Early Life Care -  - E-Book

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Beschreibung

- Grundlagenwerk für die praktische Tätigkeit - Jeder Beitrag enthält Standardszenarien und Fallbeschreibungen - Kompakt, klar, gut verständlich - Glossar der Fachbegriffe Hier finden alle Berufsgruppen, die Paare mit Kinderwunsch und Mütter und Väter während der Schwangerschaft und Geburt sowie im ersten Lebensjahr des Kindes betreuen, begleiten und beraten, fundierte Anregungen, Hilfen, tieferes Wissen und neue Zugänge für Frühe Hilfen. Neben konkreten Hinweisen und Hilfestellungen für Wissenschaft und berufliche Praxis werden Möglichkeiten für eine verbesserte Zusammenarbeit der jeweiligen beruflichen Professionen und ein besseres Verständnis im Umgang mit jungen Eltern aufgezeigt, die sich in schwierigen Lebenslagen befinden und mit Schwangerschaft, Geburt oder Kindererziehung ge- und überfordert sind. Dieses Buch richtet sich an - Alle, die sich beruflich mit Schwangerschaft, Geburt, früher Kindheit und mit Frühen Hilfen beschäftigen - SozialarbeiterInnen und Hebammen - Mitarbeiter in Beratungsstellen oder Jugendämtern - Studierende der Early Life Care-Masterkurse - Kinder-PsychologInnen - KinderärztInnen, NeonatologInnen, GeburtshelferInnen und GynäkologInnen- BeraterInnen und TherapeutInnen in Schreibaby- Sprechstunden und für Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie

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Seitenzahl: 337

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Karl Heinz Brisch, Wolfgang Sperl, Katharina Kruppa (Hrsg.)

Early Life Care

Frühe Hilfen von der Schwangerschaft bis zum 1. Lebensjahr

Das Grundlagenbuch

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2020 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Bettina Herrmann, Stuttgart

Unter Verwendung eines Fotos von photocase © davidpereiras

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Printausgabe: ISBN 978-3-608-98186-5

E-Book: ISBN 978-3-608-19181-3

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-29159-9

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Karl Heinz Brisch

Vorwort

Peter Braun und Michaela Luckmann

»Early Life Care« – Einführung

Katharina Kruppa und Wolfgang Sperl

Das bio-psycho-sozio-spirituelle Modell und »Early Life Care«

Ruth Baumann-Hölzle

Ethische Entscheidungsfindung am Lebensbeginn

Jörg Bock

Fetale Programmierung – Epigenetik

Klaus Fröhlich-Gildhoff

Entwicklung und Entwicklungsstörungen

Karl Heinz Brisch

Bindung, Trauma und Bindungsstörungen

Sabine Haas

Frühe Hilfen in Österreich

Alexandra Sann

Frühe Hilfen in Deutschland

Christian Blank

Kommunikation und Kooperation mit anderen Professionen

Katharina Kruppa und Manuela Werth

Selbstreflexion und Selbsterfahrung als Basis für Beratungstätigkeit

Andrea Holz-Dahrenstaedt

Kinderschutz in Österreich – aus dem Blickwinkel der UN-Kinderrechtskonvention

Miriam Rassenhofer

Kinderschutz in Deutschland

Herausgeberin und Herausgeber, Autorinnen und Autoren

Karl Heinz Brisch

Vorwort

Die Entwicklung eines Universitätslehrgangs »Early Life Care«, wie er in der Einführung von Peter Braun und Michaela Luckmann beschrieben wird, ist weltweit einmalig und ebenso das Forschungsinstitut »Early Life Care« an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg, das ich in den letzten Jahren aufbauen durfte. Da sich immer mehr Studierende für den Lehrgang »Early Life Care« interessieren, zudem viele andere Professionen, etwa aus dem Bereich Frühe Hilfen, an uns Anfragen zu den Themen von »Early Life Care« richten, entstand die Idee, ein Grundlagenbuch zu schreiben, das auf einige zentrale Themen eingeht, und auf diese Weise dem Interesse entgegenzukommen.

Grundlegend für das neue übergreifende Themengebiet »Early Life Care« ist das bio-psycho-sozio-spirituelle Modell, das sehr differenziert von Katharina Kruppa und Wolfgang Sperl beschrieben und an berührenden Fallbeispielen erläutert wird. Die Komponente »Spiritualität« ist neu, dabei unverzichtbar, wenn es um die Bereiche »Schwangerschaft«, »Geburt« und »erste Lebensjahre der kindlichen Entwicklung« geht. Angesichts der weltweiten Klimakrise wird das Modell wahrscheinlich in der nächsten Auflage um den Bereich »Ökologie« erweitert werden müssen.

Eng hiermit verbunden sind in dieser frühen Zeit vielfältige zentrale ethische Themen, da der Lebensbeginn nicht selten bereits mit schwierigen, ethisch herausfordernden Fragen im Zusammenhang mit dem Lebensende verknüpft ist und ethische Dilemmata bedingt. Ruth Baumann-Hölzle spricht die Leserinnen und Leser mit ihren vielen Beispielen unmittelbar an und fordert sie zum Nachdenken sowie zum ethischen Diskurs auf.

Lange Zeit wurde in der Wissenschaft darüber gestritten, ob der Mensch in seiner Entwicklung und seinem Verhalten nun mehr durch seine Gene oder durch die Umwelterfahrungen bestimmt ist, hier besonders in der frühen Entwicklungszeit. Heute wissen wir, dass wichtige Schritte der durch Umwelteinflüsse bedingten Entwicklung schon während der Schwangerschaft durch die sogenannte »fetale Programmierung« und durch epigenetische Veränderungen bestimmt werden. Jörg Bock forscht auf diesem Gebiet und beschreibt in seinem Beitrag gut verständlich diese faszinierenden sowie beunruhigenden neuen Erkenntnisse und ihre Bedeutung für die Phase der Schwangerschaft und der frühkindlichen Entwicklung.

Welche Möglichkeiten zur Entwicklung bestehen dann in den ersten Lebensjahren, wie verstehen wir Störungen in der Entwicklung, welche Modelle helfen uns, diese zu beschreiben, und welche Ansätze für Prävention und Intervention ergeben sich daraus? Diesen Fragen geht Klaus Fröhlich-Gildhoff in seinem Beitrag nach und vermittelt zusätzlich anhand von Abbildungen, wie komplexe innere psychische Vorgänge – etwa in der Mutter-Kind-Interaktion – besser verstanden werden können.

Karl Heinz Brisch beschreibt Szenarien einer sicheren Bindung sowie einer Bindungsstörung, um auf diesem Hintergrund die Grundlagen der Bindungstheorie sowie die Entstehung von Bindungsstörungen durch frühkindliche traumatische Erfahrungen näher zu erläutern. Aus den Forschungsergebnissen entstehen bindungsorientierte Ansätze für »Early Life Care« und Prävention.

Frühe Hilfen nehmen inzwischen seit einigen Jahren in Deutschland sowie in Österreich eine zentrale Stellung ein mit dem Ziel, Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern möglichst schon ab der Schwangerschaft bestmöglich zu unterstützen und eine gesunde kindliche Entwicklung zu ermöglichen, wie Sabine Haas für Österreich und Alexandra Sann für Deutschland in ihren Beiträgen sehr differenziert und anschaulich anhand von Studienergebnissen vermitteln.

Gerade im Bereich von »Early Life Care« ist eine multiprofessionelle interdisziplinäre Vernetzung und Kooperation aller Berufsgruppen grundlegend. Christian Blank beschreibt an eindrücklichen Beispielen, wie eine gelingende Kommunikation und Vernetzung, die so oft gefordert wird, unter bestimmten Bedingungen gut zu realisieren ist.

