E-Book 251-300 - Friederike von Buchner - E-Book

E-Book 251-300 E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. E-Book 1: Gustav, der Herzensbrecher E-Book 2: Junge Liebe, späte Liebe E-Book 3: Sandra, meine Einzige! E-Book 4: Martina und Mario E-Book 5: Verwirrung um Daniel E-Book 6: Charlotte ist verliebt! E-Book 7: So ein herziges Geschenk des Himmels! E-Book 8: Hokuspokus für die Liebe E-Book 9: Eine Geschichte fürs Herz E-Book 10: Höher, schneller, netter E-Book 11: Nur Mut, lieber Herr Doktor! E-Book 12: Eine Warnung mit Folgen! E-Book 13: Darf man eine Schlafwandlerin küssen? E-Book 14: Wären sie nicht ein schönes Paar? E-Book 15: Thomas und sein Töchterchen E-Book 16: Wer ist Wendy wirklich? E-Book 17: Du bist meine Zuflucht! E-Book 18: Ein ruheloses Herz E-Book 19: Lieber Besuch für Alois E-Book 20: Im Bann der Erinnerungen E-Book 21: Die Ruhe vor dem Sturm E-Book 22: Zwei Verehrer für Wendy E-Book 23: Er kennt keine Grenzen E-Book 24: Unruhige Tage auf der Oberländer Alm E-Book 25: Die Bedeutung von Liebe E-Book 26: Der Mann aus Norwegen E-Book 27: Toni und Anna müssen sich entscheiden E-Book 28: Wendys Alm E-Book 29: Das Komplott der Väter E-Book 30: Hat sie sich in Lukas getäuscht? E-Book 31: Wege der Liebe E-Book 32: Wir wollen heiraten! E-Book 33: Was ist mit Franziska los? E-Book 34: Wo ist seine Herzensheimat? E-Book 35: Eine Überraschung für Amelies Eltern E-Book 36: Eine ungewöhnliche Rechnung E-Book 37: Höchste Zeit für Wunder E-Book 38: Jüngere Schwestern – manchmal eine Plage E-Book 39: Ein Hauch von Frühling E-Book 40: Carl kommt nach Waldkogel E-Book 41: Simons zweiter Versuch ... E-Book 42: Erwachende Gefühle E-Book 43: Geht ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung? E-Book 44: Gemeinsam ins Glück! E-Book 45: Ein überraschender Besuch … E-Book 46: Wendy spielt Hochzeiterin! E-Book 47: Findet Wendy die richtigen Worte? E-Book 48: Tanja kehrt heim E-Book 49: Eine Verlobung zum Träumen E-Book 50: Endlich ist es soweit …

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Seitenzahl: 6449

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Inhalt

Gustav, der Herzensbrecher

Junge Liebe, späte Liebe

Sandra, meine Einzige!

Martina und Mario

Verwirrung um Daniel

Charlotte ist verliebt!

So ein herziges Geschenk des Himmels!

Hokuspokus für die Liebe

Eine Geschichte fürs Herz

Höher, schneller, netter

Nur Mut, lieber Herr Doktor!

Eine Warnung mit Folgen!

Darf man eine Schlafwandlerin küssen?

Wären sie nicht ein schönes Paar?

Thomas und sein Töchterchen

Wer ist Wendy wirklich?

Du bist meine Zuflucht!

Ein ruheloses Herz

Lieber Besuch für Alois

Im Bann der Erinnerungen

Die Ruhe vor dem Sturm

Zwei Verehrer für Wendy

Er kennt keine Grenzen

Unruhige Tage auf der Oberländer Alm

Die Bedeutung von Liebe

Der Mann aus Norwegen

Toni und Anna müssen sich entscheiden

Wendys Alm

Das Komplott der Väter

Hat sie sich in Lukas getäuscht?

Wege der Liebe

Wir wollen heiraten!

Was ist mit Franziska los?

Wo ist seine Herzensheimat?

Eine Überraschung für Amelies Eltern

Eine ungewöhnliche Rechnung

Höchste Zeit für Wunder

Jüngere Schwestern – manchmal eine Plage

Ein Hauch von Frühling

Carl kommt nach Waldkogel

Simons zweiter Versuch ...

Erwachende Gefühle

Geht ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung?

Gemeinsam ins Glück!

Ein überraschender Besuch …

Wendy spielt Hochzeiterin!

Findet Wendy die richtigen Worte?

Tanja kehrt heim

Eine Verlobung zum Träumen

Endlich ist es soweit …

Toni der Hüttenwirt – Paket 6 –

E-Book 251-300

Friederike von Buchner

Gustav, der Herzensbrecher

Ein Esel als Liebesbote

Roman von von Buchner, Friederike

Pfarrer Zandler parkte sein altes Auto in der Nähe des großen Klosterportals. Noch bevor er den alten schmiedeeisernen Türklopfer betätigen konnte, öffnete ihm eine ältere Nonne.

»Grüß Gott, Pfarrer Zandler! Die Oberin erwartet Sie schon. Bitte folgen Sie mir!«

Pfarrer Zandler begrüßte die Schwester, die hinter ihm die Tür schloss. Drinnen in der hohen Halle war es angenehm kühl. Durch die Buntglasfenster, rechts und links neben der Eingangstür, fiel nur gedämpftes Licht. Die Halle war lang und breit. Auf der gegenüberliegenden Seite stand eine große Glastür offen und gab den Blick frei zum Garten. Auf dem Steinboden lag ein dicker Teppich.

Die hohen Rundbogentüren waren verschlossen, bis auf eine.

»Mutter Oberin, der Pfarrer Zandler ist hier«, sagte die Schwester. Sie trat zur Seite und ließ den Geistlichen eintreten. Hinter ihm schloss sich die Tür fast lautlos.

»Ein herzliches Grüß Gott! Schön, dass Sie Zeit für mich und mein Anliegen gefunden haben«, sagte Zandler.

»Ich freue mich auch dich wiederzusehen, Heiner«, sagte die Oberin.

Sie ging zum Du über. Die beiden kannten sich, seit sie jung waren. Doch sie duzten sich nur, wenn sie allein waren. Die Oberin stand hinter dem Schreibtisch auf und kam auf ihn zu. Sie schüttelten sich herzlich die Hände.

»Ich freue mich auch, Justina!«

»Setzen wir uns, Heiner! Ich habe einen Imbiss vorbereiten lassen. Dazu gibt es zwei halbe Maß von unserm guten selbstgebrauten Bier.«

Justina deutete mit einer einladenden Handbewegung auf den Tisch in der Ecke des großen Zimmers.

»Ihr braut immer noch selbst?«, fragte Zandler erstaunt.

Sie setzten sich.

»Ja, aber nur zum Eigenverbrauch.«

Pfarrer Zandler fühlte sich geehrt, dass er ein echtes Kloster-Bier angeboten bekam. Er sprach ein kurzes Tischgebet. Sie bekreuzigten sich. Dann fingen sie an zu essen.

»Wie macht sich Charlotte?«, fragte Zandler.

Oberin Justina lächelte.

»Adam Mayerhuber ist voll des Lobes über seine Praktikantin. Ich kann dem 100prozentig zustimmen. Charlotte Holzer ist eine stille junge Frau, die ganz in ihrer Arbeit aufgeht. Dazu hat sie sich gut in den Tagesablauf eingefügt. Sie bewohnt eines der Internatszimmer und nimmt mit den Schüler und Schülerinnen das Essen in der Mensa ein. Vor einer Woche war unser Lehrer für Bildende Kunst einige Tage krank. Ich bat Charlotte Holzer, für ihn Vertretung zu machen. Das tat sie mit Freude. Sie würde eine gute Lehrerin abgeben. Die Schülerinnen und Schüler waren begeistert von ihr.«

Pfarrer Zandler freute sich, das zu hören.

»Es war lieb von dir, Lotte über den Sommer aufzunehmen.«

»Das habe ich gern getan, Heiner. Und Mayerhuber ist sehr angetan von der jungen begabten Frau. Er sagt ihr eine große Zukunft als Künstlerin voraus, wenn sie diesen Weg beschreiten will.«

»Es lastet so viel auf der Seele der jungen Frau«, seufzte Pfarrer Zandler.

