Dunkle Geschäfte am Bosporus - Celil Oker - E-Book

Dunkle Geschäfte am Bosporus E-Book

Celil Oker

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Beschreibung

Muazzez Güler, die toughe Chefin einer Computerfirma in Istanbul, kann es nicht leiden, wenn ihre Kunden nicht bezahlen. Um einem besonders hartnäckigen Schuldner Beine zu machen, setzt sie den Privatdetektiv Remzi Ünal auf ihn an. Der muss mitten in der Wirtschaftskrise jeden Auftrag annehmen. Als er jedoch sein Honorar abholen will, findet er Muazzez Güler tot in ihrem Büro vor, mit einem Mauskabel um den Hals. Schnell stellt Remzi Ünal fest, dass in dieser Geschichte gar nichts zusammenpasst. Muazzez Gülers Geschäfte beschränkten sich keineswegs auf Computerteile, und ihr Politikergatte geht für seine Karriere über Leichen. Und war es wirklich die schöne und blitzgescheite Selma, die den Politiker erpresst und damit die Sache ins Rollen gebracht hat?

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Seitenzahl: 412

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Über dieses Buch

Aus finanzieller Not spielt Privatdetektiv Remzi Ünal den Schuldeneintreiber für die toughe Chefin einer Computerfirma. Doch die liegt plötzlich tot in ihrem Büro, erwürgt mit einem Mauskabel. Schnell stellt Remzi Ünal fest, dass in dieser Geschichte gar nichts zusammenpasst, denn auch der Gatte geht für seine Politikerkarriere über Leichen …

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Celil Oker (1952-2019) arbeitete als Journalist, Übersetzer und Leiter einer Werbeagentur. Als er in der Zeitung die Ausschreibung las für den ersten türkischen Wettbewerb für Kriminalliteratur, schrieb er Schnee am Bosporus und gewann den ersten Preis.

Zur Webseite von Celil Oker.

Nevfel Cumart (*1964) studierte Turkologie, Arabistik und Islamwissenschaft und arbeitet seit 1993 als freiberuflicher Übersetzer und Journalist. Bei Vorträgen und Seminaren setzt er sich mit türkeikundlichen Themen auseinander.

Zur Webseite von Nevfel Cumart.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Celil Oker

Dunkle Geschäfte am Bosporus

Ein Fall für Remzi Ünal

Kriminalroman

Aus dem Türkischen von Nevfel Cumart

Ein Fall für Remzi Ünal (4)

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 3 Dokumente

Die Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel Son Ceset bei Doğan Kitapçilik in Istanbul.

Die Übersetzung aus dem Türkischen wurde gefördert durch das Kultur- und Tourismusministerium der Republik Türkei.

Originaltitel: Son Ceset (2004)

© by Celil Oker 2004

© by Unionsverlag, Zürich 2024

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Ulrike Haseloff

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30246-4

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

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Version vom 26.07.2024, 20:47h

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Inhaltsverzeichnis

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Über dieses Buch

Titelseite

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Inhaltsverzeichnis

DUNKLE GESCHÄFTE AM BOSPORUS

1 – Wie so oft in der letzten Zeit saß …2 – »Einige Dinge sollten wir gleich zu Anfang klären.« …3 – Den Autoschlüssel hatte ich nicht eingesteckt. Langsam ging …4 – Weil es so kalt war, steckte ich die …5 – Ich erwachte eine ganze Weile vor der Zeit …6 – »Ich brauche einen Mörder«, sagte Kadir Güler und …7 – In Kadiköy, am Platz vor dem Haldun-Taner-Theater …8 – Auf der Straße sog ich die kalte Luft …9 – Sinan, das alte Haus, das Queue in der …10 – Ich betete, dass jetzt nicht die Mailbox antwortete11 – Wir mussten uns nicht besonders anstrengen, um Gülendam …12 – Ich bereute sofort, die Augen aufgemacht zu haben13 – Mein erster Gedanke war, dass ich nicht aus …14 – Koray Şimşek hätte beinahe seinen Kaffee wieder ausgespuckt …15 – Es sollte eine schöne Schifffahrt werden. Noch schöner …16 – Ein leichtes Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht …17 – »Aber ich habe niemanden getötet«, sagte Selma. »Das …18 – Ein schmächtiges, unscheinbares Mädchen kam mit einem Tablett …19 – Ich dachte schon, dass Cenk Bozer sich erneut …20 – Ich starb nicht

Mehr über dieses Buch

Über Celil Oker

Celil Oker: »Dies ist ein Wink des Schicksals«

Celil Oker: »Der Detektivroman ist eine Tragödie mit Happy End«

Thomas Wörtche: Universal Ünal

Über Nevfel Cumart

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Für Mete, meinen Freund

1

Wie so oft in der letzten Zeit saß ich vor dem Fernseher in meiner Wohnung und ärgerte mich darüber, dass es nichts in meiner Vergangenheit gab, das ich bereute. Ich hatte es mir in meinem skandinavischen Sessel bequem gemacht. Ein Arm hing neben der Lehne herunter. In der anderen Hand hielt ich die Fernbedienung, eines der wenigen Dinge, die mich mit der Gegenwart verbanden.

Es gibt Tage, an denen wahrscheinlich alle Menschen auf der Welt denken, dass nichts mehr so sein wird wie früher. Ich hatte seit längerer Zeit nicht mehr das Bedürfnis, mich mit dem Flugsimulator zu beschäftigen, wahrscheinlich aus genau diesem Grund. Es war schön gewesen, ich war immer in der Umgebung von Chicago geflogen, aber auch New York war nicht sehr weit weg.

Die Tage plätscherten dahin. Ich verbrachte sie damit, lang zu schlafen, zum Aikidotraining zu gehen und mich durch das Fernsehprogramm zu zappen. Dabei wechselte ich die Nachrichtensender, bevor ich bis neun zählen konnte. Wenn ich begann, mir Sorgen um die Weltlage zu machen, schaltete ich Fox Sports ein. Ich hatte mir auch längst abgewöhnt, den Laufburschen aus dem Krämerladen anzumachen, weil er mir meine Zeitung ständig zu spät brachte.

Wenn ich die Wohnung verließ, ging ich zu Fuß. Ich vermied Orte, die ich nur mit dem Auto erreichen konnte.

Wenn ich nach Hause kam, hörte ich den Anrufbeantworter gar nicht erst ab. Es rief sowieso niemand an. Selbst die Frau, die, ohne ihren Namen zu nennen, immer wieder um meine Hilfe bat, meldete sich nicht mehr. Das Frühstücksritual nach dem Training hatte ich mir auch abgewöhnt. Mein Freund, der Werbefachmann, machte ein langes Gesicht. Der Bankier machte ein langes Gesicht. Der Freund aus der Textilbranche ebenfalls.

Beim Training wendeten wir alle die gelernten Techniken mit größter Härte an, so als hätten wir uns abgesprochen. Wir bogen uns unsere Handgelenke stärker nach hinten als nötig. Unsere Gesichter verzogen sich vor Schmerz, aber wir stoppten unseren uke nicht mit einem »Hey, mach mal halblang«. So oder so, irgendwann war jeder an der Reihe. Und dann ließen wir den ganzen Weltschmerz an unserem Gegenüber aus.

Zur Bank ging ich öfter als gewöhnlich. Nicht um etwas einzuzahlen, sondern um abzuheben.

