Dunkeltal – Gefahr in den Bergen - Wolfram Hänel - E-Book

Dunkeltal – Gefahr in den Bergen E-Book

Wolfram Hänel

0,0
11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein gestohlenes Mountainbike, ein illegaler Trail und ein wilder Bär – Lucas Ferien sind voller Abenteuer! Luca ist genervt von den Ferien bei seiner Tante, die in einem kleinen Bergdorf in den Alpen lebt. Da lernt er Alma kennen, die im Dorf verdächtigt wird, ein Mountainbike geklaut zu haben. Gemeinsam versuchen die beiden, das Rätsel um das gestohlene Fahrrad zu lösen. Dabei entdecken sie einen illegalen Mountainbike-Trail im Wald, mitten im Naturschutzgebiet. Als sie versuchen, die Verantwortlichen zu überführen, überschlagen sich plötzlich die Ereignisse, und auf einmal stecken sie mittendrin in einem richtigen Abenteuer. Denn die Mountainbiker sind nicht die einzigen, die ihnen im Wald gefährlich werden können – angeblich soll dort auch noch ein echter Bär gesichtet worden sein … Ebenfalls von Wolfram Hänel bei KARIBU erschienen: Sørlandet – Die Falle der Elchjäger

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 183

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für Ezra und Chaya

Wie alles anfängt

Eigentlich fängt alles damit an, dass sie sich streiten. Luca und seine Eltern. Sie streiten sich öfter, was ja klar ist, weil Peter und Sabine manchmal einfach nicht ganz durchblicken. Genauso wie alle anderen Eltern auch, die keine Ahnung davon haben, was jemand gut findet, der gerade zwölf geworden ist. Und was er eben nicht gut findet. Oder sogar ganz furchtbar, voll daneben, echt unterirdisch doof.

So ist es auch diesmal. Lucas Mutter will in den Ferien in irgendein Bergdorf in den Alpen. Zu ihrer Schwester, Tante Luzie, die da vor Kurzem hingezogen ist. Lucas Vater findet die Idee großartig: »Da können wir jeden Tag wandern«, schwärmt er und kriegt sich vor Begeisterung gar nicht mehr ein.

Nur dass Luca keine Lust hat, zu wandern. Er will auch nicht in die Berge. Und er findet Tante Luzie voll anstrengend.

LUCAWILLANSMEER! An die Nordsee. Auf genau dieselbe Insel, auf die auch sein bester Freund Tommi fährt .

»Nordsee ist zu teuer«, erklärt sein Vater.

»Und Luzie freut sich schon auf uns!«, behauptet Lucas Mutter. »Und ich mich auf sie! Außerdem will ich unbedingt wissen, wie es da so ist, wo sie jetzt wohnt.«

»Aber was soll ICH da?«, fragt Luca.

»Wandern«, sagt sein Vater prompt. »Du wirst sehen, wie toll das ist, wenn du auf einem steilen Felspfad bis zum Gipfel hinaufgekraxelt bist und dir dann plötzlich die ganze Welt zu Füßen liegt.«

Luca findet schon das Wort »kraxeln« ziemlich schlimm. Irgendwie klingt das nach verstauchtem Fußgelenk. Oder sogar nach zwei gebrochenen Beinen! Fuß verstaucht, beide Beine gebrochen, Arm ab. So was. Wahrscheinlich auch noch schwere Gehirnerschütterung. Mindestens!

Und das Kaff von Tante Luzie heißt zu allem Überfluss auch noch »Dunkeltal«, was ja wohl nur bedeuten kann, dass es da dauernd dunkel ist. Weil die Berge drum herum so hoch sind, dass die Sonne gar nicht bis zum Dorf kommt. Oder nur genau mittags, für eine Stunde oder so.

Aber Luca hat keine Chance gegen seine Eltern. Und Luca ist echt sauer! Weil er ja schon vorher weiß, dass der ganze Urlaub eine einzige Ka-tas-tro-phe werden wird.

