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Der nerdy Rom-Com-Bestseller jetzt auf Deutsch!🩷 Musical-Fan Riley träumt davon, Regisseurin am Broadway zu werden. Ausschlaggebend für diesen Plan ist es, das Frühlingsmusical ihrer Highschool erfolgreich über die Bühne zu bringen. Als sie eine leichtsinnige Entscheidung trifft,, bekommt sie die schlimmste Strafe aller Zeiten: Sie muss ihren Hausarrest als Aushilfe im "Sowrd and Board Games", dem Spielwarenladen ihres Vaters, verbringen. Als dann auch noch ihr Ex-Freund Paul mit seiner Neuen im Laden auftaucht, tut Riley etwas, das sie später noch bereuen könnte: Sie erzählt Paul, dass sie ihren Arbeitskollegen Nathan datet. Nathan, der irgendwie ziemlich nerdig, ziemlich sarkastisch, aber auch ziemlich cute ist. Und ziemlich verknallt in Sophia, seinen Gamer-Crush...
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Seitenzahl: 399
Veröffentlichungsjahr: 2025
Kristy Boyce
Roman
Aus dem Englischen von Susanne Just
All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition published by arrangement with Random House Children’s Books, a division of Penguin Random House LLC.
© Atrium Verlag AG, Imprint Arctis, Zürich 2025
Text © 2024 by Kristy Boyce
Coverdesign © 2024 by Liz Parkes
Übersetzung: Susanne Just
Lektorat: Emily Brodtmann
Covergestaltung: Niklas Schütte unter der Verwendung des Coverdesigns von Liz Parkes
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.
Alle Rechte vorbehalten. Der Verlag untersagt ohne ausdrückliche schriftliche Zustimmung die Nutzung dieses Werkes im Sinne des §44b UrhG für das Text- und Data-Mining.
ISBN978-3-03880-192-4
www.arctis-verlag.com
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Das hier ist nur für dich, Mike.
Ich glaub’s nicht, dass sich meine Eltern von all den Strafen, die sie sich hätten einfallen lassen können, für diese hier entschieden haben.
»Riley«, sagt Mom vom Fahrersitz des SUV aus, »ich will dich heute nicht schmollen sehen. Das hast du dir selbst eingebrockt und ein Teil der Vereinbarung ist, dass du mit einer guten Einstellung rangehst.«
Ich sinke noch etwas tiefer in den Sitz, wobei die Erinnerung an meine beste Freundin Hoshiko und mich in genau diesem Auto immer noch ganz frisch ist. Vor ein paar Tagen erst haben wir die Originalaufnahme vom Broadway-Ensemble des Musicals Waitress in voller Lautstärke gehört, gelacht und darüber diskutiert, ob die Schauspieltruppe nach der Show zum Autogramme verteilen rauskommen würde. Und jetzt …
»Können wir das wirklich nicht noch mal überdenken, Mom?«
»Nein.« Sie schaut mich kurz von der Seite an, dann wieder zurück auf die Straße. »Ich glaube, dass du immer noch nicht ganz verstanden hast, wie gefährlich diese Entscheidung war, die du da am Freitagabend getroffen hast. Wie sollen sich dein Vater und ich nach dieser Sache noch auf dich verlassen können, wenn du allein zu Hause bist?«
Okay, es war vielleicht nicht die beste Entscheidung, Moms Auto ohne ihre Erlaubnis zu nehmen, während sie nicht in der Stadt war. Und ja, ich bin nachts mehrere Stunden mit Hoshiko auf der Autobahn bis nach Columbus gefahren … ohne Führerschein. Aber wir wurden nicht rausgezogen und haben auch keinen Unfall gebaut! Tatsächlich könnte man behaupten, ich hätte schneller fahren sollen, dann hätte ich es nämlich noch vor Mom wieder nach Hause geschafft und müsste mir jetzt nicht diesen Vortrag anhören. Allerdings sollte ich das wohl lieber für mich behalten.
»Aber in Dads Laden arbeiten?«, flüstere ich.
Sie presst die Lippen aufeinander, als würde sie mich gern bemitleiden, jedoch dagegen ankämpfen. »Dein Vater hat vorgeschlagen, dass du die Nachmittage bei ihm verbringst, da ich auf der Arbeit zu viel zu tun habe, um schon nach der Schule mit dir zu Hause zu sein. Es ist nicht meine Schuld, dass er so an diesem Laden hängt.«
Die leichte Bitterkeit, die bei der Erwähnung von Dads Laden in ihrer Stimme mitschwingt, frustriert mich umso mehr. Mom konnte den Laden noch nie leiden. Er war einer der Hauptgründe für ihre Scheidung und ich stand auch immer eindeutig auf ihrer Seite, was die ganze Sache angeht. Deshalb ist es mir auch nie in den Sinn gekommen, dass sie damit einverstanden sein könnte, mich zur Strafe dort arbeiten zu lassen. Eigentlich dachte ich, Mom würde verstehen, dass meine Liebe zu Musicals größer ist als mein Vermögen, kluge Entscheidungen zu treffen (und die Verkehrsgesetze unseres Bundesstaates zu respektieren). Wenn es um meine liebste Singer-Songwriterin Sara Bareilles geht, gibt es nämlich keine Grenze, die ich nicht überschreiten würde.
Ich will gerade weiterdiskutieren, da biegt sie schon auf den Parkplatz ein. Für einen Moment sitzen wir beide einfach nur da und betrachten den Laden. Kein besonders erfreulicher Anblick, trotz des blauen Himmels und des sonnigen Septemberwetters. Dads Laden befindet sich in einem heruntergekommenen Einkaufszentrum in Scottsville, meiner ländlichen Heimatstadt in Ohio, die mehr als ihren gerechten Anteil an heruntergekommenen Einkaufszentren hat. Ziemlich viele der anderen Ladenschaufenster hier sind leer, obwohl die örtliche Pizzeria nebenan ist, außerdem sind einige der Buchstaben vom Schild abgefallen. Das wirkt sich nicht gerade positiv auf meine Laune aus.
»Dein Vater wartet schon«, sagt Mom.
Das letzte Mal war ich hier, als wir vor fünf Jahren einmal vorbeigefahren sind, damit sich Dad den Standort ansehen konnte. Damals waren sie noch verheiratet. Während ich den Parkplatz überquere, überkommt mich ein flaues Gefühl.
»Shannon.« Dad nickt Mom zu, als auch sie auf den Gehweg tritt.
Sie nickt zurück, wobei sie weiter auf Abstand bleibt, als eigentlich nötig wäre. »Hey, Joel.«
Sie könnten verschiedener nicht sein. Mom ist stylisch wie immer, mit ihren blonden Haaren, die sie zu einem niedrigen Dutt zurückgebunden hat, ihrer Bluse, der weit geschnittenen Hose und den Schuhen, deren Absätze für die meisten anderen zu hoch wären. Dad hingegen trägt schlecht sitzende Jeans und ein T-Shirt mit Deadpool, der auf einem Einhorn reitet. Ich habe keine Ahnung, was sie damals überhaupt zusammengebracht hat, aber ähnliche Looks waren es bestimmt nicht – und ähnliche Interessen genauso wenig.
»Na, wie geht’s meiner Maus denn so?«, fragt Dad mit dem strahlenden Lächeln, das er nur für mich reserviert hat.