Als ob es sonst keine Sorgen gäbe, setzte der Winter schon früh ein. Zunächst testete er mit einigen Regenschauern, ob die Schuhsohlen der Leute Löcher hatten. Ehrlich gesagt: Ich beklagte mich nicht über den Regen. Wenn ich mich beim Zappen durch die Fernsehprogramme langweilte, setzte ich mich mit einem Kaffeebecher in der Hand ans Fenster und schaute hinaus, während mein Bein am Radiator förmlich verbrannte. Draußen sah es schön aus, wenn es regnete. Verschneit würde es sicher noch schöner aussehen.

Mein Auto musste zur Inspektion, aber ich kümmerte mich nicht darum. Ich ärgerte mich nicht mal mehr über den Krach im Haus, der tagsüber meinen Schlaf störte. Ich rächte mich, indem ich den Monatsbeitrag für die Nebenkosten nicht zahlte. Zum Glück war ich nicht der Einzige. Nachdem die Hälfte der Mieter es so handhabte wie ich, ergriff der ehrenamtliche Verwalter des Wohnblocks, mein Freund, der pensionierte Militär, die erste Sparmaßnahme: Er entließ den Hausmeister, der abends den Müll abholte. Ich konnte mir nicht vorstellen, was passieren würde, wenn die Rechnung für das Gas käme. Ich selbst hatte gerade meine Putzfrau entlassen, als sie mehr Geld für ihre Arbeit verlangt hatte.

Wenn ich mich zu sehr langweilte, ging ich in das Kino im Akmerkez-Einkaufszentrum. Vormittags waren da ältere Frauen, nachmittags Gymnasiasten, die die Schule schwänzten.

Als ich im Badezimmer gerade zum vierten Mal mein Gesicht inspizierte und mich fragte, ob ich mich rasieren sollte, klingelte es an der Tür.

Die Anzahl der Menschen, die an meiner Tür klingelten, war geringer als die der vernünftigen Sendungen im Fernsehen.

Weil er seit längerer Zeit die Hoffnung auf Bakschisch aufgegeben hatte, hängte der Laufjunge aus dem Krämerladen jeden Morgen lautlos die Plastiktüte mit der Tageszeitung und dem Brot an die Tür und ging. Einmal hatte der Briefträger den Fehler gemacht zu klingeln, bevor ich meinen morgendlichen Kaffee ausgetrunken hatte. Als er mein Gesicht sah, schwor er sich vermutlich, es nie wieder zu tun. Mein Freund, der pensionierte Militär, hatte sich über mein hartnäckiges Nichtzahlen des Nebenkostenbeitrages dermaßen geärgert, dass er mich nicht mal mehr grüßte, geschweige denn besuchte. Natürlich beachtete ich ihn auch nicht.

Mit meinem Freund aus der Werbebranche traf ich mich dreimal in der Woche beim Training im Dojo, warum sollte er noch zu mir nach Hause kommen?

Mit keinem meiner Kunden traf ich mich in meiner Wohnung.

Deshalb wunderte ich mich weniger über den schlechten Abklatsch von Philip Marlowe, der mir aus dem Spiegel entgegenblickte, als darüber, dass es an meiner Tür geklingelt hatte.

Ich hatte gerade einen Schritt vom Badezimmer in Richtung Gegensprechanlage gemacht, als es erneut klingelte.

Ich drückte auf den Knopf der Anlage. »Wer ist da?«, fragte ich mit einer Stimme, die Hausierern, Marktforschern und Drückern, die mir Probepackungen Shampoo oder anderen Kram aufschwatzen wollten, deutlich machen sollte, dass ich mich nicht im Geringsten für sie interessierte.

»Ist dort die Wohnung von Remzi Ünal?«, fragte eine Frauenstimme, die durch die Gegensprechanlage metallisch klang.

Hausierer, Marktforscher und Drücker kannten meinen Namen nicht. »Ja?« Das Fragezeichen hinter meiner Antwort betonte ich extra.

»Kann ich hochkommen?«, fragte die Frau.

»Warum?«

Für einen Moment herrschte Stille. »Ich möchte mit Ihnen über einen Auftrag sprechen.«

Mein zwei Tage alter Bart pikte, als ich über mein Gesicht strich. »Hat Ihnen derjenige, von dem Sie meine Adresse haben, nicht auch meine Telefonnummer gegeben?«

Die Frau war vorbereitet. »Es ist besser, wichtige Angelegenheiten von Angesicht zu Angesicht zu besprechen.« Ich schaute mir den Zustand des Wohnzimmers an und schätzte die Zeit ab, die sie für vier Stockwerke brauchen würde. Kein Problem, solange sie die Treppen nicht im Eiltempo hochkam.

Anstelle einer Antwort drückte ich auf den Türöffner.

Lautlos zählend machte ich mich an die Arbeit. Als Erstes beseitigte ich die Reste von dem mit Käse gefüllten Teiggebäck, die auf dem Beistelltisch lagen. In die andere Hand nahm ich den Aschenbecher und lief in die Küche. Die Küche war auch kein Problem. Schloss man die Tür, war das Chaos nicht zu sehen. Zurück im Wohnzimmer, war ich bei acht angekommen. Ich räumte die Unterhosen und die Socken weg, die ich zum Trocknen auf die Heizung gelegt hatte, ging ins Schlafzimmer und warf alles aufs Bett. Es war so gut wie sicher, dass ich mit meinem Gast nicht hierherkommen würde. Als ich aus dem Zimmer eilte, machte ich hinter mir die Tür zu. Die Tür des Gästezimmers, das nie benutzt wurde, war bereits geschlossen.

Als ich bei zwanzig ankam, stand ich mitten im Wohnzimmer und schaute mich um, ob noch irgendetwas das Bild störte.

Bei fünfundzwanzig kontrollierte ich meine Bekleidung. Für den Augenblick ganz annehmbar.

Zum Glück hatte ich nicht die Gewohnheit, in der Wohnung im Pyjama oder Trainingsanzug herumzulaufen. Auch wenn meine Jeans seit längerer Zeit nicht gewaschen war, ging sie noch durch. Ich trug eines der schwarzen T-Shirts, die ich kürzlich im Dutzend gekauft hatte. Meine nackten Füße musste mein ungebetener Gast akzeptieren. Schuld waren die Leute, die die Heizung in diesem Krisenwinter auf Hochtouren laufen ließen.

Im Fernseher schaltete ich einen Nachrichtensender ein, stellte das Gerät ganz leise und ging zum Fenster. Während ich hinausschaute, zählte ich weiter … achtunddreißig, neununddreißig …

Ich sah einen Opel Corsa auf dem Parkplatz, der von fünf Wohnblöcken umgeben war. Er parkte quer vor den Autos der Mittelstandsfamilien in unserer Siedlung, die anständig in den Parkbuchten standen. Aus dem Fenster auf der Fahrerseite ragte ein Ellenbogen, der in einer Lederjacke steckte. Bei der Kälte war das Fenster wahrscheinlich nur wegen des Rauchens geöffnet worden. Erst recht, wenn der Chef eine Frau war.

Wenn ich die Treppen hinaufstieg, holte ich immer bei ziemlich genau zweiundfünfzig meinen Schlüssel aus der Tasche. Einer Frau, die das Mehrfamilienhaus nicht kannte, räumte ich eine Zeit bis fünfundsechzig ein.

Bei sechsundsechzig klingelte es an der Wohnungstür.

Ich kontrollierte ein letztes Mal das Wohnzimmer und ging zur Tür. Beim Vorbeigehen trat ich die Hürriyet unter den Sessel.

Ohne den Spion in Erwägung zu ziehen, riss ich die Tür ganz weit auf. Nein, ich kannte die Frau nicht. Auf den ersten Blick machte sie den Eindruck einer Person, die man lieber nicht zum Feind haben wollte.

