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Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 10 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Unter anderem gingen auch mehrere Spielfilme im ZDF mit Millionen Zuschauern daraus hervor. Sein größtes Lebenswerk ist die Romanserie, die er geschaffen hat. Seit Jahrzehnten entwickelt er die Romanfigur, die ihm ans Herz gewachsen ist, kontinuierlich weiter. "Der Bergpfarrer" wurde nicht von ungefähr in zwei erfolgreichen TV-Spielfilmen im ZDF zur Hauptsendezeit ausgestrahlt mit jeweils 6 Millionen erreichten Zuschauern. Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. In Spannungsreihen wie "Irrlicht" und "Gaslicht" erzählt er von überrealen Phänomenen, markiert er als Suchender Diesseits und Jenseits mit bewundernswerter Eleganz. E-Book 1: Verwirrte Herzen E-Book 2: Vroni und die Männer E-Book 3: Dem Himmel so nah E-Book 4: Die Heimat im Herzen E-Book 5: Ich fühl mich, wie auf Wolken schwebend E-Book 6: Die Liebe kehrt zurück E-Book 7: Lasst mich einfach in Ruhe! E-Book 8: Einsame Herzen... E-Book 9: Verenas Reise in die Vergangenheit E-Book 10: Wo ist Thomas?

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Seitenzahl: 1222

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Inhalt

Leseprobe

Verwirrte Herzen

Vroni und die Männer

Dem Himmel so nah

Die Heimat im Herzen

Ich fühl mich, wie auf Wolken schwebend

Die Liebe kehrt zurück

Lasst mich einfach in Ruhe!

Einsame Herzen...

Verenas Reise in die Vergangenheit

Wo ist Thomas?

Leseprobe: E-Book 31-40

Die Heimatkinder verkörpern einen neuen Romantypus, der seinesgleichen sucht. Zugleich Liebesroman, Heimatroman, Familienroman – geschildert auf eine bezaubernde, herzerfrischende Weise, wie wir alle sie schon immer ersehnt haben. Während eines Sommerurlaubs lernt der junge Förster Hannes Burger die bildhübsche Städterin Sonja Rosen kennen. Obwohl er seit Langem mit Marett, einem Dirndl aus seinem Dorf, verlobt ist, folgt er der schwarzhaarigen Sonja in die Stadt und verlebt hier eine Zeit unbeschwerten Glücks. Aber dann folgt die Ernüchterung, denn er sieht Sonja an der Seite eines anderen Mannes. Voll Reue kehrt Hannes in die Heimat zurück, fest dazu entschlossen, Marett um Verzeihung und einen neuen Anfang zu bitten. Nur mit ihr, so weiß er jetzt, kann er glücklich werden. Doch kaum ist er zu Hause angekommen, erkennt er, dass er zu lange gewartet hat: Marett hat ihr Jawort einem anderen gegeben …

Der Bergpfarrer – Staffel 17 –

E-Book 161-170

Toni Waidacher

Verwirrte Herzen

Stimmen wurden laut, Türen schlugen, Schuhe stolperten über den Kiesweg im Vorgarten. Die Frau öffnete die Pforte im Zaun und lief zu dem kleinen Auto, das am Straßenrand geparkt war.

»Himmel, jetzt warte doch!« rief eine Stimme hinter ihr.

Christina König achtete nicht darauf. Sie steckte den Schlüssel ins Türschloß und schlüpfte hinter das Lenkrad. Als sie davonfuhr, konnte sie noch die Silhouette des jungen Mannes in der Tür erkennen. Doch sie hielt nicht an, sondern trat das Gaspedal durch und blickte stur auf die Straße.

Nachdem sie einige Kilometer gefahren war, hielt sie rechts an und lehnte sich erschöpft im Sitz zurück. Tränen liefen ihr über das hübsche Gesicht, mit dem kleinen Stupsnäschen, und ihre blauen Augen blickten unbeschreiblich traurig.

Aus, dachte sie, für immer aus!

Dabei hatte alles so schön angefangen. Dies war der letzte Abend vor dem Urlaubsantritt. Andreas hatte sie mit einem leckeren Essen erwartet, als Christina von der Arbeit kam. Sie saßen draußen im Garten, zusammen mit seinen Eltern, und ließen es sich schmecken. Später waren Hans und Lore Bergmann schlafen gegangen, während das junge Paar noch sitzen blieb.

Als sie jetzt darüber nachdachte, wußte Tina gar nicht mehr so genau, worum dieser Streit entbrannt war. Jedenfalls hatte ein Wort das andere ergeben, und am Ende war sie wütend aufgesprungen und wollte nach Hause fahren.

Andreas war ihr in den Flur gefolgt.

»Tina, wenn du jetzt gehst«, hatte er laut gerufen, ohne Rücksicht auf seine Eltern, die im Obergeschoß in ihren Betten lagen, »dann kannst du morgen auch alleine in Urlaub fahren!«

»Na und?« hatte sie schnippisch zurückgegeben. »Dann tu’ ich’s eben! Das wär’ mir sowieso lieber!«

Inzwischen tat ihr der Streit leid. Sie ärgerte sich beinahe noch mehr über sich selbst als über Andreas. Nach ein paar Minuten ließ sie den Motor wieder an und fuhr eilig nach Hause. Bestimmt hatte er schon auf dem Anrufbeantworter gesprochen und wollte sich entschuldigen. Dabei war sie es doch, die Abbitte leisten mußte.

Aber egal, Hauptsache, sie versöhnten sich wieder, und der Urlaub konnte doch noch gemeinsam genossen werden!

Doch auf dem Anrufbeantworter suchte sie vergebens nach einer Nachricht von ihm. Ihre Mutter wünschte ihr einen schönen Aufenthalt in den Bergen, und eine Freundin, die ihr mitteilte, daß Tina unbedingt an den Achsteinsee fahren müsse, wenn sie im Wachnertal sei.

Die hübsche Kindergärtnerin ließ sich auf das Sofa sinken und stützte den Kopf in den Händen.

Seit zwei Jahren bewohnte sie diese beiden Zimmer. Das eine diente als Wohnstube und Schlafkammer zugleich, das andere war ein Mittelding zwischen Küche und Eßzimmer. Als Tina ihre neue Stelle im Kindergarten angetreten hatte, war sie froh gewesen, diese Bleibe zu finden, denn kleine Wohnungen und möblierte Zimmer waren rar in München. Allerdings lag das Haus in einem Vorort der bayerischen Landeshauptstadt, und die Chance, hier etwas zu finden, war größer als in der City.

Hinzu kam, daß die Mieten hier erheblich erschwinglicher waren.

Tina biß sich auf die Lippe.

Na schön, dachte sie trotzig, wenn er es so haben will, dann soll er es auch so bekommen! Fahre ich eben alleine!

Trotz, das wußte sie, war ihr großer Fehler. Ihre Mutter sagte immer, sie habe den Dickkopf vom Großvater geerbt. Aber in diesem Fall glaubte sie sich im Recht und wollte überhaupt nicht einsehen, daß sie es sein sollte, die nachgab. Andreas hatte zumindest genauso viel Schuld an dem Streit.

Mißmutig schaute sie auf die gepackte Reisetasche und den Koffer. Eigentlich hatte der Freund sie am nächsten Morgen von zu Hause abholen wollen. Doch daraus wurde jetzt nichts mehr.

Während sie sich bettfertig machte, überlegte die Kindergärtnerin, ob sich die Pensionswirtin wohl darauf einlassen würde, daß Tina nun statt des gebuchten Doppelzimmers jetzt ein einzelnes haben wollte. Immerhin kam die Absage ja ein bißchen kurzfristig.

Auch egal, dachte sie und löschte das Licht, dann bezahl ich’s eben.

Tina weinte sich in den Schlaf und schreckte wieder hoch, als das Telefon klingelte. Sie griff hastig nach dem Hörer, doch der Anrufer hatte sich nur verwählt. Sie legte wieder auf und schaute auf die Uhr. Kurz nach Mitternacht. Sie ahnte, daß die Stunden bis zum Morgen quälend langsam vergehen würden, legte sich aber doch wieder zurück und wartete erneut darauf, daß sie einschlief.

*

Am nächsten Morgen war ihre Laune auf den Nullpunkt gesunken. Tina biß lustlos von der Semmel ab und trank den Kaffee, der inzwischen lauwarm geworden war. Solange hatte sie nämlich am Tisch gesessen und immer wieder zum Telefon hinübergeschaut. Vergeblich wartete auf den ersehnten Anruf von ihm. Dann dachte sie wieder, daß sie die Initiative ergreifen und Andreas anrufen müsse.

Doch es war, als sitze ein kleines Teufelchen in ihrem Kopf das ihr einredete, es zu lassen.

Warum sollte sie es sein, die nachgab?

Gegen zehn Uhr packte sie die belegten Semmeln ein und packte sie in die Tasche, in der schon eine Thermoskanne steckte. Sie trug das Gepäck zum Auto und lud es ein. Dann ging sie in die Wohnung zurück, drückte den Knopf des Anrufbeantworters, in der Hoffnung, daß Andreas vielleicht gerade in dem Moment angerufen hatte, als sie unten war. Aber sie hörte nur die alten Nachrichten. Mit einem Ruck drehte sie sich um und ging wieder hinaus. Den Zweitschlüssel zur Wohnung warf sie in den Briefkasten der Nachbarin, die sich erboten hatte, sich die nächsten zwei Wochen um die Blumen und die Post zu kümmern. Als Tina dann im Auto saß und den Motor anließ, kämpfte sie trotzig gegen die Tränen an, die mit aller Macht in ihre Augen drängten. Sie fädelte sich in den Verkehr ein und fuhr stadtauswärts.