Zögerlich gehe ich zu ihm rüber und umarme ihn. »Hey, Dad.«
»Bereit für deinen ersten Tag als neueste Angestellte bei Sword and Board Games?«
Angesichts der Vorstellung grinst er breit, als ob ich zu ihm ins Ferienlager käme und nicht die nächsten acht Wochen hier »auf Bewährung« arbeiten müsste, samt Hobby- und Freunde-Verbot nach der Schule. Ich ziehe bloß eine Grimasse und starre den rissigen Asphalt auf dem Gehweg an.
»Sicher, dass du das hinkriegst?«, fragt Mom Dad und deutet mit dem Kinn auf mich, als wäre ich eine verurteilte Kriminelle, bereit dazu, sich den Weg aus dem Gefängnis mit einem rostigen Löffel freizuschaufeln.
»Ich versuche doch schon jahrelang, Riley hierherzubekommen. Ich hatte zwar gehofft, dass es nicht erst durch eine Strafe passieren müsste, aber ich nehme, was ich kriegen kann.«
Ich stöhne auf. »Okay, zum letzten Mal, ich habe Moms Auto nicht gestohlen! Ich hab es bloß … für einen Abend ausgeliehen. Das war eher eine Vergnügungsfahrt, und nicht GTA oder so.«
»Bist du dir da sicher?«, fragt Dad mit einer hochgezogenen Augenbraue.
Das bin ich tatsächlich. Hoshiko hat es gegoogelt, sobald wir auf der Autobahn und auf dem Weg zur Aufführung waren.
»Na ja, für die nächsten zwei Monate wirst du jedenfalls erst mal keine Vergnügungsfahrten mehr machen, junge Dame«, sagt Mom kopfschüttelnd. »Oder überhaupt ein großes Vergnügen haben.«
»Also ich freue mich«, sagt Dad, darauf bedacht, dabei lieber mich und nicht Mom anzuschauen. Sie sehen sich fast nie in die Augen. »Ich habe die Gelegenheit, ein wenig Quality Time mit meiner Tochter zu verbringen, und du kannst ganz neuen Interessen nachgehen, solang du hier bist.«
Ich seufze und lasse die Schultern hängen. Ein Teil von mir will sich auf diesem Gehweg neben den achtlos weggeworfenen Servietten und Zigarettenstummeln hinknien und sie anflehen, es sich noch einmal zu überlegen, aber ich halte mich zurück. Der andere, rationale Teil von mir weiß nämlich, dass meine Strafe schlimmer hätte sein können. Es ist nur so, dass ich weder mehr Zeit mit Dad verbringen, noch in seinem Spieleladen arbeiten will. Die letzten fünf Jahre über habe ich jedes zweite Wochenende in seiner Wohnung verbracht – ferngesehen, Tiefkühlpizza gegessen und kaum mit ihm geredet – und das ist die einzige gemeinsame Zeit, zu der ich bereit bin. Er hat seine Prioritäten unmissverständlich kundgetan, als er den Laden über Mom und mich gestellt hat. Er sollte nicht beides gleichzeitig haben können. Aber es ist auch klar, dass die Zeit zum Diskutieren abgelaufen ist.
»Na dann …« Mom lehnt sich in ihren Schuhen nach hinten. »Gute erste Schicht. Um neun hole ich dich ab.«
Ich winke ihr zum Abschied und versuche, eine neutrale Miene aufzusetzen, während ich Dad zum Eingang folge. Meine Strafe dauert bloß acht Wochen. Im Großen und Ganzen sind acht Wochen gar nichts. Ein kurzes Aufflackern in der Unendlichkeit der Zeit. Die Vorbereitungen für das alljährliche Frühlingsmusical unserer Highschool werden zum Glück auch erst im Spätherbst anfangen, ich sollte es also schaffen – wenn ich ganz brav bin und in diesen nächsten paar Monaten das Vertrauen meiner Eltern zurückgewinne –, mir die Stelle als Regisseurin bei der Aufführung zu verdienen, bevor Starbucks aufhört, Pumpkin Spice Lattes zu verkaufen.
»Da wären wir!«, sagt Dad laut und ich erschrecke.
Ich spähe ihm über die Schulter. Im Laden ist es dunkel und ruhig, aber er ist größer, als ich dachte. Von außen sieht er irgendwie aus wie ein Loch in der Wand, doch drinnen ist tatsächlich viel Platz … beziehungsweise wäre viel Platz, wenn der Raum nicht komplett mit allem möglichen Zeug vollgestopft wäre. Auf einem Podest auf der linken Seite steht ein langer Verkaufstresen, vielleicht, damit die Angestellten den gesamten Ladenbereich überblicken können. Der Rest ist mit Holzregalen vollgestellt. Sie sehen nicht sehr professionell aus, vermutlich hat Dad sie selbst gebaut. Vage erkenne ich ein paar der Spiele wie Warhammer aus Dads Wohnung wieder. Es gibt tonnenweise Dungeons & Dragons-Anleitungen und Figuren, Schachteln voller Pokémon- und Magic-Karten und Aufsteller mit Pinseln und allen möglichen Farben für die Brettspielfiguren, die Dad so gern sammelt.
Ich versuche, ein Lächeln auf mein Gesicht zu zwingen, aber es will nicht so richtig klappen. Schon seit Jahren hat mich Dad immer wieder darum gebeten, in diesen Laden zu kommen. Er ist besessen von Gesellschaftsspielen, Rollenspielen, Videospielen – ich nicht. Ich habe zwar nichts gegen eine Runde Monopoly an den Feiertagen, aber mehr interessiere ich mich dafür dann auch nicht. Im Laufe der Jahre hat das sowohl für ihn als auch für mich zu viel Frust und Enttäuschung geführt.
Dad macht mit mir einen Rundgang durch den Laden, deutet auf alle Produkte und erzählt mir ein bisschen was zu jedem. Mir wird ganz schwindlig. Wie soll ich mir dieses ganze Zeug bitte merken? Was, wenn jemand reinkommt und mich nach einem Brettspiel fragt? Lotti Karotti verkauft er hier ja vermutlich nicht gerade.
»Hey, Joel! Welches von beiden würdest du für einen Zwölfjährigen empfehlen?«, ruft ein dünner Mann Ende zwanzig durch den Laden. »Die verbotene Insel oder Zug um Zug?« Er hält zwei Brettspiele hoch, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe, und bedeutet Dad, zu ihm und einer Frau mittleren Alters rüberzukommen. Sie hat einen kleinen Jungen, vermutlich nicht älter als fünf, dabei und sieht genauso überfordert aus wie ich mich fühle.
»Kleinen Moment, Riley«, sagt Dad und geht rüber. Ich stopfe die Hände in die Hosentaschen und folge ihm. »Na ja, Die verbotene Insel ist toll, wenn ihr gern kooperativ spielt, aber wenn ihr etwas sucht, wo ihr gegeneinander spielen müsst, würde ich das andere empfehlen.« Die Frau nickt, aber ich erkenne den Gesichtsausdruck wieder. Es ist derselbe, den ich auch habe, wenn Dad mit Fakten zu den Warhammer-40000-Armeen um sich wirft.
»Äh, wie meinen Sie das, kooperativ spielen?«, fragt sie.
Dad und der jüngere Mann sehen sich für einen Sekundenbruchteil wissend an, dann stürzt sich Dad auch schon in eine Erklärung. Vor lauter Konzentration hat die Frau die Hand ihres Sohnes losgelassen, der nun munter herumspaziert. Ich mache ein paar Schritte in seine Richtung. In den Regalen sind viele Spielwaren brenzlig aufeinandergestapelt und ein kleines Kind könnte hier sehr schnell sehr viel Schaden anrichten. Es ist nicht in meinem Interesse, hier an meinem ersten Tag alles neu aufbauen zu müssen.
