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In seinen besseren Tagen war Remzi Ünal Pilot bei der Luftwaffe und bei Turkish Airlines. Seit er dort rausgeflogen ist, sorgt sein Job als Privatdetektiv fürs nötige Kleingeld. Das ist aber ein Beruf, den es in der Türkei noch gar nicht so richtig gibt. Nicht nur seine Klienten, auch er selbst hat allen Grund, der Polizei aus dem Wege zu gehen. Dass er bei seinem ersten großen Fall nicht nur einen ausgerissenen Studenten finden soll, wird ihm schmerzhaft klar, als er über eine Leiche stolpert, seltsame Päckchen hin- und hertransportieren soll und plötzlich seine Aikido-Kenntnisse dringend braucht. Er lernt die verborgenen Seiten von Istanbul kennen.
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Seitenzahl: 220
Veröffentlichungsjahr: 2015
Seit Remzi Ünal als Pilot bei Turkish Airlines rausgeflogen ist, sorgt sein Job als Privatdetektiv fürs nötige Kleingeld. Als er aber bei seinem ersten Fall nicht nur einen ausgerissenen Studenten finden soll, sondern auch noch über eine Leiche stolpert, lernt er die verborgenen Seiten von Istanbul kennen.
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Celil Oker (1952-2019) arbeitete als Journalist, Übersetzer und Leiter einer Werbeagentur. Als er in der Zeitung die Ausschreibung las für den ersten türkischen Wettbewerb für Kriminalliteratur, schrieb er Schnee am Bosporus und gewann den ersten Preis.
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Ute Birgi-Knellessen (*1938) verbrachte viele Jahre in Istanbul. Nach der Übersiedelung in die Schweiz 1980 studierte sie Islamwissenschaft und Vorderasiatische Archäologie in Bern und arbeitet seither als freie literarische Übersetzerin.
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Celil Oker
Schnee am Bosporus
Remzi Ünals erster Fall
Kriminalroman
Aus dem Türkischen von Ute Birgi-Knellessen
Ein Fall für Remzi Ünal (1)
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
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Die Originalausgabe erschien 1999 unter dem Titel Çiplak Ceset bei Oğlak Yayinlari, Istanbul.
Originaltitel: Ciplak Ceset
© by Celil Oker 1999
© by Unionsverlag, Zürich 2024
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Ulrike Haseloff
Umschlaggestaltung: Martina Heuer
ISBN 978-3-293-30249-5
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Cover
Über dieses Buch
Titelseite
Impressum
Unsere Angebote für Sie
Inhaltsverzeichnis
SCHNEE AM BOSPORUS
1 – Ich hatte gerade mit meiner Cessna Skylane RG …2 – Ich erwachte früh. Nachdem ich meinen Kaffee getrunken …3 – Auf dem Weg vom Flughafen nach Hause kostete …4 – Im Korridor des oberen Geschosses ging Kurtar Toprak …5 – Auf dem Zettel, den Sinem mir zusammengefaltet in …6 – Ich bin ja nur ein einheimischer Privatdetektiv …7 – Wenn der Mensch aus dem Schlaf erwacht …8 – Inzwischen war es ziemlich dunkel geworden. Mir tat …9 – Ich wurde geweckt von der Stimme Yusuf Saris …10 – Yusuf Sari machte nicht einmal den Versuch …11 – Kurtar Toprak vorneweg, ich hinterdrein, so verließen wir …12 – Zunächst einmal musste ich so schnell wie möglich …13 – Ich brachte meine Haare in Ordnung, schüttelte mir …14 – Die draußen herrschende Hitze hatte vor dem Belüftungssystem …15 – Ich bin im Grunde gar nicht erpicht darauf …16 – Als ich zum Parking des Einkaufszentrums zurückgekehrt war …17 – Ich stand auf: »Nun gut. Es geht mich …18 – An meinem eigenen Auto, das mit seinem offenen …Mehr über dieses Buch
Über Celil Oker
Celil Oker: »Dies ist ein Wink des Schicksals«
Celil Oker: »Der Detektivroman ist eine Tragödie mit Happy End«
Thomas Wörtche: Universal Ünal
Über Ute Birgi-Knellessen
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Ich hatte gerade mit meiner Cessna Skylane RG zur Landung auf dem Internationalen O’Hare-Flughafen von Chicago angesetzt, als drinnen das Telefon läutete.
