Dynamic Safe Spaces – Der geschützte Raum - Christina Barandun - E-Book

Dynamic Safe Spaces – Der geschützte Raum E-Book

Christina Barandun

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Beschreibung

Kommunikation in Teams und Ensembles ist eine essenzielle Voraussetzung für ein kreatives künstlerisches Arbeitsumfeld. Die Organisationsberaterin, Moderatorin und Coachin Christina Barandun beschreibt anhand praktischer Tipps und zahlreicher Beispiele aus dem Kulturbetrieb, wie alle am Kunstprozess Beteiligten die Kommunikation verbessern und Lösungsmöglichkeiten bei organisatorischen, emotionalen und kreativen Herausforderungen entwickeln können – etwa durch gezielte Besprechungsformen, Moderationstechniken, Feedbackformate und geschützte Räume (dynamic safe spaces), die einen offenen und vertrauensvollen Austausch ermöglichen. »Präzise in der Beobachtung, emphatisch in der Herangehensweise, kenntnisreich, was die Herausforderungen der Arbeit in Kulturinstitutionen anbelangt – eine praktische Handreichung für die Menschen in der Kunst.« Bettina Masuch, Festspielhaus St. Pölten »In einer Zeit ermüdender Debatten und endloser Absichts­erklärungen ist dieses Buch Motivation und Gebrauchsanleitung in einem.« Maria Kross, Staatstheater Stuttgart »Keine magischen Formeln, sondern feinsinnige und vor allem praxisnahe Tipps für verantwortungsvolles Leiten im Dschungel der notwendigen Transformationsprozesse des Theaters.« Stefan Fischer-Fels, Junges Schauspiel am Düsseldorfer Schau­spielhaus »Ein hochaktuelles und lebendiges Werk, besonders auch für Akteur*innen der Freien Szene.« Simone Schulte-Aladag˘, Tanz­büro München

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Seitenzahl: 263

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Christina Barandun, dynamic safe spaces

Christina Barandun, geb. 1974, ist Theaterwissenschaftlerin und Beraterin für Organisationsentwicklung sowie systemische Coachin für Führungskräfte und Teams. Seit 2013 berät sie Kulturbetriebe und freie Ensembles. Sie lebt in Bonn und ist Gründungsmitglied des Thinktanks »Zukunft des Theaters – networking for change« (www.barandun.de).

Christina Barandun

dynamic safe spaces – Der geschützte Raum

Erfolgreiche Kommunikation in künstlerischen Ensembles und Kulturbetrieben

Alexander Verlag Berlin

»Nichts, was eine Agenda nicht lösen könnte.«H. B.

Originalausgabe

© by Alexander Verlag Berlin 2023

Postfach 19 18 24, D-14008 Berlin

www.alexander-verlag.com | [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Lektorat: Christin Heinrichs-Lauer

Korrektorat: Katja Karau

Grafik/Layout/Umschlaggestaltung: Antje Wewerka

Die Handzeichnungen im Buch stammen von der Autorin.

ISBN 978-3-89581-618-5 (eBook)

»Das methodisch Einmalige an der Herangehensweise von Christina Barandun ist die Verbindung ihrer Sicht als Coach mit der als Theaterexpertin. Ihre Arbeit paart das Beste aus zwei einander befruchtenden Welten: Hier die ganzheitliche und systemische Veränderung von Organisationen, da der künstlerische Betrieb, dessen größte Besonderheit möglicherweise genau in seiner ständigen Form- und Veränderbarkeit besteht.«

Amelie Deuflhard und Jonas Zipf, Kampnagel Hamburg

»Christina Baranduns vielfältige Expertise und ihre ganzheitliche Betrachtungsweise schaffen sehr wertvolle Handlungshilfen für gelingende und achtsame Kommunikation im Theaterbetrieb.«

Nicole Schneiderbauer, Staatstheater Augsburg

»Plötzlich erscheint ergebnisorientierte, konstruktive Kommunikation im Spielbetrieb machbar und man bekommt Lust, neue Techniken auszuprobieren.«

Simone Linhof, Stage Entertainment

»Ein hochaktuelles und lebendiges Werk über Kommunikation und Gruppenprozesse im Feld der Kunstproduktion. Es regt zur Reflexion an und ermutigt gleichzeitig, neue Wege zu gehen. Auch für Akteur*innen der Freien Szene, die stetig in wechselnden Kollektiven und Arbeitszusammenhängen wirken, ist diese Lektüre ein Muss!«

Simone Schulte-Aladağ, Tanzbüro München

Inhalt

Die Kraft des Raums – Vorwort

Eine lernende Kulturorganisation – eine Einladung

Künstlerische und strukturelle Entwicklung im kontinuierlichen Dialo

Ein theatrales Multiversum wertschätzen

Strukturelle Kommunikation als Grundlage einer Lernkultur – Aufbau des Buches

Teil 1

Kommunikations-Architektur: Dynamische Begegnungsräume und Informationsprozesse gestalten und bewahren

Grundlagen einer strukturellen Lernkultur

Komplexitätsgerecht handeln: Prinzipien folgen statt Pläne festlegen

Den Lernprozess institutionalisieren: Wandelbarkeit als Gewohnheit etablieren

Feedback-Schleifen: Kontinuierliche Rückkopplung mit dem gesamten System

Die Besprechung

Was bedeutet »besser kommunizieren«?

Die Besprechung zu einem lebendigen Kraftwerk machen

Den Sinn einer Besprechung klären

– Warum findet die Besprechung überhaupt statt?

– Transparenz und kluges Erwartungsmanagement

– Wider die Besprechungsflut

– Den Grund einer Besprechung nennen

– Wer muss dabei sein?

Die Art und Geschwindigkeit einer Besprechung definieren

Im System oder am System?

– Schnell oder langsam?

