E-Book 11 - 20 - Viola Maybach - E-Book

E-Book 11 - 20 E-Book

Viola Maybach

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Beschreibung

Diese Serie von der Erfolgsschriftstellerin Viola Maybach knüpft an die bereits erschienenen Dr. Laurin-Romane von Patricia Vandenberg an. Die Familiengeschichte des Klinikchefs Dr. Leon Laurin tritt in eine neue Phase, die in die heutige moderne Lebenswelt passt. Da die vier Kinder der Familie Laurin langsam heranwachsen, möchte Dr. Laurins Frau, Dr. Antonia Laurin, endlich wieder als Kinderärztin arbeiten. Somit wird Antonia in der Privatklinik ihres Mannes eine Praxis als Kinderärztin aufmachen. Damit ist der Boden bereitet für eine große, faszinierende Arztserie, die das Spektrum um den charismatischen Dr. Laurin entscheidend erweitert. E-Book 1: 11 - Es begann an einem Tag im Herbst E-Book 2: 12 - Böser Verdacht E-Book 3: 13 - Elsas Geheimnis E-Book 4: 14 - Meine beste Freundin E-Book 5: 15 - Kannst du mich noch lieben? E-Book 6: 16 - Liebe auf den dritten Blick E-Book 7: 17 - Ein dreister Überfall E-Book 8: 18 - Aus Umwegen ins große Glück? E-Book 9: 19 - Kann das wirklich Liebe sein? E-Book 10: 20 - Gib nicht auf, Jasmin! E-Book 1: Es begann an einem Tag im Herbst E-Book 2: Böser Verdacht E-Book 3: Elsas Geheimnis E-Book 4: Meine beste Freundin E-Book 5: Kannst du mich noch lieben? E-Book 6: Liebe auf den dritten Blick E-Book 7: Ein dreister Überfall E-Book 8: Auf Umwegen ins große Glück? E-Book 9: Kann das wirklich Liebe sein? E-Book 10: Gib nicht auf, Jasmin!

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Inhalt

Es begann an einem Tag im Herbst

Böser Verdacht

Elsas Geheimnis

Meine beste Freundin

Kannst du mich noch lieben?

Liebe auf den dritten Blick

Ein dreister Überfall

Auf Umwegen ins große Glück?

Kann das wirklich Liebe sein?

Gib nicht auf, Jasmin!

Der neue Dr. Laurin – Staffel 2 –

E-Book 11 - 20

Viola Maybach

Es begann an einem Tag im Herbst

Ein Unglück folgt dem anderen

Roman von Maybach, Viola

»Was hast du denn erwartet?«, fragte er aufrichtig verwundert. »Dass ich hier wie ein Mönch lebe?«

»Wie ein Mönch? Ich war letzte Woche hier, und vorletzte Woche auch…«

Er kam näher, umfasste mit hartem Griff ihr Kinn. »Na, und?«, fragte er herausfordernd. »Ich bin ein Mann, ich habe meine Bedürfnisse. Jetzt tu doch nicht so, als ­hättest du das nicht gewusst! Ich brauche eine Frau im Bett – aber das hat mit uns überhaupt nichts zu tun.«

Gegen ihren Willen füllten sich ihre Augen mit Tränen. Sie wollte nicht weinen, sie wollte sich von ihm nicht klein machen, nicht demütigen lassen, aber in diesem Moment begriff sie es endgültig: Er war nicht der Mann, den sie bei ihrer ersten Begegnung wenige Wochen zuvor in ihm gesehen hatte. Tröstlich war allein der Gedanke, dass sie­ nicht allzu lange gebraucht hatte für diese Erkenntnis. Sie hatte geglaubt, ihn zu lieben, jetzt erkannte sie, dass sie einem Irrtum erlegen war, ihre Gefühle hatten mit Liebe nicht viel zu tun. Eine rasch aufflackernde Verliebtheit war es gewesen, weil er so attraktiv war, berühmt, begehrt. Alle wollten ihn haben, aber er hatte sich ihr zugewandt. Ja, das hatte ihr geschmeichelt. Jetzt freilich wünschte sie sich, er hätte sie damals übersehen und eine andere Frau mit seiner Aufmerksamkeit beglückt. Aber für solche Überlegungen war es natürlich zu spät.

Der Griff um ihr Kinn lockerte sich, seine Hand wanderte ihren Hals hinunter zu ihrer Schulter, streifte ihren Busen, wanderte zu ihrem Rücken. Er zog sie fest an sich. »Vergiss die anderen Frauen«, flüsterte er, »sie bedeuten mir nichts.«

Sie fühlte sich wie eine Puppe aus Glas. Er will mich zerbrechen, dachte sie, aber sie wusste, dass sie das nicht zulassen würde. Sie hatte seine Eifersucht, seine Wutanfälle für Liebesbeweise gehalten – wie töricht von ihr. Nun wusste sie es besser.

Ihr war klar, was das bedeutete. Sie musste weg. Weg von ihm, weg von hier. Sie konnte natürlich nach dem Wochenende abreisen und ihm ihre Entscheidung schriftlich mitteilen. Aber war das nicht feige? Musste sie es ihm nicht ins Gesicht sagen? Nein, dachte sie, muss ich nicht. Ich bin ihm nichts schuldig, gar nichts.

Sie schob ihn von sich. »Nicht jetzt«, sagte sie so bestimmt, dass er sie tatsächlich losließ.

»Du bist immer noch böse auf mich!«, rief er. »Was soll ich tun, damit du mir verzeihst?«

»Lass dir etwas einfallen«, sagte sie.

Sein Blick war gekränkt, doch im schon im nächsten Moment leuchteten seine Augen auf. »Das tue ich!«, rief er.

Sie hörte, wie er den Zimmerservice anrief und wandte sich ab. Sie ging zum Fenster und sah hinaus in die Nacht, ohne etwas zu sehen. Sie brauchte einen Plan, sie brauchte Mut, sie brauchte Kraft.

Nichts davon hatte sie in diesem Moment. Trotzdem musste sie handeln.

*

»Du bist nicht unbegabt, Konny«, sagte Kevin Laurin zu seinem älteren Bruder, der noch immer mit nassen Augen neben ihm saß. Mitternacht war längst vorüber, aber dieses Gespräch war wichtiger als Schlaf, obwohl sie beide morgen einen anstrengenden Tag vor sich hatten, Kevin in der Schule, Konstantin beim Dreh seines ersten Films. »Ich habe dich gesehen in diesem Theaterstück, ich weiß, worüber ich spreche.«

»Und warum versage ich dann jetzt?«

»Vielleicht bildest du dir das ja nur ein?«

»Nein, ich spüre, wie schlecht ich spiele, wie hölzern. Und ich sehe es an den Gesichtern der anderen. Oliver hat mich gegen den Willen des Produzenten durchgeboxt als Hauptbesetzung für seinen Film, und jetzt geht alles schief. Ich meine, keiner sagt etwas zu mir, alle hoffen, dass ich mich irgendwie fange, aber je mehr ich die allgemeine Enttäuschung spüre, desto verkrampfter werde ich. Und wäre ich wirklich begabt, dann würde ich es trotz meines Lampenfiebers schaffen, richtig gut zu sein.«

Erneut liefen Konstantin Tränen die Wangen hinunter. Seinen großen Bruder weinen zu sehen war das Schlimmste für Kevin. Immer war Konstantin stark gewesen, ein Vorbild. Jetzt brauchte er Hilfe.

»Ich hätte die Schauspielerei weiterhin als mein Hobby ansehen und nicht auf die verrückte Idee kommen sollen, daraus einen Beruf zu machen. Warum habe ich allen gesagt, dass ich nicht mehr Medizin studieren will – oder dass es jedenfalls nicht mehr mein Berufswunsch ist, Arzt zu werden? Ich hätte meinen Mund halten sollen.«

Kevin war erst dreizehn, aber er wusste, wenn er jetzt nicht die richtigen Worte fand, würde sein drei Jahre älterer Bruder vielleicht eine verhängnisvolle Entscheidung treffen. Es stimmte: Er hatte Konstantin auf der Bühne gesehen, bei der Schultheater-Aufführung – und danach hatte es keinen Zweifel mehr an Konstantins wahrer Berufung gegeben, bei niemandem in der Familie, auch bei ihren Eltern nicht, die über die Entscheidung ihres Ältesten zuerst nicht gerade glücklich gewesen waren.

»Ich glaube, du musst mit Oliver darüber reden«, sagte er langsam. »Er ist der Regisseur, er hat dich ausgesucht, und er ist überzeugt davon, dass du die richtige Besetzung bist. Er war es zumindest, er hat gesehen, was in dir steckt. Sag ihm, wie du dich fühlst, dass du selbst merkst, dass du nicht gut bist und dass dir der Druck zu schaffen macht.«

»Aber der Druck wird ja dadurch nicht weniger«, entgegnete Konstantin verzweifelt.