Das Rauschen des durchs offene Fenster hereinwehenden Windes, das Brummen der Motoren sowie der Lärm, der just in diesem Moment durch das Ausfahren des Fahrwerks entstanden war, mochten verantwortlich sein dafür, dass ich das Klingeln des Telefons fast überhörte. Meine Augen wanderten zwischen dem Höhenmesser und dem Variometer hin und her, und ich versuchte – in einem Anfall von Masochismus –, eine perfekte Landung durchzuführen. Schnell nahm ich einen Schluck von meinem lauwarm gewordenen Nescafé. Weit und breit war kein anderes Flugzeug zu sehen.
Ich hatte etwa die Hälfte der Landepiste unter mir zurückgelegt, als plötzlich ein Seitenwind auftauchte und meinem kleinen Flieger einen heftigen Stoß versetzte. Ich drosselte die Motorleistung noch etwas. Das zweite Läuten des Telefons nahm ich zwar verärgert wahr, doch zog ich vor, es zu ignorieren. Ich hatte wieder einmal zu viel Tempo. Also reduzierte ich die Geschwindigkeit nochmals.
Beim dritten Klingeln des Telefons begann ich zu fluchen. Dieser Störenfried setzt alles daran, mich an einer ordentlichen Landung zu hindern. Er soll gefälligst warten. Ich nahm noch mehr Leistung zurück. Mein Flugzeug reagierte mit einem Hechtsprung, der mich in Panik versetzte. Also drehte ich wieder auf.
Meine Handinnenflächen waren leicht verschwitzt. Ich hatte Lust auf eine Zigarette, doch dafür blieb keine Zeit. Die Landebahn kam immer näher auf uns zu, und ich hob die Nase meines Fliegers wieder leicht an. Doch bereits das war zu viel, zumindest schien es mir so. Also richtete ich die Flugzeugnase wieder nach unten. Die Instrumententafel beachtete ich längst nicht mehr. Das war ein Fehler. Mein sicherer, auf unzähligen geglückten Landungen basierender Instinkt war wie ausgeschaltet durch diese Panik. Von neuem riss ich das Flugzeug hoch.
Die Rollbahn lag jetzt wieder genau unter mir. Meine Geschwindigkeit war viel zu hoch. Ich nahm das Gas ganz weg. Der verfrühte Ton der Überziehwarnung erklang zusammen mit dem vierten Läuten des Telefons. »Ruhig, verdammt noch mal«, rief ich zum Telefon hinüber.
Um die sich mit jeder Sekunde verkürzende Piste unter mir nicht zu verpassen, kippte ich die Nase meines Fliegers hastig nach unten. Das hätte ich nicht tun sollen. Die Räder stießen hart auf die Rollbahn auf. Zu hart. Zuerst zeigten sich Risse in den Flugzeugfenstern, dann war ein höllischer Lärm zu hören; schließlich stand ganz unten auf dem Bildschirm die Botschaft »You have crashed!«.
Während ich zusehen musste, wie meine arme Cessna in die Brüche ging, läutete das Telefon zum fünften Mal. Ich erhob mich von meinem Platz und lief ins Wohnzimmer.