Für eine solche Zusammenarbeit benötigt jede Berufsgruppe eine ausreichende Möglichkeit zur Selbsterfahrung und auch zur Selbstreflexion, wie Katharina Kruppa und Manuela Werth uns wiederum an berührenden Beispielen näherbringen.

Wenn alle Hilfen der Prävention und der Frühen Hilfen nicht ausreichen, kann ein Kind in seinem Kindeswohl gefährdet sein. Dann sind alle Fragen und Probleme des Kinderschutzes berührt, die Andrea Holz-Dahrenstaedt für Österreich – auch noch aus dem Blickwinkel der UN-Kinderrechtskonvention – und Miriam Rassenhofer für Deutschland in ihren Beiträgen sehr differenziert darstellen.

Die Herausgeberin und die Herausgeber danken allen Autorinnen und Autoren, dass sie Beiträge für diesen Band verfasst haben. Dank der ausgezeichneten Arbeit von Herrn Thomas Reichert konnten die einzelnen Manuskripte rasch editiert werden. Wir danken Herrn Dr. Heinz Beyer sowie Frau Ulrike Wollenberg vom Verlag Klett-Cotta, dass sie sich mit großem Engagement für die Herausgabe dieses Buches und die rasche Herstellung beim Verlag eingesetzt haben.

Wir hoffen, dass dieses Buch allen, die Schwangere, werdende Väter, Eltern mit Säuglingen und Kleinkinder durch Begleitung, Beratung, Therapie, in Pädagogik, Sozialer Arbeit sowie bei der Prävention von frühen Entwicklungsstörungen unterstützen – wie etwa Geburtshelfer und -helferinnen, Hebammen, Familienhebammen, Familienbegleiterinnen und -begleiter, Kinderärzte und -ärztinnen, Krankenschwestern, Psychiater, Psychologinnen und Psychologen, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Pädagoginnen und Pädagogen, Heilpädagogen, Krankengymnasten, Ergotherapeutinnen und -therapeuten, Kinder- und Jugendpsychiater, Psychotherapeuten und -therapeutinnen, aber auch Richterinnen und Richter sowie Politikerinnen und Politiker –, zahlreiche Anregungen gibt, die sie in ihrer täglichen Arbeit im Bereich von »Early Life Care« fruchtbar machen und umsetzen können.

Für die Herausgeberin und die Herausgeber,

Salzburg, im Januar 2020

Karl Heinz Brisch

Dank an das Land Salzburg für die finanzielle Unterstützung

Peter Braun und Michaela Luckmann

»Early Life Care« – Einführung

Dieses Kapitel gibt eine Einführung in die Entwicklung von »Early Life Care« (ELC), die Definition, die Verortung in den Frühen Hilfen, die Bedeutung für die wissenschaftliche Community und beschreibt Perspektiven für die Weiterentwicklung eines Phasenmodells der »Early Life Care«-Versorgung.

Warum »Early Life Care«?

Stellen Sie sich vor, Sie sind schwanger. Es ist Ihr erstes Kind und in Ihrem Umfeld sind Sie und Ihr Partner die Ersten, die ein Baby erwarten. Alles ist neu, ungewiss, Sie sind unsicher und gleichzeitig in froher Erwartung: Wird sich das Kind gesund entwickeln, wo finden wir eine Hebamme, einen guten Platz für die Geburt, werden wir gute Eltern sein, machen wir alles richtig, können wir uns das überhaupt leisten? Viele Fragen und Sorgen beschäftigen Sie und Sie wenden sich an Freunde, konsultieren Fachbücher und das Internet, und dann konsultieren Sie Fachleute – und stehen auf einmal im Zentrum von Meinungen und Ratschlägen, die einander oft widersprechen. Alle Eltern wollen das Beste für Ihr Kind – aber in der Frage, was das Beste ist, gehen die Meinungen oft weit auseinander.

Von solchen und ähnlichen Erfahrungen berichten Eltern seit vielen Jahren, die im Bildungszentrum St. Virgil1 Eltern-Kind-Gruppen besucht haben – Mütter, die bereits mit ihrem vierten Kind eine Gruppe besuchen, wie auch Väter, die mit ihrem ersten Kind »kurz« vorbeischauen. In den Phasen der Angst und Unsicherheit haben sie erlebt, dass die Expertinnen und Experten zwar meist empathisch zugewandt reagierten, die fachlichen Meinungen sich aber oft widersprachen und so die Unsicherheit und Angst eher verstärkt wurden: »Für uns wäre wichtig, wenn es eine gemeinsame Sprache der Spezialistinnen und Spezialisten gäbe, wenn sie mehr voneinander wüssten und sich mehr austauschten, wenn sie gemeinsam für uns und unsere Anliegen da wären!«

Am Lebensbeginn sind Eltern und Systeme phasenweise überfordert. Viel Wissen ist notwendig und professionelle Begleitung von allen Seiten wird gebraucht. »Frühe präventive Angebote und Hilfen sind eine interdisziplinäre und systemübergreifende Angelegenheit, die nicht mit einer isolierten Maßnahme und nicht mit den Kompetenzen einer einzelnen fachlichen Disziplin oder Zuständigkeit allein abgedeckt und gelöst werden können.« (Ziegenhain et al. 2011, S. 38)

Was ist mit »Early Life Care« gemeint?

Hier die Definition, die in intensiver Auseinandersetzung von Fachleuten aus den unterschiedlichen Disziplinen (aus Wissenschaft und Praxis) entstanden ist:

»Early Life Care ist ein international anerkanntes interdisziplinäres und integratives Konzept der Gesundheitsförderung und -versorgung. Dabei geht es um Beratung, Begleitung, Diagnostik, Therapie und Versorgung am Lebensbeginn. Ziel ist die Schaffung optimaler Bedingungen für Kinder und Eltern bzw. Familien rund um Kinderwunsch, Schwangerschaft, Geburt und frühe Kindheit mit besonderem Blick auf Risikosituationen.

Diesem Konzept zugrunde liegen die vielfältigen Erkenntnisse über die entscheidende Bedeutung dieser Lebensphase für die Entwicklung eines Menschen. Zum gesunden Aufwachsen von Kindern beizutragen, benötigt neben dem entsprechenden Fachwissen multiprofessionelle, kooperative Strukturen und eine respektvolle und lebensfördernde Haltung.

Early Life Care umfasst vor allem zwei Dimensionen:

die Verbesserung des Angebots der Gesundheitsförderung (Ressourcenorientierung) und der universellen Prävention (Risikoreduktion) durch die Weiterentwicklung kooperativer lokaler, regionaler und überregionaler Unterstützungssysteme, die insbesondere einen Beitrag zur Förderung der Beziehungs- und Erziehungskompetenz von (werdenden) Müttern und Vätern leisten;

die Verbesserung der Versorgung im Bereich der [. . .] Prävention für

Säuglinge und Kleinkinder mit Entwicklungsrisiken, Behinderungen, chronischen Krankheiten

junge und hier insbesondere minderjährige Mütter und Väter

psychosozial besonders und vielfältig belastete Familien

Familien in schwierigen Lebenslagen

Personen, die im Umgang mit Schwangerschaft bzw. Mutter- oder Vaterschaft unsicher oder überfordert sind.