»Pikachu!«, schreit er und schnappt sich eine Schachtel Karten, die auf dem Verkaufstresen liegt.
Ich stelle mich neben ihn, unsicher, was ich tun soll, aber definitiv in dem Wissen, dass ich etwas tun muss. Er starrt mich an. »Du bist knallig.«
Ich schaue an mir herunter. Mein heutiges Outfit ist noch nicht mal einer meiner gewagteren Styles – nach ein paar harten Tagen habe ich mich heute für Gemütlichkeit entschieden und trage eine orange Jeans mit einer kobaltblauen Rüschenbluse, klobigen Schmuck und meine lila karierten Lieblings-Vans. Ich weiß, dass mein Style ein wenig aus der Reihe tanzt, aber ich habe schon vor langer Zeit beschlossen, dass ich Klamotten tragen will, die auffallen. Kein Schwarz, Beige, Braun oder Marineblau für mich. Ich gehe nicht gern unter.
»Tja, danke schön.« Ich zeige auf die Karten. »Spielst du Pokémon?«
»Nein, aber ich gucke die Serie.«
Ich lächle und nicke. Die habe ich auch angeschaut, als ich kleiner war. Man wächst schließlich nicht als Tochter eines ernstzunehmenden Spieleliebhabers auf, ohne an eine Menge Animes herangeführt zu werden.
»Ich mochte Pummeluff immer am liebsten.«
Er blinzelt mich an. »Was ist Pummeluff?«
Mit gespieltem Entsetzen halte ich mir eine Hand vor den Mund. »Bloß das süßeste Pokémon ever! Es ist rosa und rund und singt gern, aber damit schläfert es die Leute immer ein. Und dann wird es sauer und bläht seine Backen auf, so.« Ich blähe meine Backen auf, als wäre ich ein Eichhörnchen mit zu vielen Nüssen im Mund. Dann schlage ich mit den flachen Händen auf meine Backen, sodass alle Luft auf einmal entweicht. Ich lächle vor mich hin und muss daran denken, wie ich das mit Dad immer gemacht habe, als ich noch klein war. Das waren noch unsere besseren Zeiten.
Der kleine Junge kichert. »Das hast du doch nur erfunden.«
Habe ich tatsächlich nicht, aber mir bleibt keine Zeit zum Diskutieren, weil er schon wieder davonhüpft. Ich erinnere mich an eine Schüssel mit Süßigkeiten, die ich hinter dem Tresen gesehen habe.
»Willst du einen Lolli?«
Seine Augen leuchten. »Äh, ja!«
»Entschuldigen Sie, ist es in Ordnung, wenn er einen Lutscher bekommt?«, rufe ich zu seiner Mom hinüber.
Sie nickt dankbar. »Das wäre super.«
Ich führe ihn rüber zum Verkaufstresen, um ihm die Süßigkeitenschüssel unter die Nase zu halten, und zucke zusammen, als sich hinter mir jemand vorbeidrückt. Ein Weißer Junge aus meiner Highschool – Nathan Wheeler. Er hat ein schwarzes T-Shirt und Jeans an, seine dunklen Haare stehen in alle Richtungen ab, als hätte er sich zu oft mit den Fingern hindurchgefahren, und seine breite, schwarze Brille rutscht ihm von der Nase. Wir gehen seit der Junior High auf dieselbe Schule, darüber hinaus sehe ich ihn aber kaum. Ich glaube, dass er fast nirgends mitmischt – zumindest nicht bei den Musik- oder Theaterprojekten, mit denen ich meine ganze Zeit verbringe.
Schnell schnappt er sich eines der versiegelten Kartenpäckchen von hinter der Theke und steckt es in seine Hosentasche. Er nickt, als er sieht, dass ich ihn anstarre, und nimmt dann einen Lolli aus der Schüssel.
»Kräuterlimo mag ich am liebsten.« Dann marschiert er Richtung hinterer Teil des Ladens davon.
Ich bin vollkommen verdattert. Ist er gerade wirklich einfach hinter die Kasse gegangen, ohne zu fragen? Und hat sich etwas genommen? Ich schaue zu Dad rüber, in der Hoffnung, dass er das auch gesehen hat, aber der steht immer noch bei der Kundin. Ich glaub’s einfach nicht, dass ihn in meinen ersten fünf Minuten hier schon jemand bestohlen hat.
»Warte mal kurz«, sage ich zu dem Jungen und gehe auf Dad zu.
»Was ist mit meinem Lolli?«
»Was?« Ich drehe mich zu dem Jungen um, der zum Tresen zeigt. »Ach so, äh, ja klar.« Ich schnappe mir die Schüssel und halte sie ihm hin, dabei behalte ich allerdings Dad im Auge und vergewissere mich, dass sich Nathan noch nicht aus dem Laden geschlichen hat.
Der Mann bei Dad bedeutet der Frau, ihm zur Kasse zu folgen, und Dad winkt mich zu einer Tür weiter hinten im Laden. Ich runzle die Stirn und gehe ihm nach.
»Das ist der Spieleraum, wo wir Abend- und Wochenendveranstaltungen abhalten und wo die Leute sich zum Spielen treffen können«, erklärt Dad, sobald ich in Hörweite bin. Wir betreten einen offenen Raum voller großer Tische und Stühle. An der Wand hängt ein gigantischer Drachenkopf. »Wir haben viele Stammkunden, die den Raum nutzen.« Er deutet zu zwei Männern hinüber, die bei einem Spieletisch in der hinteren Ecke stehen.
»Hast du endlich eine neue Freundin?«, ruft einer von ihnen und winkt mir zu. Er hat ausgedünntes, graues Haar und einen Ohio-State-Pulli an. Bei seinen Worten reiße ich vor Schreck die Augen weit auf.
»Benimm dich, Fred. Das ist meine Tochter.«
»Nett, mal ein neues Gesicht hier zu sehen. Ich bin’s gewohnt, die ganze Zeit nur diesen alten Langweiler anzustarren«, sagt der andere Mann und deutet auf seinen Tischgenossen. Er ist kleiner und rundlicher und hat ein altes Batman-Shirt an.
Dad kichert und spricht leiser. »Das sind Fred und Arthur. Sie sind beide schon im Ruhestand, deswegen sind sie fast jeden Tag da und spielen Flames of War.«
Verwirrt schüttle ich den Kopf. Mit den ganzen Spielenamen komme ich nicht mit, vor allem, weil ich gerade noch wegen Nathans Aktion abgelenkt bin. Sollte ich Dad jetzt gleich unterbrechen, um es ihm zu sagen, oder lieber warten, bis wir nicht mehr in der Nähe von Kunden sind?
»Das ist ein Tischspiel, bei dem sie Kriegsschlachten nachspielen«, erklärt Dad, komplett ahnungslos, was meine Unsicherheit angeht. Er ist eindeutig aufgeregt, mir endlich einmal seinen Laden zu zeigen, nachdem ich ihn so lang gemieden habe. »Mein persönlicher Favorit ist das nicht. Mir ist es lieber, wenn es kleine Fantasy-Elemente gibt. Egal, die Ecke für Tischspiele ist dort hinten, außerdem haben wir eine kleine Verkaufsstation. Die läuft auf Vertrauensbasis.« Er deutet auf offene Tüten mit Chips und Süßigkeiten und einen Kühlschrank mit Limonaden entlang der hinteren Wand, dann richtet er seine Aufmerksamkeit auf eine Gruppe Jungs, die eng zusammengedrängt um einen Tisch herumsteht. »Schau mal, wer da ist. Nathan, komm doch mal kurz rüber.«
Meine Augen weiten sich – ich war zu sehr in Gedanken versunken, um ihn überhaupt zu bemerken.