»Darüber hast du am Telefon nur vage Andeutungen gemacht. Ich nehme an, du bist gekommen, um mich zu informieren?«

»So ist es! Doch lass uns erst diese köstliche Brotzeit genießen, Justina.«

Sie aßen weiter. Justina, deren Name ›die Gerechte‹ bedeutete, ließ für jeden noch einen kleinen Krug Bier bringen.

»Nun erzähle, Heiner!«

Pfarrer Zandler berichtete ausführlich über das schon so lange andauernde Familienzerwürfnis, zwischen Alois und seiner, inzwischen verstorbenen, Frau Hedwig und ihren Söhnen.

»Zwei Buben hatten sie aufgezogen und beide brachen jeden Kontakt ab. Es ging dabei um die Berghütte, das Erbe und natürlich um Geld. Harald Holzer, der ältere der Buben, stand und steht wohl sehr unter dem Einfluss seiner Frau. Karola war die Tochter seines Chefs. Die Menschen heiraten aus vielfältigen Gründen, Justina. Wenn ich ein Paar traue, frage ich mich oft, was ihre Herzen stärker bewegt, die Liebe oder das Geld.«

Beide seufzen tief.

»Es war schon immer so, Heiner, dass es Ehen gab, die nur wegen Geld und Ansehen geschlossen wurden.«

»Es ist nur schade, wenn es wegen dem Erbe Streit gibt und eine Familie zerbricht. Harald machte Druck auf den alten Alois. Er müsse die Berghütte verkaufen, da sie unmodern sei und nicht genug einbringe. Seine Karola hatte ihm das in den Kopf gesetzt. Alois, der eigentlich ein herzensguter Mensch ist, verlor im Streit die Geduld und jagte Harry im Zorn davon. Haralds jüngerer Bruder, Emil, ging damals noch zur Schule. Nach dem Abitur studierte er nicht, sondern machte eine Lehre als Fotograf, die er über Monika, seine damalige Freundin und jetzige Frau, in München bekommen hatte. Er wohnte bei Harald. Ich will es so sagen: Emil ließ sich von seinem älteren Bruder auf dessen Seite ziehen. Anfangs hatte er wohl noch etwas Kontakt zu seinen Eltern. Aber im Laufe der Jahre wurde es stiller, bis Alois auch nichts mehr von Emil hörte. Selbst zur Beerdigung seiner Mutter kamen weder Harald, noch Emil mit ihren Familien. Und jetzt kommt das aktuelle Drama zutage: Tragisch ist, dass weder Charlotte noch die Kinder von Harald, Kuno und Sophie, wussten, dass sie einen Großvater und eine Großmutter in Waldkogel hatten. Nur Charlotte weiß inzwischen davon. Das haben Toni, Anna, Martin und die alte Ella geschickt eingefädelt. Lotte, wie Charlotte gerufen wird, war sehr erstaunt, dass der Vater ihres Papas noch lebt. Sie sagte, es wurde immer so getan, als gäbe es keinerlei Verwandte mehr.«

Pfarrer Zandler berichtete ausführlich, wie Anna und Ella zwei Engelsfiguren in Auftrag gegeben hatten. So lernten sie Charlotte näher kennen und brachten ihr einfühlsam bei, dass es den alten Alois gab.

»Hat Lotte ihren Großvater inzwischen kennengelernt?«, fragte Oberin Justina.

»Ja, die beiden haben sich kennengelernt. Sie lieben sich, so wie es sich für Großvater und Enkelin gehört. Lotte verbringt jede freie Minuten bei ihm. Deshalb ist es schön, dass sie hier das Praktikum machen kann. So kann sie an den Wochenenden leichter ihren Großvater auf der Berghütte besuchen. Es war schwierig für sie, sich an den Wochenenden davonzustehlen. Sie ließ sich zwar immer wieder gute Ausreden einfallen, aber diese Notlügen belasteten Lotte schwer. Jetzt kommt sie jeden Freitagnachmittag auf die Berghütte. Meistens sitzen Lotte und Alois das ganze Wochenende zusammen auf der Terrasse und reden.«

»Das ist zu verstehen. Die beiden haben sich viel zu sagen und sehr viel nachzuholen, auch wenn sich so manches nicht nachholen lässt. Großeltern haben im Leben der Kinder eine wichtige Aufgabe. Da man Lotte ihren Großvater vorenthalten hat und ihre Großmutter, als sie noch lebte, entstand eine Lücke, die nicht wieder zu füllen ist. Ob den Eltern bewusst ist, was sie angerichtet haben? Für das Madl muss es schwer sein, den Verlust zu verarbeiten.«

»Das stimmt, Justina. Dazu kommt Lottes Sorge, wie es ihre Eltern aufnehmen, wenn sie es erfahren. Dasselbe gilt für ihren Onkel Harald und seine Frau Karola, sowie für Kuno und Sophie. Bisher hat Lotte noch keine Kraft gefunden, sie alle zur Rede zu stellen. Sie hat Angst. Ich kann das verstehen. Es ist keine leichte Aufgabe, die eigenen Eltern und die nächsten Verwandten der Lebenslüge zu überführen.«

»Möge der Herrgott dem Madl bestehen!«, seufzte Oberin Justina.

»Und alle Engel und alle Heiligen!«, fügte Pfarrer Zandler hinzu. »Es bricht mir fast das Herz, wenn ich sehe, wie sie sich quält. Sie ist in einer Zwickmühle. Sagt sie etwas, wird es bestimmt zu einem Riesenwirbel kommen. Sie fragt sich, was für neuerliche Geschichten dann aufgetischt werden, denn um eine Ausrede wird niemand verlegen sein. Schließlich hatten sie jahrelang Zeit, sich etwas zurechtzubasteln. Wir wissen doch, wie das bei den meisten Menschen ist. Sie drehen und wenden die Tatsachen, damit sie selbst im angenehmsten Licht erscheinen. Daran glauben sie schließlich selbst und vergessen, wie es wirklich gewesen war.«

»So ist der Mensch, Heiner. Nun ja, viele sind so, nicht alle«, sagte Justina.

»Deshalb frage ich mich, wie ich Lotte helfen kann, denn ich sehe,wie sie leidet. Verschweigt sie weiterhin, dass sie Kontakt mit ihrem Großvater hat, dann ist das ebenfalls eine Lebenslüge und sie macht sich zur Mittäterin. So sieht sie es, und so ist es auch. Sagt sie etwas, kann es zum Bruch innerhalb ihrer Familie führen. Außerdem hat die Liebe zu ihren Eltern im Augenblick einen tiefen Riss bekommen.«

»Das stimmt. Ein Kind vertraut seinen Eltern, die für sie die erste Zuflucht im Leben sind. Eltern sind die Menschen, von denen wir Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit erwarten. Sie sind die Felsen in der Brandung. Dass Lottes Bild von ihren Eltern ins Wanken geraten ist, ist verständlich. Es ist die alte Frage, Heiner: Was ist besser, zu schweigen, um noch mehr Leid zu verhindern oder der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen? Wobei ich gestehen muss, dass die Menschen oft die Wahrheit nicht hören wollen und alles verdrängen. Sie leben in einer selbstgeschaffenen Scheinwelt.«

»Justina, dein Ordensname bedeutet die Gerechte. Den hast du zu Recht bekommen. Ich habe dein Urteil immer geschätzt. Hast du eine Idee? Wie können wir Lotte helfen? Helfen wir ihr, so helfen wir ihrem Vater, der ganzen Familie und besonders dem alten Alois. Vielleicht wären alle ganz froh, wenn endlich die Wahrheit herauskäme. Das hat schon viel zu lange gedauert. Ich bete zum Herrgott, dass er dem alten Alois noch viele schöne Jahre schenkt und er sich mit seinen Buben aussöhnen kann. Wenn du ihn sehen würdest, Justina! Seine Augen strahlen, wenn Lotte bei ihm ist. Er ist so glücklich. Wenn er dem Madl mit der Hand über die Wange streicht oder übers Haar, dann ist das so eine rührenden Geste, dass mir die Augen feucht werden. Am ersten Sonntag, nachdem die beiden sich gefunden hatten, kamen sie von der Berghütte herunter und besuchten die Messe. Arm in Arm betraten sie die Kirche. Er strahlte. Er war so glücklich.«

Sie tranken einen Schluck Bier. Justina dachte nach.