– Ineffizienz und Konflikte durch Vermischung

– Prototyp für schnelle Meetings: – Das tägliche Update – das Daily Stand-up

Die Agenda

– Agenda bei Sonderbesprechungen

– Änderungen in der Agenda

Die Rollen: Moderator*in, Protokollant*in, Achtgeber*in, Zeitnehmer*in

– Moderation ist Ausdruck systemischen Denkens und einer neuen Zeit

– Gesprächsführung, Mediation, Präsentation und neutrale Moderation

– Moderation als Lernprozess in der Gruppe – reihum üben

– In der Moderationsrolle mit eigenem Lampenfieber umgehen

– Weitere Rollen in einer Besprechung

→Protokollant*in

→Achtgeber*in

→Zeitnehmer*in

Raum und Material

– Stuhlkreis und Kleingruppen

– Moderationsmittel im Materialschrank

– Kraftort für das Gemeinsame

Checkliste Besprechung

Grundprinzipien für erfolgreiche Gruppenarbeit

Individuelles Lernen und kollektiven Wandel verbinden

Gruppenintelligenz statt Groupthink – Vielfalt statt Konformität

Divergieren, konvergieren und die Groan Zone

Dialog oder Diskussion: Was brauchen wir wann?

Vielfalt hören muss geübt werden

Im-Kreis-Sprechen oder tour de table

→zum Abfragen eines Stimmungsbildes

→bei komplexen Sachverhalten

→bei emotionalen, kreativen Entwicklungen

→in Besprechungen mit Führungskräften

Der Moderationszyklus

1. Phase: Den Rahmen setzen

– Einleitung

– Check-in

– Welche Regeln gelten beim Check-in?

– Gemeinsame Gruppenregeln setzen

– Anmoderationen und Überleitungen

– Redner*innen-Liste

2. Phase: Sammeln

3. Phase: Auswählen

4. Phase: Bearbeiten

– Bedarfsanalyse oder Ideen- und Lösungsentwicklung?

– Die Frage als Denkmotor

– Die klassische Liste

– Brainstorming und Brainwriting

– Karten-Cluster

– Mindmap oder visuelle Beziehungsbilder

– Sich gegenseitig zuhören

– Kleingruppen als Methode

– Schweigen und Pausen

– Vielredner*innen

5. Phase: Planen

– Fokus der Gruppe ändern – auf die nächsten Schritte

– Prioritäten setzen bei der Umsetzung – wichtige Dinge angehen

– Verbindlichkeit schaffen mit smarten Zielen

– Entscheidungen treffen

– Mit Entscheidungen wachsen – die nächsten Schritte setzen

6. Phase: Den Rahmen schließen und Check-out

Checkliste Moderationsablauf

Besonderheit: Online-Treffen

Entscheidungen

Balance zwischen Teilhabe und Dynamik

Delegationsstufen – oder wie viel Partizipation findet statt?

Exkurs: Die Kunst kollaborativer Prozesse in hierarchischen Strukturen – oder was meint »Augenhöhe«?

Beispiele für Entscheidungsformate

– Ansagen oder autokratische Entscheidung

– Vollständiges Delegieren: Beratungsprozess

Gemeinsame Entscheidungsformate

– Demokratische Mehrheits-Entscheidungen

– Konsens-Entscheid

– Konsent-Entscheid

Welches Entscheidungsformat passt zu welcher Fragestellung?

Gruppendynamiken und der Umgang mit Emotionen

Natürliches Auf und Ab – Teamuhr von Tuckman

Geduldig und konstruktiv bleiben

Das Positive verstärken, um die Lautstärke des Negativen auszugleichen

Wider die Trägheit bei gut laufenden Prozessen

Meine eigene Präferenz bei Widerstand kennen

Bedürfnis und Bedürfnisbefriedigung trennen

Emotionen im Wandel: Change-Kurve

Das »Wir gegen andere« überwinden

Bei emotionalen Ausbrüchen: Was tun?

Killerphrasen und ihre Gegenfragen

Zwangsläufige Missverständnisse in der Kommunikation

Zukunftsorientiert statt aufarbeitungswütig

Kommunikationsflüsse gestalten und nutzen

Den Knotenpunkt »Besprechung« ritualisieren und Termine fest einplanen

Pull- statt Push-Prinzip

Verlässliche Informationsquelle, die alle Kanäle speist

Das lebendige Kanban-Board

Regeln für E-Mails und Social Media definieren

Keep it simple!

Aufräumen, loslassen, »putzen«

Weniger angehen schafft schnellere Veränderungen

Eine bewusste Kommunikationsstrategie entwickeln

Motoren des Lernens und Wandelns: Beispiele für Reflexionsformate am System

Einfache Austausch- und Kennenlernformate

Von ausgewählten Kolleg*innen Feedback erhalten

Exkurs: Feedback-Regeln

– Feedback aufnehmen

– Wenn andere Feedback »falsch« geben

Feedback-Dreiklang als Basis-Format

Qualitäten der Formate

Ressourcenorientiertes Fragen am Beispiel des Appreciative Inquiry

Komplimente-Dusche

Institutionalisierte Feedback-Personen im System

Schnittstellenformate wie Produktionsnachgespräche und Gefährdungsbeurteilungen

– Das Produktionsnachgespräch als Beispiel für sparten- und gewerkeübergreifende Feedback-Schleifen

– Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen als konkretes Analysetool

»Die Entwicklungsspinne«

Großgruppenformate im hierarchischen Kontext

Eine Steuerungsgruppe bestimmen

Teilhabe gestalten: Wechsel zwischen Steuerungs- und Großgruppe

Rolle der Moderation in Großgruppenformaten

Emotionale Phasen im Verlauf eines Prozesses

Fishbowl-Format für Kommunikation in Großgruppen

Pausen bei Großgruppenveranstaltungen

Transformationskräfte nutzen dank großer Gruppen (am Beispiel »Theater der Zukunft – Zukunft des Theaters«)

Strukturelle Kommunikations-Architektur im Fluss – eine Zusammenfassung

Teil 2

dynamic safe spaces im Spannungsdreieck – ein Kommunikationsmodell für Probenprozesse

dynamic safe spaces – Feedback, das sowohl künstlerische Grenzüberschreitung als auch emotionale Sicherheit ermöglicht

Emotionen als schwierige Arbeitsinstrumente

Vom safe space zu den dynamic safe spaces

Vier verschiedene safe spaces im dynamischen Miteinander

– Ressourcenaufbau- und Erholungsraum

– Innovations- und Forschungsraum

– Lern- und Integrationsraum

– Verarbeitungs- und Trauerraum

Dynamik der safe spaces: Wie wirken sie zusammen?