Er trottet herüber. »Ist alles in Ordnung?«
»Besser als das!«, ruft Dad aus und klopft ihm auf die Schulter, als wären sie alte Freunde. »Riley macht jetzt bei uns im Laden mit.« Er wendet sich mir zu. »Du kennst Nathan doch bestimmt aus der Schule, oder?«
Ich öffne den Mund und schaue von Dad zu Nathan. Oh Mist, alles ist gerade noch sehr viel schlimmer geworden. Dad ist mit diesem Jungen befreundet, der ihn beklaut, und jetzt muss ich diejenige sein, die ihm das beibringt?
Ich verenge die Augen zu Schlitzen und sehe Nathan an, der gelassen neben Dad steht, als hätte er nicht eine Sorge auf der Welt. Ich verstehe mich zwar vielleicht nicht supertoll mit Dad, aber das heißt nicht, dass ich es okay finde, anderen Leuten dabei zuzusehen, wie sie schamlos seine Produkte klauen und damit sein Geschäft schädigen.
»Hey, ich muss mal kurz mit Curtis wegen der letzten Warhammer-Lieferung reden«, sagt Dad zu uns. »Könntest du Riley derweil vielleicht beim Einleben helfen, Nathan?«
Bevor einer von uns überhaupt antworten kann, macht sich Dad auch schon auf den Weg nach vorn, wobei er seltsam zufrieden mit sich selbst aussieht. Ich stemme jedoch eine Hand in die Hüfte. »Hör zu«, flüstere ich. »Ich weiß zwar nicht, wie du und Dad zueinander steht, aber gib mir einfach, was du eben genommen hast, dann sage ich ihm vielleicht nicht, was passiert ist.«
Hinter seinen Brillengläsern blinzelt Nathan langsam, wirft einen Blick zurück zu dem Tisch, an dem seine Freunde uns ignorieren, und kramt in der vorderen Tasche seiner Jeans. »Naja, ich habe immer noch das hier. Ist das ausreichend?« Er hält mir das Lollipapier hin.
»Sehr witzig. Du weißt ganz genau, dass ich von diesen Karten hinter dem Tresen rede.«
Jetzt lacht er. Vielleicht könnte ich davon angetan sein, wie er den Kopf in den Nacken wirft – wäre da nicht die Tatsache, dass mir diese Geste das Gefühl gibt, so klein wie eines dieser Modellfigürchen zu sein, mit denen Fred und Arthur auf der anderen Seite des Raums gerade spielen.
»Wow«, fährt er fort. »Du ziehst aber echt voreilige und komplett seltsame Schlüsse, ohne überhaupt eine Frage zu stellen. Dir ist schon klar, dass ich hier arbeite, oder? Und dass ich diese Karten von meinem eigenen Geld gekauft habe? Oder hast du ernsthaft geglaubt, dass ich die vor deiner Nase gestohlen habe und dann im Laden geblieben bin? Für was für eine Art Taschendieb hältst du mich denn?«
»Ich … na ja …« Er ist ein Angestellter? Ich sehe mich panisch um und suche verzweifelt nach etwas, das mich vor diesem Wortwechsel bewahrt. »Für einen ziemlich miesen, vermutlich.«
»Für den miesesten Dieb, der je auf dieser Erde gewandelt ist.«
Ich sammle die losen, sich auflösenden Fadenenden meiner Würde zusammen und zeige auf ihn. »Moment mal, du brauchst den Spieß gar nicht umzudrehen. Woher hätte ich denn wissen sollen, was hier vor sich geht? Ich habe schließlich nicht gesehen, dass du Geld rausgeholt hast. Ich komme rein und zwei Minuten später spazierst du einfach hinter den Tresen und nimmst dir etwas, ohne ein Wort zu sagen!«
Er wedelt mein Argument mit der Hand weg, als gäbe es da gar nichts zu erklären. »Joel meinte gerade, du machst jetzt bei uns im Laden mit – bitte sag mir, dass er damit gemeint hat, dass du für die nächsten fünf Minuten zu Besuch da bist, und nicht, dass du jetzt, du weißt schon, hier arbeitest?«
»Sag hallo zu deiner neuesten Kollegin.« Ich grinse schadenfroh und breite die Arme weit aus.
»Echt jetzt? Aber du spielst wenigstens was, oder? Brettspiele, Tischspiele, Karten, irgendwas?«
»Nada.«
Er stöhnt auf. »Puh, war ja klar. Natürlich spielst du nichts.«
»Wie bitte?«
»Man kann doch nicht in einem Spieleladen arbeiten und gar nichts spielen. Oder noch schlimmer, Spiele generell verachten«, erwidert er.
»Ich verachte gar nichts.«
Doch meine Stimme verrät mich. Dabei geht es gar nicht um die Spiele selbst. Dieses Zeug kann bestimmt Spaß machen. Sonst könnte es sich Dad auch gar nicht leisten, in einer eigenen Wohnung zu leben, selbst wenn es nur eine kleine ist. Aber immer, wenn ich an seinen Laden denke, denke ich auch an die Scheidung meiner Eltern. Irgendwann waren sie bestimmt mal glücklich, aber ich kann mich bloß noch daran erinnern, dass Dad es sich in den Kopf gesetzt hat, einen eigenen Laden zu eröffnen, und dass Mom versucht hat, es ihm wegen dem Zeit- und Geldaufwand auszureden. Davor hatte er einen guten Job im IT-Bereich. Doch er war so besessen von der Idee, dass Sword and Board Games sie auseinandergerissen hat. Ich habe mir immer gewünscht, Dad könnte die Spiele einfach aufgeben. Wie wichtig konnten die schon sein? Wichtiger als Mom? Wichtiger als ich? Seine Antwort war ziemlich eindeutig.
Trotzig sehe ich auf. »Ist nicht so mein Ding. Das hab ich wohl einfach nicht im Blut.«
»Toll. Dann bin ich ja absolut euphorisch, was unsere Zusammenarbeit angeht.«
Damit stolziert er davon und ich verspüre den Drang, aus dem Laden und vor ein Auto zu rennen.
Noch nie war ich so glücklich, wieder in der Schule zu sein. Mom ist nicht so weit gegangen, mir auch noch mein Handy wegzunehmen, also habe ich den Sonntagabend damit verbracht, Hoshiko alles zu erzählen, was im Laden passiert ist, und mich darüber zu beschweren, dass wir nicht zusammen rumhängen können, bis meine Strafe vorbei ist. Deshalb bin ich superdankbar dafür, im Chorunterricht am Montag neben ihr sitzen zu können.
»Es tut mir so leid, Riley«, sagt sie zum hundertsten Mal. »Ich hätte es dir ausreden sollen, zu der Aufführung zu fahren. Irgendwie.«
Ich hebe eine Augenbraue, woraufhin sie lacht und mit der Spitze ihres langen Fischgrätenzopfs spielt. Hoshiko ist eine Meisterin darin, ihr langes, schwarzes Haar zu flechten, und kommt normalerweise jeden Tag mit einem anderen Zopf in die Schule. Wir beide haben nicht gerade denselben Stil – meistens hat sie eine Yoga-Hose und ein T-Shirt aus einem der vielen Tanz- und Theater-Ferienlager an, in denen sie in der Vergangenheit war –, aber mir gefällt es, dass wir beide unsere eigene Art haben, unsere Kreativität auszudrücken.