Ich nahm den Hörer ab und bellte hinein: »Ja, was ist …«
Der Anrufer hatte wohl inzwischen die Hoffnung aufgegeben; jedenfalls hörte ich zunächst einmal gar nichts. Dann ertönte eine gutturale Frauenstimme mit einem Zungenschlag, der absolut nicht nach Istanbul gehörte: »Remzi Ünal? Spreche ich mit Remzi Ünal?«
»Ja, hier Remzi Ünal«, antwortete ich. Remzi Ünal … Expilot und Exflugkapitän, ausgetreten aus der Luftwaffe, geschasst von den Turkish Airlines, Remzi Ünal, den kein »frequent flyer« auch nur dem Namen nach kennt, den selbst die billigste Chartergesellschaft nicht haben will und der – dank Ihnen – nicht einmal imstande ist, seine Cessna auf dem Flight Simulator ordentlich zu landen, hier ist er, neu erstanden als Privatdetektiv Remzi Ünal.
»Äääm, ich verbinde Sie mit Yusuf Bey«, näselte die Stimme. Offensichtlich hatte die Frau in einem Film eine Sekretärin so sprechen hören.
»Und wer ist bitte Yusuf Bey?«
Die Stimme schien plötzlich ihr Selbstbewusstsein eingebüßt zu haben. »Spreche ich mit Remzi Bey?«, fragte sie von neuem.
»Ja«, sagte ich. »Hier Remzi Ünal …«, der …
»Äääm, ich verbinde Sie jetzt mit Yusuf Sari«, sagte die Sekretärin, die eindeutig aus der Provinz stammte, oft ins Kino ging und die falschen Filme wählte.
Ich wartete, während ich dem seltsamen Gedudel der firmeninternen Telefonverbindungen lauschte. Ich machte es mir auf dem Sessel neben dem Telefon bequem und streckte meine Beine auf dem davorliegenden Puff aus.
»Hallooooo«, rief eine männliche Stimme, die mit dem Istanbuler Idiom noch weniger zu tun hatte. Einen ähnlich breitgewalzten Dialekt hatte ich zuletzt vernommen, als der gewiefte Zwischenhändler, dem ich mein altes Auto verkaufen wollte, mich hereinzulegen versuchte. »Spreche ich mit Remzi Ünal?«
»Ja, bitte …«
»Sag mal, du, stimmt es, dass du Privatdetektiv bist?«
»Jawohl«, sagte ich. Zumindest war diese Bezeichnung legal, weil das Gesetz, gegen welches unser Staatspräsident Demirel sein Veto eingelegt hatte, neuerdings vom Parlament angenommen worden war … Auch wenn ich es in manchen Punkten großzügig interpretierte …
»Bist du wenigstens ein guter Schnüffler?«, fragte der Mann.
»Woher haben Sie meine Nummer?«, fragte ich zurück.
»Da war neulich ein Inserat in der Hürriyet. Das war schon ein bisschen speziell. Darauf sagte ich mir, da will ich mal anrufen.«
Applaus für meinen Freund, den Besitzer einer Werbeagentur. Ich hatte für ihn einige »freischaffende« Zeitschriftenhändler aufgespürt, die einen seiner Kunden geprellt hatten. Im Gegenzug schaltete er für mich eine Superanzeige, noch dazu zu Sonderkonditionen.
»Alles klar«, sagte ich. »Sie haben den richtigen Mann.«
»Dann finde mir gefälligst Ibo, Menschenskind.«
»Und wer ist Ibo?«, wollte ich wissen.
»Ibo ist mein Neffe. Der sollte in Istanbul sein. Aber seit Tagen habe ich nichts von ihm gehört.«
Jetzt war klar, warum der Mann aus der fernen Provinz anrief. Wer weiß, wie viele Neffen, Söhne, Brüder, Väter, Ehemänner und Onkel, von denen seit Tagen jede Nachricht fehlte, gerade in Istanbul untergetaucht waren!
»Von wo rufen Sie an?«
»Aus Tarsus, mein Guter.«
An Tarsus habe ich schöne Erinnerungen. Vier Jahre meines Lebens habe ich dort verbracht. Des Nachmittags roch es im Schulgarten nach Bitterorangen. Ich stellte auf den Dialekt meiner Schulzeit um: »Wir werden ihn schon finden. Am Telefon ist das allerdings nicht ganz leicht …«
»Komm doch schnell runter«, sagte der Mann, der sich über meine veränderte Sprechweise zu freuen schien.