»Heiner, erzähle mir mehr von Charlotte! Wie ist das Verhältnis zu ihren anderen Großeltern? Mayerhofer hat mir von seinem Besuch bei Familie Wetter berichtet. Dort war er zusammen mit seinem Freund Hans Jäger. Es soll ein schöner Abend gewesen sein.«

»Lotte hat im Betrieb ihres Großvaters Wilhelm Wetter Stuckateurin gelernt und lebt die meiste Zeit bei ihnen. Sie versteht sich gut mit ihnen. Jetzt fragt sich das Madl natürlich, ob sie wissen, dass Alois von ihrem Schwiegersohn und ihrer Tochter verschwiegen wurde? Wissen sie, dass es eine Wand des Schweigens gibt, hinter der Harald und Karola, Emil und Monika ihre Kinder haben aufwachsen lassen? Das arme Madl ist wirklich verunsichert.«

»Wie steht es um die kleinen Engelsfiguren, die in Auftrag gegeben wurden?«, fragte Justina.

Pfarrer Zandler berichtete, dass Ella Waldner und Anna, von der Berghütte, die beiden Engelsfiguren bei der Firma Wetter abgeholt hatten.

»Dann wurde doch bestimmt eine Rechnung geschrieben. In der muss die Adresse auftauchen. Hat der Ortsname Waldkogel irgendwie Aufmerksamkeit erregt?«

»Lottes Großmutter hat den beiden die Figuren ausgehändigt. Anna und Ella gaben sich alle Mühe, Elsbeth Wetter in ein Gespräch über Waldkogel zu verwickeln. Sie hofften, Anknüpfungspunkte zu finden. Aber da kam keine Reaktion. Sie hatten nicht den Eindruck, dass der Name Waldkogel Erinnerungen weckte.«

»Man könnte also annehmen, Lottes Großeltern wüssten nichts«, bemerkte Justina nachdenklich.

»Hast du eine Idee?«, fragte Zandler.

»Da ist guter Rat teuer, lieber Heiner. Bei allem Mitgefühl für Lotte, es ist eine große Verantwortung, sich da einzumischen. Die Aufdeckung der Lebenslüge kann ungeahnte Folgen haben. Im besten Fall sind alle erleichtert. So wie es oft bei Adoptiveltern ist, sie haben sich vorgenommen, mit dem Buben oder dem Madl darüber zu sprechen, wenn das Kindl in einem Alter ist, in dem es das verstehen kann. Ich kenne einige Fälle aus unserm Waisenhaus, da haben die Eltern das Gespräch immer wieder hinausgeschoben. Sie fanden nie den richtigen Augenblick. Dann spitzte sich die Lage plötzlich zu und sie mussten die Adoption aufdecken. Das war für die meisten Kinder ein Schock, ein doppelter Schock. Ich habe mit einigen sprechen können. Sie waren schockiert und traurig, dass sie nach der Geburt zur Adoption freigegeben wurden und entwickelten sehr starke Gefühle für ihre leibliche Mutter. Und sie waren sehr enttäuscht, dass ihre Adoptiveltern es ihnen so lange verschwiegen hatten. Aber es gab Fälle, da wurde das Verhältnis zwischen den Adoptionsparteien noch besser, weil die Eltern jetzt freier waren. Sie konnten mit dem Kind offen über ihre Ängste und Sorgen sprechen. In Lottes Fall könnte es vielleicht auch diesen Weg nehmen, auch nach anfänglichen Turbulenzen. Sollte man nicht immer vom Besten ausgehen, Heiner?«

»Doch das sollte man. Was nicht bedeutet, dass man die Augen vor anderen Möglichkeiten verschließt.«

»Wichtig wäre es, einen Weg zu finden, Lottes Eltern einen kleinen Hinweis zukommen zu lassen, der sie ermutigt, von sich aus das Thema aufzugreifen.«

»Und wie könnte das aussehen? Wer könnte ihnen einen Hinweis geben?«

»Du, Heiner!«

»Justina, ich bin wahrlich kein Feigling. Natürlich habe ich daran gedacht und diese Möglichkeit erwogen. Doch sie ist ziemlich plump, denke ich. Da komme ich, als Geistlicher, zu Harald und Emil und erinnere sie an ihre Sünden. Das wäre so, als würde ich Wasser in siedendes Öl gießen.« Pfarrer Zandler seufzte. »Es muss doch andere Wege geben, Justina!«

Justina schmunzelte.

»Du kannst deine Gedanken schlecht verbergen, Heiner. Du willst mich für diese heikle Mission gewinnen. Gib es zu!«

»Das wäre sehr schön. Aber darauf wage ich nicht zu hoffen. Ich schätze deine Klugheit und Erfahrung. Dir sind in der Vergangenheit schon viele Erfolge gelungen. Du hast eben viel Vermittlungsgeschick.«

Justina lachte laut. »Heiner, Heiner. Versuchst du, mir Honig um den Mund zu streichen? Doch ich verspreche dir, dass ich darüber nachdenke. Vielleicht fällt mir etwas ein.«

»Das habe ich mir erhofft, Justina. Du könntest mit Lotte sprechen. Wenn sie dir ihr Herz ausschütten kann, wird ihr das gut tun. Vielleicht weiß sie sogar, wie sie ihre Eltern und Verwandte ansprechen könnte und ihr fehlt nur der Mut dazu. Du bist eine gute Vermittlerin. Du könntest mit ihr gehen und ihr beistehen. Ich habe Angst, Justina. Das gebe ich gern zu. Außerdem war ich früher darin verwickelt. Einige wenige Kontakte liefen über das Telefon im Pfarrhaus.«

»Heiner, wir drehen uns im Kreis. Wir wünschen, dass es zu einer Aussöhnung kommt. Wir sind uns einig, dass dabei behutsam vorgegangen werden muss, damit die Familie Holzer nicht weiter auseinander bricht. Gib mir etwas Zeit, einige Tage! Ich rufe dich an, wenn ich eine Idee habe, Heiner.«

»Danke, Justina!«

»Das mache ich gern. Lotte ist ein liebes Madl. Wenn der Herrgott es will, werden wir einen Weg finden und neue Brücken über tiefe Schluchten bauen.«

»Schluchten?«, staunte Pfarrer Zandler.

»Ja, es ist nicht nur die Schlucht zwischen Alois und seinen Buben. Es gilt auch, den Graben zwischen Lotte und ihren Eltern zu überbrücken, der sich sicherlich aufgetan hat. Das gilt auch für das Miteinander von Lotte und den Großeltern mütterlicherseits. Die Verhältnisse von Lotte zu ihrem Onkel, ihrer Tante und ihrem Cousin und ihrer Cousine sind ebenso zu bedenken. Aber wie sagt das alte Sprichwort so schön? ›Wo eine Wille ist, ist ein Weg‹, Heiner.«

»Ja, das stimmt. Wo ein Wille ist, ist ein Weg. Und wenn ein Bergrutsch den Weg verschüttet, dann muss eben tüchtig geschaufelt werden, um ihn wieder freizubekommen.«

»Das ist ein schönes Bild, Heiner«, lächelte Justina.

Sie schaute auf die Uhr.

»Die Andacht fängt bald an, Heiner. Meine Mitschwestern warten auf mich.«

»Wir haben auch alles besprochen, was es zu besprechen gab. Ich danke dir, Justina.«

Justina brachte Pfarrer Zandler zur Tür und verabschiedete ihn. Sie sah ihm nach, wie er in sein Auto stieg und davonfuhr. Dann schloss sie die Tür und begab sich in die Kapelle.

*

Eine heiße Sommernacht lag über Berlin. Durch die großen Glasfenster im oberen Stock des Bürohochhauses sah man in weiter Ferne den Funkturm. Johanna Bergler hatte keinen Blick für das schöne nächtliche Panorama. Sie saß am Schreibtisch, starrte auf den großen Bildschirm und bediente die Maus.

Für einen Augenblick hielt sie inne und rieb sich den Nacken. Sie war total verspannt. Aus der unteren Schreibtischschublade holte sie zwei Schmerztabletten heraus. Die Wasserflasche, die unter ihrem Schreibtisch stand, war leer.

