Rollator Blues - Wolfram Hänel - E-Book

Rollator Blues E-Book

Wolfram Hänel

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Beschreibung

Too old to rock ’n’ roll, too young to die – ein Roadtrip mit dem Soundtrack der Siebziger! Fast fünfzig Jahre ist es her, dass Kurt Appaz und seine Freunde gleich nach dem vermasselten Abitur in einem VW-Bus an die französische Atlantikküste gefahren sind. Sie wollten ihre Freiheit auskosten und später mal ein ganz anderes Leben führen. Die Träume von damals haben sich nicht erfüllt, alles ist anders gekommen, als sie sich erhofft hatten. Aber sie haben ihre Träume nicht vergessen – und so wollen die Fünf sich und dem Rest der Welt beweisen, dass da noch was geht. Wieder geht es mit einem VW-Bus zum Atlantik, auf derselben Route wie 1975. Doch die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, nichts ist mehr so, wie es war. Es sind nicht nur die Macken und Verschrobenheiten, die mit dem Alter stärker geworden sind, sondern auch die kleinen und großen Geheimnisse, die jeder mit sich herumschleppt. Die sorgsam errichteten Fassaden bekommen Risse, die sich nicht mehr verbergen lassen, und die Reise bringt so manches ans Tageslicht, mit dem keiner gerechnet hat. Aber bei allen Pannen und Enttäuschungen finden sie schließlich doch einen Weg für sich – es ist noch lange nicht vorbei, eigentlich fängt sogar alles gerade erst an. Die Fortsetzung der 70er-Jahre-Hannover-Romane »Der Junge, der mit Jimi Hendrix tanzte« und »1975« sowie der Abschluss der Kurt-Appaz-Reihe.

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Wolfram Hänel

Rollator Blues

Vielleicht muss man ja doch nicht sterben …

Roman

Ein Rollator oder Gehwagen ist eine fahrbare Gehhilfe, die aus einem mit Rädern versehenen Stützgestänge besteht. Als Vorläufer der heutigen Rollatoren können Lauflernhilfen für Kinder gelten, die seit dem 15. Jahrhundert bekannt sind. Während des Ersten Weltkriegs kam es aufgrund der hohen Zahl von Versehrten erstmals zur Entwicklung eines lenkbaren Gehrades für Erwachsene. In der allgemeinen Wahrnehmung steht der Rollator heute, so wie früher die Brille oder der Gehstock, für das Altsein an sich.     Wikipedia

© 2022 Literanover by zu Klampen Verlag · Röse 21 ·

31832 Springe · www.zuklampen.de

Umschlaggestaltung: © Stefan Hilden unter Verwendung

von Motiven von shutter-stock.com/LUMIKK555 und

F. Matzke (Foto) · München · www.hildendesign.de

Satz: Germano Wallmann · Gronau · www.geisterwort.de

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH · Rudolstadt

ISBN Printausgabe 978-3-86674-821-7

ISBN E-Book-Pdf 978-3-86674-951-1

ISBN E-Book-Epub 978-3-86674-952-8

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.dnb.de› abrufbar.

The secret is to lighten the bitterness

with a little humour

Ray Davies

Zur Erinnerung

an meinen Freund Bernd Bornemann

(1955–2020)

Für Ulrike, ohne die das alles sowieso

nichts geworden wäre, weder der Roman

noch sonst irgendwas.

Und für Hilkje und Jacob, für später.

Die Hauptpersonen

Blues Harp & Vocals:

Kurt (67)

Schriftsteller. Glaubt, dass alles noch viel schlimmer werden wird, als es ohnehin schon ist.

Lead Guitar & Vocals:

Wolle (69)

Hat ein Mietshaus geerbt und spielt Gitarre, seit er zwölf ist. Hat mal mit Tom Petty gejammt. Redet nicht viel.

Rhythm Guitar:

Udo (Ratte) (66)

Hat Soziologie studiert und war in der Marketingabteilung bei VW. Trinkt zu viel und redet zu viel.

Bass Guitar:

Harry (68)

Sozialarbeiter, war beim Jugendamt und hat nicht nur mit Gisela Urlaub in Frankreich gemacht. Raucht zu viel.

Drums:

Kerschkamp (67)

Fotograf und Kurts bester Freund. Braucht ein Hörgerät und hat Angst, zu viel zu vergessen.

Chorus Line:

Susanne (66)

Juristin, ist mit Kerschkamp verheiratet, hat ihren Beruf wegen der Kinder aufgegeben. Weiß zu viel über Kurt, was Kerschkamp besser nicht wissen sollte.

Ann-Kristin (62)

Restaurantbesitzerin in Montalivet. Hat ihre eigene Geschichte. Und hat zu viel erlebt, was sie am liebsten vergessen möchte.

Michael (68)

Aussteiger und Biowinzer mit eigenem Weingut und Mercedes Cabrio. Verdient zu viel Geld.

Annett (65)

Hat Germanistik studiert und war Punk-Sängerin. Lebt mit Michael und hat nicht mehr viel Zeit.

1

»Sea and Sand«The Who

Kurt saß in dem einzigen geöffneten Café an der Kurpromenade und starrte durch das Fenster aufs Meer. Mit den schmierigen Fingerabdrücken auf der Scheibe wirkten die ausrollenden Wellen wie verschwommen, unwirklich, wie aus einer anderen Welt. Als er sich ein Stück nach rechts beugte, war es besser. Auf dem Geländer an der Treppe zum Strand hinunter hockten dicht nebeneinander ein paar Möwen, die plötzlich ohne erkennbaren Anlass aufflogen und sich vom Wind davontragen ließen. Das Geländer war rostzerfressen, große Placken abgeblätterter Farbe waren über die gesamte Promenade verstreut.

Aus der billigen Lautsprecherbox über dem Fenster dudelte leise Schlagermusik. Kurt meinte, einen Song von Andrea Berg zu erkennen, war sich aber nicht sicher. Außer ihm war nur noch ein altes Rentnerehepaar im Café, das an dem Tisch neben der Tür zum Klo Schwarzwälder Kirschtorte in sich hineinschaufelte. Viel älter als ich werden sie wahrscheinlich gar nicht sein, korrigierte er seinen ersten Eindruck und fragte sich, was wohl die Bedienung von ihm dachte, die bis eben gelangweilt in einer Illustrierten geblättert hatte. Bis Kurt mit einem Handzeichen zum Tresen hinüber einen weiteren Cognac orderte.

Drei Cognacs hatte er mittlerweile schon intus, und er merkte, wie ihm langsam schwindlig wurde. Außerdem war ihm schlecht, er mochte keinen Cognac. Er wusste auch nicht zu sagen, wann er jemals freiwillig welchen getrunken hätte! Das Zeug schmeckte wie Seife. Und der stechende Geruch erinnerte ihn schon die ganze Zeit an die Herrenabende zu Hause bei seinen Eltern, wenn sein Vater die Kollegen aus dem Büro zu Gast hatte und seine Mutter in der Küche liebevoll kleine Häppchen zubereitete. Graubrot mit Mettwurstscheiben und einem Zahnstocher, auf den eine Weintraube oder ein Käsewürfel geschoben waren. Manchmal nahm sie statt des Zahnstochers auch kleine, bunte Papierflaggen. Am besten hatten ihm immer die Fahnen aus den skandinavischen Ländern gefallen, sein Vater war im Krieg in Norwegen und Finnland gewesen.

Er hätte gerne geraucht, aber es war ihm zu anstrengend, jetzt extra vor die Tür zu gehen, und er hatte auch gar keinen Tabak mehr. Bei den Herrenabenden war es immer seine Aufgabe gewesen, schnell zum nächsten Zigarettenautomaten zu rennen, wenn wieder eine Schachtel leergeraucht war. HB und Ernte 23 waren die Lieblingssorten der allesamt kettenrauchenden Kollegen, daran erinnerte er sich noch genau. Wer wird denn gleich in die Luft gehen? Greife lieber zur HB – dann geht alles wie von selbst. Und ein Päckchen kostete eine Mark. Oder eine Mark zwanzig?

Verdammt lang her, dachte er. Und ärgerte sich im selben Moment über die Assoziation, die der Gedanke bei ihm auslöste. Er hatte BAP nie gemocht, und Niedecken schon gar nicht! Was aber wahrscheinlich weniger an Niedecken und seiner Band lag, als vielmehr an der Tatsache, dass er immer schon schnell damit gewesen war, genau das abzulehnen, wovon ihm zu viele Leute vorschwärmten. BAP. Die Asche meiner Mutter. Kill Bill. Helge Schneider. Hape Kerkeling. Und Toni Erdmann! Wobei Toni Erdmann nun wirklich saublöd gewesen war. Und bei BAP hatte er zumindest nie kapiert, wie jemand ausgerechnet auf Kölsch singen konnte – und dann auch noch dafür gefeiert wurde, dass kein Mensch etwas verstand!

Aber trotzdem, es war verdammt lang her, daran war nicht zu rütteln. Und er selber war heute schon deutlich älter, als sein Vater damals gewesen war, wenn sie jedes Jahr in der Vorsaison ans Meer fuhren, weil da die Preise noch nicht ganz so horrende waren, und nach einem langen Tag am Strand in die Pension zurückkehrten, wo sein Vater vor dem Abendessen schnell noch eine Zigarette am offenen Fenster rauchte.