»Nun mal langsam …«, sagte ich. Ich hatte es mir zur Gewohnheit gemacht, nicht einen Schritt zu unternehmen, bevor der Auftrag auf sicheren Füßen stand. Auch Tarsus musste da warten. »Lass uns mal von vorn beginnen. Wie heißt du?«
»Yusuf Sari. Ibo ist mein Neffe, Ibrahim Sari.«
»Ist er wirklich dein Neffe?«
»Ja, ja, wirklich. Sein Vater ist gestorben, und der Junge wurde mir anvertraut.«
»Und was macht dein Ibo in Istanbul?«
»Er studiert an der Bosporus-Universität. Soziologie. Was immer das sein soll.«
»Die Studenten der Bosporus-Universität lassen sich gern ablenken«, sagte ich. »Vielleicht ist er gerade mit einem Mädchen beschäftigt, und du regst dich umsonst auf.«
Der Mann am anderen Ende der Leitung schien eine Zeit lang unentschlossen, was er von meinen Worten halten sollte, doch dann entschied er sich: »Nix da, Ibo ist ein ordentlicher Junge. Er kommt jedes Wochenende her, und alle zwei Tage reden wir am Telefon. Ich mache mir jetzt Sorgen, weil er seit einer Woche nichts von sich hören lässt. Ich habe seine Freunde angerufen; die haben ihn auch nicht gesehen.«
Diesmal zögerte ich. Doch ich musste offen sprechen: »Es hat doch hoffentlich nichts mit Politik zu tun?«
Nicht nur wegen der Gesetze, sondern auch aus persönlichen Gründen wollte ich bei meinen Fällen mit Politik rein gar nichts zu tun haben. Die Menschen konnten meinetwegen denken, was sie wollten, und dieses Recht nahm ich auch für mich in Anspruch. Doch war ich nicht bereit, irgendeine Verantwortung für Komplikationen zu übernehmen, die sich an der delikaten Grenze zwischen Denken und Handeln ergeben mochten.
Die Antwort kam ohne Zögern. »Nein, mein Freund, Ibo hat damit nichts am Hut. Das hat er mir geschworen. Er studiert brav, und gelegentlich hilft er mir bei meinen Geschäften in Istanbul.«
»Was für Geschäfte sind das?«
Auf meinen trockenen Ton hin schien der Mann aus Tarsus leicht verstimmt. Doch vielleicht irrte ich mich auch.
»Wir schicken den Händlern Garn, Stoffe und dergleichen. Das Geschäft läuft gut. Ibo besucht die Händler, wenn es nötig ist.«
Während ich überlegte, was ich diesen Onkel unter den vielen, die ihre Neffen in Istanbul suchten, noch fragen könnte, veränderte ich die Position meines Gesäßes auf dem Sessel. Yusuf Sari entging mein Zögern nicht: »Was meinst du, Remzi, wirst du Ibo finden? Er ist uns teuer, ein Vermächtnis meines Bruders. Wirst du ihn finden?«
»Ich will tun, was ich kann. Aber ich muss noch mehr wissen. Ich brauche noch Einzelheiten, zum Beispiel ein Foto …«
»Steig doch in ein Flugzeug und komm her«, wiederholte er. »Wir können dann alles besprechen. Sei unser Gast.«
Offensichtlich wollte Yusuf Sari die zu mietende Ware erst einmal in Augenschein nehmen. Recht hatte er ja. Umso mehr, wenn er die Höhe meines Honorars erführe.
Yusuf Sari schien die Gabe zu besitzen, über weiteste Entfernungen Gedanken zu lesen. Ich habe eine ausgesprochene Schwäche für Leute, die wissen, wann sie was zu sagen haben.
