E-Book 31-40 - William Mark - E-Book

E-Book 31-40 E-Book

William Mark

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Beschreibung

"Vor seinem Colt hatte selbst der Teufel Respekt!" (Mark Twain) Der Lieblingssatz des berühmten US Marshals: "Abenteuer? Ich habe sie nie gesucht. Weiß der Teufel wie es kam, dass sie immer dort waren, wohin ich ritt." Diese Romane müssen Sie als Western-Fan einfach lesen! E-Book 31: Sescattewa E-Book 32: Der Mann im Eis E-Book 33: Der Mischling E-Book 34: Die von der River-Ranch E-Book 35: Der Marshal von Dodge E-Book 36: Luke Short E-Book 37: Die Brandeisen-Bar E-Book 38: Texanerblut E-Book 39: Gluthauch aus El Bravo E-Book 40: Der Sheriff von Farley E-Book 1: Sescattewa E-Book 2: E-Book 3: Der Mann im Eis E-Book 4: E-Book 5: Der Mischling E-Book 6: E-Book 7: Die von der River-Ranch E-Book 8: E-Book 9: Der Marshal von Dodge E-Book 10: E-Book 11: Luke Short E-Book 12: E-Book 13: Die Brandeisen-Bar E-Book 14: E-Book 15: Texanerblut E-Book 16: E-Book 17: Gluthauch aus El Bravo E-Book 18: E-Book 19: Der Sheriff von Farley E-Book 20:

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Inhalt

Sescattewa

Der Mann im Eis

Der Mischling

Die von der River-Ranch

Der Marshal von Dodge

Luke Short

Die Brandeisen-Bar

Texanerblut

Gluthauch aus El Bravo

Der Sheriff von Farley

Wyatt Earp –4–

Staffel

Roman von William Mark

Sescattewa

31

Roman von William Mark

Weit ragten die weißen Schneegipfel mit ihren bizarren Konturen in den stahlblauen Coloradohimmel hinein.

Strahlender Sonnenschein lag über der ansteigenden Weide, die zu der Ranch hinaufführte.

Der Mann, der auf der Wagenspur ritt, hatte ein junges Gesicht. Und doch war es von einer Härte gezeichnet, die es irgendwie alt erscheinen ließ. Die grauen Augen waren von langen Wimpern halb verdeckt. Unter der kurzen Nase lag ein schmaler, strichdünner Mund. Das Kinn sprang weit vor und war in der Mitte gespalten. Der Mann mochte etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein, hatte flachsblondes Haar, das strähnig unter dem breiten grauen Hut hervorsah, trug Weidereiterkleidung und in den beiden Halftern seines Kreuzgurtes je einen großen fünfundvierziger Colt.

Jake Halbot war ein langer Bursche, wenigstens einsfünfundachtzig hoch. Etwas zurückgelehnt saß er im Sattel und lenkte mit lässiger Hand seinen Wallach bergan.

Die ersten Bauten der Ranch hatte er schon seit einer Meile im Blickfeld.

Als er jetzt beim Hoftor angekommen war, sah er einen grauhaarigen Mann im offenen blauen Hemd, mit hochgezogener, von Trägern gehaltener Levishose auf sich zukommen.

Der Alte hob die Hand und grüßte. »Wen suchen Sie, Mister?«

Halbots Gesicht blieb unbewegt. Es schien, als rühre sich nicht einmal sein Unterkiefer, als er jetzt schnarrend fragte: »Ist der Rancher da?«

Der Alte kratzte sich den Schädel. »No, der Boß ist beim Vorwerk.«

»Und der Vormann?«

»Yeah, der ist drüben im Corral. Sie machen ein neues Gatter…«

Ohne ein weiteres Wort abzuwarten, ritt Halbot vorwärts, an dem Alten vorbei.

Hinter der großen Scheune erblickte er den Corral.

Er ritt darauf zu.

Schon von weitem sah er drei Männer an dem Holzlattenzaun arbeiten.

Halbot ritt heran und fragte den Mann, der ihm am nächsten stand: »Wo ist der Vormann?«

Der herrische Ton schien dem arbeitenden Cowboy nicht sehr zu behagen. Er wandte sich um, wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der zerfurchten, sonnverbrannten Stirn und schob sich den Hut ins Genickt. »Von einem Gruß halten Sie anscheinend nichts, Mister?«

Halbots Brauen zogen sich düster über den Augen zusammen. »Dafür scheinst du schlecht zu hören, Brother«, gab er schroff zurück. »Ich habe dich nach dem Vormann gefragt.«

Der Cowboy war ein mittelgroßer Mann mit breiten Schultern, kantigem Gesicht und hellen Augen. Er trug ein graues Hemd, eine Lederweste, enge Reiterhosen und einen abgeschabten Waffengurt, der rechts über dem Oberschenkel einen alten Parker-Colt im Halfter hielt. Fünfunddreißig Jahre mochte der Mann sein.

Jetzt zog er die Brauen verblüfft hoch und warf einen Blick auf seine beiden Kameraden, die auf der anderen Seite des Zauns standen. »Was haltet ihr davon, Boys?«

Die beiden lachten schallend los.

Bis sich einer von ihnen verpustet hatte und zu Halbot gewandt erklärte: »Du sprichst schon eine Weile mit dem Vormann, Stranger!«

Halbot rutschte aus dem Sattel.

Sieben Yards trennten ihn von dem Vormann.

Es war genau die Entfernung, über die nach kaum einer weiteren Minute das tödliche Blei aus seinem Revolver jagen würde.

Jake Halbot war schon immer ein wilder, unberechenbarer Bursche gewesen. Den Colt hatte er schon mit sechzehn Jahren geschwungen. Auch dann, wenn es nicht notwendig gewesen wäre. Unten in Texas, auf der Ranch seines Vaters, hatte es oft Schießereien gegeben, und die Cowboys hatten nicht wenig Mühe gehabt, den ungebärdigen Burschen aus den Gunfights herauszureißen, in die er sich blindlings gestürzt hatte.

Sieben Mal hatte er beweisen können, daß er nicht zuerst gezogen hatte.

Sieben Mal hatte Jake mit dem Revolver in der Hand einem Gegner gegenübergestanden.

Im großen Flußknie des Arkansas-River hatte er auf einer Ranch Arbeit gefunden. Einen so großen, kräftigen Burschen hatte man brauchen können. Aber sehr bald war er in eine Schießerei verwickelt, aus der ihn der Rancher nur mit Gewalt herausbringen konnte.

Seitdem war Jake auf dem großen Trail.

Bis Cheyenne Wells hatte sein Geld gereicht. In dieser Stadt hatte er seinen letzten Dollar vertrunken.

Dann hatte er von der Wilkins-Ranch gehört. Es sollte eine gewaltige Viehranch sein, die oben vor den Wäldern lag.

Jake Halbot war hierhergekommen, weil er einen Job brauchte.

»Bleib ruhig im Sattel, Brother«, versetzte der Vormann abweisend, »hier hat niemand Zeit, sich mit dir zu unterhalten.«

»Wie meinst du das?« fragte Halbot.

»Wie ich es gesagt habe. Leute, die wie Tramps reden, sind hier verdammt unwillkommen.«

Tramps! Dieses Wort hätte nicht kommen dürfen. Es brachte den Texaner augenblicklich in Weißglut. Er spreizte die Beine und hatte die Arme steif herunterhängen.

»Hast du Tramp gesagt, Dreckskerl?«

Ein Zucken fuhr durch den Körper des Vormanns.

Halbot deutete es falsch.

Blitzschnell fuhr seine Rechte zum Colt. Brüllend fauchte der Schuß von seiner Hüfte los.

Die beiden anderen Weidereiter standen wie erstarrt, als sie ihren Vormann schwer gegen das Gatter stürzen sahen.

Halbot hatte den Revolver noch in der Faust. »Keine Bewegung!« zischte er.

Da brüllte vom Hof her der Alte: »Sind Sie wahnsinnig, Mensch!«

Der Texaner riß auch den zweiten Colt aus dem Halfter.

Dann schnellte er mit einem tausendmal geübten Federsprung in den Sattel und ließ sein Pferd zurücktänzeln.

Da brüllte der grauköpfige Cattleman: »Er darf nicht weg, Leute! Holt ihn aus dem Sattel! Er hat den Vormann erschossen…«

Als Antwort spien die Colts des Texaners Feuer.

Aber der wildtänzelnde Wallach verhütete ein weiteres Unglück.

Die Kugeln fegten dicht an den Männern vorbei.

Halbot riß sein Pferd herum und preschte tief über die Mähne gebeugt davon.

Wie wilde Hornissen surrten die Kugeln, die die erbosten Cowboys ihm nachschickten, um ihn herum.

*

Blutüberströmt lag Jonny Tucker vor dem untersten Gatterbrett.

Hilflos umstanden ihn die Männer.

Drüben aus dem Ranchhaus kam ein Mädchen angelaufen. Es mochte vielleicht sechzehn Jahre alt sein, hatte

dunkles Haar, blaue Augen, ein frisches Gesicht und rote Wangen. Es trug die gleiche Kleidung, die auch die Männer trugen.

Es war Judy Wilkins, die Tochter des Ranchers.

Ungestüm stieß sie die Cowboys auseinander und beugte sich über den Niedergeschossenen.

Mit fliegenden Händen riß sie ihm das blutdurchtränkte Hemd über der Brust auf.

Dann stockten die Finger.

Entsetzt starrte sie auf die große Wunde in der Brust des Vormannes; ihre Augen flogen zu seinem wächsernen Gesicht.

»Er ist tot«, kam es tonlos von ihren Lippen.

Die Cowboys sahen sie unbehaglich an.

»Yeah«, knurrte der jüngste von ihnen.