Die Musik aus dem Autoradio lenkte sie nur wenig von ihren trüben Gedanken ab.

Vielleicht wird’s ja doch auch so ganz schön, dachte sie.

Der Gedanke, neue Leute kennenzulernen, Leute in ihrem Alter, mit denen sie etwas unternehmen und Spaß haben konnte, hellte ihre Stimmung allmählich wieder auf, und als sie auf der Autobahn fuhr, stellte sich fast so etwas wie Urlaubsstimmung ein.

Es herrschte nicht viel Verkehr an diesem Vormittag, so daß Tina König schon drei Stunden später ihr Ziel erreicht hatte. Eine Pause hatte sie zwischendurch eingelegt und ihre Semmel gegessen und den Kaffee dazu getrunken. Jetzt schaute sie begeistert auf die Berge, deren Gipfel in den Himmel ragten. Es herrschte strahlender Sonnenschein, kein Wölkchen trübte den blauen Himmel.

Die Pension Stubler lag in einer ruhigen Seitenstraße. Die junge Kindergärtnerin hielt vor dem Haus und stieg aus. Mit dem Gepäck in der Hand stieg sie die Stufen zur Tür hinauf und klingelte.

Eine ältere, freundlich dreinblickende Frau öffnete.

»Grüß Gott, mein Name ist Christina König. Ich habe ein Zimmer bei Ihnen gebucht.«

»Ria Stubler, herzlich willkommen«, erwiderte die Frau und schaute hinter sie.

Dann machte die Wirtin ein etwas ratloses Gesicht.

»Sind S’ allein gekommen?« fragte sie. »Wenn ich mich recht erinnre, dann ist doch ein Doppelzimmer bestellt...«

Tina schluckte.

»Ja, das ist richtig«, nickte sie. »Allerdings...«

»Kommen S’ erstmal herein«, sagte Ria. »Das müssen wir ja net vor der Tür besprechen.«

Tina folgte ihr durch einen kleinen Flur an die Rezeption. Sie stellte das Gepäck an und holte tief Luft.

»Also, es ist so...«

Sie erläuterte, daß sie sich mit dem Freund gestritten hatte, und daß dieser nun den gemeinsamen Urlaub abgesagt hätte.

»Wenn’s net anders geht, nehm’ ich natürlich das Doppelzimmer«, versicherte sie.

»Lassen S’ mich mal schauen«, meinte die Wirtin und schlug das Reservierungsbuch auf.

Tina beobachtete, wie der Finger der Frau über die Eintragungen glitt. Dann hob Ria Stubler den Kopf.

»Sie haben Glück«, sagte sie. »Ich geb’ Ihnen ein Einzelzimmer. Ich hab’ da nämlich noch eine Anfrage für die kommende Woche. Ein Ehepaar wollt’ bei mir wohnen, aber eigentlich wär’ nix mehr frei gewesen. So kann ich sie aber anrufen und doch noch zusagen.«

Die junge Frau atmete erleichtert auf. Das Doppelzimmer hätte dreißig Euro mehr gekostet, die Nacht, die sie aus eigener Tasche hätte zahlen müssen. So aber wurde ihre Reisekasse nicht noch zusätzlich belastet.

Ria nahm den Zimmerschlüssel und ging voran. Im ersten Stock schloß sie gleich die erste Tür auf.

»So, Frau König, das ist es«, sagte sie und ließ Tina eintreten. »Ich hoff’, daß Sie sich bei mir wohlfühlen werden.«

Tina trat ein und schaute sich um. Das Zimmer war geräumig und gemütlich eingerichtet. Die Möbel waren bemalt, an den Wänden hingen Bilder mit bäuerlichen Motiven, die Vorhänge an den Fenster waren hübsch gemustert. Es gab Telefon und Fernsehen, und sogar Internetanschluß war vorhanden. Durch eine große Glastür konnte man auf einen umlaufenden Balkon gehen.

Tina drehte sich um und lachte Ria an.

»Es ist toll!« sagte sie, ehrlich begeistert. »Vielen Dank, Frau Stubler, daß Sie das möglich gemacht haben.«

»Ist schon recht«, nickte die Wirtin und erklärte die Frühstückszeiten, und daß Tina am Abend vorher Bescheid sagen solle, falls sie eine Bergtour plane und besonders früh aufstehen müsse.

Als sie alleine war, packte die Kindergärtnerin erst einmal ihre Reisetasche aus, dann öffnete sie die Glastür und trat auf den Balkon hinaus.

Herrlich, dachte sie, während sie zu den Bergen schaute, die zum Greifen nahe schien.

Die Luft hatte einen ganz eigenen besonderen Duft. Es roch nach Blumen und Kräutern, und von einer nahen Bergwiese tönte leise das Läuten von Kuhglocken herüber.

Schade, daß Andreas das nicht sehen kann, dachte Tina und wurde ein wenig traurig.

Aber dann schob sie den Gedanken an den Freund beiseite.

Er war es ja nicht mehr, schließlich hatte Andreas die Beziehung ja beendet!

*

Kathi Mühlbauer legte die schwere Schultasche ab und hängte die Jacke an die Garderobe. Aus der Küche erklang das Klappern von Kochtöpfen.

»Ich bin’s«, rief die Siebzehnjährige und strich der Katze über den Kopf, die die Treppe heruntergekommen war, um sie zu begrüßen.

»Wir können gleich essen«, sagte ihre Mutter, als Kathi in die Küche kam. »Deck’ schon mal den Tisch.«

Die Tochter holte Teller und Bestecke aus dem Schrank und stellte Gläser dazu auf den Tisch.

»Ist Paps noch nicht da?« wunderte sie sich.

Der Wagen ihres Vater stand nicht in der Garage und parkte auch nicht vor der Tür.

Irmgard Mühlbauer schüttelte den Kopf.

»Er hat angerufen«, antwortete sie. »Es wird später bei ihm; mal wieder irgendwas in der Firma.«

Kathi runzelte die Stirn.

»Schon wieder? Was ist denn da bloß los?«

In der letzten Zeit kam ihr Vater oft später von der Arbeit nach Hause als üblich. Immer war was in der Firma, das ihn zwang, länger zu bleiben.

Franz Mühlbauer arbeitete als Schichtleiter in einer Großbäckerei in der Kreisstadt. Der Betrieb arbeitete rund um die Uhr und belieferte Supermarktketten und Bäckereifilialen im gesamten Süddeutschen Raum mit frischen Backwaren. Die Arbeit begann um vier Uhr in der Frühe und endetet für den verheirateten Familienvater gegen zwei Uhr mittags. Aber seit ungefähr vierzehn Tagen war dies nicht mehr die Regel. Mindestens jeden zweiten Tag war etwas in der Firma los, und Franz rief zu Hause an, um zu sagen, daß er später käme.

Einmal stimmte etwas mit den abgewogenen Backmischungen nicht, ein anderes Mal streikte einer der drei Öfen.

»Vielleicht sollten die mal den ganzen Betrieb überholen«, meinte die Hauswirtschaftsschülerin. »Was ist es denn diesmal?«

»Du, ich weiß es nicht«, antwortete ihre Mutter. »Papa hatte net viel Zeit, um es mir genauer zu erklären.«

Kathi zuckte die Schultern. Aber sie bedauerte es doch, daß ihr Vater nicht zum Essen da war. Sie selbst hatte bis zum Nachmittag Unterricht. Bis sie dann mit dem Bus nach Hause gekommen war, waren es nur noch ein paar Minuten bis zum Abendessen, das in der Regel warm eingenommen wurde. Kathi liebte diese halbe, bis dreiviertel Stunde, die die Familie sich Zeit nahm, in aller Ruhe zu essen und über den Tag zu reden.

Vor allem in den letzten Wochen, denn ein großes Ereignis stand ins Haus!

Vor fünfundzwanzig Jahren hatten Irmi und Franz Mühlbauer sich das Jawort gegeben, und in ein paar Wochen sollte das Fest der Silberhochzeit gebührlich gefeiert werden. Mutter und Tochter waren schon eifrig mit den Vorbereitungen beschäftigt. Sie hatten die Gästeliste geschrieben und die Einladungskarten ausgesucht. Es wurde beratschlagt, in welchem Rahmen gefeiert werden sollte, und über das Essen gesprochen. Es sollte einer der schönsten Tage im Leben der Familie werden, an dem Verwandte, Freunde und Bekannte teilhaben würden. Mit Pfarrer Trenker war schon die Zeremonie in der Kirche abgesprochen worden, denn das Silberpaar wollte sich noch einmal segnen lassen. Das war gar keine Frage.

Franz hatte seiner Frau und der Tochter weitestgehend freie Hand bei allem gelassen.

»Macht ihr das mal«, meinte er, wenn er wegen diesem oder jenem um seine Meinung gefragt wurde.

Auch an diesem Abend drehte sich das Gespräch wieder um das Thema Silberhochzeit. Um sieben Uhr war ein letzter Termin mit den Wirtsleuten. Das Essen war schon soweit besprochen, nun sollten die Weine dazu ausgesucht und gekostet werden. Irmi und Franz hatten sich dafür entschieden, auf dem Saal des ›Löwen‹ zu feiern. Schließlich wohnten sie in St. Johann, und es kam gar nicht in Frage, einem anderen Haus den Vorzug zu geben auch wenn es dort vielleicht etwas günstiger gewesen wäre. Glücklicherweise fiel der Festtag auf einen Freitag, und auf dem Saal fand keine Veranstaltung statt. Die Blaskapelle, die dort am Samstagabend zum Tanz aufspielte, die ›Wachnertaler Bu’am‹, waren auch frei, und so hatte man dem Ehepaar Reisinger den Zuschlag gegeben.