Tommi gibt ihm recht. »Da hast du ja voll die Arschkarte erwischt«, sagt er. »Aber keine Panik, Alter. Ich schick dir ein Foto von der Insel. Mit mir am Strand, wie ich gerade meinen neuen Lenkdrachen ausprobiere.«

Sehr witzig! Für einen kleinen Moment wünscht sich Luca, dass Tommi sich in der Schnur von seinem blöden Drachen verheddert. Und mit dem Kopf voran in den Sand knallt. Oder noch besser: dass eine Sturmböe kommt und Tommi und seinen Drachen mit sich reißt, weit hinaus aufs Meer, bis nach England oder so.

Es ist natürlich gemein, sich solche Sachen zu wünschen. Gemein und fies und voll unfair. Deshalb sagt Luca dann auch gleich: »Ich schick dir auch ein Foto. Vielleicht von einem Adler, der gerade im Sturzflug runterkommt, um sich ein Kaninchen zu schnappen.«

»Cool«, meint Tommi. »Vielleicht wird es ja doch gar nicht so schlecht bei dir, wenn es da in den Bergen Adler gibt! Schick mir unbedingt so ein Bild, okay? Am besten noch mit dir drauf, wie der Adler so über dir schwebt und sich mit seinen Krallen deine Cap holen will!«

»Mach ich«, verspricht Luca.

Da hat er allerdings noch keine Ahnung, dass der Urlaub in den Bergen tatsächlich viel aufregender wird, als er sich das jemals vorgestellt hat. Und dass er Tommi kein Bild von einem Adler schicken wird, sondern etwas viel Besseres. So krass, dass es ihm garantiert keiner glauben würde, wenn er es jetzt schon wüsste. Er selber würde es übrigens auch nicht glauben …

1

Drei Wochen später

Sie sind fast den ganzen Tag mit dem Zug gefahren. Nein, falsch. Mit vier Zügen! Und eigentlich sind sie die meiste Zeit nur umgestiegen. Also von einem Bahnsteig zum nächsten gerannt, um den Anschlusszug noch zu erwischen. Weil natürlich gleich der erste Zug Verspätung hatte. Voll der Stress!

Aber wahrscheinlich war es trotzdem schlau, dass sie nicht mit dem Auto gefahren sind. Weil sie da garantiert jetzt noch irgendwo im Stau stecken würden. Und morgen wahrscheinlich auch noch. Oder sie würden im Krankenhaus liegen, weil irgendein Vollidiot zu schnell gefahren ist und sie einen Unfall hatten.

So sind sie jetzt wenigstens schon mitten in den Alpen. Jedenfalls sind da um sie herum lauter Berge. Hohe Berge. Auf manchen liegt sogar noch Schnee!

»Fast da«, sagt Lucas Mutter. »Jetzt müssen wir nur noch mit dem Linienbus in das Bergdorf.«

Aber dann sitzen sie noch kaum im Bus, als Lucas Vater ihn plötzlich mit dem Ellbogen anstößt und behauptet, dass er noch eine Überraschung für ihn hätte. Etwas ganz Besonderes hätte er sich mit Lucas Mutter ausgedacht!

»Pass auf, Luca, wir beide fahren nur ein kleines Stück mit, dann steigen wir aus. Du und ich.«

»Hä?«, macht Luca und kapiert gar nichts.

»Ich fahre mit dem Bus weiter«, erklärt Lucas Mutter, »und Papa und du …«

»Ja?«, fragt Luca, als seine Mutter mitten im Satz aufhört zu reden. Er ahnt plötzlich, dass gleich etwas kommt, was ihm nicht gefallen wird.