Die Qualität der Versorgung wird insbesondere durch entsprechende interdisziplinäre forschungsgeleitete, multiprofessionelle Zugänge in Aus- und Weiterbildung entwickelt. Basis dafür ist das integrative Konzept von fachlicher, sozialer und ethischer Kompetenz.« (Vgl. https://www.earlylifecare.at/studium/prinzip-leitbild-nutzen/)

Gemeinsames Ringen um die Verbesserung der Situation von Familien und Kindern

Im deutschen Sprachraum existiert seit langer Zeit eine Vielzahl von Organisationen und Initiativen, die sich in unterschiedlicher Weise mit Familienplanung, Schwangerschaft, Geburt und früher Kindheit befassen. Sie besetzen verschiedene Schwerpunkte, Themen, Anliegen, organisieren fachliche Diskurse, machen politische Lobbyarbeit, bieten Beratungs-, Therapie- und andere Hilfeangebote für Familien und Kinder an, vernetzen Eltern mit ihren jeweiligen Anliegen miteinander und vernetzen diverse Berufsgruppen in diesem großen Themenfeld. Diese zivilgesellschaftliche Buntheit leistet unglaublich viel für Kinder und Familien und hat viel zur Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung, zur Unterstützung von Kindern und Familien, zur Weiterentwicklung von Institutionen rund um die frühe Kindheit, zur Weiterbildung der in diesen Feldern tätigen hauptberuflichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und zur gesellschaftlichen Debatte beigetragen. Ein Beispiel ist die vor gut 50 Jahren durch eine Frankfurter Frauengruppe erfolgte Gründung des Aktionskomitees Kind im Krankenhaus e. V. (AKIK) in Deutschland (ähnliche regionale und überregionale Initiativen gab es später auch in anderen Regionen und Ländern), mit dem Ziel, den Eltern-Kind-Kontakt von Geburt an zu sichern (vgl. https://www.akik.de). In den darauf folgenden Jahren und Jahrzehnten hat sich in diesem Bereich erkennbar viel weiterentwickelt. Es gibt auch heute dankenswerterweise einige Initiativen, die in diesem Feld aktiv sind.

Andere Beispiele sind die rund um Einrichtungen der Erwachsenenbildung von selbständigen Hebammen, Vereinen und Geburtskliniken in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts entwickelten Angebote zur Geburtsvorbereitung, die ebenfalls in dieser Zeit entstandenen Einrichtungen für Kinder mit Behinderungen oder die Kinderschutzzentren, die es seit gut 40 Jahren im deutschen Sprachraum gibt.

Die ersten öffentlichen gesundheitspolitischen Initiativen galten mit den Vorsorgeuntersuchungen bei Schwangeren vor allem der Gesundheit der Mutter und der Reduzierung der Säuglingssterblichkeit, bevor dann auch in den 80er Jahren in Deutschland und Österreich mit der Einführung des Mutter-Kind-Passes (bzw. in Deutschland ein Pass für die Mutter plus einer fürs Kind) die Kindervorsorgeuntersuchungen mit eingetragen wurden. Damit wurde auch der gewachsenen Aufmerksamkeit im Blick auf eine normale körperliche und geistige Entwicklung des Kindes und im Bedarfsfall der Einleitung entsprechender Therapien Rechnung getragen. Damit verbunden war auch der Gedanke der Sicherung des Kindeswohls. Fälle von Vernachlässigung, Verwahrlosung, Kindesmisshandlung oder sexuellem Missbrauch sollten erkannt werden und durch Korrektur von Fehlverhalten der Eltern bzw. der Erziehungsberechtigten oder durch andere Interventionen reduziert werden.

Nach der Jahrtausendwende wuchs der politische Druck enorm an, nachdem die Zahl der Anzeigen von Vernachlässigung von Kindern und sexueller Gewalt gegenüber Kindern, ferner die Zahlen der »familienunterstützenden Maßnahmen« bei überforderten Eltern und des Entzugs des elterlichen Sorgerechts deutlich angestiegen waren. Das Ganze wurde durch die mediale Aufmerksamkeit bei einzelnen – in höchstem Maß tragischen – Fällen von sexueller Gewalt gegenüber Kindern verstärkt. So kam es schließlich 2007 in Deutschland und 2015 in Österreich zur Gründung »Nationaler Zentren Frühe Hilfen« und dem Aufbau entsprechender regionaler und lokaler Netzwerke. Dabei ging es vor allem um die Verzahnung des Gesundheitswesens mit der Jugendhilfe und die Entwicklung von Ansätzen und Angeboten der Familien- und Gesundheitsförderung, aber auch um selektiv-präventive Maßnahmen für Familien in belasteten Lebenslagen (vgl. die beiden Artikel in diesem Buch zu den Frühen Hilfen in Deutschland und Österreich von Alexandra Sann und Sabine Haas). In einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 10. 07. 2007 wird die damalige Ministerin von der Leyen wie folgt zitiert:

»Hinter jedem Fall von Verwahrlosung und Misshandlung steht die Leidensgeschichte eines Kindes. Wir müssen Hilfen früher und besser aufeinander abstimmen, damit der Teufelskreis von Isolation und Gewalt innerhalb einer Familie gar nicht erst entsteht. Wenn die Geburtshelfer, Hebammen, Kinderärzte oder die Jugendhilfe die einzigen Anlaufstellen sind, bei denen gefährdete Kinder kurzfristig wahrgenommen werden, dann müssen wir diese beiden Systeme zum Schutz der Kinder verknüpfen und stark machen. Das vom Bundesfamilienministerium eingerichtete Nationale Zentrum Frühe Hilfen soll die Systemgrenzen zwischen Gesundheitswesen und Jugendhilfe überwinden durch Fehleranalysen und Forschung. Es soll deutschlandweit und international Fachwissen bündeln und dieses in den Kommunen systematisch verbreiten.« (BMFSFJ 2007)

Übrigens gibt es auch in der Schweiz Ansätze und Initiativen in diesem Bereich, allerdings beschränkt auf die Ebene der Kantone und Gemeinden, wobei auch der Ruf nach nationalem Handeln wächst (vgl. Netzwerk Kinderbetreuung 2019).

Ringen um Vernetzung und um Verbesserung der Aus- und Weiterbildung

Nachdem wir im Bildungszentrum St. Virgil Salzburg eine Reihe von Erfahrungen zum Themenfeld »Lebensende – Hospiz und Palliative Care« gemacht hatten, haben wir uns zum Ziel gesetzt, auch ein Projekt zum Lebensbeginn zu starten. Im Mittelpunkt standen zunächst Überlegungen, den öffentlichen Diskurs zum Thema, die Vernetzung von Einrichtungen, Initiativen und Experteninnen und Experten zu beleben und mittelfristig Angebote zur wissenschaftlichen Weiterbildung zu entwickeln.

Im Mai 2007 haben wir Initiativen sowie Experteninnen und Experten zu einem ersten Vernetzungstreffen eingeladen, um ein erstes größeres Symposium zu aktuellen Fragen der pränatalen und perinatalen Medizin und Psychologie zu planen. Schwerpunkte sollten sein:

Auswirkungen des emotionalen Befindens in der Zeitspanne »Schwangerschaft, Geburt und frühe Kindheit« auf die Persönlichkeitsentwicklung,

die Haltung und der Umgang des professionellen Helfersystems gegenüber und mit (werdenden) Eltern und Neugeborenen.

Im Dezember 2008 veröffentlichte das inzwischen gegründete »Netzwerk Lebensbeginn« (dem mittlerweile 22 Organisationen beigetreten waren) sein erstes Positionspapier und veranstaltete dann unter dem Motto »Mit Würde ins Leben treten« ein erstes Symposium, an dem 350 Personen aus dem deutschen Sprachraum teilnahmen.

