Eat, Pray, Love - Elizabeth Gilbert - E-Book
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Eat, Pray, Love E-Book

Elizabeth Gilbert

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Beschreibung

»Ein fantastisches Buch.« Julia Roberts Der internationale und preisgekrönte Bestseller von Elizabeth Gilbert New York: um drei Uhr nachts erwacht Elizabeth Gilbert weinend im Badezimmer. Sie ist über dreißig mit Mann und Haus, doch nein, glücklich ist sie nicht. Sie macht sich auf die Suche nach drei Dingen, die ihr fehlen: Freude, Hingabe und innere Balance. Ihre Reise führt sie nach Rom, wo sie Italienisch lernt, nach Indien, wo sie in einem Ashram erfährt, dass man zur Erleuchtung nachts Böden schrubben muss, und nach Bali, wo sie den Pfad zum inneren Gleichgewicht findet. Und so kommt das Glück. »Ich habe einmal ein Buch geschrieben, das zufällig ein Riesenbestseller wurde«, schrieb Elizabeth Gilbert über ihre Lebensgeschichte. In der Verfilmung mit Julia Roberts wurde das Buch zum Hit, durch Millionen begeisterter Leserinnen zum Klassiker. »Wie Elizabeth Gilbert erzählt, ist im Wortsinn großes Kino.« Christine Westermann, WDR Fernsehen

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Seitenzahl: 625

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Elizabeth Gilbert

Eat, Pray, Love

Eine Frau auf der Suche nach allem quer durch Italien, Indien und Indonesien

 

 

Aus dem amerikanischen Englisch von Maria Mill

 

 

 

Über dieses Buch

 

 

Elizabeth beschließt, ihr Leben noch einmal ganz von vorne anzufangen. Sie verlässt ihren Mann und New York und begibt sich auf eine große Reise, um drei Dinge zu erfahren: Das süße Leben in Rom, die hingebungsvolle Meditation in einem indischen Ashram und schließlich Ausgeglichenheit und Glück auf Bali. Elizabeth Gilberts bewegender und ermutigender Erfahrungsbericht wurde mit Julia Roberts in der Hauptrolle verfilmt und zum preisgekrönten internationalen Bestseller.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

»Ich habe einmal ein Buch geschrieben, das zufällig ein Riesenbestseller wurde«, schrieb Elizabeth Gilbert über »Eat Pray Love«, ihrer Lebensgeschichte, die weltweit für Furore sorgte. Elizabeth Gilbert, geboren 1969, arbeitete nach dem Studium u.a. für die »New York Times«. Nach »Big Magic« (2015) erschien zuletzt ihr Roman »City of Girls« (2019), der wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste stand. Elizabeth Gilbert lebt in New Jersey.

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Für Susan Bowen –

die auch aus zwölftausend Meilen Entfernung

eine Zuflucht für mich war

 

 

 

 

 

 

 

Sag die Wahrheit, sag die Wahrheit, sag die Wahrheit.

Sheryl Louise Moller

 

(Außer man versucht, auf Bali dringende Immobilientransaktionen

zum Abschluss zu bringen, wie sie im dritten Buch beschrieben werden.)

Einleitung

oder

Wie dieses Buch funktioniert

oder

Die hundertneunte Perle

Wenn man durch Indien reist – und vor allem, wenn man heilige Stätten und Ashrams besucht –, sieht man eine Menge Leute mit Perlen um den Hals. Man sieht auch viele alte Fotos von nackten, dünnen und einschüchternden (oder mitunter auch molligen, freundlichen und strahlenden) Yogis, die ebenfalls Perlenketten tragen. Diese Ketten heißen japa malas. In Indien benutzt man sie seit Jahrhunderten, weil sie frommen Hindus und Buddhisten helfen, sich bei der Meditation besser zu konzentrieren. Die Kette wird in der Hand gehalten und wandert in einer Kreisbewegung durch die Finger – für jede Wiederholung des Mantras wird eine Perle berührt. Als die Kreuzfahrer in ihre heiligen Kriege gen Orient zogen, sahen sie unterwegs immer wieder Gläubige, die mit diesen japa malas beteten, bewunderten die Technik und brachten die Idee als Rosenkranz mit nach Europa zurück.

Die traditionelle japa mala besteht aus hundertacht Perlen. In den esoterischeren unter den östlichen Philosophenzirkeln gilt die Zahl Hundertacht als äußerst glückverheißend, da sie ein dreistelliges Vielfaches der Zahl Drei darstellt und ihre Quersumme neun beträgt. Die Zahl Neun wiederum ergibt sich aus der Addition dreier Dreien. Und natürlich ist Drei die Zahl, die für absolute Ausgeglichenheit steht, wie jeder, der jemals die heilige Dreifaltigkeit oder einen Barhocker studiert hat, sofort erkennt. Und da dieses Buch von meiner persönlichen Suche nach innerem Gleichgewicht handelt, habe ich beschlossen, es wie eine japa mala zu strukturieren und in hundertacht Geschichten oder Perlen aufzuteilen. Diese Kette von hundertacht Geschichten ist in drei Abschnitte untergliedert: einen über Italien, einen über Indien und einen über Indonesien – jene drei Länder, die ich während meines Jahres der Selbsterforschung besucht habe. Diese Gliederung bewirkt, dass jeder Abschnitt sechsunddreißig Geschichten enthält, was mich wiederum persönlich anspricht, da ich all das in meinem sechsunddreißigsten Lebensjahr niederschreibe.

Doch ich will Sie nicht mit Zahlenmystik langweilen. Die Vorstellung, diese Geschichten der Struktur einer japa mala gemäß aufzureihen, gefällt mir auch deshalb so gut, weil sie so …, nun ja, strukturiert ist. Die aufrichtige Wahrheitssuche ist kein wildes Gerangel, nicht einmal in unserem Zeitalter des wilden Rangelns. Als Suchende wie als Schriftstellerin finde ich es hilfreich, mich so weit wie möglich an die Perlen zu halten, um mich umso besser auf das konzentrieren zu können, was ich zu erreichen versuche.

Jede japa mala hat noch eine Extraperle – die hundertneunte –, die wie ein Anhänger an jenem ausbalancierten Rund von hundertacht Perlen herabbaumelt. Ich habe mir diese hundertneunte immer als eine Art Ersatzperle vorgestellt, wie der Extraknopf an einem teuren Hemd oder der jüngste Sohn einer Königsfamilie. Anscheinend aber dient sie einem noch höheren Zweck. Wenn nämlich unsere Finger beim Beten diese Perle erreichen, sollen wir unsere Versenkung unterbrechen und unseren Lehrern danken. Also halte ich, noch ehe ich überhaupt anfange, bei meiner hundertneunten Perle inne. Ich danke allen meinen Lehrern, die mir während meines Jahres der Selbsterforschung in so vielen eigenartigen Gestalten erschienen sind.

Ganz besonders aber danke ich meinem Guru, meiner Meisterin, die der Inbegriff des Mitgefühls ist und mir während meines Aufenthalts in Indien so großzügig erlaubte, in ihrem Ashram zu studieren. An dieser Stelle möchte ich auch klarstellen, dass ich über meine Erfahrungen in Indien von einem rein persönlichen Standpunkt aus berichte und weder als Theologin noch als irgendjemandes offizielle Sprecherin. Daher werde ich weder den Namen meiner Meisterin nennen, noch den Namen oder Standort ihres Ashrams verraten. Dadurch erspare ich dieser wunderbaren Einrichtung unnötige Publizität, mit der fertig zu werden sie überfordern würde. Als letzten Ausdruck meiner Dankbarkeit habe ich mich entschlossen, die Namen all der Suchenden – ob Inder oder Westler –, die mir in diesem indischen Ashram begegneten, zu ändern. Dies geschieht aus Respekt vor der Tatsache, dass sich die meisten Leute nicht auf eine spirituelle Pilgerfahrt begeben, um später als Figuren in einem Buch aufzutauchen. (Es sei denn natürlich, es handelt sich dabei um mich.) Nur eine Ausnahme habe ich mir gestattet. Richard aus Texas heißt tatsächlich Richard und kommt auch aus Texas. Ich nenne ihn bei seinem wirklichen Namen, weil er in Indien so wichtig für mich war.

Als ich Richard fragte, ob es ihm recht sei, wenn ich in meinem Buch erwähne, dass er einmal Junkie und Alkoholiker war, sagte er, das gehe völlig in Ordnung.

»Hab mir sowieso schon überlegt«, meinte er, »wie ich es den Leuten am besten sage.«

Aber zunächst – Italien …

Erstes Buch Italien

oder

»Sprich, wie du isst«

oder

Sechsunddreißig Geschichten über das Streben nach Genuss

1

Ich wollte, Giovanni würde mich küssen!