»Wir laufen bis zu dem Bergdorf«, sagt sein Vater. »Ein echtes Männerabenteuer! Freust du dich? Ich freu mich, Junge, das wird bestimmt klasse, wenn wir dann heute Nacht im Schlafsack liegen und über uns die Sterne funkeln.«

»Was?«, ruft Luca so laut, dass sich ein paar andere Fahrgäste neugierig zu ihnen umdrehen. »Wieso liegen wir heute Nacht im Schlafsack und gucken uns die Sterne an? Ich denke, wir wohnen bei Tante Luzie!«

»Tun wir ja auch. Aber bis nach Dunkeltal hoch schaffen wir es heute nicht mehr. Deshalb übernachten wir draußen, unter freiem Himmel. Sonst wäre es ja auch gar kein richtiges Abenteuer.«

Und bevor Luca noch irgendwas erwidern kann, hält der Bus auch schon an. Der Busfahrer hilft ihnen, ihre Rucksäcke aus dem Gepäckkasten zu wuchten. Mit den Isomatten und den Schlafsäcken. Und mit dem Kochtopf und der Bratpfanne. Was sie ja angeblich alles nur mitgenommen hatten, falls sie mal eine kleine Wanderung machen würden. Genauso wie die Angelrute, die ihnen der Busfahrer jetzt noch in die Hand drückt.

Von wegen »kleine Wanderung«, haha! Jetzt ist die Sache ja wohl klar – Luca ist reingelegt worden. Von seinen eigenen Eltern! Das war alles von Anfang an so geplant. Das mit dem Draußenschlafen und der ganze Quatsch.

Typisch Eltern, denkt Luca, als ob sie nicht einfach sagen können, was sie vorhaben! Aber wahrscheinlich hatten sie Angst, dass sie dann mit ihm dis-ku-tie-ren müssten!

Stimmt ja auch! Dann hätte er ihnen nämlich gleich gesagt, dass sie sich ihre Idee mal ganz schnell wieder abschminken sollten.

Weil er AUFGARKEINENFALL Lust hat, im Schlafsack auf irgendeiner Bergwiese rumzuliegen und sich die Sterne anzugucken. Denn erstens kann man sich die Sterne auch durchs Fenster ansehen, während man schön gemütlich im Bett liegt. Und zweitens gibt es auf den Bergwiesen hier wahrscheinlich auch jede Menge Kuhfladen. Und wo Kuhfladen sind, sind auch Fliegen. Drittens kann es durchaus sein, dass sie sich aus Versehen mitten auf eine Ameisenstraße legen. Weshalb die Ameisen dann sauer sind und bei ihnen in die Schlafsäcke kriechen, um sie zu beißen. Viertens weiß man nie, ob es nicht vielleicht plötzlich ein Gewitter gibt. Fünftens gibt es auf dem Berg wahrscheinlich keinen Handyempfang. Weshalb sie sechstens auch nicht gerettet werden können, wenn sich einer von ihnen ein Bein bricht. Oder beide Beine. Oder jeder eins! Und siebtens …

Siebtens fällt ihm gerade jetzt nichts mehr ein. Aber alles andere hätte er seinen Eltern so gesagt. Genau deshalb dis-ku-tiert man nämlich. Damit jeder sagen kann, was er davon hält, nachts zwischen lauter Kuhfladen mitten auf einer Ameisenstraße rumzuliegen. Und dann auch noch ohne Taschenlampe, weil der Akku vom Handy leer ist. Außerdem waren die Pilze, die sie gepflückt und in der Pfanne gebraten haben, leider giftig. Und eine Pilzvergiftung ist noch viel schlimmer als zwei gebrochene Beine.

Das hätte zumindest seine Mutter auch sofort kapiert. Und das wär’s dann nämlich gewesen mit dieser Idee, zu Fuß zu Tante Luzie latschen zu müssen! Dann hätte sein Vater alleine gebratene Kuhfladen mit Ameisen drauf zum Frühstück essen können. Und auch alleine unter diesem Wasserfall duschen, von dem der Busfahrer gerade erzählt …

Was?

Luca dreht sich zu dem Busfahrer: »Gibt es da echt einen Wasserfall, unter dem man duschen kann, stimmt das?«

»Natürlich«, antwortet der Busfahrer. »Dort den Berg hinauf. Halbe Stunde von hier. Mit einem schönen Wasserbecken zum Baden. Du kannst doch hoffentlich schwimmen, oder?«

»Natürlich«, antwortet Luca, »ist doch klar!«

In Gedanken sieht er sich schon mit einem Kopfsprung ins grünblaue Wasser des Flusses tauchen. Was mit Sicherheit tausendmal besser ist, als weiter in dem heißen Linienbus zu hocken und vor lauter Schwitzen am Sitz festzukleben.