Das inzwischen weiter gewachsene Netzwerk hatte sein Augenmerk vor allem auf die interdisziplinäre Gesundheitsförderung rund um Schwangerschaft, Geburt und frühe Kindheit gelegt. Beim zweiten Symposium hat es Entwürfe für Qualitätsstandards vorgelegt, die für Einrichtungen sowie für Familien gelten sollten, besonders im Bereich von Schwangerschaft, Geburt und früher Kindheit. In einem weitgehend vom damaligen österreichischen Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend geförderten Projekt hatten zuvor Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Netzwerk Qualitätsstandards entwickelt, die

in der psychosozialen Beratung bei vorgeburtlichen Untersuchungen,

in geburtshilflichen Einrichtungen,

in außerfamiliären Einrichtungen für Kinder unter 3 Jahren

und in der Fort- und Weiterbildung

gelten sollten. Diese wurden auf dem Symposium diskutiert, danach überarbeitet und Anfang 2013 in einer Broschüre publiziert (Netzwerk Lebensbeginn 2013).

Im Anschluss an die Publikation der Standards stand die Leitung von St. Virgil vor der Frage, was in Zukunft realistisch leistbar wäre: den Diskurs mit großen Symposien weiterzuführen, das Netzwerk Lebensbeginn zu managen und die familienpolitische Lobbyarbeit zu verstärken oder eine umfangreiche wissenschaftliche Weiterbildung für die Professionen zu entwickeln und anzubieten, die im Zusammenhang mit dem Lebensbeginn tätig sind. Diese für uns sehr schwierige Entscheidung fiel gegen das Management des Netzwerks Lebensbeginn; eigentlich hätte diese Aufgabe eine der damals fast 30 Mitgliedorganisationen übernehmen sollen, was leider nicht geschah, so dass unser Entschluss nun das Aus für das Netzwerk bedeutete. Es bleibt ein wenig Wehmut, weil die Weiterentwicklung des »Netzwerks Lebensbeginn«, einer die familien- und gesundheitspolitische Lobbyarbeit koordinierenden Initiative, zumindest erst einmal unterbrochen ist. Andererseits sind viele der damals formulierten Themen in der Arbeit der »Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit«2 gut aufgehoben und werden dort weiterverfolgt.

Entsprechend dem Kernauftrag eines Zentrums für Fort- und Weiterbildung haben wir seinerzeit entschieden, mit einer multiprofessionellen Gruppe von 14 Experteninnen und Experten in einem zweijährigen Prozess (2012 – 2014) einen Universitätslehrgang »Prä-, Peri- und Postnatale Psychologie, Medizin und Gesundheit« (Arbeitstitel) zu entwickeln. Dieser wurde vor der Fertigstellung und Einreichung zur Akkreditierung noch von zehn weiteren ausgewiesenen Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis begutachtet.

Heute heißt der von der Paracelsus Medizinische Privatuniversität (PMU) und St. Virgil Salzburg angebotene berufsbegleitende Universitätslehrgang »Early Life Care. Frühe Hilfen rund um Schwangerschaft, Geburt und erstes Lebensjahr«. Er wurde im November 2014 von der Agentur für Qualitätssicherung und Akkreditierung Austria (AQ Austria) akkreditiert und läuft nun seit Herbst 2016. Zeitgleich wurde auch ein Forschungsinstitut – das »Institut für Early Life Care« – gegründet. Nach dem 4. Semester haben 30 Studierende bereits den Abschluss »Akademische Expertin in Early Life Care« verliehen bekommen. Im Mai 2020 werden nach dem 7. Semester die ersten Masterabschlüsse (MSc: Master of Science) folgen. In dem Lehrgang wird genau das verwirklicht, was für die Praxis dringend vonnöten ist: das gemeinsame interdisziplinäre Lernen von Personen aus den Berufen, die rund um Schwangerschaft, Geburt und erstes Lebensjahr mit den Müttern, Vätern und Familien arbeiten. Die Qualität und der Erfolg dieser Tätigkeit für die Eltern hängen vor allem von einer guten Kooperation ab.

Die wesentlichen Basisthemen des Universitätslehrgangs werden in diesem Buch dargestellt.

Parallel zum Lehrgang werden alle zwei Jahre »Early Life Care«-Konferenzen zu unterschiedlichen Schwerpunkten angeboten und die Beiträge publiziert. Diese Konferenzen werden gemeinsam vom »Institut für Early Life Care« an der PMU und von St. Virgil Salzburg realisiert.

Was zeichnet den Lehrgang »Early Life Care« aus?

In den letzten Jahren hat das Thema »Frühe Hilfen« in der Gesundheitspolitik großes Interesse gefunden. Die Zahl der Initiativen, die Eltern bzw. Familien in den Lebensphasen »Schwangerschaft«, »Geburt« und »erstes Lebensjahr« Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags anbieten, hat sich vermehrt. Ein wesentlicher Fokus ist die vernetzte Vorgehensweise aller beteiligten Berufsgruppen, die gemeinsam daran arbeiten, die Umfeldbedingungen bestmöglich an der gedeihlichen Entwicklung von Kindern auszurichten – also der generalistische Blick. Nur so können sich deren Potentiale in Richtung eines gelingenden Lebens und einer konstruktiven Lebensperspektive optimal entwickeln. Damit eine Kooperation der erwähnten Initiativen immer besser umgesetzt werden kann, sind ein kooperatives Arbeiten und ein vernetztes Lernen aller am Beginn des Lebens tätigen Personen erforderlich. »Early Life Care« ist ein Bildungsangebot, um diese unterschiedlichen Professionen fachlich interdisziplinär weiterzubilden und die multiprofessionelle Zusammenarbeit und Kommunikation zu fördern.

»Institut für Early Life Care«

2016 wurde das »Institut für Early Life Care« an der PMU mit Univ.-Prof. Dr. med. Karl Heinz Brisch als Vorstand gegründet. Es ist weltweit die erste Einrichtung dieser Art. Die dort behandelten Forschungsfragen decken ein weites Feld an Grundlagen- sowie Interventionsforschung ab; dabei geht es um die Entwicklungszeiten von der Zeugung über die Schwangerschaft bis zur Geburt und frühkindlichen Entwicklung. Die ausgezeichnete Kooperation zwischen Institut und Studiengang (Prof. Brisch gehört auch zur wissenschaftlichen Leitung des Universitätslehrgangs) schlägt sich auch in der Lehre und der Begleitung von Forschungsprojekten, Promotionen bzw. Master-Arbeiten nieder.

Das Institut hat z. B. folgende Forschungsbereiche:

Entwicklung und Evaluation eines Programms, das Paare im Übergang zur Elternschaft unterstützt und elterliche Kompetenzen stärkt;

Entwicklung und Evaluation eines Programms, das Betreuungspersonal in Krippen und anderen Frühförderungsstellen schult, um deren Feinfühligkeit zu stärken, und damit eine gesunde psychische Entwicklung der dort untergebrachten Kinder unterstützt;

Beforschung der Auswirkung von elterlicher Smartphone-Nutzung auf die Qualität der Eltern-Kind-Interaktion und -Bindung;

Schulung von Fachpersonal, das mit jungen Familien arbeitet, um deren Feinfühligkeit zu stärken und frühe Störungen zu erkennen, die eine gesunde Entwicklung gefährden könnten;

Beforschung der Auswirkungen von elterlichen psychischen Erkrankungen wie Depression, Angst, Sucht oder Essstörungen und Entwicklung von Präventionsprogrammen;

Beforschung der Auswirkungen von künstlicher Befruchtung, Pränataldiagnostik und Schwangerschaftsabbruch.

