Düstere Weihnachten - Kat van Arbour - E-Book
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Kat van Arbour

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Beschreibung

"In der Weihnachtsbäckerei, gibt es Tod und viel Geschrei..." Weihnachten ist nicht immer ein Fest der Liebe und Besinnlichkeit. In diesem Kurzgeschichtenband ist er geprägt von Mord, Unfällen und Rachegelüsten. Bist du bereit für düstere Weihnachten?

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhaltsverzeichnis

Triggerwarnung

Vorwort

1. Advent, Advent…

2. Lichtblick

3. Der Lebkuchenmann

4. O Tannenbaum

5. … ein Lichtlein brennt …

6. Kekse für den Nikolaus

7. Verlassen

8. Rachegelüste

9. Die Alte

10. Göttergruß

11. Russisches Roulette

12. … erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier ...

13. Oh du Fröhliche

14. Spaziergang am See

15. In der Weihnachtsbäckerei

16. Das Tattoo

17. Karmawichtel

18. Die Hütte im Wald

19. … dann steht die Rache vor der Tür

20. Der Schneemann

21. Hermann

22. Das Kindermädchen

23. Das Fenster zum Garten

24. Schöne Bescherung

Nachwort

Rezensionen

Danke

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Impressum

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

Überarbeitete Fassung Oktober 2023

©2023 Kat van Arbour

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung der Autorin wiedergegeben werden.

 

E-Mail: [email protected]

 

Vertrieb: E-Book via tolino media

Covergestaltung: Katrin Laube

Lektorat: Katharina Kay

Korrektorat: Elke Fritsch

 

Kat van Arbour

c/o Block Services

Stuttgarter Str. 106

70736 Fellbach

 

Triggerwarnung

 

In diesem Adventskalender werden teils sensible Themen behandelt.

 

 

 

 

 

 

 

 

Vorwort

 

Weihnachten ist ein Fest der Liebe und Besinnlichkeit, oder? Im Normalfall ist es das. Familie und Freunde kommen zusammen und haben gemeinsam eine schöne Zeit zwischen Plätzchen, Weihnachtsliedern, Glühwein und Christbaumschmuck. Aber hier in diesem Buch ist alles anders. Es ist geprägt von Mord, Unfällen und Rachegelüsten. Tauche ein in eine etwas andere Weihnachtswelt und in die Abgründe der menschlichen Seele.

 

Jeden Tag kannst du dir eine Kurzgeschichte gönnen und gemütlich die Tage bis Weihnachten zählen. Aber einen kleinen Haken hat die Sache noch: Die Adventsgeschichten 1, 5, 12 und 19 gehören zusammen und sind Fortsetzungsgeschichten. Kannst du solange abwarten? Oder wirst du sie schon vorher lesen?

 

Und hier noch ein Highlight dieses Adventskalenders: Er macht nicht dick.

 

Bist du bereit für eine schaurige Vorweihnachtszeit?

 

LG Kat

 

1. Advent, Advent…

 

Bald ist Weihnachten und der einzige Wunsch, den ich habe, ist der, endlich meine Familie wiederzusehen. Zu lange sind wir mittlerweile voneinander getrennt. Ich schaue aus dem Fenster. Der Anblick, der sich mir bietet, ist trist. Im Hof sitzen zwei Frauen und unterhalten sich, umrahmt von Beton. Ein Lachen dringt an meine Ohren. Der Klang frisst sich in meinen Kopf und schmerzt. Er erinnert mich an die unbeschwerten Momente, die ich mit meiner Schwester hatte, bevor wir uns so furchtbar gestritten haben, dass sie seither nicht mehr mit mir redet.

Als ich eine Schachtel mit kleinen Basteleien meiner Nichte öffne, erschwert mir der Anblick das Atmen. Annas selbst gemachter Baumschmuck liegt obenauf. Ich nehme den aus Holz gefrästen Schutzengel in die Hand und schlucke schwer. Den hat sie mir vor einigen Jahren geschenkt, als sie noch zur Grundschule ging. Jeder Anhänger ist mit einer goldenen Schicht besprüht. Ich erinnere mich genau daran, wie ungeduldig sie war. Das Warten darauf, dass die Farbe endlich trocknete, lag ihr nicht. Viel zu früh testete sie, ob die Flügel noch feucht waren. Auf jedem dieser Anhänger befindet sich ein kleiner Fingerabdruck. Diese feinen Rillen, die es nur einmal auf der ganzen Welt gibt. Sie sind eine Art Markenzeichen, ihr Gütesiegel. Ein Lachen gepaart mit Wehmut zeichnet mich. Nicht mehr lange und dann kann ich sie endlich wiedersehen, meine Anna. Es sei denn, meine Schwester will sie von mir fernhalten, weil ich ein schlechter Umgang für sie bin. Ein Klopfen zerrt mich aus den Erinnerungen.