»Cool«, sagt er deshalb nur zu seinem Vater und greift nach seinem Rucksack. Plötzlich kommt ihm die Idee, ein bisschen zu wandern, gar nicht mehr so blöd vor. Halbe Stunde, pah! Das ist nichts. Oder sogar weniger als nichts.

Und wenn sie erst mal gebadet haben, können sie ja auch immer noch zur Straße zurücklaufen und den nächsten Bus nehmen, denkt er. Ihm wird schon irgendwas einfallen, wie er seinen Vater davon überzeugen kann, dass sie nicht unbedingt draußen schlafen müssen.

Seine Eltern gucken ihn gerade an, als wären sie sich nicht sicher, ob mit ihm wirklich alles in Ordnung ist. Sie kapieren eindeutig nicht, warum er jetzt auf einmal so gute Laune hat. Aber dann haut ihm sein Vater auf die Schulter und meint: »Wusste ich’s doch! Das ist mein Sohn!«

Und seine Mutter gibt ihm noch einen Kuss und strubbelt ihm durch die Haare, bevor sie schnell wieder einsteigt, weil der Busfahrer schon drängelt.

Keine Minute später lässt der Bus Luca und seinen Vater in einer blauen Abgaswolke zurück und kurvt die Straße hinauf.

»Los geht’s«, sagt Lucas Papa und zeigt mit der Angelrute auf den schmalen Pfad, der sich zwischen den Felsen nach oben windet.

Das Problem ist nur, dass der Busfahrer offensichtlich keine Ahnung von der Gegend hier hatte. Oder er hat knallhart gelogen! Vielleicht weil er keine Touristen mag oder so was. Oder er fand es einfach nur lustig, sie ein bisschen zu verkackeiern. Jedenfalls stimmt das mit der halben Stunde bis zum Wasserfall absolut nicht. Das ist ungefähr so, als ob jemand behaupten würde, das Mittelmeer fängt gleich hinter München an.

Luca und sein Vater brauchen fast zwei Stunden, bis sie zum ersten Mal den Fluss sehen. Und sie sind echt fertig! Luca schafft es kaum noch, den Rucksack von seinem Rücken zu kriegen. Stöhnend schleppt er sich bis zum Ufer und zieht sich die Schuhe und die Strümpfe aus, um seine Füße ins Wasser zu halten. Sein Vater macht es genauso.

Dann rufen sie wieder die Karte auf dem Handy auf. »Ist jetzt wirklich nicht mehr weit«, sagt Lucas Vater. »Viertelstunde. Das schaffen wir, los, komm!«

Als sie den Wasserfall erreicht haben, will Luca gleich in das flache Becken springen. Erst im letzten Moment sieht er den Raubvogel, der auf einem Baum am Ufer sitzt.

»He, Papa, guck mal! Ist das ein Adler? Das ist einer, oder?«

Noch bevor sein Vater antworten kann, streicht der Raubvogel plötzlich dicht übers Wasser und steigt dann vor der Felswand steil nach oben. So hoch, dass er nur noch ein schwarzer Schatten vor dem Blau des Himmels ist.

»Ein Bussard«, sagt Lucas Vater jetzt. »Das erkennst du an den Schwanzfedern. Siehst du die halbrunde Form, wie ein B? Bussard! Beim Milan sind die Schwanzfedern geteilt, wie ein M. Milan.«

»Und beim Adler?«, will Luca wissen.

»Auch irgendwie so, nur anders«, antwortet sein Papa. »So gespreizt, glaube ich, wie ein Fächer.«

Luca ist sich nicht ganz sicher, ob sein Vater das nicht eben einfach erfunden hat, weil er die Antwort selber nicht weiß.