»Wo bleibt er denn bloß?« fragte Irmi kopfschüttelnd, als es Zeit war, zum Wirtshaus zu gehen.

Kathi nagte an der Unterlippe. Irgendwie kam es ihr schon merkwürdig vor, daß ihr Vater immer so spät nach Hause kam.

Gestern hatte sie mit einer Freundin darüber gesprochen und war erschrocken über das gewesen, was Iris erzählt hatte.

»Also, ich will ja keine Pferde scheu machen«, meinte die. »Aber an deiner Stelle würd’ ich deinen Vater im Aug’ behalten. Weißt du, was der Mutter von einem Freund, dem Sepp, passiert ist? Der ist der Mann durchgegangen mit einer andren. Zwei Tage vor der Silberhochzeit ist er zu Haus’ ausgezogen!«

Kathi hatte das Gefühl, einen Eimer eiskalten Wassers über den Kopf geschüttet bekommen zu haben.

»Was? Das ist ja entsetzlich!« hatte sie gerufen.

»Du kannst dir ja wohl vorstellen, was da los war«, nickte Iris. »Niemand hat was geahnt. Die Frau net, und der Sohn auch net. Nur, daß er manchmal erst spät in der Nacht nach Haus’ kam, war auffällig, und dann ist er sonntags immer zum Fußball gegangen, obwohl er sich eigentlich gar nix aus Fußball gemacht hat, sagt der Sepp. Also, wenn ich du wär’, dann würd’ ich meinem Vater mal ein bissel auf die Finger schauen.«

Kathi mußte wieder daran denken.

In der Nacht kam ihr Vater zwar nicht erst nach Hause, und sonntags ging er auch nicht alleine fort. Zum Fußball schon gar nicht, aber zu denken gab es ihr schon, daß da immer was in der Firma sein sollte, das ihn vom Feierabend abhielt.

Ihrer Mutter hatte sie nicht von der Unterhaltung mit Iris erzählt.

Das fehlte noch, daß sie auf solch merkwürdige Gedanken kam!

Nein, da mußten schon handfeste Beweise her, ehe Kathi so einen Verdacht äußerte. Und eigentlich konnte sie sich auch nicht vorstellen, daß ihr Vater die Mutter betrog. Die beiden, fand sie, waren immer noch so verliebt wie am ersten Tag.

Aber andererseits... wenn der Vater vom Sepp nach fünfundzwanzig Jahren seine Frau verlassen hatte, schien vielleicht kein Mann dagegen gefeit zu sein, sich auch nach so langer Zeit in eine andere Frau zu verlieben...

Kathi atmete erleichtert auf, als sie das Auto hörte. Wenig später stand Franz Mühlbauer in der Tür.

»Möchtest du noch was essen, bevor wir zum ›Löwen‹ gehen?« fragte seine Frau.

Er schüttelte den Kopf.

»Laß mal. Vielleicht später.«

Kathi schaute ihn verstohlen an. Es waren keinerlei Anzeichen zu sehen, daß er...

Himmel, du siehst schon Gespenster, schalt sie sich selbst eine Närrin, jetzt bleib mal auf dem Boden!

Aber irgendwie hatten sich die Worte ihrer Freundin in ihr Gehirn gebrannt und ließen nicht locker, sie an diese dumme Geschichte zu erinnern.

*

Tina hatte einen langen Spaziergang gemacht und sich im Dorf ausgiebig umgeschaut. St. Johann gefiel ihr. Man hatte das Gefühl, hier wäre die Zeit stehengeblieben. Außer dem kleinen Einkaufszentrum gab es kaum Neubauten, und die anderen Häuser waren mit ihren Lüftlmalereien besonders hübsch anzusehen.

Einen Moment überlegte die Kindergärtnerin, in die Kirche zu gehen, die laut des Prospekts, das sie in ihrem Pensionszimmer gefunden hatte, eine der schönsten in Oberbayern sein sollte. Doch die Füße taten ihr vom Laufen weh, sie hatte Durst und außerdem auch schon wieder Hunger. Sie beschloß deshalb, den Bier- und Kaffeegarten aufzusuchen, an dem sie auf ihrem Spaziergang schon vorbeigekommen war.

Sie staunte nicht schlecht, als sie den Betrieb sah, der hier herrschte. Es schien, als wollten alle Urlauber des Ortes gleichzeitig Kaffee trinken und Kuchen oder Eis essen. Mutlos schaute Tina zu den Tischen, an denen die Glücklichen saßen, die einen freien Platz erwischt hatten. Sie wollte sich schon wieder umdrehen und gehen, als sie neben sich eine Stimme hörte. Sie kam von dem jungen Mann, den sie schon beim Betreten das Gartens gesehen hatte. Er lächelte sie freundlich an und machte eine einladende Handbewegung.

»Setzen S’ sich zu mir«, sagte er. »Die Stühle sind noch frei.«

Das Lächeln war charmant, keineswegs aufdringlich. Tina nickte dankbar und setzte sich ihm gegenüber.

»Vielen Dank. Das ist sehr freundlich von Ihnen.«

»Von Ihnen? Ach weißt’«, meinte er, »hier sind wir per du, schließlich sind wir ja keine alten Leut’. Grüß dich. Ich bin der Xaver Buchner.«

»Christina König«, stellte sie sich vor.

Sie wußte gar nicht, ob es ihr eigentlich recht war, daß er sie gleich duzte. Aber irgendwie hatte der Bursche etwas an sich, daß sie ihm überhaupt nicht böse sein konnte. Er war schlank und braungebrannt, die dunklen Haare waren kurz geschnitten, und in dem markanten Gesicht schauten zwei dunkle Augen sie freundlich an.

»Bist’ auf Urlaub da?« erkundigte er sich.

»Ja«, antwortete sie. »Grad’ erst angekommen.«

Xaver winkte die Bedienung heran.

»Christel, das ist die Tina, und ich glaub’, sie ist sehr durstig«, grinste er.

Christel Tannhofer grüßte die Kindergärtnerin.

»Was darf’s denn sein?«

Tina hatte noch gar keine Zeit gehabt, auf die Karte zu schauen.

»Eine Apfelschorle, bitte«, bestellte sie.

»Kommt sofort«, sagte Christel und schaute Xaver an. »Und du wolltest zahlen?«

»Ich? Na, wie kommst’ darauf?« meinte er mit Blick auf Tina, und seine Augen funkelten. »Jetzt wird’s doch erst gemütlich. Bring’ mir noch ein Bier.«

Die Bedienung sah Tina an.

»Nehmen S’ sich vor dem in acht«, sagte sie augenzwinkernd, »der Xaver ist ein Hallodri!«

Der Bursche lachte laut auf.

»Mußt du jedes hübsche Madel vor mir warnen?« fragte er.

Offenbar machte es ihm nichts aus, daß Christel Tannhofer ihn als Hallodri bezeichnet hatte.

»Besser ist’s«, lachte die Bedienung und ging davon, um das Bestellte zu holen.

Xaver wandte sich Tina zu.

»Glaub’ bloß net alles, was sie sagt«, grinste er und schaute sie fragend an. »Darf man fragen, woher du kommst?«

»Aus München«, erzählte sie.

»Und wie lang’ hast Urlaub?«

»Vierzehn Tag insgesamt.«

Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und streckte die Beine aus.

»Vierzehn Tage, Donnerwetter«, sagte er. »Die möcht’ ich auch mal frei haben!«

»Wieso? Was arbeitest du denn?« fragte Tina.

Er sah sie schmunzelnd an.

»Na, was meinst’ denn?« stellte er die Gegenfrage, ohne ihre zu beantworten.

Die Kindergärtnerin zuckte die Schultern.

»Ja, weiß ich net«, erwiderte sie. »Keine Ahnung. Vielleicht etwas mit Computern?«

»Computer?« rief er aus. »Bleib’ mir bloß mit solchem Zeug vom Leib. Ich hab’ zu Haus so ein Ding stehen. Einmal eingeschaltet und dann nie wieder. Der hat immer das gemacht, was ich net wollte. Da hab’ ich’s schließlich aufgegeben, obwohl ich einen Computer für meinen Betrieb gut brauchen könnt.«

»Dann komm’ ich net drauf, was du arbeiten könnt’s.«

»Ich verrat’s dir«, sagte Xaver schließlich. »Ich hab’ einen Bauernhof, droben am Zwillingsgipfel.«

Tina stutzte einen Moment. Wie ein Bauer sah er nicht unbedingt aus.

Aber wie sah eigentlich ein Bauer aus?

Freilich konnte man vom Aussehen eines Menschen nicht auf seinen Beruf schließen. Aber Anzeichen gab es schon, etwa die Kleidung. Xaver Buchner trug indes eine moderne Jeans, ein T-Shirt, und seine nackten Füße steckten in modischen Turnschuhen, und so stellte man sich einen Bauern gemeinhin wahrlich nicht vor.

»Jetzt staunst’, was?« meinte er.

Tina nickte und kam nicht mehr dazu, noch etwas zu sagen, denn Christel Tannhofer brachte die Getränke.

»Prost, auf einen schönen Urlaub«, sagte Xaver und hielt Tina sein Glas entgegen.

Sie stießen an und tranken.

Wirklich, ein netter Kerl, dachte die Kindergärtnerin und versuchte dabei den intensiven Blick zu ignorieren, mit dem er sie betrachtete.

Nett und nicht ungefährlich!