Ach, aber es gibt so viele Gründe, warum das eine ganz schlechte Idee wäre. Zunächst einmal ist Giovanni zehn Jahre jünger als ich und wohnt – wie die meisten unverheirateten Italiener in seinem Alter – noch immer bei seiner Mutter. Schon allein das macht ihn zu einem fragwürdigen Liebespartner für mich, Amerikanerin, Freiberuflerin, Mittdreißigerin, die gerade eine gescheiterte Ehe und eine verheerende, langwierige Scheidung hinter sich hat, direkt gefolgt von einer leidenschaftlichen Affäre, die in unerträglichem Kummer endete. Nach all den Verlusten fühle ich mich traurig und zerbrechlich und als wäre ich siebentausend Jahre alt. Schon aus Prinzip würde ich dem netten, unverdorbenen Giovanni mein jämmerliches, völlig fertiges altes Ich nicht aufdrängen. Ganz zu schweigen davon, dass ich endlich in dem Alter bin, in dem eine Frau sich zu fragen beginnt, ob es wirklich so klug ist, sich über den Verlust eines schönen braunäugigen Burschen hinwegzutrösten, indem man sich prompt den nächsten ins Bett holt. Deswegen bin ich nun schon seit vielen Monaten allein. Ja, deswegen habe ich beschlossen, dieses ganze Jahr sexuell enthaltsam zu leben.

Der clevere Beobachter mag an dieser Stelle fragen: »Und warum bist du dann nach Italien gegangen?«

Darauf kann ich – vor allem wenn ich den mir am Tisch gegenübersitzenden schönen Giovanni betrachte – lediglich antworten: »Eine sehr gute Frage.«

Giovanni ist mein Tandem-Austausch-Partner. Das klingt doppeldeutig, ist es aber leider nicht. Es heißt lediglich, dass wir ein paar Abende die Woche hier in Rom damit verbringen, die Sprache des anderen zu üben. Wir reden zuerst italienisch, und er ist geduldig mit mir; dann reden wir englisch, und ich bin geduldig mit ihm. Entdeckt habe ich Giovanni einige Wochen nach meiner Ankunft in Rom – dank dieses großen Internetcafés an der Piazza Barberini gegenüber dem Brunnen mit der Skulptur von diesem sexy Wassermann, der in sein Tritonenhorn bläst. Er (das heißt Giovanni, nicht der Wassermann) hatte einen Zettel ans schwarze Brett geheftet, auf dem zu lesen stand, dass ein native speaker des Italienischen einen englischen Muttersprachler zwecks englisch-italienischer Konversation suche. Direkt neben seiner Anfrage hing ein weiterer Zettel mit der gleichen Bitte, die Wort für Wort und in allen Details bis zur Drucktype mit der seinen identisch war. Der einzige Unterschied bestand in der Kontaktadresse. Auf dem einen Blatt war die E-Mail-Adresse eines gewissen Giovanni angegeben, auf dem anderen die eines Menschen namens Dario. Aber sogar die private Telefonnummer war dieselbe.

Ich verließ mich auf meine Intuition und schrieb gleichzeitig beiden eine E-Mail, in der ich mich auf Italienisch erkundigte: »Seid ihr vielleicht Brüder?«

Darauf schrieb Giovanni sehr provocativo zurück: »Noch besser: Zwillinge!«

Ja, viel besser. Große, dunkle und attraktive eineiige Zwillinge, wie sich herausstellte, fünfundzwanzig Jahre alt, mit großen braunen, feucht schimmernden italienischen Augen, die mich einfach um den Verstand bringen. Nachdem ich den Jungs persönlich begegnet war, begann ich mich zu fragen, ob ich meinen Vorsatz, in diesem Jahr enthaltsam zu bleiben, nicht vielleicht ein wenig modifizieren sollte. Vielleicht konnte ich ja völlig enthaltsam leben, mit der einzigen Ausnahme, dass ich mir zwei stattliche fünfundzwanzigjährige italienische Zwillingsbrüder als Liebhaber genehmigte. Was mich ein wenig an eine Freundin erinnerte, die sich rein vegetarisch ernährt, aber bei Speck eine Ausnahme macht … Im Geiste verfasste ich schon einen Brief an Penthouse:

Im flackernden Kerzenschein des römischen Cafés war es unmöglich zu sagen, wessen Hände mich gerade streich…

Aber nein.

Nein und nochmals nein.

Mitten im Wort brach ich meine Fantasie ab. Für mich war jetzt nicht der Moment, nach Liebe Ausschau zu halten und so (wie der Tag auf die Nacht folgt) mein ohnehin schon verfahrenes Leben noch weiter zu verkomplizieren. Für mich war jetzt die Zeit, nach der Heilung und dem Frieden zu suchen, den man nur in der Einsamkeit findet.

Inzwischen, Mitte November, sind der schüchterne, fleißige Giovanni und ich gute Freunde geworden. Dario – dem lässigeren Bruder, der eher mal auf den Putz haut – habe ich meine bezaubernde kleine schwedische Freundin Sofie vorgestellt, und wie die beiden ihre römischen Abende miteinander verbringen, das ist ein Tandem-Austausch ganz anderer Art. Aber Giovanni und ich, wir reden nur. Na ja, wir essen und wir reden. Wir essen und reden jetzt schon seit mehreren netten Wochen, teilen uns Pizzas und beglücken uns mit sanften Grammatikkorrekturen, und der heutige Abend war keine Ausnahme. Ein schöner Abend mit neuen Redewendungen und frischem Mozzarella.

Nun ist es Mitternacht und neblig, und Giovanni begleitet mich durch die römischen Gassen, die organisch – wie sich Wasserläufe um dunkle Zypressenhaine schlängeln – um uralte Gebäude mäandern. Jetzt sind wir vor meiner Tür angelangt. Wir stehen uns gegenüber. Er umarmt mich herzlich. Schon besser; in den ersten paar Wochen wollte er mir nur die Hand schütteln. Wenn ich noch weitere drei Jahre in Italien bliebe, denke ich mir, brächte er eines Tages noch den Mumm auf, mich zu küssen. Andererseits könnte er mich auch einfach jetzt gleich, heute Nacht, direkt hier vor meiner Tür küssen … Es ist immer noch möglich … Ich meine, schließlich stehen wir ja immer noch aneinandergeschmiegt im Mondschein … Und natürlich wäre es ein schrecklicher Fehler … Aber es wäre so schön … Und es besteht ja immer noch die wunderbare Möglichkeit, dass er es tatsächlich jetzt gleich tut … Vielleicht beugt er sich ja zu mir herunter … und … und …

Nein.

Er löst sich aus der Umarmung.

»Gute Nacht, meine liebe Liz«, sagt er.

»Buona notte, caro mio«, erwidere ich.

Ganz allein erklimme ich die Stufen zu meiner Wohnung im vierten Stock. Ganz allein schließe ich die Tür zu meiner winzig kleinen Einzimmerwohnung auf. Ziehe die Tür hinter mir zu. Wieder einmal gehe ich in Rom früh zu Bett. Wieder einmal liegt eine lange geruhsame Nacht vor mir und nichts im Bett außer einem Stapel italienischer Sprachführer und Wörterbücher.

Ich bin allein, total allein, mutterseelenallein.

Als mir das klar wird, lasse ich meine Tasche los, sinke auf die Knie, drücke meine Stirn auf den Boden und richte ein inbrünstiges Dankgebet ans Universum.

Erst auf Englisch.

Dann auf Italienisch.

Und dann – um mein Anliegen auch wirklich rüberzubringen – auf Sanskrit.

2

Und da ich mich nun schon in Bittstellung am Boden befinde, lassen Sie mich kurz in dieser Position verharren, während ich drei Jahre zurückgehe, bis zu dem Augenblick, als diese ganze Geschichte begann – einem Augenblick, in dem Sie mich in exakt der gleichen Haltung angetroffen hätten: auf den Knien, auf dem Fußboden, betend.

Alles andere an der drei Jahre zurückliegenden Szene war jedoch anders. Damals befand ich mich nicht in Rom, sondern im Bad des großen Hauses, das mein Mann und ich kurz zuvor in einem Vorort von New York gekauft hatten. Es war ein kalter Novembermorgen gegen drei Uhr früh. Mein Mann lag schlafend in unserem Bett. Ich versteckte mich wohl die siebenundvierzigste Nacht in Folge im Bad und schluchzte – wie all die Nächte zuvor. Ja, ich schluchzte so sehr, dass sich ein großer See aus Tränen und Rotz vor mir auf den Badezimmerfliesen ausbreitete, ein veritabler Bodensee all meiner Scham, Angst, Verwirrung und Trauer.

Ich will nicht mehr verheiratet sein.

Sosehr ich sie auch zu ignorieren versuchte, die Wahrheit drängte sich mir immer wieder auf.

Ich will nicht mehr verheiratet sein. Ich will nicht in diesem großen Haus leben. Ich will keine Kinder kriegen.