Sie sollte sich nicht die Schuld für das geben, was passiert ist. Wir wissen beide, dass ich impulsiv sein kann und dass nichts und niemand es mir hätte ausreden können, Moms Auto zu nehmen, nachdem das von Hoshiko nicht mehr anspringen wollte. Wir hatten schließlich mehrere Hundert Dollar ausgegeben und uns die letzten zwei Monate über nichts anderes als die Tournee-Aufführung von Waitress unterhalten – niemals hätten wir uns die Gelegenheit durch die Lappen gehen lassen. Und mal ehrlich, sogar trotz der Standpauke meiner Eltern, meiner Strafe und dieses grauenhaften Zwischenfalls mit Nathan gestern, würde ich es sofort wieder tun. Es ist einfach unvergleichlich, nach einer Vorstellung Autogramme und von der Hauptdarstellerin viel Glück auf meinem Weg zur Broadyway-Regisseurin gewünscht zu bekommen. Da ist für mich ein Traum wahr geworden.
»Also bloß zwei Monate lang arbeiten, hm?«, fragt Hoshiko mit einem Seufzer. »Und du bist dir sicher, dass sie dich diesen Job auch kündigen lassen, sobald es mit dem Musical losgeht?«
»Ja, auf jeden Fall. Nie und nimmer verpasse ich das.«
Die Anspannung in Hoshikos Schultern löst sich. »Gut. Ich will das nämlich nicht ohne dich machen.«
Es ist lieb von ihr, das zu sagen, aber auf gar keinen Fall würde ich sie das Musical verpassen lassen, egal, was bei mir passiert. Hoshiko ist eine fantastische Schauspielerin. Ihre Eltern haben ihren Namen ausgewählt, weil er auf Japanisch »Sternenkind« bedeutet, was perfekt zu ihr passt, denn sie wird ganz bestimmt mal ein Star werden. Wenn sie nicht seit der vierten Klasse meine beste Freundin wäre, würde ich sie vermutlich wahnsinnig beneiden. Sie ist klug und wunderschön, eine herausragende Sängerin und eine noch bessere Tänzerin. Sie hat jede Woche Ballett-, Jazz- und Stepptanzstunden und sogar einen Kurs zu Broadway-Tanz belegt.
»Was meinst du, für welches Musical werden sie sich dieses Jahr entscheiden?« Mit einer Kopfbewegung deutet sie zu den Musical-Postern aus den letzten Jahren hinüber, die ringsum an den cremefarbenen Wänden des Chorklassenzimmers hängen. Sie reichen mehr als fünfzehn Jahre zurück – lang genug, dass die ältesten schon ein bisschen gelblich und veraltet aussehen.
»Keine Ahnung. Schwer zu sagen, jetzt, wo Mrs Bordenkircher nicht mehr da ist.« Leider ist die langjährige Chor- und Musicalleiterin unserer Schule in den Ruhestand gegangen, weshalb ich mich jetzt noch mal vor jemand ganz Neuem beweisen muss. »Vielleicht hab ich Glück und kann bei der Auswahl helfen.«
Hoshiko und ich machen jetzt schon seit zwei Jahren beim Musical unserer Highschool mit, aber unsere Liebe zum Theater reicht zurück zu der Zeit, als wir uns mit neun in einem Theater-Ferienlager kennengelernt haben. Weil sie so viel Freude ausgestrahlt hat und ich mich in ihrer Gegenwart nie zurücknehmen musste, habe ich mich sofort zu ihr hingezogen gefühlt. Ich konnte so maßlos überdreht sein, wie ich wollte, und sie war trotzdem nie beschämt oder genervt deswegen. Ihr als einziges japanisch-amerikanisches Mädchen in jeder Aufführung beim Brillieren zuzusehen, hat mir tatsächlich erst gezeigt, was es heißt, auf der Bühne wirklich selbstbewusst zu sein.
Jetzt, wo ich in der 11. Klasse bin, träume ich davon, Regisseurin unseres Musicals zu werden. Okay, eigentlich träume ich davon, Bühnenregisseurin für jene Musicals am Broadway zu sein, die den Tony Award gewinnen, aber jeder muss mal irgendwo anfangen.
Mit gerunzelter Stirn schaue ich von meinem Stuhl aus in dem abgestuften Klassenzimmer nach unten zu Miss Sahni. Sie sitzt vor einem Klavier, lacht und unterhält sich mit ein paar anderen Schülerinnen und Schülern, bevor die Stunde anfängt. Ihr glitzernder Schmuck und ihre roten Stiefeletten sprechen mir aus der Seele, sie ist viel modischer angezogen als die meisten anderen Lehrkräfte. Sie ist noch sehr jung – gerade frisch vom College – und ich habe da schon so ein Gefühl, dass sie superbeliebt sein wird. Vermutlich wäre es eine gute Idee, ihr zu zeigen, wie sehr ich mich schon auf die diesjährige Aufführung freue, aber es sind noch nicht mal zwei Wochen des neuen Schuljahrs vergangen und ich will sie nicht überfordern.
Als die anderen Schülerinnen und Schüler, mit denen sich Miss Sahni unterhalten hat, zurück zu ihren Plätzen gehen, stehe ich entschlossen auf. »Okay, ich sage ihr noch schnell was, bevor wir anfangen.«
Doch noch bevor ich einen Schritt auf sie zu machen kann, versperrt mir jemand den Weg. Als ich erkenne, wer es ist, weiche ich zurück. Paul – mein Ex und die allerletzte Person, die ich sehen will.
»Hi, Hoshiko. Riley, wie geht’s dir?« Das fragt er mich in einem Ton, als hätte es einen plötzlichen Todesfall in meiner Familie gegeben.
Angesichts seines Tonfalls schnaube ich empört. Ich habe es geschafft, ihm seit dem Katastrophentag im Juni größtenteils aus dem Weg zu gehen. Paul hat mit mir Schluss gemacht, nachdem er die Hauptrolle in der Gemeindeproduktion von The Music Man ergattert hat und ich keine Rolle bekommen habe. Seitdem brodle ich vor Wut, vor allem wegen seines herablassenden Tons, in dem er mir erklärte, dass er von nun an keine Zeit mehr für mich hätte.
»Was meinst du?«, will ich wissen.
»Ich hab mich bloß gefragt, wie es dir so geht seit, du weißt schon … allem, was im Sommer zwischen uns passiert ist. Ich habe das Gefühl, dass du mir aus dem Weg gehst.«
Äh, natürlich bin ich ihm aus dem Weg gegangen? Es ist einfach der Selbsterhaltungstrieb, eine Person zu meiden, wegen der man sich Rotzblasen wegwischen muss, während sie einem sagt, dass man vielleicht besser bei der Bühnen-Crew aufgehoben wäre. Aber denkt er abgesehen davon wirklich, dass unsere Trennung an ein echt traumatisches Ereignis in meinem Leben rankommt? Ich muss den Impuls unterdrücken, ihm nicht gespielt vor die Füße zu kotzen.
»Mir geht’s super.« Ich recke das Kinn und grinse breit.
»Ach ja?« Sein Blick ist voller Mitleid, was mich fuchsteufelswild werden lässt. »Am Wochenende hab ich noch an dich gedacht und gehofft, dass du nicht zu sauer bist wegen allem.«
Ich stutze kurz, bis mir klar wird, worüber er vermutlich gerade spricht. Am Wochenende war die letzte Aufführung von The Music Man. Ja, ganz sicher hat er da wahnsinnig viel an mich gedacht, während er sich in den Standing Ovations für seine Hauptrolle gesuhlt und mit allen gleichaltrigen Schauspielerinnen geflirtet hat.
