Durchgebrannt - Kristina Dunker - E-Book

Durchgebrannt E-Book

Kristina Dunker

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Beschreibung

Und was ist mit meinen Wünschen? Florian (14) ist wütend: Warum muss alles so kompliziert sein, seit seine Schwester Sarah schwer erkrankt ist? Warum zählen seine eigenen Wünsche gar nicht mehr? Die verkorkste Feier mit Kuchen, Kerzen und Verwandten zu Sarahs 18. Geburtstag im Krankenhaus bringt das Fass zum Überlaufen: Flo brennt durch, ins Ferienlager seines Fußballclubs. Wild entschlossen, richtig Party zu machen. Aber gute Laune lässt sich eben nicht so einfach erzwingen.  

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Seitenzahl: 134

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Kristina Dunker

Durchgebrannt

Roman

Deutscher Taschenbuch Verlag

Originalausgabe 2011

© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

eBook ISBN 978-3-423-40608-6 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-78251-7

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website

www.dtv.de/​ebooks

Inhaltsübersicht

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1

Der Schokonusskranz riecht lecker wie immer. Sein Duft erfüllt die ganze Küche und wird noch intensiver, als ich mir ein Stückchen herausbreche. Diesen glasierten Gugelhupf zu backen war lächerlich von meiner Mutter. Als ob wir einen Geburtstag wie jeden anderen feierten. Wahrscheinlich will sie der Verwandtschaft zeigen, dass uns die gute Laune nicht ausgeht. Mir ist die schon lange vergangen. Ich finde, eine Kuchenruine passt viel besser zu uns.

»Lass das Naschen, zieh dich endlich an.« Meine Mutter ist in Hektik: Sie durchsucht die Küchenschubladen, reißt sich dabei einen Knopf am Blusenärmel ab -- »Verflixt!« -- und reicht mir eine Plastikschachtel. »Die müssen auch mit.«

Kerzchen: rosa, gelb, himmelblau und zum Aufstecken auf den Kuchen gedacht. Ich krieg 'ne Krise.

»Mama! Sarah wird achtzehn.« Meine Mutter macht Sarah neuerdings oft jünger, als sie ist. Meine vier Jahre ältere Schwester ist jetzt »die Kleine«, ich bin »unser Großer«. Anfangs fand ich das okay, mittlerweile weiß ich, dass es nur bedeutet, ich soll mich gefälligst wie ein Erwachsener benehmen.

»Dieser Babykram ist peinlich«, sage ich etwas lauter, denn meine Mutter hat mal wieder ihre Ohren auf Durchzug gestellt. »Hast du gehört?« Ich klinge auch schon wie ein Erwachsener. Das müsste ihr doch gefallen.

Endlich dreht sie sich zu mir um. »Mag sein, dass du das so siehst. Aber Sarah wollte noch mal einen richtigen Geburtstag. Mit allem Drum und Dran. So wie früher.«

Quatsch. Sarah hatte ganz andere Wünsche für ihren Achtzehnten: Am Abend vorher im Rockpalast reinfeiern und am nächsten Tag, heute, dem Samstag vor Pfingsten, mit mir und den Freunden aus dem Sportverein ins Zeltlager an die Nordsee fahren. Das ist das Ereignis des Jahres. Darauf hatten wir uns seit Monaten gefreut. Eine Weile sah es auch so aus, als ob Sarah mitkommen könnte. Sie hatte sich sogar schon von unserem Trainer einen extrawarmen Schlafsack ausgeliehen, ein Überlebensteil, mit dem man angeblich sogar am Nordpol hätte zelten können. Und mit ihrer Freundin Anna hatte sie einen ganzen Nachmittag nur darüber diskutiert, welche Mädchen mit ihnen im Zelt schlafen sollten.

Ich will meiner Mutter unter die Nase halten, dass Sarah also ganz sicher kein Kindergeburtstagsfest mit Kerzenausblasen und Tantentreffen wollte, aber ich schaff's nicht, denn ich schlucke schwer an dem »noch mal«. Auch das höre ich in letzter Zeit öfter.