»Was hast’ dir denn so vorgenommen?« wollte er wissen, nachdem er sich den Bierschaum von den Lippen gewischt hatte. »Man kann hier allerhand unternehmen.«

»Ach, das weiß ich noch gar net so genau.« Tina zuckte die Schultern. »Einfach nur ein bissel Faulenzen und Entspannen.«

»Aber doch net vierzehn Tag’ lang«, meinte Xaver. »Also, wenn ich hier Urlaub machen tät’, ich wüßt’ schon, was ich so alles unternehmen würd’.«

Er blickte sie vieldeutig an.

»Leider ist grad Hochsaison, da ist net viel Zeit, um freizumachen«, fuhr er fort. »Und eigentlich müßt’ ich längst auf dem Hof sein, da warten die Kühe darauf, gemolken zu werden. Aber am Wochenend’ ist Tanz, hier im ›Löwen‹, da könnten wir zwei doch zusammen hingehen. Was meinst’ dazu?«

Tina König war überrascht. Kaum ein paar Stunden war sie hier, und schon wollte sich jemand mit ihr verabreden.

Aber warum nicht, schließlich war sie mit der Absicht hergefahren, Leute in ihrem Alter kennenzulernen, ein bissel Spaß zu haben und dabei Andreas zu vergessen.

Und was konnte es schon schaden, wenn sie die Einladung annahm? Auf den Tanzabend wollte sie ohnehin gehen!

»Prima«, freute sich Xaver, als sie zustimmend nickte. »Und vorher zeig’ ich dir meinen Hof. Wenn du magst, schon morgen.«

Er trank sein Bier aus.

»Tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Aber jetzt muß ich wirklich los, sonst steigt mir die Hanna auf den Kopf, wenn ich sie mit den Kühen allein’ lassen.«

Er zog einen Geldschein aus der Hosentasche und warf ihn auf den Tisch.

»Also, wenn du Lust hast, dann komm morgen einfach mal vorbei«, setzte er im Gehen hinzu. »Bis zum Gletscherwegweiser mußt’ fahren und dann immer den Schildern nach. Kannst’ ihn gar net verfehlen, den Hof.«

Er winkte noch einmal und war auch schon verschwunden.

Tina trank noch einen Schluck und schüttelte amüsiert den Kopf. Das war die schnellste Verabredung ihres Lebens gewesen.

Christel kam und erkundigte sich, ob Tina noch einen Wunsch habe.

»Eigentlich wollt’ ich was essen.«

»Dann bring’ ich gleich mal die Karte«, sagte die Bedienung. »Und übrigens, wegen dem Xaver, das vorhin war natürlich ein Scherz. In Wirklichkeit ist er ein ganz lieber Bursche.«

Tina nicke.

Ja, diesen Eindruck hatte sie auch gewonnen...

*

»Guten Morgen. Haben S’ gut geschlafen?« begrüßte Ria die Kindergärtnerin am nächsten Morgen.

»Ja, ganz wunderbar«, antwortete Christina König. »Daheim, in München, wohn’ ich zwar in einem Vorort, aber da ist nachts genauso viel Lärm wie am Tag. Hier jedoch hab’ ich gar nix mehr gehört.«

Dabei hatte sie noch lange wach gelegen. Nachdem Tina im Kaffeegarten gegessen hatte, war sie langsam zur Pension zurückgegangen. Es war noch recht früh am Abend, und sie rief erst einmal ihre Mutter an und erzählte begeistert, wie schön es in St. Johann sei.

Annelore König wünschte einen schönen Urlaub und trug der Tochter auf, Andreas zu grüßen. Daß Tina und er sich getrennt hatten, wußte sie noch nicht...

Die junge Frau schluckte und versicherte, die Grüße ausrichten zu wollen. Am Telefon wollte sie der Mutter nicht erzählen, daß sie alleine gefahren war. Das hätte nur eine unnötige Diskussion nach sich gezogen, zu der Tina keine Lust hatte. Aber es erinnerte sie daran, daß die Trennung noch ganz frisch war und wehtat.

Auf dem Spaziergang hatte sie einige Ansichtskarten gekauft. Nach dem Telefonat setzte sie sich an den kleinen Tisch, der draußen auf dem Balkon stand, und schrieb den Kolleginnen im Kindergarten einen Gruß, natürlich bekam die Freundin zu Hause auch eine Karte, und die Nachbarin, die sich so freundlich um Blumen und Post kümmerte. Danach setzte sich Tina bequem zurück und schaute in die untergehende Sonne.

Irgendwo da oben ist also der Buchnerhof, dachte sie, als sie die Zwillingsgipfel ›Himmelsspitz‹ und ›Wintermaid‹ betrachtete.

Tina lächelte unwillkürlich, als sie daran dachte, wie unverhohlen dieser Xaver mit ihr geflirtet hatte. Aber sie freute sich auch darüber. Immerhin gab es noch andere Männer, die sich für sie interessierten.

Dennoch – auch Andreas ging ihr an diesem Abend nicht aus dem Kopf. Seit sie sich vor zwei Jahren kennengelernt hatten, waren sie unzertrennlich gewesen.

Der junge Informatiker hatte sie angesprochen, als Tina auf der Geburtstagsfeier einer Kollegin war. Inges Mann und Andreas waren schon seit der Schulzeit befreundet, und als er Tina vorgestellt wurde, war er sofort ›von den Socken‹, wie er ihr später lachend erzählte.

Es waren zwei wunderschöne Jahre gewesen!

Nach dem ersten Kennenlernen, waren sie hin und wieder ausgegangen, ins Kino oder zum Tanzen. Andreas war nicht sofort mit der Tür ins Haus gefallen, sondern hatte sich Zeit gelassen. Aber bei beiden war dieses herrliche Kribbeln, das einem sagte, daß man verliebt ist, wenn sie aneinander dachten.

Gut vier Wochen dauerte es, bis zum ersten Kuß, und der war bis heute unvergeßlich!

Annelore König war von Andreas begeistert. Tinas Vater war schon verstorben, als die Tochter erst sechzehn Jahre alt war, und die Mutter hatte nie wieder geheiratet. Mit Tinas Wahl war sie voll und ganz einverstanden und sah in Andreas schon den Schwiegersohn. Dessen Eltern hatten die Kindergärtnerin ohnehin schon ›adoptiert‹. Tina ging im Hause Bergmann ein und aus, und sprach Hans und Birgit mit Vornamen an. Niemand in der Familie oder im Freundeskreis zweifelte daran, daß die beiden einmal heiraten würden.

Und doch war alles anders gekommen.

Über all dies grübelte Tina an diesem Abend nach. Bis es kühl wurde, hatte sie draußen gesessen. Dann war sie hineingegangen und hatte das Fernsehgerät eingeschaltet. Doch das Programm lenkte sie kaum von den trüben Gedanken ab. In der Pension war es still, die Gäste schliefen schon alle, und Tina fühlte sich wie der einsamste Mensch auf der Welt.

Schließlich ging sie ins Bett, las ein paar Seiten in einem Roman und schlief schließlich irgendwann ein.

»Ich hab’ draußen gedeckt«, sagte Ria Stubler. »Der Tisch links, gleich neben der Terrassentür. Was möchten S’ denn trinken, Kaffee oder Tee?«

Tina bat um Kaffee und wünschte sich ein gekochtes Ei. Sie hätte auch Spiegeleier mit Speck oder Rührei haben können. Überhaupt war das Frühstück in der Pension Stubler anders, als sie es aus Hotels kannte. Nichts war vorgefertigt oder kam aus der Packung, alles wurde frisch hergerichtet, und selbstverständlich wurden die Eier erst dann gekocht, wenn die Gäste sie bestellt hatten.

Die Kindergärtnerin bedankte sich bei der Wirtin und ging hinaus. Unter großen Sonnenschirmen saßen schon andere Gäste und frühstückten. Tina grüßte und nahm an dem Tisch Platz, der für sie vorgesehen war. Ria brachte den Kaffee und einen großen Korb mit frischen Semmeln und verschiedenen Brotsorten. Auf dem Tisch standen schon abgedeckte Schüsselchen mit Honig und hausgemachter Marmelade, die Butter wurde zusammen mit dem Ei gebracht, und dazu eine große Platte mit Wurst und Käse.

»Ist das alles für mich?« fragte Tina ungläubig.

»Langen S’ nur tüchtig zu«, schmunzelte die Wirtin. »Bergluft macht hungrig. Und wenn S’ möchten, dann machen S’ sich noch ein paar belegte Brote für später, dann brauchen S’ net essen gehen und schonen die Reisekasse. Ich bring’ Ihnen gern’ Papier zum Einwickeln.«

Tina freute sich über das großzügige Angebot. Aber jetzt wollte sie erst einmal frühstücken und all die Köstlichkeiten probieren, die die freundliche Wirtin aufgetischt hatte.

*

Ria Stubler umsorgte ihre Gäste wie eine Glucke ihre Küken. Stets und überall war sie bemüht, Wünsche zu erfüllen oder fragte hier und da ob noch etwas fehle und ob das Frühstück auch ausreichend sei.

Nachdem die ersten Tische wieder frei und abgeräumt waren, kam sie zu Tina und erkundigte sich, ob es schmecke.

»Ganz wunderbar, Frau Stubler«, antwortete die Kindergärtnerin. »Vor allem der Käse. Der ist wirklich eine Wucht!«

»Ja, das ist sagen alle meine Gäste. Wissen S’, der kommt von der Kandereralm, droben unterm Gipfel. Der Franz, das ist der Senner, der versteht sein Handwerk. Haben S’ sich eigentlich bei der Touristeninformation wegen einer Bergtour angemeldet?«

Tina schüttelte den Kopf. Ursprünglich hatten Andreas und sie vorgehabt, eine Tour zu unternehmen, aber alleine hatte sie keine rechte Lust dazu.