»Vielleicht doch, wenn du darüber redest. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du der Einzige bist, der dieses Problem hat. Nur hast du noch keine Erfahrung, du weißt nicht, wie du damit umgehen musst, damit aus dem Druck ein Antrieb wird, der dich besser macht. Vielleicht brauchst du auch einen Psychologen, der dir hilft. Vor allem hör auf, dir zu sagen, dass du die falsche Entscheidung gefällt hast, denn ich weiß, dass das nicht stimmt.«

»Wie kannst du das wissen?«

»Hab ich doch schon gesagt: Ich habe dich spielen sehen. Mensch, Konny, die Aula hat getobt, als du dich verbeugt hast – was denkst du denn, was die Leute gesehen haben? Denkst du, die haben alle fantasiert und sich eingebildet, dass du gut warst? Du hast so gespielt, dass man Gänsehaut bekommen hat! Und du hast mir selbst gesagt, dass du dich noch nie so glücklich und frei gefühlt hast wie in dem Augenblick, in dem du dich in eine andere Person verwandeln kannst. Das wirst du doch nicht vergessen haben?«

Konstantin wischte sich über die Augen. »Doch«, erwiderte er leise, »das hatte ich vergessen. Ich denke seit Tagen nur noch daran, dass ich alles falsch gemacht habe.«

»Und da liegt der Fehler. Du hast eine richtige und mutige Entscheidung getroffen – mutig, weil du wusstest, dass Mama und Papa nicht begeistert sein würden. Und Opa natürlich auch nicht. Du hast überhaupt nichts falsch gemacht, im Gegenteil! Außerdem: Wer hat dir versprochen, dass es einfach wird? Du bist begabt, aber das heißt ja nicht, dass dir jetzt sofort alles zufliegt.«

»Du redest wie ein Erwachsener.« Überraschung, aber auch Bewunderung schwangen in Konstantins Stimme mit.

»Danke, das muss ich ja auch, damit du morgen anders auftrittst als bisher. Und jetzt sag mir mal ganz genau, warum dir das Drehen mehr Stress macht als ein Theaterstück. Ich meine, auf der Bühne zu stehen ist doch viel gefährlicher, weil das Publikum direkt vor deiner Nase sitzt, während du beim Film alles wiederholen kannst.«

»Das stimmt schon, aber in meiner Theater-AG kannte ich alle, und…« Konstantin verstummte plötzlich.

Kevin wartete geduldig darauf, dass er weitersprach. Er musste eine ganze Weile warten.

»Und alle haben mich bewundert«, sagte Konstantin endlich. »Ich war immer der Beste, weißt du, und ich habe das natürlich gewusst. Ich habe auch gesehen, dass manche von den anderen überhaupt nicht spielen konnten, die haben einfach sich selbst dargestellt. Das hat mir natürlich auch eine gewisse Sicherheit gegeben. Aber jetzt kommen eben die Zweifel, ob ich nicht vielleicht nur deshalb so begabt ausgesehen habe, weil die anderen es eben nicht waren. Die meisten jedenfalls.«

»Soll ich dir mal was sagen? Ich habe, wenn du auf der Bühne warst, die anderen gar nicht mehr gesehen. Es fiel dann auch nicht mehr auf, dass sie nicht spielen konnten. Einige hast du übrigens richtig mitgerissen, fällt mir jetzt auf. Du musst einfach wieder an dich glauben, Konny.«

»Einfach?« Konstantin stieß ein kurzes Lachen aus, fröhlich klang es nicht. »Daran ist überhaupt nichts einfach. Ich weiß jedenfalls nicht, wie ich es anstellen soll.«

»Ich glaube aber doch, dass es einfach ist«, widersprach Kevin. »Erinnere dich an das Gefühl, das du hattest, als du mit dem Spielen angefangen hast. Du hast mir das erzählt an dem Abend, als wir zum ersten Mal darüber gesprochen haben, weißt du noch?«

Konstantin nickte.

»Ich weiß die Worte nicht mehr genau, aber du hast ungefähr gesagt, dass du dich zum ersten Mal frei und glücklich gefühlt hast und dass du wusstest, du bist jetzt am richtigen Platz. Also, so ungefähr.«

»So hat es sich auch angefühlt«, murmelte Konstantin.

»Dann erinnere dich daran, wenn du morgen vor der Kamera stehst: Das ist es, was dich glücklich macht! Das ist es, was du am liebsten auf der Welt tun möchtest.«

»So funktioniert das nicht, Kevin. Wenn ich morgen zum Drehen komme, sehe ich die angespannten Gesichter all der Leute, die jetzt schon denken, dass ich die falsche Besetzung bin.«

»Kann sein, dass sie das denken«, sagte Kevin, »aber sie irren sich, weil sie dich ja noch gar nicht richtig haben spielen sehen. Also zeig es ihnen, du kannst das nämlich. Du musst dich auf das Spielen konzentrieren, auf deine Rolle, auf das, was du dir dazu überlegt hast. Vergiss die Leute. Die haben garantiert schon öfter Schauspieler gesehen, die am Anfang Schwierigkeiten hatten. Ich glaube, dass das ziemlich normal ist.«

Die Tür wurde leise geöffnet, Kaja erschien, sah ihre Brüder auf Konstantins Bett sitzen und schlüpfte ins Zimmer. Sie setzte sich auf Konstantins andere Seite und schlang einen Arm um seine Schultern. »Du schaffst das«, sagte sie.

»Wo … aber woher weißt du denn …?«

»Ich bin dein Zwilling, schon vergessen? Dachtest du, ich merke nicht, dass es dir schlecht geht? Du hast ein paar Startschwierigkeiten, na und? Zeig’s ihnen! Wir Laurins sind Kämpfer.«

Erneut schossen Konstantin Tränen in die Augen, und noch einmal wurde die Tür geöffnet. Kyra, die Jüngste, erschien, schloss die Tür hinter sich und setzte sich ganz selbstverständlich vor Konstantin auf den Boden, lehnte sich an seine Beine und sagte gar nichts.

Konstantin legte ihr beide Hände auf die Schultern. Es war nicht so, dass er keinen Druck mehr verspürte, aber dieser Druck war deutlich geringer geworden. Er würde versuchen, sich seiner Stärken zu besinnen und am kommenden Drehtag einen anderen Eindruck zu hinterlassen als bisher.

Noch wusste er nicht, wie es ihm gelingen könnte, den Schalter umzulegen, aber Kaja hatte es richtig gesagt: Laurins waren Kämpfer.

*

Oliver Heerfeld lief in Ariane Tornows Wohnzimmer wie ein wildes Tier hin und her. Sie hätten beide längst schlafen sollen, aber weder sie noch er dachten daran, ins Bett zu gehen. Oliver fühlte sich wie gelähmt, seit er sich der Erkenntnis stellen musste, dass er eine folgenschwere falsche Entscheidung getroffen hatte, und Ariane fühlte sich mitschuldig an der augenblicklich so unerfreulichen Situation.

Sie war es gewesen, die ihn auf Konstantin aufmerksam gemacht hatte, denn sie leitete die Theater-AG der Schule. Er hatte den Jungen gesehen und sofort gewusst, dass dieser die Idealbesetzung für die Hauptrolle seines neuen Films war. Eine Fehleinschätzung, wie er jetzt wusste. Die traurige Wahrheit: Konstantin Laurin war eine glatte Fehlbesetzung. Vor der Kamera agierte er hölzern und unbeholfen, nichts war mehr zu sehen von dem jungen Mann, der auf der Theaterbühne seines Gymnasiums so glänzend gespielt hatte.

»Warum redest du nicht mal mit ihm?«, fragte Ariane. Sie hatte diese Frage, so oder etwas anders formuliert, schon mehrfach gestellt. »Vielleicht kann er dir erklären, was mit ihm los ist.«

»Ich rede nicht mit ihm, um ihn nicht noch stärker unter Druck zu setzen. Bis heute hatte ich ja immer noch die Hoffnung, dass der Knoten irgendwann platzt und er anfängt, richtig zu spielen. Aber weißt du, was ich mittlerweile glaube? Er hat nur so begabt gewirkt, weil die anderen um ihn herum es eben nicht waren. Ich … ich weiß schon gar nicht mehr, was ich eigentlich in ihm gesehen habe, als ich bei eurer Probe dabei war. Jedenfalls ist nichts davon übrig.«

»Du redest Unsinn«, erklärte Ariane. Sie versuchte, ruhig zu bleiben. Natürlich hatte auch sie sich schon öfter die Frage gestellt, ob sie Konstantin falsch eingeschätzt und Oliver infolgedessen einen falschen Rat gegeben hatte, seit er ihr täglich von den unbefriedigenden Leistungen des Jungen bei den Dreharbeiten berichtete. Aber sie glaubte es nicht.