Hoshiko knufft mich mit dem Ellbogen in die Seite. »Wir hatten auch superviel Spaß am Freitag.«
Ich nicke. »Ja, unglaublich viel. Wir haben uns Waitress in Columbus angesehen. Und danach noch ein paar Autogramme bekommen.«
»Wow, cool. Eine tolle Show – meine Eltern und ich haben sie in New York gesehen, als Jessie Mueller noch mit der Originalbesetzung aufgetreten ist. Aber die Tournee-Besetzung war bestimmt auch gut.«
Ich werfe Hoshiko einen Seitenblick zu – sie versucht zu verbergen, wie genervt sie ist, aber mal ernsthaft, was habe ich je in diesem Typen gesehen? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er so war, als wir noch zusammen waren. Wobei, wenn ich ganz ehrlich bin, weiß ich genau, was ich in ihm gesehen habe. Er hat zu hundert Prozent das Potenzial zum anbetungswürdigen Hauptdarsteller. Er sieht aus wie Zac Efron während seiner Highschool-Musical-Zeit, mit seinen gewellten, braunen Haaren und dem Zahnpasta-Lächeln. Und leider ist er auch genauso talentiert wie Zac. Bei dem Gedanken, wie er die Theaterwelt im Sturm erobern wird, gleich nachdem er seinen Abschluss gemacht hat und nach New York gezogen ist, balle ich die Hände zu Fäusten.
»Hör zu …« Er schaut Hoshiko kurz an und tritt dann näher an mich heran, als ob er sie aus der Unterhaltung ausschließen wollte. »Zwischen uns ist alles cool, oder? Wir hatten nie wirklich die Gelegenheit, miteinander zu reden. Ich hoffe, du bist nicht mehr sauer wegen der Trennung – es war einfach das Sinnvollste, in Anbetracht dessen, wie beschäftigt ich dann war. Mit den ganzen Proben hätte ich sowieso keine Zeit mehr zum Rumhängen gehabt.«
»Nee. Überhaupt nicht mehr sauer. Tatsächlich bin ich selber gerade superbeschäftigt.«
Er blinzelt verwirrt. »Wirklich? Womit denn?«
»Ich arbeite jetzt nach der Schule«, platzt es aus mir heraus, bevor ich es mir anders überlegen kann.
»Wo?«
Ich verpasse mir gedanklich einen Arschtritt. Ich hätte sofort weggehen sollen, als er hergekommen ist. Ich habe null Interesse daran, ihm meinen neuen Job zu erklären (oder warum ich ihn annehmen musste), aber genauso wenig kann ich es ausstehen, dass er denkt, ich wäre allein und würde mich nach ihm verzehren, während er da draußen sein bestes Leben lebt. Also atme ich tief durch und straffe die Schultern.
»Bei Sword and Board Games.«
»Du arbeitest im Laden von deinem Dad? Aber du magst Spiele doch gar nicht.«
»Klar mag ich die.« Ich mache einen Schritt nach hinten. »Ich habe viele Interessen, von denen ich dir nie erzählt habe.«
Paul will gerade den Mund aufmachen, um noch etwas zu sagen, wird aber von Miss Sahni unterbrochen, die zwei Mal in die Hände klatscht und unsere Chorgruppe zur Ordnung ruft. Daraufhin fangen wir mit dem Aufwärmen an und das erspart mir einen weiteren Kommentar von Paul.
Normalerweise nutzt Miss Sahni jede einzelne Minute unserer Stunde für Chorproben, da wir nicht viel Zeit zusammen haben, doch heute hört sie zehn Minuten früher auf. Sie setzt sich auf den Klavierhocker und wirft einen ernsten Blick in die Runde.
»Also, Leute.« Sie wartet einen Moment, bis vollkommene Ruhe herrscht. »Hört zu, bevor wir heute Schluss machen, gibt es ein paar Neuigkeiten, die ich euch mitteilen muss. Wie ihr alle wisst, ist Mrs Bordenkircher letztes Jahr als Musicalleitung zurückgetreten und wie es scheint, ist der Glaube der Schule an unser musikalisches Programm mit ihr in Rente gegangen. Nach dem, was mir gesagt wurde, hat die Verwaltung den Eindruck, dass das Interesse an dem Frühlingsmusical abnimmt. Immer weniger Schülerinnen und Schüler machen mit, es gibt weniger Spenden aus der Gemeinde und auch weniger Ticketverkäufe.« Sie lässt den Blick durch den Raum schweifen, den Kopf zur Seite gelegt und die Augenbrauen bedauernd zusammengezogen. »Angesichts des Mangels an Interesse wurde entschieden, Geldmittel zu sparen und das Musical aus dem Budget zu streichen. Wir werden weiterhin einen Chor haben, aber das Frühlingsmusical wurde leider abgesagt.«
Das simultane Aufkeuchen, das aus unseren Reihen zu hören ist, können nur gut ausgebildete Sänger mit starken Lungen hinkriegen. Hoshiko greift nach meiner Hand und drückt sie fest, doch ich kann den Blick nicht von Miss Sahnis Gesicht abwenden. Kein Frühlingsmusical? Das ist unmöglich. Wir haben jetzt schon seit knapp zwanzig Jahren ein Musical an der Schule. Sogar als andere Highschools anfingen, ihre Musicals und andere schulische Freizeitangebote zu streichen, blieb unseres immer stark. Das kann man doch nicht einfach so ohne jede Ankündigung streichen.
»Es tut mir sehr leid, euch das mitteilen zu müssen, vor allem, da das Schuljahr erst vor ein paar Wochen angefangen hat. Ich weiß, dass das ein großer Schock ist. Aber das Geld in den Künsten ist immer knapp und wenn wir uns auf eines einigen können, dann darauf, dass die Show in der ein oder anderen Form weitergehen muss. Deshalb werden wir stattdessen euer ganzes Talent als Chor beim Winterkonzert vorführen.«
Als sie fertiggesprochen hat, explodiert der Raum vor Lärm und alle drehen sich zueinander um.
»Das ist so unfair!« Hoshikos Stimme ist zittrig und ich weiß, dass sie genauso verzweifelt ist wie ich. Im Alltagsleben kann sie schüchtern und ruhig sein – erst auf der Bühne kommen ihre echte Stärke und ihr Selbstvertrauen zum Vorschein. Ich weiß, wie wichtig ihr diese Aufführung ist.
»Das können wir nicht einfach so stehenlassen«, sage ich.
Sie nickt traurig. »Ich weiß. Das ist schrecklich.«
Ich wende mich an sie. »Nein, ich meine das wirklich so. Das kann nicht das Ende sein. Es muss doch was geben, was wir tun können.«
Sie blinzelt mich an. »Das wäre schön, aber das klingt nach einer beschlossenen Sache.«
»Sachen sind immer beschlossen, bis man einen Ausweg findet«, murmle ich und starre meine karierten Vans an. Hoshiko wollte Waitress auch schon aufgeben, und da habe ich auch einen Weg gefunden, wie wir doch noch zur Show kommen. Sicher, für diese Entscheidung werde ich die nächsten acht Wochen bezahlen, aber der Punkt ist, dass ich etwas getan habe. Und jetzt werde ich wieder etwas tun.