»Auch das noch!«, schimpfte sie.

Auf dem Weg in die Teeküche sah sie weit hinten die Tür zum Computerzentrum offen stehen. Eine junge Frau kam den langen Flur herunter. Sie betrat nach Johanna die Teeküche.

»Oh, doch noch jemand am Arbeiten«, sagte sie und schaute dabei auf die Uhr.

Johanna gab zwei Brausetabletten in ein Glas und füllte es mit Wasser. Es dauerte einen Augenblick, bis sie es trinken konnte, dann kippte sie es in einem Zug hinunter.

»Kopfschmerzen?«, fragte die andere Frau.

»Ja, mir ist, als flögen mir gleich Kopf, Hals und Schultern auseinander.«

»In zehn Minuten ist Schluss. Dann schnell nach Hause und eine Dusche! Das ist Balsam für die verspannten Muskeln. Bei mir hilft das immer.«

Johanna sah die Frau an. Sie schätzte sie auf knapp über dreißig, wie sie selbst.

»Ich habe dich noch nie hier gesehen«, bemerkte Johanna. In der Firma duzte man sich. »Bist du neu? Seit wann arbeitest du hier?«

»Ich gehöre nicht zum Team. Ich bin Barbara, gerufen werde ich Babsy. Du kannst auch Babsy zu mir sagen.« Sie streckte Johanna die Hand hin.

»Ich heiße Johanna. Gerufen werde ich Hanna.«

»Und was machst du hier? Es ist mitten in der Nacht. Man hat mir versichert, dass ab dreiundzwanzig Uhr niemand mehr hier ist.«

»Vor ein Uhr nachts komme ich hier selten raus«, seufzte Johanna.

Barbara schaute auf ihre Armbanduhr.

»Heute kommst du früher raus! In weniger als zehn Minuten schalte ich den Hauptrechner ab.«

»Wie bitte?«, schrie Johanna auf.

»Du hast mich genau verstanden. Wir warten die Technik. Ich rate dir, schnell abzuspeichern, bevor ich dir den Saft abdrehe.«

»Das geht nicht! Ich muss arbeiten«, schrie Johanna auf.

»Hast du die Daten nicht auf einem eigenen Notebook?«

»Mein Kollege Jan hat heute aus Versehen ein Glas Prosecco über mein Gerät gekippt. Das neue Notebook wird erst morgen geliefert.«

»Oh, davon habe ich gehört. Dann hast du eben Pech. Ich schalte jetzt wirklich ab und verurteile dich zu einer Zwangspause, Hanna.«

»Dann muss ich mich wohl fügen. Aber kannst du nicht noch warten, bis ich die Daten auf einem Stick gesichert habe? Es sind aber große Dateien und Videos. Es dauert etwas.«

»Okay, weil du es bist. Wo ist dein Büro?«

Barbara begleitete Johanna zu ihrem Büro.

»Wow, das ist edel!«, raunte Barbara. Sie ging einige Schritte zurück und las das Schild neben dem Büroeingang.

»Leitung Strategische Planung, Johanna Bergler«, las sie laut vor.

Danach machte sich Barbara an dem PC zu schaffen, der auf Johannas Schreibtisch stand.

»Was machst du da?«, fragte Johanna.

»Ich habe die Daten ausgelagert. Jetzt gehen wir zusammen in den Rechner-Raum und ich ziehe dir die Daten auf eine Festplatte. Die kannst du gern mitnehmen und an deinen privaten Computer anschließen. Bringe die Festplatte dann morgen wieder in die Firma mit! Ich hole sie mir dann bei dir ab.«

»Du rettest mich«, seufzte Johanna glücklich. »Die Zeit ist ohnehin knapp. Die erzwungene Arbeitspause hätte meinen ganzen Terminplan durcheinandergebracht. Du kennst das bestimmt auch? Termine, Termine, manchmal denke ich, ich halte es nicht mehr aus.«

»Das kannte ich mal, habe es aber abgestellt«, sagte Barbara, mit fester Stimme.

Die beiden Frauen gingen zu den Computer-Räumen. Augenblicke später drückte Barbara Johanna die Festplatte in die Hand. Dann gab sie drei Mitarbeitern Anweisungen.

»Jungs, es kann losgehen. Achtet auf die Details, wie besprochen! Ich bin in der Teeküche und sorge für die erste Kanne Kaffee. Für die Nächste seid ihr dran.«

»Alles klar, Babsy«, kam es zurück.

Barbara ging in Richtung Teeküche.

Johanna lief ihr nach. »Kann ich dich etwas fragen?«

»Klar!«

»Wie hast du das gemeint, dass du keinen Terminplan mehr hast?«

Barbara schenkte sich einen großen Becher Kaffee ein und einen weiteren Becher für Johanna.

»Eines Tages, das war vor einigen Jahren, habe ich meinen Terminplan im Garten verbrannt. Seither fühle ich mich richtig gut. Übrigens, das ist mein letzter Auftrag, für eine Weile.«

»Wie meinst du das?«

»Ich bin ausgestiegen und betreue nur noch zwei Kunden im Jahr, einen im Frühjahr und einen im Herbst.«

»Ja …, wirklich …, nicht mehr … wie geht das?«, stotterte Johanna und sah Barbara sehr erstaunt an. Sie konnte kaum glauben, was sie gehört hatte.

»So wie du mich jetzt ansiehst, sehen mich viele an, denen ich es sage. Willst du meine Geschichte hören?«

»Und wie ich die hören will! Komm, wir setzen uns in mein Büro. Deine Jungs, wie du sie nennst, kommen sie allein klar?«

»Sicher!«

Augenblicke später, saßen sie in Johannas Büro in der Besprechungsecke mit den edlen weißen Ledersesseln.

»Also, ich höre«, sagte Johanna.

Barbara nippte an ihrem Kaffee.

»Vor zwei Jahren fiel mir bei einem Unternehmen, bei dem meine Firma eine Wartung machte, in der Teeküche eine Zeitschrift in die Hände. Darin gab es einen Test über Lebenszufriedenheit. Den Test musste ich nicht machen, ich wusste auch so, dass ich unzufrieden war. Klar, meine Arbeit machte mir viel Freude. Einige Jahre zuvor hatte ich mich selbstständig gemacht. Ich hatte ein richtig dickes Bankkonto und zehn Angestellte. Meine Firma blühte auf, nur mein Privatleben verwelkte immer mehr. Eigentlich hatte ich kein Privatleben. Dort in der Teeküche wurde mir ›Satori‹ zuteil. So nennt man im Buddhismus eine plötzliche Erkenntnis. Meine Jungs und ich machten den Auftrag fertig. Meistens arbeiten wir nachts, wenn bei den Kunden niemand im Büro ist. Deshalb treffen wir uns erst gegen Mittag bei uns in der Firma. Ich bestellte Essen und bat alle in den großen Meeting-Raum. Ich hatte kaum geschlafen und mir alles ausgerechnet. Zwei große Aufträge im Jahr genügten. Ich hatte mit meinen beiden ersten Stammkunden telefoniert und meiner Firma für die nächsten Jahre die Aufträge schriftlich gesichert.«

Barbara trank einen Schluck Kaffee.

