hinüber. An ihrem Hals ringelte sich seidenweiches schwarzes Haar. Das Jackett war ihr von der Schulter gerutscht, sie hielt es mit dem Ellbogen fest und war in die äußerste Ecke gerückt, um mich nicht zu berühren. Aus dem offenen Gesicht blickten ein Paar ernste Augen. Dabei hatte sie etwas sehr Sanftes an sich, und es schien ihr große Mühe zu bereiten, die Stirn in Falten zu legen. Als sie dann ebenfalls zu mir herüberlinste, trafen sich unsere Blicke. Sie lächelte. Ermutigt begann ich: »Warum sind Sie eigentlich stehen geblieben, als ich mit dem Wagen festsaß?«

»Helfen wollte ich Ihnen«, antwortete sie.

»Helfen?« Ich lachte. »Sie haben mir tatsächlich geholfen! Wenn Sie nicht gewesen wären, hätte ich dort bis zum Abend festgesessen. Gehen Sie immer diesen Weg?«

»Ja. Ich arbeite auf der Milchfarm.«

»Das ist schön«, sagte ich erfreut, verbesserte mich aber sofort: »Das ist ein schöner Weg.« In dem Moment haute der Wagen derartig in ein Schlagloch, dass wir mit den Schultern zusammenstießen. Ich wurde rot und wusste nicht, wohin mit den Augen. Aber sie lachte nur und steckte mich mit ihrem Lachen an.

»Und ich Esel wollte nicht in den Kolchos fahren«, gestand ich, noch immer lachend. »Wenn ich gewusst hätte, dass so eine Helferin unterwegs auf mich wartet, hätte ich mich nicht mit der Fahrdienstleiterin gezankt. Ach, Iljas, Iljas … So heiße ich nämlich«, fügte ich hinzu.

»Und ich heiße Asselj.«

Wir näherten uns dem Ail. Der Weg wurde besser. Der Fahrwind drückte gegen die Scheiben, riss Asselj das Tuch vom Kopf und zauste ihr Haar. Wir schwiegen und fühlten uns wohl. Zum ersten Mal erlebte ich das: Mir war leicht und froh ums Herz, nur weil neben mir ein Mensch saß, den ich vor einer Stunde noch nicht gekannt hatte und der jetzt all mein Denken beschäftigte. Ich weiß nicht, was in Asselj vorging, aber ihre Augen lächelten. Wäre doch dieser Weg nie zu Ende, damit wir uns nie trennen müssten. Doch der Wagen fuhr bereits durch den Ail. Plötzlich rief Asselj erschrocken: »Halten Sie an, ich muss aussteigen!«

Ich stoppte.

»Wohnen Sie hier?«

»Nein.« Sie sagte es mit einer mir unverständlichen Erregung. »Aber ich steige lieber hier aus.«

»Warum denn? Ich bringe Sie direkt nach Haus!« Ehe sie widersprechen konnte, fuhr ich weiter.

»Bitte halten Sie hier!«, flehte Asselj. »Danke schön.«

»Gern geschehen«, murmelte ich und fügte, mehr im Ernst als im Scherz, hinzu: »Und wenn ich morgen wieder dort stecken bleibe, helfen Sie mir dann wieder?«

Sie kam nicht mehr dazu, mir zu antworten. Die Gartenpforte öffnete sich, und eine ältere Frau kam erregt auf die Straße gelaufen.

»Asselj!«, rief sie laut und fuhr leise fort: »Wo steckst du denn bloß, Gott soll dich strafen! Geh, zieh dich rasch um. Die Brautwerber sind da!«

Bei diesen Worten wurde Asselj verlegen, das Jackett glitt ihr von der Schulter, sie zog es zurecht und ging folgsam hinter der Mutter her. Ehe die Pforte ins Schloss fiel, drehte sie sich noch einmal nach mir um. Erst jetzt bemerkte ich die gesattelten, schweißbedeckten Pferde, die auf der Straße angepflockt standen. Offenbar kamen sie von weit her. Ich erhob mich ein wenig von meinem Sitz und spähte über den Dubal. Auf dem Hof hantierten Frauen an einem offenen Herd. Von einem großen Kupfersamowar stieg Dampf auf. Zwei Männer weideten unter dem Wetterdach einen Hammel aus. Ja, hier wurden die Brautwerber empfangen, wie es sich gehörte. Mir blieb nichts übrig, als mit meiner Ladung weiterzufahren.

Gegen Abend kehrte ich in den Wagenpark zurück. Ich wusch den Wagen und fuhr ihn in die Garage. Dabei beeilte ich mich nicht und fand immer noch etwas zu tun. Ich begriff nicht, warum mir die heutige Begegnung so zu Herzen gegangen war. Den ganzen Weg hatte ich mich über mich selbst geärgert: Was willst du eigentlich? Was bist du doch für ein Esel! Was bedeutet dir dieses Mädchen schon? Schließlich ist sie weder deine Braut noch deine Schwester. Hast sie zufällig unterwegs getroffen, nach Hause gebracht, und schon ein Getue, als ob sie dir ihre Liebe erklärt hätte. Vielleicht denkt sie nicht mal an dich. Sicher will sie gar nichts von dir wissen. Sie hat einen Bräutigam. Und wer bist du für sie? Ein Fahrer von der Landstraße, wie es sie massenweise gibt. Wenn man mit jedem von denen Bekanntschaft schließen wollte … Was hast du überhaupt für ein Recht, dich da einzumischen? Er schickt seine Brautwerber und wird sie heiraten. Pfeif drauf. Fahr deinen Wagen, und lass sie in Ruh. Doch das Schlimme war, dass ich mich nicht mit dem Gegebenen abzufinden vermochte. Ich konnte Asselj nicht vergessen.

Am Wagen gab es nun wirklich nichts mehr zu tun. Ich hätte ins Ledigenheim gehen können, dort war es immer laut und lustig. Auch eine Rote Ecke gabs. Aber ich wollte allein sein. So machte ich es mir auf dem Kotflügel bequem und verschränkte die Hände unter dem Kopf. Nebenan hantierte Dshantai an seinem Wagen. Er streckte den Kopf aus der Grube und fragte grinsend: »Wovon träumst du, Dshigit?«

»Von Geld«, antwortete ich wütend.

Ich mochte ihn nicht. Er war ein Geizkragen, durchtrieben und neidisch, er wohnte auch nicht im Ledigenheim, wie die anderen, sondern hatte sich ein Zimmer gemietet. Es hieß, er hätte seiner Wirtin die Ehe versprochen, damit würde er zu einem eigenen Haus kommen.

Ich wandte mich ab. Auf dem Hof lärmten unsere Jungen. Einer war mit dem Feuerwehrschlauch auf das Fahrerhaus eines Wagens geklettert und bespritzte die Fahrer, die anstanden, um ihre Wagen zu waschen. Schallendes Gelächter dröhnte über den Hof. Der dicke Wasserstrahl konnte einen Menschen beinahe umwerfen. Einige wollten den Burschen vom Fahrerhaus zerren, aber er war nicht so leicht herunterzukriegen, schoss er doch den Wasserstrahl wie aus einer MP gegen die Anstürmenden, sodass ihnen die Mützen vom Kopf flogen. Plötzlich richtete sich der Strahl nach oben, krümmte sich in der Sonne und schillerte in allen Regenbogenfarben. Dicht daneben stand Kaditscha, unsere Fahrdienstleiterin, ein selbstbewusstes Mädchen, an das nicht so leicht heranzukommen war. Auch jetzt stand sie ruhig und furchtlos da. Mir tust du sowieso nichts, dazu hast du gar nicht den Mumm!, sagte ihre Pose. Einen Fuß vorgesetzt, hielt sie eine Haarnadel zwischen den Zähnen und steckte sich das Haar auf. Vereinzelte silberne Wasserperlen tropften ihr auf den Kopf.

Die Jungen lachten und stachelten den Burschen auf dem Fahrerhaus an.

»Spritz ihr mal das Verdeck ab.«

»Los doch!«

»Vorsicht, Kaditscha!«

Doch der Bursche wagte es nicht, er richtete den Wasserstrahl nur auf ihre Umgebung. Ich an seiner Stelle hätte sie von oben bis unten bespritzt, mir hätte sie es sicher nicht verübelt, höchstens gelacht hätte sie. Längst hatte ich bemerkt, dass sie mich anders behandelte als die Übrigen, sie war mir gegenüber nachgiebiger und manchmal auch ein wenig launisch. Sie hatte es gern, wenn ich mit ihr flirtete und ihr dabei übers Haar strich. Mir gefiel, dass sie zuerst immer mit mir stritt und schimpfte, dann aber rasch nachgab, auch wenn ich unrecht hatte. Manchmal lud ich sie ins Kino ein und brachte sie nach Hause, ihre Wohnung lag auf meinem Weg ins Ledigenheim. Ich ging auch zu ihr hinein in die Fahrdienstleitung, während die anderen nur am Fenster mit ihr verhandeln durften.

Aber heute hatte ich andere Sorgen. Mochten sie ihre Späße treiben.

Kaditscha steckte die letzte Haarnadel fest.

»Na, genug jetzt!«, ordnete sie an.

»Zu Befehl, Genossin Fahrdienstleiterin!« Der Bursche auf dem Fahrerhaus legte die Hand an den Mützenschirm und stand stramm. Johlend zogen die Jungen ihn herunter.

Kaditscha kam in die Garage und blieb vor Dshantais Wagen stehen, als suche sie jemand. Mich entdeckte sie nicht gleich wegen der Zwischenwände, die die Garage in Boxen teilten. Dshantai sah aus der Grube und sagte schmeichlerisch: »Guten Tag, meine Schöne!«

»Ah, Dshantai.«

Lüstern betrachtete er ihre Beine. Sie machte eine unwillige Bewegung.

»Na, was starrst du so?« Dabei stieß sie ihn leicht mit der Schuhspitze vors Kinn.

Ein anderer hätte das sicher übel genommen. Dshantai dagegen strahlte, als hätte er einen Kuss bekommen, und tauchte wieder in der Grube unter.

Da erblickte Kaditscha meine Wenigkeit.

»Liegt sichs gut, Iljas?«

»Wie im Federbett.«

Sie legte den Kopf an die Zwischenwand, sah mich unverwandt an und sagte leise: »Komm in die Fahrdienstleitung.«

»Gut.«

Kaditscha entfernte sich. Ich stand auf und wollte schon gehen, als Dshantai erneut den Kopf aus der Grube steckte. »Ein Prachtweib.« Er zwinkerte mir zu.

»Bloß nicht für dich«, schnitt ich ihm jede weitere Bemerkung ab. Ich dachte, er würde wütend werden und mit den Fäusten auf mich losgehen. Ich war sonst kein Liebhaber von Schlägereien, aber mit Dshantai hätte ich mich gerauft. Mir war so schwer ums Herz, dass ich einfach nicht wusste, was ich mit mir anfangen sollte. Dshantai war jedoch nicht im Mindesten gekränkt.

»Abwarten und Tee trinken«, brummte er.

Die Fahrdienstleitung war leer. Nanu? Wo mochte Kaditscha stecken? Als ich mich umwandte, stieß ich mit ihr zusammen. Sie stand an die Tür gelehnt, den Kopf in den Nacken geworfen. Die Augen glänzten unter den Wimpern, heißer Atem versengte mein Gesicht. Ich konnte mich nicht beherrschen, streckte die Hand nach ihr aus, zog sie aber sogleich wieder zurück. Sonderbarerweise schien mir, dass ich Asselj betrog.

»Warum hast du mich gerufen?«, fragte ich missmutig.

Wieder blickte Kaditscha mich unverwandt an.

»Na?« Ich wurde ungeduldig.

»Bist ja nicht gerade sehr freundlich«, sagte sie verletzt. »Oder hat es dir ein Mädchen angetan?«

Ich war sprachlos. Warum machte sie mir Vorwürfe? Und woher wusste sie überhaupt etwas davon?

Da öffnete sich das Fenster, im Rahmen erschien der Kopf Dshantais.

»Bitte sehr, Genossin Fahrdienstleiterin«, sagte er spöttisch und hielt Kaditscha ein Papier hin.

Sie warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. Dann fuhr sie mich wütend an: »Du wartest wohl auf eine Sondereinladung, ehe du deinen Fahrbefehl abholst?«

Sie schob mich beiseite und trat rasch zum Tisch.

»Nimm!« Damit reichte sie mir den Fahrbefehl.

Ich nahm ihn. In denselben Kolchos sollte ich fahren. Mir stockte das Herz: dorthin fahren in dem Bewusstsein, dass Asselj … Und überhaupt, warum schickte man gerade mich öfter als alle anderen in die Kolchose?

Ich explodierte.

»Wieder in den Kolchos! Wieder nur Mist und Ziegel karren! Kommt nicht infrage!« Mit diesen Worten knallte ich den Fahrbefehl auf den Tisch. »Ich hab die Nase voll. Hab mich genug im Dreck gesielt. Sollen die andern auch mal das Vergnügen genießen.«

»Schrei nicht so! Du bist für eine Woche abkommandiert, und wenn es sich als notwendig erweisen sollte, wird die Frist verlängert«, herrschte mich Kaditscha an.

Da sagte ich ganz ruhig: »Ich fahre nicht!«

»Na schön. Ich will bei der Leitung ein Wort für dich einlegen.« Sie nahm den Fahrbefehl vom Tisch.

Nun fahre ich also nicht, gings mir durch den Sinn. Und Asselj werde ich nie mehr wiedersehen. Mir wurde noch elender zumute. Ich fühlte, dass ich es zeitlebens bereuen würde. Komme, was da wolle – ich musste hin!

»Na, gib schon her.« Ich riss Kaditscha den Fahrbefehl aus der Hand.

Dshantai feixte durchs Fenster: »Grüß meine Großmutter!«

Obwohl er dafür eins in die Fresse verdient hätte, knallte ich wortlos die Tür zu und ging hinüber ins Ledigenheim.

Anderntags guckte ich mir die Augen aus dem Kopf. Wo mochte sie sein? Ob ihr Figürchen, schlank wie eine Pappel, irgendwo am Weg auftauchen würde? Du meine Pappel im roten Kopftuch! Meine Steppenpappel! Mochte sie auch Gummistiefel und das Jackett ihres Vaters anhaben, ich hatte gesehen, was für ein Mädchen sie war!

Asselj hatte mein Herz gerührt und meine Seele in Aufruhr versetzt.