»Sarah will noch mal ins Fußballstadion.«

»Sarah will noch mal bei Da Luigi Lasagne essen.«

»Sarah will noch mal zum Theaterfestival.«

Ich weiß nicht, ob die anderen das nicht merken? Was soll denn dieses »noch mal«? Im Klartext kann es doch nur heißen: »noch ein letztes Mal«. Die Worte scheinen nur so dahingesagt. Jeder sagt das mal. Aber bei uns deuten sie auf das mögliche Ende. Sarah ist sehr krank. Wir müssten damit rechnen, dass Sarah sterben könnte, haben uns ihre Ärzte in der Uniklinik gesagt, die Heilungschancen stünden fifty-fifty.

Wie soll ich da widersprechen?

Meine Mutter legt mir eine Hand auf die Schulter, erahnt meine Gedanken. »Ich weiß, dass du anderer Meinung bist, Florian. Aber Dinge ändern sich nun mal. Sarah hat sich verändert. Und sie hat mir vor ein paar Tagen gesagt, dass sie sich das jetzt genau so wünscht.«

Möglich ist das natürlich schon.

»Ja. Und jetzt guck nicht so mürrisch. Nimm dich ein bisschen zusammen. Hilf uns, die Sachen einzupacken! Es ist ihr Geburtstag. Der soll doch« -- sie macht eine Pause, als wolle sie »noch mal« sagen, sagt es aber nicht -- »möglichst schön für sie sein.« Ein Ruck geht durch ihren Körper, und wie um dem »noch mal« etwas entgegenzusetzen, beginnt sie plötzlich Viel Glück und viel Segen zu summen.

Mir wird schlagartig übel. Ich kann Singerei nicht ab. Außerdem ärgert's mich, dass meine Mutter überhaupt nicht kapiert, dass auch ich Sarah einen schönen Tag wünsche. Genau wie ich ihn mir gewünscht hätte. Aber ich bin ja wohl ein Egoist. Zumindest sieht es mein Vater, der mit halb umgebundener Krawatte die Treppe hinunterkommt, so: »Es ist Viertel vor zehn und du bist immer noch im Schlafanzug. Statt zu pennen, hättest du mir beim Aufbau der Gästebetten helfen können. Hast du wieder die halbe Nacht vorm Computer gesessen?«

Ich habe schlecht geschlafen. Er übrigens auch. Neuerdings hat er oft Albträume, in denen er so unruhig ist, dass er nicht nur meine Mutter weckt, sondern auch mich zwei Zimmer weiter. Aber daran, dass er heute Nacht wieder im Schlaf um Hilfe gerufen hat, will er bestimmt nicht erinnert werden.

»Ihr habt vergessen, mich zu wecken.«

»Meine Güte, wir haben heute ja wohl andere Dinge im Kopf und können uns nicht dauernd um dich kümmern.«

Mein Vater schießt immer gleich zurück, wenn man ihn kritisiert. Diesmal nehme ich's ihm aber nicht übel, denn ich weiß, dass er eigentlich auch keinen Bock auf die Sippe hat, und ich sehe seinen verzerrten Blick, als er aus der Küche Mama »Gesundheit und Frohsinn sei'n auch mit dabei« singen hört.

Ich wage einen winzigen Spaß: »Das singen wir gleich im Kanon, mit Daniel als Dirigent.«

Mein Vater sieht mich ratlos an - unentschieden, ob er sich auf mein Lästern einlassen und lachen oder mich anschreien soll. Kann sein, dass er mir gleich wieder lautstark vorwirft, »kontraproduktiv« zu sein. Er öffnet schon den Mund. In dem Moment klingelt's an der Haustür.

»Schwiegermutter«, brummt mein Vater und hat nun keine Zeit mehr, meine Bemerkung zu kommentieren. »Zwei Minuten, dann ist Abflug. Wenn du nicht fertig bist, bleibst du zu Hause.«

Liebend gern.