Wir wissen heute allzu gut, dass die dem Konzept von »Early Life Care« zugrunde liegenden vielfältigen Erkenntnisse auf die entscheidende Bedeutung dieser Lebensphase für die Entwicklung eines Menschen hinweisen. Nachdem die Entwicklungspsychologie lange Zeit in ihrer Forschung und Theorieentwicklung mit der Adoleszenz endete, hat sich nun mit großer Selbstverständlich eine Psychologie der Lebensalter etabliert, die neben der Betrachtung einzelner Lebensphasen auch die Zusammenhänge wieder in den Blick nimmt. Entsprechend wird es immer offensichtlicher, dass es gilt, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ein interdisziplinäres Fachgebiet einer Psychologie und Medizin über alle Lebensphasen zu etablieren, um Entwicklungen über eine Lebensspanne hinweg besser verstehen zu können.

»Early-Life-Care-Zentren«

Ziel der »Early-Life-Care-Zentren« ist ein System, das Belastungen und (potentielle) Fehlentwicklungen möglichst früh erkennt und ein lokales, regionales und überregionales System der bedarfsgerechten Unterstützung mit sog. Frühen Hilfen anbietet: Gesundheitsförderung auf breiter Basis. Im Aufbau sind »Early-Life-Care-Zentren«, die einerseits die regionale Versorgung im Blick haben (angebunden u. a. an die Praxen von Kinderärztinnen und -ärzten, Gynäkologinnen und Gynäkologen, Hebammen, Familienberatungsstellen). Andererseits beginnt die Planung ebenfalls an Kliniken, wo es um die Zusammenarbeit der einzelnen Stationen wie auch die Vor- und Nachsorge geht.

Im Mittelpunkt stehen:

die Verbesserung der Beratungs- und Betreuungsqualität,

eine verbesserte interdisziplinäre Zusammenarbeit,

ein verbesserter Zusammenhalt der Teams,

eine koordinierte Zusammenarbeit der einzelnen Anbieter,

das Schaffen einer Anlaufstelle für die Familien,

eine bedarfsorientierte Begleitung in der Schwangerschaft, in der Zeit der Geburt und während der Höhen und Tiefen danach.

Um all dies zu erreichen, ist ein interdisziplinäres und integratives Konzept der Gesundheitsförderung und -versorgung notwendig.

Early Life Care – von Qualitätskriterien der Netzwerkarbeit zu einem abgestuften, qualitätsgesicherten System der Frühen Hilfen

Die große Herausforderung und mittlerweile auch Stärke der lokalen, regionalen und nationalen Arbeit mit Frühen Hilfen sind die Überwindung von Systemgrenzen und die Schaffung disziplin-, institutionen- und verbandsübergreifender Netzwerke sowie die Entwicklung überprüfbarer Qualitätsmerkmale für diese Arbeit (vgl. NZFH 2014).

In dem aktualisierten wissenschaftlichen Ergebnisbericht Frühe Hilfen. Eckpunkte eines »Idealmodells« für Österreich 2017 (Haas & Weigl 2017) werden für die regionalen Frühe-Hilfen-Netzwerke drei Kernelemente aufgezeigt, und zwar Familienbegleitung, Multiprofessionalität der Netzwerke und Netzwerkmanagement (vgl. ebd., S. 4 – 13). Gerade im Aufbau dieser neuen Netzwerkstrukturen ist in den letzten Jahren viel Positives geschehen, Probleme bestehen in manchen Regionen bei den personellen Ressourcen und in der politischen Absicherung der Weiterentwicklung.

Ein nächster Schritt der Weiterentwicklung dürfte nun in der Konzeption und Entwicklung eines qualitätsgesicherten Phasenmodells der »Early Life Care«-Versorgung bestehen. Hier geht es vor allem darum, nicht nur die Qualität der Netzwerke zu sichern, sondern Module mit entsprechenden Strukturqualitätskriterien sowie ihren Bezug zueinander zu definieren. Dies ist natürlich aufgrund der größeren Anzahl der beteiligten Institution und Professionen sehr viel aufwendiger als in Bezug auf das Lebensende, in der Hospiz- und Palliativversorgung, wenngleich sich einiges aus der Entwicklung und den Erfahrungen mit diesem Konzept lernen lässt (Gesundheit Österreich GmbH 2014).

In der Konzeption wären drei Handlungsfelder zu unterscheiden:

Grundversorgung in den Frühen Hilfen: Als Einrichtungen und Dienstleister in diesem Bereich wären u. a. anzusehen:

niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte (Gynäkologie, Kinderheilkunde), frei praktizierende Hebammen, Krankenhäuser (Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Kinderheilkunde);

Tageseltern, Krabbelstuben, Kindergärten, Eltern-Kind-Zentren;

Weiterbildungseinrichtungen, Vereine, Familienbildungseinrichtungen mit Angeboten zu Themen rund um Schwangerschaft, Geburt und frühe Kindheit;

Basisangebote von Frühe-Hilfe-Einrichtungen.

Spezialisierte Versorgung in den Frühen Hilfen. Hier sind zwei Bereiche zu unterscheiden:

Unterstützende Angebote und Maßnahmen:

»Early Life Care«-Zentren und »Early Life Care«-Teams, Familienbegleitung;

Ehe- und Familienberatungsstellen, Psychologeninnen und Psychologen, Psychotherapeuteninnen und Psychotherapeuten;

Einrichtungen für Menschen mit Behinderung;

Kinder- und Jugendhilfe: Erziehungshilfe; Familienhebammen.

Betreuende Angebote und Maßnahmen:

Pflegefamilien;

Krankenhäuser (Frühgeburtenstationen);

Einrichtungen für Menschen mit Behinderung;

Pflegeeltern bzw. -familien

Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe (z. B. Kinderdörfer).

Diese Angebote sind zu definieren, ihre Zielgruppen, Aufträge und Ziele und Zugangskriterien zu beschreiben. Ferner gilt es, Strukturqualitätskriterien zu definieren, über die sich Bedarfe beschreiben lassen. Hier geht es um Personalausstattung, Personalqualifikation, räumliche und technische Ausstattung.

Erst die fachliche und politische Verständigung über die anzubietenden bzw. zu realisierenden Systembausteine und ihre Strukturqualitätskriterien, und zwar über die geschilderten Qualitätsstandards für Frühe-Hilfen-Netzwerke hinaus, lässt Bewertungen über die Versorgungsqualität und zu bearbeitende Defizite zu.

Die Ausarbeitung eines qualitätsgesicherten Phasenmodells der »Early Life Care«-Versorgung und die entsprechende Erfassung von Daten für die fachliche und politische Beurteilung sind demnach im öffentlichen Interesse und sollten möglichst bald erfolgen.

Ausblick

»Gesundheitsförderung, die sich an einer Lebenslaufperspektive ausrichtet, wird der Förderung altersspezifischer Entwicklungsressourcen in den frühen Lebensphasen besondere Priorität einräumen, um möglichst gute Bedingungen für die weitere Entwicklung zu schaffen« (Keupp o. J., S. 10; vgl. auch Keupp 2010).

Vorrangiges Ziel für eine kinderfreundliche Gesellschaft muss sein, dass die Umfeldbedingungen für die gedeihliche Entwicklung von Kindern überall, unabhängig vom Wohnort oder anderen Gegebenheiten, bestmöglich gestaltet und die entsprechenden Bedingungen für alle gleich zugänglich sind. Dazu kommen die besonderen Anforderungen und Chancen, die einen präventiven Ansatz auszeichnen. Die Potentiale der Kinder für ein gelingendes Leben sollen sich optimal entfalten können, Lebenschancen und Lebensrisiken von einer respektvollen »Early Life Care«-Versorgung rechtzeitig in den Blick genommen werden.