Aber genau das sollte ich mir wünschen. Ich war einunddreißig Jahre alt. Mein Mann und ich – die wir schon acht Jahre zusammen und seit sechs Jahren verheiratet waren – hatten unser ganzes Leben um die gemeinsame Erwartung herum aufgebaut, dass ich, wenn ich nach Überschreiten des hohen Alters von dreißig zu vertrotteln begänne, auch den Wunsch hegen würde, sesshaft zu werden und Kinder zu kriegen. Dann, so sahen wir gemeinsam voraus, würde ich das Reisen endlich satt haben und froh sein, in einem großen geschäftigen Haushalt voller Kinder und selbst genähter Quilts zu leben, mit Garten hinterm Haus und köchelndem Eintopf auf dem Herd. (Die Tatsache, dass dies ein ziemlich zutreffendes Porträt meiner eigenen Mutter war, ist vielleicht ein Indiz dafür, wie schwer es mir damals fiel, zwischen mir und der mächtigen Frau, die mich aufgezogen hatte, zu unterscheiden.) Doch da ich entsetzliche Angst hatte, es herauszufinden, wünschte ich mir nichts von alledem. Stattdessen hing die immer näher rückende DREISSIG wie ein Damoklesschwert über mir, und ich merkte, dass ich wirklich nicht schwanger werden wollte. Ich wartete darauf, mir endlich ein Baby zu wünschen, aber es geschah einfach nicht. Und ich weiß, wie es ist, wenn man sich etwas wünscht – das dürfen Sie mir glauben. Ich weiß genau, wie sich ein echter Wunsch anfühlt. Aber es gab keinen. Und zudem musste ich ständig daran denken, was meine Schwester mir einmal gesagt hatte, als sie ihren Erstgeborenen stillte: »Ein Kind zu kriegen ist ungefähr so, als ließe man sich im Gesicht tätowieren. Man muss sich wirklich sicher sein, dass man es will.«

Aber wie konnte ich jetzt noch einen Rückzieher machen? Alles war bereit. In diesem Jahr sollte es passieren. Ja, wir versuchten sogar schon seit einigen Monaten, schwanger zu werden. Doch nichts war geschehen (abgesehen von der Tatsache, dass ich – einer Schwangerschaft geradezu hohnsprechend – unter psychosomatisch bedingter Morgenübelkeit litt und mich täglich vor dem Frühstück erbrach). Und jeden Monat, wenn ich meine Periode bekam, ertappte ich mich dabei, wie ich heimlich im Bad vor mich hin flüsterte: Danke, danke, danke, danke, dass du mich noch einen Monat lebenlässt …

Ich hatte versucht, mir einzureden, das sei normal. Alle Frauen – beschloss ich – mussten sich so fühlen, wenn sie versuchten, schwanger zu werden. (»Ambivalent« war das Wort, das ich, zwecks Vermeidung der weit zutreffenderen Beschreibung »völlig panisch vor Angst« dafür verwandte.) Ich redete mir ein, dass meine Gefühle völlig normal waren, trotz aller Beweise des Gegenteils – wie mir etwa die Bekannte vor Augen führte, die ich zufällig traf und die gerade erfahren hatte, dass sie, zum ersten Mal seit zwei Jahren und nachdem sie ein Vermögen für Fruchtbarkeitsbehandlungen ausgegeben hatte, schwanger war. Sie war völlig ekstatisch. Sie habe, erzählte sie mir, schon seit einer Ewigkeit Mutter werden wollen. Und sie gestand, dass sie insgeheim schon seit Jahren Babykleidung kaufte und sie unter ihrem Bett versteckte, damit ihr Mann sie nicht fände. Ich sah die -Freude in ihren Augen und erkannte sie wieder. Das war genau die Freude, die ein Jahr zuvor aus meinen Augen geleuchtet hatte, als ich erfuhr, dass die Zeitschrift, für die ich damals arbeitete, mich beauftragen wollte, nach Neuseeland zu reisen, um einen Artikel über die Suche nach Riesentintenfischen zu schreiben. Und ich dachte mir: Solange ich beim Gedanken an ein Baby nicht genauso verzückt bin wie bei der Vorstellung, nach Neuseeland zu fliegen, um einen Riesentintenfisch zu suchen, solange kann ich kein Kind kriegen.

Ich will nicht mehr verheiratet sein.

Am helllichten Tag wies ich diese Vorstellung zurück, nachts aber verzehrte sie mich. Was für eine Katastrophe! Was für eine geradezu verbrecherisch dumme Kuh war ich, mich so weit in eine Ehe hineinzubegeben, nur um mich dann davonzumachen? Wir hatten dieses Haus doch erst vor einem Jahr gekauft! Hatte ich mir dieses schöne Haus nicht gewünscht? Hatte es mir nicht gefallen? Warum also irrte ich nun Nacht für Nacht und heulend wie Medea durch seine Korridore? War ich nicht stolz auf all das, was wir angehäuft hatten – das prestigeträchtige Heim im Hudson Valley, die Wohnung in Manhattan, die acht Telefonanschlüsse, die Freunde und die Picknicks und die Partys, die Wochenenden, die wir damit verbrachten, durch irgendwelche kastenförmigen Supermärkte unserer Wahl zu streifen und immer mehr Geräte auf Kredit zu kaufen? Ich hatte mich jeden einzelnen Augenblick aktiv am Aufbau unseres gemeinsamen Lebens beteiligt – warum also hatte ich das Gefühl, dass nichts davon mit mir zu tun hatte? Warum fühlte ich mich so überwältigt von Pflichten, hatte ich es so satt, Brotverdienerin und Putzfrau, Organisatorin von Geselligkeit und Gassi-Geherin, Ehefrau und bald auch noch Mutter zu sein und – irgendwann dazwischen auch noch – Schriftstellerin …?

Ich will nicht mehr verheiratet sein.

Mein Mann schlief nebenan in unserem Bett. Ich liebte ihn und konnte ihn nicht ausstehen – beides gleichermaßen. Ich konnte ihn nicht wecken, um ihm meine Verzweiflung zu schildern – welchen Sinn hätte es gehabt? Er sah meinem Niedergang ja nun schon seit Monaten zu, sah, dass ich mich aufführte wie eine Wahnsinnige (auf diese Bezeichnung hatten wir uns geeinigt), und ich erschöpfte ihn nur. Wir wussten beide, dass mit mir etwas nicht stimmte, und allmählich verlor er die Geduld. Wir hatten gestritten und geweint und waren so müde, wie nur ein Paar, dessen Ehe den Bach runtergeht, müde sein kann. Wir hatten die Augen von Flüchtlingen.

Die vielen Gründe, warum ich nicht mehr die Frau dieses Mannes sein wollte, sind zu persönlich und zu traurig, als dass ich sie hier schildern wollte. Vieles hatte damit zu tun, dass ich mich im Laufe der Jahre emotional gewandelt hatte, aber ein Gutteil unserer Probleme hing auch mit ihm zusammen. Das ist nur natürlich; eine Ehe besteht schließlich immer aus zweien – zwei Stimmen, zwei Meinungen, zwei gegensätzlichen Entscheidungen, Wünschen. Aber ich glaube nicht, dass es mir zusteht, diese Fragen in meinem Buch zu erörtern; ebensowenig würde ich jemanden bitten, mir zu glauben, ich sei in der Lage, eine unparteiische Version unserer Geschichte wiederzugeben, und folglich bleibt die -Geschichte des Scheiterns unserer Ehe hier unerzählt. Auch all die Gründe, warum ich seine Frau bleiben wollte oder warum ich ihn liebte und warum ich ihn geheiratet hatte und warum ich mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen konnte, beziehungsweise all das, was so wunderbar an ihm war, will ich hier nicht erörtern. Über nichts davon werde ich mich hier verbreiten. Möge es genügen zu sagen, dass er in dieser Nacht noch immer in gleichem Maße mein Leuchtturm und mein Albatros war. Das Einzige, was mir noch undenkbarer erschien als zu gehen, war, zu bleiben; und das Einzige, was noch unmöglicher war als zu bleiben, war, zu gehen. Ich wollte niemanden und nichts zerstören. Ich wollte nur leise durch die Hintertür hinausschleichen, ohne Aufhebens oder irgendwelche Folgen zu provozieren, und dann nicht mehr aufhören zu laufen, bis ich in Grönland war.

Dieser Teil meiner Geschichte ist nicht glücklich, ich weiß. Aber ich erzähle davon, weil auf diesem Badezimmerfußboden etwas geschah, das mein Leben für immer verändern sollte – fast so wie bei einem dieser verrückten astronomischen Ereignisse, bei denen beispielsweise völlig grundlos ein Planet im Weltraum sich wendet, der flüssige Kern verrutscht, die Pole sich neu ausrichten und die Form sich so radikal verändert, dass die ganze Planetenmasse auf einmal elliptisch ist statt rund. So in etwa.