Wandel annehmen und im Fluss bleiben

Triebkraft im Wechsel

Spannungsdreieck aus Kunst, Mensch und Organisation integrieren

Typische Reibungsfelder im Spannungsdreieck

dynamic safe spaces im Spannungsdreieck klug kombinieren

Kreative oder emotionale Spannung?

Spannungsdreieck als Matrix denken und bespielen

Dynamisches Spiel in der freischwingenden Matrix

Erweiterung: Freie Szene

Im Proben- und Vorstellungsprozess

Erweitertes Konzeptionsgespräch

Feedback-Einheiten während der Probenphase

Während der Vorstellungsphase

Produktionsnachgespräch

dynamic safe spaces halten und führen

Kommunikation als Entwicklungsmotor für Gruppen – Schlussbetrachtung

Vom Gruppendruck zur Gruppenintelligenz

Zu einer lernenden Gruppe reifen

Der theatrale Erfahrungsraum als Lernort einer Gesellschaft

Fazit: DAS Geheimnis des Erfolges lautet

Bibliografie/Literatur

Dank

Die Kraft des Raums

Vorwort

In den letzten vier Jahren habe ich zunehmend mit Teams, größeren Kollektiven und Ensembles oder Kulturorganisationen gearbeitet. Damit ist das Phänomen der Gruppe verstärkt in mein Leben getreten – in ihrer ganzen Vielseitigkeit. Einerseits mit ihrer Gestaltungswilligkeit, ihrer Intelligenz, ihrer Strahlkraft und Dynamik, andererseits mit ihrer unterschwelligen manipulierenden oder lähmenden Kraft, ihrer brutalen Zerstörungswut und den zahllosen Stracheldrahtzäunen, die sie in einem Raum aufspannen kann.

Während dieser Zeit habe ich immer weiter erkundet, wie die Struktur und Ausgestaltungsformen von »sozialen Gruppen-Räumen« aussehen können und was sie in Bezug auf die künstlerische Praxis bedeuten können. Denn die Arbeit in einer funktionierenden Gruppe ist für mich die wesentliche Grundlage jeder künstlerischen Arbeit, gleichgültig, ob sie direktiv von oben gelenkt wird oder kollaborativ funktioniert.

Dabei ist mir die zentrale Rolle des Raumes – nicht nur des physischen, sondern auch des sozial gestalteten Raumes – noch einmal bewusster geworden. Schon immer habe ich »Räume« mitgestaltet und -getragen: ob in Theaterprojekten oder choreografischen Arbeiten, als Gruppenleiterin in einem französischen Ferienlager, als Organisatorin von studentischen Theaterfestivals oder beim Unterrichten von Tanz und Kampfkunst. Immer ging es darum, einen einladenden Raum mit Rahmenbedingungen zu schaffen, durch die etwas passieren kann, in dem sich durch die Begegnung von Menschen etwas bewegt und entwickelt, eine Gemeinschaft in Transformation entsteht.

Meine Erkenntnis ist: Je besser der lebendige Raum gewählt, vorbereitet, gestaltet, durchdacht und emotional einfühlsam gelenkt ist, desto freier, leichter und entspannter kann die Gruppe miteinander schwingen, konstruktiv bleiben und zu einem nächsten Schritt kommen. Manchmal braucht es nicht mehr als eine Agenda und Moderation.

Letztlich ist dies keine neue Erkenntnis. Sie geht zurück auf das jahrtausendealte Wissen um ritualisierte Räume, die wir auch heute noch auf Familienfeiern, Konzerten, politischen Veranstaltungen, an Schulen, in Vereinen, Gottesdiensten etc. gestalten – Orte, an denen Menschen zusammenkommen und Gemeinschaften bilden, um sich auszutauschen, Übergänge zu gestalten, miteinander zu lernen und zu wachsen, sich zu besinnen und sich – in spirituellen, religiösen Kontexten – auf einen höheren Sinn auszurichten.

Da die Ursprünge des Theaters genau in diesem heiligen Raum liegen, was könnte passender sein, als diese Kraft auch für die Zusammenarbeit auf und hinter der Bühne zu nutzen?

So möchte ich in diesem Buch Tools und Erfahrungen mit allen Kulturschaffenden teilen, die mit Gruppenprozessen zu tun haben – ob als Bühnentechniker*in, Werkstättenmitarbeiter*in, Inspizient*in, Chorsänger*in, Tänzer*in, Darsteller*in, Regisseur*in, Dramaturg*in, Bühnenbildner*in, Theater-/Musikpädagog*in, Mitarbeiter*in in der Verwaltung, in der Masken- und Kostümabteilung, im Künstlerischen Betriebsbüro oder in der Presse- und Öffenlichkeitsarbeit etc. bzw. als Mitglied eines freien Ensembles –, in der Hoffnung, dass Ideen und Impulse und somit kreative geschützte Räume für ein gutes Miteinander im Team entstehen können.

Bonn im März 2023, Christina Barandun

Eine lernende Kulturorganisation – eine Einladung

Derzeit wird in der gesamten Theaterlandschaft nach Reformen verlangt, es werden Strukturdebatten geführt, neue Modelle ausgerufen, die Zukunft des Theaters proklamiert. Wie ein Kulturdezernent in einem Workshop lapidar kommentierte: »Das Theater schreit seit vierzig Jahren nach Reformen.« Und er hat Recht, wahrscheinlich schreit es schon viel länger danach. Oder anders, es wandelt sich kontinuierlich.

Die Welt wandelt sich – seit sie existiert. Die Bedürfnisse aller Mitarbeitenden ändern sich und wollen berücksichtigt werden – seit jeher. Wir suchen nach wirksamen »Lösungen« für die Arbeitsprozesse – seit jeher.