»Er ist ein außergewöhnlich talentierter Junge, der aber offenbar sein Talent im Augenblick bei euch noch nicht zeigen kann. Entschuldige, wenn ich das so deutlich sage, aber es liegt auch an dir, dem Regisseur, ihm zu vermitteln, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen ist und dass Startschwierigkeiten normal sind – selbst bei Schauspielern, die über bedeutend mehr Erfahrung verfügen als Konny. Er ist sechzehn, Oliver! Er ist in der Pubertät, er hat sich gerade auf das größte Abenteuer seines Lebens eingelassen, er braucht Hilfe. Stattdessen merkt er wahrscheinlich, wie enttäuscht du bist, er vernimmt die wachsende Unruhe im Team – und was tust du? Statt ihm zu helfen, überlegst du dir, ihn rauszuwerfen und durch einen der anderen Anwärter auf die Rolle zu ersetzen.«

»Davon habe ich nichts gesagt!«, widersprach Oliver. »Ich weiß wirklich nicht, wie du auf die Idee …«

Ariane winkte ab. »Hör auf«, sagte sie müde, »versuch bitte nicht, mir oder dir selbst etwas vorzumachen. Statt an den Jungen zu glauben – wofür alles spricht, ich kenne ihn schließlich und weiß, was in ihm steckt – lässt du ihn hängen. Ich hätte dir mehr Durchhaltevermögen und auch Feingefühl zugetraut. Natürlich denkst du bereits darüber nach, ihn zu ersetzen. Glaubst du etwa, ich wüsste nicht, wie sehr deine Produzenten dich unter Druck setzen? Konny war deine Wunschbesetzung, wenn da jetzt etwas schiefgeht, lastet der ganze Druck auf dir.«

Sie hatte sich nun doch in Rage geredet und stellte zufrieden fest, dass Oliver ihre Worte nicht länger zurückwies, sondern dass sie ihn erreicht hatte. Sie schätzte ihn sehr, nicht nur als Regisseur, auch als Mensch, aber in diesem Fall war er befangen: Das Drehbuch zum Film hatte er selbst geschrieben, es war ein Teil seiner Lebensgeschichte. Konstantin stellte also den jungen Oliver dar. Kein Wunder, dass er in diesem Fall besonders kritisch war, aber ihr kam es so vor, als sähe er den Wald vor lauter Bäumen nicht. Wo er sonst einfühlsam und geduldig sein konnte, erwartete er bei Konstantin, dass der aus dem Stand Wunder vollbrachte.

Er gibt den Druck, den er selbst spürt, an Konny weiter, dachte sie. Aber das kann er nicht machen.

Das sagte sie ihm nun auch noch, danach schwieg sie.

Seine Wanderung durchs Zimmer hatte er aufgegeben. Jetzt stand er minutenlang am Fenster, ohne sich zu rühren oder etwas zu sagen. Sie ließ ihm Zeit, obwohl sie nun doch spürte, wie müde sie war. Aber das hier musste sie für Konstantin noch tun, sie hätte es als Verrat empfunden, sich an dieser Stelle nicht einzumischen, zu seinen Gunsten.

»Meine Güte«, sagte Oliver schließlich und drehte sich zu ihr um. »Du hast völlig Recht, Ariane. Ich habe mich von den Produzenten unter Druck setzen lassen, und das hat Konstantin abbekommen. Kein Wunder, dass er nicht funktioniert hat, er hat garantiert gespürt, wie nervös ich war und immer noch bin.«

»Davon gehe ich aus«, bemerkte Ariane trocken. »Und ich habe dich immer für einen coolen Typen gehalten.«

»Ich mich auch. Aber du weißt ja, wieviel mir dieser Film bedeutet. Er ist mir wichtiger als alles, was ich bislang gemacht habe.«

»Gerade deshalb solltest du deine Aufmerksamkeit lieber auf Konny richten und darauf, dass er sich wohlfühlt – statt auf deine Produzenten, die immer noch einen bekannten Schauspieler für die Hauptrolle durchsetzen wollen, weil sie sich davon mehr Zuschauer erhoffen.«

Er ließ sich in einen Sessel fallen. »Aber wie rede ich mit ihm? Wie schaffe ich es, ihn aus dieser Angststarre, in der er sich befindet, herauszuholen?« Er schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Ich war tatsächlich schon so weit, dass ich dachte, ich habe mich geirrt und mir seine Begabung nur herbeifantasiert.«

»Hauptsache, du siehst es jetzt ein. Was das Gespräch betrifft: Ich würde dir ja helfen, aber ich fürchte, das musst du allein hinbekommen. Mein Unterricht beginnt morgen – nein, heute! – mit der ersten Stunde.« Ariane gab sich keine Mühe, ihre Müdigkeit noch länger zu verstecken. Sie gähnte ausgiebig. »Und deshalb würde ich gerne bald ins Bett gehen.«

Er sprang auf. »Natürlich, entschuldige bitte, dass ich dich so lange mit meinem Problem behelligt habe.«

»Das hast du nicht, es war ja auch mein Problem, jedenfalls habe ich es so empfunden, denn ohne mich hättest du Konny schließlich nie kennengelernt – geschweige denn auf der Bühne gesehen.«

Sie brachte ihn zur Tür, wo er sich mit einer langen Umarmung von ihr verabschiedete. »Ich schulde dir was, Ariane. Ich schulde dir sogar ziemlich viel.«

»Du schuldest mir gar nichts, wenn du diese Geschichte mit Konny wieder in Ordnung bringst.«

Er sah sie unglücklich an. »Ich habe leider noch keine Ahnung, wie ich das schaffen soll.«

»Dann gib dir gefälligst mehr Mühe als bisher!«

Sie schob ihn mit sanftem Nachdruck aus der Wohnung. Keine zehn Minuten später lag sie schon in ihrem Bett. Sie hatte getan, was sie konnte, der Rest lag jetzt bei Oliver.

Natürlich blieb sie, trotz ihrer Müdigkeit, noch lange wach.

*

Noch jemand fand in dieser Nacht nur wenig Schlaf: Hans Gronauer saß in seiner Küche und trank heiße Milch mit Honig, ohne auch nur die geringste Wirkung zu spüren. Erst jetzt hatte er es geschafft, sich einzugestehen, dass er an Liebeskummer litt. Lara, seine große Liebe, hatte sich in einen anderen Mann verliebt, in einen berühmten noch dazu. Er war sicher, sie für immer verloren zu haben. Nie im Leben hatte er sich so elend gefühlt. Wie lebten andere Menschen, die Vergleichbares durchmachen mussten, weiter? Wie schafften sie das? Er konnte sich sein Leben ohne Lara nicht vorstellen.

Hätte er ihr seine Liebe doch wenigstens gestanden! Aber sie waren schon lange gute Freunde, er hatte einfach nicht gewusst, wie er ihr sagen sollte, dass sich seine Gefühle für sie geändert hatten. Wie wäre ihre Reaktion darauf ausgefallen? »Du bist der beste Freund, den ich habe, Hans, aber ich liebe dich nicht«? Ja, wahrscheinlich. Wie hätte sie sich sonst in einen anderen Mann verlieben können?

Er hatte sie verloren, so sah es aus. Sie würden sicherlich auch keine Freunde mehr sein können, denn sie würde kaum auf Dauer in München bleiben, wenn der Mann, den sie liebte, in der ganzen Welt zu Hause war.

Noch lebte sie hier, aber gesehen hatte er sie kaum noch, nur gelegentlich telefoniert …

Er schob die Milch von sich und überlegte, ob er nicht lieber einen Kognak trinken sollte, oder besser zwei oder drei. Sie würden ihm wenigstens das Hirn vernebeln, so dass er vielleicht doch noch etwas Schlaf fand.

Sie hatte so glücklich ausgesehen, so strahlend, als sie ihm von ihrer Liebe erzählt hatte. Freilich war sie bei ihrem letzten Treffen blass und in sich gekehrt gewesen, hatte auch gar nicht von ihrem Freund gesprochen, und er hatte nicht aufdringlich erscheinen wollen und deshalb keine Fragen gestellt. Denn es war ja unmöglich, dass eine Liebe, die gerade erst begonnen hatte, so schnell wieder endete. Er war noch nicht oft verliebt gewesen, aber am schönsten hatte er immer die ersten Monate gefunden, in denen man ständig wie auf Wolken ging und die ganze Welt in den hellsten Farben sah.

Wahrscheinlich, überlegte er, hatten sie gestritten. Der erste Streit war immer schrecklich, weil man so unsanft aus dem Himmel zurück auf die Erde geholt wurde. Ja, so hatte sie ausgesehen, als hätte sie gerade den ersten Streit hinter sich – und dass sie darüber mit ihm nicht hatte reden wollen, war ja verständlich. Dabei hatten sie sich eigentlich immer alles erzählen können, das war beinahe das Schönste an ihrer Freundschaft gewesen. Mit niemandem hatte er so gut reden können wie mit Lara.

Er trank noch etwas von der Milch, obwohl sie ihm nicht half. Ihm stand, trotz seiner trüben Gedanken und der vor ihm liegenden schlaflosen Stunden, nicht der Sinn nach Alkohol.

*

Lara Cornelius lag ganz still, nur ihre Gedanken waren in Bewegung. Der Mann neben ihr schlief. Sie hatte ihm zwei Schlaftabletten in den Champagner getan. Nicht gerade die feine Art, aber sie sah es als eine Art Notwehr an.

Vorsichtig musste sie trotzdem sein, das war ihr klar. Vorsichtig und schnell. Doch sie lag immer noch bewegungslos im Bett und lauschte auf die Atemzüge des Mannes neben ihr. Als sie sich, nicht zum ersten Mal, bewusst machte, was es bedeuten würde, wenn er aufwachte und sie dabei erwischte, dass sie ihre Sachen packte, um dieses Hotel heimlich zu verlassen, stockte ihr der Atem, und sie merkte, wie ihr die Angst in die Eingeweide kroch. Ihr wurde kalt, unwillkürlich zog sie die Bettdecke ein Stück höher.