Das Ereignis bei mir war, dass ich anfing zu beten.

Sie wissen schon – zu Gott und so weiter.

3

Also, das war eine Premiere für mich. Und da ich hier jenes schwer befrachtete Wort »Gott« in mein Buch einführe, und es ein Wort ist, das auf all diesen Seiten noch häufig auftauchen wird, scheint es mir nur recht und billig, hier einen Moment zu verweilen und genau zu erklären, was ich meine, wenn ich es verwende, einfach damit die Leute sofort wissen, wie viel Anstoß sie daran zu nehmen haben.

Den Streit über Gottes Existenz würde ich allerdings gerne vertagen (nein – ich habe eine noch bessere Idee: schenken wir ihn uns doch komplett!) und als Erstes erklären, warum ich das Wort »Gott« verwende, wo ich doch genauso gut Jehova, Allah, Shiva, Brahma, Vishnu oder Zeus sagen könnte. Alternativ wäre auch noch das »Das« denkbar, wie Gott in den alten Sanskritschriften genannt wird und das der allumfassenden und unaussprechlichen Entität, die ich manchmal erfahren habe, wohl nahe käme. Aber dieses »Das« kommt mir zu unpersönlich vor – eher wie ein Ding als ein Wesen –, und ich zumindest kann zu einem Das nicht beten. Ich brauche einen Eigennamen, um eine persönliche Anwesenheit wirklich als solche zu spüren. Aus genau diesem Grund wende ich mich, wenn ich bete, nicht ans Universum, die große Leere, die Kraft, das höchste Wesen, das Ganze, den Schöpfer, das Licht, die höhere Macht, ja nicht einmal an die poetischste Manifestation des Namens Gottes, den »Wechsel der Finsternis«, der, glaube ich, den gnostischen Evangelien entnommen ist.

Ich habe nichts gegen all diese Bezeichnungen. Für mich haben sie alle denselben Stellenwert, weil sie gleichermaßen angemessene oder unangemessene Beschreibungen des Unbeschreiblichen sind. Dennoch brauchen wir einen zweckdienlichen Namen für dieses Unbeschreibliche, und »Gott« ist der Name, der mir am sympathischsten ist und den ich daher verwende. Im Allgemeinen beziehe ich mich auf Gott als »Ihn« – ohne damit eine Aussage über das natürliche Geschlecht machen zu wollen, schon gar nicht sehe ich darin einen Revolutionsgrund. Natürlich habe ich auch nichts -dagegen, wenn andere Leute Gott »Sie« nennen, und verstehe auch den Drang, aus dem heraus sie das tun. Noch einmal: Für mich sind das gleichwertige Begriffe, in gleicher Weise angemessen oder unangemessen – obwohl ich finde, dass die Großschreibung der beiden Pronomina eine nette Geste ist, ein Zeichen von Höflichkeit in Gegenwart des Göttlichen.

Kulturell betrachtet, bin ich Christin, nicht aber in theologischer Hinsicht. Geboren wurde ich als Protestantin. Und während ich den großen Lehrer des Friedens, der Jesus hieß, wirklich liebe und mir auch das Recht vorbehalte, mich in schwierigen Situationen zu fragen, was er an meiner Stelle wohl tun würde, kann ich jene unumstößliche Regel des Christentums, die besagt, dass Christus der alleinige Weg zu Gott sei, einfach nicht schlucken. Deshalb kann ich mich streng genommen nicht als Christin bezeichnen. Die meisten Christen, die ich kenne, begegnen meinen diesbezüglichen Gefühlen mit Respekt und Aufgeschlossenheit. Allerdings nehmen es die Christen, die ich kenne, auch nicht allzu streng. Diejenigen aber, die es streng nehmen (und ebenso denken), kann ich hier nur meines Bedauerns ob eventuell verletzter Gefühle versichern, und ich werde mich fortan aus ihren Angelegenheiten heraushalten.

Normalerweise haben mich die Mystiker aller Religionen fasziniert. Immer habe ich mit atemloser Erregung auf all jene reagiert, die sagen, dass Gott nicht in einer dogmatischen Schrift oder auf einem fernen Thron im Himmel wohnt, sondern uns wirklich ganz nahe ist – und noch viel näher, als wir es uns vorstellen können, ja, dass er direkt durch unsere Herzen atmet. Dankbar begrüße ich jeden, der je in die Mitte dieses Herzens vorgestoßen und dann wieder in die Welt zurückgekehrt ist, um uns Übrigen zu berichten, dass Gott eine Erfahrung äußerster Liebe ist. In allen Religionen der Erde hat es Heilige und Mystiker gegeben, die genau von dieser Erfahrung berichten. Leider sind viele von ihnen im Gefängnis gelandet oder wurden getötet. Trotzdem habe ich eine sehr hohe Meinung von ihnen.

Letztlich ist das, was ich über Gott glaube, ganz einfach. Nämlich ungefähr so: Ich hatte mal einen wirklich tollen Hund. Er stammte aus dem Tierheim und war eine Promenadenmischung aus vielleicht zehn verschiedenen Rassen, schien aber von allen nur die besten Eigenschaften geerbt zu haben. Er war braun. Wenn Leute mich fragten: »Was ist das für ein Hund?«, gab ich stets dieselbe Antwort: »Das ist ein brauner Hund.« Stellt nun jemand die Frage: »An welchen Gott glaubst du?«, ist meine Antwort genauso simpel: »Ich glaube an einen großen Gott.«

4

Natürlich hatte ich seit jener Nacht auf dem Badezimmerfußboden viel Zeit gehabt, meine Ansichten über das Göttliche zu formulieren. Mitten in jener Novemberkrise jedoch war mir nicht daran gelegen, meine Ansichten in theologische Begriffe zu fassen. Mich interessierte einzig und allein, mein Leben zu retten. Endlich wurde mir bewusst, dass ich offenbar einen Zustand hoffnungsloser und lebensbedrohlicher Verzweiflung erreicht hatte, und mir fiel ein, dass Menschen in einer solchen Verfassung zuweilen Gott um Hilfe bitten. Ich glaube, ich hatte es in irgendeinem Buch gelesen.

Was ich Gott zwischen meinen heftigen Schluchzern mitteilte, war ungefähr Folgendes: »Hallo, Gott. Wie geht es dir? Ich bin Liz. Ich freue mich, dich kennen zu lernen.«

Ja, richtig – ich unterhielt mich mit dem Schöpfer des Universums, als wäre er mir soeben auf einer Cocktailparty vorgestellt worden. Aber wir arbeiten eben mit dem, was uns vertraut ist, und das sind nun mal die üblichen Worte, die ich zu Beginn jeder neuen Bekanntschaft sage. Fast hätte ich gesagt: »Ich war immer ein großer Fan deiner Arbeit …«, aber das konnte ich mir gerade noch verkneifen.

»Es tut mir Leid, dich so spät in der Nacht noch zu stören«, fuhr ich fort. »Aber ich stecke ganz arg in der Klemme. Und wenn ich es auch bedauere, dich noch nie direkt angesprochen zu haben, so hoffe ich doch, dass ich dir gegenüber stets dankbar war für all die Segnungen, die du mir bisher hast zuteil werden lassen.«

Als ich daran dachte, musste ich noch heftiger schluchzen. Gott wartete, bis ich fertig war. Ich riss mich so weit zusammen, dass ich fortfahren konnte: »Ich bin, wie du weißt, keine Expertin in Sachen Gebet. Aber könntest du mir bitte helfen? Ich brauche ganz dringend Hilfe. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich brauche eine Antwort. Bitte sag mir, was ich tun soll. Bitte sag mir, was ich tun soll …«

Und so verengte sich das Gebet auf diese schlichte Bitte – bitte sag mir, was ich tun soll –, die ich unablässig wiederholte. Ich weiß nicht mehr, wie viele Male ich so drängte. Ich weiß nur, dass ich insistierte wie jemand, der um sein Leben bettelt. Und die Heulerei nahm kein Ende.

Bis sie – ganz plötzlich – aufhörte.

Ganz plötzlich merkte ich, dass ich nicht mehr weinte. Ich hatte tatsächlich mitten in einem Schluchzer aufgehört. Mein Elend war restlos aus mir herausgesaugt worden. Ich löste die Stirn vom Boden, setzte mich überrascht auf und fragte mich, ob ich jetzt das mächtige Wesen zu Gesicht bekäme, das meine Tränen getrocknet hatte. Aber da war niemand. Ich war einfach nur allein. Und doch nicht wirklich allein. Um mich herum war etwas, was ich nur als kleine Blase der Stille beschreiben kann – eine Stille, die etwas so Besonderes war, dass ich aus Angst, sie zu verscheuchen, nicht einmal ausatmen wollte. Ich war ganz ruhig. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt schon einmal so ruhig gewesen bin.