Er hätte sich vorhin an irgendeiner Tankstelle doch noch ein neues Päckchen Tabak kaufen sollen! Aber er wollte ja eigentlich auch nur auf kürzestem Weg ans Meer. Und auf die Wellen starren und sich an seine Kindheit erinnern, als die Welt noch in Ordnung gewesen war. Wenigstens für ein paar Stunden alles vergessen, was ihn nervte. Und darüber nachdenken, wie es eigentlich weitergehen sollte. Mit ihm und der Welt.

Das war der Plan gewesen. Die Idee, noch etwas zu trinken, war ihm erst gekommen, als er auf der menschenleeren Promenade das Café mit dem flackernden Schriftzug über der Eingangstür gesehen hatte. Warum er sich dann ausgerechnet Cognac bestellt hatte, wusste er selbst nicht. Vielleicht erschien es ihm angemessen für die Situation, obwohl das natürlich völliger Blödsinn war, er hatte nie vorgehabt, sich zu betrinken.

Die Bedienung kam mit seiner Bestellung. Er hatte vorhin schon bemerkt, dass ihre blonden Haare gefärbt waren, am Scheitel schimmerte ein grauer Ansatz durch. Und ihre Lippen sind zu stark geschminkt, dachte er, während ihm unwillkürlich eine Textzeile aus einem alten Stones-Titel durch den Kopf schoss: »Sitting drinking, superficially thinking, about the rinsed-out blonde on my left …« The Spider and the Fly. Er hatte den Song immer geliebt, vor allem in der Unplugged-Version irgendwann aus den Neunzigern, als Jagger aus der Frau »about thirty« bereits eine »about fourty« gemacht hatte. About fifty würde es in diesem Fall allerdings besser treffen, dachte er noch, und gerade, als sie sich schon wieder abwenden wollte, hielt er sie mit einer Handbewegung zurück: »Entschuldigung, nur eine Frage – soweit ich mich erinnern kann, war hier früher auf der Promenade so eine Art Frühstückskneipe, mit Livemusik und so …«

»Das muss aber sehr viel früher gewesen sein.«

»Stimmt schon, ich dachte ja auch nur, dass es den Laden vielleicht noch gibt. Ich kannte den Besitzer, er hat auch ein Buch geschrieben, über Störtebeker, einen Roman …«

»Sagt mir gar nichts, tut mir leid.«

»Schon okay, danke. – Ich zahl dann auch gleich mal.«

»Drei Cognac, macht neun dreißig.«

»Vier Cognac, das ist schon mein vierter.«

»Der letzte geht aufs Haus.«

Als er fragend die Augenbrauen hochzog, setzte die Bedienung hinzu: »Ich glaube, ich erinnere mich an Sie. Kann das sein? Sie haben mich darauf gebracht, als Sie eben etwas von Livemusik gesagt haben. Hatten Sie nicht mal eine Band, die sogar ziemlich bekannt war? So ungefähr Ende der Siebzigerjahre, würde ich sagen …«

»Jetzt reden Sie aber von sehr viel früher.«

Sie lächelte. Kurt konnte sich gut vorstellen, dass es mal eine Zeit gab, in der sie mehr als nur einem Mann den Kopf verdreht hatte. Früher. Sehr viel früher.

»Und? Hab ich recht?«

Er schüttelte den Kopf. Plötzlich wollte er nur noch raus aus dem Café. Er legte einen Zehn-Euro-Schein auf den Tisch und stand auf. Ganz kurz musste er sich an der Stuhllehne festhalten, bis der Schwindel nachließ. Er holte tief Luft.

»Verdammt lang her«, sagte er laut, als wäre damit alles erklärt. Dann nickte er noch mal und ging wortlos zur Tür, wobei er sich bemühte, den Rücken gerade zu halten und nicht zu schwanken.

»Jetzt weiß ich’s wieder!«, rief die Bedienung hinter ihm her, als er bereits ins Freie trat. »Im Pumpwerk, da habe ich Sie mal mit Ihrer Band gesehen! The Hungry Freaks! Ich bin mir ganz sicher, dass Sie das waren!«

Vom Meer her wehte ein leichter Wind, aber es war zu warm für die Jahreszeit. Kurt merkte deutlich, wie ihm der Schweiß über den Rücken rann, kaum dass er den Parka übergezogen hatte. Es ist albern, bei solchem Wetter mit einem Parka rumzulaufen, dachte er, aber es gibt so vieles, das albern ist und das man trotzdem tut.

Zwei halbwüchsige Mädchen kamen die Treppe vom Strand hoch. Sie waren barfuß und hatten sich ihre Handtücher umgeschlungen, ihre Haare waren noch nass, sie mussten gerade erst in der bestimmt noch eiskalten Brandung gebadet haben. Ein bisschen beneidete er sie. Früher hatte er sich auch spätestens zu Pfingsten in die Nordsee gewagt, wenn auch meistens nur für einen »skinny dip«, um sich selber zu beweisen, dass er fit war. Früher. Lange her.

Als die Mädchen ihn sahen, fingen sie an zu kichern, gleich darauf musterten sie ihn argwöhnisch und liefen dann eilig an ihm vorüber. Kurt war sich fast sicher, dass ihre Reaktion irgendwas mit seinem Schimanski-Parka zu tun haben musste. Obwohl sie zu jung waren, um Schimanski überhaupt zu kennen!

Er drehte sich unschlüssig um die eigene Achse, dann entdeckte er den Rollator an der Mauer. Interessiert beugte er sich vor, es war das erste Mal, dass er so ein Ding aus der Nähe betrachtete. Überrascht registrierte er die ergonomisch geformten Handgriffe, die beiden Bremshebel, sogar eine Klingel war an der einen Seite angebracht. Fehlen eigentlich nur noch der Tacho und ein Rückspiegel, dachte er und fragte sich gleichzeitig, wieso ihm der Rollator nicht vorhin schon aufgefallen war. Wahrscheinlich gehörte er einem der beiden Alten im Café, eher dem Mann als der Frau, und statt am Samstagnachmittag den Passat zu waschen, wird jetzt die Gehhilfe poliert …

Als er neulich bei seinem Hausarzt gewesen war, um sich durchchecken zu lassen, hatte er auch davon erzählt, dass ihm manchmal das linke Knie den Dienst versagte. »Ein Gefühl, als ob man ins Leere tritt«, hatte er versucht, die Situationen zu beschreiben, in denen er irritiert und ohne jede Vorwarnung feststellen musste, dass irgendwas nicht in Ordnung war. Aber der Hausarzt, mit dem er seit Jahren befreundet war, hatte nur gelacht: »Wir werden alle älter, Kurt, so ist das nun mal. Und im Notfall können wir dir immer noch einen Rollator verschreiben. Es gibt Schlimmeres, glaub mir!«

Im Stillen hatte er gehofft, dass der Arzt nur einen dummen Witz machte, aber die Vorstellung, irgendwann mit einer gummibereiften Gehhilfe durch den Park zu wackeln, hatte ihn seitdem nicht mehr losgelassen. Easy Rider 2.0, Kurt mit dem AOK-Chopper. Dass sein alter Kumpel Kerschkamp demnächst ein Hörgerät bekommen sollte, hatte ebenfalls nicht zu seiner Beruhigung beigetragen. Ganz zu schweigen von den Todesanzeigen irgendwelcher alten Weggefährten, die er regelmäßig in der Zeitung entdeckte! Schlaganfall. Herzinfarkt. Krebs. Und das war’s dann.

»Zimmer frame«, murmelte er das englische Wort für Rollator vor sich hin und holte das kleine Schwedisch-Wörterbuch aus der Innentasche des Parkas. Höchste Zeit für seine tägliche Dosis Vokabeln, die er sich selbst verordnet hatte, um das Gedächtnis zu trainieren. Ein neues Wort pro Tag. »Rollator« gab es nicht auf Schwedisch. Aber »Magenbeschwerden«. »Magbesvär«. Das sollte er sich merken können.

»Die Einschläge werden mehr«, hatte Kerschkamp gesagt, als sie sich das letzte Mal getroffen hatten. »Und wir haben bisher nur Glück gehabt, dass es uns noch nicht erwischt hat. Mann, ich wache jeden Morgen mit dem Gedanken auf, welches Teil von mir wohl heute nicht funktionieren wird!«

Vielleicht hatte er sich auch deshalb schon eine ganze Weile nicht mehr mit Kerschkamp verabredet. Weil er das ungute Gefühl hatte, dass sie sich gegenseitig nur noch runterzogen. Trotz aller Vertrautheit und der langen Zeit, die sie sich schon kannten, schien ihm ihre Nähe plötzlich zu anstrengend. Er hatte keine Kraft mehr, keinen Mut, er wollte nur noch alleine sein, wie ein alter Hund, der seine Wunden leckt. Und er war sogar froh gewesen, als auch Kerschkamp sich nicht mehr meldete. Jeder hatte sein eigenes Päckchen zu tragen, so sah es aus.