»Könnt ihr das glauben?«
Ich muss gar nicht erst aufsehen, um zu wissen, dass es schon wieder Paul ist. Ich wette, er ist besonders froh, dass er diesen Sommer noch bei The Music Man auftreten konnte, jetzt wo wir alle unser Musical eingebüßt haben. Auf seine Frage gehe ich nicht mal ein.
»Ich werde mit Miss Sahni reden«, sage ich zu Hoshiko.
»Du und der Rest des Chors«, sagt Paul und deutet zum Klavier hinunter. Und tatsächlich, sie ist von einer Schülertraube umzingelt und es sieht so aus, als würden einige von ihnen weinen. Das ist zwar verständlich, aber nicht die produktivste Art, auf die man seine Energie verwenden kann.
»Ich gebe nicht auf«, sage ich und sehe Hoshiko und Paul immer noch spitz an.
Paul macht wieder einen Schritt auf mich zu, als wären wir ein kleines Team. »Pass auf, wenn du meinen Rat hören willst, solltest du dir damit etwas Zeit lassen. Niemand wird sich von einer rumheulenden Schar Highschool-Kids umstimmen lassen. Aber Geld regiert die Welt – und damit wird man die Verwaltung umstimmen können.«
Ich ziehe eine Schnute, frustriert von der Tatsache, dass Paul recht hat. Mich bei Miss Sahni zu beschweren, wird nichts bringen. Wenn ich mich im Klassenzimmer umsehe und mir die bestürzten Gesichter anschaue, ist es ziemlich eindeutig, dass immer noch viel Interesse an unserem Musical besteht. Und das, obwohl Mrs Bordenkircher immer Musicals ausgesucht hatte, für die wir uns nicht wirklich interessierten – letztes Jahr haben wir Die Piraten von Penzance gemacht, was in unserer Broadway-Musical-Playlist nicht gerade in Dauerschleife läuft –, außerdem war sie bei den Proben eine komplette Diktatorin. Nur die Wildentschlossensten von uns sind geblieben.
Aber das könnte man alles ändern. Wenn wir ein lustiges, moderneres Musical aussuchen würden – etwas, mit dem wir unser Talent zeigen, aber alte Sets und Kostüme verwenden können –, wette ich, dass sich noch viel mehr Leute dafür interessieren würden. Miss Sahni wäre eine viel beliebtere Lehrerin, um es zu leiten, und ich würde nur allzu gern die Position der Regisseurin einnehmen, um ebenfalls mitzuhelfen. Und ein beliebteres Musical würde auch mehr Ticketverkäufe bedeuten. Eine Welle der Aufregung erfasst mich. Das ist so was von möglich und ich werde die Hoffnung nicht aufgeben.
»Sieht aus, als würdest du was aushecken, Riley«, sagt Paul, während er mich mustert. »Ich will mithelfen, aber der Regisseur meines Gemeindetheaters hat mich gebeten, diesen Herbst Schauspiel-Workshops zu geben, deswegen ist bei mir offensichtlich Land unter.«
Ja, offensichtlich. Ich verdrehe die Augen. Überlassen wir es Paul, meiner Aufregung mit seinem übergroßen Ego einen Dämpfer zu verpassen.
»Zum Glück brauche ich deine Hilfe nicht.« Ich gehe um ihn herum und Hoshiko huscht an meine Seite, doch anstatt zu Miss Sahni zu gehen, schreite ich auf die andere Seite des Raums zur Doppeltür, die auf den Gang hinausführt.
»Sorry, aber er ist echt schlimm«, sagt Hoshiko.
»Bei mir brauchst du dich nicht zu entschuldigen – das sollte eher andersrum sein. Echt unglaublich, dass ich dich dazu gezwungen habe, so oft mit ihm abzuhängen.«
»Na ja, falls dich das aufheitert, als ihr zwei euch noch gedatet habt, war er noch nicht so ein Idiot.«
Ich kichere. »Und wie mich das aufheitert.« Ich schaue über die Schulter zu Miss Sahni. »Also, ich habe eine Idee, aber die auszubauen könnte etwas Zeit in Anspruch nehmen. Soll ich Miss Sahni trotzdem kurz davon erzählen?«
»Es läutet sowieso gleich.«
Chor ist die letzte Stunde des Tages und Dad wartet vermutlich schon draußen auf mich, um mich zum Laden zu fahren. Ein Teil meiner »Strafe auf Bewährung« lautet nämlich keine Freizeit nach der Schule und keine Spazierfahrten mit irgendwelchen Freunden. Und auch wenn ich es wirklich nur äußerst ungern zugebe, hat Paul wahrscheinlich recht. Unvorbereitet mit ihr zu sprechen, wird nichts bringen. Ich brauche Details und einen Plan.
Da läutet auch schon der Gong und nimmt mir die Entscheidung ab.
»Okay, ich lege mir einen Plan zurecht und dann rede ich mit ihr.« Ich schnappe mir meine Schultasche und wir drücken uns mit der Menge in den Gang hinaus. »Aber ich werde nicht aufgeben, bis du wieder auf dieser Bühne stehst und im Scheinwerferlicht strahlst.«
»Und du Standing Ovations für deine herausragende Regie bekommst.«
Wir grinsen uns an, nächsten Frühling schon vor unserem geistigen Auge. So oder so, ich werde das auf die Beine stellen – für uns beide.
Am nächsten Nachmittag wartet Dad wieder auf dem Parkplatz auf mich. Ich steige in sein Auto ein. »Sicher, dass mich Hoshiko nicht auch mal beim Laden absetzen kann?«
Er schüttelt den Kopf. »Nein, kann sie nicht. Außerdem komme ich dich gern abholen. Das erinnert mich daran, wie ich dich damals immer zur Grundschule gebracht habe. Erinnerst du dich, wie wir uns an den Händen gehalten haben und zusammen in die Schule gegangen sind?«
Ich verdrehe die Augen. »Ich bin keine sechs mehr, Dad.«
»Weiß ich doch.«
Wenn ich ehrlich bin, erinnere ich mich wirklich daran. Ich habe viele schöne Erinnerungen aus den Prä-Scheidungs-Zeiten, aber sie fühlen sich so weit weg an. Die letzten fünf Jahre voller gestelzter Unterhaltungen, getrennter Urlaube und Wochenendbesuche haben sie in den hintersten Winkel meines Gedächtnisses verdrängt. Wenn er mit dem Stand der Dinge zwischen uns unglücklich ist, ist das ganz allein seine Schuld.
»Riley? Hallo?«
»Sorry, ich hab nur … über meinen Aufsatz in Geschichte nachgedacht.«
»Ist gerade irgendwas Interessantes los in der Schule?«
Ich ziehe eine Grimasse und muss an Miss Sahnis Ankündigung von gestern denken. Ich habe den ganzen letzten Tag darüber nachgegrübelt, aber meine Gefühle noch nicht unter Kontrolle bekommen. Ohne das Musical … wie soll da das Schuljahr überhaupt aussehen? Ich verpasse sowieso schon so viel, weil ich in diesem nervigen Laden feststecke, und jetzt wurde der Rest auch noch eingestampft. Normalerweise dreht sich mein ganzes Schuljahr um das Musical. Die Rollen durchforsten und mich mit Hoshiko auf das Vorsingen vorbereiten, gespannt darauf warten, dass die Besetzungsliste verkündet wird, Kostüme organisieren, beim Bühnenbild helfen und dann die Proben, das Beste am ganzen Frühling. Und jetzt? Nichts.