Dann hörte ich eine Stimme. Bitte nicht erschrecken – es war weder eine alttestamentarische Charlton-Heston-Hollywood-Stimme noch eine, die mir sagte, ich müsse in meinem Hinterhof ein Baseballfeld anlegen. Es war nur meine eigene Stimme, die aus meinem tiefsten Innern sprach. Aber so hatte ich meine Stimme noch nie gehört. Es war meine Stimme, aber sie klang absolut weise, gelassen und sehr mitfühlend. So würde meine Stimme klingen, wenn ich in meinem ganzen Leben nichts als Liebe und Gewissheiten erfahren hätte. Wie soll ich die Wärme und Zärtlichkeit dieser Stimme beschreiben, da sie mir ja die Antwort gab, die meinen Glauben ans Göttliche für immer besiegeln sollte?

Die Stimme sagte: Geh wieder ins Bett, Liz.

Ich atmete aus.

Es war so unmittelbar einleuchtend, es war das Einzige, was ich tun konnte. Eine andere Antwort hätte ich nicht akzeptiert. Einer dröhnenden Stimme, die entweder von mir verlangte, Du musst dich scheiden lassen! oder Du darfst dich nicht scheiden lassen!,hätte ich nicht getraut. Weil das keine echte Weisheit ist. Echte Weisheit gibt in jedem Moment die einzig denkbare Antwort, und in jener Nacht war die Aufforderung zur Rückkehr ins Bett die einzig mögliche Antwort. Geh wieder ins Bett, sagte diese allwissende innere Stimme, weil du um drei Uhr früh an einem Dienstagmorgen im November nicht die endgültige Antwort wissen musst. Geh wieder ins Bett, weil ich dich liebe. Geh wieder ins Bett, weil das Einzige, was dir momentan Not tut, darin besteht, dich auszuruhen und gut auf dich aufzupassen, bis du die Antwort weißt. Geh wieder ins Bett, damit du, wenn der Sturm losbricht, stark genug bist, ihm die Stirn zu bieten. Und der Sturm kommt, meine Liebe. Schon bald. Aber nicht heute Nacht. Und deswegen: Geh wieder ins Bett, Liz.

Zwar besitzt diese Episode alle Kennzeichen des typischen christlichen Bekehrungserlebnisses – die dunkle Nacht der Seele, den Hilferuf, die antwortende Stimme, das Gefühl der Verwandlung. Aber ich würde nicht sagen, dass es eine religiöse Bekehrung für mich war, nicht in der üblichen Weise des Wiedergeboren- oder Gerettetwerdens. Vielmehr würde ich das, was in dieser Nacht geschah, als den Anfang eines religiösen Gesprächs bezeichnen. Die ersten Worte eines offenen und sondierenden Dialogs, der mich Gott zuletzt dann doch sehr nahe bringen sollte.

5

Hätte ich irgendwie ahnen können, dass alles – wie die Schauspielerin Lily Tomlin einmal gesagt hat – erst sehr viel schlimmer wird, ehe es schlimmer wird, dann weiß ich nicht, wie gut ich in jener Nacht geschlafen hätte. Aber sieben sehr schwierige Monate später verließ ich tatsächlich meinen Mann. Als ich mich endlich zu der Entscheidung durchrang, dachte ich, nun sei das Schlimmste vorüber. Was nur zeigt, wie wenig ich von Scheidung verstand.

In der Zeitschrift The New Yorker gab es einmal eine Karikatur. Zwei Frauen redeten miteinander, und die eine sagte zur anderen: »Falls du einen Menschen wirklich kennen lernen willst, musst du dich von ihm scheiden lassen.« Natürlich war meine Erfahrung eher das Gegenteil. Ich würde sagen, dass man sich scheiden lassen muss, wenn man den anderen wirklich nicht mehr kennen will. Denn so war es bei mir und meinem Mann. Ich glaube, wir erschraken beide über das Tempo, mit dem wir uns von zwei Menschen, die einander am besten kannten, in zwei Fremde verwandelten, die einander nicht verstanden. Und diese Fremdheit beruhte auf der entsetzlichen Tatsache, dass wir beide etwas taten, was der andere nie für möglich gehalten hätte; nicht im Traum hätte er gedacht, dass ich ihn tatsächlich verlassen würde, und nicht im Entferntesten konnte ich ahnen, dass er mir das Fortgehen so schwer machen würde.

Als ich meinen Mann verließ, war ich davon überzeugt, dass wir unsere praktischen Angelegenheiten mit einem -Taschenrechner, gesundem Menschenverstand und ein bisschen gutem Willen in wenigen Stunden lösen würden. Ich schlug vor, das Haus zu verkaufen und alle Vermögenswerte fifty-fifty zu teilen; dass wir anders vorgehen könnten, wäre mir nie in den Sinn gekommen. Er fand diesen Vorschlag nicht fair. Also erhöhte ich meine Offerte, schlug sogar diese etwas andere Art des Teilens vor: Wie wäre es, wenn er sämtliche Vermögenswerte übernähme und ich die gesamte Schuld? Aber nicht einmal dieses Angebot führte zu einer Einigung. Nun war ich wirklich ratlos. Wie soll man weiterverhandeln, wenn man schon alle Angebote auf den Tisch gelegt hat? Jetzt konnte ich nur noch auf seinen Gegenvorschlag warten. Da ich ihn verlassen hatte, verbot mir mein Schuldgefühl, zu glauben, dass mir auch nur ein Zehn-Cent-Stück meines in den letzten zehn Jahren verdienten Geldes zustand. Außerdem war es mir aufgrund meiner neu entdeckten Spiritualität ganz wichtig, dass wir nicht stritten. Gegen den Rat aller, die sich um mich sorgten, weigerte ich mich lange Zeit sogar, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen, weil ich auch das als feindseligen Akt betrachtete. Ich wollte das alles ganz Gandhi-mäßig abhandeln. Ganz Nelson-Mandela-mäßig. Allerdings wusste ich damals nicht, dass sowohl Gandhi als auch Mandela Rechtsanwälte waren.

Monate vergingen. Ich hing in der Luft, wartete auf meine Erlösung, wollte wissen, wie die Bedingungen lauteten. Wir lebten getrennt (er war in unsere Wohnung in Manhattan gezogen), aber nichts war geklärt. Rechnungen stapelten sich, Karrieren gerieten ins Stocken, das Haus verkam, und das Schweigen meines Mannes wurde nur von gelegentlichen Mitteilungen unterbrochen, die mich daran erinnerten, was für eine verbrecherisch blöde Kuh ich doch war.

Und dann war da noch David.

All die Komplikationen und Traumata dieser hässlichen Scheidungsjahre wurden durch das Drama mit David – in dessen Arme ich mich während meines Abschieds aus der Ehe stürzte – noch vervielfacht. Habe ich gesagt, »ich stürzte«? Damit wollte ich sagen: Ich tauchte aus meiner Ehe auf und in Davids Arme hinein, genauso wie in einer Comiczeichnung ein Zirkusartist von einer hohen Plattform in eine winzige Tasse mit Wasser springt und restlos darin verschwindet. Ich klammerte mich an David, um meiner Ehe zu entkommen, als wäre er der letzte Hubschrauber, der Saigon verließ. Ich setzte all meine Hoffnungen auf Rettung und Glück auf ihn. Und, ja, ich liebte ihn. Aber wenn mir ein stärkeres Wort als »verzweifelt« einfiele, um zu beschreiben, wie ich ihn liebte, so würde ich es hier verwenden, und verzweifelte Liebe ist ja immer die anstrengendste Form von Liebe.

Nachdem ich meinen Mann verlassen hatte, zog ich sofort zu David. Er war – ist – ein großartiger junger Mann. Geboren in New York, Schauspieler und Schriftsteller, mit diesen braunen, feucht schimmernden italienischen Augen, die mich schon immer (hab ich das schon erwähnt?) um den Verstand gebracht haben. Gewitzt, unabhängig, Vegetarier, vulgär, spirituell und verführerisch. Ein rebellischer Dichter-Yogi aus Yonkers. Gottes eigener sexy Nachwuchs-Baseballspieler. Überlebensgroß. Größer als groß. Oder zumindest für mich. Als meine beste Freundin Susan mich das erste Mal über ihn reden hörte, sah sie meine geröteten Bäckchen und meinte: »Oh mein Gott, Süße, da hast du dir ja was eingebrockt.«

Ich lernte David kennen, weil er in einem Stück spielte, das auf Kurzgeschichten von mir basierte. Er spielte eine Figur, die ich erfunden hatte, was schon irgendwie aufschlussreich ist. Bei blinder Liebe ist es ja immer so, nicht wahr? Bei blinder Liebe erfinden wir immer die Charaktere unserer Partner und verlangen dann von ihnen, dass sie so sind, wie wir sie brauchen, und fühlen uns vernichtend geschlagen, wenn sie sich weigern, die Rolle zu spielen, die wir überhaupt erst für sie geschaffen haben.