Altwerden ist nichts für Feiglinge, dachte er nicht zum ersten Mal. Es waren vor allem die Kleinigkeiten, die ihm zunehmend zu schaffen machten. Die Haare, die ihm gleich büschelweise aus der Nase wuchsen, während sich seine Geheimratsecken längst zu einer von Falten durchfurchten Stirnglatze ausgeweitet hatten, der stechende Muskelschmerz in Oberschenkel und Hintern, der ihn nachts kaum noch durchschlafen ließ, die unausweichlichen Kopfschmerzen, die ihn nach ein paar Glas Rotwein zu viel durch den nächsten Tag begleiteten. Es konnte eigentlich gar nicht sein, dass er nicht auch noch irgendetwas Ernstzunehmendes hatte, das tief in ihm schlummerte und ihn über kurz oder lang erwischen würde. Als er neulich ein neues Paar Schuhe brauchte, war ihm denn auch folgerichtig der Gedanke durch den Kopf gegangen, dass es durchaus die letzten neuen Schuhe sein könnten, die er sich kaufte …

Ohne sich wirklich bewusst zu sein, was er tat, legte er probehalber die Hände auf die Griffe des Rollators, zog den rechten Bremshebel an, löste ihn wieder, machte dasselbe mit der linken Seite – und schob los. Als das rechte Vorderrad an der Mauer entlangschrappte, ruckelte er den Rollator ein Stück auf den Weg hinüber, dann versuchte er sich an einer Kurve. Es ging einfacher, als er gedacht hatte, er legte ein bisschen Tempo zu, die Gummireifen holperten immer schneller über die Fugen zwischen den roten Klinkern der Promenade, jetzt rannte er schon fast, der offene Parka flatterte im Wind. Als er anfing zu keuchen, zog er beide Bremshebel an und kam genau an der Treppe mit einem mehr oder weniger gekonnten Sliding Stop zum Stehen.

Am Horizont türmten sich schwere Wolken, die ersten Blitze zuckten bereits über den Himmel. Aus weiter Ferne hörte er den Donner grollen.

»Die Einschläge werden mehr«, murmelte er halblaut vor sich hin und nahm die Stufen zum Strand hinunter in Angriff. Auch das ging besser als erwartet, aber als er dann auf dem leicht abschüssigen Bohlenweg die Idee hatte, auf den Rollator aufzuspringen, wurden die begrenzten Möglichkeiten seines Gefährtes deutlich – nur mit Mühe konnte er eben noch verhindern, dass er seitwärts in den Sand rutschte.

Er blickte sich unwillkürlich um, ob ihn irgendjemand bei seiner Aktion beobachtet hatte, aber da waren nur die leeren Strandkörbe und ein paar fette Möwen, die regungslos vorne am Flutsaum hockten. Hinter ihm blinkte immer noch das kaputte Reklameschild des Cafés, wie ein altersschwacher Leuchtturm, der mit letzter Kraft versuchte, die Dämmerung zu durchdringen.

Nein, dachte Kurt, das Bild ist falsch, eine flackernde Lichtreklame ist eine flackernde Lichtreklame ist eine flackernde Lichtreklame, nicht mehr und nicht weniger. Und zu viel Cognac verursacht nichts als Sodbrennen. Magbesvär! Sehr gut, lobte er sich selbst dafür, dass er das Wort noch wusste.

Die nächsten Meter war er vorsichtiger, es wäre lächerlich, ausgerechnet jetzt mit einem gebrochenen Bein liegen zu bleiben, so kurz vor dem Ziel. Ulrich Wildgruber hatte sich auf genau dieselbe Weise verabschiedet, als er keine andere Lösung mehr sah. Kurt hatte keine Ahnung, was Wildgruber wirklich gefehlt hatte, aber darum ging es auch gar nicht. Wildgruber war Schauspieler, und er hatte seine letzte Rolle selbstinszeniert mit Bravour bis zum Ende durchgehalten.

Der Vergleich war albern, das wusste er. Er hatte nicht vor, sich umzubringen. Es war nur diese Scheißstimmung, die ihn plötzlich an Wildgruber denken ließ.

Unvermittelt endete der Bohlensteg im losen Sand, Kurt merkte es erst, als die Reifen schon feststeckten und er hart gegen den Rollator prallte. Es half auch nichts, als er die Vorderräder mit einem Ruck nach oben zog und dann mit aller Kraft weiterschob – fast sofort steckte der Rollator wieder bis über beide Achsen im Sand.

Schwer atmend stützte sich Kurt auf die Handgriffe, Wildgruber war jedenfalls ohne Rollator unterwegs gewesen, dachte er, und dafür verdient er noch einen letzten Applaus! Posthum sozusagen.

Er wusste nicht, warum er das nutzlose Ding jetzt nicht einfach stehen ließ, aber er fühlte sich plötzlich zu schwach, seine Beine zitterten unkontrolliert, er hatte das sichere Gefühl, dass er ohne die Stütze keinen Meter mehr weiterkommen würde.

Langsam ließ er sich zu Boden rutschen. Der Sand fühlte sich feucht an, es konnte noch nicht lange her sein, seit die Ebbe eingesetzt hatte. Hätte er sich umbringen wollen, hätte er den richtigen Zeitpunkt bereits verpasst, jetzt war es zu spät, um sich von der Strömung aufs offene Meer ziehen zu lassen, vorüber an den Inseln und weiter in Richtung Helgoland. Oder oben um die Ecke rum, durchs Skagerrak bis nach Norwegen und Schweden. Aber vielleicht könnte er auch einfach nur hier hockenbleiben, bis die Flut wieder auflief und die Brandung ihn dann hinauswirbelte, zwei-, dreimal würde er noch hochkommen, dann war es für immer vorbei – und zurück bleibt nicht mal ein Loch, dachte er, das war’s dann mit Kurt und seinen Träumen. Nur den alten Parka und den verdammten Rollator würde er mitnehmen in sein feuchtes Grab, ungefähr so wie ein Wikingerhäuptling, der mit seinem besten Kittel und seinem Boot auf die letzte Reise geht …

Die Jugendlichen bemerkte er erst, als sich einer von ihnen zu ihm beugte und ihn an der Schulter packte.

»Alles klar, Opa, oder brauchst du Hilfe?«

Sie waren zu viert, drei Jungen und ein Mädchen. Zwei der Jungen hatten Dreadlocks, das Mädchen trug einen Sixpack Bier. Vor allem aber fiel ihm die Dopewolke auf, die die Kids mit sich brachten, jetzt sah er auch, dass einer der Jungen einen Joint in der hohlen Hand versteckt hielt.

»Verbrenn dir nicht die Finger«, sagte Kurt und kriegte sogar so was wie ein Grinsen zustande.

Der Junge streckte ihm den Joint hin. »Willst du auch mal? Du siehst so aus, als könntest du es gebrauchen.«

Kurt schüttelte den Kopf. »Nee, lass mal …«

Das Mädchen kicherte.

»Doch nicht so cool, der Opa«, stellte der Junge achselzuckend fest. »Also, was ist jetzt? Sollen wir dir mit deinem Ding da zurück auf die Promenade helfen oder chillst du hier lieber noch ein bisschen?«

»Alles okay«, murmelte Kurt. »Ich komm schon klar.«

»Hau rein, Alter! Love and peace und so …«

Sie halten mich tatsächlich für irgendeinen abgefuckten Hippie, dachte Kurt und wusste nicht so recht, ob er das als Kompliment nehmen sollte oder sich darüber ärgern.

Erst als sie schon ein paar Meter von ihm entfernt waren, rappelte er sich halbwegs hoch und rief: »He, wartet mal!«

Überrascht drehten sie sich um.

»Ja?«

»Habt ihr noch mehr von dem Zeug? Ich meine …« Er deutete mit der Hand eine Bewegung an, als würde er einen Joint rauchen.

Der, der ihn zu Anfang an der Schulter gerüttelt hatte, kam zurück. Er nestelte einen prallgefüllten Plastikbeutel mit Gras aus der Seitentasche seiner Cargohose. »Wie viel willst du?«

»Den ganzen Beutel.«

»Jetzt übertreibst du aber, oder? Willst du dein ganzes Altersheim versorgen, oder was?«

»Und ich brauch Papier …«

»Von wegen nicht cool, der Opa«, ließ sich das Mädchen vernehmen, während ihr Kumpel kopfschüttelnd ein Päckchen extra dünnes Zigarettenpapier aus seiner Hose fischte.

Kurt hielt ihm einen Hundert-Euro-Schein hin. »Reicht das?«

»Ist zu viel eigentlich, aber wie du willst. – Ist echt guter Stoff, Opa«, setzte er dann hinzu. »Also lass es schön langsam angehen!«

Kurt wartete, bis sie in der Dämmerung verschwunden waren. Dann zog er sich an dem Rollator hoch und zerrte ihn mühselig hinter sich her bis zum nächsten Strandkorb.

Der Spliff, den er sich drehte, war kaum dicker als ein Strohhalm, the last straw, dachte Kurt und ließ sein Zippo aufflammen. Das Zeug hatte es tatsächlich in sich, schon nach den ersten Zügen setzte die Wirkung ein, von einem Moment zum nächsten schaffte er es kaum noch, den Kopf gerade zu halten, geschweige denn, die Hand mit dem Spliff hochzubekommen.

Das Wetterleuchten am Horizont war stärker geworden, aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein. Genauso wie das unterdrückte Lachen und die Stimmen, obwohl weit und breit niemand zu sehen war.

Das an- und abschwellende Rauschen der Brandung erinnerte ihn plötzlich an Riders on the Storm – und wie er sich nicht nur einmal mit Kerschkamp darüber gestritten hatte, ob am Anfang des Songs nun Brandungsrauschen oder Donnergrollen zu hören war. Er bemühte sich vergeblich, den Text zusammenzubekommen, ihm fiel aber nichts weiter ein als »like a dog without a bone«, was ihm irgendwie passend erschien. Und dann ertappte er sich dabei, dass er stattdessen einen Beatles-Song vor sich hinsummte! »I’d like to be under the sea, in an octopus’s garden in the shade …«

Die Stimmen in seinem Kopf waren immer noch da. Er brauchte eine Weile, bis er begriff, dass sie aus dem Strandkorb neben ihm kamen. Er war also nicht alleine. Aber erst als ein rhythmisches Stöhnen in spitze Schreie überging, kapierte er auch, was da nebenan passierte.