Aber es ist auch egal. Er kramt die Badehose aus seinem Rucksack und steigt vorsichtig in das Felsbecken. Es ist saukalt, aber trotzdem super. Luca hält die Luft an und lässt sich nach unten sinken. Okay, das Becken ist tief genug, um ein paar Kopfsprünge zu machen!

Als er prustend wieder hochkommt und zurück auf die flachen Felsen am Rand klettert, sieht er, wie sein Vater das Handy hochhält und ruft: »Wie ich gesagt habe, beim Adler sehen die Schwanzfedern aus wie ein Fächer. Oder eine Hand mit gespreizten Fingern!«

»Okay, kapiert«, ruft Luca zurück und macht gleich einen Kopfsprung.

Als er das nächste Mal wieder zu seinem Vater blickt, zieht der sich gerade aus und stellt sich dann nackt unter den Wasserfall. Natürlich muss Luca das ebenfalls probieren! Und es ist klasse, mindestens so gut wie Kopfsprünge, vielleicht sogar noch besser.

Als ihnen kalt wird, setzen sie sich auf einen Felsen und lassen sich von der Sonne trocknen. Luca entdeckt ein paar ausgebleichte Fischknochen auf dem Stein. Und daneben eine Art Kugel aus Gräten und kleinen Knochen, Federn und Fellresten.

»Gewölle«, erklärt sein Vater. »Wahrscheinlich von unserem Bussard. Alles, was ein Raubvogel nicht verdauen kann, würgt er wieder raus. Die Gräten kommen von einem Fisch hier im Fluss. Und Fell und Knochen vielleicht von einem Kaninchen oder auch einer Maus …«

»Und die Federn stammen von einem Vogel, klar.«

Als hätten ihn die Fischgräten auf eine Idee gebracht, holt Lucas Vater jetzt die Angel und sucht sich eine Stelle am Fluss, an der ein paar fette Forellen zwischen den Steinen am Grund hin und her flitzen. Ganz kurz denkt Luca, dass er Glück gehabt hat, weil er vorhin bei seinen Kopfsprüngen nicht mit einer Forelle zusammengestoßen ist. Obwohl, wenn er es sich richtig überlegt, da hatte wahrscheinlich eher die Forelle Glück gehabt, denkt er.

Es dauert nicht lange, dann hat sein Vater zwei Fische gefangen. Luca guckt lieber nicht genau hin, als er ihnen die Kiemen durchtrennt und den Bauch aufschlitzt, um die Innereien rauszuholen.

»Immer den Bauch von hinten bis zum Kopf vorsichtig einschneiden und vor allem die Gallenblase nicht verletzen«, erklärt er. »Und dann die Eingeweide mit dem Finger rausholen und den Fisch im Wasser abwaschen. Alles klar? Hast du gut aufgepasst? Das nächste Mal darfst du es selber versuchen!«

Luca nickt nur. Bis zum nächsten Mal ist ja noch Zeit. Vielleicht hat sich der Bussard die übrigen Forellen bis dahin geholt. Oder die Forellen sind schlau genug, um nicht wieder auf den bunten Köder am Haken reinzufallen. Irgendwie so was.

Als sie dann aber ein Feuer gemacht haben, die gebratenen Forellen mit den Fingern zerlegen und sich das saftige Fleisch in den Mund schieben, glaubt Luca, dass er noch nie etwas so Leckeres gegessen hat.

Wenig später müssen sie sich allerdings plötzlich beeilen! Die Sonne versinkt hinter den Felsspitzen der Berge, und es wird langsam kühler. Sie laufen los, um Tannenzweige als Unterlage für ihre Isomatten und die Schlafsäcke zu sammeln. Als so eine Art Matratze, die nicht nur schön weich ist, sondern auch noch gut nach frischem Harz duftet. Und als ihre Betten fertig sind, denkt Luca keine Sekunde mehr daran, dass er am Nachmittag noch AUFGARKEINENFALL im Freien übernachten wollte.

Und er findet es richtig cool, als er sich direkt am Fluss die Zähne putzt und danach ins Wasser pinkelt. Dann klettert er noch über ein paar Felsen, nur so zum Spaß.