»Post.«

Bevor ich sie entgegennehme, wische ich mir die Tränen vom Gesicht. Eine sommerliche Postkarte lacht mich an. Sie zeigt ein blühendes Lavendelfeld unter blauem, fast wolkenfreiem Himmel. Sie ist von meiner besten Freundin Larissa, die gerade in der Provence Urlaub macht. Dass sie sich selbst im Dezember für ein sommerliches Motiv entschieden hat, wundert mich nicht. Sie kann dem Winter einfach nichts abgewinnen. Ich liebe die kalte Jahreszeit. Besonders, wenn die ersten zarten Schneeflocken auf die Erde rieseln und die Umgebung langsam in ein weißes Winterwunderland verwandeln. Noch ist davon nichts zu spüren, aber in ein paar Tagen soll es endlich schneien. Ich freue mich darauf und bilde mir ein, es schon riechen zu können. Die liebevollen Grüße von Larissa erhellen mein Herz und greifen auf den Rest des Körpers über, als ich den Brief entdecke, der hinter der Postkarte steckt. Das zarte florale Muster oben auf der linken Seite erfüllt mich mit einem aufgeregten Kribbeln. Ich drehe ihn in den Händen und erkenne sofort die geschwungene Handschrift meiner Nichte. Zügig reiße ich den Umschlag auf. Er knittert unter meinen ungeschickten Fingern, die sich durch die Aufregung nur grobmotorisch bewegen können. Als ich die ersten Worte sehe, die an mich gerichtet sind, strahle ich über das ganze Gesicht. Ich lasse mich freudig auf den einzigen Stuhl im Raum sinken und beginne zu lesen.

 

Hallo Tante Jana!

 

Warum ist das Leben nur so ungerecht? Ich bin doch ein guter Mensch und habe nie jemandem etwas Böses gewollt oder getan. Ich kann jetzt verstehen, wie du dich gefühlt hast, als Mama dir nicht glauben wollte. Mir glaubt sie auch nicht. Aber ich habe mir das nicht ausgedacht. Es ist so furchtbar. Gestern habe ich mir noch Sorgen darüber gemacht, ob ich in der neuen Schule Freunde finden würde und heute will ich einfach nur noch sterben.

 

Ich kann nicht glauben, was ich da lese. Ein unheilvolles Gefühl macht sich in meinem Bauch breit.

 

Diese Zeilen fallen mir wirklich sehr schwer, aber wenn sie jemand verstehen kann, dann du. Denn du bist die Einzige, der ich mich immer problemlos anvertrauen konnte und dafür danke ich dir von ganzem Herzen. Du warst immer für mich da und hast dir meine kleinen und großen Sorgen verständnisvoll angehört. Ohne dich wäre ich manchmal wirklich verzweifelt. Aber das, was ich dir jetzt berichte, lässt meine anderen Probleme bedeutungslos erscheinen. Ich selbst kann kaum glauben, wie ich in so eine Situation geraten konnte.

 

Eine dunkle Wolke schiebt sich in meine Gedankenwelt. All der Sonnenschein verpufft mit dem Beginn dieser schweren Zeilen. Mühsam schlucke ich den aufkommenden Kloß in meinem Hals hinunter und ersticke fast daran. Mein Herz zieht sich schmerzlich zusammen. Was ist bloß geschehen, Anna? Verzweiflung macht sich in mir breit, als ich die verschwommenen Buchstaben entdecke. Hat sie etwa geweint? Der Puls schlägt mir bis zum Hals. Ein Teil in mir möchte sofort aufhören zu lesen, da ich mir nicht sicher bin, ob ich aushalten kann, was noch folgen mag. Auch wenn ich ihre coole Tante bin, gibt es Dinge in mir, die weit entfernt von cool sind. Aber es geht hier nicht um mich. Ein Teil in mir mischt sich mit Wut, weil meine Schwester die Gefühle ihrer Tochter scheinbar nicht ernst nimmt. Unzählige Gedanken kreisen wild in meinem Kopf herum und fragen, was passiert ist. So neugierig ich auch auf die Antwort bin, so gehemmt bin ich sie zu erfahren. Meine Hände zittern und das Papier raschelt. »Reiß dich zusammen, Jana!« Mit diesen Worten versuche ich mich auf das Wesentliche zu fokussieren, auf die nächsten Zeilen.