Er merkte, wie er dümmlich vor sich hingrinste. »Kiss my aura, Dora, right here on the flora«, blubberte er halblaut in die Nacht hinein, »mmmh, it’s real angora …« Verdammt, was war das für ein Zeug, das die Jugendlichen ihm da verkauft hatten? Und wer fuchtelte da mit einer Taschenlampe rum? Wieso standen jetzt plötzlich zwei Polizisten vor seinem Strandkorb?

Er kniff die Augen fest zusammen und sah für einen Moment bunte Lichtkreise, die in allen Farben explodierten. Als er die Augen wieder aufriss, waren die Polizisten immer noch da. Ein Typ, der aussah wie Semir aus Cobra Elf, und eine blonde Frau, die ihn um mindestens zwei Köpfe überragte. Mindestens! Und beide mit Dienstmützen und schwarzen Lederjacken. Aber irgendwas stimmte nicht, dachte er, wieso hatte die Polizistin dunkle Haare?

»Jetzt hab ich’s!«, sagte er im nächsten Moment auch schon laut. »Sie sind gar keine Polizisten!« Er zeigte mit dem qualmenden Joint in der Hand auf die Frau. »Wenn Sie nämlich welche wären, dann müssten Sie blond sein und einen Pferdeschwanz haben. So sieht es nämlich aus.«

Kurt fand, dass seine Argumentation durchaus überzeugend war. Aber die beiden schienen anderer Meinung zu sein.

»Nun mal ganz ruhig«, sagte Semir, während er die Taschenlampe auf den Rollator richtete. »Das dürfte doch wohl kaum Ihr eigener sein, oder? Also vielleicht erzählen Sie uns mal …«

»Schon klar«, unterbrach Kurt ihn kichernd und versuchte, die Hände hochzunehmen wie ein Gangster in einem schlechten Wildwest-Film. »Sie haben vollkommen recht, Herr Kommissar. Ich hab Mist gebaut. Aber ich kenn die Regeln: Siehst du Schutzmanns Brust oder Rücken, musst du auf die Bremse drücken!«

Er gab sich alle Mühe, die Konsonanten ordentlich voneinander zu trennen, aber irgendwas musste er falsch verstanden haben. Die Polizisten waren offensichtlich nicht zufrieden mit seiner Antwort. Nein, falsch, sie waren wahrscheinlich einfach nur zu jung, sie wussten gar nicht mehr, was ein Schutzmann ist, das musste es sein!

»Sie sind zu jung«, erklärte er. »Das ist das Problem.«

Semir ließ seine Taschenlampe über die gestreifte Sitzbank wandern, bis der Lichtkegel genau auf den Plastikbeutel mit dem Gras gerichtet war.

»Und Sie sind eindeutig zu alt für so was.«

»Außerdem schätze ich mal, Sie sind derjenige, der hier ein Problem hat«, kam es von der Polizistin.

»Keine Panik«, meldete Kurt, während sein Kopf hin- und herpendelte, ohne dass er die Bewegung stoppen konnte. »Ich hab alles unter Kontrolle! Das ist ausschließlich für den Eigenbedarf!«

Er sah, wie die beiden einen Blick austauschten. Dann beugte Semir sich vor: »Kann ich bitte mal Ihren Ausweis sehen?«

Da war doch irgendwas, dachte Kurt. Es ist lange her, verdammt, und ich bin mir gerade nicht ganz sicher, ob ich mich richtig erinnere, aber …

»Nein«, sagte er laut. »Hab keinen Ausweis.«

Das war es, genau! Wenn die Bullen dich was fragen, sag gar nichts. Null. Niente. Nada. Halt einfach nur den Mund.

»Name? Adresse?«, fragte Semir in deutlich schärferem Ton als zuvor.

Kurt schüttelte nur den Kopf. Augenblicklich wurde ihm wieder schwindlig. Aber er riss sich zusammen und schaffte es tatsächlich, den brennenden Joint dicht an der Polizistin vorbei in den Sand zu schnippen.

»Sie wollen uns nicht sagen, wie Sie heißen?«

»Nein.« Wie zur Bestätigung legte er sich den Zeigefinger auf die Lippen.

»Mann, was für ein Clown«, sagte Semir zu seiner Kollegin und tippte sich kurz an die Stirn.

Kurt war sich sicher, dass er das gar nicht durfte, das war Beamtenbeleidigung! Nein, die beiden waren ja die Beamten, er durfte sich nicht an die Stirn tippen. Aber das hatte er doch auch nicht, oder?

»Jetzt machen Sie es uns doch nicht unnötig schwer«, nahm die Polizistin einen neuen Anlauf. »Sie werden uns ja wohl wenigstens sagen können, wer Sie sind und wo Sie wohnen!«

»Nein«, wiederholte Kurt. Aber irgendwie taten die beiden ihm plötzlich leid, also setzte er schnell hinzu: »Ich will mit meinem Anwalt reden.«

Das müssen sie doch jetzt aber eigentlich kennen, dachte er. Das kommt in jedem besseren Krimi vor, und außerdem war das sein Recht, einen Anwalt zu verlangen, sonst würde er sie nämlich anzeigen, wegen Beamtenbeleidigung! Er hatte noch nicht vergessen, dass Semir ihm eben einen Vogel gezeigt hatte …

»Wir können auch anders«, sagte Semir. »Dann kommen Sie erst mal schön mit uns zur Wache. Da können Sie dann auch Ihren Anwalt anrufen.«

»Was ich Ihnen sogar dringend empfehlen würde«, nickte seine Kollegin, während sie schon die Hand ausstreckte, um Kurt aufzuhelfen.

Semir griff wortlos nach dem Dopepäckchen, dann las er auch noch den Joint aus dem Sand auf und verstaute ihn ebenfalls in der Jacke. Sie nahmen Kurt in die Mitte. Semir zerrte den Rollator hinter sich her. Kurt fragte sich, warum er keine Handschuhe anhatte. Das Ding war schließlich ein Beweisstück! Aber er verzichtete darauf, Semir zu warnen, dass die Kollegen von der Spurensicherung ihm wahrscheinlich die Hölle heiß machen würden, wenn alle Fingerabdrücke verwischt waren.

Als er noch einmal über seine Schulter blickte, sah er, wie das Pärchen aus dem Strandkorb hinter ihnen eilig in der Dunkelheit verschwand. Am Horizont zuckten immer noch Blitze, aber das Gewitter schien sich langsam zu entfernen, als ob der richtige Zeitpunkt für eine dramatische Stimmung unwiderruflich verpasst wäre.

Oben auf der Promenade spuckte eine einsame Laterne gelbliches Licht auf das Rentnerehepaar, das laut schimpfend beobachtete, wie Kurt abgeführt wurde. Hinter der Scheibe des Cafés meinte er, auch die blonde Bedienung zu erkennen, die regungslos am Tresen lehnte.

In dem Moment, in dem er den Fuß auf die erste Stufe setzte, hatte er den Eindruck, dass sein Kopf schlagartig wieder klar war. Ich kenne gar keinen Rechtsanwalt, dachte er noch, was hatte er da nur gerade geredet? Aber Kerschkamps Nummer wusste er auswendig! Und er hoffte, dass Kerschkamp den Anruf auch annehmen würde, wenn er seinen Namen auf dem Display las. Damit er nicht erst etwas auf die Mailbox sprechen musste, was er kaum erklären konnte.

2

»Too Old to Rock ’n’ Roll, Too Young to Die«Jethro Tull

Kurt konnte Kerschkamps Stimme im Vorraum hören, ohne allerdings zu verstehen, was er sagte. Mit einem Blick auf die Uhr stellte er fest, dass Kerschkamp ziemlich genau drei Stunden gebraucht hatte, bis er da war. Nicht schlecht für die Strecke von Hannover nach Wilhelmshaven. Kerschkamp musste losgefahren sein, gleich nachdem sie miteinander telefoniert hatten.

Es dauerte noch mal fünf oder sechs Minuten, bis die Tür zur Zelle aufflog. Auf den ersten Blick erkannte er den alten Freund kaum wieder. Dass Kerschkamp einen Anzug trug, war schon seltsam genug, erschien Kurt aber folgerichtig, genauso wie der Aktenkoffer – Kerschkamp hatte gesagt: »Ich box dich da raus«, was immer er der Polizei jetzt für eine Geschichte aufgetischt hatte, Anzug und Aktenkoffer gehörten sicher dazu.

Aber was sollte der knielange Trenchcoat? Ein heller Trenchcoat mit Achselklappen, einer Doppelreihe Knöpfen und einem Gürtel. Zusammen mit dem Hut, den er weit in die Stirn gezogen hatte, ließ ihn das aussehen wie einen Gangster aus einem Phil-Marlowe-Film. Nein, korrigierte sich Kurt, eher wie einen dämlichen Geheimdienstler zur Zeit des Kalten Krieges. KGB. Stasi. CIA. MI5. BND. MAD. Aber vielleicht sahen die auch heute noch genauso aus, er hatte keine Ahnung, er kannte keine Geheimdienstler. Zumindest keine, die so aussahen wie Kerschkamp gerade. Aber es gab da diese zwei Zeilen von Simon and Garfunkel, »She said the man in the gabardine suit was a spy, and his bow tie is really a camera …« Fast erleichtert registrierte Kurt, dass Kerschkamp wenigstens keine Fliege umgebunden hatte und wie immer seine Cowboystiefel trug.