Andreas Herzog, der Mann neben ihr, war derzeit der beliebteste Schauspieler des Landes, mit einem Bein bereits in Hollywood. Groß, gutaussehend, angebetet von unzähligen Frauen jeden Alters. Sie hatte sich sehr schnell in ihn verliebt, und in den ersten Tagen war es auch großartig gewesen, aber danach hatte er seinen wahren Charakter nicht länger verbergen können. Sein Leinwand- oder Talkshow-Gesicht war nur Fassade. Er war besitzergreifend, rasend eifersüchtig und jähzornig. Überdies glaubte er, dass sich die ganze Welt ausschließlich um ihn zu drehen hatte. Wenn sie einen anderen Mann auch nur mit einem Blick streifte, konnte er schon ausrasten, wobei er sich ganz selbstverständlich jede Freiheit nahm in Bezug auf andere Frauen. »Das hat doch mit uns nichts zu tun, ich brauche das einfach!« Er schlief mit anderen Frauen und verlangte von ihr, dass sie das tolerierte. So wie heute, als sie angereist war und es vermutlich nur einem glücklichen Zufall zu verdanken gewesen war, dass er bei ihrer Ankunft nicht mehr mit der anderen im Bett gelegen hatte. Das war der berühmte Tropfen auf den heißen Stein gewesen.

Ihre Verliebtheit war ja zuvor schon fassungsloser Ernüchterung gewichen, jetzt wollte sie nur noch weg von ihm. Kaum vier Wochen war ihre Beziehung alt, es war Zeit, dass sie handelte.

Er bewegte sich, und einen schrecklichen Augenblick lang dachte sie, er würde aufwachen. Rasch schloss sie die Augen, zwang sich dazu, ganz ruhig weiter zu atmen. Er schnaufte einmal kurz, dann drehte er sich auf die andere Seite, mit dem Rücken zu ihr. Ganz langsam entspannte sie sich wieder. Die zwei Schlaftabletten sollten, zusammen mit der großen Menge Alkohol, die er zu sich genommen hatte, eigentlich ausreichen, um ihn lange schlafen zu lassen.

Hans fiel ihr ein, und im selben Augenblick fühlte sie sich besser. Sobald sie wieder zu Hause war, würde sie mit ihm reden, ihm schildern, wie es ihr ergangen war. Sie hatte ihn vermisst, die Gespräche mit ihm, sein warmes Lächeln, seine schöne Stimme. Noch nie hatte sie sich in seiner Gegenwart unwohl gefühlt.

Ohne noch länger nachzudenken schwang sie lautlos ihre Beine aus dem Bett und richtete sich auf. Sie blieb einen Moment lang sitzen und lauschte, aber Andreas‘ Atemzüge erklangen ganz regelmäßig weiter, er schnarchte sogar leise. Sie stand auf, dankbar für die dicken Teppiche, mit denen diese Luxussuite ausgelegt war, die er während der Dreharbeiten zu seinem neuesten Film bewohnte. Ihre Schritte waren nicht zu hören.

Rasch ging sie ins Bad. Sie machte kein Licht, während sie ihre Toilettensachen einpackte. Wie gut, dass ihr kleiner Koffer im Nebenzimmer stand, dort hingen auch die wenigen Kleidungsstücke, die sie mitgebracht hatte, im Schrank. Sie zog sich an, packte hastig und nicht sehr sorgfältig den Koffer und blieb noch einen Moment stehen, um den schlafenden Mann ein letztes Mal anzusehen. Sie wusste, dass es feige war, auf diese Weise Schluss zu machen – und sie würde ihm später eine Nachricht schicken, um es ihm zu erklären. Aber sie wusste auch, dass sie keine andere Chance hatte, als auf diese Weise zu gehen.

Das war’s, dachte sie, ging zur Tür, öffnete und schloss sie wieder. Unten an der Rezeption sagte sie, sie müsse leider sofort aufbrechen, eine Familienangelegenheit. Nein, vielen Dank, sie brauche kein Taxi.

Was sie nicht sagte: dass sie immer noch Angst hatte, Andreas könnte aufgewacht sein und plötzlich in der Lobby auftauchen und sie im letzten Moment noch aufhalten.

Sie verließ das Hotel. Die Taxis, die davor warteten, ignorierte sie. Sie würde ihren Flug verfallen lassen und mit dem Zug fahren. Es war nicht weit bis zum Hauptbahnhof, dorthin konnte sie laufen.

Sie hatte Glück, dass wenig später ein ICE Richtung Süden fuhr. Erst als dieser sich in Bewegung setzte, ließ ihre Anspannung ein wenig nach.

Die Gefahr, dass Andreas in München auftauchte und ihr dort eine Szene machte, sah sie nicht. Er spielte natürlich die Hauptrolle in seinem neuen Film, er war beinahe in jeder Einstellung zu sehen, musste also ständig am Drehort sein. Außerdem war er zu bekannt, um unliebsames öffentliches Aufsehen zu riskieren. Er würde toben, sich betrinken und mit einer Reihe von Frauen schlafen, um sein angeknackstes Selbstbewusstsein wiederaufzurichten. So funktionierte er, wie sie mittlerweile wusste. Aber das war dann nicht mehr ihr Problem.

Nachdem ihre Fahrkarte kontrolliert worden war, schlief sie ein. Es war ja noch Nacht draußen, und hier im Ruhebereich war es ganz still. Endlich fühlte sie sich sicher.

*

Als Andreas Herzog erwachte, brummte ihm der Schädel. Der Platz im Bett neben ihm war leer. Lara war also im Bad, er hatte nicht gehört, dass sie aufgestanden war.

Er angelte nach seinen Kopfschmerztabletten, die sonst immer griffbereit auf seinem Nachttisch lagen, aber heute nicht. Sie hatten zu viel Champagner getrunken am vergangenen Abend. Lara war ja beleidigt gewesen wegen der kleinen Kostümbildnerin, mit der er schon mehrmals im Bett gewesen war. Um Lara zu versöhnen hatte er ein Luxusessen mit Austern, Kaviar und viel Champagner springen lassen. Leider hatte er danach nicht mehr so funktioniert wie gewünscht, das wollte er jetzt nachholen.

Der Gedanke an Laras weichen, verführerischen Körper machte ihn ganz wild.

Als er lauschte, war aus dem Bad nichts zu hören.

»Lara?«, rief er.

Sie antwortete nicht. War sie etwa immer noch sauer? Das Essen hatte ihn ein Vermögen gekostet, wie konnte sie da immer noch sauer sein?

Er wollte aus dem Bett springen, schrie aber auf, als er sich zu schnell bewegte. Sein Kopf drohte zu zerplatzen. Ihm fiel jetzt auch ein, dass er den Abend nicht mit Champagner, sondern mit Grappa beendet hatte – mit viel Grappa. Oder war es Kognak gewesen? Offenbar erinnerte er sich nicht mehr an alle Einzelheiten, aber dass es unerklärlicherweise mit dem Sex nicht mehr geklappt hatte, das wusste er noch. Dabei konnte er sonst trinken, so viel er wollte, Sex ging bei ihm immer.

Er merkte, wie Ärger in ihm aufstieg. Das war Laras Schuld ge­wesen, weil sie immer so ein Theater machte, wenn er mit anderen ­Frauen schlief. Lächerlich! Ein Mann wie er hatte doch wohl das Recht, sich zu nehmen, was er wollte. Er brauchte das, er war sonst als Schauspieler einfach nicht gut.

»Lara, verdammt noch mal!«, schrie er.

Sie antwortete noch immer nicht. Er brauchte erst einmal Tabletten gegen den Kater, so viel stand fest. Aber sie fanden sich auch in der Schublade nicht, ausgerechnet heute, wo er sie dringender als sonst brauchte. Sein Ärger wuchs. Viel fehlte nicht, und er würde ausrasten, das spürte er.

Endlich stand er, aber er musste sich am Bett abstützen, um ihn drehte sich alles, die Kopfschmerzen wurden unerträglich. Langsam tastete er sich zum Bad vor, warf auf dem Weg dorthin einen Blick ins zweite Zimmer seiner Suite, dort war Lara jedenfalls nicht. Er riss die Badezimmertür auf und starrte entgeistert in den leeren Raum.

Sie konnte ja nicht weg sein! Er stolperte zurück ins Zimmer, dann ins zweite, riss die Türen der Schränke auf – ihre Sachen waren nicht mehr da. Ihr Koffer war ebenfalls verschwunden. Doch noch immer wollte er nicht glauben, was doch offensichtlich war. Er versuchte, sie anzurufen, erreichte sie aber nicht. Er rief bei der Rezeption an und bekam die Auskunft, Frau Cornelius sei abgereist – ja, noch in der Nacht. Sie habe von einem Notfall gesprochen.

Er griff nach der Kognakflasche, in der sich noch ein Rest befand, den er direkt aus der Flasche trank. Als er sie geleert hatte, schleuderte er sie in den großen Spiegel gegenüber vom Bett, der sofort in tausend Stücke zersprang. Aber das war noch nicht genug, noch lange nicht. Er ergriff einen Stuhl, den er mit einem wuchtigen Schlag zertrümmerte, während er zugleich einen Schrei ausstieß, der weithin zu hören war. Sie war gegangen, heimlich wie eine Diebin hatte sie sich aus dem Zimmer geschlichen. Aber er war Andreas Herzog, und einen Andreas Herzog verließ man nicht!