 

Erinnerst du dich noch an Evan? Ich hatte dir vor ein paar Wochen von ihm erzählt. Er war der Typ, der mich aus Versehen umgerannt hatte. Wie sich herausgestellt hat, war es kein Versehen. Ich fühle mich so klein und dumm. Aber weiter im Text. Wir sind uns ein paar Mal über den Weg gelaufen und haben uns nett unterhalten. Er sah gut aus, war charmant, witzig und ein bisschen älter als ich. Irgendetwas hatte er an sich, das mich faszinierte. Und plötzlich war ich bis über beide Ohren verknallt. Am ersten Advent hat er mich zu sich eingeladen. Seine Eltern waren übers Wochenende verreist, sagte er. Als wir angekuschelt auf der Couch saßen, um uns herum alles weihnachtlich geschmückt, und uns zum ersten Mal küssten, klingelte es an der Tür. Evan wirkte schon die ganze Zeit nervös, aber ich dachte, dass es wegen unseres Abends sei.

Entschuldige die krakelige Schrift, aber ich kann das Zittern meiner Hände nicht abstellen.

Evan kam zurück ins Wohnzimmer, im Schlepptau drei Freunde. Sie sagten so etwas wie: »Gut gemacht, Evan.« Ich verstand erst nicht, was sie damit meinten. Evan wurde immer nervöser und das machte mich selbst ganz unruhig. Zwei seiner Freunde setzten sich zu mir auf die Couch. Einer rechts und der andere links. Als ich fragte, was los sei, sagte der Typ, der neben Evan stand, dass das hier eine Party sei und sie hier sind, um sich zu amüsieren. »Gunnar, bitte nicht«, hörte ich Evan flüstern. Plötzlich hatte ich eine Hand auf meinem Oberschenkel. Ich motzte den Typen neben mir gleich an und fragte, was das werden soll, aber der grinste mich nur ganz merkwürdig an. Die beiden rochen nach Alkohol und Zigaretten. Tante Jana, ich habe mich mit Händen und Füßen gewehrt. Sogar ganz laut »NEIN« geschrien, aber sie waren zu stark. Ihre Hände waren überall. Dann haben sie mich zu Boden gedrückt und festgehalten, damit dieser widerliche Gunnar… Ich kann es nicht in Worte fassen. Wie kann ein Mensch einem anderen so etwas antun? Sie haben nicht aufgehört. Und Evan stand nur daneben und hat es zugelassen. Der Schmerz war so unsagbar groß und ist es noch immer. Nicht nur körperlich. Ich kann nicht mehr aufhören zu weinen. Meine Haut ist übersät mit dunklen Flecken und Kratzern. Ich kann ihre ekelhaften Berührungen noch immer spüren. Ich weiß nicht, was ich tun soll? Sie haben gesagt, wenn ich zur Polizei gehe, werden sie Linnie das Gleiche antun. Das kann ich nicht zulassen, sie ist doch erst 12. Bitte sag mir, was ich tun soll!

Anna

 

Entsetzt lasse ich das Papier in meiner Hand sinken. Kann kaum glauben, was ich da lese. Mein Herz hämmert in der Brust. Es will raus zu Anna und sie in den Arm nehmen, sich überzeugen, dass es nicht wahr ist, dass es nicht wahr sein kann. Diese Zeilen müssen ein furchtbarer Irrtum sein. Die unglaublichen Worte auf dem Papier brennen sich in meine Netzhaut und plötzlich kann ich die Wahrheit in ihnen spüren.

»Weidemann, du hast einen Anruf von deiner Schwester.« Die Justizbeamtin öffnet die Tür.

Ich lege den Brief auf dem Bett ab und gehe hinaus. In meinem Kopf herrscht ein überdimensionales Vakuum. Denken ist nicht möglich, alles, was ich jetzt tue, macht mein Körper von ganz allein. Ich folge der Frau zum Telefon. Ich nehme den Hörer ab und hauche ein zartes »ja« hinein.

»Jana?« Saskia schnieft laut. »Es ist etwas ganz Furchtbares passiert.«

Mein Herz setzt einen Schlag aus.

»Anna wurde in der Nacht von einem Auto angefahren. Sie ... sie ist«, ihre Stimme bricht. Dann höre ich leidendes Gewimmer.

»Saskia? Was ist mit Anna?«, schreie ich in den Hörer und möchte meine Schwester am liebsten schütteln, damit sie den Satz beendet. Es ertönt ein Rascheln.