In meinen Augen brennen Tränen, doch ich starre einfach aus dem Fenster und presse die Lippen fest zusammen. Auf gar keinen Fall werde ich auch nur ein Wort davon Dad erzählen. Im Laufe der Jahre mag er zwar zu meinen Aufführungen gekommen sein, aber er weiß nichts über Musicals und hat auch nie versucht, mehr darüber zu erfahren. Die Gesprächsthemen mit ihm beschränken sich auf Pizzabeläge, flüchtige Gedanken zu meinen Hausaufgaben und Lehrkräften und warum ich müde bin und Me-Time brauche. Gefühlsduselei und Unterhaltungen über zerbrochene Träume? Nein, danke.
»Einfach nur Schule«, sage ich leise. »Da gibt’s nichts zu erzählen.«
Dad schaut finster drein. »Na dann. Also, wenn es im Laden ruhig ist, habe ich mir überlegt, dass du dir unser Inventar mal genauer ansehen könntest.«
Na also, da wären wir wieder bei seinem Lieblingsthema.
»Du wirst den Unterschied zwischen Siedler von Catan und Carcassonne kennen müssen«, sagt er und setzt den Blinker.
Ich ziehe eine Augenbraue hoch und schaue ihn an.
»Wie sieht’s mit Dungeons & Dragons und Pathfinder aus?«
»Von Dungeons & Dragons hab ich schon mal gehört«, sage ich und zucke mit den Schultern.
Er schnaubt. »Na, das will ich auch hoffen.«
Wir biegen auf den Parkplatz ein und ich folge ihm in den Laden, bin in Gedanken aber immer noch bei der Schule. Wenn ich ernst genommen werden will, brauche ich überzeugende Argumente. Ich hätte viel Zeit, einen Plan zu schmieden, wenn ich nicht jeden verdammten Abend hier bei Sword and Board wäre. Stattdessen habe ich zwischen der Schule, meinen Hausaufgaben und der Schicht im Laden überhaupt kaum mehr Freizeit.
Links neben mir steht Nathan und nimmt ein Brettspiel unter die Lupe. Seine dunklen Haare sollten dringend mal wieder geschnitten werden und wie immer trägt er ein Nerd-Shirt, diesmal mit einem Videospiel darauf, das ich nicht kenne. Angesichts seiner neuen Anwesenheit in meinem Leben verdrehe ich die Augen. Warum ist er hier, wenn er heute gar keine Schicht hat? Und wie konnte er schneller hier sein als Dad und ich?
»Hey, Nathan, hast du kurz eine Minute?«, ruft Dad.
Nathan sieht von dem Spiel auf. Sein Blick flackert zu mir, bevor er sich auf Dad konzentriert. »Klar. Was gibt’s denn?«
»Ich weiß, dass du heute keine Schicht hast, aber eine neue Lieferung ist früher angekommen und die würde ich gern im Laden auslegen. Wäre es okay für dich, wenn du das mit Riley zusammen machst, bevor dein Spiel anfängt? Außer dieser Algebra-II-Kurs verpasst dir schon einen Tritt in den Hintern und du brauchst die Zeit für Hausaufgaben?«
Ich blinzle verwirrt. Dad kennt Nathans Stundenplan? Ich bin mir nicht mal sicher, ob er meinen kennt – wobei, dazu müssten wir ja echte Unterhaltungen führen. Es sollte mich nicht überraschen, dass er Nathan nähersteht, angesichts der Tatsache, wie viel sie gemeinsam haben.
»Ja, kann ich machen. Kein Problem«, erwidert Nathan. Und vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, aber er wirkt genervt, bevor ein höflich-neutraler Ausdruck auf seinem Gesicht erscheint.
»Super!« Dad klopft ihm auf die Schulter und schaut zwischen uns hin und her. »Dann habt ihr zwei endlich mal die Gelegenheit, euch besser kennenzulernen.«
Ich Glückspilz.
Wir starren uns mit versteinerter Miene an und Dads Stimme stockt leicht. »Äh … gut, ich bin dann mal am Telefon und spreche mit Händlern, falls ihr irgendwas braucht.«
Dad lässt uns allein und für einen weiteren Augenblick stehen wir schweigend da. Fantastisch. Ich war vorher schon frustriert, aber jetzt muss ich auch noch direkt mit Nathan zusammenarbeiten? Der Abend wurde gerade von leicht nervig zu absolut erbärmlich upgegradet.
Er deutet mit dem Kopf nach links und ich folge ihm in den Lagerraum. Der ist ein totales Chaos. Neben Würfelpackungen, Farbbehältern und tonnenweise Kartons, die an den Wänden lehnen, türmen sich überall Verpackungen. Ich reiße die Augen weit auf. »Hält denn hier gar keiner Ordnung?«
Er starrt mich wütend an. »Natürlich halten wir hier Ordnung. Es ist sehr …« Er besieht sich den Raum und wedelt mit der Hand. »Es gibt eine Ordnung im Chaos. Die wirst du schon noch irgendwann erkennen.«
Ich zucke mit den Schultern. »Mir wäre es lieber, ich wäre nicht lang genug hier, um die kennenzulernen.«
»Warum hast du dir den Job dann ausgesucht?«
Sein Tonfall ist zu scharf, als dass ich ihm eine echte Antwort geben würde. »Meine Eltern wollten das so«, erwidere ich kühl.
»Wenn du gar nicht hier sein willst, solltest du dich vielleicht besser nach was anderem umsehen. Manche von uns sind nämlich wirklich gern hier. Und haben wenig Lust darauf, ihre Zeit mit dir zu verschwenden.«
Ich schnaube. »Du arbeitest doch gerade, oder nicht? Wenn du es auf mehr Geld abgesehen hast, musst du das schon mit Dad ausmachen.«
Er dreht mir den Rücken zu und nimmt eine Kiste vom nächsten Stapel ganz oben herunter. »Du weißt es gar nicht zu schätzen, wie toll es ist, in so einem Laden zu arbeiten. So schlecht wie du drauf bist, wirkt es eher, als wäre das eine Bestrafung oder so.«
Mein Blick flackert zu seinem Hinterkopf. Nathan ist aufmerksamer, als ich gedacht hätte, aber auf gar keinen Fall werde ich mit ihm über meine Strafe reden, wenn er schon so voreingenommen ist.
»Erstens mal, warum beobachtest du mich? Und zweitens, die einzig echte Bestrafung hier ist, dass ich mit dir zusammenarbeiten muss.«
»Glaub mir, ich hab versucht, dich zu ignorieren, aber deine Klamotten sind so laut, da kannst du auch genauso gut mit einem Megafon herumlaufen, um deine Gegenwart anzukündigen.«
Mit abschätzigem Blick beäugt er mein Outfit. Heute trage ich einen roten Faltenrock mit einer pink-rot-gepunkteten Oversize-Strickweste über einer knallblauen Bluse. Geschmackvoll ist was anderes, aber ich sehe trotzdem süß darin aus.
»Immerhin ist mein Stil ein Statement – du hingegen besitzt vermutlich bloß Spider-Man-T-Shirts.«
Nathan wirft mir einen wütenden Blick über die Schulter zu, den ich mit einem trotzigen Grinsen erwidere. Er gibt mir ein Cuttermesser und deutet auf einen Stapel Schachteln. »Hier. Zuerst müssen wir die aufmachen. Vorsicht, das ist echt scharf.«
»Welche Seite?«
Seine Augen weiten sich leicht, bis ihm klar wird, dass ich einen Scherz gemacht habe.
»Danke, das war ein Test. Jetzt weiß ich genau, für wie blöd du mich hältst.«
Das erwidert er nur mit einem Grunzen.