»So lernen wir uns kennen«, sagte er. »Und dann müssen wir ja auch noch über die Bezahlung sprechen.«
»Ja, darüber können wir reden«, sagte ich. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich nach so vielen Jahren so etwas wie Sehnsucht nach Tarsus empfinden könnte. Dabei musste es da unten jetzt höllisch heiß sein.
»Warst du schon bei der Polizei?«, fragte ich jetzt.
»Keine Polizei, mein Lieber. Das hier ist Tarsus, wir wollen keine Polizei. Keine Polizei, keine Medien, bloß keine Zeitungen.«
»Verstanden«, sagte ich. »Ich komme morgen mit dem Vormittagsflugzeug.« Dann sagte ich, absichtlich ein bisschen zögernd, um ihn bei der Stange zu halten: »Allerdings …«
»Allerdings was?«, fragte er.
»Nimm’s mir nicht übel, mein lieber Yusuf Sari. Aber ich möchte die lange Reise nicht umsonst unternehmen. Vielleicht können wir uns nicht einigen. Deswegen solltest du mir zumindest die Reisespesen überweisen.«
»Jetzt sofort?«, fragte er.
»Deine Sekretärin kann die Summe ja telefonisch anweisen. Wenn das Geld morgen auf meinem Konto ist, reise ich sofort ab.«
»Wie viel?«
Ich überschlug im Kopf den Preis eines Flugtickets von Istanbul nach Adana und zurück und fügte diesem nochmal fünfundzwanzig Prozent der Summe zu.
»In Ordnung«, sagte er.
Ich gab ihm das Bankkonto an, welches ich für kleinere Transaktionen benutzte, und notierte mir seine Adresse. Bevor ich auflegte, fragte ich noch, ob seine Sekretärin gewöhnlich seine Gespräche mithöre. Das sei nur so eine Frage … Inzwischen war es neun Uhr abends, offensichtlich hatte die junge Frau nichts dagegen, Überstunden zu machen.
Nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, warf ich einen Blick auf meinen Computer. Meine Cessna wartete schon wieder auf mich, bereit zum Abflug, diesmal auf dem kleinen Flughafen von Meigs Field in der Nähe von Chicago, am Rande des Michigan-Sees. Ich ließ sie warten. Ich ging im Wohnzimmer auf und ab und schaute aus dem Fenster. Das rote Licht auf dem Dach des Akmerkez-Einkaufszentrums blinkte. Die Bosporus-Universität war gleich daneben. Ich versuchte, mir Ibrahim Sari aus Tarsus vorzustellen, wie er dort seinen Milchshake trank. Doch kam mir kein rechtes Bild vor Augen.
Ich rief die Flugreservierung an. Nach Adana gab es zwei Flüge am frühen Morgen, um 7:00 und um 7:50. Doch beide waren voll belegt. Ich freute mich schon, dass ich würde ausschlafen können, da das Mittagsflugzeug erst um 12:30 abflog. Doch als ich erfuhr, dass auch auf diesem Flieger kein Platz mehr frei war, wurde die Lage ernst. Ich ließ mich für den 7:50-Flug auf die Warteliste setzen.
Dann wählte ich die Auskunft. Ich wartete, wartete weiter, alle Linien sind belegt, so wartete ich, bitte, noch ein wenig. Schließlich konnte ich nach Ibrahim Sari fragen. Kein Eintrag.
Selbst wenn dir um diese späte Stunde noch etwas einfällt, um Ibrahim Sari zu finden, von dem du nichts als den Namen weißt, lass es trotzdem, Remzi Ünal, sagte ich mir. Morgen ist früh genug …
Ich verließ das Haus und ging ins Kino.
Ich erwachte früh. Nachdem ich meinen Kaffee getrunken hatte, folgte ich brav den Anweisungen des mit weiblicher Stimme sprechenden Rechners am anderen Ende meines Telefons, drückte die entsprechenden Tasten und kontrollierte das Guthaben auf meinem Konto. Es war beträchtlich angewachsen.