Ihre Hässlichkeit wurde dadurch verstärkt, dass sie ihre Jugend schon vor ziemlich langer Zeit hinter sich gelassen hatte. Die Haare, deren fehlendes Volumen kein Shampoo dieser Welt wettmachen konnte, reichten ihr kaum bis zur Schulter. Die unproportional große Nase beherrschte ihr ganzes Gesicht. Die Lippen waren fest zusammengepresst, als wollte sie deutlich machen, dass es auf dieser Welt sehr wenig Erfreuliches gab. In ihren Augen konnte ich ein entschiedenes und gleichzeitig hinterhältiges Leuchten erkennen. Ich hätte sie nicht zur Nachbarin haben wollen und schon gar nicht als ehrenamtliche Verwalterin des Wohnblocks.

Während ich sie mir genauer anschaute, musterte sie mich ebenfalls.

Aus dem Kragen des langen grauen Mantels lugte ein roter Schal hervor, der vermutlich aus Kaschmir war. Eine Hand steckte in der Manteltasche. An ihrer Schulter hing eine teure Handtasche. Sie hatte schwarze Lederhandschuhe an.

»Remzi Bey?«, fragte sie, ohne mir Gelegenheit zur Antwort zu geben. »Mein Name ist Muazzez Güler. Ich störe doch nicht, oder?«

Darauf erwiderte ich nichts. »Kommen Sie doch rein«, sagte ich stattdessen und trat zur Seite.

Ich wartete, bis sie den Mantel ausgezogen und die Handschuhe in die Manteltasche gesteckt hatte. Zum Vorschein kamen ein ebenfalls roter Pullover mit Stehkragen, der erfolgreich zwei Rundungen in Tennisballgröße versteckte, und ein ziemlich langer grauer Rock. Die Strümpfe zwischen Stiefeln und Rock konnte man nicht sehen.

Ich nahm ihr den Mantel und den roten Schal aus der Hand und hängte sie beide übereinander an den altmodischen Kaffeehaus-Kleiderständer schräg gegenüber der Eingangstür. Stumm deutete ich zum Wohnzimmer. Ohne zu zögern, ging sie mit entschlossenen Schritten weiter, blieb neben dem Sessel gegenüber dem Fernseher stehen und schaute auf meine nackten Füße.

»Setzen Sie sich doch«, sagte ich der Höflichkeit halber.

»Danke schön«, entgegnete sie und setzte sich in den Sessel. Ihre Tasche stellte sie daneben. Dann schaute sie sich schnell nach etwas Bemerkenswertem um. Es gab nichts. »Ich dachte, Privatdetektive hätten ein Büro«, sagte sie.

»Ich habe keins«, sagte ich.

Auf einmal hatte ich großen Durst. »Möchten Sie einen Kaffee?«

»Ja, bitte«, sagte sie. »Mit viel Milch, falls Sie haben …«

»Es müsste welche da sein«, sagte ich.

Eigentlich hatte ich keine Milch. Auf dem Weg in die Küche fiel mir das ein. Dann war ich kreativ.

Mit den beiden Kaffeebechern in der Hand, zog ich mit dem Fuß die Tür so weit zu, dass man das Chaos in der Küche nicht sehen konnte, und ging eilig ins Wohnzimmer zurück. Muazzez Güler schaute aus dem Fenster. Meine nackten Füße machten kein Geräusch, dennoch hatte sie mich bemerkt. Sie drehte sich um. Ich meinte, Reue in ihrem Blick zu erkennen. Manchmal überkommt einen so etwas.

»Haben Sie einen Parkplatz gefunden?«, fragte ich in beiläufigem Konversationston. Ich stellte ihren Kaffee auf den Beistelltisch neben dem Sessel.

»Ich bin mit einem Taxi gekommen«, antwortete sie. »Ihre Wohnung hat eine schöne Aussicht auf das Akmerkez-Einkaufszentrum …«

»Erinnert mich daran, dass ich in der Stadt lebe.«

»Ich habe die Nase voll von der Stadt«, entgegnete sie.

Ich sagte nichts weiter. Das war ihre Meinung. Ich trank einen Schluck von meinem Kaffee. Sie wandte sich vom Fenster ab und setzte sich wieder in den Sessel. Sie schob ihren Po hin und her und machte es sich bequem, nahm ihren Kaffee und rührte mit dem Löffel, der bereits im Becher war, noch etwas darin herum. Dann trank sie einen Schluck. »Kein Zucker«, sagte sie und verzog das Gesicht.

»Entschuldigen Sie«, sagte ich, ohne mich von meinem Platz zu bewegen. »Ich bringe ihn sofort. Die Macht der Gewohnheit.«

»Nein, nein«, sagte Muazzez Güler. »Machen Sie sich keine Mühe.«

Ich machte mir keine Mühe. »Gut«, sagte ich und setzte mich in den Sessel, der für mich übrig blieb. Ich wusste sowieso nicht, ob ich Würfelzucker dahatte oder nicht.

»Kann ich Ihnen eine Zigarette anbieten?«, fragte ich. »Oder sollen wir sofort anfangen, diesen wichtigen Auftrag zu besprechen?«

Muazzez Güler schaute mich an. »Ich bin im Moment noch unentschlossen«, erwiderte sie.

»Dann warte ich auf Ihre Entscheidung.« Ich nahm eine Zigarette aus der Packung, die auf dem Beistelltisch lag, und steckte sie in den Mund. Dann hielt ich ihr die Packung hin. Sie schüttelte den Kopf. Ich zündete meine Zigarette an und trank einen Schluck.

»Eigentlich hatte ich Sie mir anders vorgestellt«, begann Muazzez Güler.

»Was gefällt Ihnen nicht an mir?«, fragte ich. »Okay, ich gebe zu, ich hatte keine Milch zu Hause und musste Sahnepulver nehmen.«

Sie lachte. Dann zog sie ihre Lippen zusammen. »Ihr Kaffee ist eine Katastrophe, aber das ist nicht so wichtig. Ich weiß nicht, ob der Privatdetektiv in meiner Vorstellung so aussah wie Sie.«

»Wie sah er denn in Ihrer Vorstellung aus?«, fragte ich, nachdem ich noch einen ordentlichen Schluck von meinem Kaffee genommen hatte. Ich fand ihn nicht katastrophal. Wer einen besseren trinken wollte, musste ihn eben selbst machen. Und zwar in seiner Wohnung.

»Das ist ja das Problem«, erwiderte Muazzez Güler. »Wie er in meiner Vorstellung aussah, weiß ich auch nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich bis jetzt noch nie einen echten Privatdetektiv gesehen habe.«

»Unsereins ist ein völlig neuer Typ in diesem Land«, sagte ich. »Die Sorte, die Sie aus den Filmen kennen, hat in Wirklichkeit sowieso kein Mensch je gesehen.« Dann entschloss ich mich, sie etwas zu provozieren. »Sie sind auch nicht anders als meine anderen Kunden«, sagte ich.

Zu dem entschiedenen und hinterhältigen Leuchten in ihren Augen kam Neugier dazu. »Wie denn?«

»Fast alle lügen, wenn sie zum ersten Mal zu mir kommen«, erklärte ich.

»Ich habe Ihnen doch noch gar nichts erzählt«, sagte sie.

Da war ich anderer Meinung. »Sie sind nicht mit dem Taxi gekommen.« Ich hielt meine Zigarette in der Hand, doch ich zog nicht daran. Vielleicht war es keine Glanznummer, dies herausgefunden zu haben, aber immerhin etwas.