Er sah rot. Seine Kopfschmerzen waren kaum noch zu ertragen. Er griff nach dem nächsten Stuhl und schleuderte ihn Richtung Fenster. Doch das Glas widerstand, was seine Wut verstärkte. Erneut griff er nach dem Stuhl und hieb ihn in das Fenster, bis das Glas splitterte. Die Zerstörung zu sehen, das brechende Glas zu hören, tat ihm gut, aber noch immer war es nicht genug. Er fegte alles, was sich auf dem Schreibtisch befand, auf den Boden, zertrümmerte den Fernsehapparat, riss das Telefonkabel aus der Wand und stürzte den Schreibtisch um, nachdem er zwei leere Champagnerflaschen darauf zerschlagen hatte. Anschließend machte er sich über das Bad her.

Er zertrümmerte jede Spiegelfläche, danach setzte er das Bad unter Wasser. Als er gerade das zweite Zimmer betreten hatte, um auch hier alles kurz und klein zu schlagen, betraten mehrere Polizeibeamte den Raum.

Ihre Uniformen stachelten seine Wut von neuem an, obwohl ihm eine innere Stimme sagte, er solle jetzt besser aufhören. Aber er dachte nicht daran, auf diese Stimme zu hören, er ging mit erhobenen Fäusten auf die Beamten los und gleich darauf zu Boden. Einer der Männer hatte ihn mit einem gezielten Schlag kampfunfähig gemacht.

Schreien aber konnte er noch, und das tat er auf dem ganzen Weg durch das Hotel – bis zu dem wartenden Polizeiauto, das direkt vor dem Eingang stand. Er war in Handschellen abgeführt worden.

Erst als das erste Blitzlicht aufflammte und danach noch mehrere andere, wurde er schlagartig nüchtern und dachte: ›Was habe ich getan?‹ Aber für Reue war es zu spät, das wusste er. Und er wusste auch, dass Angriff die beste Verteidigung war.

Also würde er angreifen.

*

»Habt ihr alle vier schlecht geschlafen oder was ist los mit euch?«, fragte Antonia Laurin ihre Kinder beim Frühstück.

Auch ihr Mann Leon, der sich in diesem Moment zu ihnen setzte, warf einen verwunderten Blick in die Runde. »Ihr seht aus, als hättet ihr eine Party gefeiert. Dabei standen doch heute wichtige Dinge an, oder? In der Schule und beim Drehen.«

Kaja, Kyra und Kevin sahen ihren Bruder an, als wollten sie ihm die Antwort überlassen.

Antonia und Leon wechselten einen fragenden, aber auch beunruhigten Blick. Etwas war hier im Gange, von dem sie bislang offenbar noch nichts wussten.

»Ich hatte heute Nacht so etwas Ähnliches wie einen Zusammenbruch«, sagte Konstantin endlich. »Weil ich nämlich richtig schlecht bin beim Drehen bisher. Und weil ich dachte, dass ich eine falsche Entscheidung getroffen habe. Ich dachte, ich habe euch enttäuscht und Opa – und alles war umsonst, weil ich nämlich gar nicht begabt bin, sondern mir das nur eingebildet habe.«

»Aber …«, begann Antonia, doch Konstantin unterbrach sie sofort.

»Nicht, Mama, lass mich reden. Es ist wichtig, dass ich es euch sage, denn ich muss nachher mit Oliver reden und versuchen, ihm klarzumachen, was mit mir los ist. Ich glaube, er denkt darüber nach, mich zu ersetzen, weil ich seinen Erwartungen nicht gerecht werden kann. Ihr könnt mir glauben, dass ich wirklich schlecht war bisher, ich habe das gespürt. Alles wirkt falsch, unecht, meine Bewegungen stimmen nicht, ich leiere meinen Text herunter, ich …« Er schüttelte den Kopf. »Alles, was mir in der Theater-AG bei Frau Tornow leichtgefallen ist, ist weg. Ich komme mir vor wie jemand, der einen schweren Unfall hatte und alles neu lernen muss: laufen, hören, sehen, sprechen. Es ist, als könnte ich gar nichts mehr. Deshalb habe ich angefangen, an mir zu zweifeln – so sehr, dass ich entschlossen war, alles hinzuwerfen, euch um Verzeihung zu bitten und nie wieder einen Gedanken daran zu verschwenden, dass ich gerne Schauspieler wäre. Aber zugleich hatte ich das Gefühl, ich würde, wenn ich darauf verzichten muss, nie wieder glücklich sein können. Und genau in dem Moment, als ich das dachte, kam Kevin zur Tür herein und hat mir gesagt, dass sich nicht alle, die mich spielen gesehen haben und fanden, dass ich gut war, geirrt haben können, zumal ja auch Fachleute dabei waren – und dass ich wahrscheinlich blockiert bin und darüber offen mit Oliver reden muss und … na ja, dann kam Kaja und zum Schluss Kyra, und irgendwann konnte ich dann aufhören zu weinen und zu zittern. Und deshalb gehe ich heute früher los und rede zuerst mit Oliver. Deshalb jedenfalls sehen wir so müde aus. Wir haben alle zu wenig geschlafen – meinetwegen. Aber ich … ich war noch nie so froh wie heute, dass ich … dass ich so eine Familie habe.«

Sie mussten nicht mehr viel sagen, erkannten Antonia und Leon. Das hatten ihre anderen drei Kinder bereits erledigt.

Als Konstantin sich verabschiedete, schlossen sie ihn nacheinander fest in die Arme und drückten ihn an sich. »Alles Gute«, flüsterte Antonia, und Leon sagte: »Du schaffst das, Konny!«

Zu Kaja, Kyra und Kevin aber sagte Antonia, als Konstantin gegangen war: »Das habt ihr sehr gut gemacht.«

»Wir danken euch dafür«, setzte Leon hinzu.

*

Oliver fragte sich, wie er diesen Tag durchstehen sollte. Er war unausgeschlafen, miserabel vorbereitet, und er musste dieses schwierige Gespräch mit Konstantin führen, vor dem ihm graute. Er würde sehr behutsam vorgehen müssen, um den Jungen nicht noch weiter zu verschrecken, aber er fragte sich jetzt doch, wie es Konstantin gelingen sollte, von einem Tag zum anderen den Schalter umzulegen und wieder der beeindruckende junge Schauspieler zu werden, den er auf der Bühne des Gymnasiums gesehen hatte.

Wenn er ehrlich war: Keine von den bislang gedrehten Szenen mit dem Jungen war gut genug für seinen Film. Sie würden sie noch einmal drehen müssen oder er musste die eine oder andere unter den Tisch fallen lassen. Zum Glück hatten sie mit weniger wichtigen Szenen begonnen, aber bald würde die erste Schüsselszene auf dem Drehplan stehen. Wenn sich bis dahin nichts Entscheidendes getan hatte, wenn sich die Blockade des Jungen als hartnäckig erwies, so dass sie nicht so schnell gelöst werden konnte …

Ihm wurde allein von diesem Gedanken schon übel.

Er stellte sich unter die Dusche – immerhin mit dem Resultat, dass er danach einigermaßen wach war. Ein starker Kaffee würde ein Übriges tun, aber er musste ja nicht nur die nächsten Stunden durchstehen, sondern den ganzen langen Tag, an dem auch ohne Probleme mit dem Hauptdarsteller genug Arbeit auf ihn wartete.

Sein Telefon meldete sich, sein Regieassistent Sven Tobler war am Apparat. »Hast du es schon gehört?«, fragte er. Er klang beneidenswert munter.

»Nein, was denn?« Bloß kein neues Problem, dachte Oliver. Ich schaffe das einfach nicht.

»Andreas Herzog hat in Hamburg eine Hotelsuite kurz und klein geschlagen. Die haben ihn rausgeschmissen, stell dir vor. Die Polizei ist angerückt und hat ihn mitgenommen. Na ja, ist ja nicht das erste Mal, dass er ausrastet, aber rausgeschmissen hat ihn bis jetzt noch niemand. Sei also froh, dass er die Rolle des Vaters in deinem Film abgelehnt hat, weil sie ihm zu klein war. Ich habe dich damals, als die Produzenten diese Idee hatten, ja gleich gewarnt.«

»Das haben danach noch andere getan. Da werden die Produzenten seines Films ja einiges zu tun haben. Weiß man, warum er ausgerastet ist?«

»Seine Freundin hat ihn angeblich verlassen, das hat er nicht gut verkraftet.«

»Diese schöne Blonde? Ich habe ein paar Fotos von ihr gesehen, sehr schöne und elegante Frau.«

»Sie hat offenbar ziemlich schnell begriffen, was er für einer ist, lange war sie ja nicht mit ihm zusammen. Sei froh, dass du dich jetzt nicht auch noch um so ein Problem kümmern musst.«

»Ich rede heute mit Konstantin«, sagte Oliver. »Das hätte ich besser schon vor zwei Tagen tun sollen, aber ich hatte einfach Angst, ihm noch mehr Druck zu machen. Er wirkt ja so schon wie gelähmt.«

»Ich glaube immer noch an ihn«, sagte Sven. »Ich war ja damals bei dieser Schultheater-Aufführung dabei. Er hat’s drauf, aber er steht im Augenblick neben sich, und bisher war er auch nicht ansprechbar. Ich habe es einmal versucht, aber er hat sofort zugemacht.«

»Ich hoffe, ich kann ein offenes Gespräch mit ihm führen. Dafür brauche ich ein bisschen Zeit, kannst du mir die irgendwie verschaffen?«

»Äh …« Oliver hörte ein Geräusch im Hintergrund und Sven, der etwas sagte, was er nicht verstand. Gleich darauf war seine Stimme aber wieder klar zu hören. »Komm einfach so schnell wie möglich zum Drehort. Du wirst nicht glauben, wer hier gerade hereinspaziert ist.«

»Konny?«

»Konny! Er meinte, er müsste mit dir reden.«

»Ich bin gleich da.« Vielleicht wollte Konstantin von sich aus hinschmeißen? War das nicht vielleicht sogar die beste Lösung?