»Jana? Hier ist Ben.« Die Stimme meines Schwagers klingt dünn. »Anna ist ihren schweren Verletzungen vor wenigen Minuten erlegen. Sie ist tot.«

Drei kleine Worte, neun Buchstaben, die meine Welt ins Wanken bringen und mich einknicken lassen.

Sie ist tot.

Weinend lasse ich mich die kalte Wand hinuntergleiten, die ich im Rücken spüre. Die Aufseherin spricht mich an, doch ich höre sie nicht. Ich bin gefangen in einer anderen Welt. In meinem Kopf dreht sich alles. Ich fühle mich wie ein verängstigtes Tier. Jemand packt mich und zerrt mich hoch. Ich lasse es geschehen. Ich werde zurück in die Zelle geschleift, doch so richtig bemerke ich es erst, als ich auf der harten Pritsche liege. Die Aufseherin streicht mir sanft über den Kopf und flüstert mir etwas zu. Ich kann ihren warmen Atem an meinem Ohr spüren, aber verstehe sie nicht. Mein Kopf ist überlastet von der Information, die mich eben torpediert hat. Ihre Worte dringen erst zu mir durch, als sie mich verlässt und die Tür hinter sich verschließt: »Ich werde für sie beten.«

Beten? Ihr Glaube lässt mich kalt. Ich war nie ein gläubiger Mensch, aber wenn es einen Moment gibt, in dem ich mich von diesem »Gott« abwenden würde, dann in diesem Augenblick. Nach einigen Stunden der Trauer ist mir eins klar. Das Ende von Anna ist der Beginn von etwas, das niemals das Licht der Welt hätte erblicken dürfen.

 

Fortsetzung folgt…

2. Lichtblick

 

Eilig stapfe ich mit den schweren Beuteln durch den Schnee. Weiße Wölkchen verlassen dabei stoßweise meinen Mund, wenn warme Luft auf kalte trifft. Ich muss mich beeilen, Sandra wartet schon auf mich. Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht, als ich daran denke, dass wir endlich zusammen sein werden. Monatelang habe ich sie nur aus der Ferne angehimmelt, doch eines Tages habe ich all meine Scheu über Bord geworfen und sie angesprochen. Man muss einfach nur an sich glauben und über sich hinauswachsen, dann kann man alles schaffen. Als ich in meine Straße einbiege, dämmert es bereits und die ersten Lichtinstallationen leuchten auf. In zwei Stunden kommen die Juroren vorbei, dann muss es laufen. Aber ich mache mir keine Sorgen. Bei mir funktioniert alles tadellos.

Mein Grundstück ist das letzte in der Straße, dahinter beginnt der Wald. Ich genieße die Ruhe, die man dort hat. Unser Dorf ist klein und übersichtlich. Jeder kennt jeden. Zumindest glauben das alle voneinander, aber ich denke nicht, dass man wirklich jemanden kennt, nur weil man nebenan wohnt. Ich gebe auch nicht alles von mir preis und vermute, meine Nachbarn tun es mir gleich.

Familie Scheuer legt gerade noch letzte Hand an. Mike, das Familienoberhaupt, steht auf der Leiter und versucht die Lichterketten an der riesigen Tanne im Vorgarten zu befestigen.

»Mensch, Mike, da hast du dich ja mal wieder selbst übertroffen. Sieht toll aus!«, rufe ich ihm zu. »Hast du einen neuen Schneemann?«

»Danke, Dennis. Ja, der Alte ist uns doch im letzten Jahr beim Abbau kaputt gegangen. Und ohne Frosti, den Schneemann, geht es nicht. Jule hat drei Tage lang geweint«, erklärt er. »Aber jetzt ist sie wieder glücklich.« Amüsiert schaut er auf seine kleine Tochter, die freudestrahlend um den neuen Mann in weiß herumtanzt, und »Schneeflöckchen, Weißröckchen« schmettert.

»Na, dann viel Erfolg nachher. Möge der Bessere gewinnen«, rufe ich ihnen zu.

»Bestimmt wird Papa heute der Sieger sein«, prophezeit Jule, deren Augen anfangen zu leuchten.

»Wir werden sehen.« Ich muss lachen, denn ihr Selbstbewusstsein gefällt mir. Als ich ein kleiner Junge war, war ich immer sehr schüchtern. Von Selbstbewusstsein konnte ich nur träumen. Mittlerweile ist das anders. Zum Glück.

Heute werde ich für Sandra etwas kochen. Ich hoffe, sie mag die Rehmedaillons mit Kartoffel-Mandel-Stampf und Apfelrotkohl nach einem alten Familienrezept.