Sie schaute mir direkt in die Augen, als ob sie verstehen wollte, wovon ich sprach. Ich reagierte nicht. Dann nahm Muazzez Güler einen beachtlichen Schluck von dem Kaffee, den sie so katastrophal fand. Dieses Mal verzog sie das Gesicht nicht.

»Okay«, sagte sie. Noch einen Schluck, als wollte sie Zeit gewinnen.

»Wollen Sie nicht fragen, warum ich das gesagt habe?«

»Nein«, sagte ich. »Warum?«

Muazzez Güler lehnte sich im Sessel zurück und legte die Hände unterhalb der Brust zusammen. Sie sah aus wie eine Mathematiklehrerin, die anfängt zu erklären, warum man in der Mathematikprüfung durchgefallen ist. Ich wartete darauf, dass sie redete.

»Ich möchte, dass Sie mein Geld retten«, sagte sie, während sie auf den lautlos durchlaufenden Schriftzug des Nachrichtensenders im Fernsehen schaute.

»Wo ist Ihr Geld?«, fragte ich.

»Bei einem niederträchtigen Typen.«

»Die Welt ist voll von niederträchtigen Typen«, sagte ich. Dann hielt ich mich wieder zurück und überließ ihr das Reden.

»Die Sache ist folgendermaßen …«, begann Muazzez Güler. »Ich bin in der Computerbranche tätig. Computer, die aus verschiedenen Komponenten zusammengestellt werden. In Beşiktaş habe ich eine mittelgroße Firma. Wir bauen in meiner Werkstatt die Computer aus Einzelteilen zusammen. Wir verkaufen selbst, aber ich liefere auch an rund fünfzehn Computerläden. Kleine Läden in verschiedenen Stadtteilen. Einer von den Händlern ist drüben in Kadiköy. Er will seine Schulden nicht begleichen.«

»Sie brauchen keinen Detektiv, sondern einen Rechtsanwalt«, sagte ich. Anscheinend glaubte ich, was ich gerade sagte.

»In der heutigen Zeit hat es keinen Sinn, sich mit Anwälten und Richtern herumzuschlagen«, antwortete Muazzez Güler. »In den Vollstreckungsbehörden stapeln sich die Akten bis zur Decke. Bis man da ein Ergebnis erreicht, vergehen Wochen und Monate.«

Ich hatte gar kein Bedürfnis, mich über das türkische Rechtssystem zu beklagen. »Haben Sie schon mal mit dem Verantwortlichen in dem Laden gesprochen?«, fragte ich.

»Mein Mann hat gestern mit ihm telefoniert. Es schien ihn nicht zu interessieren.«

»Ich verstehe.«

Ich schaute ihr ins Gesicht, als ob ich etwas überlegte. »Vermutlich passiert Ihnen das nicht zum ersten Mal«, sagte ich.

»Nein, nicht zum ersten Mal«, antwortete sie. »Einige andere Forderungen von mir sind auch nicht erfüllt worden. Diese Krise … Ich glaube, dass dieses ganze Gerede über Krise viel schädlicher für Geschäftsleute ist als die Krise selbst. Als ob diese verdammte Krise etwas wäre, hinter dem man sich verstecken kann.«

»Aber in den anderen Fällen haben Sie nicht daran gedacht, einen Privatdetektiv zu engagieren.«

»Nein«, entgegnete Muazzez Güler. Sie schaute mir dabei ins Gesicht, als hätte sie sich über meine Frage geärgert.

»Ich verstehe«, sagte ich.

»Würden Sie für mich mit diesem niederträchtigen Mann sprechen?«, fragte sie und unterstrich damit, dass sie zum Thema zurückkommen wollte. Ihre Stimme klang nicht herausfordernd, sondern so, als wollte sie lediglich wissen, ob ich dieser Aufgabe gewachsen war. Das Wort »niederträchtig« kam ihr so selbstverständlich über die Lippen, als ob sie es dreimal täglich benutzen würde.

»Nehmen wir mal an, ich spreche mit ihm«, sagte ich. »Welches Ergebnis erwarten Sie?«

Muazzez Güler schaute mich fragend an. Was gibt es da nicht zu verstehen, sagten ihre Augen. Der Gesichtsausdruck einer Mathematiklehrerin wich jetzt dem Ausdruck eines Kindes, dem man seinen Gameboy weggenommen hatte. Sie zupfte an ihren Haaren. »Ich dachte, Sie sprechen mit unserem Mann auf eine so überzeugende Art und Weise, dass er seine Schulden begleicht«, erklärte sie. »Sie wissen schon, wie so etwas geht.« Dann lächelte sie wie ein Kind, das gerade unbemerkt einen Lolli in den Einkaufswagen seiner Mutter gelegt hat. »Der Typ ist ziemlich dickköpfig, verstehen Sie …«

Ich gab ihr keine Antwort. Ich bückte mich, um unter den Sessel zu greifen, auf dem sie saß. Weil sie nicht wusste, was ich vorhatte, zog sie erschrocken die Beine hoch. Ich schenkte dem keine Beachtung und zog die Hürriyet, die ich vorher unter den Sessel getreten hatte, aus ihrem Versteck. Ich fand die Seite mit den Inseraten und übersprang die Autoverkäufer, die Hausverkäufer und die Angebote für Personensuche gegen ansehnliches Honorar plus Prämie.

Muazzez Güler schaute mich verdutzt an. Ob sie glaubte, dass ich die Adresse des Schuldigen, dessen Namen sie noch nicht erwähnt hatte, finden würde?

Unter der Rubrik »Stellengesuche« fand ich, was ich suchte. »… bei Ihren Recherchen und Nachforschungen …«, las ich ihr vor, ohne mich zu bemühen, mit meinem Tonfall dem Gelesenen eine besondere Bedeutung zu geben. Ich legte eine kleine Pause ein und sprang zur zweiten Anzeige: »… bei der Suche nach Adressen, bei Ihren Nachforschungen, bei Ihren nicht lösbaren privaten Problemen …« Ich faltete die Hürriyet zusammen und streckte sie Muazzez Güler entgegen.

»Die Telefonnummern habe ich ausgelassen«, sagte ich. »Ich empfehle insbesondere den Letzten.«

»Was soll das heißen?«, fragte Muazzez Güler.

»Das heißt Folgendes«, begann ich. Ich musste mich beherrschen, damit ich nicht noch eine Zigarette anzündete. »Es gibt eine Menge Kollegen von mir. Die würden die Sache, die Sie von mir verlangen, noch motivierter ausführen als ich. Es ist besser, wenn Sie einen von denen aufsuchen. Die können mit dickköpfigen Typen besser reden. Insbesondere mit dickköpfigen …«

»Sie haben mich wahrscheinlich missverstanden.«

»Denke ich nicht«, sagte ich. »Sehen Sie, Muazzez Hanim, auf der linken oberen Ecke meines Ausweises gibt es ein großes Zeichen. Einen Mond und einen Stern in einem roten Kreis. Aber das ist auch fast alles, was meine offizielle Beziehung zur Türkischen Republik ausmacht. Ich möchte diese Beziehung nicht so weit ausdehnen, dass ich mich als Richter und gleichzeitig als Staatsanwalt zur Vollstreckung befugt sehe. Lassen Sie einen anderen Kollegen dieses ›überzeugende Gespräch‹ führen.«

Muazzez Güler legte die Hürriyet auf den Tisch. Sie kontrollierte mit der Hand ihren Rock und schlug die Beine übereinander. Ich fand, die Stiefel sahen nun noch hässlicher aus als vorher. »So ist das also«, sagte sie.