Aber, oh, was hatten wir in diesen ersten Monaten für eine herrliche Zeit, als er noch mein romantischer Held und ich seine Traumfrau war! Es war Aufregung und Einklang, wie ich mir beides in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt hätte. Wir erfanden unsere eigene Sprache. Wir machten Tagesausflüge und Kurzreisen. Wir erklommen so manche Gipfel und gingen so manchen Dingen auf den Grund, wir planten gemeinsame Reisen durch die ganze Welt. Wir hatten mehr Spaß dabei, an der Kfz-Zulassungsstelle in der Schlange zu stehen, als die meisten Paare in ihren Flitterwochen. Wir gaben uns denselben Spitznamen, damit uns nichts mehr trennte. Wir setzten uns gemeinsame Ziele, gaben uns Versprechen, leisteten Schwüre und kochten zusammen. Er las mir vor und er wusch meine Wäsche. (Als es das erste Mal passierte, rief ich Susan an, um ihr erstaunt von diesem Wunder zu berichten, als hätte ich soeben ein Kamel erblickt, das ein Münztelefon benutzt. Ich sagte: »Ein Mann hat gerade meine Wäschegewaschen! Ja, sogar meine Feinwäsche mit der Hand gewaschen!« Und sie erwiderte: »Oh mein Gott, Süße, was hast du dir da eingebrockt!«)

Der erste Sommer von Liz und David sah aus wie eine Montage aller Hollywood-Liebesschnulzen, die Sie je gesehen haben, bis hin zum »Tollen in der Brandung« und dem »Hand-in-Hand-durch-goldene-Wiesen-in-den-Sonnen-untergang-Laufen«. Zu dieser Zeit glaubte ich immer noch, dass meine Scheidung problemlos über die Bühne gehen würde, obwohl ich meinen Mann den ganzen Sommer über mit Gesprächen verschonte, damit wir uns beide abregen konnten. Es war ja ohnehin leicht, inmitten solchen Glücks nicht an all die Verluste zu denken. Dann ging der Sommer (auch »Gnadenfrist« genannt) zu Ende.

Am 9. September 2001 traf ich mich zum letzten Mal von Angesicht zu Angesicht mit meinem Mann, da ich nicht ahnte, dass jedes weitere Treffen den vermittelnden Beistand von Anwälten erfordern würde. Wir aßen in einem Restaurant zu Abend. Ich versuchte, über unsere Trennung zu reden, aber wir stritten uns nur. Er ließ mich wissen, dass ich eine Lügnerin und Verräterin sei, dass er mich hasse und nie wieder mit mir sprechen werde. Zwei Tage später erwachte ich nach unruhigem Schlaf und musste erleben, wie zwei entführte Passagierflugzeuge in die zwei höchsten Gebäude meiner Stadt krachten und wie sich alles so Unbesiegbare, das einst beisammen gestanden hatte, jetzt in einen schwelenden Schutthaufen verwandelte. Ich rief meinen Mann an, um mich zu vergewissern, dass er sich in Sicherheit befand, und wir weinten gemeinsam über die Katastrophe, aber ich ging nicht zu ihm. In dieser Woche, als sich jeder in New York im Angesicht dieser Tragödie aller persönlichen Feindseligkeiten enthielt, kehrte ich dennoch nicht zu meinem Mann zurück. Da wurde uns beiden klar, dass es definitiv vorbei war.

Es ist keine besondere Übertreibung, wenn ich sage, dass ich in den folgenden vier Monaten nicht mehr schlief.

Ich hatte mich schon vorher am Boden geglaubt, jetzt aber stürzte (im Einklang mit dem scheinbaren Zusammenbruch der ganzen Welt) mein gesamtes Leben zusammen. Mich schaudert, wenn ich daran denke, was ich David in diesen Monaten unseres Zusammenlebens gleich nach dem 11. September und nach der Trennung von meinem Mann zumutete. Man stelle sich seine Überraschung vor, als er entdecken musste, dass die glücklichste und selbstbewussteste Frau, die er jemals kennen gelernt hatte, in Wirklichkeit – wenn man sie allein antraf – ein finsterer Schlund abgrundtiefen Jammers war. Wieder einmal konnte ich nicht aufhören zu heulen. Und da begann er, sich zurückzuziehen, und ich, die andere Seite meines leidenschaftlichen romantischen Helden zu entdecken – den David, der einsam wie ein Schiffbrüchiger war, kühl bis ins Mark, und mehr persönlichen Freiraum benötigte als eine Herde Bisons.

Davids plötzlicher emotionaler Rückzug wäre wohl auch unter den günstigsten Umständen eine Katastrophe gewesen, da ich die liebevollste und liebeshungrigste Kreatur auf Erden bin (so etwas wie eine Kreuzung zwischen Golden Retriever und Klette). Ich war mutlos und abhängig und brauchte mehr Zuwendung als ein Arm voll zu früh geborener Drillinge. Sein Rückzug machte mich nur noch bedürftiger, und meine Bedürftigkeit ließ ihn noch mehr zurückweichen, bis er dann bald vor meinen geschluchzten Fragen in Deckung ging, Fragen wie Wo willst du hin? oder Was passiert nur mit uns?.

(Kleiner Tipp am Rande: Männer lieben so etwas.)

Tatsache ist: Ich war süchtig nach David geworden (zu meiner Verteidigung, als eine Art »homme fatale« hatte er das gefördert), und nun, da seine Aufmerksamkeit nachließ, litt ich unter den leicht vorhersehbaren Folgen. Abhängigkeit ist das Kennzeichen jeder Liebesgeschichte, die auf Vernarrtheit basiert. Das Ganze beginnt, wenn das Objekt unserer Anbetung uns eine berauschende halluzinogene Dosis einer Empfindung kosten lässt, die zu wünschen wir uns niemals einzugestehen wagten – einen Speedball aus stürmischer Liebe und heftiger Erregung. Bald schon beginnt man sich mit der gierigen Besessenheit eines Junkies nach dieser intensiven Aufmerksamkeit zu verzehren. Wird einem die Droge vorenthalten, fühlt man sich sofort krank, verrückt und leer (ganz zu schweigen vom Groll auf den Dealer, der diese Sucht zuallererst nährte, sich jetzt aber weigert, das gute Zeug herauszurücken [obwohl man doch genau weiß, dass er es irgendwo versteckt hat, verdammt noch mal, weil er es einem früher doch immer gratis gegeben hat]). Im nächsten Stadium findet man sich dann dünn und zitternd in einer Ecke wieder und weiß nur, dass man seine Seele verkaufen oder seine Nachbarn ausrauben würde, nur um es noch ein einziges Mal zu haben. In der Zwischenzeit fühlt sich das Objekt unserer Anbetung von uns abgestoßen. Es sieht uns an, als hätte es uns noch nie gesehen, geschweige denn leidenschaftlich geliebt. Und die Ironie dabei ist, dass man es ihm nicht einmal verdenken kann. Ich meine, sieh dich doch an! Du bist ein einziger Jammerlappen, erkennst dich selbst nicht wieder.

Und das war es dann. Man hat die Endstation der Vernarrtheit erreicht – die rest- und erbarmungslose Entwertung des Selbst.

Die Tatsache, dass ich heute ruhig darüber schreiben kann, ist ein schlagender Beweis für die heilende Kraft der Zeit, denn damals habe ich es nicht leicht verwunden. David zu verlieren, und das gleich nach dem Scheitern meiner Ehe und dem Terroranschlag auf meine Stadt während der Scheidung (eine Erfahrung, die mein Freund Brian mit »einem wirklich schlimmen Autounfall« verglich, »der sich zwei Jahre lang Tag für Tag wiederholt«) – das war einfach zu viel für mich.

Tagsüber hatten David und ich immer noch manchmal unseren Spaß und ergänzten uns blendend, nachts in seinem Bett aber wurde ich zur einzigen Überlebenden eines nuklearen Winters, da er sich sichtlich und sichtbar immer mehr von mir zurückzog, als litte ich unter einer ansteckenden Krankheit. Ich begann die Abende zu fürchten wie einen Folterkeller. Dann lag ich neben dem schönen, unerreichbaren, schlafenden David, steigerte mich in eine panische Einsamkeit und schmiedete detaillierte Selbstmordpläne. Alles tat mir weh. Ich fühlte mich wie eine primitive Maschine mit einer Sprungfeder, die unter weit stärkerer Spannung stand, als sie verkraften konnte, und im Begriff war, unter großer Gefahr für alle Umstehenden zu zerreißen. Meist fand mich David morgens in unruhigem Schlaf auf dem Fußboden neben seinem Bett, auf einem Haufen Handtücher und zusammengerollt wie ein Hund.

»Was ist denn nun schon wieder los?«, fragte er dann – noch einer, der meiner überdrüssig war.