Da ich keinerlei Lust verspürte, mich in halbwachem Zustand in aller Herrgottsfrühe ans Steuer meines Wagens zu setzen, hielt ich unten auf der Straße ein Taxi an. Für einen Reisenden mit dem Ziel Adana war es schon jetzt beängstigend heiß. Auf der großen Informationstafel im Flughafengebäude war für das 7:50-Flugzeug nach Adana keine Verspätung angezeigt, doch bestand auch keinerlei Hoffnung auf einen freien Platz. Ich fragte eine von den mit schnurlosen Telefonen herumlaufenden Hostessen nach den Namen der Piloten. Ich kannte sie beide.
Nach einigen internen Telefongesprächen hatte ich zwar immer noch kein Ticket, doch ich saß im Flieger. Sobald ich mich angegurtet hatte, schloss ich die Augen und stellte mich schlafend, um meinen beiden früheren Kollegen, die nie mehr Alkohol zu sich nahmen, als der Sicherheit ihrer Jobs zuträglich war, die unangenehme Situation zu ersparen, mit mir sprechen zu müssen. Zum Schluss schlief ich dann wirklich ein.
Nach der Landung in Adana verließ ich das Flugzeug durch den hinteren Ausgang. Draußen war es unerträglich heiß. Ich teilte mir mit drei Männern, die nach Mersin wollten, ein Taxi. Während der ganzen Fahrt saßen wir stumm nebeneinander. Bei der Einfahrt nach Tarsus stieg ich aus. Ein weiteres Taxi brachte mich direkt vor das Büro von Yusuf Sari, ungefähr in der Mitte der Hauptstraße, die Tarsus von einem Ende zum andern durchquert.
Zu meiner Zeit hatte sich da ein einstöckiges Haus mit einem Bücherladen befunden, neben dem heruntergekommenen zweistöckigen Steinhaus, in welchem ich so manchen Kebab verspeist hatte. Nun stand da eine architektonische Scheußlichkeit von Geschäftshaus. Auf den Namenstafeln fand ich, was ich suchte: Sari und Söhne, Handelsgesellschaft, 2. Stock.
Das untere Treppenhaus, in welches man direkt von der Straßentür aus gelangte, diente, dank des wirksamen Einsatzes eines auf einem Eisenstuhl sitzenden Mannes in Pluderhosen und mit herabhängendem Schnauzbart, als eine Art Empfangsraum. Dem Mann war natürlich sofort klar, dass ich ein Fremder war.
»Zu wem wollen Sie denn, mein Herr?«, fragte er mit einem Ausdruck, der besagte, dass es er sei, der hier entschied, ob ich heraufdurfte oder nicht.
»Zu Yusuf Sari«, sagte ich. »Er erwartet mich.«
Der Mann musterte mich von oben bis unten. Ich weiß ja nicht, nach was für Eigenschaften er suchte, doch entschied er schließlich, dass ich wohl jemand sei, den man herauflassen konnte. Eilig lief ich die Treppe hinauf.
Als ich den Klingelknopf drückte, tönte von innen her Vogelgezwitscher und das Tacktack-Geräusch hochhackiger Damenschuhe. Die Tür ging auf, und vor mir stand »Äääm, ich verbinde Sie jetzt« – abenteuerlich geschminktes Gesicht, Miniröckchen über strammen Beinen und eine ausgeschnittene weiße Bluse, die von zwei Spaghettiträgern gehalten wurde. Sie machte keinerlei Anstalten, mich einzulassen.
»Ich möchte zu Yusuf Sari.«
»Wen darf ich melden?«, fragte sie. Wir sprachen durch die halb geöffnete Tür.
»Remzi Ünal«, sagte ich.