»So ist das«, wiederholte ich. »Es war nett, mit Ihnen Kaffee zu trinken.« Ich stand auf. Vielleicht würde ich auf Eurosport einen spannenden Curling-Wettkampf finden, falls ich diese Frau mit Anstand aus der Wohnung bekam.

Die Frau fühlte sich aber anscheinend nicht angesprochen und rührte sich nicht von der Stelle. Ihr Blick war jetzt auf den Fernseher gerichtet. Ein Reporter stand vor dem Amtssitz des Ministerpräsidenten und berichtete aufgeregt.

Was passiert jetzt, fragte ich mich.

Die Szenerie im Fernsehen änderte sich. Eine Weile schauten wir zu, wie Bereitschaftspolizisten lautlos mit Schlagstöcken in die Menge stießen und auf die Menschen einschlugen.

Dann drehte sie sich plötzlich zu mir. Mit der Hand strich sie über den ziemlich abgenutzten Stoff meines skandinavischen Sessels. »Ich hatte also recht, als ich daran zweifelte, dass der Privatdetektiv in meinem Kopf Ihnen ähnelt.«

»Vermutlich.« Ich setzte mich absichtlich nicht hin, damit sich das Gespräch nicht noch mehr in die Länge zog.

»Aber man hat mir gesagt, Sie seien der Kompetenteste von allen.«

»Die haben sicher gelogen.« Ich war nicht neugierig darauf, zu erfahren, wer das gesagt hatte. Jeder konnte so etwas sagen.

»Man hat mir auch gesagt, dass Sie nicht sehr umgänglich sind. Das ist zutreffend.« Muazzez Güler lachte plötzlich auf. Mir gefiel dieses Lachen ganz und gar nicht. Es sah so aus, als hätte sie eine Entscheidung getroffen. Sie strich erneut über den Stoff des Sessels. »Ich habe auch recherchiert«, sagte sie und schwieg, als hätte sie noch etwas Wichtiges mitzuteilen.

Ich ließ sie reden. Vielleicht hatte sie wirklich noch etwas Interessantes zu sagen.

Als sie sprach, sah sie plötzlich so aus, als wäre sie die stellvertretende Schulleiterin, die mir klarzumachen versucht, warum ich meine Tochter oder meinen Sohn von der Schule nehmen muss. »Mein Mann Kadir Güler ist Bezirksvorsitzender von Beşiktaş, wenn Sie verstehen.« Als sie den Namen der Partei ihres Mannes aussprach, schaute sie mich fragend an. Ich achtete darauf, keine Regung zu zeigen. Macht ist nur von vorübergehender Dauer.

»Falls ich ihn ins richtige Licht rücken muss: Er ist drei Amtsperioden hintereinander gewählt worden«, sagte Muazzez Güler weiter. »Er ist kein großer Politiker auf einem hohen Posten. Aber wenn man die richtigen Leute kennt, kann man manche Informationen etwas leichter bekommen.«

Sie war neugierig auf die Wirkung ihrer Worte. Ich bemühte mich, keine Reaktion erkennen zu lassen. Mir ging eine Frage durch den Kopf, aber ich stellte sie nicht.

Sie sah mir direkt in die Augen. »Man hat Kadir berichtet, dass in Ihrer Akte im Regierungspräsidium einige Unterlagen fehlen. Niemand kümmert sich zurzeit darum.«

Na so was, dachte ich mir. Ich hatte sowieso nie behauptet, dass ich alle Auflagen des Gesetzes Nr. 3963 vom 20. Januar 1994 zur Regelung der Tätigkeit von Privatdetekteien erfüllte. Und niemand hatte sich bislang dafür interessiert. Ich wartete neugierig ab, ob sie auch die Steuerproblematik ansprechen würde.

Sie sprach sie nicht an. Es war klar, dass ich jetzt an der Reihe war. Ich schaute ihr in die Augen, bevor ich begann. Sie sahen entschlossen und hinterhältig aus. »Vermutlich heißt das Schlüsselwort hier ›zurzeit‹«, sagte ich. Sie antwortete nicht.

Ich beabsichtigte, etwas Zeit zu gewinnen, beugte mich zum Beistelltisch zwischen den beiden Sesseln und griff nach meiner Zigarettenpackung. Muazzez Güler bot ich keine an. Mit einer Sorgfalt, als handle es sich um die wichtigste Aufgabe der Welt, zündete ich mir eine Zigarette an und ließ dann den Rauch durch die Nase ausströmen. Muazzez Güler betrachtete mich, während sie sich innerlich wahrscheinlich zu ihrem kleinen Sieg gratulierte.

Jetzt konnte ich endlich eine Frage stellen. Dadurch würden wir sogar vom Thema abkommen. Ich verlieh meiner Stimme einen sarkastischen Ton. »Konnte neben meiner Akte im Regierungspräsidium nicht auch die Akte von diesem besagten Typen durchwühlt werden?«

»Remzi Bey«, sagte Muazzez Güler mit einer Stimme, als wollte sie herausfinden, ab welchem Punkt ich mich beeindrucken lasse. »In der Politik hat man die Möglichkeit, Macht auszuüben. Doch wer seine Macht zu oft falsch einsetzt, geht schnell unter. Alles hat seine Grenzen.«

»Mit Sicherheit«, sagte ich. Ich musste eine Entscheidung treffen.

Und ich traf eine Entscheidung. Manchmal konnte ich mich eben schnell entscheiden. Ich atmete tief ein, ohne es mir anmerken zu lassen. Innerlich fluchte ich über alle Bestimmungen, die in dem Gesetz Nr. 3963 aufgeführt waren.

2

»Einige Dinge sollten wir gleich zu Anfang klären.« Im Sessel zurückgelehnt sprach ich ein wenig von oben herab.

Still auf ihrem Platz hörte Muazzez Güler mir zu. Sie machte nicht den Eindruck, als hätte sie einen Sieg errungen. »Besprechen wir sie also«, antwortete sie.

Ich verharrte in meiner Haltung. »Ich kann Ihren Typen finden und mit ihm reden«, erklärte ich. »Ebenso kann ich dafür sorgen, dass ich Worte finde, die zu einem Ergebnis führen. Das ist alles. Erwarten Sie nicht von mir, dass ich grob werde oder Gewalt anwende. So tief bin ich noch nicht gesunken.«

Sie nickte nur. Ich war neugierig, warum sie so schnell zustimmte, fragte aber nicht nach. Weil jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen war, sprach ich das nächste Thema an. »Ich hoffe, Sie sind sich darüber im Klaren, dass Sie abgesehen davon, dass meine Akte im Schrank des Regierungspräsidiums friedlich weiterdöst, auch etwas bezahlen müssen.«

»Wie viel?«

Das musste ich mir noch überlegen. Ich schaute zur Ecke und überlegte, wie viel ein Computer mit kompletter Ausstattung kosten würde. Den Betrag multiplizierte ich mit fünf. Weil sie nicht fair gespielt hatte, fügte ich noch die Hälfte der Summe hinzu. Während ich Rauch auspustete, nannte ich ihr die Zahl. »Ich gebe auch keine Quittung oder Ähnliches«, sagte ich. Anscheinend beeindruckte der Betrag Muazzez Güler nicht. Auch die Sache mit der Quittung nicht. Sie war im Begriff, nach ihrer Handtasche zu greifen, die neben dem Sessel lag.

»Schecks will ich nicht.«

Sie stand auf. »Warum?«, fragte sie.

»Ich kenne keinen anderen Detektiv, dem ich vertrauen kann«, antwortete ich.

Muazzez Güler lächelte zum ersten Mal freundlich, seit sie meine Wohnung betreten hatte. »Das kann ich verstehen«, sagte sie.