In meinem Zimmer stolpere ich fast über die Gestelle der Gästebetten, die -- noch ohne Matratzen -- mitten im Raum stehen. In einem werde ich schlafen, im anderen mein Cousin Daniel. Im richtigen Bett, in meinem, wird sich mein fetter Onkel Thomas breitmachen. Thomas, die Walze, schwitzt schon, wenn er ein Glas Bier trinkt. Obwohl das Schwabbeln und Schweißabsondern eklig ist, darf er mein Bett beanspruchen, wegen seines Bandscheibenschadens. Sein Sohn Daniel ist angeblich hochbegabt, was außer den Eltern aber noch nie jemandem aufgefallen ist. Auf mich macht das verkannte Genie auch eher einen behinderten Eindruck. Mit ihm kann man rein gar nichts anfangen, nicht mal am PCspielen.

Was hab ich eine Wut! Dieses Wochenende wird das ganze Haus voller Leute sein - alles Leute, die Sarah nicht sehen will. Ich übrigens auch nicht. Ich wollte mir mit Nils, Eric und Ferhad ein Zelt teilen. Ich wollte am Strand Fußball spielen, mich in die Nordseewellen werfen und abends einen draufmachen. Fluchend checke ich mein Handy. Keine neuen SMS von Sarah, dafür eine von Nils: Halt durch, Alter. Bis Dienstag. Durchhalten - leichter gesagt als getan.

Mama hat zur Krönung des Irrsinns verlangt, dass ich mein Konfirmationshemd anziehe. So seh ich aus wie Daniels Klon. Ich werde mir wohl absichtlich Kaffee oder giftgrünen Wackelpudding drüberkippen.

Sarah wird wahrscheinlich schlafen, wenn wir auf der Station ankommen. Sie wird die Augen zuhaben und davon träumen, Turnschuhe, Bikini und Schlafsack in die Reisetasche zu stopfen und sich mit mir auf den Weg zur Bushaltestelle am Sportplatz zu machen. Sie ist leider zu schwach, überhaupt für längere Zeit aus dem Bett aufzustehen, und ich bin zu jung, um mich gegen meine Eltern durchzusetzen.

Um meine Laune ein bisschen zu heben, stelle ich mir vor, mein Onkel und mein Cousin müssten ohne Matratzen auf den Gestellen der Gästebetten schlafen. Angekettet und ohne Abendessen. Wenn ich ihr Gefängniswärter wäre, würde die Walze schnell wieder auf normale Maße zusammenschrumpfen. Damit hätte ich sogar noch ein gutes Werk getan, weil ich die Krankenkassen entlaste. Die rücken doch so wenig Geld raus, jedenfalls behauptet das mein Vater. Und weil sie selbst der krebskranken Sarah nicht alles bezahlen, müssen wir eben noch was drauflegen: die Urlaubskasse, mein Taschengeld . . . und natürlich die paar Euro, die für meine Wochenendfreizeit mit dem Sportverein draufgegangen wären.

2

Auf der Fahrt streiten sich meine Eltern, weil meine Mutter versucht, sich den abgesprungenen Blusenknopf anzunähen, und meinen Vater das aus irgendeinem Grunde nervös macht.

»Lass doch das Rumgefummel, das ist jetzt wirklich nicht nötig.«

»Was stört dich denn daran?«, fragt sie angriffslustig.

»Mich stört deine ständige Perfektion. Du machst und tust und lädst tausend Leute ein . . .«

»Weil sonst alles zusammenbricht. Einer muss ja für Normalität sorgen. Außerdem sind das deine Geschwister und du hättest deine Mutter schon längst mal --«

»Oh, Silvia, nerv mich nicht!«

Bevor das Geplänkel eskaliert, mischt sich Oma Gabi ein. »Ihr werdet doch jetzt nicht wegen eines Knopfs einen Ehestreit anfangen.«

Sie hat keine Ahnung, was ein Knopf alles anrichten kann.

Als ich noch sehr klein war, hab ich mir einmal einen Knopf in die Nase gesteckt. Die Aktion führte zu einem hektischen Besuch in der Notaufnahme und endete mit einem Riesentheater, als wir wieder zu Hause waren.