»Dann legte ich die neue Strategie dar: Die Gehälter würden normal weiterlaufen. Überstundenvergütung und Zuschläge würden wegfallen. Es gäbe Grundgehalt für zehn Monate im Jahr, ohne Tätigkeit, und in zwei Monaten, im Frühjahr und im Herbst, würde gearbeitet. Sie mögen sich bitte entscheiden, ob sie gehen oder bleiben wollten. Danach war es zehn Minuten ganz still, dann prasselten die Fragen über mich herein. Die meisten waren damit einverstanden. Nur zwei wollten aufhören. Die blieben, hatten alle Familie und waren froh, viel Freizeit zu haben. Ich suchte mir Partnerfirmen, die die anstehenden Aufträge übernahmen. Wir zogen in kleinere Büroräume. Als alles umorganisiert war, ging ich in Urlaub. Ich wanderte einmal quer durch Deutschland, von der Dänischen Grenze, bis in die Alpen. Dabei verlor ich meine Unsicherheit, dem echten Leben gegenüber, die ich noch hatte. Es war nicht leicht, aus dem Turbogang zurückzuschalten. Bis heute habe ich es nicht bereut. Ein internationaler Konzern wird meine Firma nie werden, wie ich es einmal angestrebt hatte. Aber ich werde sehr glücklich sein. Man hat nur ein Leben, Hanna. Ich habe erkannt, dass weniger viel mehr sein kann. Seither lebe ich bewusster.«

»Das ist eine fast unglaubliche Geschichte, Babsy, aber ich nehme sie dir ab. Ich sehe dir an, wie glücklich und gelassen du bist.«

»Ja, das bin ich. Und ich sehe voller Freude in die Zukunft. Ich werde heiraten. Mein Freund ist Glasbläser. Er ist selbstständig, beharrt aber darauf, ein Einmannbetrieb zu bleiben. Er macht sehr schöne Kunstgegenstände. Hast du einen Freund?«

»Klar habe ich jemand für die Gefühle, wenn wir beide Zeit haben. Es ist Jan Schmied, der Inhaber hier. Aber es bleibt wenig Raum für Privates. Haben wir mal gemeinsam Freizeit, sind wir erschöpft und können uns zu nichts aufraffen.« Johanna zuckte mit den Schultern, als müsste sie sich dafür entschuldigen.

Barbara lächelte.

»Das war bei mir damals ähnlich, nur, dass ich keinen Freund hatte. Ich war zu erschöpft, um auszugehen. Ich bewegte mich immer in denselben Kreisen. Es ging nur um berufliche Themen. Auf meiner Wanderung bin ich Xavier begegnet. Er ist in der Schweiz aufgewachsen, weil sein Vater dort als Manager arbeitet. Er hatte schon früh in seinem Leben erkannt, dass er später einmal nicht so leben wollte, wie seine Eltern. Er war auf einer Wandertour, genau wie ich. Er verstand mich auf Anhieb, als wir ins Gespräch kamen. Wir wanderten einige Tage gemeinsam. Er kannte sich gut aus und kannte wunderschöne Wege, abseits der Touristenströme. Was soll ich mehr sagen? Wir verliebten uns und heiraten nächsten Monat.«

»Glückwunsch!«

»Danke! Ich freue mich. Wir freuen uns. Wir wollen Kinder, gleich mehrere hintereinander, damit sie zusammen aufwachsen können. Er hat das Haus seiner Großeltern übernommen, unweit von München. Ein ehemaliger Bauernhof. In einem Nebengebäude hat er sein Atelier. Nach der Hochzeit werden wir dort wohnen. Es wird wunderbar werden.«

Barbara schaute auf die Uhr.

»Gegen vier Uhr werden wir hier fertig sein, mit der Wartung und Umstellung. Morgen Früh habe ich noch ein Abschlussgespräch mit deinem Jan und übergebe ihm die Rechnung. Danach schlafe ich etwas und stürze mich in die Freizeit. Ich kann dir nur raten, wenigstens eine längere Auszeit zu nehmen. Du wirst ganz neue Erfahrungen machen, was Zufriedenheit und Glück betrifft. Du wirst gelassener werden.«

Johanna stand auf und ging einige Schritte auf und ab. Anschließend setzte sie sich wieder hin. »Klingt verlockend!«

»Es klingt nicht nur so, Hanna. Es ist eine Befreiung. Natürlich kommt es darauf an, wie du deine Auszeit verbringst. Die tollen Programme für gestresste Manager kannst du vergessen. Ich rate dir, Wandern zu gehen.«

»Ich bin noch nie gewandert. Außerdem mochte ich es schon in der Schule nicht, wenn wir wandern gingen. Andauernd Blasen an den Füßen.«

»Nur, wenn du die falschen Schuhe trägst.«

»Und man muss wohl auch einen Rucksack mitschleppen.«

»Richtig, aber dabei kann ich dich auch beraten.«

Johanna lachte. »Willst du mich jetzt missionieren, Babsy?«

»Wenn du es so sehen willst? Ich darf dich daran erinnern, dass du mich gefragt hast, wie es kommt, dass ich keinen Terminstress kenne.«

»Stimmt!« Johanna sah Barbara nachdenklich an. »Ich gebe zu, der Gedanke hat etwas sehr Reizvolles, Babsy. Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn ich mal ernsthaft darüber nachdächte. Ich werde recherchieren, welche die schönsten und einfachsten Wanderwege sind. Vielleicht beginne ich an einem Wochenende mit einer kleinen Tour. Nur so, um es einmal auszuprobieren.«

»Das ist immerhin ein Anfang, Hanna.«

Barbara griff in die Gesäßtasche ihrer Jeans und holte eine Visitenkarte heraus. Sie griff nach einem Stift, der auf dem Tisch lag und schrieb etwas drauf, zuerst auf die Vorderseite, dann auf die Rückseite.

»Hier bitte! Das ist meine private Telefonnummer. Und auf der Rückseite habe ich dir einen Tipp aufgeschrieben, dem du nachgehen solltest.«

Johanna nahm die Visitenkarte und drehte sie um. Sie las laut vor: »Waldkogel – Unterkunft Berghütte – Toni, Anna, Alois und den Kindern Grüße sagen.«

Barbara lächelte Johanna an.

»Dort kehre ich gerne ein, beziehungsweise ich und Xavier besuchen immer die Berghütte, wenn wir unterwegs sind. Waldkogel ist ein idyllischer Ort, am Ende eines Tales. Es ist ohne Durchgangsstraßen. Auf die Berghütte kommt man nur zu Fuß. Sie ist nicht wie andere Berghütten.«

»Keine Ahnung! Wie sind andere Berghütten?«, fragte Johanna verständnislos. »Ich kenne keine Berghütten, höchstens aus Filmen.«

Barbara grinste.

»Sie ist urig und einfach, ohne modernen Schnickschnack und ohne jeglichen Luxus. Das bedeutet, dass nur wahre Bergliebhaber dort verkehren. Wandere hin und schaue sie dir an! Es führt ein bequemer Weg hinauf, ab Kirchwalden an Waldkogel vorbei, oberhalb des Ortes. Der eignet sich für Anfänger. Es ist der alte Pilgerweg, der weiter über die Alpen bis nach Rom führt. Manchmal sind dort viele Touristen unterwegs, besonders an den Wochenenden. Versuche es während der Woche! Tonis Handynummer habe ich jetzt nicht dabei. Aber Quartier gibt es auf der Berghütte immer.«

»Wann gehst du wieder wandern?«, fragte Johanna.

»Das dauert jetzt ein wenig. Zuerst kommt die Hochzeit. Da muss noch allerlei vorbereitet werden. Dann fahren Xavier und ich in die Flitterwochen nach Murano.«

»Murano ist bekannt für seine lange Tradition in der Glasproduktion.«

»Genau, Hanna! Xavier war schon oft auf Murano. Er hat mich neugierig gemacht. Er hat Freunde dort. Es wird bestimmt sehr schön werden.«

»Danke für die Tipps!«, sagte Johanna und wedelte mit der Visitenkarte.

»Gern geschehen! Du kannst mich anrufen, wenn du es dir überlegt hast. Ich bin noch ein paar Tage in der Stadt. Wenn du magst, können wir zusammen einkaufen gehen, Wanderschuhe, Kleidung, Rucksack, die notwendigen Sachen eben. Damit du das Richtige kaufst.«

»Kann man dabei so viel falsch machen?«

Barbara lachte.

»Wandertourismus ist ein Milliardengeschäft. Es gibt so viele unnötige Produkte. Sie erleichtern dir die Wanderungen nicht, im Gegenteil. Je einfacher und robuster die Ausrüstung ist, desto größer das Vergnügen.« Babara erläuterte detailliert die Fakten.

»Du missionierst doch, Babsy!«, lachte Johanna.

»Nein, mich reißt nur die Begeisterung mit. Ich weiß, dass ich damit oft nerve. Okay, jetzt sage ich kein Wort mehr. Außerdem muss ich nach meinen Jungs schauen und ihnen Kaffee bringen.«

Barbara trank ihren Kaffeebecher leer und stand auf.

»War schön, dich kennengelernt zu haben, Babsy«, sagte Johanna. »Es tat schon gut, mal über etwas anderes zu reden, als über Werbung, Marktanalysen, Trends und Verbraucherstudien. Es scheint wirklich noch ein anderes Leben zu geben.«

»Das gibt es bestimmt, Hanna«, lächelte Barbara.