»Jetzt kommen Sie schon, Sie können gehen«, forderte Semir ihn mit unbeweglicher Miene auf. »Ich entschuldige mich für die Unannehmlichkeiten, aber wir haben nur unsere Pflicht getan. Ich hoffe, Sie verstehen das.«

»Wir konnten doch wirklich nicht wissen, dass Sie …«, ergänzte seine Kollegin, ohne ihren Satz zu beenden.

Noch während Kurt seinen Parka überzog, wandte sich Kerschkamp zu den beiden Beamten. »Dass wir uns richtig verstehen – kein Wort zu niemandem! Ich war nie hier, Sie haben weder mich noch ihn …« Er wies mit dem Kopf zu Kurt und hob jetzt auch noch den Zeigefinger. »Sie kennen uns nicht, Sie haben uns nie gesehen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«

»Selbstverständlich, vollkommen«, bestätigten die beiden Beamten unisono. Semir schob eilig noch ein »Herr Doktor« hinterher.

Zum ersten Mal drehte sich Kerschkamp jetzt zu Kurt. Ohne ihm die Hand zu schütteln, sagte er nur knapp: »Gut, gehen wir. Versuchen wir mal, das wieder hinzubiegen, was die Kollegen vom Trachtenverein da verbockt haben.«

Kurt folgte ihm auf den Gang hinaus und an dem Tresen vorbei, hinter dem zwei weitere Polizisten standen und beflissen nickten. Er hatte den Eindruck, dass nicht viel fehlte und sie hätten auch noch salutiert. In ihren Gesichtern war ebenso wie bei Semir und seiner Kollegin eine Art Hochachtung zu lesen, gleichzeitig aber auch … verletzte Eitelkeit, dachte er. Es passt ihnen nicht, dass wir hier einfach rausmarschieren, während sie auch noch strammstehen müssen!

Sie waren kaum die Stufen zum Eingang hinunter, als ihn Kerschkamp am Ellbogen packte. »Keine Fragen jetzt, Kurt. Mein Wagen steht da drüben, steig einfach nur ein.« Er wandte sich kurz zurück zur Polizeiwache. »Sie beobachten uns, dachte ich mir. Und wenn wir Pech haben, kommt eine von den Knalltüten jetzt doch noch auf die Idee zu telefonieren. Was für uns spricht, ist die Uhrzeit. Sie werden wohl kaum jemanden erreichen!« Er lachte, während er Kurt die Tür aufhielt: »Vielleicht trotzdem gut, dass ich daran gedacht habe, die Nummernschilder zu wechseln. Wir fahren jetzt mit Schildern, die das letzte Mal vor gut zwanzig Jahren an dem VW-Bus von Annika hingen, als sie gerade erst ihren Führerschein gemacht hatte. Hatte ich noch in der Garage liegen. Und zugelassen war der Bulli auf ihren Freund, damit kommen sie kein Stück weiter. – Ich fahre übrigens wieder Volvo, wie du siehst.«

Der Volvo war ein älterer V70, silbergrau diesmal, mit Holzfurnier am Armaturenbrett und Automatikgetriebe. Als sie sich das letzte Mal gesehen hatten, hatte Kerschkamp einen ähnlich alten Saab gehabt, über den er nur geflucht hatte.

»Apropos Auto«, setzte Kurt an. »Du müsstest mich zum Südstrand bringen, da steht der CX.«

»Du fährst jetzt ganz bestimmt nicht Auto! Ich bringe dich nirgendwo anders hin als nach Hause. Den Citroën lass mal schön da stehen, ich überleg mir was, wie wir ihn zurückholen.«

Kurt nickte nur. Wenn er ehrlich war, musste er sich eingestehen, dass es ihm lieber war, wenn Kerschkamp ihn nach Hause brachte. Scheiß auf den Citroën, dachte er. Der würde nicht weglaufen, mal ganz davon abgesehen, dass die Hydraulik ohnehin gerade Schwierigkeiten machte.

Kerschkamp fuhr mit quietschenden Reifen aus der Parklücke, erst als er auf die Straße einbog, schaltete er auch das Licht an.

»Wir fahren Landstraße«, erklärte er. »Dauert zwar, aber falls sie doch noch einen hinter uns herschicken, sollten wir die Autobahn lieber meiden.« Er nahm den Hut ab und warf ihn hinten auf die Rückbank. Dann bat er Kurt, ein Stück zu lenken, während er sich aus dem Mantel schälte.

Als er das Steuer wieder übernahm, sagte Kurt leise: »Danke, dass du gekommen bist. Es tut mir leid, aber … Ich wusste nicht, wen ich sonst anrufen sollte. Sagst du mir, was du denen erzählt hast, um mich freizukriegen? Du hast keine zehn Minuten dazu gebraucht, wie hast du das hingebogen?«

»Machen wir einen Deal?«, fragte Kerschkamp, ohne den Blick von der Straße zu nehmen.

»Und der wäre?«

»Ich erzähle dir von meiner kleinen Nummer, geht klar. Aber dafür bekomme ich dann auch deine Geschichte zu hören. Und zwar ohne irgendwelches Drumrumgerede.« Er streckte die Hand aus. »Schlägst du ein?«

»Deal«, sagte Kurt, während er verwundert registrierte, dass Kerschkamps Hand eiskalt war und sich trotzdem schwitzig anfühlte. So gelassen, wie er tat, war der Freund jedenfalls ganz sicher nicht.

»Also los, Wilhelmshaven, die Erste! Wie Kerschkamp seinen alten Kumpel Kurt aus dem Knast geholt hat …« Kerschkamp schob eine CD in den Player auf der Mittelkonsole, drehte die Musik aber so leise, dass Appaz die Saxophonmelodie von Dick Heckstall-Smith’ Tanglewood eher aus der Erinnerung erkannte als wirklich hören konnte.

»Ich musste eigentlich gar nicht viel tun.« Kerschkamp klang, als wäre er im Nachhinein selber verwundert. »Ich bin da rein, habe deinen Namen genannt und erklärt, dass ich dich abhole.«

»Du musst zumindest einen Doktortitel genannt haben! Und dich als Anwalt ausgegeben, oder was? Du weißt schon, dass das unter Amtsanmaßung fällt?«

Kerschkamp schüttelte den Kopf. »Den Doktor haben sie selbst hinzugedichtet, ich habe nichts in der Richtung gesagt. Das mit dem Anwalt hatte ich erst überlegt, aber … es schien mir nicht überzeugend genug. Anwälte kennen sie bei den Bullen, da pellen sie sich erstmal ein Ei drauf! Nee, nee, wirklich, ich bin da nur reingerauscht, ohne einen von ihnen groß zu Wort kommen zu lassen. Okay, ich habe gleich zur Eröffnung ein oder zwei Namen fallen lassen, die ich mir vorher aus dem Netz besorgt hatte, sonst wäre ich auch schon eher dagewesen, aber hat ein bisschen gedauert. Also den Oberstaatsanwalt von dem Marine-Kaff hier, und die übergeordnete Behörde in Hannover als Landeshauptstadt, Staatssekretär vom Innenministerium, wir kennen übrigens seine Mutter, Gründungsmitglied bei der GABL, und dann ewig BI Raschplatz-Pavillon, ist da immer noch, glaube ich, Sabine irgendwas, ich komm gerade nicht auf den Nachnamen …«

»Ja, kenn ich. Aber was hast du ihnen denn nun über mich erzählt? Den Bullen, meine ich.«

»Na, was wohl? Ist doch naheliegend! Undercovereinsatz natürlich! Und dass sie mit ihrem Scheiß eine Aktion gefährdet haben, die wir seit Monaten vorbereiten.«

»Ich als … Undercover?«

»Vom Staatsschutz, ja. Hat doch auch funktioniert!« Er lachte leise auf. »Ein kleines Problem war die Blonde. Mann, da musst du aber Eindruck hinterlassen haben, die hat sich wirklich Sorgen um dich gemacht! Wollte partout wissen, inwieweit es eine psychologische Betreuung für Undercoverleute gibt. Und wann du das letzte Mal dagewesen seist, weil sie dich für stark suizidgefährdet halten würde. ›Ich fürchte, er ist eine Gefahr für sich selbst.‹ Ihre Worte, nicht meine. Ich hatte einige Mühe, ihr zu versichern, dass das alles zu deiner Rolle gehört und du einer unserer besten Männer überhaupt bist und weit weg von jeder Depression. Aber damit wären wir ja wohl beim Thema – du bist dran, Wilhelmshaven, die Zweite. Was Kurt Appaz, 67 Jahre, wohnhaft in Hannover, mit einem Rollator und zugekifft bis oben hin nachts am Strand zu suchen hatte. Ich höre!«

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Schwierig zu erklären. Ganz ehrlich? Ich verstehe es selber nicht mehr. Die ganze Nummer war dämlich, okay. Können wir es nicht dabei belassen? Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen, kommt nicht wieder vor. Ich verspreche es!«