»Sie können das Geld sofort auf mein Bankkonto einzahlen, wenn Sie hier rausgehen. Ich werde Ihnen die Kontonummer geben«, sagte ich. »Wenn ich feststelle, dass sich mein Kontostand heute bis Feierabend nicht geändert hat, kaufen Sie sich am besten die Hürriyet.«

»Das geht in Ordnung«, sagte Muazzez Güler. Sie lächelte immer noch.

»Möchten Sie noch einen Kaffee?«, fragte ich.

Sie atmete tief ein. »Na dann, trinken wir noch einen«, sagte sie.

Sie stand auf. Wahrscheinlich wollte sie aus dem Fenster schauen, während ich in der Küche einen weiteren schlechten Kaffee zubereitete. Ich ließ sie an mir vorbei und griff nach den Kaffeebechern. Noch bevor ich an der Küchentür war, klingelte ein Handy.

Das war das erste Mal, dass man in meiner Wohnung ein Handy klingeln hörte, seitdem ich mit dem Makler hierhergekommen war. Abgesehen vom Klingeln aus dem Fernsehen. Die Melodie war nervig. Muazzez Güler beugte sich zu ihrer Handtasche hinunter, nahm das Handy heraus und sah aufs Display. Mit einer Mischung aus Ungeduld und Verärgerung in der Stimme sagte sie »Hallo«, während sie das Gerät ans Ohr presste.

Ich ging in die Küche, stellte die Becher ab und schaltete den Wasserkocher ein. In den Schränken hielt ich Ausschau nach zwei sauberen Bechern. Zum Glück wurde ich fündig. Saubere Löffel zu finden, war sogar noch leichter. Dieses Mal passte ich auf, dass ich in den Becher von Muazzez Güler weniger Kaffee gab. Darauf noch ein Beutelchen Sahnepulver. Dann erinnerte ich mich an den Zucker. Ich schaute nach und konnte tatsächlich keinen finden. Ich zuckte die Schultern, nahm die Tassen in die Hand und trat die Küchentür mit dem Fuß auf.

Muazzez Güler telefonierte, während sie mit dem Rücken zur Tür stand und leicht vorgebeugt aus dem Fenster schaute. »Aber ich habe ihm das schon fünfzigmal erklärt«, hörte ich sie sagen. Mit den Bechern in den Händen ging ich auf sie zu. Ich setzte mich aber nicht in den Sessel, sondern blieb stehen. Muazzez Güler hörte ihrem Gesprächspartner eine Weile zu. Dann drehte sie sich halb um, sah mich an und zog ihre Augenbrauen hoch. »Okay, ich komme sofort«, sagte sie ihrem Gegenüber am Telefon. »Ruf du den Dummkopf an.« Sie hörte noch eine Weile zu. »Nein«, sagte sie ungeduldig. »Das dauert keine halbe Stunde. Die Straßen sind jetzt bestimmt frei. Ruf sofort an. Ich fahre jetzt los. Es ist gut, reg dich nicht auf, wir verpassen schon nichts.« Sie schaltete das Handy aus und steckte es in ihre Handtasche. Als sie sich aufrichtete, hatte sie ein Glänzen in den Augen, das gut zu einer Lehrerin passte, die ihren Schüler beim Abschreiben erwischt hat.

Sie machte einen Schritt in meine Richtung. Mit der Tasche in der Hand zeigte sie auf die Becher. »Ich fürchte, Sie haben den Kaffee umsonst gemacht, Remzi Bey«, sagte sie. »Ich muss dringend weg.«

»Kein Problem«, sagte ich. »Ich kann ihn trinken.«

Mit entschlossenen Schritten durchquerte Muazzez Güler das Wohnzimmer und ging auf die Tür zu. Weil ich sie mit Händedruck verabschieden wollte, machte ich einen Satz zum Beistelltisch, um die Kaffeebecher darauf abzustellen. Plötzlich drehte sie sich um und schaute auf ihre Uhr. »Wir machen das folgendermaßen, wenn Sie einverstanden sind«, sagte sie. »Sobald ich angekommen bin, lasse ich sofort Ihr Geld von der Bank abheben. Wenn Sie möchten, kommen Sie heute Abend vorbei, dann kann ich Ihnen das Geld gleich geben. Und Sie trinken mal meinen Kaffee.«

Mir war das egal. Kaffee ist Kaffee, Bargeld ist Bargeld. Ich zuckte mit den Schultern.

»Sagen wir um sieben? Um diese Zeit ist nicht mehr viel los.«

Ich schaute auf meine Uhr und nickte.

»Haben Sie mal Zettel und Stift?«

Zehn Minuten später saß ich allein im Wohnzimmer und verfolgte eine Nachrichtensendung, in der ein Sprecher, der einem unerfahrenen Stummfilmschauspieler ähnelte, die Geschehnisse des Vormittags in der Welt und in der Türkei vortrug. Auf dem Zettel, den ich in meiner Hand hielt, stand die Adresse der Firma von Muazzez Güler und ihre Handynummer. Sie hatte mit einer so ordentlichen Schrift geschrieben, wie ich sie von ihr nicht erwartet hätte. Rund, ausgeglichen, fehlerfrei. Mit kräftigen, aber gleichzeitig weichen Buchstaben, sodass man bei ihrer Schulbildung einen amerikanischen Einfluss ahnte. Sie hatte zwei dicke Striche gezogen und darunter Informationen über den Typen notiert, der ihr das Geld schuldete: Name, Handynummer, Adresse, Telefon- und Faxnummer seines Geschäfts.

Ich räumte die Kaffeetassen noch nicht ab und leerte auch nicht den Aschenbecher. Stattdessen machte ich es mir auf dem Sessel bequem und streckte meine Füße aus. Ich rührte mich nicht. Hätte ich eine Katze gehabt, wäre sie jetzt bestimmt auf meinen Schoß gesprungen. Aber ich hatte keine Katze. Ich musste das Zimmer lüften, rührte mich jedoch nicht vom Platz.

An meine Akte im Regierungspräsidium dachte ich nicht. Da kam eine Muazzez Güler daher und lenkte meine zukünftigen Tage in völlig andere Bahnen. Ich dachte darüber nach, was wohl alles passieren würde. Ich musste etwas unternehmen. Um jemanden von einer Sache zu überzeugen, musste ich mich hinsetzen und reden. Um sich hinzusetzen und zu reden, musste ich diesen Jemand, den ich noch gar kannte, erst kennenlernen. Das würde nicht so einfach werden. Um diesen Jemand ausfindig zu machen, den ich suchte, würde ich mich wohl auch mit anderen Leuten auseinandersetzen, mich mit einigen sogar prügeln müssen. Es könnte mal wieder sein, dass ich das Leben von einigen Menschen veränderte, auch wenn ich das eigentlich nicht wollte.

Wer weiß, vielleicht würde ich auch nicht umhinkönnen, Muazzez Güler näher kennenzulernen. Das war immer so. Ein Auftrag nahm größere Dimensionen an, als ich anfangs dachte, er wurde immer komplizierter. Dinge, die mir nicht gefielen, tauchten auf, und ich musste kluge Fragen stellen, um Dinge verstehen zu können, von denen ich keine Ahnung hatte.

Außerdem durfte ich mich mit klugen Fragen nicht zufriedengeben und musste versuchen, einzuschätzen, wie viele von den Antworten, die ich bekam, richtig waren. Alle meine Kunden hatten schlechte Angewohnheiten, was dieses Thema betraf. So gesehen, hatte ich auch schlechte Angewohnheiten. Schlechte Angewohnheiten können sich auch kreuzen und schlimme Ergebnisse hervorbringen.