Ich glaube, ich habe damals fast fünfzehn Kilo verloren.

6

Aber nicht alles war schlecht in diesen Jahren …

Mir passierten auch, obzwar überschattet von alldem Kummer, ein paar wunderbare Dinge. Zunächst begann ich endlich, Italienisch zu lernen. Dann fand ich einen indischen Guru. Und schließlich lud mich ein indonesischer Medizinmann ein, für eine Weile bei ihm zu leben.

Aber immer der Reihe nach.

Zunächst einmal ging es schon leicht bergauf, als ich Anfang 2002 bei David auszog und mir zum ersten Mal in meinem Leben eine eigene Wohnung suchte. Zwar konnte ich sie mir nicht leisten, da ich noch immer das große Vororthaus abbezahlte, in dem keiner mehr wohnte und das mir mein Mann zu verkaufen verbot, und rackerte mich ab, damit mir meine Rechnungen und die meines Mannes und all die Rechtsanwalts- und Beratungshonorare nicht über den Kopf wuchsen … Aber eine eigene Wohnung zu haben, war entscheidend für mein Überleben. Ich betrachtete sie geradezu als Sanatorium, als Genesungsheim für meine Wiederherstellung. Ich strich die Wände in den wärmsten Farben, die ich finden konnte, und kaufte mir jede Woche Blumen, so als würde ich mich selbst im Krankenhaus besuchen. Meine Schwester schenkte mir zum Einstand eine Wärmflasche (damit ich in meinem kalten Bett nicht so allein wäre), und jede Nacht schlief ich mit diesem Ding vor meiner Brust, als müsste ich eine Sportverletzung auskurieren.

David und ich hatten uns endgültig getrennt. Oder vielleicht auch nicht. Inzwischen kann ich mich kaum mehr erinnern, wie viele Male wir uns in diesen Monaten trennten und wieder zusammenkamen. Aber es zeichnete sich ein Muster ab: Ich trennte mich von David, gewann meine Kraft und Zuversicht zurück, und seine Leidenschaft entbrannte (aufgrund meiner Kraft und Zuversicht) aufs Neue. Respektvoll, nüchtern und voller Verständnis erörterten wir dann die Möglichkeit, »es noch einmal zu versuchen«, stets mit einem neuen vernünftigen Plan zur Minimierung unserer scheinbaren Unvereinbarkeiten. Weil es uns so wichtig war, es hinzukriegen. Weil es doch einfach nicht sein konnte, dass zwei Menschen so verliebt ineinander waren und dann nicht für immer glücklich wurden! Es musste doch funktionieren, oder? Wiedervereint und mit neuer Hoffnung verbrachten wir ein paar überglückliche Tage miteinander. Oder zuweilen gar Wochen. Aber schließlich zog sich David wieder von mir zurück und ich klammerte mich an ihn (oder aber ich klammerte mich an ihn und er zog sich zurück – wir kriegten nie heraus, wie das Ganze losging), und ich war wieder völlig am Boden zerstört. Und er war wieder weg.

Während der Zeiten jedoch, in denen wir getrennt waren, übte ich – so schwer es mir fiel –, allein zu leben. Und diese Erfahrung brachte einen inneren Wandel in Gang. Allmählich spürte ich, dass ich – auch wenn mein Leben noch immer einem Unfall am New Jersey Turnpike während des Urlaubsverkehrs glich – nahe daran war, ein souveränes Individuum zu werden. Wenn ich mich nicht gerade mit Selbstmordgedanken wegen meiner Scheidung oder meines Dramas mit David herumschlug, fühlte ich mich sogar irgendwie froh angesichts all der freien Momente und Freiräume, die sich auftaten und mir erlaubten, mir die radikal neue Frage zu stellen: »Was willst du eigentlich machen, Liz?«

Die meiste Zeit (die durch meinen Ausstieg aus der Ehe noch immer so belastet war) wagte ich nicht einmal, auf diese Frage zu antworten, freute mich nur heimlich, dass es sie gab. Und als ich schließlich zu antworten begann, war ich zunächst vorsichtig. Nur in kleinen Babyschrittchen erlaubte ich mir, meine Bedürfnisse zu äußern. Etwa so:

Ich will einen Yogakurs besuchen.

Ich möchte diese Party bald verlassen, damit ich nach Hause gehen und ein Buch lesen kann.

Ich will mir einen neuen Federhalter kaufen.

Und dann bekam ich auch immer wieder dieselbe komische Antwort:

Ich möchte Italienisch lernen.

Seit Jahren hatte ich mir gewünscht, Italienisch zu können – eine Sprache, die ich schöner finde als Rosen –, nie aber gelang es mir, das auch sachlich vor mir zu rechtfertigen. Warum paukte ich nicht Französisch oder Russisch, Sprachen, die ich schon vor Jahren gelernt hatte? Oder lernte Spanisch, um besser mit Millionen Lateinamerikanern kommunizieren zu können? Was wollte ich denn mit Italienisch? Schließlich zog ich ja nicht nach Italien. Praktischer wäre es, Akkordeon spielen zu lernen.

Aber warum musste es immer für alles praktische Gründe geben? All die Jahre war ich eine so eifrige kleine Soldatin gewesen – hatte geschuftet, produziert, nie einen Termin versäumt, mich um meine Lieben, mein Zahnfleisch und meinen Kontostand gekümmert, die Wahlen und so weiter. Soll es im Leben denn immer nur um Pflichterfüllung gehen? Brauchte ich in dieser düsteren, verlustreichen Zeit irgendeine andere Rechtfertigung fürs Italienischlernen als die, dass es das Einzige war, was mir momentan Vergnügen bereiten würde? Schließlich erklärte ich ja nicht plötzlich im Alter von zweiunddreißig Jahren: »Ich will Primaballerina der New York City Ballet Company werden.« Eine Sprache lernen, das ist etwas, was man wirklich schaffen kann. Also schrieb ich mich für einen Kurs in einem dieser Fortbildungsinstitute ein (anderweitig auch als Abendschule für geschiedene Frauen bekannt).

Aber ich liebte es. Jedes Wort war ein tschilpender Spatz, ein Zauberkunststück, eine Trüffel für mich. Nach dem Kurs stiefelte ich durch den Regen nach Hause, ließ mir ein heißes Bad ein, lag im Schaum und las mir laut aus meinem italienischen Wörterbuch vor, lenkte mich ab von meinem Scheidungsstress und meinem Herzschmerz. Die Wörter ließen mich entzückt auflachen. Mein Handy begann ich il mio telefonino (»mein klitzekleines Telefon«) zu nennen. Ich entwickelte mich zu einem dieser nervigen Zeitgenossen, die ständig Ciao! sagen. Nur war ich besonders nervig, da ich stets erklärte, woher das Wort Ciao eigentlich kam. (Falls es Sie interessiert: Es ist die Verkürzung einer Wendung, die die mittelalterlichen Venezianer als galanten Gruß gebrauchten: Sono il tuo schiavo! Was so viel heißt wie: »Ich bin dein Sklave!«) Wenn ich diese Worte nur ausspreche, fühle ich mich schon sexy und glücklich. Ich solle mir deswegen aber keine Sorgen machen, meinte meine Scheidungsanwältin; sie habe eine Mandantin (koreanischer Herkunft) gehabt, die nach einer Scheidung ihren Namen italianisieren ließ, nur um sich wieder sexy und glücklich zu fühlen.

Vielleicht zog ich ja doch noch nach Italien …

7

Die andere wichtige Sache, die sich in meinem Leben tat, war das neu entdeckte Abenteuer der spirituellen Disziplin. Unterstützt und begünstigt durch die Begegnung mit einem leibhaftigen indischen Guru – eine Begegnung, für die ich David stets zu Dank verpflichtet sein werde. Mit meinem Guru war ich schon bekannt geworden, als ich David zum ersten Mal besuchte. Irgendwie verliebte ich mich in beide gleichzeitig. Ich marschierte in Davids Wohnung, sah auf seiner Kommode das Bild einer strahlend schönen Inderin stehen und fragte: »Wer ist das?«

»Das ist meine geistige Führerin«, erwiderte er.

Für einen kurzen Moment setzte mein Herz aus, stolperte dann voll über sich selbst und landete auf dem Bauch. Dann rappelte es sich wieder auf, atmete tief durch und verkündete: Ich will eine geistige Führerin. Und ich meine damit buchstäblich, dass es mein Herz war, das das gesagt hat, indem es durch meinen Mund sprach. Ich spürte diese merkwürdige Gespaltenheit in mir, mein Geist trat für einen Augenblick aus meinem Körper heraus, wirbelte herum, um erstaunt mein Herz anzusehen und stumm zu fragen: Ist das wahr?

Ja, erwiderte mein Herz. Es ist wahr.

Dann fragte mein Geist mein Herz ein wenig sarkastisch: Seit wann?