Das Mädchen sprang auf die Füße. »Und ihr Schläfer habt den Mörder entkommen lassen!«

Die Cowboys kraulten sich die Köpfe.

Judy Wilkins stieß einen von ihnen an. »Wenn Vater zurückkommt, wird er euch zum Teufel jagen!«

»Aber –«

»Was aber? Holt eure Pferde, wir müssen dem Banditen folgen.«

Die Weidereiter und das Mädchen sattelten ihre Tiere und sprangen auf.

Oben im Ranchhaus stand eine weißhaarige Frau und schrie erschrocken: »Judy! Du bleibst hier!«

Aber die Rancherstochter flog auf ihrem schnellen Fuchs bereits aus dem Tor vor den Cowboys her.

Wie der Sturmwind ging es über die Savanne nach Norden, dahin, wo die frische Spur des Mörders durch das hohe Gras führte.

Spät am Abend kamen sie mit hängenden Köpfen und mißmutigen Gesichtern zurück.

*

Jake Halbot war entkommen.

Er stieg im gleichen Augenblick, als seine Verfolger auf die Ranch zurückkehrten, in einer Waldschlucht aus dem Sattel und ließ sich ins kniehohe Gras fallen.

Auch er war erschöpft.

Er und der Wallach.

Aber Halbot kümmerte sich nicht um das Tier, er dachte nicht daran, es abzureiben.

Halbot dachte auch nicht an den Toten.

Was ihn berührte und unruhig machte, war nur die Tatsache, daß er kein Geld mehr hatte. Er wußte, daß er sich nach neuen Bucks umsehen mußte.

Dieses Bewußtsein war in Jake Halbot noch mit dem Gedanken an Arbeit verbunden. Er mußte sich irgendwo auf einer Ranch einen Job beschaffen.

Das war hier oben vor den Bergen Colorados nicht leicht. Die großen

Ranchs waren dünn gesät. Unter Umständen konnte es ihm passieren, daß er tagelang reiten mußte, bis er irgendwo auf eine Ansiedlung traf.

Aber das hinderte ihn nicht, sich in seine Schlafdecke zu wickeln und seelenruhig in den kommenden Morgen hineinzuschlafen.

Es war schon Vormittag, als er erwachte.

Aus seinen letzten Vorräten bereitete er sich eine Mahlzeit, dann schnallte er den Sattel auf seinen Wallach und ritt weiter.

Wie so oft in seinem Leben sollte er auch jetzt wieder Glück haben. Anstatt, wie er es vorgehabt hatte, scharf nach Norden zu reiten, hielt er sich nordwestlich und traf schon am Nachmittag an einem Flußlauf auf die Spuren einer kleineren Herde.

Halbot folgte der Fährte und sah am späten Nachmittag die flachen Dächer einer Ranch.

Ein langaufgeschossener knorriger Mann arbeitete an der Brunnenwinde, als der Reiter in den Hof ritt. Mürrisch blickte er auf und ließ von seiner Arbeit ab.

Halbot stieg nicht erst ab, lehnte sich über das Sattelhorn und erkundigte sich nach einem Job.

Der Mann zog verwundert die Brauen hoch.

Einen Job? Ja, den könne er kriegen, meinte er.

Und dann erfuhr der Texaner, daß er mit Jonathan Cadd, dem Rancher, selber sprach.

Die beiden Männer waren sich schnell einig.

Jake brachte seinen Gaul in den Corral und wurde dann von dem Rancher ins Haus geführt.

In der Küche war eine junge Frau damit beschäftigt, das Abendbrot vorzubereiten.

Sie war groß und schlank, hatte ein ernstes Gesicht und blaue Augen.

Jake blickte ihr forschend entgegen. Fast hätte er – nach alter Gewohnheit – einen halblauten Pfiff durch die Zähne gestoßen.

»Das ist Jake Halbot, er kommt aus Texas – und das ist meine Tochter Susan«, erklärte der Rancher einfach.

Jake nahm seine Blicke nicht von der Frau. Auch nicht, als der Rancher ihm seine Arbeit erklärte.

»Geht schon in Ordnung, Boß. Ich stamme von einer Ranch. Mein Vater hat mehrere tausend Rinder auf der Weide…«

Dann lernte der Texaner die anderen Cowboys kennen. Sie kamen vor Einbruch der Dunkelheit von der Weide. Sechs hartgesichtige, ganz staubige Burschen.

Einer von ihnen war Dan Carey, der Vormann. Ein großer, vierkantiger Mann mit hölzernem Gesicht, schiefergrauen Augen und dunklem Haar. Er trug ein rotes Hemd und zerschlissene Yearninghosen.

Nach dem Abendessen verzogen sich die Cowboys hinüber ins Bunkhaus.

Nur Jake blieb auf der Veranda und starrte ins offene Küchenfenster. »Hallo, Miß Susan!«

Die junge Frau blickte sich um. »Mister Halbot –? Ihr Gesicht war ernst.

»Ist es nicht langweilig für ein so hübsches Mädchen auf so einer entlegenen Ranch?«

»Nein.« Sie wandte sich ab und arbeitete weiter.

Halbot lehnte sich über die Fensterbrüstung und sah ihr zu.

Plötzlich waren Schritte auf dem Vorbau.

Der Texaner wandte sich um und sah in das Gesicht des Vormannes.

»Wenn du das Bunkhaus suchst, Jake – das ist drüben.«

Der harte Ton reizte den Texaner augenblicklich. Wild schoß das Blut zu seinem heißen Herzen. »Ich suche es nicht, Dan.«

Der Vormann zog die Brauen zusammen. »Ich möchte nicht, daß du dich hier am Ranchhaus herumtreibst.«

Jake spürte die Warnung nicht. Er richtete sich auf und reckte den Kopf. Herausfordernd meinte er: »Vielleicht ist das nur dir erlaubt, he?«

»Kann schon sein.«

Da schlug der unbeherrschte Mann zu.

Carey schlug zurück.

Ein wilder, harter Männerkampf tobte quer über die Veranda.

Jake merkte sofort, daß er hier einen starken Gegner vor sich hatte. Carey stammte aus den Bergen oben, aus einem winzigen Nest, wo schon die Kinder bei der Arbeit helfen müssen. Er verstand zu kämpfen, seine Fäuste zu gebrauchen. Hart und krachend fielen seine Schläge.

Der Texaner war wendiger, schneller und traf genauer.

Carey hatte eben einen fürchterlichen Backhander am Jochbein eingefangen. Er schwankte – aber er stand und schlug augenblicklich zurück.

Ungedeckt traf der Schlag den Tex am Kinnwinkel.

Jake ging in die Knie.

Carey wartete.

Dann kam Halbot wieder hoch, duckte sich, unterlief den Gegner und wuchtete ihm eine wilde Doublette in die Rippen, der er einen fürchterlichen Uppercut folgen ließ.

Carey prallte so hart gegen einen Vorbaupfosten, daß das Holz in seinem Gefüge erzitterte.

Der Faustkampf ging weiter.

Bis der Rancher plötzlich in der Tür stand.

»Aufhören!« brüllte er.

Carey nahm die Arme herunter.

Da holte der Texaner noch einmal aus und hämmerte dem freistehenden Mann einen knallharten rechten Haken ins Gesicht.

Dan Carey stürzte über die Verandatreppe in den Staub des Hofes.

Langsam stand er auf, schoß dem Texaner einen vernichtenden Blick zu und wandte sich ab.

Jake wischte sich durchs Gesicht. »Der hat sein Fett.«

Jonathan Cadds Gesicht war starr wie ein indianischer Holzschnitt. »Ich brauche einen Cowboy, Halbot – keinen Schläger!«

Der Tex wies mit dem Kopf auf den Davonschreitenden. »Und er, was ist er?«

»Ein guter Cowboy«, versetzte der Rancher und ging zurück ins Haus.

Der unter so unseligen Umständen begonnene Job wurde ihm nicht abgenommen. Er konnte bleiben.

Und Dan Carey war anständig genug, den unsauberen Fight zu vergessen.

Nur einer vergaß nicht – Jake Halbot.

Er hatte dem Vormann Rache geschworen. Und die Tatsache, daß Susan sich nichts aus ihm – dem Texaner – machte, bestärkte ihn in seiner Absicht. Er würde diesen starren Coloradoman zertrümmern.

*

Eine knappe Woche war vergangen.

Sie hatten einen Teil der Herde auf ein anderes Weidestück gebracht. Halbot hatte nur drei Tage auf der Weide gearbeitet. Dann erklärte er dem Vormann, daß ihm die Sattelarbeit nicht allzuviel Spaß mache.

Carey war harmlos genug, ihn auf der Ranch zu beschäftigen.

Jake arbeitete mit einem älteren Cowboy an einem morschen Scheunentor, reparierte einen Planwagen und sägte Holz.

Immer wieder zog es ihn zum Ranchhaus, auf die Veranda, an das Küchenfenster.

Wenn Susan über den Hof ging, hörte er mit der Arbeit sofort auf und folgte ihr.

So auch an jenem Morgen.

Susan hatte das Haus verlassen und war zum Brunnen hinübergegangen.

Jake hatte es gesehen. Er ließ die Säge los, scherte sich nicht um den ärgerlichen Ruf Frank Genans, der am anderen Ende der Säge stand, stakste über den Hof und blieb neben dem Mädchen am Brunnen stehen.

»Hallo, Susan.«

Das Mädchen wandte sich um. In seinen Augen stand Ablehnung. »Was wollen Sie, Mister Halbot? Ich habe Ihnen schon mehrmals gesagt, daß Sie mich in Ruhe lassen sollen. Ich habe eine Menge Arbeit.«

»Sicher«, versetzte der Cowboy lässig.