Wie beim Respekt und der Menschenwürde am Lebensende, wo Palliative Care einen festen Platz eingenommen hat, braucht es den achtsamen Blick auf diese sensible Zeit des Lebensbeginns. Für die nachhaltige Umsetzung dieses Ziels ist es dringend erforderlich, dass sich die Verantwortlichen in der Politik auf allen Ebenen dazu bekennen, die notwendigen finanziellen Ressourcen bereitstellen und sich kontinuierlich für Familien engagieren.

Literatur

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2007): Bundesministerin Ursula von der Leyen: »Wirksamer Kinderschutz muss früh ansetzen«. Pressemitteilung. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/presse/pressemitteilungen/bundesministerin-ursula-von-der-leyen---wirksamer-kinderschutz-muss-frueh-ansetzen-/102352?view=DEFAULT (Zugriff: 17. 7. 2019).

Gesundheit Österreich GmbH (Hrsg.): Abgestufte Hospiz- und Palliativversorgung für Erwachsene. 2. Aufl. https://www.hospiz.at/wordpress/wp-content/uploads/2016/05/broschuere_hospiz-_und_palliativversorgung_1_12_2014.pdf (Zugriff: 18. 7. 2019).

Haas, S. & Weigl, M. (2017): Frühe Hilfen: Eckpunkte eines »Idealmodells« für Österreich 2017. Wissenschaftlicher Ergebnisbericht. Wien: Gesundheit Österreich GmbH/Geschäftsbereich ÖBIG. (Im Auftrag der Bundesgesundheitsagentur.) Im Internet: https://www.fruehehilfen.at/fxdata/fruehehilfen/prod/media/downloads/Berichte/NZFHat_Fr%C3%BChe%20Hilfen_Idealmodell_2017.pdf (Zugriff: 18. 7. 2019).

Keupp, H. (o.J.): Die Basisphilosophie des 13. Kinder- und Jugendberichts. Im Internet: https://www.ris-muenchen.de/RII/RII/DOK/SITZUNGSVORLAGE/2018743.pdf (Zugriff: 25. 7. 2019).

Keupp, H. (2010): Stark, selbstbestimmt, kompetent: Gesundheitsressourcen, die Heranwachsende brauchen. Im Internet: web.ev-akademie-tutzing.de/cms/get_it.php?ID=1250 (Zugriff: 11. 01. 2015).

Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) (Hrsg.) (2014): Empfehlungen zu Qualitätskriterien für Netzwerke früher Hilfen. Beitrag des NZFH-Beirats. Köln: BZgA. Im Internet zugänglich über: https://www.fruehehilfen.de/service/publikationen/einzelansicht-publikationen/titel/empfehlungen-zu-qualitaetskriterien-fuer-netzwerke-fruehe-hilfen-beitrag-des-nzfh-beirats/?no_cache=1&cHash=15dd484700e9e017d08c49194d996a00&tx_solr[sort]=publishedYear+desc (Zugriff: 18. 7. 2019).

Netzwerk Kinderbetreuung (2019): Rückblick auf die 5-Ländertagung »Frühe Hilfen«: Entwicklungsland Schweiz? 01. 04. 2019 – Gesellschaft, Info-Feed Frühe Kindheit. https://www.netzwerk-kinderbetreuung.ch/de/journal/2019/04/01/rueckblick-auf-die-5-laendertagung-fruehe-hilfen-entwicklungsland-schweiz/ (Zugriff: 18. 7. 2019).

Netzwerk Lebensbeginn St. Virigil Salzburg (Hrsg.) (2013): Achtsam von Anfang an. Qualitätsstandards in Einrichtungen für Familien rund um Schwangerschaft, Geburt und frühe Kindheit. Salzburg: St. Virgil Salzburg. Im Internet: https://www.khbrisch.de/media/qualitaetsstandards_in_einrichtungen_fuer_familien_bericht_bmfwfj_jaenner_2013_web_v0_01.pdf (Zugriff: 18. 7. 2019).

Ziegenhain, U. et al. (2011): Modellprojekt Guter Start ins Kinderleben: Werkbuch Vernetzung. Chancen und Stolpersteine interdisziplinärer Kooperation und Vernetzung im Bereich Früher Hilfen und im Kinderschutz. 4. Aufl. Köln: Nationales Zentrum Frühe Hilfen. Im Internet: https://mffjiv.rlp.de/fileadmin/MFFJIV/Familie/Werkbuch_Vernetzung_4_Aufl_2011.pdf (Zugriff: 17. 7. 2019).

Katharina Kruppa und Wolfgang Sperl

Das bio-psycho-sozio-spirituelle Modell und »Early Life Care«

Einleitung

Der Beginn des Lebens, die ersten Lebensmonate im Mutterleib, die Zeit rund um die Geburt sind wohl eine der prägendsten und entscheidendsten Phasen im Leben jedes Menschen. Hesses berühmtes Wort: ». . . jedem Anfang wohnt ein Zauber inne«, aus seinem Gedicht »Stufen« stimmt im Besonderen für den menschlichen Lebensbeginn. Tatsächlich sind es Neugeborene, die mit ihrer Aura uns Erwachsene gefangen nehmen.

Gleichzeitig ist aber auch die Vulnerabilität während dieser Phasen, beginnend mit der Schwangerschaft, über die Geburt bis ins erste Lebensjahr des Kindes hinein, enorm hoch, eine Vulnerabilität, die das Leben des wachsenden Kindes genauso betrifft wie die Mutter und den Vater. Denn auch die Eltern vollziehen in ihrer eigenen Persönlichkeit tiefgreifende Entwicklungsschritte: von der Frau zur Mutter, vom Mann zum Vater, von der Paarbeziehung zur Elternschaft. Und so zeigt sich in dieser Phase, dass der Mensch von seinem Wesen her insofern ein »Herdentier« ist, als Begleitung und Unterstützung für eine ungestörte Entwicklung der Nachkommen unabdingbar sind. Um Hesse weiter zu zitieren: ». . . ein Zauber [. . .], / Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben« (zit. n. Hesse 1957, S. 486). Genau das ist die Aufgabe der Begleitung in dieser Lebensphase: sensibilisieren für das Wunder »Leben« sowie Schutz, Hilfe, Unterstützung auf allen Ebenen des Lebens.

Interessanterweise hat die WHO eine ähnlich umfassende Begleitung bisher vor allem für das Lebensende beschrieben, und zwar in ihrer Definition von »Palliative Care«: »Palliative Care dient der Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien [. . .]. Dies geschieht durch Vorbeugung und Linderung von Leiden mittels frühzeitiger Erkennung, hochqualifizierter Beurteilung und Behandlung [. . .] von [. . .] Problemen physischer, psychosozialer und spiritueller Natur« (WHO, 2002). Diese Definition ist unserer Meinung nach genauso für den Lebensbeginn gültig, für »Early Life Care« (ELC), und erweitert das bekannte bio-psycho-soziale Modell nach Engel (Engel 1976) um die spirituelle Komponente.

Der Grundgedanke des Engelschen Modells besteht darin, dass alle drei Grundvoraussetzungen des Lebens – die biologisch-organische, die psychische und die soziale – in kontinuierlicher Wechselwirkung stehen und aus diesen Faktoren und deren Veränderungen sich Entwicklung und Verlauf von Krankheiten, aber eben auch von Gesundheit erklären lassen (Jungnitsch 1999).

Mit dieser mehrdimensionalen Betrachtungsweise wird klar, dass die Person als Ganzes mit allen ihren Aspekten im Zentrum der Behandlung steht und die Ebenen der Betreuung jedenfalls neben den medizinischen auch soziale und psychologische Faktoren beinhalten.