Das nächste Grundstück auf dieser Seite der Straße ist ungeschmückt. Frau Schäfer ist eine Dame um die 80 und bewegt sich mit einem Rollator fort. Aber dennoch lässt sie es sich nicht nehmen, wenigstens auf dem Wohnzimmerfensterbrett für ein bisschen Weihnachtsstimmung zu sorgen. In der Mitte thront ein riesiger beleuchteter Schwibbogen, der eine kleine Stadt mit Weihnachtsmarkt zeigt. Ich halte kurz an, um mir die Dekoration anzuschauen und auf mich wirken zu lassen, auch wenn es jedes Jahr dieselbe ist. Rechts neben dem Bogen befindet eine sich drehende Weihnachtspyramide mit drei Stockwerken. Ganz unten stehen die drei Weihnachtssänger, die ihre Gesangbücher vor sich halten. Auf der zweiten Etage ist der Weihnachtsmann mit seinem schweren Sack auf der Schulter zu sehen und oben der Weihnachtsbaum. Ob er geschmückt ist, kann ich aus dieser Entfernung nur erahnen. Auf der anderen Seite des Schwibbogens parkt der Schlitten, der bis obenhin mit Geschenken gefüllt ist. Die Bänder und Schleifchen leuchten. Es ist nett anzusehen, auch wenn es nicht meinem Geschmack entspricht, denn es erinnert mich an die Erzgebirgsfiguren bei Oma Lotte. Sofort habe ich den Duft von gedecktem Apfelkuchen mit Zimt in der Nase. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Bis auf die hässlichen Figuren erinnere ich mich gern an die Zeit bei ihr. Dort durfte ich Kind sein.

Tief atme ich durch und setze den Weg fort.

Mein Blick geht auf die andere Straßenseite. Dort verbirgt sich im Schutz der Dämmerung die Ruine einer alten Scheune. Durch den reflektierenden Schnee ist sie noch zu erkennen. Seit Jahrzehnten verrottet die Bausubstanz. Das Wetter, die Natur und die Zeit nagen an Stein und Holz. Die meisten Fenster sind inzwischen zerstört. Durch die kurzen, aber informativen Gespräche mit Frau Schäfer weiß ich, dass die Scheune gegen 1899 erbaut wurde. Über 120 Jahre steht sie hier. Was sie wohl alles gesehen und erlebt hat, frage ich mich. Ich erinnere mich, wie ich ein paar Tage zuvor den schweren Jutesack vom Auto ins Haus gezogen habe. Als ich mich dabei umsah, blieb mein Blick an der Scheune hängen. Von Weitem sahen die eingeschlagenen Fenster wie Augen aus, die mich anstarrten. Erneut überkommt mich ein unbehaglicher Schauer.

Ich schüttle die Erinnerung daran ab und versuche an etwas Schönes zu denken. Wenn Sandra sieht, was ich für uns geplant habe, wird sie mich mit Küssen und Dankbarkeit überhäufen. Ich sehe sie direkt vor mir. Ihr bebendes Kinn, wenn sie von der Woge der Überraschung überrollt wird, die feuchten Augen und schließlich ihre weichen warmen Lippen auf meinen. Der Gedanke daran löst einen kleinen umherflatternden Schmetterlingsschwarm in mir aus und sofort wird mir warm ums Herz. Vor einigen Monaten wusste sie nicht einmal, dass ich existiere und jetzt sind wir unzertrennlich. Bevor ich mich getraut habe sie anzusprechen, beobachtete ich sie wochenlang. Ich nahm jede ihrer kleinen zauberhaften Macken in mich auf. Besonders gefällt es mir, wenn sie sich eine Haarsträhne um den Finger wickelt, wenn sie nervös ist. Ich habe mir dann vorgestellt, wie es wäre, mit ihr zusammen zu sein. Mir fehlte es völlig an Selbstvertrauen. Immer wieder beobachtete ich in der Schulzeit, wie viele meiner Klassenkameradinnen lieber mit Jungs ausgingen, die den Mut hatten, sie direkt anzusprechen. Das waren Typen, die genau wussten, was sie im Leben wollten. Schnell wurde mir klar, dass sich die meisten Frauen nicht auf Männer ohne Selbstbewusstsein einlassen werden. An diesem Defizit musste ich dringend bei mir arbeiten. Und ich sollte recht behalten mit meiner Vermutung.