Sie nahm den Kaffee und verließ das Büro.

Johanna stand auf und stellte sich ans Fenster. Sie schaute über das nächtliche Berlin. Nur der Mond war zu sehen. Den Blick auf die Sterne verhinderte das Streulicht der Stadt. Plötzlich erinnerte sie sich an ihre Kindheit, an die Ferien auf dem Land. Ihre Eltern fanden, dass es für sie als Stadtkind gut sei, die Ferien auf dem Land zu verbringen. So verbrachte Johanna mit ihren Eltern viele Sommerferien auf Bauernhöfen. Ihr hatte es gefallen. Sie hatte sich lange nicht mehr daran erinnert. Es war schön in der Natur, dachte Johanna.

Dann nahm sie die Festplatte und verließ das Büro.

Sie kam schnell durch das nächtliche Berlin. Daheim überspielte sie die Daten auf ihren Computer und wollte noch etwas arbeiten. Das tat sie auch. Doch ihre Gedanken schweiften immer ab. Sie kehrten zu dem Gespräch mit Barbara zurück. Johanna bewunderte Barbara für ihren Mut und ihre Entschlossenheit. Es war bestimmt nicht leicht, gegen den Strom zu schwimmen. Aber Barbara sah glücklich aus. Irgendwann werde ich mir auch einmal eine Auszeit nehmen, nahm sich Johanna vor.

Der erste Schein der Morgenröte färbte den Himmel, als Johanna mit der Arbeit fertig war. Sie speicherte die Daten ab und steckte den Stick in ihre Aktentasche. Dann duschte sie und ging schlafen. Damit sie nicht verschlief, rief sie den Weckdienst an und ließ sich wecken.

*

Jan war von Johannas Ideen und Werbe-Konzept begeistert. Sie saßen in seinem Büro und schauten sich alles gemeinsam an.

»Du bist einfach die Beste, Hanna«, sagte Jan. »Was würde ich nur ohne dich machen? Du bist ein Genie! Ich lade dich heute Abend zum Essen ein. Wir gehen feiern.«

Johanna reagierte nicht.

»He, ich habe dir gerade ein Lob ausgesprochen. Warum schweigst du?«

Johanna drehte den Kopf und schaute Jan an. »Jan, ich kann heute Abend nicht mit dir essen gehen.«

»Warum?«

»Weil ich dann nicht mehr in der Stadt sein werde«, sagte Johanna. »Ich habe etwas anderes vor. Ich werde mein Leben ändern.«

Es quoll einfach so aus ihr heraus, ohne dass sie weiter darüber nachgedacht hatte. Erst, als sie es ausgesprochen hatte, wurde ihr die Tragweite bewusst. Ihr Unterbewusstsein hatte gesprochen. Sie errötete.

»Jan, ich nehme mir eine Auszeit und zwar gründlich.«

»Du willst Urlaub? Wir hatten doch für Herbst einen Urlaub geplant. Dann passt es gut zur Auftragslage und wir können beide eine Woche fort.«

»So meine ich das nicht, Jan, keinen üblichen Urlaub. Ich denke an eine längere Auszeit. Ich fühle, dass ich mal heraus muss, aus der Tretmühle, und zwar allein. Du bist nicht nur mein Freund. Du bist auch mein Chef.«

»Jetzt komme mir nicht damit! Du könntest längst meine Frau sein, wenn du nur wolltest. Willst du mich damit unter Druck setzen?«

»Nein, das meine ich nicht, ich will dich nicht unter Druck setzen. Können wir dieses Thema ausklammern? Ich bin erschöpft und muss einfach mal wieder zu mir selbst finden, bevor ich weitreichende Entscheidungen treffe.«

Jan seufzte und fragte, wie sie sich das gedacht hatte. Es klänge fast so, als wollte sie aufhören. Es war ihm anzumerken, dass er deutlich verstimmt war.

Er sieht nur meine Arbeitskraft, schoss es Johanna durch den Kopf. Er ist keine Spur besorgt um mich. Sie holte tief Luft.

»Du hast die Wahl, Jan. Entweder ich kann unbezahlten Urlaub nehmen, solange ich will, oder ich löse das Arbeitsverhältnis für die Dauer meiner Abwesenheit.«

»So ernst ist es dir?«

Sie nickte.

»Jan, bitte verstehe mich nicht falsch! Es hat auch nichts mit dir zu tun. Und ich liebe meinen Job. Ich will in meinem Leben nur eine Weile innehalten.«

Jan starrte Johanna an. Er war völlig überrascht. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken.

»Kündigung?«, kam es ihm fast tonlos über die Lippen.

»Du hast mich genau verstanden.«

Jan legte den Arm um Johanna. »Liebste, du kannst doch über alles mit mir sprechen. Was hast du? Was soll das bedeuten?«

Johanna seufzte tief.

»Jan, ich schätze dich sehr. Wir lieben uns. Die Arbeit ist großartig. Aber ich brauche mal etwas Zeit für mich.«

»Okay, und wie stellst du dir das vor? Willst du ins Kloster gehen? Es gibt da tolle Programme für gestresstes Führungspersonal. Im letzten Journal war ein langer Bericht darüber.«

»Ich habe nicht vor, mich irgendeinem Programm zu unterziehen. Ich brauche Freiheit. Ich werde wandern gehen.«

»Wie bitte?«, fragte Jan und brach in lautes Lachen aus. »Du bist doch kein Naturfreak. Wandern, das passt nicht zu dir. Ich kann nicht glauben, was du da sagst. Willst du wirklich wandern gehen? Wo denn? Hast du wirklich darüber nachgedacht?«

»Du hast richtig gehört. Wandern, dabei setzt man einen Fuß vor den anderen. Jemand hat mir gesagt, dass es den Kopf freimacht, mit jedem Schritt etwas mehr.«

Jan brach in schallendes Gelächter aus. Er schüttelte den Kopf.

»Jetzt begreife ich. Du hast dich mit Barbara Krause unterhalten, als sie letzte Nacht mit ihrem Team hier war, um das Rechnersystem zu warten. Meine Schuld, dass ich allein zum Geschäftsessen gegangen bin. Ich hätte dich doch überreden sollen, mitzukommen. Barbara Krause ist ganz schön durchgeknallt. Mich wollte sie auch schon überreden. Wenn alle so denken würden, würde die ganze Wirtschaft zusammenbrechen. Barbara ist sehr tüchtig. Ich beauftrage sie gern. Sie könnte ihre Firma zu einem Weltunternehmen aufbauen. Stattdessen legt sie sich in die Sonne. Das ist doch so unproduktiv! Ich weiß nicht, was sie dabei findet. Sie verschenkt viel Geld, Ansehen und Erfolg. In meinen Augen ist das krankhaft. Hoffentlich bereut sie es eines Tages nicht!« Jan lächelte nachsichtig. Dann sagte er: »Barbara Krauses Begeisterung kann anstecken, das habe ich schon erlebt. Sie hat eine wunderbare Art, sie reißt jeden mit. Sie sollte in die Werbung gehen. Ich wette, bei ihrem Einsatz würde es ihr gelingen, den letzten Ladenhüter zu vermarkten. Jetzt sage ich dir, was wir machen. Wir gehen heute Abend schön essen. Anschließend besuchen wir eine Disco und tanzen so richtig ab, verstehst du? Dann sind alle dummen Gedanken verschwunden, die Barbara Krause dir in den Kopf gesetzt hat.« Jan drückte Johanna einen Kuss auf das Haar. Er schaute auf die Uhr. »Oh, schon so spät! Ich muss los. Du weißt, dass Meyer mit einem Großauftrag winkt. Es wird wahrscheinlich bis zum späten Nachmittag dauern. Ich hole dich anschließend hier ab. Und bitte vergiss diesen dummen Einfall! Das ist Unsinn. Ich will sehen, dass wir im Herbst länger, als eine Woche, Urlaub machen können. Einverstanden?«

Das war wohl mehr eine rhetorische Frage. Er wartete nicht auf Johannas Antwort, sondern stürmte aus dem Raum.

Johanna seufzte. Sie packte die Unterlagen zusammen und ging zurück in ihr Büro, das neben Jans Büro lag.