Gleichzeitig ist in Situationen des Lebensübergangs (z. B. zu Beginn und am Ende des Lebens) die existentielle Frage, die Grundfrage des »Warum«, des »Woher« und des »Wohin«, also die »Sinnfrage«, Teil des Menschen. Dann aber kann die Ebene des Spirituellen – als grundsätzlich menschliche Ebene – nicht aus diesem Modell ausgeschlossen werden, sofern man Spiritualität umfassend und jedenfalls über den gängigen Religionsbegriff hinausgehend definiert.

Gemeint ist mit diesem Begriff der Teil des menschlichen Bewusstseins, der sich mit der eigenen Begrenztheit auseinandersetzt und damit über diese hinausweist. Spiritualität ist in diesem Sinn eine Form von Geistigkeit als Gegensatz zum rein rationalen Denken und der materiellen Körperlichkeit. »Spiritualität bezeichnet nicht zuletzt den subjektiv erlebten Sinnhorizont, der sowohl innerhalb als auch außerhalb traditioneller Religiosität verortet sein kann und damit allen Menschen zu eigen ist« (Stangl 2019).

Mit dem angedeuteten bio-psycho-sozio-spirituellen Modell soll ein ganzheitlicher Ansatz für Diagnostik und Therapie ermöglicht werden. Die naturwissenschaftlich ausgerichtete Medizin sollte mit den Erkenntnissen aus der Psychologie, den ökosozialen Wissenschaften, aber auch mit spirituellen Aspekten ergänzt werden. Krankheit und Gesundheit stellen keinen Zustand da, sie sind als dynamisches Geschehen zu verstehen.

Aspekte aus dem klinischen Alltag

Das bio-psycho-sozio-spirituelle Modell zeigt als eine Art grundlegende Leitlinie der klinischen Behandlung auf, wie Leiden und Krankheit verstanden werden können (Borrell-Carrió et al. 2004). Diese Art der Betrachtung ist im Hinblick auf den Lebensbeginn nicht neu, im Gegenteil: Die Hebammen, welche die Rolle der Unterstützung am Lebensbeginn traditionell ausfüllen, haben ihre Arbeit in vielerlei Hinsicht auf Basis dieser ganzheitlichen Lebensbetrachtungsweise ausgeführt: auf der biologisch-medizinischen, der psychologisch-unterstützenden, der sozial-beratenden, aber auch auf der spirituellen Ebene.

In den letzten Jahrzehnten sind Schwangerschaft, Geburt und Perinatalzeit immer mehr zur Domäne der Schulmedizin geworden, zum Schutz von Mutter und Kind vor Krankheiten und zur Risikoverminderung. Zweifelsohne ist die rein medizinische Versorgung deutlich verbessert, allzu früh geborene Kinder, die früher fast sicher gestorben wären, können heute überleben, die perinatale Mortalität von Kindern und Müttern konnte auf ein Minimum reduziert werden. Die Reproduktionsmedizin hat große Erfolge erzielt, ebenso die vorgeburtliche Diagnostik und Therapie. Gleichzeitig ist aber auch der Druck auf die Familien gestiegen, Kinderwunsch, Perfektionismus und Machbarkeit scheinen manchmal über Menschenwürde und Differenziertheit zu stehen. Manchmal scheint es, dass der Mensch gerade in dieser so vulnerablen Phase zu wenig in seiner Mehrdimensionalität gesehen wird. Eine Vielzahl Berufsgruppen sind in dieser Lebensphase involviert, oft mit konträren Blickwinkeln und Haltungen. Das folgende Beispiel, geschildert von der Sozialarbeiterin einer geburtshilflichen Abteilung eines Krankenhauses, zeigt exemplarisch die Schwierigkeit in der Praxis:

Der Sozialarbeiterin wird die Patientin auf der Geburtenstation wegen finanzieller Schwierigkeiten vorgestellt. In einem langen Gespräch zwei Tage nach Geburt des Kindes erzählt die junge Frau ihre Geschichte:

Begonnen haben ihre finanziellen Probleme, so schildert sie, mit der Entscheidung zur Pränataldiagnostik. Obwohl die anfallenden Kosten für die junge Frau eine Hürde darstellten, entschied sie sich ohne weitere Beratung für die Untersuchung. Ein auffälliger Test führte – auf dringendes Anraten des Gynäkologen – zu weiteren Untersuchungen. Die Mutter war sehr verunsichert, weil sie, alleinstehend, sich das Leben mit einem behinderten Kind nicht vorstellen konnte, aber das Risiko einer invasiven Untersuchung eigentlich vermeiden wollte. Letztendlich entschied sie sich dann doch für eine Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung), die dann ein unauffälliges Ergebnis brachte und ohne Komplikationen verlief.

Trotz der scheinbaren Entspannung der Situation war die junge Frau in der weiteren Schwangerschaft sehr belastet. Vor der Amniozentese in der 20. Schwangerschaftswoche hatte sie sich nicht emotional auf das Kind einstellen wollen, da sie – trotz großer innerer Widerstände – die Möglichkeit einer Abtreibung offen ließ. Dem Rat einer Freundin, sich in einer Schwangerenberatungsstelle der Kirche Unterstützung zu holen, traute sie sich nicht zu folgen, obwohl – oder gerade weil – sie sich selbst als sehr religiös empfand.

Ihre emotionale Situation in der weiteren Schwangerschaft war hoch ambivalent – sie schwankte zwischen schlechtem Gewissen, weil sie die Abtreibung in Erwägung gezogen hatte, und Freude auf das Kind und hatte zugleich große Sorgen bezüglich ihrer sozialen Situation. Ein Gespräch mit einer Hebamme im Rahmen der Geburtsvorbereitung empfand sie als sehr belastend, da sie das Gefühl hatte, sich der Hebamme gegenüber für ihre Entscheidung für die Pränataldiagnostik verteidigen zu müssen.

Nach der Geburt fiel die junge Mutter in der Klinik durch wenig Emotionalität auf, und sie erzählte der Sozialarbeiterin in einem Gespräch von ihrer hoch prekären finanziellen Situation: »Ich hab mir gedacht, wenn ich für so einen Test so viel Geld ausgebe, dann kann ich auch für mein Kind etwas Schönes anschaffen!« So hatte sie für »Babysachen« deutlich mehr Geld ausgegeben, als ihr finanzieller Rahmen zuließ, und konnte dadurch nicht die Miete bezahlen.

Aufgrund der psychisch instabilen Situation und der finanziellen Belastung wurde im Team überlegt, das Jugendamt zu unterrichten.

Gerade in dieser Fallvignette zeigt sich, wie groß der Bedarf an gezielter Begleitung – wie bei dieser Frau – sein kann. Tatsächlich hatte sie mehrere Termine bei ihrem Gynäkologen, der sie medizinisch gut begleitete, vorbereitende Gespräche mit einer Hebamme, das Angebot einer Beratung in einer Schwangerenberatungsstelle. Dennoch kam es zu einer psychischen und sozialen Krise, beginnend bereits in der Schwangerschaft.

Im Gegensatz dazu hätte eine Begleitung, in der die verschiedenen Berufsgruppen ineinandergreifend und einander unterstützend, mit einem Blick auf die verschiedenen Ebenen des menschlichen Seins, gearbeitet hätten, diese junge Schwangere und ihr Kind vor vielem bewahren können.