Ria setzte sich zu ihr.

»Das dürften S’ sich aber eigentlich net entgehen lassen«, meinte sie. »Ohne eine Tour sind S’ net richtig in den Bergen gewesen. Allerdings wird’s jetzt dafür zu spät sein. Die meisten Bergführer haben feste Gruppen und sind auf Wochen im voraus schon ausgebucht.«

Jetzt fand Tina es auch schade. Der Käse hatte ihr so gut geschmeckt, daß sie gerne gesehen hätte, wie er hergestellt wurde. In den Prospekten, die sie und Andreas gelesen hatten, stand irgendwo, daß es durchaus die Möglichkeit gab, den Sennern bei der Arbeit zuzuschauen.

»Was haben S’ sich denn sonst so vorgenommen?« fragte die Wirtin.

Es klang keineswegs neugierig, vielmehr wollte Ria damit andeuten, daß sie bestimmte Ratschläge und Tips für die Urlaubsgestaltung geben konnte.

»An den Achsteinsee würd’ ich gern’ fahren«, antwortete Tina. »Eine Freundin, die schon mal dort war, hat gesagt, ich müsse unbedingt in dem See baden.«

»Ja, da hat sie recht, Ihre Freundin«, nickte Ria. »Das ist auch ein einmaliges Panorama, das Ihnen da geboten wird.«

»Sagen Sie, Frau Stubler, kennen Sie den Buchnerhof?« fragte die junge Frau.

»Ach, nennen S’ mich dich einfach Ria«, bemerkte die Wirtin. »Das tun alle hier.«

»Gern, und ich bin Tina.«

»Buchnerhof sagen Sie«, meinte die ältere Frau dann nachdenklich und schüttelte den Kopf. »Nein, wo soll der denn liegen?«

Tina zuckte die Schultern.

»Irgendwo unterhalb des Gletschers«, antwortete sie.

»Warten S’ mal, da gibt’s den Hochthalerhof, den vom Granderbauern und den Trenkerhof. Aber einen Buchnerhof wüßt’ ich net da oben.«

»Komisch...«

»Warum fragen Sie danach, Tina?«

Die Kindergärtnerin lächelte.

»Ach, ich hab’ da gestern jemanden im Kaffeegarten kennengelernt«, erwiderte sie. »Er hat gemeint, ich soll ihn mal besuchen. Aber vielleicht hat er sich auch nur einen Scherz erlaubt...«

»Wie heißt er denn? Wissen S’ seinen Namen?«

»Ja. Buchner. Xaver Buchner hat er gesagt, darum dacht’ ich ja auch, daß es einen Buchnerhof hier gibt.«

Rias Miene hellte sich auf.

»Ach, jetzt weiß ich«, sagte sie. »Stimmt, der Xaver hat einen Hof, aber das ist der von der Familie Trenker. Sein Vater hat ihn seinerzeit vom Herrn Pfarrer und dessen Bruder gekauft.«

»Aha...«

»Wissen S’ Tina, das ist so«, erklärte Ria, »die Trenkers sind eine alteingesessene Bauernfamilie gewesen. Ich glaub’ über dreihundert Jahr war der Hof in ihrem Besitz. Der Vater von unsrem Pfarrer war der letzte Bauer dort oben. Die beiden Söhne wären sicher auch gute Bauern geworden, aber der Sebastian, der Ältere, wollt Theologie studieren, und sein Bruder, der Max, zur Polizei gehen. Nach dem Tod der Eltern haben die beiden den Hof an den Xaver Buchner senior verkauft, und dessen Sohn hat ihn später übernommen.«

»Und der ältere Bruder ist jetzt hier Geistlicher?«

»Ja, genau, und da fällt mir ein, daß sie ihn mal fragen könnten, ob er Sie net mitnimmt, wenn er mal wieder eine Bergtour macht. Hochwürden ist nämlich begeisterter Wanderer und Kletterer. Der kennt sich da oben aus, wie kein andrer. Deshalb nennen ihn die Leut’ auch den ›Bergpfarrer‹. Seit seiner Jugend ist er in den Bergen unterwegs gewesen, und weil er den Eltern net auf der Tasche liegen wollte, hat er sich das Studium verdient, indem er Touristen hinaufgeführt hat. Also, das sollten S’ wirklich machen, ihn fragen. Er sagt bestimmt net nein.«

»Na ja, die Kirche wollt’ ich mir sowieso anschau’n« meinte Tina. »Und Fragen kostet ja nix.«

Sie bedankte sich und ging in ihr Zimmer hinauf.

Einen Moment schwankte sie, ob sie erst zum Hof hinauffahren oder lieber in die Kirche gehen sollte. Schließlich entschied sie, daß Xaver Buchner ruhig noch warten sollte. Er hätte ja gleich sagen können, daß es sich um den Trenkerhof handelte.

*

Eine Touristengruppe kam gerade heraus, als Tina das Gotteshaus betrat. Ehrfürchtig stand sie in der Tür und schaute sich um. Der Prospekt hatte nicht übertrieben. Es war überwältigend, was sie zu sehen bekam.

Langsam ging die Kindergärtnerin zum Altar. Überall funkelte und glänzte es, in den Nischen standen geschnitzte Heiligenfiguren, das Glas der Fenster zeigten Motive aus der Bibel und die Deckenmalereien stellten Szenen aus dem Leben Johannes des Täufers dar.

Tina betrachtete alles ausgiebig. Jetzt stand sie vor einem großen Porträt, das den Erlöser darstellte. Es hieß ›Gethsemane‹ und zeigte den Gottessohn am Abend vor der Kreuzigung, im Gebet versunken. Es war ergreifend, wie es dem Künstler gelungen war, das Wissen um die Unabänderlichkeit seines Schicksals im Gesicht des Heilands wiederzugeben.

Tina war dankbar für den Moment, den sie hier alleine verweilen durfte, ohne von dem Gemurmel anderer Urlauber, oder dem Blitzlicht ihrer Fotoapparate gestört zu werden. Sie war so in den Anblick versunken, daß sie förmlich zusammenzuckte, als jemand sie ansprach.

»Entschuldigen S’, ich wollt’ Sie net erschrecken«, sagte der Mann in der Soutane.

Die junge Frau schaute ihn verwundert an.

Sollte das Pfarrer Trenker sein?

Er groß und schlank, hatte ein gebräuntes Gesicht und eine sportliche Figur. Wäre das Priestergewand nicht gewesen, hätte sie ihn eher für einen Schauspieler oder prominenten Sportler halten können.

»Ich hab’ Sie gar net kommen hören«, lächelte sie. »Pfarrer Trenker?«

»Der bin ich«, nickte er.

»Christina König«, stellte sie sich vor und deutete auf das Gemälde. »Ein wunderschönes Bild.«

»Ja, wir sind auch sehr stolz darauf«, meinte Sebastian Trenker und zeigte auf die Madonnenstatue. »Zusammen mit der Gottesmutter wird es mit am meisten fotografierten.«

Der Geistliche machte eine

Rundumbewegung.

»Kommen S’, ich führ’ Sie ein bissel herum«, bot er an.

Eine knappe Dreiviertelstunde dauerte der Rundgang durch die Kirche, und am Ende hatte Tina mehr zu sehen bekommen, als die meisten anderen Besucher.

»Sie machen also Urlaub hier?« erkundigte sich der Bergpfarrer nebenbei.

»Ja, ich bin gestern erst angekommen«, sagte die junge Krankenschwester und nickte.

»Und wo wohnen Sie, wenn ich fragen darf?«

»In der Pension Stubler.«

»Ach, bei der Ria. Dann sind S’ ja in den besten Händen.«

»Ja, sie ist wirklich sehr fürsorglich. Sie hat mir auch den Rat gegeben, mich an Sie zu wenden...«

»Lassen S’ mich raten«, schmunzelte Sebastian. »Sie möchten eine Bergtour machen, richtig?«

»Stimmt«, lächelte sie zurück.

»Und Ria hat gemeint, Sie sollten mich fragen, ob ich wieder aufsteig’ und Sie mitnehme.«

Der gute Hirte von St. Johann nickte.

»Das läßt sich einrichten«, setzte er hinzu. »Übermorgen soll’s mal wieder losgehen. Wie schaut’s denn aus, haben S’ Wanderkleidung dabei?«

»Leider net«, bedauerte Tina. »Eigentlich wollt’ ich nämlich zusammen mit meinem...«

Sie zögerte, das Wort Freund auszusprechen.

»...mit einem Bekannten herkommen, aber das hat sich dann zerschlagen«, sagte sie statt dessen.

»Das macht gar nix, mit der richtigen Kleidung kann ich aushelfen; im Pfarrhaus gibt’s genug davon«, sagte Sebastian Trenker. »Ich schlag’ vor, daß Sie heut’ nachmittag einfach auf einen Kaffee rüberkommen, dann kann ich Ihnen auch die Tour schon mal auf der Karte zeigen, und meine Haushälterin hilft Ihnen dann, was Passendes rauszusuchen.«

»Ach, das wäre ja wirklich toll!« freute Tina sich. »Vielen Dank, Hochwürden.«

»Keine Ursache!« Der Geistliche schüttelte den Kopf. »Ich freu’ mich immer, wenn ich den Leuten die Schönheiten meiner Heimat zeigen kann.«

Sie reichte ihm die Hand und verabschiedete sich.

»Dann bis heut’ nachmittag, also.«

»Ich werd’ meiner Haushälterin sagen, daß Sie schon mal was zurechtlegt. Bis nachher.«

Glücklich verließ Tina die Kirche und ging den Kiesweg hinunter. Sie freute sich, daß es jetzt doch noch was mit der Bergtour wurde.