Neben Frau Schäfer wohnt ein unverheiratetes Pärchen, Michelle und Martin. Auch ihr Garten erstrahlt im weihnachtlichen Glanz. Jedes Fenster ist mit einer Lichterkette umrahmt und mit Sternen geschmückt. Auf der Veranda sitzt ein großer Weihnachtsmann in einem Schaukelstuhl, winkt und ruft ein lautes »Ho ho« aus, sobald jemand vorbeigeht. Als ich mich nähere ertönt wie immer tosendes Gebell. Es ist Artemis. Die riesige Dogge mit dem schwarz-weiß gescheckten Fell stürmt auf den Zaun zu. Aus ihren Lefzen tropft der Sabber und ich wünsche mir inständig, dass sie sich jetzt nicht schütteln möge. Sie bellt, unterbrochen von kurzem Knurren, weiter. Hunde mögen mich nicht besonders und ich sie auch nicht. Ich bin eher ein Katzentyp. Als ich die Gartengrenze zu den Nachbarn erreiche, herrscht sofort wieder Ruhe.

Das nächste Grundstück ist nicht bewohnt. Ein riesiges »Zu verkaufen«-Schild lehnt von innen an dem Fenster neben der Eingangstür. Das Haus steht seit Jahren leer. Das Ehepaar, das hier gewohnt hat, verschwand spurlos, als hätte es sich spontan entschieden zu gehen. Nur das Nötigste hatten sie mitgenommen. Vielleicht waren sie Spione? Zumindest kamen sie mir so vor mit ihren neugierigen Blicken hinter der Gardine. Die kurzen Gespräche am Gartenzaun glichen eher einer Befragung, als einem netten nachbarlichen Plausch. Zugegebenermaßen bin ich froh, dass sie nicht mehr da sind. Vielleicht waren sie ehemalige Stasimitarbeiter, wer weiß das schon?

Je näher ich meinem eigenen Haus komme, umso aufgeregter werde ich. Die Freude, Sandra endlich wieder an bei mir zu haben, löst eine Euphorie aus, die mich regelrecht beflügelt. Nachdem ich das Tor geöffnet habe, tänzele ich geradezu durch den Garten. Ich nehme zwei Stufen auf einmal, dann stehe ich voller Erwartung vor der Haustür und drehe den Schlüssel im Schloss.

»Schatz, ich bin wieder da,« rufe ich übertrieben durch den Flur und schließe die Tür hinter mir.

Es kommt keine Antwort, aber das erwarte ich auch nicht. Ich stelle die Beutel auf der Küchenzeile ab und verstaue die Lebensmittel im Kühlschrank. Es ist genug für zwei Wochen. Danach gehe ich in den Keller. Dort sitzt sie. Mein Engel.

»Wie geht es dir, Liebste?«

Sie schweigt.

»Entschuldige.« Ich reiße an dem dicken Klebeband an ihrem Mund. »Was ist los?«

Mit traurigem Blick sieht sie mich an. Ihre Augen sind rot und ihr Gesicht feucht vom Weinen.

»Ich will nach Hause.« Es gleicht einem Flüstern.

»Aber du bist zu Hause.«

Energisch schüttelt sie den Kopf. Die Ketten an ihren Fußgelenken rasseln gegeneinander.

»Wir haben doch darüber gesprochen.« Langsam stehe ich auf. »Wir gehören zusammen und wir werden sehr glücklich werden. Und jetzt sei brav. In ein paar Minuten kommen die Juroren.«

Sandra antwortet nicht, aber das muss sie nicht. Sie weiß genau was ihr blüht, wenn sie nicht spurt.

 

»Herr Klausen, darf ich Ihnen unseren neuen Juror vorstellen? Das ist Herr Pfeifer. Er ist vor Kurzem zu uns gezogen und wohnt am anderen Ende des Dorfes. Herr Hessen von den Stadtwerken kennen Sie ja bereits aus dem letzten Jahr«, erklärt mir die Bürgermeisterin unserer kleinen Gemeinde, während ich beiden die Hand schüttle.

»Hallo, freut mich sie kennenzulernen«, antworte ich mit aufgesetztem Lächeln an Herrn Pfeifer gewandt, dessen Mimik wie eingefroren wirkt.

»Na, dann lassen sie uns beginnen. Sind sie bereit, Herr Klausen?«

»Gewiss.« Mit einer Fernbedienung schalte ich die Installation ein und erwarte ein paar verzückte Laute.

Die dicke Tanne vor dem Fenster erstrahlt im bunten Lichterglanz. Beginnend mit dem untersten Ast, der fast den Boden berührt, zieht sich ein zarter Lichtschlauch spiralförmig bis in die Spitze und endet mit einem leuchtenden Stern.

Jedes Fenster des Hauses und die Eingangstür sind mit Lichterketten umrandet. An der Regenrinne leuchten weiße Stäbchen auf, die aussehen wie Eiszapfen.