Künstlerische und strukturelle Entwicklung im kontinuierlichen Dialog

»Gut, dann machen wir den Organisationsentwicklungs-Prozess, aber irgendwann muss dann auch mal Schluss sein.« Diese Aussage eines Intendanten in einem Beratungsgespräch bringt für mich eine Grundhaltung auf den Punkt, die mir häufiger begegnet: Warum wird der Arbeitsprozess von dem künstlerischen Prozess abgekoppelt gedacht, wo sie doch so offensichtlich ineinandergreifen? Wenn man zum Beispiel den Bühnenraum anders nutzen will und neue Medien integrieren möchte, müssen letztendlich auch die Arbeitsprozesse in der Technik und sogar in der Verwaltung neugestaltet werden. Möglicherweise müssen neue technische Kompetenzen erlernt oder rechtliche Themen abgefragt werden. Wieso soll es eine fertige, abgeschlossene »Lösung« auf struktureller Ebene geben, wenn wir auf künstlerischer Ebene die Suchbewegung und das Neue so aufregend finden? Oder die gesellschaftlichen Strukturen (in die das Theater selbst organisatorisch eingebettet ist) künstlerisch hinterfragen? Wie soll das Neue auf künstlerischer Ebene mit einmal gelösten und damit auch wieder »veralteten« Strukturen und Prozessen funktionieren?

Die Frage müsste eigentlich lauten: Wie können wir mithilfe von kreativer Energie Veränderungen von Strukturen und Prozessen herbeiführen und auch ihre regelmäßige Anpassung als integralen Teil des künstlerischen Prozesses betrachten?

Ich glaube nicht an die eine strukturelle »Lösung«, an die magische Formel, das Heilsversprechen, bei dem alles »gelöst« ist und wir in einem vermeintlich paradiesischen Zustand angekommen sind, am Ende des Märchens, in der Hoffnung, dass wir nun »glücklich bis ans Lebensende« nur noch Kunst machen können. Denn Kunst gibt es nicht ohne die organisatorische, strukturelle und emotionale Zusammenarbeit. Also ist es sinnvoll, alles zusammenzudenken und gemeinsam zu entwickeln.

Erstrebenswert kann aus meiner Sicht nur sein, die künstlerische Kreativität und Entwicklung um den Blick auf die organisatorische, strukturelle und emotionale Zusammenarbeit zu erweitern und für einen kontinuierlichen gemeinsamen, ineinander verwobenen Lernprozess zu sorgen, hin zu einem ganzheitlich lernenden Theaterbetrieb.1

Ein theatrales Multiversum wertschätzen

Diesen Gedanken können wir auf die gesamte Theaterlandschaft ausweiten. Was das Theater der Zukunft im 21. Jahrhundert angeht, so bin ich fest davon überzeugt, dass es nicht eine Form, sondern eine amorphe, wandelreiche Vielgestalt sein wird, die sich kontinuierlich entwickelt und in den verschiedensten Theaterformen gleichzeitig lebendig sein wird – ein »theatrales Multiversum«.

Die große Herausforderung für uns alle wird sein, das Andere und Vielfältige, für uns Unmögliche wohlwollend stehenlassen zu können und in dem Sowohl-als-Auch, in der Gleichzeitigkeit zu leben.

Es geht weniger darum, alle die über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte verfeinerten Produktionsprozesse und verschiedenen Theaterformen über den Haufen zu werfen, sondern den künstlerischen Menschen heute mit seinen aktuellen Bedürfnissen in den Formen, Strukturen und Arbeitsprozessen mit zu berücksichtigen und zu integrieren, gleichgültig in welchem Format. Dazu zählt auch, die Erwartungen und Haltungen eines Publikums aus dem 21. Jahrhundert mitzudenken.

Vielleicht muss am Ende gar nicht so viel verändert werden. Zumindest ist es im Sinne eines gesunden Wandels ein guter erster Schritt, nicht gleich alles über Bord zu werfen, sondern bei einigen praktischen Stellschrauben zu beginnen. Dazu müssen wir in den Austausch kommen – zwischen den und jenseits der Kunstschaffenden.

Strukturelle Kommunikation als Grundlage einer Lernkultur – Aufbau des Buches

Bevor wir auf Modelle, Strukturen und Formate näher eingehen, müssen wir uns erst einmal über die Grundlage klar werden, die Veränderung überhaupt möglich macht: die strukturelle Kommunikation. Dabei geht es um die Fähigkeit, uns in unseren vielfältigen Stimmen überhaupt wahrzunehmen, die Bedürfnisse jedes und jeder Einzelnen kennenzulernen und keine Perspektive außen vor zu lassen, sondern in einem vielseitigen Dialog die nächsten Entwicklungsschritte gemeinsam hörend zu gestalten, um nicht im Nachgang wieder zurückrudern zu müssen.

Im Folgenden habe ich einige Gedanken und praktische Tipps zusammengetragen, wie sich Kommunikationsstrukturen in künstlerischen Betrieben oder freien Gruppen sortieren und strukturieren lassen, um das Miteinander leichter und fließender zu machen – ohne gleich alles verändern zu müssen.

Im ersten Teil schauen wir uns die Grundgefäße von Kommunikationsstrukturen an: die Gestaltung einer Besprechung mit Moderation, Feedback- und Entscheidungsformaten, den Umgang mit Gruppendynamiken und wie die Ergebnisse dieser zwischenmenschlichen Begegnungsformen in Informationswegen und Prozessen im Anschluss weiterfließen.

Dieser Teil richtet sich an alle Mitarbeitenden in Kulturbetrieben (von der Technik über die Verwaltung bis hin zu allen künstlerischen Abteilungen) und bietet Grundlagen und Handlungsstrategien für die tägliche Zusammenarbeit von Ensembles und Teams in einer freieren Organisation.

Im zweiten Teil sehen wir, wie wir diese (kommunikativen) Gefäße anhand eines Modells, das ich dynamic safe spaces nenne, noch etwas verfeinern und an den künstlerischen Probenprozess mit seinen sensiblen emotionalen und kreativen Räumen anpassen können. In diesem Modell habe ich meine Erfahrungen aus Gesprächen, Workshops und Coachings zusammengetragen, in der Hoffnung, dass Ensembles mit vier verschiedenen safe spaces und ihren jeweiligen Qualitäten eine gemeinsame Sprache entwickeln können, um zu verstehen, wo sie gerade stehen und was sie brauchen.