Vor der Pension stieg sie in ihr Auto und wendete. Ria hatte ihr den Weg zum Trenkerhof genau beschrieben, aber sie hätte wohl auch so dahingefunden, denn es standen immer wieder Wegweiser an den Straßen.

Sie war gespannt, wie Xaver Buchner auf ihren Besuch reagieren würde.

Tina hatte sich inzwischen eingestanden, daß der Bursche sie interessierte. Vielleicht sogar noch mehr...

Jedenfalls hatte er eine Saite in ihr anklingen lassen, und nun war sie gespannt darauf, ihn wiederzusehen.

*

Johanna Sonnenhofer schaltete die Herdplatte auf die kleinste Stufe und legte den Deckel nur halb auf den Topf, damit die Suppe nicht überkochte. Dann ging sie in die Waschküche und holte den Korb mit der Wäsche. Nach einem prüfenden Blick zum Himmel, hatte sie sich entschieden, die Wäsche auf die Leine zu hängen, dann konnte sie nach dem Essen wieder abgenommen und gleich gebügelt werden. ›Toni‹, der Hofhund, trottete neben ihr her, als sie zur Wiese hinter dem Haus ging. Der Bauer war noch unterwegs auf den Feldern, und bis zum Mittag war es noch eine gute Weile hin.

Die Magd, die eigentlich nur Hanna genannt wurde, hatte die Wäsche schnell aufgehängt. Sie setzte sich einen Moment auf die Bank und hielt ihr Gesicht in die Sonne.

Vierundzwanzig Jahre war sie alt, hatte dunkles, fast schwarzes Haar, das sie während der Arbeit meist zu Zöpfen gebunden trug. Ihre Figur kam auch in dem Kittel, den sie anhatte, gut zur Geltung. Seit eineinhalb Jahren arbeitete sie auf dem Trenkerhof, als einzige Angestellte. Xaver Buchner nahm nur in der Erntezeit Saisonkräfte unter Vertrag, sonst arbeitete er ganz alleine.

Toni hob den Kopf und lauschte. Die Magd war nicht sicher, aber sie glaubte, ein Auto gehört zu haben, das auf den Hof gefahren war. Sie stand auf und ging nach vorne. Gerade, als sie um die Hausecke kam, stieg eine junge Frau aus dem Wagen.

Nanu, was will die denn hier? ging es Hanna durch den Kopf.

So lange sie schon hier arbeitete, war noch nie jemand Fremdes auf den Hof gekommen.

Die Unbekannte mochte vielleicht ein, zwei Jahre jünger sein. Sie war blond und sah ziemlich hübsch aus. Hanna registrierte es sofort.

»Grüß Gott«, sagte sie. »Zu wem möchten S’?«

»Grüß Gott«, nickte die Besucherin zurück. »Das ist doch der Trenkerhof, net wahr?«

»Ja, da sind S’ richtig«, antwortete die Magd. »Aber der Bauer ist net daheim. Worum geht’s denn? Vielleicht kann ich Ihnen ja weiterhelfen.«

Tina ließ sich nicht anmerken, daß sie ein wenig enttäuscht war. Jetzt hatte sie extra den Weg herauf gemacht, und Xaver war gar nicht zu Hause.

Allerdings hatte er auch nicht gesagt, daß er vielleicht unterwegs sein würde.

»Der Besuch ist privat«, antwortete die Kindergärtnerin. »Der Herr Buchner hat mich eingeladen. Schad’, daß er net da ist.«

Täuschte sie sich, oder machte die Frau in der Kittelschürze ein mürrisches Gesicht?

»Wann kommt er denn wieder heim?« fragte Tina.

Die Magd zuckte die Schultern.

»Keine Ahnung. Wollen S’ vielleicht auf ihn warten?«

Tina biß sich auf die Lippe, was sie meistens tat, wenn sie ratlos war. Natürlich konnte sie auf Xaver warten, aber die Frau machte nicht gerade den Eindruck, als ob ihr das recht wäre.

Plötzlich schoß ihr ein Gedanke siedendheiß durch den Kopf.

War das etwa seine Frau?

O Gott, dachte sie, der Bursche hat sich tatsächlich einen Scherz gemacht, und jetzt steh’ ich hier wie ein Depp, und seine Frau denkt sonstwas!

»Nein, nein«, schüttelte sie hastig den Kopf. »Ich... ich hab’ auch gar keine Zeit. Wiedersehen...«

Rasch stieg sie in ihr Auto und fuhr vom Hof.

Hanna Sonnenhofer stand immer noch an der Stelle und schaute ihr nach. Im Gesicht der Magd zuckte es, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Er hat’s immer noch net kapiert, dachte sie bitter. Oder er will’s net. Vielleicht gefall’ ich ihm ja auch gar net. Da leben wir jetzt beinahe zwei Jahre unter einem Dach, und der Depp hat immer noch net gemerkt, daß ich ihn liebhab.

Hanna zog ein Taschentuch hervor und trocknete die Tränen ab. Mit hängenden Schultern ging sie ins Haus zurück und setzte sich in der Küche auf die Eckbank. Sie knetete die Hände und dachte, daß es so nicht weitergehen konnte. Welches Signal sie auch immer aussandte, Xaver verstand es einfach nicht. Als sie damals auf den Hof gekommen war, hatte sie ein schreckliches Erlebnis hinter sich. Der Mann, den sie liebte und heiraten wollte, hatte sie betrogen. Freunde hatten Hanna darauf aufmerksam gemacht. Sie stammte aus dem Bayerischen Wald, wo sie in einem kleinen Dorf geboren und aufgewachsen war. Im Nachbarort hatte sie später auf dem Hof eines Bauern als Magd angefangen und dort Loisl kennengelernt, den jungen Knecht, von dem sie glaubte, daß er die große Liebe ihres Lebens wäre.

Nach dem Betrug hatte Hanna die Konsequenzen gezogen und war fortgegangen. Fern der Heimat suchte sie einen Neuanfang, und die Stelle auf dem Trenkerhof kam ihre gerade recht. Zuerst war der junge, fesche Bauer für sie nicht mehr, als ihr Arbeitgeber, aber mit der Zeit, nachdem die Wunden verheilt waren, spürte sie, daß sie mehr für Xaver Buchner empfand als Freundschaft und Sympathie. Sie liebte ihn mit heißem Herzen und hoffte innig, daß diese Liebe eines Tages erwidert würde.

Doch bisher war diese Hoffnung vergebens gewesen.

Freilich, er war nett zu ihr, lobte ihre Arbeit und freute sich über das gute Essen und ein sauberes Haus. Auf dem Saal im ›Löwen‹ hatten sie sogar schon zusammen getanzt, und am Sonntag fuhren sie zusammen hinunter ins Dorf und gingen in die Heilige Messe. In den Augen der anderen schienen sie sogar schon ein Paar zu sein, aber Hanna wußte, daß der Schein trog.

Mit keinem Wort, keiner Geste hatte Xaver ihr jemals zu verstehen gegeben, daß er in ihr mehr sah, als nur die tüchtige Magd.

Und das tat ganz fürchterlich weh!

Vor allem, wenn sie, wie jetzt, erleben mußte, daß eine Frau herkam, die er eingeladen hatte.

Sie dachte an Pfarrer Trenker, der hin und wieder auf den Hof seiner Vorfahren kam und sch erkundigte, wie es so gehe. So manches Mal hatte der Geistliche Xaver gefragt, ob er nicht heiraten wollte. Aber der Bauer hatte nur gelacht und sich nicht weiter dazu geäußert. Hochwürden hatte dann Hanna immer nachdenklich angesehen.

Ahnte er vielleicht, daß sie Xaver liebte?

Vielleicht sollte ich mich ihm anvertrauen, überlegte sie. Hochwürden hat schon so manchem zu seinem Glück verholfen.

Doch dann war da wieder diese Scheu. Mehr als ihr hübsches Aussehen und ihre Arbeitskraft hatte sie nicht. Von Haus aus war Hanna Sonnenhofer nicht vermögend, ganz im Gegenteil: die Eltern waren nie reich gewesen und hatten zusehen müssen, wie sie die Familie mit drei Kindern über Wasser hielt.

Wenn ich Geld hätt’, dachte sie, dann würd’ er mich vielleicht mit andren Augen anschauen, dachte sie.

*

Ein wenig enttäuscht war Tina schon, daß sie den jungen Bauern nicht angetroffen hatte, und sie fragte sich immer noch, ob Xaver seine Einladung wirklich ernst gemeint hatte.

Vielleicht war ja doch etwas an den Worten der Bedienung im Kaffeegarten, daß er ein Hallodri sei.

Ein wenig verärgert war sie vom Trenkerhof gefahren und wußte nicht so recht, wohin sie nun sollte. An den See zu fahren, mit diesem Gedanken konnte sie sich nicht so recht anfreunden. Dazu hätte sie erst in die Pension zurückkehren müssen und ihre Badesachen holen.

Tina fuhr einfach ein wenig durch die Gegend und hielt schließlich auf einem Parkplatz an. Sie hatte eine kleine Karte mitgenommen und sah nun, daß sie sich am Kogler befand. Sie nahm die Tasche mit dem Proviant und stieg aus. Am Rande standen mehrere Bänke. Die Kindergärtnerin ließ sich auf eine nieder und aß von den belegten Broten, die sie sich beim Frühstück zurechtgemacht hatte. Dabei schaute sie zum Berg hinauf und freute sich auf den Nachmittag und den Besuch im Pfarrhaus. Bestimmt würde es ein tolles Erlebnis werden, wenn sie am übernächsten Tag mit Hochwürden auf Tour ging.