Kaum hatte Oliver das gedacht, als er sich auch schon schämte. Er hatte nicht vergessen, was Ariane ihm gesagt hatte, und im Grunde seines Herzens glaubte er auch immer noch an Konstantins Talent. Er musste es nur endlich zeigen …

*

Konstantin war blass und sah müde aus, aber er wirkte anders als der Junge, der jeden Tag ein wenig verkrampfter zu den Dreharbeiten erschienen war, das sah Oliver sofort, als er zum Drehort kam. Die Beleuchter trafen gerade ein, auch eine Maskenbildnerin war schon da. Drehbeginn würde in anderthalb Stunden sein.

»Ich wollte auch mir dir reden, Konny«, sagte Oliver. »Entschuldige bitte, dass ich dir kein guter Begleiter war an diesen ersten Tagen. Ich hätte dir besser zur Seite stehen müssen.«

»Ja, vielleicht«, erwiderte Konstantin, »aber ich hätte ja auch von mir aus auf dich zugehen und dir sagen können, dass ich mich plötzlich wie gelähmt fühle, weil ich denke, alle anderen sind gestandene Schauspieler und viel besser als ich, ich schaffe es einfach nicht, neben ihnen zu bestehen. Dieser Gedanke lähmt mich, ich werde ihn einfach nicht los, dabei habe ich es versucht.«

»Mach mal die Augen zu«, sagte Oliver.

Konstantin sah verwundert aus, gehorchte aber.

»Und jetzt stell dir eure Bühne in­ der Schule vor, versetz dich in die­ Rolle, die du in dem Stück gespielt hast. Lass die Augen geschlossen.«

Konstantins Haltung veränderte sich unwillkürlich, ebenso wie sein Gesichtsausdruck. Er hatte einen unangenehmen Charakter gespielt, man sah es ihm jetzt an. Oliver lächelte.

»Und jetzt stell dir den Drehort vor, die Küche, in der die nächste Szene spielt, wo du eine Auseinandersetzung mit deiner Mutter hast, die anfängt zu weinen, als sie hört, dass du weggehen willst. Vielleicht fällt dir eine Szene ein, die sich bei euch zu Hause so ähnlich abgespielt hat. Stell sie dir vor.«

Wieder veränderte sich Konstantins Haltung, sein Gesicht wurde weich, verletzlich, seine eben noch straffen Schultern sackten nach vorn.

»Das ist es«, sagte Oliver. »Du kannst die Augen wieder öffnen. Konzentrier dich auf dich, vergiss alle, die herumstehen und sich dieses und jenes denken. Es ist nicht wichtig. Sehr viele Schauspieler machen am Anfang die Erfahrung, die du jetzt gemacht hast – und wäre ich nicht so verbohrt gewesen, hätte ich dir das schon längst gesagt. Aber dieser Film ist ein sehr persönliches Werk, er erzählt viel von mir – das soll jetzt keine Entschuldigung sein, aber eine Erklärung dafür, warum ich mehr mit mir beschäftigt war als mit dir. Entschuldige bitte, ich hätte dir helfen müssen und habe es nicht getan. Nicht rechtzeitig jedenfalls. Du kannst alles spielen, Konny, du hast es in dir. Es gibt keinen Grund, an dir zu zweifeln, glaub mir.«

»Aber du hast auch an mir gezweifelt. Das haben alle getan.«

Oliver lächelte. »Dann zeig allen, dass sie sich geirrt haben. Schaffst du das?«

Konstantin antwortete nicht sofort. »Ja, ich glaube schon, dass ich das jetzt schaffen kann«, sagte er. »Aber ich habe eine Bedingung: Du arbeitest richtig mit mir, ohne Rücksicht zu nehmen. Und du sagst nicht mehr, dass etwas gut war, wenn es das nicht war.«

Das hatte er also gemerkt! Oliver schämte sich noch mehr. Was bisher geschehen war, war allein sein Versagen, nicht das des Jungen, das hatte Ariane richtig gesehen. »Ich verspreche es dir.«

»Dann beeilen wir uns heute besser. Wir müssen ja bestimmt einiges nachdrehen, oder? Was ich bisher gespielt habe, kannst du nicht verwenden.«

Oliver trat auf Konstantin zu und schloss ihn in die Arme. »Wir fangen neu an«, sagte er. »Und irgendwie kriegen wir das alles schon noch auf die Reihe.«

*

»Ich hatte ja keine Ahnung, Lara«, sagte Hans erschüttert. »Und das war von Anfang an so?«

»Na ja, eine Woche ungefähr hat er sich zusammengenommen, und dann fing er an, mich zu kontrollieren und mir zu sagen, was ich anziehen und wie ich mich zurechtmachen sollte, wenn wir zusammen ausgingen. Wobei er sich natürlich jede Freiheit genommen hat.« Sie schüttelte den Kopf, lächelte müde. »Es ist meine Schuld, ich bin auf eine schöne Fassade hereingefallen, und natürlich hat es mir auch geschmeichelt, dass sich ein so bekannter Mann für mich interessiert. Ich hätte klüger sein müssen. Ich habe ihm noch von unterwegs geschrieben, dass ich nicht länger mit ihm zusammen sein kann und auch keinen Kontakt mehr zu ihm haben möchte. Zuerst dachte ich, dass es feige ist, wenn ich es ihm nicht ins Gesicht sage, aber ich weiß, was passiert wäre, hätte ich es getan. Also habe ich es lieber gelassen, und ich hoffe, ich höre und sehe nie wieder etwas von ihm.«

»Dabei ist das halbe Land verrückt nach ihm«, murmelte Hans. »Ich kenne auch viele Männer, die ihn bewundern.«

»Ja, so lange man nur sieht, was man sehen soll, scheint er ein toller Typ zu sein. Aber ich versichere dir: Das ist er nicht.« Sie legte ihre Hand auf seine. »Ich war keine gute Freundin in den letzten Wochen, das tut mir leid.«

»Du hast mir gefehlt«, gestand er. »Und ich hatte Angst, du würdest dich noch weiter von mir entfernen. Ich habe dich sehr gern Lara.«

»Ich habe dich auch gern«, sagte sie weich. »Schon bevor ich dich richtig kannte, hatte ich dich gern. Und ich habe auch nicht vergessen, dass du versucht hast, mich vor Andreas zu warnen.«

»Habe ich das? Ich erinnere mich nicht mehr daran, ich kenne ihn ja nicht, kann mir also kein Urteil erlauben.«

»Du hast auch nicht über ihn geurteilt, sondern nur gesagt, dass er, weil er gerade so erfolgreich ist, vermutlich in einer anderen Welt lebt als wir und dass das für mich schwierig sein könnte. Womit du mehr als Recht hattest.«

»Wenn auch anders, als ich es gemeint hatte. Ich hoffe, du kannst diese Geschichte schnell verarbeiten.«

»Damit habe ich ja schon begonnen, als sie noch gar nicht beendet war. Und dass ich ihn nicht liebte, wusste ich schon sehr bald. Aber von dieser Erkenntnis bis zur Trennung sind dann noch einmal ein paar Wochen ins Land gegangen.«

Als sie sich mit einer Umarmung von ihm verabschiedete, hätte er sie gerne fest an sich gedrückt, aber er widerstand der Versuchung. Für eine solche Annäherung war es definitiv der falsche Zeitpunkt.

*

Es war nicht so, dass Konstantin vor der Kamera von einem Tag zum anderen wie ausgewechselt gewesen wäre, aber alle spürten die Veränderung in seiner Haltung und seiner Herangehensweise. Sobald er sich verkrampfte und wieder in seine hölzerne Spielweise verfiel, unterbrach Oliver und erinnerte ihn an das, was sie besprochen hatten. Und er hielt sein Versprechen, nichts mehr durchzuwinken, bis er hundertprozentig zufrieden war. Er ließ Konstantin nichts mehr durchgehen und seltsamerweise war es offenbar genau diese Haltung, die dem Jungen half, das Vertrauen in seine Fähigkeiten wiederzufinden und zu zeigen, was er konnte. Nach und nach spielte er sich frei, und die Stimmung im Team, die in der ersten Woche eher bedrückt gewesen war, hellte sich immer mehr auf. Bald zweifelte niemand mehr daran, dass Konstantin in diesem Film zu Recht die Hauptrolle spielte.