Da kam ein Reiter in den Hof.

Dan Carey.

Neben dem Texaner rutschte er aus dem Sattel.

»Habe ich es mir doch gedacht«, knurrte er dumpf, »vorwärts, hinüber in den Corral. Es gibt da eine Menge Latten auszubessern.«

Halbot wandte sich dem Vormann zu, lehnte den Oberkörper zurück, spreizte die Beine und schob die Hände hinten in den Waffengurt.

»So, gibt es das?« fragte er gallig.

»Yeah!« herrschte ihn der Vormann an. »Außerdem habe ich dir gesagt, daß wir keine Waffengurte tragen. Wir leben hier nicht in einer verrückten Stadt, in der jeder eine Kanone trägt. Bei uns wird nicht geschossen, sondern hart gearbeitet.«

»Was du nicht sagst, Carey«, antwortete Halbot spöttisch.

»Leg den Gurt mit den Revolvern ab!« befahl der Vormann.

»Ich denke nicht daran.«

Halbots Hände waren pötzlich neben die Coltkolben gerutscht.

»Du hast gehört, was ich gesagt habe«, versetzte der Vormann drohend.

Da trat die Frau zwischen die beiden Männer. Sie sah Dan Carey an. »Was soll das geben? Eine Schießerei?«

»Nein, Miß. Aber Ihr Vater will nicht, daß die Leute Schußwaffen tragen.«

»Ich weiß.«

»Well!« mischte sich da der Texaner ein, nahm seinen Gurt ab und drückte ihn der Frau in die Hand. Dann schob er sie beiseite und trat mit glimmenden Augen auf den Vormann zu. »Das wäre erledigt, aber etwas anderes noch nicht. Dieser dreckige Bursche aus den Bergen hat ein zu großes Maul.«

Und schon flog ein schwerer rechter Haken gegen den Schädel des Vormannes.

Im nächsten Augenblick war eine wilde Schlägerei im Gange.

Susan blickte entsetzt auf sie nieder. Plötzlich wandte sie sich um, nahm den gefüllten Wassereimer und leerte ihn über den beiden Kämpfenden aus.

Die Männer ließen sofort voneinander ab und erhoben sich fluchend.

Der Rancher stand plötzlich hinter ihnen. »Halbot, es ist das beste, wenn Sie sich Ihr Geld bei mir abholen und dann in den Sattel steigen…«

*

Er bekam sein Geld, einen guten Proviant und machte sich grußlos davon.

Sein Gewissen war in keiner Weise belastet. Im Gegenteil, er ritt pfeifend aus dem Hof.

Es war ein klarer, sonniger Tag.

Der Mann ritt nach Westen, über hügeliges Land.

Zu seiner größten Verwunderung sah er bereits nach siebzehn Meilen die Häuser einer Stadt vor sich auftauchen.

Die Bergriesen waren hier schon näher und schienen das andere Ende der breiten Mainstreet abzuschließen.

Halbot sah sich nach einem Mietstall um, stellte seinen Wallach unter und schlenderte mitten über die Straße.

Da entdeckte er auf der rechten Seite mitten in einer kleinen Häuserzeile einen Saloon.

›Bills Saloon‹ stand in großen Lettern über dem Eingang.

Jake schlenderte auf die Schenke zu, stieß die hölzernen Schwingarme der Pendeltür auseinander und betrat den im Halbdämmer des Nachmittags liegenden Schankraum.

Der Saloon war leer – bis auf einen Tisch. Da saßen drei ältere, schnauzbärtige Männer und pokerten.

Halbot hielt auf die Theke zu, schnipste mit den Fingern und verlangte eine Flasche Kentucky-Gold.

Der Wirt, ein kleiner Mann mit saurem, kränklichem Gesicht, musterte ihn kurz und stellte ihm dann den Whisky hin. »Gezahlt wird gleich«, meinte er mit dünner Fistelstimme.

Der Texaner zog die Brauen zusammen. »Dafür sollte ich dir eine langen, alte Schleiereule.«

Aber er zog dann doch das Geld aus dem Beutel und warf es klimpernd auf das Thekenblech.

Dann wandte er sich um und blickte unternehmungslustig auf die drei Spieler. »Wie sieht’s aus, Gents, kann ich mithalten?«

Die drei Alten sahen auf, blickten den Frager an, tauschten einen kurzen Blick untereinander und spielten dann weiter.

Das war genau das, was Jake Halbot nicht vertragen konnte. Er schob sich an den Tisch der drei heran, zog die Winkel seines schmallippigen, wenig angenehm wirkenden Mundes nach unten und musterte jeden einzelnen der drei Kartenspieler. »Bin euch wohl nicht elegant genug, he?« schnarrte er.

Der Mann, der ihm am nächsten stand, wandte seinen grauen Kopf und grinste. »No, Mister, das ist es nicht, aber wir brauchen keinen Partner, verstehen Sie?«

»Nein!«

»Wir spielen jeden Morgen hier ein Stündchen miteinander, schon seit Jahren – und…«

»Was geht das mich an? Ich will mitspielen!« Halbot zog sich einen Stuhl heran und setzte sich rittlings darauf. Dann riß er den Korken von der Flasche und trank. Glucksend lief das scharfe Getränk aus der Flasche in seine Kehle.

Angeekelt wandten die Spieler sich ab.

Halbot hatte ein Viertel des Flascheninhalts in sich hineingekippt. »So, Leute, und nun rückt zusammen. Jake Halbot spielt mit!« rief er grölend.

Er spielte mit.

Den dreien blieb nichts anderes übrig.

Und Halbot gewann.

Auch dagegen vermochten die Männer nichts zu unternehmen.

Er gewann, weil er falschspielte.

Es gab jedoch jemanden, der etwas dagegen unternehmen wollte: der Salooner.

Langsam hatte er sich an den Spieltisch herangemacht und zugesehen.

Plötzlich schoß seine Hand vor und legte sich auf den linken Unterarm des Texaners. »Stop, Mister, so läuft das nicht. Hier wird nicht falschgespielt. Diese Gents sind Gäste, die jeden Tag bei mir verkehren. Ich habe kein Interesse daran, sie wegen eines Falschspielers zu verlieren.«

Halbot saß drei Sekunden steif da, dann riß er sich von dem Griff des Wirts los, warf den Kopf herum und bellte: »Was fällt dir ein, dreckiger Schnapspanscher!«

Er war aufgesprungen. Geschickt hatte er bei dieser Bewegung eine Karte aus seinem Ärmel gezogen und unter den Tisch fallen lassen.

Der Salooner war blaß geworden. »Ich habe deutlich gesehen, daß Sie falschgespielt haben, Mister!«

»So?« knurrte ihn der Cowboy an. »Dann beweisen Sie mir das gefälligst.«

»Das kann ich.«

Der Wirt griff nach dem linken Ärmel des Mannes, öffnete den Knopf – und starrte auf den behaarten Unterarm des Banditen. »Aber…«

»Was aber?« herrschte ihn Halbot an. »Was haben Sie gesucht? Eine Karte?«

»Aber da war doch eben noch eine Karte. Ich habe doch deutlich gesehen…«

»Was haben Sie gesehen?« Halbot schleuderte den Salooner so brutal zurück, daß der Mann zwei Stühle mit umriß. »Verschwinden Sie, Alter, sonst raucht’s!«

Die drei älteren Männer saßen wie erstarrt da.

Einer von ihnen, der sechzigjährige Pat Henderson, hatte die Spielkarte unter dem Tisch entdeckt. Er stieß seinen Nachbarn mit dem Ellbogen an und wies unter den Tisch.

Lewt Ferguson, der andere, war nicht so geschickt. Er bückte sich, und als er die Karte aufhob, hatte Halbot ihn schon am Kragen gepackt und zurückgerissen.

»Ach, so ist das? Die Gents sind Falschspieler!« Ferguson riß sich los und wich zurück. »Das will ich in Ihrem eigenen Interesse nicht gehört haben, Stranger. Wir haben hier an diesem Tisch an Sie ein ganzes Stück Geld verloren und haben Ihnen sicher keinen Grund gegeben, so mit uns zu sprechen.«

Halbots Hände hingen steif über den Revolverkolben.

Die Männer hatten sich jetzt alle erhoben und wichen zur Tür zurück.

Von dem Texaner ging eine unheimliche Spannung aus. Er spürte es selbst. Und liebte es.

Die drei Männer näherten sich der Tür.

»Stehenbleiben!« bellte der Cowboy.

Die Männer verhielten den Schritt und starrten den Fremden verstört an.

»Heavens, Mister – was haben Sie vor?« stotterte Ferguson. »Sie werden doch nicht so wahnsinnig sein, wegen der kleinen Verstimmung zum Colt zu…«

»Verstimmung nennst du das?« zischte der Bandit. »Das war alles andere als eine kleine Verstimmung. Man hat mich hier einen Falschspieler genannt.«

»Aber wir doch nicht!« verteidigte sich Ferguson.

»Das bleibt sich gleich«, krächzte der Tramp. Er stand siegessicher da und fühlte eine Art Rausch in sich aufsteigen. »Ich bin also ein Falschspieler«, sagte er gefährlich leise.

»Aber das hat doch niemand behauptet«, krächzte einer der Alten.

»Jetzt habt ihr Angst, ihr Großmäuler, he? Los, gebt zu, daß ihr Angst habt!«

Die Männer starrten ihn fassungslos an.

»Vorwärts!« bellte der Texaner.

Ganz plötzlich riß er die Colts aus den Halftern und ließ sie an den Abzugsringen um die Mittelfinger rotieren, um sie gleich darauf wieder nach vorn zu stoßen und auf die Männer zu richten.

Dann fiel ihm ein, daß er Durst hatte.