Das Handy in ihrer Handtasche klingelte. Tina zuckte bei dem Geräusch zusammen. Ihr war weder bewußt, daß sie das Mobiltelefon dabei hatte, noch daß es eingeschaltet war.

Andreas?

Enttäuschung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, als sie auf dem Display den Namen las. Es war ihre Mutter.

»Sag’ mal, Kind«, legte Annelore König sofort los, kaum, daß die Tochter sich gemeldet hatte, »du hast mir ja gar net gesagt, daß du allein’ gefahren bist! Was ist denn da los, mit dir und dem Andreas?«

Tina stöhnte innerlich auf.

»Woher weißt du das überhaupt?« fragte sie.

»Birgit hat mich grad angerufen«, antwortete ihre Mutter. »Mensch, Tina, mußte das denn sein? Ihr wolltet doch einen so schönen Urlaub zusammen verbringen!«

»Was fragst du mich das?« rief Tina gereizt. »Ich hab’ den Streit net vom Zaun gebrochen, und außerdem hat Andreas Schluß gemacht, net ich!«

Einen Moment war Stille.

»Ach, Madel, ich mein’s doch nur gut«, sagte Annelore dann. »Und es tut mir so furchtbar leid, daß das passiert ist. Ich wollt’ fragen, ob’s dir gut geht, und ob ich irgendwas machen kann?«

»Mir geht’s gut, Mama«, antwortete die junge Frau. »Und machen kannst du nix. Es ist eben vorbei. Andreas wollt’ es so, und nun muß er sich darüber klar sein, daß auch andre Mütter fesche Söhne haben.«

Bei dieser Bemerkung schrak sie selbst zusammen. Sie war ihr einfach so herausgerutscht.

»Aber Kind«, rief ihre Mutter auch sofort, »du willst’ dich noch net gleich in eine neue Beziehung stürzen, oder? Ich mein’, steht’s denn schon so richtig fest, daß ihr auseinander seid?«

»Beruhige dich«, sagte die Tochter. »Nein, ich hab’ net die Absicht, mir gleich wieder einen neuen Freund zu suchen.«

»Gott sei Dank. Ich dachte schon...«

»Hat Birgit denn noch was gesagt?« wollte Tina wissen.

»Na ja, net viel. Eben, daß ihr euch gestritten habt, und daß du dich net mehr gemeldet hast, bevor du losgefahren bist.«

»Na toll, bekomm’ ich jetzt die Schuld an der ganzen Angelegenheit, was?«

»Nein, nein, so hat sie’s sicher net gemeint.«

»Andreas hätt’ auch den ersten Schritt tun können«, verteidigte sich Tina. »Warum sollen wir Frauen immer klein beigeben?«

»Du hast ja recht«, meinte Annelore König. »Aber es ist halt schad’. Ihr habt so gut zusammengepaßt.«

»Offenbar hat’s nur nach außen hin so gewirkt«, sagte ihre Tochter und wunderte sich darüber, wie nüchtern sie die Sache nun betrachtete und kommentierte. »Also, lassen wir das. Wenn Andreas das Bedürfnis gehabt hätte, mit mir zu sprechen, hätte er anrufen können oder zu mir kommen. Das kann er übrigens immer noch, wenn er will. Von mir aus kannst’ ihm das ausrichten, falls du was von ihm hörst.«

»Hm... ja, mach’ ich...«, stotterte ihre Mutter, »aber ich glaub’ net, daß er sich bei mir meldet. Birgit hat gesagt, daß er gestern morgen weggefahren ist. Er wollt’ eine Weile allein bleiben. Ich hab’ keine Ahnung wohin.«

Diese Nachricht ließ Tina doch zusammenzucken.

Offenbar war Andreas nun alleine in Urlaub gefahren, und das bedeutete, daß ihm wirklich nichts mehr an ihr lag.

»Bist du noch da?« rief ihre Mutter.

»Ja, ja...«

»Was machst’ denn grad?«

»Ich sitz’ hier auf einer Aussichtsbank und laß mir mein zweites Frühstück schmecken«, erzählte Tina. »Daß die Pension toll ist, hab’ ich dir ja gestern schon erzählt, und die Wirtin ist eine Seele von Mensch. Ich fühl’ mich wirklich wohl hier. Übermorgen mach’ ich übrigens eine Bergtour.«

»Schön. Hast’ dich einer Wandergruppe angeschlossen?«

»Nein, die Bergführer sind alle ausgebucht. Ich geh’ allein’...«

»Was, allein’?« unterbrach ihre Mutter sie. »Kind, das ist doch viel zu gefährlich. Du kennst dich doch in den Bergen überhaupt net aus!«

»Mama, laß mich doch ausreden!« lachte Tina. »Natürlich geh’ ich net allein. Mein Bergführer ist der Pfarrer hier in St. Johann.«

»Wie, arbeitet der als Bergführer?«

Tina mußte noch mal laut lachen.

»Nein, Mama, er kennt sich nur sehr gut in den Bergen aus, weil er hier geboren ist und viele Touren unternimmt. Ich hab’ heut’ morgen von Frau Stubler den Tip bekommen, ihn zu fragen, und es hat geklappt.«

»Ach, dann bin ich ja beruhigt«, sagte Annelore König erleichtert. »So, jetzt muß ich aber Schluß machen. Hedwig kommt nachher, wir wollen einen Stadtbummel machen. Ich wünsch’ dir noch einen schönen Tag und viel Spaß bei der Bergtour.«

»Danke, Mama«, erwiderte die Tochter. »Und grüß’ Tante Hedwig. Eine Ansichtskarte aus St. Johann an sie ist unterwegs.«

Sie beendete die Verbindung und steckte das Handy wieder ein. Die Nachricht, daß Andreas in Urlaub gefahren war, beschäftigte sie noch eine Weile. Diese Tatsache bedeutete nun wohl doch das endgültige Aus.

Einen Moment verschwamm die Landschaft vor ihren Augen, die sich mit Tränen gefüllt hatten. Dann wischte sie sie trotzig fort.

Na schön, dachte Tina, dann ist es eben so!

Sie war wieder frei und ungebunden und brauchte kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie einen anderen Mann anschaute. Und der Gedanke an den feschen Xaver Buchner vom Trenkerhof hellte ihre trübe Stimmung wieder auf.

»Dem werd’ ich schon noch ein paar Takte erzählen«, murmelte sie lächelnd, während sie zum Auto zurückging. »Mich einladen und dann net zu Haus sein. Wo gibt’s denn so was!«

*

»Kommst du noch mit auf ein Eis?« fragte Lissy Burger, als sie neben Kathi aus dem Schulgebäude ging.

»Eine verlockende Idee«, antwortete die Hauswirtschaftsschülerin. »Aber ich hab’ noch was vor.«

Sie verabschiedete sich und ging ein paar hundert Meter weiter zur Bushaltestelle. Kathi wollte zur Fabrik am Stadtrand fahren und ihren Vater von der Arbeit abholen. Die Idee war ihr spontan gekommen, als am Morgen gesagt wurde, daß die letzten Unterrichtsstunden ausfallen würden, weil eine Lehrerin plötzlich erkrankt sei. Ungeduldig wartete sie auf den Bus und atmete auf, als die Linie zwölf endlich heranfuhr. Es würde zwar knapp werden, aber sie konnte es schaffen. Zwanzig Minuten brauchte der Bus, und ihr Vater hatte in einer halben Stunde Feierabend.

Kathi wollte gerade einsteigen, als sie ein Auto auf der anderen Straßenseite fahren sah, das sie nur zu gut kannte.

Es war der Wagen ihres Vaters!

Sie stutzte einen Moment und war nicht sicher, ob sie sich vielleicht irrte, doch dann sah sie das Kennzeichen, als das Auto vor einer roten Ampel halten mußte.

Nein, sie hatte sich nicht geirrt.

Rasch sprang sie zur Seite und wartete darauf, daß der Verkehr nachließ. Dann rannte sie über die Straße und sah eben noch, wie ihr Vater um die Ecke bog.

Mist, dachte sie, jetzt krieg’ ich ihn net mehr ein.

Trotzdem lief sie zur Kreuzung. Das Auto war keine hundert Meter vor ihr. Kathi lief schneller. Ihr Herz klopfte rasend, und ihr Mund wurde ganz trocken.

Wieder wurde der Blinker gesetzt, und der Wagen fuhr in ein Parkhaus.

Was hatte das zu bedeuten? Warum war ihr Vater hier in der Stadt und nicht mehr in der Fabrik? Wieso hatte er überhaupt schon Feierabend?

Seit sie ernsthaft darüber nachgedacht hatte, daß ihr Vater vielleicht nicht der brave Ehemann war, der zu sein er nach außen hin vorgab, fühlte sich Kathi Mühlbauer hundeelend. Gerne hätte sie sich jemandem anvertraut und über ihren Verdacht gesprochen. Aber zum einen wußte sie nicht, an wen sie sich wenden sollte, und zum anderen war sie nicht sicher, ob sie so etwas überhaupt tun dürfe.

Was, wenn alles nur ein Irrtum war, wenn es sich um etwas ganz anderes ging?

Dann tat sie nicht nur ihrem Vater unrecht, vielleicht richtete sie dann erst recht ein großes Unheil an.

Kathi wartete gegenüber auf der anderen Straßenseite. Das Parkhaus hatte keinen anderen Ausgang, wußte sie, und stellte sich so, daß man sie nicht gleich sehen konnte.