Mein Schicksal war absehbar. Ich musste mich mehr oder minder gut anziehen und mich erneut auf den Weg machen. Übler Verkehr und mit Schlaglöchern übersäte Straßen, unzählige Kreuzungen, an denen mit feurigem Eifer diskutiert wurde, wer denn nun zuerst fahren durfte: All das lag vor mir.

Die Menschen, die es gewohnt sind, auf dem Landweg von A nach B zu gelangen, glauben meist, dass der Luftweg gradlinig verläuft. So ist es aber nicht. Es gibt eine ganze Menge von virtuellen waypoints, die wir zwischen Start und Landung passieren müssen, und zwar in der richtigen Reihenfolge. Vom waypoint Nummer vier zu waypoint Nummer fünf. Wenn man die Reihenfolge nicht einhält, dann wird man aus irgendeiner Ecke des Himmels von irgendwelchen Personen, die man nie gesehen hat und auch nie sehen wird, mit metallischer Stimme und meist in schlechtem Englisch zurechtgewiesen und auf die richtige Bahn gelenkt.

Ich fühlte mich nicht bereit für eine neue Reise, sei es in der Luft oder auf dem Landweg.

Andererseits hatte ich eine Vereinbarung mit Muazzez Güler. Erst würde sie mich bezahlen und dann würde sie mich fragen, ob ich den Mann, der die PCs erhalten und nicht bezahlt hatte, überzeugen konnte. Ich zweifelte, ob das so einfach war. Sicher würden eine Menge weiterer Zweifel aufkommen. Die Zweifel würden Fragen, diese Fragen andere Fragen, die Antworten wiederum neue Fragen aufwerfen. Manche Antworten auf bestimmte Fragen würde ich mir zusammenbasteln müssen. Das machte ich immer so. Manchmal nützte es etwas.

Ich knüllte den Zettel mit der Notiz in meiner Hand zusammen und formte einen Ball daraus. Ich wollte nicht von meinem Sessel aufstehen, also rührte ich mich nicht. Nur die Finger bewegte ich. Ich ging alle Sender in Stummschaltung durch. Bis ich bis fünf gezählt hatte, erlaubte ich den Mädchen, die in Strandbekleidung irgendwelche Lieder sangen, auf dem Bildschirm zu bleiben. Achtmal zappte ich von vorne bis hinten durch alle Sender. Ich bewegte mich nicht einmal, um nach den Zigaretten zu greifen.

Schließlich langweilte mich das Herumsitzen. Ich bekam immer die gleichen Mädchen zu sehen. Ich bewegte die Zehen meiner nackten Füße. Erst die eine Zehe am einen Fuß, dann die am anderen. Als ob es die Zehen von jemand anders wären, weit weg von mir. Ich schaute auf die Uhr. Dann öffnete ich mit Mühe das Fenster. Die kalte Luft sorgte dafür, dass ich ein wenig zu mir kam.

Während das Zimmer gelüftet wurde, brachte ich die Kaffeebecher in die Küche, spülte sie kurz mit heißem Wasser aus, drehte sie um und stellte sie zum Abtrocknen hin. Die kalte Luft von draußen mischte sich langsam mit der verbrauchten Luft im Zimmer. Nachdem ich den Inhalt des Aschenbechers in den Mülleimer geleert hatte, spülte ich ihn ebenfalls aus. Ich verknotete die randvolle Einkaufstüte aus dem Mülleimer, schob sie im unteren Schrank nach hinten und ersetzte sie durch eine neue.

Als ich die Hände an meiner Hose abtrocknen wollte, fühlte ich den Zettel, den ich zu einem Ball geknüllt und in die Hosentasche gesteckt hatte. Ich zog ihn raus und schmiss ihn in den Müll. Bis jetzt hatte ich noch keine Nummer, die ich einmal im Kopf abgespeichert hatte, wieder vergessen. Danach öffnete ich den Kühlschrank und schaute hinein. Der Inhalt war nicht gerade appetitanregend. Ich nahm einen trockenen, sauberen Aschenbecher, ging ins Zimmer und schloss das Fenster. Dann überprüfte ich die Heizung. Erneut schaute ich auf die Uhr. Statt mich zu setzen, ging ich zum Telefon.

Ein Versuch konnte nicht schaden. Bevor man mit dem Flugzeug abhebt, muss man den Reifendruck kontrollieren. Ich wählte eine Nummer und ließ am anderen Ende das Telefon eines kleinen PC-Geschäftes namens SinanComp klingeln, das sicher schon unzählige Male geklingelt hatte, wenn irgendwelche Menschen anriefen, um sich nach Preisen zu erkundigen, nach der Adresse zu fragen, um einen Rat zu bekommen, sich zu beschweren und um Zahlung zu bitten.

Es wurde sofort abgenommen. »Hier SinanComp, bitte schön«, sagte eine junge Frauenstimme, bei der ich mich nicht entscheiden konnte, ob sie gelangweilt klang. Sie hörte sich jedenfalls nicht an, als wäre sie stolz auf ihren Job.

»Sinan Bozacioğlu, bitte«, sagte ich.

»Er ist kurz rausgegangen«, antwortete die junge Frau. »Kann ich Ihnen helfen?«

»Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte ich.

Für einen Moment zögerte sie. Dann fasste sie sich. »Wenn Sie eine Nachricht hinterlassen wollen, kann ich sie digital aufzeichnen«, sagte sie.

Ich dachte einen kurzen Augenblick nach. Na gut, sagte ich mir, irgendwo muss man ja anfangen. »Haben Sie Stift und Papier?«, fragte ich. »Ich möchte, dass Sie meine Nachricht Wort für Wort aufschreiben. Ich bin eher der altmodische Typ.«

»Einen Moment«, antwortete das Mädchen. In ihrer Stimme war die Aufregung eines Menschen zu hören, der begriffen hatte, dass er sich in einer ernst zu nehmenden Lage befand. »Ja?«

Ich gab mir Mühe, die Wörter langsam und deutlich auszusprechen. »Muazzez … Hanim … hat … mich … aufgesucht …«, sagte ich. »Sie … bat … mich … Sinan … Bozacioğlu … zu … überzeugen … seine … Schulden … zu … bezahlen.«

Das Mädchen redete aufgeregt dazwischen. »Mein Herr, diese Zahlung …«

»Bitte unterbrechen Sie mich nicht«, sagte ich mit möglichst schroffer Stimme. »Schreiben Sie weiter!«

Am anderen Ende der Leitung war nichts mehr zu hören. Ich sprach die Wörter wieder überdeutlich aus: »Ich weiß … wie man … Menschen … behandeln muss … um … sie zu überzeugen … Ich hoffe … dass es nicht … notwendig sein wird … dass ich diese … Methoden … einsetzen muss. – Haben Sie das notiert?«

»Hab ich«, erwiderte das Mädchen am anderen Ende der Leitung. »Darf ich etwas sagen?«

»Dürfen Sie nicht«, sagte ich. »Guten Tag.«

Weil ich die Ausschalttaste des Telefons mit meiner freien Hand gedrückt hielt, hörte ich nicht, ob sie mir auch guten Tag gewünscht hatte. Sonst hätte sie nämlich gehört, dass ich lachte.

Dann wollen wir mal. Hoffentlich wird es nicht nötig sein, dass du noch tiefer sinkst, Remzi Ünal. Ich lief im Zimmer hin und her und verfluchte mächtig die Wirtschaftskrise, deren Verursacher, deren Nichtverursacher, Muazzez Güler, ihren Politikergatten, meine Akte im Regierungspräsidium und auch Sinan Bozacioğlu. Nur das Mädchen am Telefon verfluchte ich nicht.