Das Modell soll helfen, das erfahrungsgemäß unübersichtliche Geflecht von organisatorischen, zwischenmenschlichen und künstlerischen Spannungen und Konflikten zu sortieren und bearbeitbar zu machen. Es ist ein Angebot, wie man sinnvollerweise in dieses sehr fragile Probengebilde überhaupt eingreifen kann, ohne die künstlerische Freiheit und Kreativität und diesen heiligen, geschützten Raum zu stören.

Ich hoffe, mit den Impulsen aus diesem Buch allen am künstlerischen Prozess Beteiligten Hilfestellung zu bieten und somit beim Entwirren, Aufweichen und Strukturieren einiger organisatorischer, prozessualer und zwischenmenschlicher Aspekte des künstlerischen Arbeits-Miteinanders beizutragen, damit Luft und Raum für das Eigentliche entstehen kann: die Kunst.

1 Die Idee der lernenden Organisation hat Peter M. Senge ausführlich in seinem Standardwerk beschrieben: Peter M. Senge: The Fifth Discipline. The Art & Practice of the Learning Organization, Currency, New York 2006.

Teil 1

Kommunikations-Architektur: Dynamische Begegnungsräume und Informationsprozesse gestalten und bewahren

Grundlagen einer strukturellen Lernkultur

Ohne ein Miteinander – den Austausch in Gruppen und die Kommunikation untereinander – kann alltägliche künstlerische Arbeit in Kulturbetrieben und der freien Szene nicht stattfinden.

Oft liegen einem konstruktiven und reibungslosen inhaltlichen und damit künstlerischen Austausch aber organisatorische, strukturelle und gruppendynamische Stolpersteine im Weg: Wichtige Informationen versickern oder erreichen nicht alle; Besprechungen werden persönlich und hochemotional, sind ineffektiv oder finden erst gar nicht statt; sachliche und organisatorische Reibungsflächen oder ungeklärte Rollen und Aufgaben führen zu zwischenmenschlichen Konflikten; der Wunsch nach Arbeit auf Augenhöhe wird mit »Alle reden überall mit« verwechselt und lähmt Entscheidungs- und Entwicklungsprozesse.

Jede*r würde sich am liebsten nur auf »die Kunst« konzentrieren und vermeintlich überflüssige nervige Alltagsprobleme ignorieren. Doch wer die praktischen Dinge außer Acht lässt, wird während des Kunstschaffens permanent von den ungeklärten Organisations- oder Beziehungsproblemen gestört. Wenn eine Musikerin auf einem unbequemen Stuhl sitzt, wird sie sich nicht komplett auf ihr Instrument konzentrieren können. Wenn ein Künstler einen Kommentar, den ihm jemand am Tag vorher an den Kopf geworfen hat, nicht vergessen kann oder er zu viel Angst hat, Bedenken zu äußern, sind seine kreativen Kanäle weniger durchlässig und verfügbar oder er vergeudet viel mentale Energie, um trotzdem Kunst zu machen.

Kommunikation dient letztlich nicht sich selbst. Sie ist das Mittel, das einen Lern-, Entwicklungs- und Entfaltungsraum ermöglicht, in dem wir in Selbstreflexion und in der gegenseitigen Auseinandersetzung aneinander wachsen.

Eine gute, strukturierte Kommunikationskultur in Teams und Ensembles ist eine notwendige Voraussetzung für ein kreatives künstlerisches Arbeitsumfeld. Sie fördert auch persönliches Wachstum, Selbsterfahrung und eine breite Menschenkenntnis – wertvolle Inspirationsquellen für alle Kunstschaffenden.

Die vermeintlich neue Qualität von Kommunikationsformaten in den agilen Formen2, die derzeit als Heilsbringer gelten, ist die Ritualisierung der Kommunikationsstruktur, das heißt der Besprechungen, der Zeitpunkte und der Rückkopplungsschleifen.

Im Grunde ist dies ein uraltes Weisheitsprinzip: Wenn wir lernen und uns entfalten möchten, benötigen wir geregelte Strukturen, die uns mit sanftem Druck »zwingen«, uns zu bestimmten Zeitpunkten miteinander auseinanderzusetzen, unabhängig von den vielen täglichen Notfällen, dem zeitfressenden Tagesgeschäft und manchmal auch der eigenen Unlust. Das bedeutet nicht, dass wir nicht innerhalb der regulierten Räume frei sein können, doch wenn wir miteinander gestalten möchten, sind zuverlässig abgesprochene Zeiten des Zusammenkommens auf wiederkehrender Basis sehr hilfreich. Sie ermöglichen Effizienz, unterstützen den Lernprozess und fördern Vertrauen und Gemeinschaft auf zwischenmenschlicher Ebene.

Auf den folgenden Seiten stelle ich drei wesentliche Handlungsstrategien vor und erläutere, wie strukturelle Kommunikation gelingen kann. Damit können Sie bereits Ihre eigene Kommunikationsstruktur analysieren und gegebenenfalls Änderungsimpulse vornehmen. Die darauffolgenden Kapitel beschreiben Techniken und Beispiele zur konkreten Umsetzung dieser Strategien.

Komplexitätsgerecht handeln: Prinzipien folgen statt Pläne festlegen

Intuitiv greifen die Vorreiter*innen der neuen Arbeitsformen auf alte ritualisierte Strukturen zurück, um ihre stabilisierende Wirkung für unruhige, überraschende und schnelle Wechsel zu nutzen. Besonders in einem derart fluiden Betrieb wie dem Theater, in dem vieles neu geschaffen, kreiert, umgebaut, auf den letzten Drücker geklärt, umdisponiert und organisiert werden muss, gilt es, auf der einen Seite die Kommunikations-Infrastruktur verlässlich zu installieren, um in diesem Sicherheitsnetz auf der anderen Seite eine große Wandlungsfreiheit zu erlangen.

Derzeit findet ein Paradigmenwechsel statt: New Work, Empowerment der Mitarbeitenden, agiles Arbeiten etc. sind Entwicklungen, die einen systemischen Ansatz verfolgen. Die Welt ist hochkomplex, alles wirkt auf alles und jede*n ein und Herausforderungen lassen sich nicht mehr ohne Blick auf das ganze Geflecht an Zusammenhängen lösen. Die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie e.V. beschreibt, dass die systemische Herangehensweise ermöglicht, »komplexe Phänomene, die menschliches Leben und Zusammenleben charakterisieren, komplexitätsgerecht aufzufassen und eine passende Methodik zu ihrer Behandlung zu entwickeln. (…) Die systemische Perspektive rückt deshalb die dynamische Wechselwirkung zwischen den biologischen und psychischen Eigenschaften einerseits und den sozialen Bedingungen des Lebens andererseits ins Zentrum der Betrachtung (…)«.3

Passend zu dieser Entwicklung sind gleichzeitig die hohe gesellschaftliche Akzeptanz und das wachsende Angebot östlicher Praktiken wie Meditation, Yoga, Akkupunktur, ganzheitliche Ernährungsberatung etc., die zum Teil auch von den Krankenkassen übernommen werden und zu Standardangeboten im Betriebssport werden, zu beobachten. Der Philosoph und langjährige China-Experte François Jullien beschreibt, wie wir im westlichen Handeln geprägt sind von der Denkweise, inhaltlich vorzudenken und zu planen mit der latenten Angst und Unsicherheit, dass das Unerwartete und Unplanbare eintritt, für Irritationen sorgt und wir oft mit viel Aufwand und Kosten mühsam erarbeitete Pläne umorganisieren müssen.

Das östliche Denken handelt im Bewusstsein, in einem fortwährenden Strom des Wandels (Tao) zu leben. Es arbeitet mit Rahmenbedingungen, Prinzipien und Strategien, die sich von Moment zu Moment flexibel anpassen und mit dem Lebensfluss in Einklang bringen lassen.4

Wenn ich mich beispielsweise dem Prinzip der Nachhaltigkeit verpflichte, kann ich dieses täglich in nahezu jeder Alltagssituation ohne großen Aufwand anwenden: Ich schalte zu Hause nicht alle Lampen an, ich steige aufs Fahrrad oder nutze den Nahverkehr, um zur Arbeit zu kommen, ich bringe meine eigene Tasse mit in die Kantine für einen Tee oder Kaffee etc. Es bedarf lediglich der Achtsamkeit und Reflexion über das eigene Tun (s. »Motoren des Lernens und Wandelns: Beispiele für Reflexionsformate am System«), um das Handeln mit den eigenen Prinzipien kontinuierlich abzugleichen und gegebenenfalls nachzujustieren.

Auch strukturell lassen sich Rahmenbedingungen schaffen, in denen das Prinzip Anwendung findet: Im persönlichen Umfeld kann das zum Beispiel die Abschaffung des Autos sein, so dass ich gar nicht erst auf die Idee kommen kann, es zu nutzen; in der betrieblichen Produktion kann etwa generell die Regel gelten, Bühnenbilder nur aus vorhandenem Material zu gestalten oder Kostüme nur secondhand zu erwerben oder aus dem Fundus zu nutzen.

Inhaltlich detaillierte Pläne lassen sich in der hyperschnellen, komplexen Welt von heute nicht mehr auf lange Sicht sinnvoll schmieden. Oder sie werden einfach regelmäßig über den Haufen geworfen, was auf Dauer müde macht, die Mitarbeitenden genervt oder krank hinterlässt und damit auch zu sozialen Kosten führt, wie wir es in der Pandemie beim Um- und Neuplanen der Produktionen, der Corona-Schutzmaßnahmen, der Publikumsbeschränkungen etc. gesehen haben.

In diesem Sinne ist der zumindest in unserer Kultur »neue« Anspruch an strukturierter Kommunikation, Abläufe weniger über geplante Inhalte, sondern über prozessorientierte Rahmensetzungen zu gliedern und den Lern- und Wandlungsprozess selbst zu institutionalisieren.

Den Lernprozess institutionalisieren: Wandelbarkeit als Gewohnheit etablieren

Den Lernprozess zu institutionalisieren, zum Beispiel feste Termine für bestimmte Besprechungen zu planen oder die Informationsflüsse gezielt zu gestalten, ist für eine Lernkultur wichtig. Lernen bedeutet Wandel, doch Wandel mögen Menschen nicht grundsätzlich.

Wir sind Gewohnheitstiere. Da wir Veränderungen als mühsam oder eher unangenehm empfinden, neigen wir dazu, die alten Wege weiterzugehen. Eine Gewohnheit zu verändern (s. langsames Denken) ist unbequemer und energiefressender. Auch im Alltag kennen wir dieses Phänomen. Wenn wir uns nicht die Zeit und Aufmerksamkeit nehmen, etwas Neues zu lernen, lassen wir Dinge einfach laufen: »Eigentlich müsste ich mal die Stühle umstellen, das Passwort ändern, den Schrank aufräumen, der Technik Bescheid geben …« – Wir gehen ungern Dinge an, die einen Aufwand bedeuten und eine Gewohnheitsänderung nach sich ziehen. Auf dieser inneren Trägheit beruht auch der Wahrheitsgehalt der Aussage: »Nichts hält länger als ein Provisorium.«

Erst wenn wir uns in regelmäßigen Abständen Zeit zum Innehalten, Hinterfragen und bewussten Ändern von Dingen nehmen, entsteht ein Lernfluss und wir geraten nicht in eine Provisoriumsstagnation.

Eine fest installierte Selbstreflexionszeit hilft uns Gewohnheitstieren Veränderung selbst zur Gewohnheit zu machen (und den inneren Schweinehund zu überlisten) – weg vom Trigger »Oh Schreck, es ändert sich etwas!« und hin zu »Gut, dass sich etwas ändert.«5

Wie es in der Kunst festgelegte Probenzeiten gibt, um Dinge entwickeln und ausprobieren zu können, ohne von Anfang an zu wissen, wohin die Reise geht, so bedarf es auch fester »Begegnungsräume«, die die Möglichkeit bieten, flexibel zu handeln und auch mit Unerwartetem spontan umzugehen.6

Zu einer ritualisierten Struktur gehört es beispielsweise, vorgefertigte Kanäle zu schaffen. Wenig sinnvoll ist es, Kommunikationswege und -gefäße wie zentrale Sitzungen selbst (z. B. Dramaturgie-, Dispo-Sitzungen) immer wieder neu zu terminieren und spontan festzulegen, sondern ganz im Gegenteil: Will ich zügig, situationsgerecht und unmittelbar reagieren, benötige ich sichere, unveränderte und geregelte Begegnungsräume, in denen umgehend Lösungen gefunden werden können und keine wertvolle Zeit mit Terminfindungen verloren geht. Sie sind die zentralen »Lern- und Entwicklungsräume« im betrieblichen Alltag, um eine Kulturinstitution systematisch in eine lernende Organisation zu verwandeln. Sie stellen die Momente einer Wanderung dar, in denen wir auf die Karte blicken und schauen, ob wir überhaupt noch auf dem richtigen Weg sind; sie ermöglichen uns, innezuhalten, um unsere Strategie neu auszurichten, und verhindern, dass wir uns von Produktion zu Produktion an der gleichen Stelle aufreiben. Diese Begegnungsräume können sogar zu Zeiten der Selbstheilung, Regeneration, neuen Ausrichtung und Inspiration werden. Sie bieten Gelegenheit für Austausch auf Augenhöhe, Verarbeitung und Wandlung, hin zum systemischen Wachstum.

Feedback-Schleifen: Kontinuierliche Rückkopplung mit dem gesamten System

Im institutionalisierten Prozess – beispielsweise durch feste Besprechungstermine oder etablierte Informationskanäle – braucht es für ein lernendes System Rückkopplungen zum gesamten System, um von Moment zu Moment mit allen Beteiligten am Puls des Wandels zu sein: das Feedback-Prinzip.

Wir benötigen Rückmeldung, zum einen auf persönlicher Ebene zur Motivation und für das Gefühl, gewertschätzt und Teil des Ganzen zu sein. Nichts ist schwieriger für uns Menschen als das Empfinden, ignoriert und nicht wahrgenommen zu werden. Es ist sehr wichtig zu wissen, wo man gerade steht und ob man auch auf der richtigen Spur ist. Feedback schafft Vertrauen, motiviert (selbst negatives Feedback), gibt Anregungen zur Weiterentwicklung und erdet im Moment. Es ist ein Motor zur Entwicklung, sowohl auf sachlicher, fachlicher als auch auf menschlicher Ebene.

Ein Kommentar, der Steve Jobs zugeschrieben wird: »Danke, dass du diesen Fehler gemacht hast. Was lernen wir als Organisation daraus?« – Gerade für Kunstschaffende ist dieses Instrument der Rückmeldung ihr »täglich Brot«: probieren, ansagen, Kritik üben, das Üben selbst … All dies sind Lernformate und sie führen zu diesem Grundprinzip: ausprobieren, tun, kontrollieren, neu ansagen. Eine Regisseurin gibt einem Schauspieler Rückmeldung, das Publikum gibt durch Applaus Rückmeldung, die Gewerke geben durch ihre Anfertigungen Rückmeldung, die Künstler*innen geben durch ihr Tun Rückmeldung (vgl. Teil 2dynamic safe spaces). Ohne Austausch kein Fortkommen, keine Weiterentwicklung, kein Ergebnis. Angesichts der großen Bedeutung von Feedback ist es oft erstaunlich, wie wenig Wert darauf gelegt wird, dass es sinnvoll, strukturiert und vor allem konstruktiv erfolgt.

Zum anderen benötigen wir Rückmeldung auch im gesamten System, beispielsweise durch Rückkopplungsschleifen in Form von zuverlässig stattfindenden strategischen Reflexions-Besprechungen. Wie ein Navi gleichen sie kontinuierlich ab, ob wir noch auf dem Weg sind, und geben Orientierung – ob unser Handeln noch mit unseren selbstgesetzten Prinzipien oder unserem Anspruch übereinstimmt oder wir das eine oder andere nachjustieren sollten.

Eine Organisation ist wie ein Bindegewebe, in dem viele Individuen miteinander in vielen organisatorischen Abhängigkeiten und Arbeitsbeziehungen gleichzeitig stecken, die auf das eigene Arbeitsfeld Einfluss haben. Je präsenter wir das gesamte Gewebe im lebendigen Austausch vor Augen haben (z. B. durch Anwesenheit in einer Besprechung), desto leichter finden wir den Dreh- und Angelpunkt für einen nächsten passenden Impuls und sind in der Lage zu erkennen, welche Blockade an welcher Stelle sinnvoll gelöst werden sollte.

Zudem ist die Geschwindigkeit zwischen Entscheidung und Auswirkung kürzer. Wir können gleich abfragen, was eine Idee, eine Richtung, eine Entscheidung »im System« bewirken wird, weil wir es an den Menschen und ihren Reaktionen ablesen können oder idealerweise von ihnen gespiegelt bekommen.7 Die Reaktionszeit wird verkürzt und wir vermeiden Gerüchteküche, Missverständnisse und Umwege. Die Kraft vieler Perspektiven schafft stimmigere Lösungen.

Die Herausforderung für Feedback-Schleifen in hierarchischen Systemen ist, dass sie nach oben immer dünner werden. Während Angestellte auf der untersten Ebene laufend Kommentare zu ihrer Arbeit bekommen, wird das Feedback – je höher man kommt – immer weniger und wertloser. Viele Intendant*innen und Geschäftsführende wissen kaum noch wirklich, was im Haus passiert, da sie keine realen Rückmeldungen erhalten. »In der Leitungsrunde sagt niemand etwas«, lautet der Kommentar von Leitenden, wenn ich sie darauf anspreche. Auch hier können Besprechungen gehaltvoll sein, wenn wir uns an einige Formate halten (s. »Im-Kreis-Sprechen oder tour de table – in Besprechungen mit Führungskräften«).

Ziel ist es, vorausschauendes Lernen selbst strukturell zu integrieren (»Jetzt, wo wir gerade darüber sprechen, wird mir nochmals klar …«), und nicht nur dann zu reagieren, wenn bereits etwas passiert ist. Die Kunst ist es, vor oder auf der Welle zu reiten und nicht hinterherzuschwimmen oder von ihr überrollt zu werden.

Und genau hier liegt auch die Brisanz des Feedbacks für ein System – weswegen es im Arbeitsalltag gerne unter den Tisch fällt. Während es meistens überhaupt kein Problem ist, in der Dispo Zeit für die organisatorischen Details und die inhaltliche Gestaltung aufzubringen, gibt es kaum Raum, um »mal grundsätzlich« zu reden. Verständlicherweise, da es sich um Gewohnheitsänderungen handelt und Systeme sich ungern – verändern zumal die Gefahr besteht, dass sich etwas und vielleicht sogar alles wandeln könnte, bzw. die Angst vor dem Ungewissen groß ist. Wir alle ahnen und kennen es aus anderen Kontexten: Wenn erst einmal ein Stein ins Rollen gebracht wurde, kann es gut sein, dass eine Lawine losbricht.

Dies hat zur Folge, dass Verbesserungen in der Zusammenarbeit, in den Abläufen etc. nicht so konsequent und nachhaltig besprochen und entwickelt werden und sich viele Fehlentwicklungen in der Zusammenarbeit über Jahre etablieren und verfestigen. Und dann passiert genau das: Wenn man an einer Stelle rüttelt, kracht plötzlich vieles zusammen.

Um daher einen nachhaltigen, kontinuierlichen Lernfluss in einer Organisation in diesen dynamischen Zeiten zu erhalten, schauen wir uns nun an, wie diese Handlungsstrategien (Prinzipien statt Pläne anwenden, Lernprozess institutionalisieren, Feedback-Schleifen aufsetzen) sich in Besprechungsformaten und Informationsflüssen konkret umsetzen lassen und eine gemeinsame Kommunikations-Architektur ergeben.

2 Scrum, Selbstorganisation, Holocracy etc.

3https://www.dgsf.org/service/was-heisst-systemisch

4 Vgl. François Jullien: Vortrag vor Managern über Wirksamkeit und Effizienz in China und im Westen, Merve Verlag, Berlin 2006.

5 Vgl. Wendy Wood/Dennis Rünger: »Psychology of Habit«, in: Annual Review of Psychology, Vol. 67/2016, S. 306.

6 In der IT-Entwicklung sind agile Prozessabläufe vordefiniert, beispielsweise in der Scrum-Methode mit ihren Sprints, Backlogs, Retrospektiven etc.; im katholischen Ritus wie im Islam gibt es die Stundengebete als einen »Prozessrahmen« für einen Tagesablauf; im Bundestag eine Geschäftsordnung für Sitzungsverläufe; bei Gericht eine Prozessordnung …

7 Dieses Prinzip liegt dem Design Thinking zugrunde, das von David Kelley, Professor an der Stanford University, geprägt wurde. Inspiriert von der Bauhaus-Bewegung mit ihrem interdisziplinären Austausch, um Gebrauchsgegenstände und künstlerischen Anspruch zu verbinden, steht auch beim Design Thinking in der Entwicklungsphase eines Produktes ein enger Austausch mit den Kund*innen bzw. Endnutzer*innen eines Produktes im Mittelpunkt. Vgl. Alois Summerer/Paul Maisberger: Teamwork agil gestalten – Das Mitmachbuch, Hanser Verlag, München 2018, S. 137 ff.

Die Besprechung

Bevor wir in einer Organisation irgendwelche Strukturen ändern oder an inhaltlichen Themen arbeiten, ist es hilfreich, die Kommunikations-Architektur mit ihren Informationskanälen zu reinigen bzw. zu prüfen und gegebenenfalls neu aufzubauen, das heißt die Infrastruktur für einen gelingenden Wandel zu etablieren. Die häufigste Aussage meiner Klient*innen zu Beginn einer Beratung, wenn wir meinen Auftrag festlegen, lautet: »Wir müssen besser kommunizieren.«

Ja, tatsächlich – reden hilft. Ich bin jedes Mal überrascht, wie oftmals lediglich der bewusst gesetzte Rahmen für ein Gespräch reicht, um Lösungen zu finden. Die Kraft ritualisierter Gesprächsräume habe ich als Beraterin und Coachin zu schätzen gelernt. Ich habe auch festgestellt, dass sich etliche Dinge in Gruppen oft viel schneller klären lassen als in Einzelgesprächen. Allerdings haben Gruppen eine eigene Dynamik, wenn man nicht aufpasst und den Rahmen nicht klar festlegt.

In den folgenden Kapiteln schauen wir uns die unterschiedlichen praktischen Hilfsmittel an, um Gruppengefäße zu gestalten. Viele dieser praktischen Absprachen helfen bereits, grundlegende Konflikte gar nicht erst aufkommen zu lassen. Wie wir sie dann noch feiner und kunstgerechter bespielen können, sehen wir im zweiten Teil.

Was bedeutet »besser kommunizieren«?

Was bedeutet Kommunikation? Die Art und Weise, wie etwas vermittelt wird? Oder geht es dabei eher um den Weg, über den etwas vermittelt wird?

In meinem Buch Erste Hilfe für die Künstlerseele8 gehe ich näher auf die Art und Weise und auf die Komplexität der bilateralen Kommunikation ein und gebe praktische Tipps, wie wir Missverständnisse in unserem gesprochenen und vermittelten Wort und Verhalten vermeiden können.

Hier soll es konkret um die Frage der Informationsflüsse von Kommunikation in einer Gruppe oder einer ganzen Organisation gehen: Wann teilen wir wem was über welchen Kanal mit?

Dabei betrachten wir zunächst die großen Informations-Umschlagplätze: Besprechungen