»Aber wolltest du wirklich … Ich meine, was ist los mit dir? Wieso …«

»Es war dämlich«, wiederholte Kurt. »Und nein, ich wollte mich nicht umbringen, nicht wirklich. Aber irgendwie schien mir alles nur noch scheiße zu sein. Plus Cognac und Dope, was willst du noch mehr wissen?«

Kerschkamp nickte. Dann lenkte er in die geschotterte Zufahrt zu einem Windrad und bat Kurt, mit dem Handy zu leuchten, während er die Nummernschilder wieder austauschte. Kurt war überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit Kerschkamp den Plastikrahmen aufdrückte, als hätte er das schon öfter gemacht. Als sie zum vorderen Nummernschild wechselten, sagte er leise zu Kerschkamps Rücken: »Du wirst ja sowieso keine Ruhe geben, also kann ich es dir auch gleich erzählen. Aber es bleibt dabei, keine Panik, ich bin drüber weg, ich bleibe dir noch eine Weile erhalten.«

»Ich werde erst gehen, wenn alle Welt gemerkt hat, dass ich da war«, zitierte Kerschkamp einen Satz von Achternbusch, bevor er sich aufrichtete und den Rücken streckte. Unvermittelt beugte er sich zu Kurt und drückte ihm einen Kuss auf die Wange: »Mann, Mann, Alter, von jedem hätte ich so was erwartet, aber ganz sicher nicht von dir. Ich bin froh, dass du mich angerufen hast. – Du bist immer noch nicht fertig damit, dass Darlén weg ist, richtig?«, setzte er dann hinzu, während sie in den Wagen stiegen.

Kurt wartete, bis sie wieder auf der Landstraße waren, bevor er antwortete. »Es tut immer noch weh, falls du das meinst. Aber wenigstens reden wir inzwischen wieder miteinander. Und das ist es auch nicht, die Sache mit Darlén, meine ich, nicht alleine jedenfalls. Ich hadere damit, älter zu werden. Alt! Ich traue dem Frieden nicht, dass das halbwegs glimpflich abläuft. Dazu habe ich zu viel anderes gesehen, bei meinem Vater, bei Darléns Mutter. Du weißt es doch von deiner Mutter genauso! – Wir haben Scheiße gebaut, wir beide, das ist dir hoffentlich klar, oder? Wir können es uns nicht leisten, einander zu verlieren. Und nein, ich bin nicht mehr breit, ich weiß genau, was ich rede – die Sonne steht plötzlich an Stellen, die uns fremd sind, die wir nicht kannten, als das Leben noch endlos schien. Oder ein bisschen endlos wenigstens! Es tut mir leid, dass ich mich nicht mehr bei dir gemeldet habe. Sorry.«

»Dito. Und dir ist ja wohl auch klar, dass Susanne mir die Hölle heiß gemacht hat, damit ich gefälligst den ersten Schritt unternehme und … Aber ich hab’s nicht gemacht.«

»Jetzt bist du ja da. Und das weiß ich sehr zu schätzen, glaub mir.«

Kerschkamp streckte die Hand aus und tätschelte Kurts Knie. Ein bisschen wie ein altes Ehepaar, das sich gegenseitig versichern will, dass sie zusammengehören, dachte Kurt. Und so ähnlich sagte Kerschkamp es dann auch: »Ich sehe das wie du, Alter. Es bleibt uns nur, den ganzen Scheiß irgendwie noch durchzustehen und dann in Ehren abzutreten. Rio hatte recht, allein machen sie dich ein, daran hat sich nichts geändert.«

Es tat Kurt gut, Kerschkamps Stimme zu hören, während die Alleebäume wie schwarze Schatten in der Dunkelheit vorbeiwischten und ab und an die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Wagens das Gesicht des alten Freundes neben ihm für Sekunden aus der Nacht rissen. Und plötzlich fiel es Kurt auch leicht, all das zu formulieren, was ihm so zu schaffen machte. Dass er die Nase gestrichen voll hatte. Dass er immer mehr das Gefühl hatte, nur noch gegen Windmühlen anzukämpfen. Und dass es ihn gehörig nervte, ausgerechnet jetzt, wo er gerade mal anfing, sich über ein paar Sachen klar zu werden, auch bald schon wieder abtreten zu müssen.

»Als wäre es alles umsonst, als würde es ohnehin niemanden interessieren!«

»Ich weiß, was du meinst. Geht mir genauso. Verdammt schade, dass uns eigentlich gar keiner mehr zuhören will. Dabei wären wir die perfekten Berater, und zwar für so gut wie alles, Politik, Kunst, Kultur, völlig egal, außer vielleicht Mode oder gesundes Schulessen oder so was. Obwohl wir das auch noch hinkriegen würden! Und mal ganz ehrlich, Kurt, auch wenn wir nicht unbedingt die richtigen Lösungen gefunden haben, zumindest haben wir schon in den Siebzigerjahren die richtigen Fragen gestellt! Aber ich sag dir noch was, wir sind noch nicht am Ende, kapierst du?«

»Nicht wirklich.«

»Too old to rock ’n’ roll, too young to die! – Wie geht es Lara?«, fragte Kerschkamp so unvermittelt, dass Kurt für einen Moment den Faden verlor. »Und dem kleinen Jungen? Alles in Ordnung in Schweden?«

»Ja, ich denke schon«, erwiderte Kurt. Seine Tochter und sein Enkelsohn lebten in Schweden. »Und von wegen ›der kleine Junge‹, Luca ist bald zehn!«

»Unglaublich! Es wiederholt sich alles, oder? Eben hast du noch bei deinen eigenen Kindern gedacht, du hättest sie gestern erst morgens noch zur Schule gebracht, da haben sie plötzlich auch schon selber Kinder.«

»Ich lerne jetzt Schwedisch! Jeden Tag ein Wort.« Kurt zog das kleine Wörterbuch aus der Tasche und hielt es hoch. »Heute war es ›magbesvär‹. Manchmal schlage ich auch einfach nur eine Seite auf und nehme das erstbeste Wort, das mir ins Auge springt. Gestern habe ich ›nakestöd‹ gelernt.«

Kerschkamp blickte fragend.

»Nackenstütze«, erklärte Kurt.

»Gut zu wissen. Wann warst du das letzte Mal bei ihnen?«

»Anfang des Monats. Aber nur für ein paar Tage. Längeres Wochenende sozusagen.«

Es dauerte einen Moment, bis Kerschkamp erwiderte: »Ich fasse mal zusammen, ja? Du hast Tochter und Enkelsohn gesehen. Aber natürlich nur viel zu kurz. Und dann warst du wieder hier und hast gedacht: Was mache ich hier eigentlich? Warum bin ich nicht dageblieben?«

»So einfach ist es nicht.«

»Es ist nie so einfach, Kurt!«

Diesmal war es Kurt, der eine Weile schwieg. Bevor er dann sagte: »Ich hab was Komisches erlebt, da oben, hab da an so einem See gesessen und eine Ente beobachtet. Und plötzlich hat sie mit den Flügeln geschlagen und dann war sie weg. Unter Wasser! Ich hab gedacht, sie taucht nach irgendwas. Aber sie kam nicht wieder hoch. Ich hab mindestens fünf Minuten gewartet! Nichts. Die Ente blieb verschwunden. – Ein gewisser Schwede sagt, dass sie da Hechte haben. Wusstest du, dass ein Hecht sich einfach so eine Ente schnappt und sie nach unten zieht?«

»Nein, wusste ich nicht. – Und du nennst ihn immer noch nicht beim Namen?«

»Hecht heißt ›gädda‹ auf Schwedisch.«

»Sehr witzig, du weißt, was ich meine.«

»Und der Haifisch, der hat Zähne«, nickte Kurt, ohne selbst richtig zu wissen, worauf sich der Satz beziehen sollte.

Er war froh, als Kerschkamp das Thema wechselte. »Schreibst du eigentlich gerade was?«

»Ja, ich denke schon. Endlich wieder einen Roman.«

»Einen neuen Roman? Klasse! Gib mir den Plot!«

»Ich weiß noch nicht genau. Ich habe bislang nur den Start, den Ausgangspunkt. Erinnerst du dich an den alten DDR-Grenzübergang auf der Transitstrecke nach Berlin?«

»Marienborn, hinter Helmstedt, ja. Ein paar von den Baracken stehen noch. Und die Lichtmasten und so was. Aber wer da nie im Sommer bei dreißig Grad in der Hitze geschmort hat, kann sich das auch nicht vorstellen.«

»Eben!« Kurt nickte, er sah das Bild deutlich vor sich, das Kerschkamp gerade heraufbeschworen hatte. Die endlose Blechlawine, die auf die Abfertigung wartete – und jedem, der in seinem Auto saß, bangte vor den barschen Fragen der Kontrollposten, den argwöhnischen Blicken, dem Befehlston, den die Grenzer anschlugen.