»Oh, wie wunderschön«, höre ich die Bürgermeisterin sagen und beobachte, wie sie breit lächelt. Die beiden Männer sind vertieft in ihr Lichterprotokoll und verteilen ihre Punkte für Kreativität, Lichtintensität, Besonderheit und das Gesamtwerk.

Meine Brust schwillt an vor Stolz.

»Sagen Sie, ist dieser Wackelkontakt beabsichtigt?«, reißt mich der neue Juror aus meinem Hochgefühl.

»Bitte?«

Er zeigt auf die Tanne, deren Lichter arrhythmisch an- und ausgehen.

»Nein!« Aufgeregt drücke ich auf der Fernbedienung herum, schaffe es aber nicht, den Fehler zu beheben. In mir brodelt es. Dies sollte mein Jahr werden. Endlich wollte ich die begehrte Illuminationstrophäe gewinnen.

»Das kann schon mal vorkommen«, versucht mich die Bürgermeisterin zu beruhigen. »Machen Sie sich keine Sorgen. Bei den anderen läuft es auch nicht immer glatt.« Als die drei Juroren fertig mit ihren Notizen sind, verabschieden sie sich von mir und laufen weiter zum nächsten Haus. Die Wut, die sich in meinem Inneren ausbreitet, ist grenzenlos. Ich schleudere die Fernbedienung durch den Garten und stampfe, wie ein wild gewordener Stier, zurück ins Haus. Mein Weg führt mich geradewegs in den Keller.

Und da sehe ich meine Liebste, wie sie sich auf unnatürliche Weise streckt, um mit einem Holzstück an die Sicherung zu reichen.

»Spinnst du?«, brülle ich sie an. Sie zuckt erschrocken zusammen und das Holz schlägt laut auf den nackten Beton auf. »So dankst du mir meine Gastfreundschaft?«

Mit wenigen Schritten bin ich bei ihr und lasse meine flache Hand mit Schwung auf ihre Wange klatschen. Die Wucht zwingt sie zu Boden. Im nächsten Moment zerre ich an ihren Fesseln, an Armen und Beinen, um ihren Bewegungsradius auf ein Minimum zu reduzieren.

»Du blöde Kuh, ich hätte dieses Jahr gewinnen können! Aber du versaust mir das.«

Wimmernd sieht sie mich durch ihre verheulten Augen an. Aber das zieht bei mir nicht. »Dafür werde ich dich bestrafen, meine Liebe.« Mit einem Ruck reiße ich ihr das Klebeband vom Mund.

»Au! Nein, nein, bitte nicht«, fleht sie mich an. »Ich werde es nie wieder tun.«

Ein ungläubiges Schnauben dringt aus meiner Nase. »Dein Handeln hat Konsequenzen und mit denen wirst du leben müssen.« Die Vorfreude darüber, was ich mit ihr tun werde, packt mich. Breit grinsend drehe ich mich um und verlasse den Keller. Die Ungewissheit, was mit ihr geschieht, wird sie in den Wahnsinn treiben.

Mit einer Dose Bier mache ich es mir vor dem Fernseher gemütlich und schalte auf mein Lieblingsprogramm. Die Kamera im Keller ist Gold wert. So ist es mir möglich, meine Liebste jederzeit zu betrachten. Ihre Angst scheint greifbar. Hektisch flirren ihre Augen hin und her auf der Suche nach einem Ausweg, den es nicht gibt. Zufrieden lehne ich mich zurück und überlege mir, auf welche Art ich sie bestrafen kann.

Als ich den letzten Tropfen Bier aus der Dose sauge, klopft es an der Tür. Sofort wechsle ich den Kanal im Fernseher.

»Polizei, machen Sie auf!«

»Scheiße«, entweicht es mir. Bewegungslos sitze ich da und überlege angestrengt, was ich tun soll. Ein lautes Krachen durchschneidet die angespannte Ruhe vor dem Sturm.

Eine Handvoll Polizisten drängen in den Flur. Mit erhobenen Händen ergebe ich mich, denn ich sehe ein, dass ich keine Chance habe.

Woher wussten sie es?

»Hier ist eine junge Frau im Keller. Wir benötigen dringend einen Rettungswagen«, ruft ein Beamter von unten herauf. Zwischen dem ganzen Getümmel in meinem Haus, zeigt sich plötzlich ein bekanntes Gesicht. Es ist Herr Pfeifer, der neue Juror. Ein Beamter geht auf ihn zu und schüttelt ihm die Hand. »Vielen Dank, Günter. Was für ein Glück, dass ausgerechnet du in der Lichtblickjury bist.«

»Das Morsealphabet vergisst man nicht so schnell. Ein Wunder, dass die junge Frau es kennt.«

Hier und jetzt habe ich das Spiel verloren.