Als er gerade zurück zu ihrem Lager will, entdeckt er die alte Feuerstelle. Ein Ring aus Steinen, mit Asche und verkohltem Holz. Das nicht so aussieht, als würde es schon lange hier liegen. Sondern eher, als hätte hier jemand erst vor Kurzem ein Feuer gemacht. Dazu passt auch die Reifenspur in dem kleinen Matschloch, die eindeutig noch frisch ist. Die Abdrücke des Profils sind ganz deutlich zu erkennen. Mountainbike-Reifen, so viel ist sicher.

Wir sind nicht alleine hier, denkt Luca und blickt sich suchend um. Irgendwie ist er plötzlich nervös. Die dunklen Schatten zwischen den Bäumen sehen echt gefährlich aus. Wie schwarze Löcher in der Dämmerung. Und der flackernde Lichtschein von ihrem eigenen Feuer macht die Sache nicht besser. Im Gegenteil! Es scheint fast, als würden die Schatten sich bewegen. Und plötzlich auf Luca zukommen!

2

Natürlich zeigt Luca seinem Vater die Feuerstelle. Inzwischen ist es so dunkel, dass es eine Weile dauert, bis er die verkohlten Holzreste wiederfindet. Aber Lucas Vater zuckt nur mit den Schultern und meint: »Es ist doch klar, dass wir nicht die einzigen Leute hier sind, Luca! Die Berge hier sind schön, da gibt es auch andere, die mal für ein paar Tage zum Wandern herkommen.«

»Mit dem Mountainbike?«, fragt Luca und führt seinen Vater zu dem Matschloch. »Leuchte mal mit dem Handy! Siehst du die Reifenspur mit dem dicken Profil? Das ist von einem Mountainbike, jede Wette!«

»Merkwürdig«, gibt Lucas Vater zu. »Was soll das? Ich habe gerade vorhin an der Straße noch ein Schild gesehen, dass es nicht weit von hier eine Mountainbike-Strecke gibt, einen großen Bike-Park, aber überall sonst ist es verboten! Und ganz sicher auch hier. Aber egal, das ist nicht unser Problem, Luca! Darum soll sich der Förster kümmern, oder die Polizei. Wir kriechen jetzt in unsere Schlafsäcke, morgen früh springen wir kurz in den Fluss, um richtig wach zu werden, und dann wandern wir weiter. Ab jetzt geht es noch mal richtig steil bergauf, bis wir in Tante Luzies Dorf sind!«

Es dauert ewig, bis Luca endlich einschläft. Und dann träumt er lauter wirres Zeug und wirft sich so lange hin und her, bis ihn ein Tannenzweig in die Wange sticht und er aufwacht.

Sein Vater schnarcht leise. Irgendwo weiter weg krächzt ein Bergvogel. Und das Rauschen des Wasserfalls klingt in der Dunkelheit viel bedrohlicher als bei Sonnenschein, findet Luca. Vor allem als plötzlich auch noch der Mond hinter den Wolken verschwindet und es von einer Sekunde zur nächsten stockfinster ist.

Luca liegt ganz still. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, meint er, am Waldrand eine Bewegung zu sehen. Ungefähr da, wo das Matschloch ist. Da ist jemand, jetzt ist er sich ganz sicher. Ein großer, dunkler Schatten.

»Papa!«, flüstert er und stößt seinen Vater an. »Wach auf, da ist jemand!«

Aber er muss seinen Vater erst kneifen, bevor der endlich aus dem Schlaf hochschreckt und ruft: »Was? Wo? Wer ist da? Halt, stehen bleiben!«

»Pscht! Nicht so laut! Da drüben, vorm Wald …«

Erst jetzt scheint sein Vater richtig wach zu werden. Er legt Luca die Hand auf die Schulter und beugt sich vor. »Ganz ruhig, Junge. Wo genau hast du jemanden gesehen?«

»Direkt vor uns, aber … jetzt ist er weg.« Luca schluckt. Sein Herz schlägt bis zum Hals.