Dann beruhigte ich mich. Ich schaute noch einmal auf die Uhr. Ich hatte noch Zeit für ein kleines Schläfchen, bevor ich aufbrechen musste, um mit Muazzez Güler in ihrer Computerfirma namens Hi-Mem in Beşiktaş einen Kaffee zu trinken. Langsam ging ich ins Schlafzimmer und hoffte dabei, dass ich nichts Unangenehmes träumen würde. Damit ich nicht wach wurde, falls das Telefon klingelte, schloss ich die Tür. Die Vorhänge waren schon zugezogen. Ich zog mich schnell aus und legte mich aufs Bett. Bevor ich einschlief, dachte ich noch, dass es an der Zeit war, die Bettwäsche zu wechseln. Ich stellte meine innere Uhr auf eine akzeptable Zeit und schlief sofort ein. Doch meine innere Uhr brauchte mich nicht zu wecken.

Mochte alles auf der Welt so bleiben, wie es war oder auch nicht, die Gewohnheiten des Jungen in der Wohnung über mir waren unverrückbar. Durch die Schläge eines neuen, aber primitiven Rhythmus wurde ich in der Endphase eines Traums geweckt, der auch für Minderjährige unbedenklich gewesen wäre. Ich hatte sofort vergessen, was ich geträumt hatte. Ich schaute auf die Uhr, sobald ich die Augen geöffnet hatte. Ich hatte noch eine Menge Zeit, also schickte ich ein paar Flüche und Verwünschungen nach oben und stand dann auf. Vom Schlafzimmer aus ging ich direkt ins Bad. Ich war froh, dass Muazzez Güler kein Bedürfnis gehabt hatte, die Toilette zu benutzen. Und vergab mir schnell, dass ich bei der kleinen Aufräumaktion das Bad vergessen hatte. Dann beschloss ich, die Putzfrau anzurufen und ihr mitzuteilen, dass ich ihr das verlangte Geld zahlen würde.

Ich wusch mich langsam und lange, rasierte mich für meine Verhältnisse sehr gründlich, ging aus dem Bad, trat an das Fenster im Wohnzimmer, schaute nach draußen und rubbelte mir dabei die Haare. Es wurde dunkel. Weil ich keinen Hut trug, wie meine Kollegen aus den Filmen, trocknete ich meine Haare wegen der Erkältungsgefahr länger als sonst. Vielleicht solltest du dir einen Föhn kaufen, sagte ich mir.

Dann ging ich ins Schlafzimmer und zog mich mit der Sorgfalt eines Menschen an, der schon längere Zeit nicht mehr ausgegangen ist. Nach einer Weile stand ich mit meiner fein gestreiften Cordhose, einem schwarzen Rollkragenpullover, um meinen Hals zu schützen, mit meinen Stiefeln, die offenkundig geputzt werden mussten, und mit meinem Wende-Wintermantel vor dem Spiegel. Den Mantel hatte ich so angezogen, dass die sportlich-legere Seite nach innen und die seriös wirkende Seite nach außen gekehrt war. Er hatte innen und außen je zwei große Taschen, in denen man alles Mögliche verstauen konnte. Manchmal waren sie nützlich. Ich sah mich im Spiegel an. Nichts Besonderes, ich sah aus wie jedermann. Remzi Ünal.

Remzi Ünal … Der bei der Luftwaffe um Entlassung nachgesucht hat, der bei der Turkish Airlines rausgeflogen ist, der sich nicht einmal bei einer achtklassigen Chartergesellschaft halten konnte, von der kein anständiger Frequent Flyer je den Namen gehört hatte. Remzi Ünal, der ehemalige Flugkapitän, der nicht einmal mehr die Cessna im Flugsimulator anständig zu Boden bringen kann, Remzi Ünal, der Privatdetektiv, der aus dem Nichts aufgetaucht ist.

Ich ging zur Arbeit. Ich ging wieder zur Arbeit. Ich dachte darüber nach, ob mir ein Hut stehen würde.

3

Den Autoschlüssel hatte ich nicht eingesteckt. Langsam ging ich die Treppe hinunter; die Schöße meines Wintermantels schlugen mir dabei leicht gegen die Beine. Ich begegnete niemandem im Treppenhaus. Dieses Mal schaute ich lächelnd auf den noch ausstehenden Monatsbeitrag, der auf der Tafel bei der Ausgangstür neben meinem Namen eingetragen war, und merkte mir den Betrag. Bevor ich aus der Tür ging, zog ich den Reißverschluss bis zum Hals hoch und stellte den Kragen hoch.

Auf der Straße wies ich zwei Taxifahrer, die mir mit der Lichthupe ein Zeichen gaben, ab, indem ich ablehnend meinen Kopf schüttelte. Den Dritten hielt ich an. »Nach Beşiktaş«, sagte ich, während ich mich nach hinten setzte.

Der Taxifahrer war ein junger Mann mit gegelten Haaren. Als Zeichen, dass er verstanden hatte, nickte er und fuhr los, ohne etwas zu sagen. Dass er schwieg, kam mir gelegen. Ich steckte meine Hände in die Taschen und ließ mich tief in den Sitz sinken. Die meisten Menschen auf der Straße waren auf dem Weg nach Hause. Der Blumenverkäufer aus dem Viertel hielt Ausschau nach Kunden und hauchte dabei in seine Hände. In den Geschäften waren kaum Kunden zu sehen. Als wir an einer Konditorei vorbeifuhren, beschloss ich, mir auf dem Rückweg etwas Süßes zu kaufen. Aus einem überfüllten Linienbus stiegen mehr als die Hälfte der Passagiere aus. Als wir uns dem Stadtteil Levent näherten, staute sich der Verkehr. Ich ignorierte die Zigarettenpackung in der Tasche meines Mantels, die durch die ständige Berührung meine Hand provozierte. Ich drehte mich um und schaute in den Wagen neben mir. Aufgeregt erzählte der Mann am Steuer der Frau auf dem Beifahrersitz irgendetwas. Die Frau trug einen Hut aus den Fünfzigern. Sie schaute nach vorne, als ob sie nicht hören würde, was er sagte. Als die Frau nicht reagierte, schlug der Mann mit der Handfläche auf das Steuer. Unsere Wagen standen immer noch. Dann schaute er nach links. Es sah so aus, als würde er »Der Herr sei gepriesen« rufen. Unsere Blicke trafen sich. Ich drehte mich weg. Was gingen mich seine Probleme an? Im Taxi, das mit Flüssiggas betrieben wurde, war es warm. Langsam fuhr der Fahrer wieder an. Nach drei Metern hielten wir erneut. Weil ich nicht nach rechts sehen konnte, inspizierte ich die Läden auf der linken Seite der Straße.

Das Waffengeschäft, dessen Schaufenster ich mir auf dem Weg zur Bank immer anschaute, war hell erleuchtet. Pumpguns, Luftpistolen, Jägerwesten, Gewehrhüllen und Hüte lagen genauso da wie immer. Auch das Samuraischwert lag an seinem Platz, ganz oben im Gewehrständer, genauso unpassend wie vorher. In dem Laden war niemand.

Dann wurde die Straße plötzlich frei, und Istanbul floss wieder rascher vor meinen Augen dahin. Ich ließ die Stadt an mir vorbeiziehen, ohne auf Einzelheiten zu achten. Ich entspannte mich ein wenig und lehnte meinen Kopf ans Fenster. Ein Mädchen, das gerade bei dem Sesamkringelverkäufer neben dem Akdeniz-Denkmal Gebäck kaufte, sah mich an und lächelte.