Vorerst.

3. Der Lebkuchenmann

 

Kritisch sah Elsa auf das Geschenk, das ihr ihre beste Freundin Greta überreicht hatte. »Eine Lebkuchenmann-Backmischung?«

»Ja, die habe ich vom Weihnachtsmarkt.« Greta geriet ins Schwärmen. »Du gibst jeder Zutat eine Eigenschaft, die dein Traummann haben soll, dann rührst du alles zusammen und lässt sie über Nacht stehen. Oder so ähnlich. Am nächsten Tag kannst du dir deinen Traummann backen und es wird nicht lange dauern, bis du ihn triffst.« Die Augen ihrer Freundin leuchteten regelrecht auf, angesichts ihrer tief romantischen Vorstellungskraft.

Im Gegensatz zu ihrer Freundin war Elsa keine Träumerin und der Gedanke daran, dass ihr ein weihnachtliches Gebäck den Mann fürs Leben bescherte, setzte dem Ganzen die Krone auf. Greta hatte eindeutig ihren Verstand verloren.

»Freust du dich?«

Nein, tat sie nicht. Aber Greta spürte das in ihrer unbändigen Euphorie nicht. Elsa rang sich ein Lächeln ab. Sie betrachtete die Verpackung und sah auf das Bild eines blonden Mannes mit Dreitagebart und süßen Grübchen. »Ich hoffe, er schmeckt so gut, wie er aussieht.«

Greta fiel ihr quietschend um den Hals. Flipper, der kleine Beagle, schreckte aus dem Schlaf hoch und kommentierte die Störung mit einem kratzigen Bellen. Beruhigend legte Elsa ihre Hand auf seinen Kopf und strich ihm über das seidige Fell.

»Ich wusste, es würde dir gefallen«, rief sie aufgeregt aus und fegte in ihrer stürmischen Art fast die Weingläser vom Tisch.

»Wie sehr du dich irrst«, sprach Elsa in Gedanken.

Doch Gretas Begeisterung steckte irgendwann an. Ihre Freundin so gut gelaunt zu sehen, war ihr Geschenk genug, denn Greta hatte eine harte Zeit hinter sich. Vor neun Monaten starb ihr jüngerer Bruder bei einem Autounfall. Er war über die Straße gegangen, als sich zwei Vollidioten ein Autorennen mitten in der Stadt lieferten. Er hatte keine Chance. Eins der Autos erfasste ihn und schleuderte ihn einige Meter weiter gegen ein Straßenschild. Für ihn kam jede Hilfe zu spät. Beim Gedanken daran schossen Elsa die Tränen in die Augen. Nur mit Mühe konnte sie verhindern, dass sie über den Wimpernkranz liefen. »Danke! Du bist die Beste. Ich liebe dich!«, flüsterte sie ihrer Freundin ins Ohr und drückte sie fest an sich.

Nachdem sie Greta verabschiedet hatte, brachte sie die Gläser und die Backmischung in die Küche. Sie räumte das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine und drückte auf den Startknopf. Leises geschäftiges Brummen erfüllte den Raum. Flipper kam schwanzwedelnd um die Ecke und setzte sich vor sie. Elsas Blick streifte Gretas Geschenk.

»Back dir deinen Traummann«, las sie vor. »Was für ein Schwachsinn.« Flipper bellte kurz auf, als würde er ihr zustimmen. Sie nahm die Packung und dachte darüber nach, sie in den Müll zu werfen, brachte es aber nicht übers Herz. Ihrer Freundin zuliebe. »Vielleicht kann ich die ja gebrauchen, falls spontan Gäste kommen.« Und so stellte sie die Mischung in den Schrank mit den Backzutaten und schloss die Tür.

»Hunderunde?«, fragte sie das kleine Fellknäuel vor sich. Als habe er genau verstanden, was sie sagte, raste er in den Flur und kam mit der Leine im Maul wieder in die Küche. »Du bist so schlau, mein Süßer,« säuselte Elsa und kraulte dem aufgeregten Hund den Kopf.

 

Mit vollen Taschen lief sie im Slalom durch das überfüllte Einkaufszentrum. Sie hasste das vorweihnachtliche Treiben. Ein Meer aus Menschen versperrte ihr die Sicht. Elsas Herz fing an zu rasen, die Finger wurden unangenehm feucht und ein unsichtbarer Druck auf ihren Brustkorb erhöhte sich und nahm ihr langsam die Luft.

---ENDE DER LESEPROBE---