Mit der Linken angelte er die Flasche vom Tisch, setzte sie zu einem tiefen Zug an, ohne die drei aus den Augen zu lassen.

Bei seinem leichtfertigen Spiel hatte er nicht auf den Salooner geachtet.

Er hatte sich hinter die Theke zurückgezogen und eine alte Kentuckyrifle hervorgeholt.

Das metallische Klicken des gespannten Hahns ließ den Verbrecher herumwirbeln.

Halbot stieß den rechten Colt vor.

Der Schuß brüllte auf.

Der Salooner bekam einen Stoß vor die Brust und wurde gegen das Flaschenbord zurückgeschleudert.

Oben links auf seiner Brust brannte ein Blutfleck in seinem weißen Hemd.

Da flogen die Schwingarme der Tür auf und ein untersetzter vierschrötiger Mann mit hartem, kantigem Gesicht stand am Eingang.

Links auf seiner Weste blinkte ein silberner Fünfzack.

Halbot, der wieder herumgefahren war, blickte ihn aus engen Augen an.

»Ah, der Sheriff«, sagte er schnarrend.

Billy Ikens trug den Stern schon sechzehn Jahre. Er war ein guter Sheriff.

Ikens war ein ziemlich unerschrockener Mann. Er fixierte Halbot kurz und ging dann vorwärts. »Nehmen Sie die Dinger herunter«, sagte er mit rauher Stimme.

Er ging an dem Texaner vorbei auf die Theke zu, untersuchte den Wirt und wandte sich dann an den Cowboy.

»Sie haben Glück gehabt, Mister. Das hätte Sie an den Strick gebracht. Aber der Schuß sitzt zu hoch. Der Doc wird ihn wieder zusammenflicken.«

Halbot hatte die Colts immer noch in den Händen. »Was reden Sie da, Sheriff. Der Salooner hat mit der Flinte in meinem Rücken gestanden!«

»Weshalb wohl?«

Der Sheriff warf ihm einen lauernden Blick zu.

»Weil er verrückt ist.«

»Äh – ich kenne ihn schon eine ganze Weile, Mister. Er ist nicht verrückt. – Mister Ferguson, holen Sie doch bitte den Doc. – So, und nun, Mister Gulliver, sagen Sie mir, was hier los war.«

John Gulliver, einer der drei Alten, berichtete.

Plötzlich schnellte Halbot vor. »Du lügst, Alter, ich…«

Ikens packte den Texaner am Arm. »Lassen Sie ihn zu Ende erzählen.«

Ikens hörte zu. Dann nickte er. Schließlich winkte er dem Texaner.

»Kommen Sie, wir gehen ins Office.«

Als die beiden die Schenke verließen, kam der Arzt herein.

Ikens ging über den Vorbau voran.

»Was soll das?« knurrte der Tex.

»Ich muß einen Bericht aufsetzen.«

Sie gingen zusammen zum Office.

Ikens zog die Schublade auf – und plötzlich flog ein Schatten über sein Gesicht. Er hob den Kopf und blickte den Mann, der mitten im Raum stand, mit einem eingekniffenen Auge an.

»Sie sind Texaner?«

»Yeah.«

Ikens warf die Lade zu.

Sein sonderbares Verhalten hatte nur zwei Sekunden gedauert, aber es hatte für den Cowboy gereicht.

Er wußte plötzlich, daß der Sheriff in der Lade irgend etwas liegen haben mußte, was mit ihm, Halbot, zusammenhing.

Etwa eine Fahndung?

Der Sheriff kam um den Schreibtisch herum. Einen Yard vor Halbot blieb er stehen. »Sie kommen vom Südosten?«

»Yeah.«

Ikens nickte. »Well, dann muß ich Sie…«

Wie ein Blitz zuckte die rechte Faust des Verbrechers unter sein Kinn, warf ihn zurück und ließ ihn hart gegen den Schreibtisch stürzen.

Billy Ikens war besinnungslos.

Halbot sah ihn nur einen Augenblick kalt an, lief dann um den Schreibtisch und riß die Lade auf.

Obenauf lag ein Steckbrief.

Mörder gesucht!

Texaner, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, über einsachtzig groß, blondhaarig, wird wegen Mordes an dem Vormann der Wilkins-Ranch, Jonny Tucker, gesucht.

Da hörte er, wie sich der Mann vor dem Schreibtisch ächzend bewegte.

Halbot lief zu ihm, riß ihm das Taschentuch aus der Tasche, stopfte es ihm in den Mund und fesselte ihn an den Händen mit einer Lassoleine, die an einem Wandhaken hing.

Dann nahm er den großen Schlüsselbund und schleppte den immer noch benommenen Hüter des Gesetzes in eine der drei Zellen, wo er ihn einsperrte.

Dann wandte er sich um und nahm das Fahndungsblatt an sich.

Als er auf den Vorbau trat, sah ihm niemand an, was geschehen war.

Vom Saloon her kamen die drei Alten und der Arzt.

»He!« rief Ferguson, »da ist der Tramp.«

Halbot hatte kalte Nerven.

Er schlenderte auf die vier Männer zu und blieb ruhig vor ihnen stehen.

Scharf fixierte er Ferguson. »Was hast du eben gesagt, Brother?«

Der Alte wurde aschgrau vor Schreck.

Halbot gab ihm einen derben Stoß, der ihn gegen einen Vorbaupfeiler warf. »Noch eine Beleidigung, dann geht’s dir wie dem Wirt!?– Damit ihr es wißt: Der Sheriff hat mich um Entschuldigung gebeten. Ich dürfte es euch eigentlich nicht sagen. Aber es scheint ja nicht anders zu gehen. Ich suche einen Mörder…«

»Sie sind ein Staatenreiter?« meinte der Arzt, wobei er nervös seinen Zwicker höher auf die Nase schob.

»Yeah!« log der Tex. Dann wandte er sich schroff ab und stakste zum Mietstall hinüber.

Minuten später ritt er ohne Hast aus der Stadt.

Als er die letzten Häuser hinter sich hatte, preschte er davon.

Er ritt auf die Berge zu.

Nach drei Tagen war sein Proviant aufgebraucht.

Er ritt talwärts und fand sich am späten Mittag dieses Tages auf der Weide wieder, die zur Cad-Ranch gehörte.

Heavens, er mußte etwas Eßbares beschaffen.

Der kaltstirnige Mann entschloß sich, auf die Ranch zurückzureiten und mit dem Boß zu sprechen.

Vielleicht konnte er die Sache mit Dan Carey, dem Vormann, wieder einrenken.

Jake Halbot ritt auf die Ranch zu.

Am Hoftor sah er schon einen der Cowboys, der ihn aber gar nicht bemerkte.

Halbot hielt auf das Ranchhaus zu.

Als er aus dem Sattel rutschen wollte, öffnete sich oben die Tür. Susan stand da.

»Was wollen Sie?« fragte sie.

»Ich wollte den Boß sprechen, Miß. – Wegen der Sache mit Carey. Ich muß verrückt gewesen sein. Ich werde mit Carey selbst sprechen und…«

Das Mädchen schoß ihm einen abweisenden Blick zu. »Dan Carey hat die Ranch verlassen.«

»Ach –?«

»Yeah. Er sucht sich anderwärts einen neuen Job. Das haben Sie geschafft.«

Über Halbots Gesicht huschte ein Freudenschimmer. »Das ist ja – ich meine, wenn Dan weg ist, dann steht mir doch nichts mehr im Wege.«

Die Frau legte die Hände zusammen und durchforschte sein Gesicht. »Doch, Mister – es steht Ihnen eine Menge im Wege.«

Sie wandte sich ab und ging ins Haus.

Halbot wartete eine Weile, dann folgte er ihr. Er traf sie in der Küche und sah, wie sie Brot, Käse und Rauchfleisch in ein Leinentuch wickelte.

Das Bündel schob sie ihm zu.

Dann ging sie ans Fenster.

»Was soll das?« fragte der Texaner verwundert.

»Nehmen Sie den Proviant und reiten Sie weg.«

»Aber Susan! Wie können Sie so kleinlich sein. Dan ist weg und…«

Da wandte sich die Frau um. »Kleinlich? Ich bin nicht kleinlich. Nehmen Sie den Proviant und reiten Sie weg, ehe die Männer zurückkommen.«

»Weshalb denn?«

»Weil es hier niemanden gibt, der einen Mörder auf der Ranch dulden würde.«

Wie ein Peitschenschlag traf der Satz den Cowboy.

So war das also!

Hier wußten sie es auch schon. Und vielleicht waren die Reiter unterwegs, um ihn zu jagen.

Mit einer hastigen Bewegung nahm er das Bündel und wollte zur Tür.

Jake Halbot blieb in der Tür zur Halle stehen und musterte den Rücken der Rancherstochter.

Plötzlich kam er zurück.

Die Frau hörte seine Schritte hinter sich.

»Ich habe Ihnen gesagt, daß Sie gehen sollen«, sagte sie, ohne sich umzuwenden.

Erst das leise, metallische Klicken ließ sie zusammenfahren. Sie drehte sich schnell um.

Vor ihr stand der Mann. In der Linken hielt er das Proviantbündel – und in seiner Rechten lag ein Revolver.

Sie starrte entsetzt auf die Waffe. »Was – wollen Sie?«

Halbots Gesicht blieb kalt. »Geld, Miß«, versetzte er eisig.

»Geld? Ich habe kein Geld. Mein Vater…«

Der Bandit hob den Revolver. »Halt keine Rede, ich brauche Geld.«

Susan rührte sich nicht.

Da stieß der Mann den Revolver vor. Die Mündung berührte ihren Hals.

Das kühle Metall schien auf ihrer Haut plötzlich zu brennen. Susan wandte sich ab und ging zur Tür, die ins Nebenzimmer führte.