»Und du glaubst, es war ein Mensch?«

»Vielleicht, ich weiß es nicht. Größer als ein Mensch, glaube ich.«

»Vielleicht ein Hirsch«, überlegt sein Vater laut. »Oder ein großes Wildschwein. In der Dunkelheit sieht alles anders aus, da vertut man sich schnell.«

Im selben Moment hören sie ganz deutlich ein Geräusch vom Wald her. Als würde jemand große Äste abbrechen. Oder versuchen, gleich den ganzen Baum umzuwerfen! Und im nächsten Augenblick ertönt ein Brüllen, so laut und so fürchterlich, dass Luca sich die Ohren zuhält, um es nicht mehr zu hören.

Lucas Vater legt ihm den Arm um die Schultern und zieht ihn an sich. »Ganz ruhig«, flüstert er.

Dann ist plötzlich der Mond wieder da und taucht alles in ein fahles Licht. Jetzt sieht der Wald irgendwie noch viel gespenstischer aus!

Aber zwischen den Bäumen ist nicht das Geringste zu erkennen. Da ist niemand! Und als Luca die Hände wieder von den Ohren nimmt, rauscht nur der Wasserfall. Sonst ist Stille.

»W…w…was war das?«, stammelt er. »Ich hatte echt Angst!«

»Ich auch«, gibt sein Vater zu. »Und ich habe keine Ahnung, was das gewesen sein könnte. Irgendein wildes Tier wahrscheinlich. Ich halte Wache, und du schläfst. Ganz einfach. Wenn irgendwas ist, wecke ich dich.«

»ICH halte Wache, und du schläfst«, sagt Luca. »Ich krieg sowieso kein Auge mehr zu!«

Sein Vater blickt auf die Uhr. »Gleich halb drei. In zwei Stunden wird es hell. Bleiben wir beide wach, oder?«

So machen sie es dann auch. Sie wickeln sich in ihre Schlafsäcke und hocken sich ganz dicht nebeneinander. Sein Papa erzählt ihm leise eine Geschichte. Von früher, bevor es Luca gab. Als seine Eltern in Frankreich Campingurlaub gemacht haben. Und wie sie mitten im Wald hinter den Dünen gezeltet haben und es plötzlich ein Gewitter gab.

»Die Blitze und der Donner sind so schnell aufeinandergefolgt, dass wir die Abstände gar nicht mehr zählen konnten«, erzählt sein Vater.

»Erst kommt immer der Blitz«, murmelt Luca und hat Mühe, die Augen offen zu halten, so müde ist er. »Und dann muss man die Sekunden bis zum Donner zählen und durch drei teilen, so viele Kilometer ist das Gewitter noch entfernt …«

»Stimmt ganz genau!« Sein Vater scheint nicht nur zufrieden mit Lucas Antwort, sondern ist eindeutig stolz darauf, was sein Sohn alles weiß.

»Und so ab drei Kilometern Entfernung wird es gefährlich«, flüstert Luca. »Erzähl weiter, wie das bei Mama und dir im Wald war …«

Aber irgendwie kriegt er nur noch mit, wie seine Eltern die ganze Zeit wach im Zelt lagen und darauf gewartet haben, dass das Gewitter endlich weiterzieht. Und wie dann plötzlich jede Menge großer schwarzer Käfer, die vor dem strömenden Regen geflüchtet waren, über ihre Schlafsäcke krochen …

Dann muss Luca wieder eingeschlafen sein. Als er aufwacht, steht die Sonne schon über den Berggipfeln in der Ferne. Und sein Vater rollt gerade die Isomatte und den Schlafsack zusammen.

»Schlaf ruhig noch weiter, Luca«, sagt er. »Ich sehe mich mal ein bisschen um.«

Aber er ist noch keine zehn Meter weit weg, als Luca ihn schon eingeholt hat. Barfuß und nur mit seinem T-Shirt und seiner Unterhose, so wie er aus dem Schlafsack gekrochen ist. Er klappert vor Kälte mit den Zähnen. Obwohl schon die Sonne scheint, ist das Gras zwischen den Felsbrocken noch nass und kalt.