Während also die Dreharbeiten bei Olivers Film gute Fortschritte machten, suchte der Produzent des Films, in dem Andreas Herzog in Hamburg die Hauptrolle spielte, nach Möglichkeiten, den entstandenen Schaden so gering wie möglich zu halten. Zwar hatte Andreas einen höflichen Entschuldigungsbrief an die Hoteldirektion geschrieben und sofort eine Summe überwiesen, die die Schadenssumme überstieg, aber dennoch war die öffentliche Reaktion katastrophal. Zum ersten Mal wandten sich etliche Fans von ihrem Idol ab, in den sozialen Netzwerken wurde er scharf kritisiert – und offenbar nagte es an ihm, dass durch eine Indiskretion bekannt geworden war, dass seine ›schöne Münchener Freundin‹ ihn verlassen hatte. Er zeigte sich daher mit ständig wechselnden attraktiven Frauen an seiner Seite, aber den ›Makel‹, verlassen worden zu sein, wurde er nicht los, und das verkraftete er so wenig wie die nachlassende Liebe seiner Fans. So fand er vor der Kamera nur schwer zu seiner gewohnten Form zurück, was seinen Regisseur insgeheim zur Verzweiflung brachte.

Lara äußerte sich mit keinem Wort über ihn, sie verweigerte jedes Interview, sie versuchte, so gut es ging, den Fotografen zu entgehen. Dennoch wurden Hans und sie eines Tages, als sie auf dem Weg ins Kino waren, aufgespürt und fotografiert. Die Fotos verbreiteten sich über das Internet rasend schnell, mit Begleittexten, in denen die Frage gestellt wurde: »War dieser Mann der Grund für die Trennung von Andreas Herzog?«

»Entschuldige bitte«, sagte sie zu Hans, »dass du da jetzt auch noch hineingezogen wirst. Das tut mir wirklich leid, Hans, aber irgendwann werden die Leute hoffentlich das Interesse an mir verlieren. Je eher, desto besser.«

»Mir macht das nicht so viel aus«, behauptete er, obwohl das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Aber wie Lara ging auch er davon aus, dass das Medieninteresse bald nachlassen würde.

Und irgendwann, wenn es um sie beide wieder ruhiger geworden war, würde er ihr sagen, was er für sie empfand.

*

»Nicht weinen«, sagte Antonia mit sanfter Stimme zu dem kleinen Jungen, der bitterlich schluchzte, als sie die Wunde an seinem böse aufgeschrammten Knie behandelte. »Ich weiß, das tut weh, aber gleich ist es vorbei, dann mache ich dir ein schönes Pflaster auf die Wunde. Jeder wird dich fragen, was dir passiert ist, und das kannst du dann erzählen.«

Tatsächlich versiegten wenig später die Tränen, der Kleine beobachtete sogar aufmerksam jede ihrer Bewegungen. Auch die noch sehr junge Mutter entspannte sich allmählich. Sie machte sich Vorwürfe, weil der Junge ihr mit seinem kleinen Fahrrad entwischt und mit einem anderen Kind zusammengestoßen war.

»Alles wieder gut?«, fragte Antonia.

Mutter und Sohn nickten und verließen erleichtert die Praxis.

Das Wartezimmer war leer, die Sprechstunde beendet. Auch Maxi Böhler, Antonias Praxispartnerin, verabschiedete ihre letzte Patientin. Sie sah müde aus. »Viel los heute«, murmelte sie. »Echt, mir tut sogar der Rücken weh, das habe ich ganz selten.«

»Sie sollten sich ab und zu eine Massage gönnen, Frau Doktor«, bemerkte Carolin Suder, die kluge und liebenswürdige Studentin, die sie als Praxisorganisatorin eingestellt hatten, weil sie keine Fachkraft hatten finden können. Doch längst war ihnen klar, dass sie keine Bessere als Carolin hätten finden können. Allerdings hatte sie ihnen gleich gesagt, sie würde nur bleiben, bis sie ihr Studium beendet hatte. Seitdem hofften sie beide, dass Carolin ihre Meinung vielleicht doch noch änderte.

»Gute Idee«, sagte Maxi. »Aber nicht heute, zu Hause wartet ein unangenehmes Gespräch auf mich. Mein Bruder will, dass wir unser Elternhaus verkaufen, und ich will das nicht. Es wird Streit geben, dabei bin ich viel zu müde zum Streiten.«

»Dann verschieb das Gespräch«, riet Antonia. »Leg dich lieber ins Bett und schlaf dich aus.«

»Mal sehen, bis morgen.«

Auch Carolin verabschiedete sich, und so war Antonia die Letzte. Sie ging noch einmal durch alle Räume, bevor sie abschloss und sich ebenfalls auf den Heimweg machte. Immerhin: Sie erwartete zu Hause kein unangenehmes Gespräch, sondern ein schmackhaftes Essen, gekocht vom ›Haushaltsmanager‹ Simon Daume.

Diesen Titel hatte Kevin dem jungen Mann verliehen, den sie an Stelle einer Haushälterin eingestellt hatten. Es verging kein Tag, an dem Antonia sich nicht zu dieser Entscheidung gratulierte. Es hatte ein paar Anfangsschwierigkeiten gegeben, vor allem mit Kaja, aber seit diese überwunden waren, lief der Haushalt wie geschmiert, und auch die Kinder beklagten sich nicht mehr darüber, dass ihre Mama zu wenig zu Hause war. Es hatte sich tatsächlich alles gut eingespielt.

Nur der Streit mit ihrem Vater war noch immer nicht beigelegt, obwohl Teresa, ihre Stiefmutter, sich sehr darum bemühte, zwischen Vater und Tochter zu vermitteln. Aber wann immer Antonia darüber nachdachte, kam ihr der Zorn wieder hoch, weil Professor Dr. Joachim Kayser, der berühmte Chirurg und Klinikgründer, ihr Vater, sie wegen ihrer Entscheidung, wieder als Ärztin zu arbeiten, als verantwortungslos ihren Kindern gegenüber bezeichnet hatte. Sie konnte ihm das einfach nicht verzeihen!

Sie schob die Gedanken beiseite. Jetzt hatte sie Feierabend, würde mit den Kindern und hoffentlich auch mit Leon essen, was Simon vorbereitet hatte, und anschließend würden sie sich vielleicht einen Film ansehen oder lesen oder sogar, was sie lange nicht mehr getan hatten, mit den Kindern etwas spielen.

Konstantin ging es von Tag zu Tag besser, das war ihm anzusehen, und er sagte es auch so – und andere Probleme ihrer Kinder standen derzeit zum Glück nicht an. Ein seltener, aber umso schönerer Zustand.

Die Sache mit ihrem Vater musste warten.

*

Linda Kauer ließ es zunächst langsam angehen, dann verschärfte sie das Tempo. Sie war eine gute Läuferin, sie trainierte für einen großen Marathonwettbewerb. Ihr Sportverein unterstützte sie, und je besser sie wurde, desto mehr Spaß machte es ihr. Irgendwann würde sie sich an einen Triathlon wagen – schwimmen, Rad fahren, laufen – aber das war Zukunftsmusik. Jetzt lief sie erst einmal. Sie hatte erst an zwei großen Läufen teilgenommen und war auf Anhieb unter die ersten zehn gekommen. Sie wusste, sie konnte sich noch steigern.

Vor ihr überquerte ein Mann sehr schnell die Straße, er rannte beinahe. Dann erst sah sie, dass er offenbar einem anderen folgte, der ein Stück weiter vorn ging. Sonst war niemand zu sehen. Sie setzte bereits zum Überholen an, als der Mann ebenfalls anfing zu rennen. Was dann geschah, spielte sich so schnell ab, dass sie es gar nicht richtig mitbekam. Der Mann erreichte den anderen, hatte plötzlich seine Hände an dessen Hals, woraufhin dieser in die Knie ging, sich aber wiederaufrichtete. Sie sah etwas blitzen, der Angreifer machte eine weitere Bewegung zum Hals des anderen, dann sah er sie und wandte sich zur Flucht.

Instinktiv setzte sie ihm nach, sie war natürlich schneller als er, aber sie hatte nicht mit seiner Kraft gerechnet. Zwar gelang es ihr, ihn am Arm zu packen und zum Stehenbleiben zu zwingen, aber er schlug ihr zweimal kräftig ins Gesicht und stieß sie so hart vor die Brust, dass sie zurücktaumelte und um ein Haar gestürzt wäre. Als sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, war er bereits verschwunden.

Also drehte sie sich zu dem Opfer um und sah, dass der Mann irgendwie wieder auf die Beine gekommen war. Er torkelte wie ein Betrunkener über die Straße und hinterließ eine Blutspur.

*

Simon Daume pfiff leise vor sich hin, als er vom Einkaufen kam. Er war ziemlich schwer beladen, aber das machte ihm nichts aus. Andere trainierten in teuren Fitness-Studios mit schweren Hanteln, er trug dafür schwere Einkaufstaschen – und das brachte sogar noch Geld ein, schließlich bezahlten ihn die Laurins gut dafür, dass er ihren Haushalt managte. Es war sogar noch besser: Er trainierte nicht nur, er hatte bei der Arbeit auch noch Spaß.

Er gratulierte sich jeden Tag, weil es ihm gelungen war, diesen Job zu ergattern, der geschaffen worden war, weil Frau Dr. Laurin ihre eigene Kinderarztpraxis eröffnet hatte. Er bewunderte sie sehr. Sie sah toll aus, hatte vier Kinder zur Welt gebracht und großgezogen – und jetzt kümmerte sie sich um die kranken Kinder anderer Leute, statt es sich zu Hause gemütlich zu machen.