Eine Weile saß Johanna regungslos auf ihrem Schreibtischstuhl. Sie starrte auf den Bildschirm, nahm aber nichts wahr. Sie war mit ihren Gedanken ganz woanders. Wie in Trance öffnet sie die Schreibtischschublade und griff nach Barbaras Visitenkarte. Sie las die Rückseite noch einmal laut: »Waldkogel, Berghütte.«

Johanna suchte Toni Baumbergers Berghütte im Internet. Was sie fand, gefiel ihr. Schnell druckte sie alles aus und packte die Seiten ein. Anschließend schaltete sie den Computer aus und räumte ihren Schreibtisch auf. Ein letzter prüfender Blick, dann flüsterte sie: »Fertig, es kann losgehen!«

Dann steckte Johanna kurz den Kopf durch die Verbindungstür, zum Büro ihrer Assistentin.

»Petra, ich war mit Jan verabredet. Er wollte mich hier abholen. Falls er kommt, wenn du noch hier bist, sage ihm, ich hätte es mir überlegt und würde das tun, was ich für richtig halte. Falls du vorher heimgehst, schreibe ihm eine Mail, dass ich fort bin. Dann weiß er Bescheid.« Johanna lächelte Petra an. Sie überlegte kurz, ob sie sie einweihen sollte, dann entschied sie sich dagegen. »Petra, du bist gut«, sagte Johanna, im Weggehen. »Ich denke, dass du eines Tages meinen Platz einnehmen wirst. Ich wünsche dir viel Erfolg.«

Petra sah überrascht auf. Doch bevor sie etwas sagen konnte, schloss Johanna die Tür.

Johanna eilte zum Aufzug und fuhr in die Tiefgarage. Sie stieg in ihren Sportwagen und fuhr davon. Sie kannte nur noch einen Gedanken. Sie wollte weit fort, raus aus ihrem bisherigen Leben.

Bald war Johanna auf der Autobahn und bog in Richtung Süden ein. An der nächsten Raststelle rief sie Barbara an. Diese beglückwünschte sie zu ihrem Entschluss.

»Es ist eine weite Strecke bis Waldkogel, Hanna. Wenn du ankommst, wird es dunkel sein. Komme nicht auf die Idee, in der Dunkelheit die Berghütte zu suchen! Es gibt ein Hotel am Marktplatz. Und falls du im Hotel ›Zum Ochsen‹ kein Zimmer bekommst, dann frage bei Tonis Eltern nach. Ich werde sie anrufen. Meta und Xaver Baumberger werden schon zu verhindern wissen, dass du im Auto schlafen musst. Im Trachten-und Andenkenladen Boller, am Marktplatz, kannst du dir eine Wanderausrüstung kaufen. Aber ich warne dich, Veronika Boller ist sehr geschäftstüchtig. Lass dir nichts aufschwatzen! Kaufe dir ein Paar Wanderschuhe und gute Socken, plus ein Paar zum Wechseln, eine bequeme Hose und eine Jacke, die auch gegen Regen schützt. Nimm einen kleinen Rucksack! Wenn du dich auf der Berghütte einquartierst, dann genügt er für deinen Tagesproviant. Ich werde Toni und Anna anrufen, damit sie wissen, dass du kommst. Ich werde sie bitten, dir eine kleine Einführung ins Bergwandern zu geben.«

»Danke, Babsy, das ist lieb von dir. Und vielleicht kommst du nach Waldkogel? Von München aus ist es nicht sehr weit. Ich würde mich freuen, dich zu sehen und deinen lieben Xavier auch.«

»Mal sehen, ich kann es nicht versprechen. Auf jeden Fall habe ich jetzt deine Handynummer. Ich wünsche dir eine schöne Zeit in den Bergen.«

»Danke, Babsy!«

»Pfüat di!«

»Was sagst du?«, fragte Johanna.

»Ich sagte ›Pfüat di‹, das sagt man in den Bergen, wenn man sich verabschiedet.«

»Okay! Und was sagt man zu Begrüßung?«

»Grüß Gott!«

»Gut, dann bin schon mal informiert. Bis bald, Babsy! Ich würde mich sehr freuen, dich zu sehen.«

»Ich melde mich, Hanna!«

Sie legten auf.

Johanna trank ihren Kaffee aus. Dann stieg sie ins Auto und fuhr weiter in Richtung Waldkogel.

*

Bald machte Johanna die Müdigkeit zu schaffen. Es machte sich doch bemerkbar, dass sie nur wenige Stunden geschlafen hatte. Sie nahm sich in Kirchwalden ein Hotelzimmer.

Johanna schlief fast bis zum Mittag und ließ sich das Frühstück auf das Zimmer bringen. Als es gebracht wurde, fragte sie die Etagenkellnerin aus.

»In der Fußgängerzone gibt es einige Geschäfte, die ich Ihnen empfehlen kann. Dort finden Sie bestimmt die passende Ausrüstung.«

Die junge Frau, die wegen der Berge nach Kirchwalden gezogen war, war eine Expertin in Sachen Bergwanderungen und gab ihr wertvolle Tipps. Johanna belohnte sie mit einem größeren Trinkgeld.

Nach dem Frühstück verhandelte Johanna mit dem Inhaber des kleinen Hotels. Sie konnte ihr Auto auf dem Parkplatz stehen lassen. Anschließend ging Johanna einkaufen.

Sie beherzigte die Ratschläge, die ihr Barbara und die Kellnerin gegeben hatten. Sie kaufte sich eine Kniebundhose, zwei leichte Blusen, einen Rollkragenpullover, falls es mal kalt würde und eine wasserdichte Jacke und Socken verschiedener Stärke, dicke Wollsocken und dünnere Söckchen. Die Wahl der Wanderschuhe war nicht so einfach. Doch mit fachlicher Beratung und vielen Probeläufen durch den Laden fand Johanna auch die passenden Wanderschuhe. Zur Sicherheit kaufte sie auf dem Rückweg zum Hotel noch eine große Packung Heftpflaster und eine spezielle Fußcreme, denn sie war sicher, dass sie sich bald Blasen laufen würde.

Im Hotel zog sie sich um und verstaute ihr Kostüm und die feinen schwarzen Schuhe, mit den höheren Absätzen, im Kofferraum ihres Autos.

Sie gab ihr Zimmer auf und machte sich auf den Weg zum Markt, um Proviant zu kaufen. Da sie streng auf ihre Figur achtete, kaufte sie Obst und Gemüse. Ihr Rucksack füllte sich mit Äpfeln, Bananen, Karotten, ein paar Tomaten, Sellerie und weißen zarten Rübchen. Sie erstand in einem Haushaltswarengeschäft ein Schweizer Taschenmesser. Die Verkäuferin gab ihr den Rat, genügend Getränke mitzunehmen.

Nach dem Besuch eines Supermarkts, machte sich Johanna auf den Weg nach Waldkogel. Anhand der Ausdrucke und des Stadtplans von Kirchwalden, wusste sie, dass es mehrere Kilometer waren, bis sie außerhalb der Ortschaft auf den ›Pilgerweg‹ abbiegen konnte.

Da sie ihre Füße schonen wollte, nahm sie sich ein Taxi, das sie dorthin brachte. Es hielt auf einem großen Rastplatz, neben der Straße.

»Und wo beginnt jetzt der ›Pilgerweg‹?«, fragte Johanna den Taxifahrer.

»Den Pilgerpfad, meinen S’ sicher. Dort hinten, schauen S’, da, wo die Leut’ sind. Es ist alles ausgeschildert.«

Johanna ging los. Sie sah nicht mehr, wie der Taxifahrer ihr nachsah und den Kopf schüttelte. Johanna wanderte über den Rastplatz und folgte dem Hinweisschild, auf dem ›Pilgerpfad‹ stand.

Obwohl Johanna langsam ging, spürte sie bald, dass sie keine Kondition hatte. Ihr prall gefüllter kleiner Rucksack wurde immer schwerer. Es war ungewohnt für sie, in den dicken Wanderschuhen zu gehen. Sie blieb oft stehen und lockerte die Schnürbänder.

Andere Wanderer zogen an ihr vorbei. Sie grüßten kurz.