Entsprechend ist es deklariertes Ziel der fächerübergreifenden Ausbildung in »Early Life Care«, dass die verschiedenen Berufsgruppen multi- und interdisziplinär und besonders mehrdimensional Wissen austauschen. Insbesondere sind die Interaktion und Diskussion unter den verschiedenen Berufsgruppen entscheidend. Wesentlich ist ein guter und fundierter, auf Fakten basierender Informationsaustausch über diese so wichtige Lebensperiode, um dann, beruhend auf diesem Wissen, die Patienten in wertschätzender Haltung begleiten zu können. Das Voneinander-Lernen, das respektvolle Wissen um die Bedeutung eines gut begleiteten Lebensbeginns soll dann dazu führen, dass die Vertreter und Vertreterinnen des Hilfesystems in Anwendung ihres Wissens, der praktischen Arbeit, »an einem Strang ziehen«.

Wichtig sind bei dieser ganzheitlichen Betrachtungsweise das Verständnis für das Ineinandergreifen der verschiedenen Ebenen des bio-psycho-sozio-spirituellen Modells in der gesamten Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des ersten Lebensjahres (und selbstverständlich auch darüber hinaus). So sind zweifelsohne extrem viele somatische bzw. biologisch-körperliche Aspekte zu beachten – beginnend mit dem Kinderwunsch und den verschiedenen inzwischen möglich gewordenen Formen der Zeugung, den Einflüssen der intrauterinen Entwicklung (z. B. durch die Ernährung der Mutter, fetale Programmierung), der Pränataldiagnostik, über die verschiedenen Geburtsmodi bis hin zu den vielfältigen körperlichen Störungen und Pathologien, die bereits intrauterin bzw. beim Neugeborenen auftreten können und unterschiedliche medizinisch begründete Maßnahmen nach sich ziehen. Bei Neugeborenen und Frühgeborenen gibt es viele Fragen zur richtigen Betreuung und Förderung der Kinder, zum Schutz und zur Prävention in Bezug auf Krankheiten, zu Impfungen, richtiger, altersangepasster Ernährung und optimaler Pflege. Die biologische Ebene des Modells ist sicherlich eine wichtige, aber nicht die einzige.

Klar ist, dass die gesamte Entwicklung des Kindes bereits intrauterin durch die Bindung an die Mutter und die Beziehung zu ihr und damit auch zur Umwelt der Mutter massiv beeinflusst wird. Bekannt ist, dass eine gute und richtige Bindung vom Kind zu seinen wichtigsten Bezugspersonen im ersten Lebensjahr eindeutig einen positiven Einfluss auf die körperliche Entwicklung hat.

Diese Bindungsaspekte haben eine große Bedeutung und wirken sich stark auf die körperliche und psychische Entwicklung aus. Das Kind bezieht auf der physischen Ebene »Energie« aus der Nahrung, es bezieht aber auch eine lebenswichtige »Energie« aus einer gelingenden, guten Mutter-Kind-Beziehung bzw. der initialen Bindung an eine Bezugsperson.

Wie Studien von John Bowlby, René Spitz u. a. gezeigt haben (vgl. van der Horst & van der Veer 2008), können sich Säuglinge trotz adäquater Kalorienzufuhr nicht gut entwickeln, wenn ihnen nicht in den ersten Lebenswochen eine konstante Bezugsperson zur Verfügung steht. Einerseits ist die Ernährung mit der Zufuhr und danach der Verarbeitung von Kohlenhydraten, Fett und Eiweiß für die körperliche Energieproduktion bzw. die Bildung von ATP (Adenosintriphosphat, der Hauptenergiespeicher der Zellen) entscheidend, andererseits gibt es aber auch eine andere wesentliche Art der Energie, eine »Beziehungsenergie«, die durch eine richtige, sichere Bindung »freigesetzt« wird und für die psychosoziale Entwicklung des Kindes entscheidend ist.

Um eine gute Entwicklung des Kindes zu ermöglichen, ist natürlich ein entsprechendes soziales Umfeld erforderlich. Gerade wenn es um das Thema »Kinderschutz« bzw. um »Kindeswohlgefährdung« geht, sind starke Störfaktoren zu beachten, allen voran die Armut, die als einer der größten Risikofaktoren für die Entwicklung gilt, ebenso die sozialen Ressourcen, die Anzahl und die Qualität der Beziehungen zu unterstützenden Menschen im Umfeld. Hier geht es um die Familie, Freunde, Aspekte des Berufslebens, des Berufsstandes.

Über die jetzt angesprochene bio-psycho-soziale Sichtweise hinaus sind noch weitere Bereiche entscheidend: Wertvorstellungen, Sinnfrage, Haltung, Anschauung – also das, was wir in unserem Modell als die »spirituelle« Ebene bezeichnen. Hierher gehört auch die Frage, ob das Kind im Mutterleib schon als Person bzw. als wertvolles und voll anerkanntes Leben wahrgenommen wird. Es geht um die Frage der Haltung zum Kind bei der Geburt, um Sensibilität und Beziehungsaufnahme. Hier geht es auch um Fragen der Wertigkeit und Berechtigung des Lebens angesichts möglicher Behinderungen und angeborener Krankheiten, auch um die Vorgehensweise in palliativen Situationen beim Neugeborenen. Abtreibung aufgrund medizinischer Indikation ist, wie das Beispiel vom Anfang dieses Beitrags zeigt, in vielerlei Hinsicht ein wichtiges Thema, bei dem vor allem eine offene Begleitung der Familien und eine Beratung, die alle Aspekte des Lebens umfasst, wichtig sind.

Inwieweit eine entsprechende Haltung auf Beraterseite eine deutliche Veränderung bei der Klientin herbeiführen kann, zeigt die Weiterführung der Fallvignette:

Die Sozialarbeiterin der Geburtsklinik arbeitet – als Studierende des »Early Life Care«-Lehrgangs – sehr eng mit den nachsorgenden Einrichtungen der Frühen Hilfen zusammen. Nach dem sehr offen geführten Gespräch in der Geburtsklinik war die Mutter bereit, Hilfe anzunehmen. Einerseits konnte die psychische Situation der jungen Frau, die aufgrund der Belastung eine klinische Depression entwickelt hatte, über eine peripartal-psychiatrische Ambulanz verbessert werden. Ein verlängerter stationärer Aufenthalt und ein Gespräch mit der Krankenhausseelsorgerin entlasteten die Frau zusätzlich, sodass sie nach der Entlassung die angebotene (u. a. auch materielle) Hilfe ihrer religiösen Gemeinschaft annehmen konnte.

In der Nachsorge wurde das Team der Frühen Hilfen aktiv, die stabilisierend für die Mutter tätig waren und mit anderen beteiligten Helfersystemen gut vernetzt waren. Von einer Meldung an das Jugendamt konnte abgesehen werden, da die Mutter sich in kurzer Zeit stabilisieren konnte und erfreulicherweise eine liebevolle Beziehung zu ihrem Kind aufbaute.

Selbstfürsorge

Das bio-psycho-sozio-spirituelle Modell dient nicht nur als Basis zur Betreuung der Kinder und ihrer Angehörigen rund um die Geburt. Es ist vielmehr auch eine Herausforderung an die Betreuenden selbst (Ärztinnen und Ärzte, Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, Hebammen, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter etc.) bezüglich ihrer Haltung und Sichtweise sich selbst gegenüber. Menschen in Gesundheitsberufen sind durch Stress, Schichtdienste, Zeitdruck, aber im Besonderen auch durch die Konfrontation mit chronischer Krankheit und Tod vielfältigen gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt. Sie sind mit Grenzsituationen, existentiellen Fragestellungen und Entscheidungen konfrontiert. Immer wieder kommen die Helfenden in die Rolle von scheinbar hilflosen Begleitern:

Eine Assistenzärztin beschreibt eine Situation in der nächtlichen Notambulanz: