Dunbridge Academy - Anytime - Sarah Sprinz - E-Book

Dunbridge Academy - Anytime E-Book

Sarah Sprinz

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Beschreibung

Jedes Mal, wenn ich ihn ansehe, weiß ich es. Ich bin angekommen

Eine einzige Nacht genügt, und Olive Hendersons Leben liegt in Scherben. Nach einem verheerenden Brand im Internat zwingen ihre schweren Verletzungen sie, das Schuljahr zu wiederholen - ganz ohne ihre Freund:innen, die gemeinsam in die Abschlussklasse starten. Ebenfalls neu in ihrer Stufe und fest entschlossen, alles an der DUNBRIDGE ACADEMY zu hassen: Colin Fantino. Der New Yorker wäre überall lieber als in seinem schottischen Exil. Doch Olive blickt hinter seine Fassade und fühlt sich mit jedem Riss in Colins harter Schale mehr zu ihm hingezogen. Bis sie den wahren Grund für seinen Schulwechsel erfährt ...

Dieses Buch gibt es in zwei Versionen: mit und ohne Farbschnitt. Wenn die Auflage mit Farbschnitt bei dem Anbieter ausverkauft ist, können leider nur noch reguläre Exemplare ausgeliefert werden.

Band 3 der DUNBRIDGE-ACADEMY-Reihe von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Sarah Sprinz

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Seitenzahl: 593

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Sammlungen



INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

Playlist

Irgendwann

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

Fünf Monate später

Danke

Die Autorin

Die Romane von Sarah Sprinz bei LYX

Impressum

SARAH SPRINZ

Dunbridge Academy

ANYTIME

ROMAN

ZU DIESEM BUCH

Seit dieser einen Nacht im Sommer ist in Olive Hendersons Leben nichts mehr, wie es war. Wegen ihrer schweren Verletzungen durch das Feuer an der Dunbridge Academy startet sie erst mit Verspätung ins Schuljahr. Ihren Platz im Schwimmteam kann sie vergessen, ebenso das Einzige, was sie in den dunkelsten Stunden ihrer Genesung aufrecht gehalten hat: zusammen mit ihrer Clique den Abschluss zu machen. Denn ihre Eltern entscheiden über ihren Kopf hinweg, dass sie die elfte Klasse wiederholen muss. Doch sie ist nicht die einzige Neue mitten im Schuljahr. Gegen seinen Willen in die schottische Einsamkeit verbannt, um im Internat von vorne anzufangen: Colin Fantino. Der Sohn einer erfolgreichen Late-Night-Show-Talkerin aus New York ist fest entschlossen, alles am Internat zu hassen. Schon in seiner ersten Nacht läuft er Olive über den Weg und ist fasziniert von dem kratzbürstigen Mädchen mit den grünen Augen. Auch Olive kann die Anziehungskraft zwischen ihnen nicht leugnen, doch dann erfährt sie den wahren Grund, warum Colin New York verlassen musste …

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält Elemente, die triggern können.

Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Eure Sarah und euer LYX Verlag

Für alle, die sich fühlen, als stünden sie in Flammen.

Hell is empty and all the devils are here.

William Shakespeare

PLAYLIST

all for us – labrinth feat. zendaya

bang! – ajr

after dark – mr. kitty

sick boy – the chainsmokers

colors – halsey

two nights – javailin

the hills – the weekend

animals – maroon 5

war – brandeus feat. shiloh dynasty

she looks so perfect – 5 seconds of summer

pretty venom (interlude) – all time low

beside you – 5 seconds of summer

when I don’t have you – idarose

new americana – halsey

ever since new york – harry styles

mum – luke hemmings

the beach – the neighbourhood

you broke me first – tate mcrae

angel by the wings – sia

complete mess – 5 seconds of summer

home – one direction

to build a home – the cinematic orchestra & patrick watson

IRGENDWANN

COLIN

Die Flamme ist klein, aber sie frisst sich in meine Haut.

Hitze. Schmerz. Erleichterung. Nicht zurückweichen.

Verflucht noch mal.

Nicht.

Zurückweichen.

Ich schließe die Augen, lehne den Kopf gegen die kalten Fliesen hinter mir und ziehe das Feuerzeug nicht zurück.

Wenn du jetzt durch diese Tür gehst, Colin Fantino, brauchst du nicht wiederzukommen. Die Stimme meiner Mutter hallt in meinem Kopf.

Fickt euch. Fickt euch alle. Wirklich.

Es ist das verfluchte Homecoming, ich werde ganz sicher nicht wegen ein bisschen Party, die gestern Abend etwas aus dem Ruder gelaufen ist, zu Hause bleiben. Ich meine, Gott, ich bin siebzehn, dieses Alter ist dafür vorgesehen, Scheiße zu bauen, oder etwa nicht? Ich habe mir meinen Nachnamen nicht ausgesucht, und ich bin es leid, darauf Rücksicht zu nehmen, was mein Verhalten für den Scheißruf meiner Mutter bedeuten könnte.

Du wirst keine Zeit mehr mit diesen Leuten von der Stuyvesant verbringen. Sie haben keinen guten Einfluss auf dich.

Ich zucke kurz zurück, als die Flamme zu heiß wird.

Elendiger Versager. Lässt dir von deinen Eltern vorschreiben, was du zu tun und zu lassen hast.

Sollen sie mir doch drohen mit Internat in Europa und der Auflösung meiner Treuhandfonds. Es könnte mich nicht weniger interessieren.

Ich ziehe scharf die Luft ein, als der Schmerz unerträglich wird.

Verdammt, halt es aus. Komm schon, sei nicht so verflucht schwach. Spür besser das hier als dieses beschissene Selbstmitleid.

Ich kremple mein Hosenbein ein Stück weiter hoch, um an die Innenseite meines Knöchels zu gelangen. Diese Stelle ist riskant, weil man die schmalen streifenförmigen Verbrennungen hier besser sehen kann als an den Innenseiten der Oberschenkel. Aber dort habe ich schon vorgestern den ganzen Platz verbraucht. Dumm von mir, ich hätte mich auch zusammenreißen können, aber Mom war mal wieder so fucking unerträglich. Alles war unerträglich. Auf diesem Event neben ihr zu stehen und zu lächeln, so wie es sich für mich gehört. Die einzigen Gelegenheiten, zu denen Ava Fantino mehr als diese vernichtenden Blicke für mich übrig hat. Weil die ganze Welt dabei zusieht und sie den Schein wahren muss. Ich dachte immer, ich müsste mich nur mehr anstrengen, damit unser Verhältnis besser wird. In der Schule, zu Hause, mit Cleo, meiner jüngeren Schwester, die sie anders behandelt als mich, aber es wurde nicht besser. Ich bin nicht der Sohn, den Ava und Eric Fantino wollten, also habe ich jegliche Bemühungen aufgegeben, ihren Erwartungen zu entsprechen.

Ich zucke zusammen, als die Tür auffliegt und Stimmen zu hören sind.

Fuck.

Ich dachte, auf die abgelegene Toilette in der Sporthalle verirrt sich garantiert niemand, während drüben in der Aula der Homecoming-Ball auf seinen rauschenden Höhepunkt zusteuert. Anscheinend habe ich mich geirrt.

Ich springe auf, das Feuerzeug rutscht mir aus den Fingern und fällt lautstark zu Boden. Direkt neben ein paar Blätter Toilettenpapier, die auf den schmutzigen Fliesen in der Nähe des Papierkorbs kleben. Ich unterdrücke ein Fluchen, als sie Feuer fangen.

»Ich glaub, da ist schon jemand.«

Verdammte Scheiße. Ich hebe das Feuerzeug auf und trete mit dem Fuß die Flammen aus. Gerade rechtzeitig, bevor Trent Barlow mit seinen Freunden um die Ecke biegt. Natürlich sind sie hackedicht. Trents Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen, als er mich erkennt.

»Ey, Fantino«, sagt er. »Zisch ab.«

Am liebsten würde ich ihm den fetten Blunt aus dem Mundwinkel schlagen und seine Fresse anschließend mit meiner Faust bearbeiten. Ich bin niemand, den man einfach wegschickt, und erst recht niemand, dem man etwas befiehlt. Aber Trent Barlow will es einfach nicht lernen, und ich hätte nicht wenig Lust, ihm heute eine Lektion zu erteilen. Doch da ist tatsächlich noch ein Funke Verstand in mir, der mir sagt, ich solle besser verschwinden, bevor Trent auf die Idee kommt, mich zu fragen, was ich hier getrieben habe. Das angekokelte Toilettenpapier schiebe ich mit einem Fuß unter das Waschbecken und bete, dass sie den Brandgeruch nicht bemerken.

»Fick dich«, sage ich gelangweilt, während ich an Trent vorbeigehe. Im Spiegel sehe ich, wie sie sich Blicke zuwerfen, bevor Trent sich an die geflieste Wand lehnt. Er zieht die Augenbrauen leicht zusammen, als er seine Hosentaschen abklopft.

»Shit, hast du Feuer?« Er hebt den Kopf, und mir wird kalt. So als wäre es verboten, ein Feuerzeug mit sich herumzutragen. Gott, entspann dich, Fantino. Du hast dir nichts vorzuwerfen.

»Nein«, sage ich dennoch.

»Komm schon, man riecht, was du hier gerade gemacht hast.« Trent mustert mich spöttisch.

Gut, er hat es offensichtlich gemerkt, also ist es das kleinere Übel, nun so zu tun, als hätte ich ebenfalls hier drin geraucht. Ich greife in meine Jackentasche und spüre das erwärmte Metall des Feuerzeugs. Trent nickt knapp, nachdem ich ihm Feuer gegeben habe, und nimmt einen ersten Zug.

»Und richte deiner Drecksmutter aus, dass ich sie richtig ficke, wenn sie noch ein schlechtes Wort über Nadia sagt.«

Ich erstarre. Es kommt selten vor, dass ich Ava Fantino verteidige, aber Streit hin oder her, niemand redet so über meine Familie. Niemand. Auch wenn ich das Slutshaming, das meine Mutter in ihrer Show über Nadia Barlow und ihre Influencer-Freundinnen betrieben hat, die sich einen New Yorker Promi-Junggesellen nach dem anderen krallen, aufs Schärfste verurteile. Es war zwecklos, mit Mom darüber zu diskutieren, die auch nach dem Shitstorm auf Social Media, den ihre Bemerkungen nach sich gezogen haben, weder das Mindestmaß an Reue noch Verständnis zeigte, das medientrainierte Menschen eigentlich besitzen sollten. Aber nicht meine Mutter. Sie ist Ava Fantino, sie ist die Königin des Unterhaltungsfernsehens, und sie kann sich alles erlauben, privat wie vor der Kamera ihres legendären Studios. Die Leute dort draußen schalten ein, weil sie die Welt für einen Augenblick vergessen und etwas zu lachen haben möchten, Colin, nicht um sich von mir einen Vortrag über politische Korrektheit anzuhören. Mag sein, aber wenn Ava Fantino so weitermacht, muss sie verflucht noch mal vorsichtig sein, um nicht in absehbarer Zeit von unserer verweichlichten Generation gecancelt zu werden.

Ich gehe einen Schritt auf ihn zu, und ich hasse mich dafür, dass ich trotz allem das Gefühl habe, die Ehre meiner Familie vor ihm verteidigen zu müssen. »Soll das wirklich eine Drohung sein, Alter?«

»Ich weiß nicht«, sagt er und bläst mir den Rauch ins Gesicht. Ich balle die Faust um mein Feuerzeug und muss mich abhalten, ihm eine reinzuhauen. »Soll es?«

»Verlier noch ein einziges schlechtes Wort über meine Familie, und du wirst es bereuen.«

»Das kannst du deiner Mutter auch von mir ausrichten«, zischt Trent.

»Ich kann nichts dafür, dass deine Schwester es mit jedem macht.« Wow. Großartig, Colin. Ich bin also kein bisschen besser als meine Mutter. Die Widersprüchlichkeit meiner Überzeugungen, Worte und Taten macht mich krank. So gehe ich durchs Leben. Und dann wundere ich mich, wenn es mir in die Eier tritt, aber ich habe es nie anders gelernt. Ich zucke nicht einmal, als Trent einen einschüchternden Schritt auf mich zu macht. »Aber du weißt ja, dass alles, was sie in ihrer Show sagt, nicht ernst zu nehmen ist«, füge ich hinzu. Seine nutzlosen Freunde halten ihn zurück, als er sich auf mich stürzen will wie der Neandertaler, der er nun einmal ist. Ich hebe die Hand an den Kopf und salutiere ihm zu. »Genieß die Party, Trent.«

»Alter, er ist es nicht wert«, höre ich, während ich aus der Toilette in den Flur gehe, und stimme seinen Freunden zu. Ich bin nichts wert, nichts, das muss man mir nicht sagen. Ich habe es bereits verinnerlicht. Mein Puls rast, weil ich so wütend bin. Und weil sie mich fast erwischt hätten, während ich mich selbst verletzt habe. Scheiße, ich muss vorsichtiger sein. Keine unüberlegten Feuerzeug-Aktionen mehr an öffentlichen Orten. In letzter Zeit bin ich nachlässig geworden. Kommt vermutlich davon, dass ich es inzwischen fast täglich mache. Immer dann, wenn der elendige Druck zu viel wird. Und in letzter Zeit ist das ständig so. Aber wenn meine Mutter davon Wind bekommt, liege ich schneller auf der Couch irgendeiner Therapeutin, als mir lieb ist, und dazu habe ich bei Gott keine Nerven, denn alles, was sie mir erzählen wird, ist, dass ich damit aufhören muss. So als wäre ich mir dieser Tatsache nicht bereits selbst bewusst.

Meine Schritte hallen im dunklen Flur. Auf dem Weg nach draußen passiere ich herummachende Paare und rauchende Grüppchen. Alles ist wie immer an der großartigen New Yorker Trinity Privatschule. Eltern blättern ein Vermögen dafür hin, dass ihre Kinder hier genauso fertiggemacht werden wie in jeder öffentlichen Highschool dieses Landes. Das Einzige, was meinen Schulalltag von dem meiner Freunde an der Stuyvesant unterscheidet, ist die geringere Klassengröße, der ganze restliche Bullshit ist identisch. Es ist, wie es ist, man bleibt ein Rädchen im System, und wenn man nicht funktioniert, wird es unangenehm.

Niemand beachtet mich, während ich über den Hof laufe. Bis ich Lexie aus meinem Spanischkurs begegne, die mich in ein Gespräch mit ihren Leuten verwickelt. Nachdem sie dreimal meinen Mund angeschaut und sich auf die Lippe gebissen hat, weiß ich, dass sie mit mir nach Hause will. Aber ich habe heute keine Nerven. Außerdem hoffe ich, dass Pax sich endlich meldet und Maresa mitbringt. Es gefällt mir nicht, dass ich an sie denke. Genauso wenig, wie es mir gefällt, dass aus dieser einmaligen Sache mit ihr eine dreimalige Sache wurde und ich ununterbrochen über Nummer vier fantasiere. Und darüber, ob vielleicht sogar mehr daraus entstehen könnte. Scheiße, ich bin so dermaßen am Arsch. Und ich bin es leid, immer derjenige zu sein, der zuerst Gefühle entwickelt. Dass das mit meiner verkorksten Kindheit zusammenhängt, kann ich auch sagen, ohne von einer Psychotherapeutin analysiert worden zu sein. Also verbiete ich sie mir. Die Gefühle. Außerdem haben wir das geklärt, Maresa und ich. Keine Verpflichtungen, nur ein bisschen Spaß. Wir handhaben das wie erwachsene Menschen. Mein Handy vibriert.

P: Bist du immer noch auf deiner lahmen Party? Können wir dich endlich abholen?

Ich schaue mich um. Mitschülerinnen und Mitschüler stehen herum, unterhalten sich, lachen. Seien wir ehrlich, was habe ich hier noch zu suchen?

Ich zögere nur einen kurzen Augenblick, bevor ich zu tippen beginne.

»Willst du noch woandershin?«, fragt Lexie mit diesem nervtötenden Singsang in ihrer Zuckerwattestimme.

»Kann sein«, murmele ich, ohne sie anzusehen.

»Nimmst du mich mit?«

Ihr Ernst? Ich darf eigentlich nichts sagen, aber wie kann man dermaßen verzweifelt sein? Zum Glück brauche ich ihr keine Antwort zu geben, weil die Stimmen um uns herum lauter werden. Oder auch nicht zum Glück. Denn jetzt sehe ich es.

Die Flammen und der Rauch, die in den Nachthimmel steigen.

»Wo kommt das her?«, ruft jemand.

Mir wird eiskalt.

Scheiße.

Das brennende Toilettenpapier, ich kann nur daran denken. War es sicher aus? Ich hätte noch mal hinschauen sollen, bevor ich gegangen bin. Der Papierkorb stand direkt daneben. Und er war voll. Fuck.

Die anderen starren wie paralysiert auf das Gebäude, ich drehe mich weg. Meine Beine bewegen sich automatisch, meine Hände ebenfalls. Ich wähle eine Nummer, die ich noch nie zuvor gewählt habe. Es dauert nur Sekunden, bis am anderen Ende der Leitung abgehoben wird.

»911, was ist Ihr Notfall?«

Atmen.

Scheiße. Scheiße …

»Es brennt«, presse ich hervor. »In der einundneunzigsten Straße West, Ecke Columbus. Die Trinity Schule ist das, glaube ich.«

»Verstehe«, sagt der Mann. Er bleibt ruhig, bestimmt lernen sie das in speziellen Seminaren. Ich bleibe nicht ruhig. Es kommt mir vor, als würde die Welt aufhören, sich zu drehen. »Die Einsatzkräfte sind auf dem Weg. Bitte bleiben Sie in der Leitung, und halten Sie Abstand zum Gebäude. Können Sie erkennen, ob Menschen verletzt sind?«

Mein Herz schlägt wild gegen meine Rippen, in meinen Ohren knackt es, während ich mich umdrehe. Schatten, Silhouetten in langen Ballkleidern und gut sitzenden Anzügen. Schülerinnen und Schüler, die etwas feiern wollten. »Nein, ich … Ich weiß es nicht.«

»Wie ist Ihr Name, Sir?«

Himmel … Sag es ihm. Du kannst das nicht leugnen. Tu einfach das Richtige. Tu ein einziges Mal das Richtige.

»Sir? Sind Sie noch …?«

Panik schlägt über mir zusammen wie eine Welle eiskaltes Wasser.

Ich lege auf, ich gehe drei Schritte rückwärts. Ich drehe mich um, und dann beginne ich zu rennen.

1. KAPITEL

OLIVE

»Mach langsam, Liebling.«

Ich schlucke die bissige Antwort, die mir auf der Zunge liegt, hinunter und zwinge mich, tief durchzuatmen. Den scharfen Schmerz zu ignorieren, der mir durch die rechte Schulter zuckt, kostet mich all meine Selbstbeherrschung. Er treibt mir Tränen in die Augen, denn ich habe die letzte Schmerztablette unglücklicherweise erst vor ein paar Minuten genommen. Sie braucht eine Weile, bis sie wirkt, und wie hätte ich ahnen können, dass Mum und Dad so plötzlich in meinem Zimmer stehen würden, um mich aus dem Krankenhaus abzuholen? Ich habe Wochen hier verbracht, die mir wie eine Unendlichkeit vorkommen, und nun geht alles doch viel zu schnell.

»Lass mich das nehmen«, sagt Mum und greift nach meiner Tasche. Es sind ein paar Kleidungsstücke, Kosmetikartikel, Bücher und Kissen, der Großteil neu gekauft, weil ich den Rauchgeruch nicht ertragen habe, der sich in den Sachen festgesetzt hat, die aus meinem Zimmer gerettet werden konnten, nachdem es im Juli in der Dunbridge Academy gebrannt hat. Die Flammen haben den Mädchenschlaftrakt im dritten Stock des Westflügels nicht erreicht, aber es hat genügt, dass sie im Treppenhaus gewütet und den unteren Teil des Gebäudes fast vollständig zerstört haben. Das Ausmaß des Schadens wurde erst in den Tagen nach dem Feuer deutlich. Als Sachverständige der Polizei und der Versicherung durch die verkohlten Überreste und herabgestürzten Deckenbalken gestiegen sind – und ich auf der Intensivstation lag. Es ist nicht so, als wüsste ich davon noch etwas. Wie auch, intubiert und beatmet, fast zwei Wochen lang, weil mich die Schmerzen aufgrund der Verbrennungen im wachen Zustand um den Verstand gebracht hätten. Sie waren auch unerträglich, als ich irgendwann aufgeweckt wurde. Sie sind es jetzt noch, besonders rund um meine rechte Schulter, die mit einem Hauttransplantat von meinem Oberschenkel gedeckt werden musste, da die Wunde ansonsten nicht geheilt wäre. Spalthaut, Meshgraft, autologe Hauttransplantation, Begriffe wie diese sind mir inzwischen geläufig, denn das ist jetzt mein Leben. Und ich hasse es.

»Ich helfe dir, Liebes«, sagt Dad sofort, als wir draußen sind und ich die Hand nach der Hintertür seines Wagens ausstrecke. Er öffnet sie für mich, als hätte ich nicht Wochen in Reha verbracht, um jede lächerliche Bewegung neu zu lernen und immer wieder an den einfachsten Aufgaben zu scheitern. Länger stehen. Ein T-Shirt anziehen. Mir einen verdammten Pferdeschwanz binden, so wie früher, während ich vom Internat zur Schwimmhalle gelaufen bin, aber das muss ich jetzt ja auch nicht mehr, denn trainieren werde ich so schnell nicht wieder. Das ist kein Selbstmitleid oder überdramatisch. Das haben die Ärzte selbst gesagt, mehrfach sogar, als ich es nicht glauben wollte, und ja, sie sind genauso unsensibel, wie man sich erzählt. Dad ist vielleicht die Ausnahme.

Ich kann das selbst. Ich brauche deine Hilfe nicht. Es ist schwer, diese Sätze nicht zu ihm zu sagen. Mich stattdessen bei ihm zu bedanken, schaffe ich aber auch nicht, während ich auf die Rückbank rutsche. Ich weiche seinem Blick aus, er schließt die Tür nach einem kurzen Moment. Ich begegne ihm wieder über den Rückspiegel, in dem er nach mir schaut, sobald er auf der Fahrerseite neben Mum Platz genommen hat.

Meine Eltern haben meine Wut nicht verdient. Sie können nichts dafür, dass das passiert ist. Niemand kann das. Außer den Mistkerlen, die in dieser Julinacht im Verlies geraucht haben. Während der Ermittlungen hat die Polizei in den Überresten des Partykellers der Zwölftklässler einen Zigarettenstummel gefunden. Dutzende Leute sind dort gewesen, angeblich hat niemand etwas gesehen. Inzwischen ist der Fall abgeschlossen. Unfall statt Brandstiftung. Eine Tragödie, Pech, Glück im Unglück, dass niemand dabei gestorben ist. Nur meine Träume, aber ich sollte ja dankbar sein.

Du hattest enormes Glück. Wäre dieser brennende Balken nur ein bisschen anders aufgekommen, hätte er mich nicht nur an der Schulter getroffen, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit erschlagen. Und vielleicht wäre das besser, aber das laut auszusprechen hätte zur Folge, dass Mum und Dad mich postwendend zurück in die Klinik bringen würden. Also sitze ich nur stumm in unserem Wagen, gemeinsam mit meinen schweigenden Eltern, die sich scheiden lassen werden, es ist nur eine Frage der Zeit. Mum mit dem schlechten Gewissen und ihrer Affäre, mit der ich sie vor Monaten in Ebrington erwischt habe, Dad, noch immer ohne eine Ahnung. Ich möchte weinen, aber ich kann nicht. Ich bin hier, ich habe überlebt. Ich werde weiter überleben. Es ist wirklich nicht so verflucht schwer, wenn man sich einfach mal am Riemen reißt.

Komm schon, Olive. Sei kalt, werde deinem Ruf gerecht. Sei so wie früher, aber ich bin nicht mehr wie früher. Es ist jetzt alles anders.

Dann denk an deine Freunde. Denk daran, dass du sie morgen endlich wiedersehen wirst. Im Internat, nicht im Krankenhaus, wo sie vorbeikamen, sobald es mir gut genug ging. Ihre Besuche sind weniger geworden, als das neue Schuljahr begonnen hat, und ich habe dafür Verständnis. Sie sind nun in der Abschlussklasse. Ohne mich.

Gemeine Tränen. Ich blinzle.

»Alles okay, Liebling?«

»Ja.« Ich schlucke und lehne den Hinterkopf an den Sitz. Dad lenkt den Wagen Richtung Stockbridge, dem Viertel von Edinburgh, in dem wir wohnen. Ich spüre jeden einzelnen seiner Blicke, den er mir über den Rückspiegel zuwirft. Er glaubt mir nicht. Weil er mich kennt.

Nichts ist okay. Ich bin müde, regelrecht erschöpft, ich habe Schmerzen und so viel Wut in mir, dass ich schreien möchte. Der Zorn, er war schon vor dem Sommer da, nur aus anderen Gründen. Er ist es seit beinahe einem Jahr. Seit alles den Bach runtergeht und ich mich fühle, als würde ich die Kontrolle über mein Leben verlieren.

Warum ist mir das passiert? Warum musste ich diejenige sein, die in dieser beschissenen Julinacht früher zurück ins Internat gegangen ist? Warum habe ich auf die acht Stunden Schlaf vor dem Wettkampf am nächsten Tag nicht geschissen und den Abend mit meinen Freunden auf dem Sommerfest in Ebrington verbracht? Alles für die verdammte Schwimmqualifikation, an der ich nicht teilgenommen habe, weil ich intubiert und beatmet auf der Intensivstation lag.

Das war vor neun Wochen, und während der ersten Tage wusste keiner, ob ich überhaupt wieder aufwache. Weil nicht nur meine Lunge durch die Hitze des Feuers und den giftigen Ruß geschädigt wurde, sondern auch ein brennender Balken im Treppenhaus auf mich gestürzt ist, nachdem ich schon längst das Bewusstsein verloren hatte. Der beißende Rauch, mein rasendes Herz, während ich die Treppen des Westflügels hinabgerannt bin wie eine Wahnsinnige. Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, wo genau ich ohnmächtig geworden bin. Ich weiß nur noch, wie unfassbar laut die Flammen gelodert haben. Und wie schwarz es war. Schwarz, heiß, Panik, Panik, Panik. Und dann, gefühlt nur Sekunden später, weiß, Piepsen, Schmerzen. Krankenhaus. Immer noch Panik, Panik, Panik. Bis heute, diese verdammte Panik, als wäre mein Hirn nicht in der Lage, zu begreifen, dass ich jetzt in Sicherheit bin. Dass es schlimm war, aber dass ich anscheinend dazu gemacht bin, schlimme Dinge zu überleben. Was bleibt mir auch für eine Wahl?

Glück. Ich hatte Glück. Ich muss es mir wieder und wieder sagen. Was für ein überaus großes Glück, dass ich die Einzige bin, die beim Feuer so schwer verletzt wurde. Nicht dass ich es jemand anderem wünschen würde. Nicht einmal meinen schlimmsten Feinden, die ich nebenbei bemerkt nicht habe. Nicht einmal meiner Mutter und dem Mann, der gemeinsam mit ihr beschlossen hat, unsere Familie zu zerstören. Nicht einmal ihnen würde ich so etwas wünschen. Niemandem. Aber mir selbst nun einmal auch nicht.

Was man sich wünscht und was man bekommt, sind nur leider zwei verschiedene Dinge. In meinem Stockwerk waren alle entweder bereits für die Sommerferien abgereist oder noch auf dem Fest in Ebrington. Die Jüngeren im Erdgeschoss und im ersten Stock hatten einen deutlich kürzeren Weg, um den Flammen zu entkommen. Das Treppenhaus war leer, als ich nach unten gelaufen bin. Den Flammen entgegen, durch den Rauch, der schon so dicht war, dass ich selbst mit dem Stoff meines Pyjamas vor dem Mund nicht atmen konnte.

Ich zucke zusammen, als Dad scharf bremsen muss und ein Fluchen ausstößt. Der Sicherheitsgurt schneidet in meine Schulter, ich beiße vor Schmerz die Zähne zusammen und gebe keinen Laut von mir. Dad muss glauben, dass es mir gut geht. Ansonsten kann ich unsere Abmachung vergessen. Stundenlange Diskussionen und verzweifelte Tränen hat es gebraucht, bis er und Mum endlich zugestimmt haben, dass ich den Rest meiner Reha ambulant absolviere und ab kommender Woche wieder in den Unterricht gehe.

Es ist schlimm genug, dass Dad mich kaum ansehen kann. Er gibt sich Mühe, es mit Professionalität zu überspielen, aber ich habe es überdeutlich gemerkt, jedes Mal, wenn er bei mir war. Mein eigener Vater, der Arzt ist, erträgt es nicht, mich so zu sehen. Obwohl es seine Leidenschaft ist, kranken Menschen zu helfen. Sie endet offenbar bei seiner eigenen Tochter, und ich bin nicht so naiv, zu glauben, dass ich ihm nicht wichtig wäre. Im Gegenteil, und eben das ist das Problem. Mum und ich, wir sind alles für ihn. Mein Vater ist ein liebevoller Mann, und die Angst, mich zu verlieren, hat ihn fast zerstört. Ich weiß das. Mum weiß das.

Livy, Schatz, versprich es mir. Ihr durchdringender Blick, ihre Hände an meinen Armen, als sie mich in Ebrington eingeholt hat, damals, Monate vor dem Feuer, als ich noch nicht wusste, was wirkliche Probleme sind. Hektisches Umsehen, gedämpfte Stimme, während sie weitergesprochen hat. Versprich mir, dass du deinem Vater nichts erzählst.Es würde ihm das Herz brechen, Olive.

Wir nähern uns unserem Haus. Mum wirft mir einen Blick über die Schulter zu, ich schaue sofort weg. Der Anblick unserer Einfahrt und der Fassade des zweistöckigen Stadthauses aus dunklem Backstein macht es nicht besser. Ich war in den letzten Wochen so selten hier wie nie zuvor. Und das heißt etwas, denn ich bin auf einem Internat und komme wenn, dann sowieso nur am Wochenende her.

Ich fühle mich wie ein Eindringling in dieser Zweckgemeinschaft, die einmal mein Elternhaus war. Dad trägt meine Sachen, Mum ihren Blick, der schwer von Erwartungen ist. Du sagst ihm nichts, mein Schatz, nicht wahr? Ich sehe es in ihrem Gesicht. Jedes Mal seit diesem Nachmittag vor über einem Jahr. Aber damit kann ich mich jetzt nicht beschäftigen.

Ich trete über die Schwelle in den Windfang. Es riecht noch wie immer. Kaffee, altes Leder und diese Zitrusnote aus den Duftspendern, die Mum überall aufstellt. Ich stehe an der Treppe, um meine Schuhe auszuziehen, und fühle mich wie eine Versagerin, weil mir mein Kreislauf erklärt, dass er in den nächsten fünfundvierzig Sekunden abkacken wird, wenn ich mich nicht hinsetze. Ich, Olive Mary Henderson, schaffe es nicht mehr, mir im Stehen die Schuhe auszuziehen. Ich wusste nicht, dass man sich selbst so sehr verachten kann, aber es ist wirklich wahr.

Ich fühle mich, als würde ich neben mir stehen, als ich später mit Mum und Dad zu Abend esse. Appetit habe ich noch immer kaum, aber die Vernunft bringt mich dazu, meinen Teller Reis mit Gemüse aufzuessen. Ich werde niemals wieder meine ursprüngliche Form erreichen, wenn ich nicht ausreichend esse. Die Zeit auf der Intensivstation hat meine Reserven aufgefressen, von denen ich sowieso nicht allzu viele hatte. Die Muskeln vom Schwimmen und dem regelmäßigen Krafttraining – einfach verschwunden. Mein Körper ist ein Wackelpudding, und selbst die verfluchte Schale ist beschädigt. Es ist alles so ermüdend.

»Ist es in Ordnung, wenn ich schon in mein Zimmer gehe?«, frage ich nach dem Essen, weil die Müdigkeit plötzlich an mir zerrt. Mich darüber zu ärgern, dass ich am Abend bereits schlafen gehe, wenn Grundschulkinder noch Fernsehen schauen, habe ich längst aufgegeben. Ich muss mir Zeit geben, das ist es doch, was mir alle ständig sagen.

Ich stehe auf, Dad zögert. Eigentlich hätte ich es schon wissen müssen, als er Mum einen Blick zugeworfen hat. Ich setze mich wieder hin.

»Wir würden gerne noch etwas mit dir besprechen«, sagt er langsam.

Ich bewege mich nicht. »Okay«, bringe ich hervor, wobei es eher wie eine Frage klingt.

»Wir verstehen, dass du unbedingt zurück in den Unterricht möchtest, Olive.«

»Zurück in ein normales Leben«, korrigiere ich. Normalität. Alltag, fernab von trostlosen Krankenhauszimmern und diesen ständig gestressten Ärztinnen und Ärzten, die sich meine Schulter ansehen, fragen, ob ich Stuhlgang hatte, als wäre ich nicht eine siebzehnjährige Jugendliche, der bereits alles im Leben unendlich peinlich ist, und in den nächsten Raum hetzen, ohne mir noch einmal ins Gesicht zu sehen.

»Das wissen wir, Liebling«, sagt Mum und schaut kurz zu Dad. »Und das möchten wir dir auch ermöglichen.«

»Letzte Woche hatten wir ein Gespräch mit Rektorin Sinclair«, fährt er fort. Moment. Warum weiß ich nichts davon? »Sie freut sich, dass du bereits zurückkommen möchtest, aber sie ist auch sehr besorgt um dich und deine Gesundheit. So wie wir alle.«

Ich nicke beherrscht. »Aber du bist ja da, um ein Auge auf mich zu haben«, sage ich. Zumindest an zwei Vormittagen die Woche. Und wenn Dad nicht als Schularzt der Dunbridge Academy zur Sprechstunde vor Ort sein sollte, ist die Krankenstation des Internats mit Schwester Petra besetzt. Es ist quasi wie in der Klinik. Ich brauche keine Rund-um-die-Uhr-Betreuung, ich brauche einen Hoffnungsschimmer.

»Das bin ich«, bestätigt er ernst. Er faltet die Hände vor dem Mund. »Olive, deine Mutter und ich haben gemeinsam mit Rektorin Sinclair entschieden, dass es besser für dich sein wird, wenn du die elfte Klasse wiederholst.«

»Was?« Ich lache, ich lache wirklich. Dann friert mein Gesicht ein. Mum und Dad sehen mich schweigend an. »Das … das meint ihr nicht ernst.«

»Wir halten es für die sinnvollste Lösung, um dich nicht …«

»Wie, elfte Klasse?«, falle ich Mum ins Wort. »Ich habe doch alle Prüfungen bestanden!« Das ist die Wahrheit, auch wenn mir bewusst ist, dass es letzten Sommer kaum knapper für mich hätte sein können.

»Die Lehrer haben beide Augen zugedrückt, Olive. Es ist kein Geheimnis, dass deine Leistungen eigentlich nicht ausreichend für die Versetzung waren.«

»Rektorin Sinclair hat gesagt, dass ich in die Zwölf kann. Sie hat das gesagt!« Mein Herz beginnt zu rasen, meine Stimme wird lauter, als ich verstehe, dass Mum und Dad gerade nicht mit mir diskutieren. Sie setzen mich in Kenntnis über eine Entscheidung, die sie für mich getroffen haben, so als hätte ich sie darum gebeten.

»Das wissen wir, Olive«, sagt Dad ruhig. »Und wir haben uns diese Entscheidung wirklich nicht leicht gemacht. Aber das neue Schuljahr hat bereits begonnen, du musst vom Sport-leistungskurs zu Spanisch wechseln und hast viel Stoff nachzuholen. Die zwölfte Klasse ist anspruchsvoll, wir möchten nicht, dass du diesem zusätzlichen Druck ausgesetzt bist.«

Nicht in deiner Verfassung.

Nicht, solange du immer noch so labil bist und diese Albträume hast.

»Das könnt ihr nicht machen«, rufe ich. »Rektorin Sinclair hat gesagt …«

»Olive, wir sind deine Eltern. Solange du minderjährig bist, tragen wir die Verantwortung für dich.«

Ich springe auf. Meine Schulter pocht, aber ich nehme den Schmerz kaum wahr. Es ist nichts gegen die Verzweiflung, die in mir aufsteigt.

»Das könnt ihr nicht machen«, wiederhole ich, weil mein Kopf wie leer ist. Mum und Dad bleiben sitzen. Die Tränen schießen mir in die Augen. »Und meine Freunde?« Meine Stimme bricht. Meine Freunde, die in die zwölfte Klasse gehen. Der einzige Gedanke, der mich angetrieben hat, rasch Fortschritte zu machen. Um wenigstens dieses letzte Jahr mit ihnen zu haben, bevor es uns in alle Winde zerstreut.

»Sie sind doch nicht aus der Welt, Liebling«, sagt Dad.

Mum schweigt und weicht meinem Blick aus.

Ich schüttle den Kopf und drehe mich um. Ich kann nicht zulassen, dass sie mich weinen sehen. Nicht schon wieder. Ich beiße mir auf die Unterlippe, ich gehe aufrecht. Ich weine erst in meinem Zimmer.

2. KAPITEL

OLIVE

»Ich will allein sein«, fauche ich, als sich die Tür meines Zimmers öffnet. Meine Stimme klingt heiser, ich rolle mich zur Wand und habe keine Lust darauf, dass Dad mich so sieht. Und ich hätte schwören können, dass er derjenige ist, der mir nach oben gefolgt ist. Doch bereits daran, wie energisch die Zimmertür geschlossen wird, merke ich, dass es sich um meine Mutter handelt, die sich nun auf meine Bettkante setzt.

»Olive«, sagt sie.

Ich winde mich, als ich ihre Hand an meinem Rücken spüre. »Ich bin müde.«

»Liebling, bitte. Ich würde gerne über etwas mit dir sprechen.«

Ich starre die Wand an und bewege mich nicht mehr.

»Ich wollte dir sagen, dass die Sache zwischen Alexis und mir vorbei ist.«

Die Erkenntnis, dass sie mir nicht hinaufgefolgt ist, um mich zu trösten, trifft mich mit einer ungeahnten Wucht. Sie ist hier, um sich zu vergewissern, dass ich sie nicht verrate. Mir wird auf der Stelle schlecht.

»Du hast deinem Vater doch nichts erzählt, nicht wahr?«

Ich schüttele den Kopf, es ist ein Reflex, für den ich mich selbst hasse. Das Gute daran, auf einer Intensivstation zu liegen und um sein Leben zu kämpfen, ist, dass alle Probleme, die man zuvor hatte, plötzlich an Bedeutung verlieren. Aber leider lösen sie sich nicht von selbst, wenn man sie eine Weile ignoriert. Im Gegenteil. Sie kommen einem anschließend nur noch riesiger vor.

»Dad verdient es, die Wahrheit zu erfahren, Mum«, presse ich hervor.

»Schatz, du verstehst das nicht.«

»Hör auf damit.« Ich drehe mich um und sehe sie an. »Hör auf, das zu behaupten. Du hast einen Fehler gemacht, da gibt es nichts nicht zu verstehen. Du hintergehst ihn. Und du weißt das.«

Panik tritt ins Gesicht meiner Mutter, als ich mit jedem Satz lauter werde. Sie sieht aus, als würde sie mir am liebsten den Mund zuhalten.

»Olive«, wiederholt sie bemüht ruhig. »Du hast recht. Es war ein Fehler, den ich sehr bereue. Hör zu, Schatz. Du kannst nicht wollen, dass das unsere Familie zerstört.«

»Nein, lass mich da raus! Du hast das getan, ich habe damit nichts zu tun. Schlimm genug, dass du versuchst, mir ins Gewissen zu reden und mich zu deiner Komplizin zu machen!«

»Ich habe nie versucht, dich zu meiner Komplizin zu machen.«

»Ach nein? Was war das dann, als du mir hinterhergelaufen bist, um mich anzuflehen, Dad nichts zu sagen? Was ist das gerade? Wie soll ich reagieren, wenn er mich so anschaut, weil er genau spürt, dass da etwas ist, das ich vor ihm geheim halte?«

Mum bedenkt mich mit einem kühlen Blick. »Ich würde es sehr begrüßen, wenn du deinem Vater nichts erzählst, während ich versuche, diese Familie zu retten.«

Die Tränen brennen in meinen Augen. »Wir sind schon lang keine Familie mehr, Mum«, flüstere ich.

Sie zuckt zusammen. Es tut mir nicht leid. Sie ist dafür verantwortlich. Sie und dieser fremde Mann, dem es scheißegal ist, dass er Familien zerstört. »Wie kannst du so etwas sagen?«, fragt sie scharf.

»Wie konntest du so etwas tun?«

»Olive, wenn du erwachsen bist, wirst du verstehen, dass nicht alles so einfach ist, wie du jetzt glaubst.«

»Wenn ich erwachsen bin, werde ich hoffentlich eine Frau sein, die loyal ist und die Menschen, denen sie etwas bedeutet, nicht für ein bisschen Spaß betrügt«, fauche ich.

Mum sieht mich an, und in diesem Moment verstehe ich, dass sie Dad nicht mehr liebt. Sonst könnte sie niemals so ruhig bleiben. »Ich bin mir ganz sicher, dass dir das gelingt, Olive.«

Sie steht auf, ich habe Schwierigkeiten, zu atmen.

Sie werden sich trennen. Ich weiß es einfach. In diesem Augenblick kommt es mir vor, als bestünde keine andere Möglichkeit. Es ist eine Frage der Zeit, und ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, wie ich das aushalten soll.

»Ruh dich aus, es war ein langer Tag«, sagt Mum, bevor sie mein Zimmer verlässt.

Ich finde, Hass ist ein sehr starkes Wort, aber in diesem Moment gibt es keines, das besser ausdrückt, was ich für meine eigene Mutter empfinde.

Meine Brust ist eng, mein Herz rast. Ich kann nicht liegen bleiben, ich muss etwas tun. Aber ich kann nichts tun. Es ist ein unerträgliches Gefühl, aber es ist wahr. Es gibt keine Möglichkeit, diese Situation zu lösen, und es macht mich wahnsinnig.

Ich weiß nicht, warum ich zur Tür gehe und sie öffne. Im Erdgeschoss höre ich Mums Schritte und dann ein leises »Und?« von Dad.

»Es hat sie sehr aus der Bahn geworfen, aber ich habe mit ihr gesprochen.« Mum seufzt, ich balle die Hände zu Fäusten. »Ich hatte gehofft, sie würde es besser aufnehmen.«

»Sie ist siebzehn, Meredith. Natürlich ist das ein Weltuntergang.«

»Denkst du, wir tun das Richtige, Neil?«

Stille.

»Ich denke, das tun wir, Schatz.«

3. KAPITEL

COLIN

Nur eine Sache ist schlimmer, als in einem Flugzeug zu sitzen, das einen auf direktem Weg ins schottische Exil bringt: neben seiner Mutter in einem Flugzeug zu sitzen, das einen auf direktem Weg ins schottische Exil bringt. Aber vermutlich sollte ich dankbar sein, dass Ava Fantino mich nicht in Ketten gelegt über den Atlantik transportieren lässt, sondern lediglich begleitet. Keine Ahnung, was sie befürchtet. Dass ich statt der Boeing nach Heathrow einen Charter Richtung Bahamas nehme? Ich halte mich für ziemlich gerissen, aber wie ich das anstellen sollte, nachdem meine Eltern meine Karten haben sperren lassen, ist selbst mir ein Rätsel. Aber gut, es ist, wie es ist. In diesem Fall London, zumindest als Zwischenstopp, bevor wir eben in den nächsten Flieger Richtung Nirgendwo gestiegen sind.

Zwischen New York und Edinburgh existiert keine Direktverbindung. Ich denke, das sagt alles. Man könnte meinen, Mom und Dad hätten extra nach dem abgelegensten Internat der Welt gesucht.

Wir denken, eine Auszeit von zu Hause wird dir helfen, deine Ziele neu zu definieren und dir darüber klar zu werden, worauf es im Leben wirklich ankommt.

Auszeit. Ja, wirklich. Ich lache immer noch.

Zumindest so lange, bis sich die Wogen hier wieder geglättet haben. Ich kümmere mich um die Angelegenheit. Und du wirst diese Zeit nutzen, um endlich zu lernen, was Respekt bedeutet.

Ich weiß nicht, was ich dachte. Dass sie wieder nur reden. Dass wir uns am Küchentisch des Millionen Dollar teuren Penthouses beleidigen, weil ich den Bogen überspannt habe und mir gerade mein eigenes Grab schaufle. Aber diesmal haben sie wirklich Ernst gemacht. Meine Konten eingefroren, mir in Aussicht gestellt, dass ich den Zugriff auf die Treuhandfonds, die ich mit einundzwanzig erhalten sollte, vergessen kann, wenn ich so weitermache. Es kommt mir immer noch vor, als wäre das hier nicht die Realität, sondern ein richtig schlechter Film. Keine zweiundsiebzig Stunden nachdem die Turnhalle der Trinity School in Manhattan bis auf die Grundmauern niedergebrannt ist, hat Mom einen Platz für mich an der Dunbridge Academy klargemacht. Schottland, Europa. Tausende Meilen von allem entfernt, was ich bisher mein Leben genannt habe. Dabei kann ich froh sein, dass es dieses Internat geworden ist. Dort sprechen die Leute wenigstens so etwas Ähnliches wie meine Sprache. Zumindest gehe ich davon aus. Die Alternative wäre irgendein abgelegenes Berginternat in der französischen Schweiz gewesen. Es hat mir schon gereicht, das Werbevideo auf der Homepage zu sehen, in dem die Schülerinnen und Schüler in ihren elitären Uniformen Französisch und Deutsch gesprochen haben, während im Hintergrund die Sonne untergegangen ist.

Dann doch lieber Schottland. Schlechtes Wetter, noch schlechteres Essen, Steinruinen, Schafe, absolute Einöde. Aber Alkohol ab sechzehn, hey, Europa hat auch seine Vorteile. Wobei ich bezweifle, dass in dieser Schule überhaupt Partys steigen. Im Informationsmaterial bin ich bei zweiundzwanzig Uhr Schlafenszeit und kein Alkohol unter achtzehn ausgestiegen. Es klingt nach Hölle, aber die verdiene ich auch. Und es kann mir egal sein. Ich werde schneller wieder weg sein, als Mom sich umschauen kann. Wenn sie Glück hat, kann ich ihr die Tür unseres Apartments an der Upper East selbst öffnen, wenn sie nach ihrem Businesstrip aus London zurückkommt.

Gott, ich bin bitter. So einen Sohn hat sich Ava Fantino garantiert nicht gewünscht. Aber ich habe mir auch nicht so eine Mutter gewünscht. Ich habe mir nichts von alldem hier gewünscht. Ich will einfach meine verdammte Ruhe, zurück nach New York, von mir aus an eine andere Schule, ist mir alles egal. Aber ich werde nicht in Schottland bleiben. Es ist höchstens eine Frage von Wochen, bis ich zurück sein werde. Ich habe es Cleo versprochen, verdammte Scheiße. Und ich muss mich dringend mit etwas anderem beschäftigen, denn bei dem Gedanken daran, wie bitterlich meine kleine Schwester am Flughafen geweint hat, bevor ich durch die Absperrung zum Sicherheitsbereich gegangen bin, beginnen meine verfickten Augen zu brennen. Aber ich habe in den letzten Tagen auch kaum geschlafen. Es war zu schlimm. Ich habe von in Flammen stehenden Gebäuden und blinkenden Rettungswagen geträumt. Davon, wie ich in Paxtons Wagen gestiegen und mit ihnen feiern gegangen bin, weil ich ein verdammtes Monster bin. Ich habe die Feuerwehr gerufen, ja, kann sein, aber die Angst hat mich zu sehr gelähmt, um auf die Cops zu warten und mich ihnen zu stellen.

Ich mache meine Musik lauter und starre reglos aus dem Flugzeugfenster auf die Ausläufer der Stadt, über der wir uns gerade im Sinkflug befinden, während »All for Us« von Labrinth und Zendaya in meinen Ohren dröhnt. Bis vor ein paar Wochen hatte ich keinen blassen Schimmer, wo Edinburgh überhaupt liegt. Warum hätte mich das auch interessieren sollen? Es ist garantiert nicht die Metropole, die mir einfällt, wenn ich an Europa denke. London wäre geringfügig besser gewesen, aber dort hätte ich ja zu viel Ablenkung gehabt, wie Mom es formuliert hat.

Ich schaue kurz zu ihr. Sie sitzt aufrecht auf dem Business-Platz neben mir und würdigt mich keines Blickes. Ihre ganze Aufmerksamkeit ist auf ihr iPhone gerichtet, auf dem sie garantiert irgendwelche weltbewegenden E-Mails beantworten oder Termine absagen muss. Ich frage mich ernsthaft, wie sie einen Transatlantikflug überlebt hat, als es noch kein WLAN in der Kabine gab. Aber ich darf eigentlich nichts sagen. Nur die neue Euphoria-Staffel hat mich durch die letzten Stunden gebracht. An Schlaf war nicht zu denken. Dafür haben sich meine Gedanken zu sehr im Kreis gedreht. Sie tun es seit letzter Woche. Seit ich die Schlagzeilen gelesen habe. Seit sich nicht mehr leugnen lässt, dass ich der schlimmste Mensch auf der ganzen Welt bin und noch nicht einmal die Verantwortung für meine Tat übernehme. Ich weiß nicht, warum ich nicht zur Polizei gegangen bin, sondern zu Mom, die mich angesehen und genickt hat. Die meinte, sie tätige ein paar Telefonate und ich solle solange mit niemandem sprechen. Wie hätte ich damit rechnen können, dass sie mir zeitgleich einen Platz im Internat besorgt, um mich aus der Schusslinie zu befördern? Ich hätte sofort aufs Revier gehen und meine Tat gestehen sollen, ganz einfach. Ich wollte es, als ich begriffen habe, was Mom und Dad da tun. Dass sie all ihre Beziehungen spielen lassen, um meinen – und damit natürlich auch ihren – Namen reinzuwaschen. Denn das ist alles, worum es immer nur geht. Nicht auszudenken, wenn die Presse Wind davon bekommen hätte, dass Ava Fantinos Sohn Scheiße gebaut hat. Und diesmal so richtig. Stattdessen musste ich nicht einmal aussagen, so wie meine Freunde, die nach dem Homecoming von den Cops befragt wurden, ob sie etwas gesehen haben. Mir ist noch nie so übel gewesen wie in dem Moment, in dem ich ihre panischen Nachrichten im Gruppenchat gelesen habe.

Seitdem geht alles so schnell, dass ich mich fühle, als hätte ich mir von außen dabei zugesehen, wie ich meine Koffer gepackt und mich am Flughafen von Cleo und Dad verabschiedet habe.

Moms Miene war undurchdringlich, während ich meine kleine Schwester ein letztes Mal umarmt habe. Sie hat sich in meinem Hoodie festgekrallt und einfach nicht mehr losgelassen. Auch nicht, als ich ihr wieder und wieder zugeflüstert habe, dass ich bald zurück sein werde. Davon bin ich überzeugt. Mom und Dad können mich über den Atlantik in ein verfluchtes Internat schicken, um zu verhindern, dass die Wahrheit ans Licht kommt, aber ich bin der unangefochtene Champion darin, die Regeln zu brechen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich zurück in New York sein werde. Und dann … keine Ahnung. Zurück an die Trinity kann ich garantiert nicht. Aber es gibt noch andere Privatschulen in Manhattan. Dalton, Marymount, Spence … Ich hätte auch nichts dagegen, an die Stuyvesant oder eine andere staatliche Highschool zu gehen. Dann wäre ich wenigstens bei den Leuten, die ich meine Freunde nenne, auch wenn Mom und Dad sie als Menschen zweiter Klasse betrachten. Meine Freunde, die glaubten, ich würde sie auf den Arm nehmen, als ich in unseren Chat geschrieben habe, dass meine Eltern diesmal wirklich Ernst machen.

Mom hebt den Blick, ich schaue schnell wieder weg. Sie soll bloß nicht glauben, dass mir das hier etwas ausmacht. Dabei war es schon schwer, den ganzen Flug über mein Pokerface zu wahren. Vorhin, als wir in Heathrow umgestiegen sind und ich plötzlich Preise in Pfund auf Schildern gelesen und den unerträglichen britischen Akzent der vorbeieilenden Leute gehört habe, ist mir erschreckend klar geworden, dass das hier gerade wirklich passiert. Dass es keine leere Drohung meines Vaters ist, sondern die Realität, in der meine Mutter höchstpersönlich sicherstellt, dass ich an diesem Internat ankomme und keinen Shortcut direkt zurück in die Staaten nehme. Wenn ich ehrlich bin, tut sie das nur, weil sie diese Reise mit einem Businesstrip nach London verbinden kann. Ich glaube, sie shootet für Tag Heuer und hat anschließend einen Dreh mit Christoph Marchant, einem Kollegen, der über viele Jahre eine Talkshow in Los Angeles hatte. Er war damit nie so erfolgreich wie meine Mutter, zumindest bis er vor Kurzem zurück in seine britische Heimat gezogen ist, um hier durchzustarten. In den Staaten hingegen gilt Late Night with Ava Fantino seit mehr als zehn Jahren als die unangefochtene Nummer eins der Talkshows. Es gibt keinen A-Lister, den Mom noch nicht in ihrem Studio zu Gast hatte. Musiker, Schauspieler, Politiker, Influencer – alle scheinen nur auf den Ritterschlag zu warten, den es bedeutet, von ihr eingeladen zu werden. Ein humorloses Lachen zupft an meinen Lippen, wenn ich daran denke, dass niemand ahnt, wie diese Frau ist, wenn die Kameras nicht mehr laufen. Dass die ganze Welt Ava Fantino bewundert. Eine Karrierefrau mit frechem Humor, strahlendem Lächeln und einer perfekten Familie. Dabei sehe ich meine Mutter häufiger auf irgendwelchen Bildschirmen als am Tisch in unserem Apartment. Mit Dad ist das kaum anders, auch wenn er dem Medienrummel wenig abgewinnen kann. Öfter zu Hause ist auch er nicht, denn er hat alle Hände voll zu tun, Mom und anderen Hochkarätern der New Yorker High Society als Staranwalt den Rücken freizuhalten. Und nun auch mir. Es ist so ekelhaft, wie es sich anhört. Bei jedem Klingeln in den letzten Tagen ist mein Puls in die Höhe geschossen, weil ich ständig darauf gewartet habe, dass es doch die Cops sind, die vor unserer Tür stehen, um mich mitzunehmen, so wie ich es verdiene. Aber ich habe mit niemandem von den Behörden gesprochen, bevor ich die Maschine nach England geboardet habe. Ich habe nur die Onlineartikel und reißenden Überschriften gelesen. Dass die Ermittlungen aufgenommen wurden. Dass es Brandstiftung gewesen sein könnte, ein elektrischer Defekt, ein Unglück, man wird bald mehr wissen.

Ich schließe die Augen, weil mir wieder so schlecht wird wie in dieser Nacht.

Ich habe das Toilettenpapier ausgetreten. Es hat nicht mehr gebrannt, als ich aus der Toilette gegangen bin, ganz sicher nicht … Aber die Wahrheit ist, dass die Sporthalle in Flammen stand, als ich wenig später draußen war und mich umgedreht habe. Die leuchtenden Flammen, die in den New Yorker Nachthimmel schlugen, die Sirenen der Feuerwehr, die Schreie der Leute. Und ich, der einfach weggerannt ist wie ein verfluchter Feigling.

Ich balle meine Hände zu Fäusten, und im Stillen verteufle ich die Flughafensecurity, die mir vorhin in New York mein Feuerzeug abgenommen hat. Mir ist bewusst, dass offenes Feuer auf jeglichen Flügen untersagt ist, aber normalerweise darf man ein Feuerzeug am Körper tragen. Der Officer hat jedoch nicht mit sich diskutieren lassen, was womöglich daran lag, dass es eins der Sturmfeuerzeuge war, die eine ziemlich große Flamme erzeugen können, und ich wollte nicht riskieren, dass Mom etwas mitbekommt.

Es ist nicht so schlimm, ich habe selbstverständlich noch ein zweites in meinem aufgegebenen Gepäck, auch wenn das hingegen wirklich verboten ist. Ich muss also beten, dass sie es mir nicht rausgezogen haben, ansonsten darf ich mich gleich erst mal nach einer Alternative umsehen. Vermutlich sollte ich sogar dankbar dafür sein, dass ich nun nichts zur Hand habe. Schneiden, Kratzen und der ganze andere Scheiß ist nicht mein Ding. Aber ich könnte nicht dafür garantieren, nichts zu machen, wenn ich jetzt mit einem Feuerzeug auf die Flugzeugtoilette gehen würde. Fuck, ich habe ein richtig fettes Problem. Ich weiß es, aber ich kann es niemandem sagen. Seit dem Homecoming-Ball habe ich mich nicht mehr selbst verletzt. Nur der Himmel weiß, wie ich das geschafft habe. Vielleicht war meine Angst, erwischt zu werden, zu groß. Ich kann nur sagen, dass der Druck steigt und ich mich seit Tagen so fühle, als wäre ich ein Ventil, auf das jemand den Finger hält. Es ist nur eine Frage der Zeit bis zur nächsten Explosion.

Die frische Luft, als wir in Edinburgh aus der Ankunftshalle treten, hilft minimal, doch schon als ich kurz darauf neben Mom in dieses Taxi steige, das uns zum Internat bringen soll, fühle ich mich wieder wie ein Tier in Gefangenschaft. Dann bekomme ich einen halben Herzinfarkt, als der Fahrer an der ersten Kreuzung in den Gegenverkehr abbiegt. Ich öffne den Mund, aber kein Wort kommt aus mir heraus. Stattdessen werfe ich Mom einen erschrockenen Blick zu. Sie wirkt völlig unbeeindruckt, und ich brauche weitere drei Sekunden, bis ich kapiere. Vereinigtes Königreich. Linksverkehr. Himmel, man könnte meinen, ich hätte noch nie in meinem Leben die Staaten verlassen. Schieben wir es einfach auf den Schlafmangel der letzten Tage. Mom hebt nur geringschätzig die Augenbrauen, als ich mich wieder etwas zurücksinken lasse. Mein Herz pocht weiter, meine Hände sind schwitzig, und erst als mir ein bisschen schwindelig wird, komme ich auf den Gedanken, dass es noch einen anderen Grund für meine Nervosität und dieses ekelhafte Panikgefühl geben könnte.

Moms Blick streift mich, als ich die App auf meinem Handy öffne, die mir die aktuellen Blutzuckerwerte übermittelt, die der Sensor an meinem Oberarm erfasst. Sie schaut kurz auf das Display, während ich nach diesem widerlichen, in Plastik verpackten Croissant greife, das uns vorhin beim Frühstück im Flugzeug serviert wurde. Ich habe kaum etwas herunterbekommen. Der fehlende Schlaf tut sein Übriges. Ich hätte nicht nachsehen müssen, um mir sicher zu sein, dass ich zu niedrig bin.

»Alles in Ordnung, Colin?« Moms Stimme klingt vorwurfsvoll und kühl. Fast so, als würde ich das hier mit Absicht machen. Aber ich habe es mir nicht ausgesucht, mit elf diese Diagnose zu bekommen und seitdem nur noch überleben zu können, indem ich mir das Insulin zuführe, das meine nutzlose Bauchspeicheldrüse normalerweise selbst produzieren sollte.

»Ja.« Ich gebe mir Mühe, nicht zu gereizt zu klingen, denn dann würde sie das sofort auf die Unterzuckerung schieben. »Alles in bester Ordnung.«

»Du hast diese Woche einen Termin beim Schularzt, um dich vorzustellen«, sagt Mom und sieht wieder nach vorn. »Er ist bereits informiert. Du scheinst übrigens der einzige Diabetiker an der Schule zu sein.«

Wie wundervoll. Ich bin also wieder mal etwas ganz Besonderes, so wie es mir damals im ersten Jahr der Middle School von allen Lehrerinnen und Lehrern eingetrichtert wurde, als ich mit meiner frischen Diagnose aus dem Krankenhaus zurück in den Unterricht kam, nachdem ich wegen meines pathologisch hohen Blutzuckerspiegels fast draufgegangen wäre.

Ich verkneife mir einen Kommentar und beginne zu essen. Das Flugzeugcroissant ist ekelerregend, aber ich habe nicht wirklich eine Wahl, denn die Alternative wäre ein Sandwich, das mir nur wenig appetitlicher vorkommt.

»Es ist wichtig, dass du deine Ansprechpartner für Notfälle kennst.«

»Was du nicht sagst.« Ich richte den Blick wieder nach draußen und zwinge mich, meine Konzentration auf die vorbeifliegende Landschaft zu lenken, nicht auf das Zittern, das einfach nicht nachlassen will. Wir haben die Stadt längst verlassen und befinden uns in der absoluten Einöde. Hügelige Landschaft, trauriges Gestrüpp und überall nur Schafe. Nachdem mehrere Minuten vergangen sind, ohne dass ich ein einziges Haus gesehen habe, werfe ich Mom einen kurzen Seitenblick zu.

Sie deutet nur nach vorn, und dann sehe ich es ebenfalls. Ich gebe das nur ungern zu, aber für einen kurzen Moment bin ich beinahe beeindruckt. Die Dunbridge Academy sieht aus wie ein Schloss. Sie thront in einer Flussbiegung vor dem Hintergrund weiter Felder und einem Wald. Die dunklen Backsteingebäude wirken imposanter als auf den Fotos, die ich online gesehen habe. Aber auch deutlich verwitterter.

Und ansonsten ist da nichts. Ein kleiner See, der Fluss, der sich weiter durch die Landschaft schlängelt. Irgendwo hatte ich von Einkaufsmöglichkeiten in fußläufiger Entfernung gelesen, aber wenn ich mich jetzt so hier umschaue, sieht es nicht gerade danach aus.

»Ich dachte, es gibt hier ganz in der Nähe eine Stadt?«

Mom wirft mir einen kurzen Blick zu. »Ja, Ebrington.« Sie deutet zu den Häusern, die sich auf der gegenüberliegenden Seite des Internats befinden. »Das Dorf.«

»Das Dorf?«, wiederhole ich ungläubig. Womöglich habe ich die Broschüre nicht aufmerksam gelesen, denn ich dachte, es wäre Edinburgh. Ich habe mich schon gefragt, warum wir überhaupt so lange unterwegs sind. Jetzt verstehe ich es. Das hier ist längst nicht mehr Edinburgh. Und Edinburgh ist zwar nicht New York, aber etwas, womit ich hätte arbeiten können. Doch das hier … das ist eine Zumutung.

»Im Internat wird es dir an nichts fehlen«, sagt Mom. »Außerdem bist du hier, um dich auf die Schule zu konzentrieren.«

Um Gottes willen, sie kann mich unmöglich hierlassen.

Ich bin im New York Presbyterian geboren, ich habe mein ganzes Leben in Manhattan verbracht. Mir war klar, dass es ein Privileg ist, alle Annehmlichkeiten der Großstadt direkt vor der Haustür zu haben, und ich wusste, dass es nicht überall so ist. Aber wie können Menschen so leben? Hier ist nichts. Nichts! Für zwei Wochen Ferien mag das ja ganz nett sein, aber doch nicht auf Dauer. Ich habe nicht mal ein verfluchtes Auto, Herrgott noch mal.

Und kein Netz, wie mir auffällt, als ich panisch mein Handy checke. Dann fällt mir ein, dass das an meiner Simkarte liegt, die in Europa nicht funktioniert. Gott im Himmel, mach, dass es in diesem Gefängnis WLAN gibt …

Ich spanne mich an, während der Fahrer den Wagen über das Kopfsteinpflaster der Brücke in den Innenhof der Internatsanlage lenkt. Okay, es ist schon irgendwie beeindruckend. Und es kommt mir vor, als würden wir ein Filmset crashen, denn egal, wohin ich blicke, überall laufen Jugendliche in Hoodies und Jacken mit dem Logo der Schule herum. Wo sind die lächerlichen Faltenröcke und Jacketts aus den Infobroschüren? Ich habe die böse Vermutung, dass ich spätestens morgen früh zum Unterrichtsbeginn damit in Berührung komme, denn ich musste der Schule vorab meine Kleidergröße mitteilen, damit sie die Uniform für mich bestellen können.

»Können Sie warten?«, fragt Mom den Fahrer, nachdem er mein Gepäck ausgeladen hat. Ihre Worte sind ein spitzer Stich in meine Brust. Was habe ich erwartet? Dass sie mich auf mein Zimmer bringt, um mir dort die Hand zu halten? Ava Fantino ist eine viel beschäftigte Frau, die keine Zeit zu verschwenden hat. Erst recht nicht wegen ihres unnützen Sohns, der ihr ständig nur Probleme bereitet.

Der Fahrer sieht wenig begeistert aus, nickt aber.

»Wie kommen wir bitte zum Rektorat?«, spricht Mom die nächstbeste Schülergruppe an, die gerade aus einem Tor in den Hof kommt. Sie sind jünger als ich, und ich spüre ihre neugierigen Blicke auf mir kleben. Habe ich schon erwähnt, wie verflucht wenig Lust ich darauf habe, der Neue zu sein? Es kotzt mich jetzt schon an. Ich sage nichts. Nicht »Hi«, nicht »Danke«, als sie uns tatsächlich den Weg zeigen. Es beunruhigt mich, dass wir meine Koffer einfach dort unten im Hof stehen lassen, aber das hier ist nicht der fucking Times Square.

»Bist du neu?«, fragt eines der Mädchen und streicht ihre Haare zurück.

Ich gebe mir Mühe, nicht die Augen zu rollen, und kaue weiter auf meinem Kaugummi herum, das ich vorhin in meiner Jackentasche gefunden habe. »Sieht ganz so aus, was?«

»Woher kommst du?«

Ich stoße ein tiefes Seufzen aus. Ich habe keine Lust, mich mit irgendjemandem hier zu unterhalten. Es lohnt sich nicht.

»Aus den USA«, sage ich knapp.

»Wow«, sagen sie. »Wie cool.« Mustern, Ehrfurcht. Dazu die abschätzigen Blicke der beiden Typen, die sich etwas zurückfallen lassen und zu tuscheln beginnen. Was mache ich hier?

Ich höre nicht mehr, was sie sagen, während wir weiter zum Rektorat gehen. Die Tür geht auf, ein Typ, der das beste Alter bereits überschritten hat, bittet uns herein, wir betreten das Büro der Rektorin. Dunkles Holz, ein riesiger Schreibtisch. Sie ist jünger, als ich gedacht hatte, und sie sieht auch freundlicher aus als in meiner Vorstellung.

»Colin, Ms Fantino.« Die Rektorin kommt auf uns zu. »Schön, Sie persönlich kennenzulernen.« Sie reicht erst Mom, dann mir die Hand. »Willkommen an der Dunbridge Academy.«

4. KAPITEL

OLIVE

»Olive«, sagt Dad, nachdem ich die ganze Fahrt von Edinburgh zur Dunbridge Academy kein Wort gesprochen habe. Genau wie am Morgen beim Frühstück mit Mum. »Ich verstehe, dass du sauer bist, Liebling.« Seine Stimme hat einen verständnisvollen Ton angenommen.

»Ich bin nicht sauer«, sage ich. Stimmt sogar. Ich bin nicht sauer, ich bin verzweifelt. Das ist ein Unterschied. »Ich habe nur wirklich keine Nerven mehr.«

»Schatz, es ist zu deinem Besten.«

»Dass ich meine Freunde nicht mehr sehe? Das soll zu meinem Besten sein?« Ich drehe mich zu Dad. »Aber spielt jetzt eigentlich auch keine Rolle mehr, nachdem ich wochenlang im Krankenhaus war und längst den Anschluss verloren habe.«

»Du weißt, die Entscheidung, dass du die Klasse wiederholst, haben wir nur zu deinem Besten getroffen.«

Ich wende den Blick ab und schaue durch das Seitenfenster. »Wie auch immer.«

»Und ihr werdet euch genauso häufig sehen wie bisher auch.«

Ja. Bis sie Ende des Schuljahres Abitur machen und die Dunbridge Academy verlassen. Ohne mich.

Ich schlucke, sage aber nichts mehr. Es ist zwecklos. Ich weiß, wann es sich nicht mehr lohnt, mit Mum und Dad zu diskutieren. Diese Entscheidung haben sie ohne mich getroffen. Ich werde nichts mehr daran ändern können. Zumindest, solange ich siebzehn bin. Und das bin ich noch für genau sieben Wochen. Es ist eine absehbare Zeit, bis meine Eltern mir nichts mehr zu sagen haben und ich meine eigenen Entscheidungen treffe. Sieben Wochen. Nicht die Welt. Ich muss es mir wieder und wieder sagen.

Dad lenkt den Wagen über die gepflasterte Zufahrt durch das Tor der Dunbridge Academy in den Innenhof, und mein Herz beginnt zu rasen. Einfach so, ich kann nichts dagegen tun. Mir ist nur plötzlich viel zu bewusst, dass ich das erste Mal seit dem Sommer wieder hier bin. Das erste Mal, seit alles in Flammen aufgegangen ist, was einmal mein Leben war.

Mein Blick gilt sofort dem Westflügel. Mein Körper wird taub, als ich das Baugerüst entdecke, das an der Fassade angebracht ist. Das dunkle Backsteingebäude wird von einem halb transparenten Sichtschutz verdeckt, auf dem der Schriftzug der Baufirma steht, die die Renovierungsarbeiten übernommen hat. Es gleicht einem Wunder, dass die Feuerwehr den Brand unter Kontrolle bekommen hat, bevor er auf die anderen Flügel übergreifen konnte. Der Schaden ist überschaubar, der Schulbetrieb konnte im Herbst pünktlich wieder aufgenommen werden. Auf die Feierlichkeiten zum hundertjährigen Schuljubiläum, die für den Beginn des neuen Schuljahres im August geplant waren, wurde aufgrund der Tragödie verzichtet. Sie sollen auf nächstes Frühjahr verschoben werden. Wie umsichtig, wie überaus taktvoll, dass von einem rauschenden Fest abgesehen wurde, auch wenn ich nur fast draufgegangen bin und außer mir niemand ernsthaft verletzt wurde. Rauchgasvergiftungen bei den wenigen Neunt- und Zehntklässlerinnen, die sich ebenfalls noch im Westflügel aufgehalten hatten. Ansonsten nur Sachschaden. Und mein rasendes Herz, weil ich den Blick einfach nicht von diesem Gebäude nehmen kann. Ich war da drin. Ich hätte sterben können. Jetzt kommt es mir so unbegreiflich vor, und obwohl ich Wochen im Krankenhaus damit verbracht habe, darüber nachzudenken, fühlt es sich an, als hätte ich überhaupt keine Zeit gehabt, auch nur irgendetwas zu verarbeiten.

»Olive.« Ich schrecke zusammen, als Dad nach meiner Hand greift. Ich ziehe sie sofort weg. Ich habe ihm nichts zu sagen, denn anscheinend werden alle wichtigen Dinge in meinem Leben nun über meinen Kopf hinweg entschieden. »Bitte sei nicht sauer, Liebling.«

Seine Stimme hat einen verständnisvollen Ton angenommen, der es mir beinahe unmöglich macht, nicht zu weinen. Aber ich muss mich auf die Wut konzentrieren. Wütend ist besser als hilflos. Wut treibt an, Hilflosigkeit lähmt. Und ich kann nicht mehr gelähmt sein. Ich war es lange genug. Ich kann nicht erneut sekundenlang auf dem Flur unseres Flügels stehen, bis endlich mein Fluchtreflex einsetzt. Ich muss mein Leben wieder in die Hand nehmen.

Ich greife zum Türöffner, und Schmerz zuckt durch meinen Arm. Ich habe immer noch nicht gelernt, dass meine Schulter mit schnellen Bewegungen nicht einverstanden ist. Die Nähte schmerzen noch, der Bereich der Hauttransplantation ist empfindlich, das Narbengewebe schränkt mich in meiner Beweglichkeit ein. Aber ich hatte ja Glück, dass die Verbrennungen nicht noch großflächiger sind. Sie ziehen sich vom rechten Schlüsselbein über die Schulter bis zur Brust. Ich habe mich seitdem oft im Spiegel angesehen. Erst mit den Verbänden, schließlich ohne. Obwohl ich wollte, habe ich nie dabei geweint. Ich habe meinen Körper betrachtet, und ich denke, ein Teil von mir hat noch immer nicht begriffen, dass das wirklich ich bin. Aber ich habe nun ja viel Zeit, um das in aller Ruhe zu realisieren. In der elften Klasse, allein, ohne meine Freunde.