»Ach … Sie kommen aus Istanbul … Entschuldigen Sie, aber ich habe Ihre Stimme nicht erkannt.«
Der Empfangsraum sah aus wie das Wartezimmer einer zweitklassigen Zahnarztpraxis. Vier verschiedene Wandkalender von vier verschiedenen Stoffherstellern zeigten vier verschiedene Monate. Auf der Tür des Metallschrankes neben dem metallenen Schreibtisch prangte ein Poster mit einem Schlagersänger, dessen Name mir nicht bekannt war. Auf einem Stuhl, etwas abgerückt neben dem Tisch, saß ein in Jeans und Anzugsjacke gekleideter Mann und trank Tee. Er schaute gruß- und wortlos zu mir herüber.
Jetzt öffnete sich die gegenüberliegende Tür, ein Mann stürmte auf mich zu, drückte mir mit unglaublicher Behändigkeit die Hand und küsste mich auf beide Wangen. »Herzlich willkommen, mein Freund Remzi …«
Vor mir stand dunkel, gedrungen und schwergewichtig Yusuf Sari. Sein Lächeln wollte irgendwie nicht zu seinem breiten Gesicht passen. Ich wunderte mich, dass er keinen Schnauzbart hatte. »Komm, mein Freund.« Er fasste mich am Arm und zog mich durch die Tür.
Ein Hundertfaches von dem Geld, welches Yusuf Sari bei der Einrichtung des Arbeitszimmers seiner Sekretärin eingespart hatte, schien er in sein eigenes Zimmer investiert zu haben. Jeder sichtbare Quadratzentimeter war mit Holztäfelung ausgekleidet. Neben dem Fenster stand ein riesiger gedrechselter Arbeitstisch mit unzähligen gewundenen Schnörkeln. Die Ledersessel waren so wuchtig, dass jeder, der auch nur etwas kürzer war als ich, beim Sitzen die Füße über dem Boden baumeln lassen musste.
Mit einer großartigen Geste der Bescheidenheit nahm Yusuf Sari nicht hinter seinem Schreibtisch Platz, sondern setzte sich zu mir. Er schien mich heimlich zu taxieren, und ich ließ ihm Zeit dafür.
»Willkommen«, sagte er von neuem. »Was kann ich dir anbieten?«
Nachdem ich bereits im Flughafen und während des Flugs Kaffee getrunken hatte, begnügte ich mich mit einem Glas Wasser. Eigentlich hatte ich ja Hunger, aber das musste wohl warten.
»Wirst du mir den Ibo finden?«, fragte er ohne längere Einleitung.
»Hatte er Probleme an der Uni?«
»Nun, ich kann nicht behaupten, dass ich mich sehr um sein Studium kümmere. Aber so viel ich weiß, hatte er mit den Vorlesungen und Prüfungen keine Schwierigkeiten.«
»Und die Mädchen? Bist du sicher, dass nicht so etwas dahinter steckt?«
»Nein, ganz sicher nicht.«
»Das ist aber etwas, worüber die jungen Leute meistens nicht reden«, sagte ich.
»Vielleicht«, meinte er nun. »Wenn es so etwas ist, dann finde du erst mal den Ibo; wir besorgen ihm dann schon das Mädchen.«
Ich steckte mir eine von den Zigaretten an, die er mir anbot. »Nun gib mir erst mal seine Adresse. Hat er ein Telefon? Ein Handy?«
»Nein, ich wollte ihm eins zum Neujahr schenken, aber er wollte keins. Ich kann die verfluchten Dinger auch nicht leiden.«
»Ich brauch noch die Fakultät und die Klasse.«
Er zog einen zusammengefalteten Computerausdruck aus der Tasche. Der Bogen sah aus wie ein Zeugnis mit lauter mittelmäßigen Noten. Ich schrieb ab, was ich für nützlich hielt.
Die Fotos zog er aus der Innentasche seines Jacketts. Vier Stück waren es, eines davon ein vergrößertes Passbild. Dann Ibrahim zusammen mit seinem Onkel stolz vor einem auffälligen Mercedes. Ibrahim mit zwei Freunden auf einem Bett sitzend, dessen Tagesdecke verrutscht war. Das letzte Foto tanzte völlig aus der Reihe. Dies war kein Schnappschuss, sondern ein sorgfältig ausgeleuchtetes, arrangiertes Porträt, das ihn mit kühner »Yilmaz-Güney-Miene« zeigte.