Er bewunderte auch Herrn Dr. Laurin, der eine Klinik leitete, aber trotzdem versuchte, seine Familie so oft wie möglich zu sehen. Er hoffte, er hatte den Kindern klarmachen können, wie froh sie sein konnten, solche Eltern zu haben. Er hatte seine vor ein paar Jahren verloren und war seitdem für seine beiden jüngeren Schwestern verantwortlich. Leicht war das nicht, aber sie kamen klar, weil sie ein Team waren, und das würden sie bleiben.

Er war heute früher dran als sonst, weil er sich vorgenommen hatte, abends etwas aufwendiger als sonst zu kochen. Das machte er gelegentlich, wenn er Zeit und Lust hatte. Also hatte er bereits eingekauft und würde seinen Dienst heute eine gute Stunde früher antreten als sonst. Wie immer freute er sich auf die Arbeit, die vor ihm lag. Das Haus war so schön – und die Küche so perfekt eingerichtet, es war eine Freude, das alles in Ordnung zu halten.

Er blieb verunsichert stehen, als er einen Mann über die Straße torkeln sah. War der um diese Zeit schon betrunken? »Das darf doch wohl nicht wahr sein«, murmelte er. Dann jedoch sah er etwas Rotes am Hals des Mannes, zugleich kam eine drahtige junge Frau in Joggingkleidung angerannt. »Er hat ihn einfach angegriffen«, schrie sie schon von weitem, »ich hab’s genau gesehen, ich wollte ihn festhalten, aber er hat sich losgerissen und ist weg.«

Simon ließ alle Einkaufstaschen einfach fallen und stürzte auf den blutenden Mann zu, der sich jetzt an einen Laternenpfahl klammerte. Als Simon ihn erreichte, versuchte er, etwas zu sagen. Stattdessen knickten seine Beine ein, und er brach zusammen. Simon konnte ihn gerade noch auffangen.

Aus dem Hals des Mannes sprudelte Blut. Ohne nachzudenken legte Simon eine Hand fest auf die Wunde. Zuerst quoll weiterhin Blut durch seine Finger, aber als er fester drückte, hörte der Blutfluss auf.

Die Frau war mittlerweile bei ihnen angelangt.

Sie wurde schneeweiß im Gesicht, als sie die blutdurchtränkte Kleidung des Mannes und Simons blutige Finger sah. »Ich … ich kann kein Blut sehen«, murmelte sie, dann drehte sie sich zur Seite und übergab sich.

Simon schloss die Augen. Er musste einen Rettungswagen rufen, aber er traute sich nicht, die Hand vom Hals des Mannes zu nehmen oder sich auch nur zu bewegen, um an sein Handy zu kommen. Er war auf die Hilfe der Frau angewiesen, die würgend neben ihm stand und am ganzen Körper zitterte.

Oder auf jemanden anders, der vielleicht zufällig vorbeikam, denn der Verletzte, schätzte er, hatte nicht mehr viel Zeit.

*

Joachim Kayser schalt sich selbst dumm und sentimental, dass er mindestens einmal am Tag an dem Haus vorbeifuhr, in dem seine Tochter Antonia mit ihrer Familie lebte. Sie hatte jeglichen Kontakt mit ihm abgebrochen, seit er sie – ziemlich heftig, wie er zugeben musste – für ihre Entscheidung, wieder als Ärztin zu arbeiten, kritisiert hatte. Ihre Jüngste war erst elf, er war der Ansicht gewesen, dass Antonia sich unverantwortlich verhielt, ihre Kinder, vor allem Kyra, mehr oder weniger sich selbst zu überlassen.

Natürlich hatte er seine Ansicht mittlerweile überdacht, auch weil Teresa das Thema immer wieder anschnitt. Seine Reaktion war vielleicht überzogen gewesen, und es war auch nicht von der Hand zu weisen, dass er seiner Tochter nichts mehr zu sagen hatte. Sie war erwachsen und hatte ihr Leben bis jetzt ziemlich gut gemeistert, er war der Erste, der das anerkannte. Aber das einzusehen und es offen zuzugeben waren zwei unterschiedliche Dinge!

Er näherte sich dem Haus, das dieser junge Mann, Simon, bemerkenswert gut in Schuss hielt, das musste er schon sagen. Auch den Garten hielt er in Ordnung, da gab es nichts zu kritisieren. Er hatte ja eher mit Chaos gerechnet. Einen Zweiundzwanzigjährigen als Haushälter einzustellen – was für eine Idee! Aber das Ergebnis schien seiner Tochter und seinem Schwiegersohn Recht zu geben.

Etwas lenkte ihn ab. Jemand stand am Straßenrand und übergab sich, daneben kauerte jemand – und lag da nicht auch eine Person am Boden? Er sah, wie der Mann, der neben dem am Boden Liegenden kauerte, sich aufrichtete und heftig winkte. Joachim lenkte den Wagen an den Straßenrand und stieg aus.

Der Mann, der gewunken hatte, war Simon Daume, der ihn fassungslos ansah. »Sie?«, stieß er hervor. »Haben Sie …« Er brach ab, wandte sich wieder dem Mann zu, der am Boden lag.

Dessen Kleidung war voller Blut, jetzt erst sah Joachim, dass Simon seine rechte Hand fest auf den Hals des Mannes drückte.

Er kniete sich auf dessen andere Seite. »Wie ist das passiert?«

»Ich … Sie haben nichts damit zu tun?«

»Ich? Wie kommen Sie denn auf die Idee?«, fragte Joachim entgeistert. »Ich … äh … bin zufällig hier vorbeigekommen und habe Sie gesehen …«

In diesem Moment richtete sich die Frau, die sich übergeben hatte, auf. »Er wurde angegriffen«, sagte sie. »Von einem Mann, der weggerannt ist. Ich wollte ihn festhalten, aber er hat mich weggestoßen und weg war er. Der Mann war eher jung. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, er hat eine Sonnenbrille getragen und eine Kappe ganz tief in die Stirn gezogen.«

»Er blutet aus dem Hals«, setzte Simon hinzu, »wenn ich auch nur ein bisschen Druck wegnehme, sprudelt das Blut aus seinem Hals.«

Joachim Kayser nickte nur. Er hatte sein Handy bereits in der Hand. Mit ruhiger Stimme gab er durch, dass dringend ein Rettungswagen benötigt wurde – und wo sie sich befanden. »Der Mann blutet stark aus einer Halswunde, wenn nicht schnell Hilfe kommt, wird er verbluten. Bringen Sie ihn in die Kayser-Klinik, sie ist hier ganz in der Nähe.«

Anschließend rief er in der Klinik an und gab das Gleiche noch einmal durch. »So, das wäre erledigt«, sagte er. »Die werden sich sicher beeilen.«

Die Frau hatte aufgehört zu zittern, allmählich kehrte Farbe in ihr Gesicht zurück. »Mir ist immer noch schlecht«, murmelte sie.

»Das ist normal«, erklärte Joachim Kayser, »machen Sie sich deshalb keine Gedanken. Und Sie«, fuhr er an Simon gewandt fort, »lassen Ihre Hand, wo sie ist. Sein Leben hängt davon ab, dass Sie jetzt keinen Fehler machen.«

Simon nickte. Sein Arm fühlte sich taub an, auch in seinen Beinen hatte er kein Gefühl mehr, dabei hockte er ja noch nicht lange hier, aber die Haltung war denkbar unbequem und da er sich nicht zu bewegen wagte, aus Angst, dabei auch die Hand zu bewegen, würde er also ausharren müssen, bis der Rettungswagen eintraf.

Ein Stöhnen ließ ihn aufblicken. Zuerst begriff er nicht, was los war, als er sah, dass Professor Kayser sich ans Herz griff. Er war fast so bleich wie die Frau es gewesen war, bevor sie sich übergeben hatte. Sein Blick erschreckte Simon, die Lippen des Professors bewegten sich, aber es kam kein verständliches Wort heraus. Mit einem weiteren Stöhnen sackte er zusammen.

»Was hat er denn?«, rief die Frau in heller Panik.

Das wüsste ich auch gern, dachte Simon und zwang sich zur Ruhe. Wenn er jetzt auch noch durchdrehte oder zusammenbrach, würde der Mann mit der Wunde am Hals sterben – und der Professor vielleicht auch.

»Jetzt müssen Sie anrufen«, sagte er mit fester Stimme. »Los, schnell, die müssen noch einen Rettungswagen schicken, dringend. Sagen Sie, es handelt sich um Professor Kayser, und er hat vielleicht einen Herzinfarkt erlitten.«

*

»Gut, Eckart«, sagte Leon zu seinem Freund und Kollegen Eckart Sternberg, »so machen wir das, das scheint mir ein vernünftiger Plan zu sein …«

Weiter kam er nicht, denn die Tür zu seinem Büro wurde aufgerissen, von Timo Felsenstein, dem Leiter der Notaufnahme. »Professor Kayser hat angerufen, er hat ein Opfer mit Halsverletzung auf der Straße gefunden, offenbar ist der Mann kurz vor dem Verbluten. Ich bin auf dem Weg zu einer Notoperation, also wäre es gut, wenn ihr beide …«

Sie waren schon aufgesprungen. »Geh operieren, wir machen das«, sagte Leon.

In der Notaufnahme hatte Schwester Marie bereits alles zur Aufnahme des Patienten vorbereitet. Wie immer war sie die Ruhe selbst. Gleich darauf ertönte ein Martinshorn, die Sirene wurde rasch lauter, bis sie vor den Türen der Notaufnahme verstummte.