Halbot folgte ihr.

Sie nahm einen eisenbeschlagenen Kasten aus einer Truhe und verschränkte dann die Arme übereinander. »Den Schlüssel hat der Rancher.«

Halbot blickte auf den Kasten. Dann nahm er den Revolver und zerschoß mit zwei gezielten Schüssen den Schloßriegel.

Er fand zwei Dollarbündel.

Der Verbrecher warf den Kopf herum. »Wo ist das andere?«

»Wir haben nichts weiter im Haus. Mein Vater bringt das Herdengeld immer in die Stadt zur Bank.«

Halbot stieß einen Fluch aus, stopfte die Geldscheine in seine Taschen, versetzte der Kassette einen Fußtritt und ging hinaus.

Die Frau hörte seine Schritte in der Halle und dann auf dem Vorbau.

Ihr Gesicht war starr geworden. Plötzlich stürzte sie vorwärts und riß ein großes Winchestergewehr von der Wand.

Sie lud es durch.

Bei dem Geräusch zuckte der Mann draußen auf dem Vorbau zusammen. Mit einem Satz saß er im Sattel und riß seinen Wallach herum.

Susan Cadd stand am Fenster und hatte das Gewehr angehoben.

Der Reiter war jetzt genau in der Schußlinie.

Susans rechter Zeigefinger spannte sich um den Abzugshahn. Dann schloß sie die Augen – und ließ das Gewehr wieder sinken. Sie konnte nicht auf einen Menschen schießen. Auch nicht auf ein Pferd.

Sie wußte, daß der Vater keinen Cent in Shaw auf der Bank hatte. Daß die beiden Bündel, die der Mörder gestohlen hatte, sein ganzes Geld gewesen waren. Vater hatte erst vor drei Wochen den Rest der Landkaufsumme bezahlt und konnte erst im Herbst wieder mit neuen Herdeneinnahmen rechnen.

Inzwischen mußten die Cowboys bezahlt werden und eine Menge Dinge für den Lebensunterhalt gekauft werden.

Die Rinder, die Jonathan Cadd auf seiner Weide stehen hatte, waren alles, was er besaß. Es waren nicht sehr viele – und er hatte jahrelang dafür geschuftet, daß er sie sich kaufen konnte.

Und das Geld in der eisenbeschlagenen Kassette wurde dringend für die Existenz der Ranch gebraucht.

Dennoch hatte sie nicht schießen können.

*

Der Mörder hatte sein Schuldkonto nun aber noch um einen Raub erhöht.

Auf seinem schnellen Wallach floh er wieder auf die Berge zu.

Er entkam.

Die Cowboys von der Cadd-Ranch hatten ihn gesucht, aber es war ihm gelungen, ihnen zu entfliehen.

Die Gegend war nun gefährlich für ihn geworden. Wenngleich der Texaner sich auch auf sein schnelles Pferd verlassen konnte, hatte er doch auf die Dauer keine Chance, sich hier im County zu halten.

Viele Hunde sind des Hasen Tod. Sie würden ihn jagen und irgendwann doch einmal einkesseln. Das mußte er verhindern. Allerdings hatte er nur die eine Möglichkeit, so schnell wie möglich hier zu verschwinden.

Tagelang ritt er durch die Berge.

So weit nach Nordwesten, daß er annehmen konnte, daß zumindest die Männer von der Cadd-Ranch nicht mehr auf seiner Fährte waren.

Es waren neun Tage vergangen, als er viele Meilen westlich von Colorado Springs in die Stadt Florissant einritt.

Es war an einem Abend.

Der Mann war gezwungen, die Stadt aufzusuchen. Sein Proviant war schon seit zwei Tagen aufgebraucht.

Halbot hatte nach einer Farm gesucht, war durch die steilen Täler geritten, hatte eine Sägemühle oder ein Holzfäller-Camp gesucht – ohne Erfolg.

Er hatte nur eine halbverfallene alte Ranch gefunden, die sicherlich seit einem Jahrzehnt keinen Menschen mehr gesehen hatte.

Müde, hungrig, erschöpft und niedergeschlagen trottete der Reiter in die

Mainstreet von Florissant. Trotzdem hatte Jake Halbot immer noch nicht begriffen, daß er den bittersten und schlechtesten Job gewählt hatte, den der Westen zu vergeben hatte: Er war ein Outlaw.

Auch hier in dieser Stadt würde es einen Sheriff geben, der einen Schreibtischkasten hatte, in dem der Steckbrief des Mörders aus Texas lag.

Well, sie wußten, daß er aus Texas war, aber seinen Namen kannten sie nicht. Gab es nicht eine Menge Leute aus Texas, die durch die Staaten ritten?

Und war der weit nach vorn gebeugte, vom grauen Steinstaub gepuderte Reiter, der da in die ansteigende Main-street ritt, noch der gleiche Mann, der unten in der Ebene den Vormann der Wilkins-Ranch erschossen hatte?

Wer wollte ihn wiedererkennen?

Und nach der Beschreibung auf dem Steckbrief war der Mann, der hier in Florissant einritt, nicht mehr wiederzuerkennen.

Jake Halbots Bart war gewachsen. Die untere Hälfte seines Gesichtes war mit rotblonden Haaren bedeckt, die den dünnlippigen Mund überwucherten. Das eckige Gesicht war eingefallen und dunkel. Hart stachen die Augen daraus hervor. Nichts war an ihm, das irgendeinen Sheriff bei seinem Anblick an den Steckbrief hätte erinnern können.

Halbot wußte, daß er mit seinem abgerissenen Aussehen nirgends einkehren konnte.

Er hatte ja noch das Geld, das er Susan Cadd geraubt hatte. Genug Geld, um sich in einer weltvergessenen Bergstadt eine schöne Zeit damit zu machen.

Er ritt von der Mainstreet weg und bog in eine der drei Seitenstraßen ein. Was er eigentlich anfangen wollte, wußte er selbst noch nicht. Vielleicht wartete er auch darauf, daß es dunkler wurde.

Neben einer Sattlerei rutschte er vom Pferd und sah plötzlich einen kleinen Jungen vor sich.

»Hallo, Kid!«

Der Kleine zog die schwarzen Brauen hoch. »Woher kennen Sie mich, Mister?« fragte der etwa zehnjährige Junge verblüfft.

Ein müdes Lachen war in den Augen des Mannes. »Ich dachte mir, daß du Kid heißen müßtest.«

Der Kleine hatte einen schwarzen Wuschelkopf und wasserhelle, klare Kinderaugen.

»Wo wohnst du denn?« forschte der Bandit und warf seine Zügelleinen lässig über den Querholm neben der Sattlerei.

»Wir wohnen da unten im letzten Haus, links am Ende der Straße. Da, wo sie schon den Bogen nach Norden macht.«

»Dein Vater hat eine Farm?«

»Mein Vater?« Der Kleine rieb sich seine Stupsnase. »Ich habe keinen Vater mehr. Mama macht mit mir die ganze Arbeit. Manchmal kommt auch Sam. Aber er ist schon alt und hat es in den Knochen. Jedenfalls sagt er das immer.«

»Habt ihr viele Rinder?«

»Es geht.«

»Weshalb sucht deine Mutter dann keine Leute für die Arbeit?«

Kid lachte hellauf. »Sie sucht ja immerzu. Aber hier oben finden sie keine Leute.«

Zehn Minuten später stand Jake Halbot im Halbdunkel des Flurs vor Jenny Winters.

Der Junge hatte ihn durch die Hoftür ins Haus geführt.

Als sich die Küchentür öffnete und Jake gegen das Licht der Kerosinlampe die Silhouette der Frau sah, blieb er stehen.

Es war eine junge Frau.

»Ja –?« fragte sie mit einer dunklen Stimme.

»Ich bringe dir einen Cowboy, einen richtigen Texaner, Ma!« rief der Kleine und zündete eine zweite Kerosinlampe an.

Mit weit offenen Augen verschlang der Tramp die Erscheinung der jungen Frau.

Jenny Winters war damals zweiundzwanzig Jahre alt. Sie hatte brünettes Haar und dunkle Augen. Well, sie war keine ausgesprochene Schönheit, hatte aber doch etwas an sich, das die Männer veranlaßte, ihr nachzuschauen. Jake Halbot sagte, daß er Arbeit suche.

Er bekam Arbeit auf der Farm.

Und fast zwei Wochen ging alles gut.

Da kam eines Morgens Jim Flanagan auf den Hof.

Er war mittelgroß, breit, und hatte ein gutmütiges Hundegesicht. Dreißig Jahre war er alt, hatte struppiges Haar und einen Schnauzbart. Er trug eine schlechtsitzende Hose, ein blaues Kattunhemd und eine braune Weste. Waffen trug er nicht. In einer Zahnlücke klemmte eine zernagte unansehnliche Maiskolbenpfeife.

Jake sah ihn erst, als er fast fünf Yards hinter ihm stand.

»He, Brother, dir gefällt’s anscheinend ganz gut hier.«

Halbot wandte sich voll nach ihm um. »Yeah, du hast doch nichts dagegen?«

Flanagan lachte gutmütig, dann sagte er zur Verwunderung des Texaners: »Doch, ich habe etwas dagegen.«

Jake richtete sich auf. Sofort wurde der Trotz in ihm wach. »Und was hast du dagegen?«

»Ich will sie heiraten.«

Halbot stieß eine prustende Lache aus. »Du willst sie heiraten? So eine komische Figur!«

Flanagan nahm die Pfeife aus dem Mund. »Ich will hier auf ihrem Hof keinen Streit mit dir anfangen.«

Damit wandte er sich ab.

Jake tippte ihm auf die Schulter.