»Ich musste beim Käfer mal die gesamte Türverkleidung abbauen«, erinnerte sich Kerschkamp, um gleich darauf den typischen Tonfall nachzuäffen, den auch Kurt nur allzu gut noch im Ohr hatte: »Ham Se was anzumälden? Funkgeräte? Waffen? Druckerzeugnisse? Andere verbotene Waren? Nu, fahrnse mal scheen rechts raus und machense ’n Gofferraum auf.«

»Und jetzt stell dir vor, es wäre wieder so!«, rief Kurt, als hätte er nur auf das Stichwort gewartet. »Genau der Scheiß von damals, der ganze Stress, die Nerverei. Die Leute sind ja scharf auf so was, am Checkpoint Charlie in Berlin drängen sie sich für ein dämliches Foto mit nachgemachten Ami-Soldaten und bezahlen sogar noch dafür! Und jetzt pass auf, meine Idee – da gibt es ein paar Typen, so wie wir, auch in unserem Alter, und die wollen es noch mal wissen, bevor sie abtreten, too old to rock ’n’ roll, too young to die, genau, wie du gesagt hast.«

»Und?«

»Und die kaufen jetzt das Gelände von dem alten Kontrollpunkt in Marienborn! Sie bauen alles wieder genau so auf wie früher und holen irgendwelche Schauspieler dazu, die die Grenzpolizisten mimen und die Leute zusammenscheißen. Als Touristenattraktion, verstehst du? Du kannst von der Autobahn runter, zahlst deinen Obulus, und los geht’s! Und das wird der Renner schlechthin, die Ersten, die da rausfahren, sind die Holländer, die nach Berlin wollen, und dann kommen sie von sonst woher, nur um den Kitzel der roten Gefahr zu erleben, wohl wissend, dass ihnen nicht wirklich was passieren kann. – So fange ich den Roman an, verstehst du, das ist das erste Kapitel, die Autoschlangen und so weiter, und die Typen, die die Idee hatten, können es selber nicht fassen, sie kommen kaum noch hinterher mit Geldzählen, das, was sie eigentlich als große Verarschung geplant hatten, sprengt alle Dimensionen und läuft ihnen völlig aus dem Ruder! Weiter bin ich noch nicht, ist klar, dass das nur der Anfang sein kann, die Sache mit der Grenze als Bild für den Zustand der Gesellschaft, darum geht es. Ich habe noch keinen Verlag dafür, ich habe es auch noch niemandem sonst erzählt.«

Kurt sah, wie ihm Kerschkamp aus den Augenwinkeln einen Blick zuwarf, den er nicht deuten konnte. »Kann es sein, dass du immer noch breit bist?«, fragte er nach einer kurzen Pause.

»Nein, wieso?«

»Mann, Mann, Kurt!« Kerschkamp klang irgendwie enttäuscht. »Meine Idee gefällt dir nicht?«

»He, komm, jetzt sei nicht gleich beleidigt! Was weiß ich, vielleicht hast du ja recht, vielleicht funktioniert es, gerade weil es so bescheuert ist. Ich würde es dir wünschen, du hast lange nichts mehr rausgebracht, was den Erfolg hatte, den du verdient hast.«

»Es ist also bescheuert. Danke, das hilft mir weiter. Aber wenn ich das veröffentlicht kriege, schreibe ich mit Sicherheit keine Danksagung an dich rein, das kannst du dir abschminken!«

Kerschkamp schüttelte den Kopf, sagte aber nichts mehr. Nach einer Weile fing es an zu regnen, eintönig quietschten die Wischerblätter über die Windschutzscheibe, Kurt kramte im Licht seines Handys eine neue CD aus dem Handschuhfach, Marianne Faithfull, Negative Capability: »Misunderstanding is my name …«

»Haha«, machte Kerschkamp, nur um gleich darauf nach Kurts Arm zu greifen. »Hör zu. Wir drehen uns im Kreis, du genauso wie ich. Und das wird böse enden, wenn wir nicht aufpassen. Deshalb sollten wir mal eine Pause machen, und zwar dringend! Lass uns eine Auszeit nehmen von dem ganzen Scheiß hier, damit wir wieder zu uns kommen. Nein, warte, lass mich ausreden. Ich habe da so eine Idee, spukt mir schon länger im Kopf rum. Das ist jetzt bald fünfzig Jahre her, dass wir mit der alten Rostlaube von Bulli nach Frankreich an den Atlantik gefahren sind. Fünf Langhaarige, die gerade durchs Abi gefallen waren, kollektiv sozusagen, aber wir haben nicht einen Moment daran gezweifelt, dass wir eigentlich großartig sind! Und dieses Gefühl will ich noch mal haben, auch wenn es nur auf Erinnerungen fußt, die sich wahrscheinlich im Laufe der Zeit reichlich verklärt haben. Egal, scheiß drauf. Was hältst du davon, wenn wir die gleiche Tour noch mal machen? Jetzt, heute, die gleiche Strecke, die gleichen Leute. Fünf ältere Herren, die auf den Spuren ihrer Vergangenheit nach Frankreich fahren und Rotwein trinken, es sich gutgehen lassen, keinen Gedanken daran verschwenden, was an Scheiße noch alles kommen mag. Für drei, vier Wochen, wir sind alle Rentner, wir haben alle Zeit der Welt.«

Im ersten Moment war sich Kurt nicht ganz sicher, ob sein alter Freund das wirklich ernst meinen würde. Aber noch bevor er etwas erwidern konnte, sagte Kerschkamp fast beschwörend: »Wer, wenn nicht wir? Und wann, wenn nicht jetzt?«

»Stopp. Warte mal! Ich soll ausgerechnet mit Lepke und dem Ami oder ganz und gar Ratte …« Allein schon die Vorstellung erschien ihm so ungeheuerlich, dass er Kerschkamp einen Vogel zeigte. »Ich kenne die Leute überhaupt nicht mehr, ich habe seit Jahren keinen Kontakt mehr! Und Lepke war doch schon spätestens seit der Zeit, als er in der Versicherungsagentur von seinem Alten angefangen hat, einer der größten Spießer, die frei rumlaufen. Wahrscheinlich verbringt er seinen hart erkämpften Ruhestand mit dem Laubbläser in der Hand und nervt die Nachbarn! Von dem Ami will ich gar nicht erst reden, geschweige denn von Ratte.«

»Ich hab Ratte neulich in der Stadt getroffen. Er möchte aber nicht mehr ›Ratte‹ genannt werden, kann man ja irgendwie auch verstehen. Also Udo jetzt. Okay, stimmt schon, er macht immer noch dieselben Sprüche, wie … Ratte eben.« Kerschkamp hieb mit der Faust aufs Lenkrad. »Aber verdammt, Kurt, er dreht auch am Rad, glaub mir, wir sitzen alle im selben Boot. Und er hat auch durchaus was zu erzählen, so ist es nicht. Hat sich ja genug verbiegen müssen, um seinen Job zu behalten, vor allem als die ganzen Algorithmen-Fuzzis aufgetaucht sind, die keine Ahnung von irgendwas haben, aber die Klappe aufreißen wie nichts Gutes.«

»Er war in der Marketingabteilung bei VW-Nutzfahrzeuge, richtig?«

»Leiter! Leiter der Marketingabteilung. Hat er zumindest behauptet. Auf jeden Fall ziemlich weit oben, glaube ich.«

»Das heißt, auf seinem Mist ist dann so was gewachsen wie der Amarok für Rudolf Schenker mit dem beleuchteten Skorpionenstachel auf dem Dach, den sie ihm geschenkt haben? Nur um damit an die Presse gehen zu können, wie er auf irgendeiner Cali-Halde rumkurvt? Abends natürlich, damit man den Scheißstachel auch sieht?«

»Du hast mit allem recht, was du einwendest, aber vergiss das mal eben und denk dran, dass Ratte natürlich genau der richtige Mann für uns ist. Also Udo, meine ich. Nicht nur, weil er auch damals dabei war, sondern er hat doch immer noch seine Kontakte. Er kann uns mit Sicherheit den Bus für unsere Fahrt besorgen, T1 Samba, direkt aus dem Bulli-Museum in Stöcken. Na, reizt dich das nicht? Wir mit einem Samba, wie wir gepflegt mit 80 km/h am Atlantik runtercruisen. Und den ganzen Surfern da und den Hymer-Mobilisten mal so richtig zeigen, wie es aussieht, wenn die Helden von gestern kommen!«

»Du spinnst, aber echt.«

»He, Kurt, lass es uns doch wenigstens versuchen. Lass uns ein paar Anrufe machen, ein paar von den alten Leuten treffen, und dann sehen wir weiter. Wenn es nicht passt, haben wir Pech gehabt, dann lassen wir es. Aber das ist alles immer noch besser, als gar nicht erst den Versuch zu machen. Und dann ins Grab zu steigen mit dem verdammt unschönen Gefühl, dass wir vielleicht was verpasst haben. Nur weil wir zu bequem waren und den Arsch nicht mehr hochgekriegt haben. Von anderen Teilen will ich gar nicht erst reden. Sorry, aber wir sind ja unter uns.«

»Ich weiß nicht, ich …« Kurt stieß die Luft aus. »Ich fürchte, ich brauche noch einen Moment, bevor mir dazu was einfällt. Aber falls – und ich sage ausdrücklich falls – also falls wir das wirklich machen sollten und Ratte auch tatsächlich einen T1 besorgt …« Kurt merkte, wie sich unwillkürlich ein Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete. »Dann muss eine Sache von vornherein klar sein: Der Einzige, der das Schmuckstück fahren darf, bin ich. Oder jedenfalls zumindest nicht du! Ich weiß noch zu gut, wie du den Schaltknüppel malträtierst hast, und jedes Mal mit dem Kopf halb unters Armaturenbrett gekrochen bist, um den richtigen Gang zu finden, während das Getriebe die Ritzel einzeln rausgeschmissen hat …«

»Yeah!«, brüllte Kerschkamp los. »Damit kann ich leben, kein Ding, Kurt! Du fährst, alles klar. Leute, nehmt die Kinder rein, hier kommt Zwischengas-Kurt! Ha, das wird großartig, Alter, glaub mir!«

3

»The Boys are Back in Town«Thin Lizzy

Kerschkamp hatte ihn bis nach Hause gebracht. Und sie hatten noch ein oder zwei Gläser Rotwein zusammen getrunken, danach war Kerschkamp auf Leitungswasser umgestiegen. »Ich will ja hier nicht bei dir auf dem Fußboden übernachten müssen. Und meinen Lappen brauche ich noch!« Schließlich war er dann damit rausgerückt, dass er ihre gesamte Fahrt dokumentieren wollte, Kurt hatte einen Moment gebraucht, um zu begreifen, dass es nicht um die Rückfahrt von Wilhelmshaven, sondern um die Tour zum Atlantik ging. »Unseren Ausflug«, wie Kerschkamp es nannte.