Auf einmal erinnere ich mich, wie Sarah versucht hat zu vermitteln. Sie stand da, die blonden Haare zu zwei seitlichen Zöpfen geflochten, packte meinen Vater am Arm, zog ihn von mir weg und hielt ihm den Knopf hin: »Guck mal, Papa, ein Zauberknopf. Bei dem kann man nicht widerstehen. Gut, dass Flo ihn nicht runtergeschluckt hat, ich hätte das vielleicht gemacht.«

»So einen Unsinn machst du doch gar nicht«, hatte mein Vater gesagt, sich kopfschüttelnd gesetzt und sie auf seinen Schoß gezogen. Gemeinsam hatten sie den Knopf wie etwas wirklich Kostbares angesehen und in den Händen hin und her gedreht.

Ich wollte zu ihnen, wollte wieder dazugehören, traute mich aber nicht recht und setzte mich auf den Fußboden, wo ich mich wie eine Katze an Papas Beine drückte. Irgendwann strich er dann auch mir leicht geistesabwesend über den Kopf, was ich sehr tröstlich fand, nachdem er zuerst so zornig gewesen war.

Aus einem plötzlichen Bedürfnis heraus lege ich meinem fahrenden Vater locker die Arme um die Schultern. Er aber will gerade überholen und schüttelt sie ab.

»Ras doch nicht so, Manfred!«, sagt Mama immer noch leicht knatschig. »Hier ist 70.Das ist lebensgefährlich, wie du fährst.«

»Ich find's gut«, unterstütze ich ihn. »Schließlich möchten wir alle schnell zu Sarah.«

Im Auto wird geschwiegen. Oma Gabi wirft mir einen zweifelnden Blick zu und drückt dann kurz meine Hand. Ich weiß: Das stimmt und stimmt nicht. Mein Vater will zwar am liebsten rund um die Uhr bei Sarah sein und verbringt seinen ganzen Jahresurlaub im Krankenhaus. Gleichzeitig ist er immer extrem unruhig und unleidlich, wenn er hinfährt, weil er fürchtet, zum Arztgespräch gebeten zu werden und schlechte Nachrichten zu hören. Meine Mutter war bis vor Kurzem noch relativ tough drauf, aber so langsam verliert sie die Nerven, wird immer dünner und zappeliger, ein aufgeschreckter, zerrupfter Vogel. Ich schätze, es macht ihr zu schaffen, dass Sarah heute achtzehn wird und noch lange nicht gesund ist. Mama hatte ihr nämlich, als es mit der Krankheit losging, »versprochen«, an ihrem Achtzehnten hätte sie alles überstanden. Schön blöd, was zu versprechen, was man nicht beeinflussen kann. Gestern ist meine Mutter auch nicht wie sonst tagsüber bei ihr gewesen, stattdessen hat sie wie eine Wilde eingekauft und das Haus für die Gäste hergerichtet.

Also habe ich Sarah wenigstens elektronisch-telefonischen Beistand geleistet. Wir haben uns SMS geschrieben, wie wir's abends oft tun.

Leider gehen uns langsam die Themen aus. Früher hatten wir zum Beispiel Spaß daran, uns über Horrorfilme zu unterhalten, jetzt macht ihr jeder Pups Angst. Fußball ist als Gesprächsgegenstand auch nicht mehr ergiebig, weil sie meint, sie kann froh sein, wenn sie noch mal Tischfußball spielen kann, und der Vereinstratsch, ihr früheres Lieblingsthema, ist ihr mittlerweile völlig schnuppe. Man kann auch nicht mehr mit ihr streiten, weil sie ja krank ist und Krach sie psychisch belasten könnte. Für mich heißt das, ich muss sie wie ein rohes Ei behandeln. Nicht gerade meine Stärke.

Möchten wir also wirklich schnell zu Sarah? Zu der Sarah, die uns erwartet?

Sie ist ja kaum noch zu erkennen. Der Körper klapperdürr, die Augen tief liegend und schwarz umrandet, nur die Backen so komisch aufgedunsen, als hätte sie sich Bonbons reingestopft.

»Besorgst du mir 'ne Rolle in 'nem Horrorfilm?«, hatte sie gefragt, als meine Eltern kurz das Zimmer verlassen hatten.