Als Flanagan sich umwandte, krachte ihm ein fürchterlicher Faustschlag ins Gesicht, der ihn mehrere Yards weit zurücktaumeln und dann niederstürzen ließ.

»Verschwinde, Pfeifenmann. Und wenn ich dich noch mal hier sehe, kracht’s!«

Flanagan richtete sich langsam auf, wischte sich durch sein Gesicht und kam heran. »Hör zu, Stranger, du hast eine eigene Art, die Dinge zu regeln. Ich habe dir gesagt, daß ich auf ihrem Hof keinen Streit mit dir anfangen will. Ich werde dich deshalb etwas fragen: Willst du sie heiraten?«

Halbot starrte dem Mann verblüfft ins Gesicht. »Du bist verrückt, Mensch! Verschwinde.«

Flanagan wandte sich ab, hob da, wo er gestürzt war, seine Pfeife auf, und ging vom Farmhof.

*

Zwei Tage später kam der ›Pfeifenmann‹ wieder auf den Hof.

Diesmal trug er einen Waffengurt.

Als Halbot ihn sah, riß er sofort den Colt aus dem Halfter.

»Well, Brother, wolltest du dir eine Kugel von mir holen?«

»Komm auf die Straße!« sagte Flanagan heiser.

Da stand die Frau in der Tür zum Hof. »Was ist hier los?«

Flanagan wurde flammendrot.

Halbot lachte und schickte dann zwei Kugeln auf die Reise.

Sie ließen dicht vor den Stiefelspitzen Flanagans den Dreck aufspritzen.

»Der Bursche hat Flöhe im Kopf!« bellte der Texaner.

Flanagan ging.

Er hatte sich nicht mit dem Fremden schießen wollen. Er hatte gedacht, daß der vielleicht aufgeben würde, wenn er einen Mann mit einem Revolver sah.

Langsam trottete er aus dem Hof.

Halbot folgte ihm.

»Jake!« rief die Frau hinter ihm her.

Er wandte sich um.

»Wo wollen Sie hin?«

»Lassen Sie mich in Ruhe!« faucht er und ging weiter.

Als er auf die Straße kam, sah er Flanagan bereits in zehn Yards Entfernung vor sich.

»He, Brother!«

Flanagan ging weiter.

Halbots Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Der Rausch kam über ihn.

»Bleib stehen!« bellte er.

Flanagans Schritt wurde langsamer.

»Stehenbleiben!« brüllte der Texaner.

Flanagan blieb stehen.

»Dreh dich um!«

Vom Hof her schrillte die ängstliche Stimme der Frau: »Tun Sie es nicht, Jim!«

»Umdrehen, du Feigling!« belferte der Bandit.

Da wandte sich der andere langsam um.

Er kam nicht mit der Hand zum Revolver, kaum bis in die Nähe des Gurts.

Da fauchte drüben schon der Schuß los.

Die Kugel streifte die Schläfe Flanagans.

Er wankte und stürzte zu Boden.

Mit einem gellenden Aufschrei des Entsetzens lief Jenny Winters auf ihn zu.

Oben aus der Mainstreet kam der Sheriff. Ein kleiner kurzbeiniger Mann mit martialischem Schnauzbart und ewig puterrotem Gesicht. Er sah Flanagan am Boden liegen, die Frau über ihm – und drüben am Tor den Fremden mit dem Revolver. »Ist er tot?«

Jenny Winters richtete sich auf. »Ich glaube, er lebt noch!« Sie rannte hinüber zu Doc Carruther.

Der Sheriff blickte auf den Texaner. Langsam kam er auf ihn zu.

Halbot ließ den Colt ins Halfter gleiten, reckte seine Gestalt und schob das Kinn vor.

»Es war Notwehr!« sagte er rauh.

Der Sheriff blieb stehen. Er sah ihn forschend an. »Notwehr? Ein Bursche wie Flanagan hat in seinem ganzen Leben keinen Schuß abgegeben.«

»Was geht das mich an? Mich interessiert nur, daß der Halunke mich bedroht hat.«

»Wie heißen Sie?« drang die rauhe Stimme des Sheriffs an sein Ohr.

Halbot zog die Unterlippe über die Oberlippe. »Turner, Jess Turner.«

»Aus Texas?«

»Texas? No, ich komme aus Oklahoma.«

Die Frau kam mit dem Arzt zurück.

Jim Flanagan war nur betäubt durch den harten Streifschuß an der Schläfe.

Jenny stand stumm dabei, als der Arzt den Mann verband.

Der Sheriff fragte sie: »War es Notwehr?«

Sie nickte. »Ich glaube ja.«

*

Jake Halbot war dem Strick wieder einmal entronnen. Sein graues Leben konnte weitergehen.

Er durfte auf der Farm bleiben. Aber niemand sah ihn an. Auch Jenny nicht. Nicht einmal Kid.

Drei Tage später stand er in der Scheune und lungerte herum.

Draußen regnete es.

Kid war in der Stadt, um Einkäufe für Mutter zu machen.

Halbot wußte, daß Jenny jetzt bald in die Scheune kommen mußte, um das Hühnerfutter zu holen.

Sie lief durch den Regen vom Haus über den Hofplatz zur Scheune. Kurz vor dem Scheunentor rutschte sie aus und fiel in eine Wasserlache. Sie hatte sich an einem spitzen Stein verletzt. Als sie ins Scheunentor trat, wurde sie plötzlich brutal am Arm gepackt und ins innere der Tenne gerissen.

Steif vor Schreck starrte sie in die wild funkelnden Augen Halbots. »Was soll –?«

»Sei still, Sweety. Ich werde sonst grob«, zischte er sie an.

Die Frau riß sich los. »Gehen Sie, Mister Turner. Sofort verlassen Sie die Farm!«

Halbot lachte diabolisch. »Das könnte dir so passen…«

Er ging mit federnden Schritten auf sie zu.

Jenny floh – aber sie fand keinen Ausweg. Ein heller Schrei flog von ihren Lippen über den Hof.

»Weshalb schreist du, Sweety? Ich bin schließlich ein anderer Kerl als dieser armselige Flanagan.«

»Gehen Sie, Mister Turner! Sofort!«

Der Mann streckte seine Hände nach ihr aus.

Da ließ ihn ein hartes Klicken herumfahren.

Er griff zum Revolver, aber da brüllte ihm der Schuß schon entgegen.

Vor der Frau taumelte er zur Seite und brach dann zusammen.

Als sich die Pulverwolke verzog, sah Jenny Winters zu ihrem Entsetzen im Scheunentor den kleinen Kid stehen.

Er hatte das Gewehr noch in der Hand.

»Kid!« stieß die Frau tonlos hervor.

Der Junge ließ das Gewehr fallen und rannte weinend auf sie zu.

Jake Halbot war nicht tot.

Die erste Kugel, die den Weg zu ihm gefunden hatte, hatte ihn nur gestreift.

Es hätte dem Verbrecher eine Warnung sein müssen. Aber er war innerlich zu verhärtet, um noch irgend etwas zu begreifen.

Und Jenny hatte nicht die Kraft, ihn wegzuschicken, obwohl sie sich vor ihm fürchtete.

Er blieb. Und niemand erfuhr etwas von dem Vorfall.

Aber der Unstern des Texaners blieb auch. Wenige Tage später traf Halbot auf der Weide Jim Flanagan.

Ein Wort gab das andere, und bald war eine fürchterliche Keilerei im Gange.

Dieser folgte ein paar Tage später eine zweite und dann eine dritte.

Bei diesem dritten Kampf verletzte Halbot, der niemals fair kämpfte, den Gegner mit einem Fußtritt derart schwer am linken Auge, daß Flanagan von diesem Tage an Sehschwierigkeiten hatte.

Jenny Winters stand Höllenqualen aus. Sie litt unsäglich unter der Gegenwart dieses unseligen Mannes. Aber sie hatte nicht das Herz, ihn davonzujagen.

Dafür sorgte ein anderer.

Er hieß John Wells, war ein Riese von Gestalt und kam aus Denver. Er fuhr mit dem Planwagen durch die Lande und verkaufte Stoffe.

Jedesmal, wenn er in der Stadt war, kehrte er in Ruwells Saloon ein.

So auch diesmal.

An der Theke lehnte nur ein Mann.

Jake Halbot.

Er hielt sich in letzter Zeit schon am Vormittag in der Schenke auf. Der haltlose Mann trank dann, bis sie ihn hinaustragen mußten.

An diesem Morgen hatte er erst zwei Gläser getrunken.

John Wells kam polternd herein, begrüßte dröhnend den Wirt und schob sich neben den Texaner.

Jake Halbot musterte den Mann.

Aus einem unbegreiflichen Grund hatte er etwas gegen Männer, die größer und breiter waren als er selbst.

Der Wirt begrüßte den fahrenden Händler herzlich und machte eine Flasche Brandy auf.

In seiner jovialen Art warf der Händler ›eine Lage‹. Das hieß, daß auch Halbot ein Glas bekam.

Wütend stieß der Tex das Glas von der Theke.

Der Händler zog die Brauen zusammen. »Nanu, Boy, hast wohl schlecht geschlafen.«

Halbots Gesicht verzog sich zur Grimasse. »Ich nehme keinen Drink von Leuten, die andere Menschen betrügen.«

»Was soll das heißen?« fragte der Riese.

»Händler sind Betrüger.«

Der Riese zog die Brauen zusammen. »Hören Sie, Mister, ich habe ein feines Ohr, vor allem für Leute aus dem Süden. Sie sind Texaner. Und da ist es vielleicht gut, wenn ich Ihnen sage, daß ich bereits drei Texaner getroffen habe. Zwei liegen auf dem Boot Hill und einer humpelt noch. – He!« Wells stieß einen Pfiff aus. »Ich habe erst vor ein paar Tagen einen Steckbrief gelesen, auf dem auch ein Texaner gesucht wurde…«

Halbot wich ganz langsam von der Theke zurück. Seine Augen waren ganz schmal geworden und sein Gesicht fahlgelb.

Der Händler merkte es nicht. »Wenn ich es mir recht überlege, paßt die Beschreibung ziemlich gut auf dich, Brother. Wenn du keinen Bart hättest und…«

Jake Halbot schoß

Dann floh er.

*

Jenny Winters stand tödlich erschrocken da, als er ins Haus stürzte, sie und das Kind brutal zur Seite stieß, sein Bündel schnürte, den Wallach sattelte und im Galopp aus dem Hof sprengte.

Sie ahnte, daß er nicht wiederkommen würde – und atmete auf.

Sie wußte jedoch noch nicht, daß er unten im Saloon einen Mann angeschossen hatte, der ihn als steckbrieflich gesuchten Mörder entlarvt hatte.

Jake Halbot hatte sich selbst entlarvt. Seine Flucht war für die Stadt Florissant ein Eingeständnis.

Halbot floh hinauf in die Berge.

Zwischen Baily und Georgetown überfiel er die Overland und raubte dem einzigen Passagier, einem alten Mann aus Baily, einen Proviantkorb und dreißig Dollar.

Das Schuldkonto des Mörders wuchs.

Er war vielleicht noch ein Mörder aus Willkür geworden. Jetzt aber war er ein gemeingefährlicher Verbrecher. In allen Sheriff-Büros des Staates hing ein Steckbrief. Zwei Staatenreiter suchten ihn. Auf seinen Kopf waren dreitausend Dollar ausgesetzt.

Und immer noch schlich der Bandit durch die Berge. Kurz vor der Stadt Pyramid ereilte ihn an einem schwülen Vormittag sein Geschick.

Das Geschick in Gestalt eines hochgewachsenen schwarzhaarigen Mannes, der dunkle Kleidung trug, tiefblaue Augen hatte und ein Falbpferd ritt.

Jake Halbot traf den Mann vor einer verlassenen Pferdewechselstation dreizehn Meilen vor der Stadt in einem weiten Tal.

Halbot sah das Pferd des anderen schon von weitem.

Seit seiner Flucht aus Florissant war er auf der Hut. Er wußte jetzt, daß er ein Gejagter war. In dunkler Nacht hatte er unten in Dillon an einem Vorbaupfosten des Sheriff-Office seinen Steckbrief gefunden. Es stand der Name darauf, den er in Florissant angegeben hatte: Jess Turner.

Seitdem wußte er, daß er das Licht des Tages zu scheuen hatte. Auch der Bart schützte ihn nicht mehr. Er hatte sich selbst verraten.

Als er aus dem Wald auf die verlassene Station zuhielt, ahnte er nicht, daß da unten schon sein Schicksal auf ihn wartete.

Er sah das Pferd, den hochbeinigen prächtigen Schwarzfalben – und sofort hielt er an, rutschte aus dem Sattel, zerrte seinen Wallach hinter ein Gebüsch und schlich geduckt und hinter Sträuchern verborgen auf die zerfallene Station zu.

»Heavens, welch ein Pferd!« entfuhr es ihm.

Jake Halbot war ein Mann geworden, der zu allem fähig war. Das Bewußtsein, ein Outlaw zu sein, hatte in ihm eine grenzenlose Gleichgültigkeit gegenüber den Dingen des Lebens aufkommen lassen.

Hinter dem letzten Strauch, der etwa fünfzehn Yards von dem alten Holzbau entfernt stand, kauerte er am Boden. Er konnte seinen Blick nicht von dem Pferd nehmen. Schließlich sprang er hoch und lief im blitzschnellen Zickzacklauf auf das Haus zu. Neben der Tür preßte er sich an die Wand und lauschte mit angehaltenem Atem.

Das Falbpferd wieherte leise.

Halbot hatte in der rechten Hand seinen Revolver. Er entschloß sich, an der Fassade des alten Baues vorbei bis zum ersten Fenster zu schleichen.

»He, Mister, wozu das Versteckspiel?« schlug da eine metallische Stimme an sein Ohr.

Halbot war so erschrocken, daß er steif dastand.

Er vermochte nicht, sich umzudrehen, so hatte ihn die Stimme gelähmt.

»Vielleicht ist es besser, Mister, wenn Sie den Revolver wegstecken.«

Der Texaner senkte den Kopf und starrte auf die Waffe.

In seinem Genick schien ein Eisklotz zu liegen. Er wußte selbst nicht, was mit ihm los war. Ganz langsam schob er den Colt zurück ins Halfter. Dann drehte er sich um.

Etwa acht Yards vor ihm stand ein Mann.

Sein Anblick ließ den Texaner gefrieren.

By Gosh, welch ein Gesicht hatte der Mann!

Hart, kantig, tiefbraun, beherrscht von einem Augenpaar, das etwas von der Farbe eines zugefrorenen Bergsees an sich hatte.

Der Fremde hatte blauschwarzes Haar, trug einen schwarzen, flachkronigen Hut, ein rotes Berghemd, schwarze Levishosen und eine kurze schwarze Weste. An einem breiten schwarzen Büffelledergurt hingen tief auf den Oberschenkeln zwei Halfter, in denen zwei Revolver steckten. Die Waffe auf der linken Seite mußte außergewöhnlich groß sein, denn das Halfter erstreckte sich fast bis zur Kniekehle.

Der Fremde stand mit gespreizten Beinen da und hatte die Arme lässig über der Brust verschränkt.

Ich muß schießen! hämmerte es im Hirn des Verbrechers. Es ist ein Wolf, der da steht, ein ganz harter, gefährlicher Mann.

Halbot dachte an die Augen von Doc Holliday. Er war dem großen Gambler und Gunman unten in Garden City begegnet. Allerdings hatte der Gambler am Spieltisch gesessen und Halbot unter den Männern gestanden, die den Tisch bevölkerten. Irgend etwas in den Augen dieses Mannes, der ihm da gegenüberstand, erinnerte den Texaner an den Blick Doc Hollidays.

Ich muß sofort schießen! Er darf keine Chance haben! Verdammt, wenn nur diese Lähmung in den Armen nicht gewesen wäre.

Die Hand des Banditen zuckte zum Colt – und blieb erstarrt an dem Hirschhornknauf hängen.

Der Fremde hatte einen Revolver in seiner Linken. Einen Colt, wie Halbot ihn noch nicht gesehen hatte, mehrkantig und überlang. Die große schwarze Mündung der Waffe war auf die Brust des Texaners gerichtet.

Die Augen des Fremden waren immer noch eiskalt. »Man sollte nicht mit einem Colt herumlaufen, Mister, wenn man nicht damit umgehen kann.«

Und dann flog der große Revolver mit einem gedankenschnellen Handsalto ins Halfter zurück.

Der Mann kam auf Halbot zu. »Suchen Sie hier jemanden?«

»Ich – suche niemanden«, gab er heiser zurück.

»All right, dann würde ich Ihnen raten, den Colt im Halfter zu lassen. Ich habe es nicht gern, wenn andere Leute mir zeigen wollen, wie man so ein Ding zieht.«

Halbot zwang ein krampfhaftes Lachen auf sein Gesicht. »Well, Sie scheinen jedenfalls verdammt gut mit dem Eisen umgehen zu können.«

»Sure«, entgegnete der Fremde, »das scheint manchen Leuten gegenüber sehr nützlich zu sein.«

Halbot machte einen Schritt zurück. »Einen prächtigen Gaul haben Sie da.«

»Yeah«, antwortete der Fremde. »Ihr Wallach ist aber auch kein schlechtes Tier.«

Halbot erschrak.

Zounds! Wie hatte der Mann sein Pferd sehen können? Es stand doch ein ganzes Stück von hier entfernt in den Büschen. Er mußte ihn kommen gesehen und schon beobachtet haben.

Da ging der Fremde an ihm vorbei auf das Haus zu.

Halbot sah seinen breiten Rücken vor sich, beobachtete den federnden, wiegenden Gang, der einen durchtrainierten Körper und große Kraft verriet.

Seine Rechte kroch zum Colt.

Schon in der Tür wandte sich der Fremde plötzlich um. Sein eiskalter Blick haftete an der Revolverhand Halbots.

»Ich würde es an Ihrer Stelle nicht noch einmal versuchen, Mister. Diesmal könnte es ins Auge gehen.«

Der Texaner erblaßte.

Langsam ging der Fremde ins Haus.

Halbot hörte ihn drinnen herumhantieren. Steif stand er vier Yards vor der Tür und starrte auf das Haus.

Die Hände des Tramps krampften sich zusammen.

»Ich hätte schießen müssen!« kam es tonlos von seinen Lippen. Dann setzte er sich in Bewegung und schlich an das offene Fenster heran. Als er den Kopf vorbeugte, schrak er zusammen. Der Fremde stand wieder hinter ihm an der Tür.

»Hören Sie, Mister, Sie haben ein verdammt komisches Benehmen. Ich habe da drinnen einen Berghahn am Spieß über dem Kaminfeuer. Wenn Sie das Indianerspielen aufgegeben haben, können Sie ein Stück von dem Braten abbekommen.«

Halbot schluckte. Er begriff diesen Mann nicht. Dann aber kam er mit ins Haus, sah sich im zerfallenen Inneren der Hütte um und richtete den Blick auf die Feuerstelle.

Heavens! Was für ein Dummkopf war er doch gewesen.

Drüben in dem gemauerten Kamin hing ein Stück Geflügel am Spieß, und der Rauch zog durch die Esse. Man mußte ihn von draußen sehen können. Weshalb war er nicht von der anderen Talseite gekommen? Weshalb hatte er das Haus nicht genauer beobachtet?

Aber irgendwie fühlte er in seinem Innern, daß es ihm auch dann nicht gelungen wäre, den Fremden zu überraschen. Der Mann hatte etwas unbestimmbar Sicheres an sich, etwas Sonderbares, das der Bandit nicht zu ergründen vermochte.

Jetzt beobachtete er die ruhigen Bewegungen, mit denen der andere den Braten vom Spieß nahm, auf ein sauberes Speisebrett legte und mit geschickten Händen zerteilte.

Er schien nicht die mindeste Sorge zu haben, daß der Texaner noch irgend etwas gegen ihn unternehmen könnte.

Jetzt muß ich es tun! zuckte es durch Halbots Schädel.

Da wandte der Fremde den Kopf und sah ihn an.

Ein winziges Lächeln spielte in seinen Augenwinkeln. »Sie plagen sich da mit ziemlich unnützen Gedanken, Mister. Kommen Sie, setzen Sie sich da hin.«

Halbot ging auf einen Hocker zu, dem das vierte Bein zur Hälfte fehlte.

Er setzte sich, beugte sich vornüber und stierte auf seine behaarten, klobigen Fäuste. Weshalb gelang es ihm nicht, den Mann zu überlisten? Weshalb kam der ihm immer genau in dem Augenblick zuvor, da Halbot etwas unternehmen wollte?

Der Mann hatte eine Keule von dem Berghahn getrennt und reichte sie ihm. Mit der ausgestreckten Linken.

Da sah der Verbrecher seine Chance. Er glaubte zu wissen, daß die Linke die Schußhand des Fremden war. Blitzschnell fuhr seine eigene Rechte zum Revolver.

Aber er hatte die Waffe noch nicht halb aus dem Halter, als er in der rechten Hand des Fremden einen großen fünfundvierziger Colt blinken sah.

Der Fremde lächelte spöttisch. »Ich weiß, Mister. Sie gehören zu den Leuten, die um jeden Preis wissen wollen, wie schnell der andere zieht. Ich denke, da Sie es nun wissen, ist alles in Ordnung.« Er schob den Revolver ins Halfter und hielt Halbot die Geflügelkeule wieder hin. »Vorwärts, ich habe schließlich keine Lust, Ihnen das Ding zu verkaufen.«

Der Texaner hatte die Augen sperrangelweit aufgerissen.

Mit einer mechanischen Bewegung nahm er die Keule an sich und begann lustlos an ihr zu nagen.

Der Fremde war ihm unheimlich geworden. Und plötzlich ertappte sich der Mann, der bisher immer nur andere Menschen in Angst und Schrecken versetzt hatte, bei dem Gedanken, daß er sich weit weg von hier wünschte.

Seelenruhig verzehrte der Fremde seine Portion. Dann erhob er sich, ging hinaus – und gleich darauf vernahm Halbot das quietschende Geräusch einer halbverrosteten Wasserpumpe.

Der Fremde wusch sich die Hände.

Als Halbot vor das Haus kam, sah er, wie der Mann sich eine lange schwarze Zigarre anzündete.

Halbot rollte sich eine Zigarette, zündete sie an und lehnte sich an einen Türpfeiler. »Sie wollen in die Stadt?« fragte er.

Der Fremde warf ihm einen schnellen Blick zu. »In die Stadt? Welche Stadt meinen Sie?«

»Ich weiß nicht, wie sie heißt. Ich stamme nicht aus dieser gottverdammten Gegend.«

»Dachte ich mir. Ich habe noch keinen Texaner getroffen, dem es in den Bergen gefallen hätte.«

Heavens! Er wußte also genau, daß er es mit einem Texaner zu tun hatte. Das war höllisch gefährlich. Vielleicht war der Mann ein Sheriff, oder gar ein Staatenreiter.

Jake Halbot ahnte nicht, wie nahe er mit dieser Vermutung der Wahrheit kam. Er konnte ja auch nicht wissen, daß er hier in diesem entlegenen Bergtal ausgerechnet dem gefährlichsten aller ›Wölfe‹ des Westens vor die Fänge gelaufen war.

Der Fremde rauchte eine Weile schweigend vor sich hin, dann wandte er sich um. Seine bisher so gelassene und freundliche Stimme war hart geworden. »Holen Sie Ihren Gaul und steigen Sie auf. Wir reiten!«

Halbot glaubte nicht richtig gehört zu haben. »He, Sie müssen verrückt sein, Mann.«

Die Augen des Fremden verengten sich zu schmalen Spalten. Ein unheimliches Glimmen brannte in ihnen. »Sie haben gehört, was ich gesagt habe.«

Mit einem Satz federte der Texaner zur Seite und riß im Sprung den Colt aus dem Halfter.

Da fauchte an der linken Hüfte des Fremden ein Schuß auf und sprang ihn an. Der Colt wurde ihm aus der Hand geschleudert. Entgeistert sah er zu dem anderen hinüber.

Der öffnete die Lippen nur um einen Spalt. »Die Kunststücke sind jetzt vorbei, Tex – ich sage es Ihnen zum dritten und letzten Male: Holen Sie Ihren Gaul und steigen Sie auf. Wir reiten nach Pyramid.«

Die Knie Jake Halbots begannen zu zittern. »Ich denke nicht daran«, würgte er heiser hervor.

Da kam der Fremde auf ihn zu.

Für den Bruchteil einer Sekunde dachte der Bandit an seinen zweiten Revolver. Aber die eisigen Augen des Fremden lähmten ihn. Da endlich kam die Frage über seine Lippen, die er schon vor einer Viertelstunde hätte stellen sollen: »Wer sind Sie?«

»Ich fürchte, mein Name wird Ihnen nicht gefallen, Mister. Ich heiße Wyatt Earp.«

Wenn Jake Halbot von einem Keulenschlag getroffen worden wäre, hätte er nicht benommener sein können. »Wyatt Earp«, stammelte er.

»Yeah, Mister – und jetzt vorwärts, in den Sattel. Ich muß weiter!«

Willenlos torkelte der Mörder auf die Büsche zu, holte sein Pferd und zog sich in den Sattel.

Wyatt Earp!

Diese beiden Worte standen groß und breit in seinem Gehirn und gaben nichts anderem mehr Raum.

Wie kam er hierher, ausgerechnet hierher, der berühmte Marshal von Dodge?

Und wie hatte es geschehen können, daß er, der flüchtige Mörder Jake Halbot, ausgerechnet ihm in die Hände lief?

War das wirklich ein Zufall?

Halbot war davon überzeugt, daß der Mann hinter ihm hergewesen war, daß er ihm gefolgt sein mußte. Unmöglich konnte er hier zufällig auf ihn gestoßen sein.

Der Missourier hatte sich auf seinen Falben geschwungen und wartete, bis der Texaner bei ihm war.

»So, Mister – und jetzt reiten Sie drei Yards vor mir her. Damit Sie sich keine Späße mehr einfallen lassen, will ich Ihnen sagen, daß ich absolut humorlos bin.«

Halbot hatte den Kopf gesenkt, hob ihn jetzt langsam an.

Ohne dem Marshal in die Augen zu sehen, fragte er: »Was haben Sie mit mir vor?«

»Ich bringe Sie dahin, wo Sie hingehören.«

Nach einer Pause forschte der Verbrecher: »Und wo soll das sein?«

»Wissen Sie es nicht selbst?«

»Nein.«

»Dann denken Sie nach. Vorwärts jetzt!«

Als nach einer Wegbiegung die ersten Häuser der Stadt auftauchten, hielt Halbot seinen Wallach an. »Sie werden doch nicht im Ernst glauben, Earp, daß ich mich widerstandslos von Ihnen in die Stadt bringen lasse.«

Das Gesicht des Missouriers war hart wie Felsstein. »Well, dann leisten Sie Widerstand. Aber ich habe Sie gewarnt. Sie kommen in die Stadt – so oder so.«

»Weshalb?« wagte der Tex zu fragen.

»Weil Sie ein Verbrecher sind.«

Die breite Brust des Banditen hob und senkte sich.

Ich muß es riskieren! Ich muß den Revolver hochbringen. Es ist meine letzte Chance.

»Reiten Sie weiter!« zerschnitt die metallische Stimme des Marshals seine Gedanken.

Jake Halbot ritt weiter.

Er war bereits geschlagen. Jeder Widerstand war in ihm unter den Augen dieses seltsamen Mannes erstorben.

Sie trabten in die Stadt.

Vor dem Sheriff-Office gebot der Marshal Halt.

Halbot rutschte langsam aus dem Sattel.

Noch immer hatte er den Colt im linken Halfter.

Wyatt Earp stand jetzt fünf Yards hinter ihm.

Oben öffnete sich die Tür.

Ein kleiner, spindeldürrer Mann trat auf den Vorbau. Er hatte ein zerknittertes Gesicht, helle Falkenaugen und strähniges graues Haar. Links auf seiner schmalen Brust blinkte ein fünfzackiger Stern.

»Wyatt Earp!« rief er mit hoher Fistelstimme. »Ist es die Möglichkeit!«

Der Missourier deutete auf den Tex. »Nehmen Sie den Mann da fest, Sheriff.«

Langsam kam der Hüter des Gesetzes die Vorbaustufen hinunter, blieb einen Augenblick musternd vor Halbot stehen, streckte dann seine Hand nach dem Colt aus und nahm ihn an sich.

»Komm, Junge – ich habe eine prächtige Eckzelle für dich frei.«

Halbot hatte den Kopf gesenkt.

»Wie lange werde ich ihn beherbergen müssen?« erkundigte sich der Sheriff.