Aufgeregt wartete sie ab. Es dauerte einen Moment, ehe ihr Vater herauskam. Er schaute nicht herüber, sondern wandte sich nach links und ging die Straße hinunter.

Die Tochter folgte ihm, immer darauf bedacht, einen gewissen Abstand zu halten und Geschäfte und Hauseingänge als Deckung zu nutzen. Drei, vier Straßen ging die Verfolgungsjagd, dann sah sie, wie ihr Vater vor einem Haus stehen blieb. Unten waren zwei Geschäfte, und Kathi dachte schon, daß er eines davon betreten würde, doch dann ging Franz Mühlbauer durch die Tür des Seiteneingangs.

Sie zögerte. Wenn sie gleich hinterherlief, bestand die Gefahr, daß er vielleicht gleich wieder herauskam und sie entdeckte.

Was sollte sie dann sagen?

Eine ziemlich peinliche Situation, wenn er bemerkte, daß sie ihm hinterher schnüffelte.

Kathi ließ ein paar Minuten verstreichen, ehe sie die Straße überquerte und so tat, als würde sie sich die Auslagen der Geschäfte anschauen. Unauffällig schlenderte sie zu der Tür weiter, durch die ihr Vater verschwunden war und las die Namen auf den Klingelschilder.

Die beiden unteren gehörten zu den Geschäften, darüber standen zwei weitere; Reber und Horstmann.

Weder mit dem einen, noch dem anderen Namen konnte sie etwas anfangen, obwohl sie meinte, den ersten doch schon mal gehört zu haben. Sie wußte im Moment nur nicht, in welchem Zusammenhang.

Kathi blieb unschlüssig stehen und wußte nicht, was sie anfangen sollte. Dann erinnerte sie sich an die Telefonzelle, an der sie vorbeigekommen war und lief das kurze Stück zurück.

Ausgerechnet jetzt stand eine Frau darin und telefonierte!

Kathi trat ungeduldig von einem Bein auf das andere. Endlich hängte die Frau ein, und sie betrat die Zelle. Ein Auge immer auf die Straße und das Haus gerichtet, suchte Kathi im Telefonbuch nach den Namen.

Horstmann stand zuerst in der alphabetischen Reihenfolge. Hans-Hermann, las sie den Vornamen, darunter den Eintrag ›Handelsvertreter‹.

Kathi blätterte weiter. Reber, Renate stand in der Spalte.

Heiß und kalt durchfuhr es sie.

Renate Reber, es konnte sich nur um die Frau handeln, zu der ihr Vater gegangen war.

Und plötzlich wußte sie auch, was sie mit diesem Namen verband. Sie hatten ihn nicht nur schon mal gehört, sondern auch die Frau kennengelernt.

Auf einer Feier in der Backfabrik, zu der die Angestellten auch ihre Angehörigen mitgebracht hatten.

Dort arbeitete Renate Reber nämlich in der Buchhaltung!

Sie erinnerte sich noch genau an die rothaarige, attraktive Frau, die im selben Alter wie ihr Vater war.

Tränen schossen ihr in die Augen.

So war das also, ihr Verdacht war richtig gewesen, Vater hatte eine Geliebte!

Und das wenige Wochen vor der Silberhochzeit...

Kathi ging langsam zur Bushaltestelle zurück. Sie war so durcheinander, daß sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte.

Wie kann er Mama das nur antun? fragte sie sich immer wieder. Und was soll ich jetzt machen? Ihr alles sagen?

Unmöglich, es würde ihr das Herz brechen!

Aber was dann?

Sie konnte doch unmöglich schweigen und zusehen, wie ihr Vater die ganze Familie ins Unglück stürzte!

*

»Da sind S’ ja«, begrüßte der Geistliche Tina lächelnd. »Kommen S’ nur herein. Der Kaffee ist gekocht, und der Kuchen wartet nur darauf, angeschnitten zu werden.«

Sebastian führte die Besucherin durch den Flur und das Wohnzimmer in den Pfarrgarten hinaus. Dort hatte Sophie Tappert den Tisch gedeckt, und auf einer Platte stand eine sehr lecker aussehende Käsetorte.

Die Haushälterin kam mit dem Kaffee aus der Küche, und Sebastian machte die beiden Frauen miteinander bekannt.

»Haben S’ sich schon ein bissel umgeschaut?« erkundigte er sich, als sie Platz genommen hatten.

Tina war nicht sicher, ob sie den Besuch auf dem Trenkerhof erwähnen sollte, und nickte nur.

»Ja, heut’ morgen war ich unterwegs.«

Die Haushälterin schnitt den Kuchen an. Sophie Tappert hatte ihn am Morgen aus Topfen, Schlagsahne und Beeren, die sie im Pfarrgarten gepflückt hatte, zubereitet. Der Boden bestand aus einem Mürbeteig, alle anderen Zutaten wurden nur zusammengerührt und mit Gelatine gebunden. Er schmeckte erfrischend und fruchtig.

»Sehr lecker!« sagte die Kindergärtnerin.

Pfarrer Trenker schenkte Kaffee nach.

»Darf ich fragen, wo Sie zu Haus’ sind?« erkundigte er sich.

Tina erzählte von München, der Arbeit, ihrer Mutter – nur Andreas ließ sie unerwähnt.

»Ich hab’ mir gedacht, wir steigen zur Kandereralm hinauf«, sagte Sebastian später.

»Das ist doch die Alm, wo der tolle Käse gemacht wird, net wahr? Frau Stubler hat davon erzählt.«

»Richtig. Der Franz Thurecker ist ein wahrer Meister seines Faches«, nickte der Bergpfarrer und nahm eine Karte zur Hand, die er bereitgelegt hatte. »Schauen S’, das ist die Strecke, die wir gehen werden.«

Sein Finger fuhr über eine markierte Linie. »Wir werden schon sehr früh aufbrechen«, erklärte er. »In den Bergen sind die Entfernungen anders, als wenn man auf der Straße marschiert. Es gibt Steigungen, oder man ist gezwungen, zu klettern, manchmal muß man auch einem Hindernis ausweichen und einen Umweg machen, und der Höhenunterschied ist beträchtlich. Aber Sie scheinen mir sportlich genug, um das zu bewältigen.«

Nach dem Kaffeetrinken ging Tina mit der Haushälterin nach oben, und sie suchten Hose, Jacke und Schuhe aus dem Fundus aus. Es kam immer wieder mal vor, daß Urlauber irgendwelche Sachen zurückließen. Wenn der Besitzer nicht mehr ausfindig gemacht werden konnte und sich auch nicht von selbst meldete, wurden sie irgendwann verteilt, und so hatte sich im Laufe der Jahre auch im Pfarrhaus eine ganze Menge noch brauchbarer Kleidungsstücke angesammelt.

Während die beiden Frauen oben waren, dachte Sebastian über das nach, was Ria Stubler ihm vorhin am Telefon gesagt hatte. Die gutherzige Pensionswirtin sorgte sich immer um ihre Gäste, allerdings nicht nur um deren Wohlbefinden, was Essen und Trinken anging. Oft fand sie auch heraus, wenn jemandem das Herz wehtat und der Liebeskummer übermächtig wurde.

Als Christina König angekommen war, hatte Ria sofort gespürt, daß das Madel nicht glücklich war, alleine in den Urlaub fahren zu müssen. Aber natürlich hatte sie nicht weiter nachgefragt; Ria war sicher, daß der Zeitpunkt noch kommen würde, an dem sie sich mit Tina unterhalten würde. Auch Pfarrer Trenker half immer wieder, wenn es darum ging, gebrochene Herzen zu kitten, und schon oft hatte Ria ihm einen diskreten Hinweis gegeben.

Bei der jungen Frau hatte der gute Hirte von St. Johann indes nicht den Eindruck, daß Tina von Kummer geplagt wäre. Im Gegenteil, sie zeigte ein offenes und sympathisches Wesen, keine Spur von Einsamkeit und Herzensleid.

Allerdings wußte Sebastian auch, das es Menschen gab, die sich wunderbar verstellen konnten, wenn es darauf ankam. Später, wenn sie dann wieder mit sich und ihren Problemen alleine waren, sah die Welt dann für sie nicht mehr so himmelblau aus.

Nun, es würde sich auf der Bergtour noch oft eine Gelegenheit ergeben, mit Tina König zu sprechen und dabei vorsichtig nachzuforschen, ob die Trennung von ihrem Freund wirklich keine Spuren hinterlassen hatte.

Eine andere Frage war, was sich zwischen ihr und dem Xaver Buchner entwickelte. Ria hatte ihm auch davon erzählt, und der Geistliche hatte vorhin seine Frage ganz bewußt gestellt. Indes hatte die junge Frau nur ausweichend geantwortet und den Besuch auf dem Hof, der Sebastians Eltern einmal gehört hatte, unerwähnt gelassen.

Der Bursche läßt aber auch nix anbrennen, dachte der Geistliche kopfschüttelnd, und verglich den jungen Bauern mit seinem Bruder.

Max war bis zu seiner Hochzeit auch ein rechter Draufgänger gewesen, vor dem kein Madel sicher war. Die Zahl der gebrochenen Herzen, die er hinterlassen hatte, war Legion, und wäre eines Tages nicht Claudia in sein Leben getreten, würde Max Trenker immer noch den Ruf des größten Casanovas im Wachnertal haben.

Gott sei Dank war dieses Kapitel abgeschlossen!

Was den Bauern anging, so verstand Sebastian Trenker Xaver nicht. Freilich, ein Mann in dem Alter mußte wohl hin und wieder über die Stränge schlagen. Aber da hatte der Bursche nun so eine hübsche Frau im Hause und lief anderen Röcken nach.