»Über die Presseagentur kenne ich noch genug Leute, das dürfte kein Problem sein, denen so was zu verkaufen. Vielleicht können wir über Ratte, also Udo, auch VW selber mit ins Boot holen, ich meine, der Bulli ist eine Ikone, da sollten sie sich alle zehn Finger nach lecken, wenn wir ihnen eine Bildstrecke von der Tour abliefern. Immer schön der Bulli mit den Highlights auf der Strecke, und dazu Fotos von uns! Altmännerporträts, Gesichter wie Landkarten, die ganze ungeschminkte Wahrheit, morgens nach dem Aufwachen im Zelt und so was, wenn du weißt, was ich meine. Das sind so die Sachen, die die Leute sehen wollen, immer voll drauf halten mit der Kamera, bloß keine Skrupel – und genau das bedienen wir! Holt mich hier raus, ich bin ein Star, je intimer, umso besser. Und ich bin immer noch ein verdammt guter Fotograf, heute vielleicht sogar noch mehr als früher, aber du weißt, dass Texte noch nie so mein Ding waren, da musst du ran! Ich liefere die Bilder, du den Rest.«

Gegen zwei Uhr nachts hatte sich Kerschkamp dann verabschiedet. Allerdings nicht, ohne gleich ein neues Treffen auszumachen.

»Ich kann morgen, nachher natürlich, meine ich, erst am späten Nachmittag. Vorher muss ich noch zu so einer Untersuchung. Nichts Schlimmes, eher reine Routine. 17 Uhr, ist das okay für dich?«

Kurt hatte noch den Rotwein geleert, mit jedem Glas war ihm Kerschkamps Idee verrückter vorgekommen, vollkommen idiotisch – aber gleichzeitig dachte er auch: Warum eigentlich nicht? Und selbst wenn es nur dazu führte, dass er und Kerschkamp noch einmal die Chance hatten, ihre alte Freundschaft zu erneuern, war vielleicht schon genug gewonnen – sie hatten nichts zu verlieren außer ihrer Angst, genau wie Ton Steine Scherben schon vor Ewigkeiten gesungen hatten.

Zum ersten Mal seit langem hatte Kurt durchgeschlafen, bis es fast Mittag war. Verwundert stellte er fest, dass er weder Kopfschmerzen hatte noch sich sonst irgendwie unwohl fühlte, im Gegenteil! Und er ertappte sich dabei, dass er bereits überlegte, ob die ganze Sache womöglich Stoff für einen Roman hergeben würde. Fünf ältere Herren, die es noch einmal wissen wollen.

»Vielleicht sollten wir lieber eine Bank überfallen, statt nach Frankreich zu fahren«, murmelte er vor sich hin. Irgendetwas Spektakuläres anstellen, dann gäbe es für den Roman wenigstens unentgeltliche Presse, dachte er und musste unwillkürlich grinsen, als er sich vorstellte, wie sie mit dem T1 als Fluchtwagen wahrscheinlich noch nicht mal bis zur nächsten Ecke kommen würden, bevor die Bullen sie eingeholt hätten. Oder es würde spätestens an der nächsten roten Ampel passieren, weil man fünfzig Jahre Rotlichtkonditionierung nun mal nicht einfach so vom Tisch wischen kann. »Also doch lieber Frankreich. Und wenn mich die anderen nerven, nehme ich den erstbesten Zug nach Hause.«

Als er jetzt von Zimmer zu Zimmer ging, wie um sich alles noch mal genau einzuprägen, kam er sich selber albern vor. Er würde ja nicht für immer gehen! Es war kein Umzug ins Altersheim, es war nur ein etwas längerer … Ausflug! Genau! Ein Roadtrip. Ein kleines Abenteuer, nicht mehr und nicht weniger. Und es gab nichts in seiner Wohnung, was danach nicht auch noch da wäre. Ebenso wenig wie er irgendetwas besonders vermissen würde …

Drei Zimmer im obersten Stockwerk direkt unterm Dachboden, im Sommer muffig warm, im Winter so kalt und zugig, dass er sich beim Schreiben in eine Decke wickelte. Aber die Wohnung war billig, und unten im Haus war eine Künstlerkneipe, in der es oftmals Livemusik gab. Kurt hatte einen Platz, der immer für ihn reserviert war, direkt neben der Theke. Und nach dem Konzert lud der Wirt ihn meistens noch zum Essen mit den Musikern ein. So hatte er auch Guro von Germeten kennengelernt, eine norwegische Sängerin, deren Song Drown Me, Sailor so ziemlich mit das Beste war, was er in den letzten Jahren gehört hatte. Oder Paul Tiernan, der nicht nur mit den Hothouse Flowers, Mary Black oder Christie Moore gespielt hatte, sondern schon mit Donovan getourt war.

Und vom Balkon vor der Küche aus hatte er immerhin einen freien Blick auf die alten Bäume im Garten des gegenüberliegenden Krankenhauses, weiter nach links konnte er gerade soeben noch die Stallungen der Reiterstaffel der Bereitschaftspolizei erkennen, manchmal wieherten die Pferde, dann konnte er sich einbilden, er wäre irgendwo auf dem Land. Im Schlafzimmer hatte er nichts außer dem alten Bett, das er auf einem Bauernflohmarkt erstanden hatte und das aussah wie auf einer Zeichnung von Wilhelm Busch. Die Wände im Wohnzimmer waren bis in den letzten Winkel mit Bücherregalen vollgestellt, mittlerweile türmten sich auch davor schon wieder Bücher. Kurt träumte immer noch von einer Bibliothek mit einer umlaufenden Galerie, immerhin hatte er schon mal eine Bibliothekstreppe ergattert, ebenfalls auf dem Flohmarkt, eine rollbare Wendeltreppe mit vier Stufen, wenn er auf der vierten Stufe stand, stieß er mit dem Kopf an die Decke.

Das dritte Zimmer diente ihm zurzeit als Rumpelkammer, nach der Trennung von Darlén hatte er die Umzugskartons, die hier gestapelt waren, noch nicht wieder angerührt. Aber das würde er in Angriff nehmen, sowie Luca alt genug wäre, um seinen Opa alleine besuchen zu können. Dann hätte der Junge ein eigenes Zimmer! Und abends würden sie zum Essen in die Künstlerkneipe runtergehen und sich den einen oder anderen Musiker zusammen anhören. Kurt hoffte nur, dass er die einhundertzwölf Stufen bis zu seiner Wohnung noch eine Weile ohne größere Schwierigkeiten würde bewältigen können. Bislang brauchte er nur auf dem dritten Treppenabsatz eine kurze Pause.

Auf Schwedisch hieß Wohnung »lägenhet«.

Am frühen Nachmittag brachte der ACE den Citroën aus Wilhelmshaven. Eigentlich hatte Kurt am Telefon nur gesagt, dass es sich um einen Citroën CX handeln würde, der Schwierigkeiten mit der Hydraulik hatte. »Ein Citroën, sagen Sie? Dann werden wir besser gleich einen Kranwagen schicken.« Sie schienen zu wissen, wie man mit Citroëns umging. Und weil Kurt aufgrund eines Druckfehlers bei seinen persönlichen Angaben, den er nie hatte korrigieren lassen, erstaunlicherweise bereits seit 1963 Mitglied im Autoclub war, brachten sie ihm den Wagen auch tatsächlich bis vor die Haustür.

Um kurz vor fünf schob er eine Tiefkühlpizza in den Backofen. Rucola, Tomaten, Mozzarella. Seit einigen Jahren schon aß er kein Fleisch mehr – und freute sich jedes Mal über seine Entscheidung, wenn er die Fotos aus der Massentierhaltung sah. Oder in der Zeitung über den neuesten Fleischskandal las. Das Einzige, was er manchmal dann doch vermisste, war die Wildschweinsalami, die er früher immer vom Förster aus dem Hildesheimer Wald geholt hatte. Aber die Sache hatte sich ohnehin von ganz alleine erledigt, seit der Schlachter, der die Wurst gemacht hatte, Selbstmord begangen hatte. Im Puff in Amsterdam, wie der Förster erzählt hatte.

Kerschkamp kam pünktlich und stürzte sich auf die Pizza, kaum dass Kurt sie in Tortenstücke geschnitten hatte. Auf Kurts Frage, wie die Untersuchung gelaufen war, antwortete er nur: »Ergebnisse kriege ich erst Anfang der nächsten Woche. Aber jetzt lass uns loslegen, ich habe nämlich meine Hausaufgaben gemacht und schon mal ein paar E-Mails rausgeschickt«, wechselte er so schnell das Thema, dass Kurt für einen Moment daran zweifelte, ob die Untersuchung wirklich so harmlos gewesen war.