Einige Gruppen von jungen Männer sprachen sie an und fragten sie, welches Ziel sie hätte und ob sie sich ihnen anschließen möchte. Johanna lehnte freundlich aber bestimmt ab. Sie war sich nicht einmal mehr sicher, dass sie die Strecke zur Berghütte bis zum Einbruch der Nacht schaffen würde. Ab dem späten Nachmittag nahmen die Wanderer ab, die den Weg hinauf nahmen. Stattdessen kamen ihr welche von oben entgegen.

Irgendwann näherte sich Johanna der letzten Schutzhütte vor der Abzweigung. Laut ihrem Plan führte der kleine Pfad, auf den sie einbiegen musste, direkt zur Berghütte. Es sah auf der Karte nicht mehr weit aus.

Johanna setzte sich auf die Bank vor der Schutzhütte und aß von ihrem Proviant. Die beiden Wasserflaschen hatte sie schon leer getrunken. Sie war durstig.

Plötzlich hörte sie ein merkwürdiges knackendes Geräusch.

Aus dem Wald gegenüber kam ein Esel.

Johanna starrte ihn an. Das Tier kam direkt auf sie zu. Sie hatte keine Erfahrung mit Eseln und es war schon lange her, dass sie sich als Schülerin auf dem Reiterhof herumgetrieben hatte. Das Tier sah ganz friedlich aus. Ist das überhaupt ein Esel, fragte sie sich. Esel sind doch grau. Das Tier war braun mit hellgoldenen Flecken im Fell. Um das Maul war es weiß und es hatte weiße Ringe um die Augen. Nur die langen Ohren ließen Johanna den Vierbeiner als Esel erkennen. Johanna musste lächeln.

»Das ist ein tolles Augenmakeup, das du da hast. Steht dir aber gut«, sagte Johanna laut.

Das Maul des Esels näherte sich ihrer Hand, in der sie ein Stück Apfel hielt.

»Oh, du hast Hunger! Na, ich hoffe, es ist wirklich nicht mehr so weit bis zur Berghütte, und ich werde nicht bereuen, dass ich dir von meinem Proviant abgebe.«

Johanna legte den Apfel neben sich auf die Bank. Der Esel fraß ihn sofort. Danach schaute er sie intensiv an.

»Du bist vielleicht ein Charmeur. Was für ein Blick! Okay, dann bekommst du noch etwas.«

Der Esel war ganz zutraulich und Johanna konnte ihn streicheln. Sie verfütterte ihren ganzen Proviant an ihn.

»So, jetzt ist alles alle. Schau!«

Sie hielt ihm den offenen Rucksack hin. Der Esel steckte den Kopf hinein.

»Das war es«, sagte Johanna. »Jetzt muss ich weiter. Mach’s gut!«

Johanna stand auf, schulterte ihren Rucksack und machte einige Schritte. Der Esel kam ihr nach, drängte sich vor sie und blieb stehen. Er ging auf Tuchfühlung mit ihr und rieb seinen Kopf an ihrer Jacke. Sie streichelte ihn. Dann versuchte sie weiterzugehen. Doch jedes Mal kam ihr der Esel in die Quere.

Langsam verzweifelte Johanna. Sie kam nicht von der Stelle. Dann fing der Esel auch noch an, an den Bändern ihrer Kapuze zu lutschen und zu kauen.

»So geht das nicht«, sagte Johanna und wich einige Schritte zurück. Der Esel kam nach. Er verfolgte sie und stellte sich ihr immer wieder in den Weg. Johanna versuchte, davonzurennen. Sie kam bald ins Keuchen und ihr taten die Füße weh.

Sie gab es auf und blieb stehen.

Jetzt fing der Esel an, mit ihren Haaren zu spielen.

»Was mache ich nur mit dir?«, seufzte Johanna.

Sie ging zurück zur Schutzhütte, immer vom Esel verfolgt und behindert. Johanna stellte sich auf die Bank vor der Schutzhütte, damit sie in Ruhe telefonieren konnte.

Sie rief Barbara an.

»Hallo, Babsy, Hanna hier! Ich bin in einer schrecklichen Situation. Ich kann nicht vor und nicht zurück.«

»Steckst du zwischen zwei Felsen? Ich habe dir doch gesagt, du sollst als Anfängerin nicht vom Weg abweichen. Beschreibe mir, wo du bist! Ich werde Hilfe organisieren. Bist du verletzt?«

»Langsam, rege dich nicht auf! Mir geht es gut. Ich stehe nur auf einer Bank vor einer Schutzhütte. Das muss ganz in der Nähe der Abzweigung auf den kleinen Pfad sein, der direkt zur Berghütte führt. Aber es wird bald dunkel, und ich habe keinen Proviant mehr. Ich dachte, es macht nichts, wenn ich ihm alles gebe. Aber jetzt lässt er mich nicht weitergehen. Gehe ich vor, stellt er sich quer. Gehe ich rückwärts, geschieht dasselbe. Er belagert mich. Babsy, was soll ich nur machen?«

»Wer ist Er?«

»Ein Tier, so groß wie ein Pony. Es hat lange Ohren wie ein Esel. Aber es ist nicht grau, sondern braun und hat ein langes dichtes Fell. Leben solche Tiere hier frei in den Bergen? Was soll ich machen?«

Barbara brach in schallendes Gelächter aus.

»Höre auf zu lachen, Babsy! Was soll ich tun? Bald ist es Nacht, und ich komme nicht weiter.«

»Okay! Rühre dich nicht von der Stelle! Ich schaue, was ich tun kann und rufe dich in einer Minute zurück.«

Noch bevor Johanna etwas entgegnen konnte, hatte Barbara aufgelegt.

Ungeduldig wartete Johanna auf Barbaras Rückruf. Die Zeitspanne, bis das Handy bimmelte, erschien ihr wie eine Ewigkeit.

»Hanna, ich bin es wieder. Hör zu! Ich habe mit Toni gesprochen. Er meint, du hast Bekanntschaft mit Gustav gemacht, dem Esel von Friedel. Der büxt öfters aus. Toni hat versucht, Friedel anzurufen. Leider hat er ihn nicht erreicht. Toni nimmt an, Friedel ist irgendwo in den Bergen und sucht Gustav. Er wird in einem Funkloch sein, oder er hat kein Handy dabei.«

»Na super! Das wird ja immer schöner. Und weiter?«

»Mache dir keine Sorge, Hanna! Gustav ist harmlos. Er scheint einen Narren an dir gefressen zu haben. Geh einfach weiter! Er wird dir bis zur Berghütte folgen.«

»Barbara, du hast mir nicht zugehört. Gustav folgt mir überhaupt nicht. Er stellt sich quer und verhindert, dass ich vom Fleck komme. Babsy, hör mal, so geht das nicht. Ich danke dir für deine Mühe. Aber ich rufe jetzt die Bergwacht an.«

»Du spinnst! Knallst du jetzt durch? Die Bergwacht hat Besseres zu tun, als auszurücken um dich vor einem Esel zu retten.«

»Was soll ich dann tun?«

»Hast du Erfahrung mit Tieren, zum Beispiel mit Pferden?«

»Das ist fast zwanzig Jahre her.«

»Gut, das ist immerhin etwas! Hat Gustav ein Lederband um den Hals?«

»Nein! Kein Band, kein Halfter, nichts, an dem er zu packen ist.«

»Pech! Aber es ist nicht zu ändern. Dann musst du ihn so dazu bringen, dass er neben dir hergeht oder dir hinterherläuft. Packe ihn irgendwo am Hals und versuche, ihn dazu zu bringen, dass er mit dir geht. Rede auf ihn ein! Ich werde Toni noch einmal anrufen. Vielleicht hat er inzwischen Friedel erreicht.«

Barbara legte auf. Dieses Mal dauerte es nicht lange, bis sie wieder anrief.

»Okay, tu genau das, was ich dir gesagt habe. Vielleicht klappt es und du kannst du Gustav doch dazu bringen, dass er sich bewegt. Toni geht gleich los und kommt dir entgegen.«

»Okay, dann versuche ich mein Glück. Auf deine Verantwortung!«

»Es soll ein putziger Esel sein, sagt Toni. Alle in Waldkogel haben ihn ins Herz geschlossen. Leider ist er mir noch nicht begegnet.«