Ich hatte nur gegrinst. »Was willst du denn sein? Alien?«

»Ein Mutant«, hatte sie geflüstert, »ein blutrünstiger Mutant, der die ganze Welt vernichtet.« Dann waren ihr die Augen zugefallen. Diese Rolle würde sie nie ausfüllen können, egal, wie extrem sie aussieht. Auch wenn sie mich manchmal mit ihrem Nettsein genervt hat, bleibt sie ja nett, und ich frage mich, ob es ein Zufall ist, dass sich ein bösartiger Krebs ausgerechnet einen durch und durch lieben Menschen ausgesucht hat.

Solange Sarah die gesunde »Große« war, war sie als Schwester sehr in Ordnung. Das lag vor allem auch daran, dass Sarah Linksaußen in der Mädchenfußballmannschaft war, mit ihr konnte man quatschen wie mit einem Kumpel. Klar war sie auch mädchenhaft zickig, aber nie so heftig wie unsere beiden Nachbarstöchter. Die fangen ja jetzt noch grundlos an rumzugibbeln, wenn ich an ihnen vorbeigehe, dabei sind die in Sarahs Jahrgang und für mich damit praktisch alte Schachteln. Wenn wir uns gezofft haben, dann meist wegen ihres Zimmers. Aus Spaß bin ich da, ohne zu fragen, oft rein, wenn sie nicht da war, und dann hat sie mir jedes Mal eine geklatscht. Was vielleicht auch berechtigt war, denn ich habe in ihrem Tagebuch gelesen und das mit Herzchen verzierte Foto von meinem Trainer mit Vampirzähnen und Teufelshörnern verunstaltet.

Das Beste an ihr als gesunder »Großer« war, dass sie mir zuverlässig bei Problemen half. Englisch oder Mathe? »Kein Thema, das üben wir.« Stress mit dem Lehrer? »Keine Panik, ich red mit dem.« Oma hat Zigaretten in meiner Jacke entdeckt und will's Mama petzen? »Ich sag ihr, die wären für mich gewesen.«

Als unsere Eltern vor drei Jahren kurz vor der Trennung standen und Papa ein paar Nächte nicht nach Hause kam, durfte ich bei ihr im Bett schlafen. Damals war ich elf und Sarah kerngesund.

Vor zwei Wochen, als sich entschieden hat, dass Sarah die Jugendfreizeit sausen lassen muss, habe ich sie gefragt, ob es ihr etwas ausmacht, wenn ich alleine mitfahre und also an ihrem Geburtstag mittags abhaue. Damals hat sie spontan den Kopf geschüttelt. »Quatsch«, hat sie gesagt, »du musst mir doch nachher alles erzählen. Außerdem will ich nicht, dass du hier versauerst.«

Trotzdem haben meine Eltern gesagt, ich müsste bleiben und dürfte nicht weg.

Vorgestern habe ich Sarah in ihrem Beisein noch mal gefragt. Diesmal hat sie mir keine Antwort gegeben. Sie hat so getan, als würde sie es nicht hören. Es stimmt schon, sie ist schwach und seit ein paar Monaten schwerhörig, eine Nebenwirkung der Chemotherapie. Aber ich bin sicher, die Frage hat sie gehört. Das war das erste Mal, dass sie mich richtig im Stich gelassen hat.

Ich soll also da sein an diesem Wochenende. Ich soll mir meinen blöden Cousin reinziehen, der mit einem Strauß heliumgefüllter Luftballons auf dem Krankenhausparkplatz steht und meine Verwandtschaft auf unser soeben einbiegendes Auto hinweist. Ich soll mich von all diesen Leuten drücken lassen und mir anhören, wie »schrecklich« alles ist. Ich soll in Tante Margaretes Parfümwolken Atemnot kriegen und mit Onkel Thomas' Schweißfilm in Berührung kommen. Ich soll mich von Tante Katrin zum hundertsten Mal fragen lassen, was ich mal werden will. Das erste Mal hat sie mich das zu meiner Einschulung gefragt, was anderes fällt ihr einfach nicht ein. Ich soll