»Der Junge fotografiert selbst«, sagte Yusuf Sari. »Als er in die Universität eintrat, hat er sich von mir eine erstklassige Kamera gewünscht. Die habe ich ihm auch gekauft. Ich glaube, er fotografiert auch an der Uni. Deswegen gibt’s von ihm kaum Fotos, er nimmt immer die anderen auf …«
Der Ibrahim Sari auf den Fotos sah aus wie eine schlankere Ausgabe seines Onkels. Ein bisschen raffinierter, städtischer natürlich. Wie jemand, von dem man im Zug ein angebotenes Köfte ohne zu zögern annehmen würde.
»Ich habe dort schon alle gefragt, die ich kenne. Mein Geschäftspartner Orhan Yilmaz ist ja in Istanbul. Manchmal holt Ibo seinen monatlichen Scheck oder auch Taschengeld dort ab, wenn es nicht anders geht. Der weiß von nichts. Ich habe auch in Ibos Wohnung angerufen. Da war nur Ismet, sein Freund, Ismet Saglam, mit dem er die Wohnung teilt. Ich glaube, sie studieren zusammen. Der hat Ibo schon länger nicht gesehen, sagt er.« Mit der letzten Glut seiner Zigarette steckte er sich eine neue an. »Hör mal Remzi, mein guter Freund«, sagte er mit deutlicher Besorgnis. »Wenn dem Jungen was passiert ist oder er in Lebensgefahr ist, das hätten wir doch längst erfahren, oder? Der Junge ist mein Ein und Alles. Glaub mir, seit Tagen weiß ich nicht, was ich esse oder trinke.«
Jetzt schien es mir an der Zeit, die seit gestern in meinem Kopf herumwandernde Frage zu stellen. Wenn das Verhalten eines Menschen nicht mit den Gefühlen übereinstimmt, die er zeigt, dann muss man die Gründe wissen.
»Hör mal, Chef«, sagte ich, indem ich mich zu ihm vorbeugte. »Der Junge ist dir teuer, verstanden. Wieso ist es dir aber nicht in den Sinn gekommen, selbst in Istanbul zu suchen wie ein normaler Vater oder Onkel in diesem Lande? Du sitzt hier, magst weder essen noch trinken und begnügst dich damit, die Sache von ferne zu steuern, indem du mich anrufst und beauftragst, den Jungen zu finden. Ich muss wissen, was hier wirklich läuft.«
Yusuf Sari erhob sich und drückte seine Zigarette in den kristallenen Aschenbecher auf dem Tisch. Er drehte sich zu mir und sagte: »Recht hast du, mein Freund. Komm, lass uns erst mal essen gehen. Ich werde dir alles erzählen.«
Im Kebab-Restaurant gleich neben dem Bahnhof war Yusuf Sari, das merkte man gleich, ein prominenter Gast. Den Weg dorthin hatten wir schweigend in dem mir von dem Foto bekannten Mercedes zurückgelegt. Am Steuer saß Hasan, der Mann mit dem Jackett aus Yusuf Saris Büro. Auch er sprach während der ganzen Fahrt kein Wort. Ich schaute durchs Fenster. Tarsus hatte sich sehr verändert. Die Palmen und Lindenbäume, die in meiner Erinnerung die Wege säumten, waren fast alle gefällt worden.
Wir nahmen im Garten Platz, an einem von Weinreben überrankten Tisch. Eine leichte Brise – wo mochte die wohl herkommen? – schien die Auswirkungen der Hitze ein wenig zu mildern. Hasan hatte sich an einen Tisch beim Eingang gesetzt. Yusuf Sari machte ein nachdenkliches Gesicht. Vor ihm stand ein Glas Raki, während ich mir einen Rettichsaft bestellt hatte.