Aber ich kannte die Antwort schon – seit jener Nacht auf dem Badezimmerfußboden.

Mein Gott, wie sehr ich mir eine spirituelle Führerin wünschte! Sofort malte ich mir aus, wie es wohl wäre, eine zu haben. Ich stellte mir vor, dass diese strahlend schöne Inderin ein paar Abende pro Woche zu mir käme und wir zusammensitzen und Tee trinken und über das Göttliche sprechen würden, und sie gäbe mir Bücher zu lesen und würde mir erklären, was die seltsamen Gefühle zu bedeuten hatten, die ich während des Meditierens verspürte …

Diese Fantasien waren im Nu weggefegt, als David mir von dem internationalen Renommee dieser Frau erzählte, von ihren unzähligen Schülern – von denen viele sie noch nie in ihrem Leben von Angesicht zu Angesicht gesehen hatten. Aber, sagte er, jeden Dienstag träfen sich hier in New York die Anhänger der Meisterin, um gemeinsam zu meditieren und zu chanten. »Wenn dich die Vorstellung, mit mehreren Hundert Leuten in einem Raum zu sitzen, die Gottes Namen auf Sanskrit chanten, nicht abschreckt«, meinte David, »kannst du ja mal mitkommen.«

Ich begleitete ihn am darauf folgenden Dienstagabend. Weit entfernt davon, wegen dieser völlig normal wirkenden Leute, die da Gott singend lobpreisten, abgeschreckt zu sein, spürte ich vielmehr, wie sich meine Seele im Gefolge dieses Chantens in die Höhe schwang. Als ich an diesem Abend nach Hause ging, war mir, als würde die Luft durch mich hindurchstreichen, als wäre ich ein sauberes Leintuch, das auf einer Wäscheleine flattert. Fortan ging ich jeden Dienstag zum Chanten. Dann meditierte ich allmorgendlich über das uralte Sanskritmantra, das die Meisterin all ihren Schülern aufgibt (das königliche Om Namah Shivah, was so viel heißt wie: »Ich ehre die Gottheit, die in mir wohnt«). Und als Nächstes fuhr ich zu den Ashrams, die sie im Norden des Bundesstaats New York betreibt. Dort hörte ich die Meisterin zum ersten Mal persönlich und bekam bei ihren Worten am ganzen Körper Gänsehaut, sogar im Gesicht. Und als ich hörte, dass sie auch einen Ashram in Indien besaß, wusste ich, dass ich da so schnell wie möglich hinmusste.

8

Zwischenzeitlich aber musste ich aus beruflichen Gründen nach Indonesien reisen.

Gerade als ich mir besonders Leid tat, weil ich pleite und einsam war und aus meinem Internierungslager für Scheidungsopfer nicht mehr herauskam, rief mich die Redakteurin eines Frauenmagazins an und fragte, ob sie mir den Flug nach Bali bezahlen könne, damit ich einen Artikel über Yogaurlaub schriebe. Im Gegenzug stellte ich ihr eine Reihe von Fragen, hauptsächlich von der Sorte: Ist eine Bohne grün? Oder dergleichen.

Als ich auf Bali ankam (eine sehr schöne Insel, um es kurz zu machen), fragte uns die Lehrerin, die das Yogazentrum leitete: »Da Sie nun alle hier sind … Möchte vielleicht einer von Ihnen einen balinesischen Medizinmann besuchen, der schon in neunter Generation praktiziert?« Eine Frage, auf die sich die Antwort erübrigte, so dass wir eines Abends geschlossen zu dessen Haus marschierten.

Der Medizinmann war, wie sich herausstellte, ein kleiner bräunlicher alter Knabe mit lustigen Äuglein und fast zahnlosem Mund, dessen in jeder Hinsicht verblüffende Ähnlichkeit mit der Star-Wars-Figur Yoda sich gar nicht genug betonen lässt. Er hieß Ketut Liyer. Er sprach ein konfuses und überaus unterhaltsames Englisch, doch für den Fall, dass er dennoch einmal ins Stocken geriet, war auch ein Übersetzer zugegen.

Unsere Yogalehrerin hatte uns schon vorher gesagt, dass jeder von uns dem Medizinmann eine Frage stellen oder ein Problem vorlegen dürfe und dieser versuchen würde, uns zu helfen. Ich hatte tagelang darüber gebrütet, was ich ihn fragen könnte. Meine ersten Einfälle waren ja so kläglich. Können Sie bewirken, dass mein Mann der Scheidung zustimmt? Können Sie erreichen, dass David sich wieder sexuell von mir angezogen fühlt? Und ich schämte mich – mit gutem Recht – dafür. Wer reist schließlich um die halbe Welt, um einen uralten Medizinmann in Indonesien zu bitten, bei irgendeinem Beziehungsknatsch zu vermitteln?

Und als der alte Mann mich dann persönlich fragte, was ich mir wirklich wünschte, fand ich andere, wahrere Worte.

»Ich wünsche mir eine anhaltende Gotteserfahrung«, sagte ich ihm. »Manchmal habe ich das Gefühl, ich verstünde die Göttlichkeit dieser Welt, aber dann verliere ich dieses Gefühl wieder, weil ich von meinen kleinlichen Wünschen und Ängsten abgelenkt werde. Ich möchte Gott beständig nahe sein. Aber ich will nicht ins Kloster gehen oder den weltlichen Freuden völlig entsagen. Ich glaube, ich will lernen, wie man in dieser Welt leben und ihre Freuden genießen kann, ohne Gott zu vernachlässigen.«

Ketut meinte, er könne meine Frage mit einem Bild beantworten. Er zeichnete mit ein paar groben Strichen eine Skizze und reichte sie mir. Es war eine androgyne Gestalt, aufrecht stehend und die Hände zum Gebet gefaltet. Allerdings hatte diese Figur vier Beine und keinen Kopf. Wo sich der Kopf hätte befinden müssen, war nur wildes Laubwerk aus Farnen und Blumen. Über dem Herzen sah man ein kleines lächelndes Gesicht.

»Damit Sie das Gleichgewicht finden, das Sie sich wünschen«, sprach Ketut aus dem Mund seines Übersetzers, »müssen Sie so werden. Sie müssen mit den Füßen so fest auf dem Boden stehen, als hätten Sie vier und nicht nur zwei Beine. Dann können Sie in der Welt bleiben. Aber Sie müssen aufhören, die Welt mit dem Kopf zu betrachten. Sie müssen sie mit dem Herzen sehen. Auf diese Weise werden Sie Gott erkennen.«

Dann fragte er mich, ob er meine Hand lesen dürfe. Ich reichte ihm meine Linke, und er fing an, mich zusammenzufügen wie ein dreiteiliges Puzzle.

»Sie sind eine Weltreisende«, begann er.

Wasich für eine ein wenig offensichtliche Feststellung hielt angesichts der Tatsache, dass ich mich in diesem Augenblick in Indonesien befand, aber ich hakte nicht nach …

»Sie haben mehr Glück als alle, die mir jemals begegnet sind. Sie werden lange leben, viele Freunde haben und zahlreiche Erfahrungen machen. Sie werden die ganze Welt sehen. Nur ein einziges Problem gibt es in Ihrem Leben. Sie machen sich zu viele Sorgen. Und immer reagieren Sie zu emotional, sind zu nervös. Wenn ich Ihnen verspreche, dass Sie fortan keinen Grund mehr haben werden, sich über irgendetwas Sorgen zu machen, glauben Sie mir dann?«

Nervös nickte ich, ohne ihm Glauben zu schenken.

»Beruflich machen Sie etwas Kreatives – vielleicht sind Sie Künstlerin – und werden gut dafür bezahlt. Für diese Arbeit wird man Sie immer gut bezahlen. Mit Geld gehen Sie großzügig um, vielleicht sogar zu großzügig. Auch hier gibt es wieder ein Problem. Einmal in Ihrem Leben werden Sie alles verlieren. Und ich glaube, das könnte schon bald sein.«

»Ich glaube, es wird in den nächsten sechs bis zehn Monaten sein«, sagte ich, da ich an meine Scheidung dachte.

Ketut nickte, als wolle er sagen: Ja, das kommt ungefähr hin. »Aber machen Sie sich keine Sorgen«, meinte er. »Nachdem Sie alles verloren haben, bekommen Sie alles wieder zurück. Es wird Ihnen gleich darauf wieder gut gehen. Sie werden zweimal verheiratet sein. Einmal kurz und einmal lang. Und Sie werden zwei Kinder haben …«

Ich wartete, dass er sagte, »eins kurz, das andere lang«, doch plötzlich schwieg er und blickte stirnrunzelnd auf meine Hand. »Merkwürdig …«, sagte er dann – was man weder von einem Wahrsager noch von seinem Zahnarzt hören möchte. Er bat mich, direkt unter die herabhängende Glühlampe zu treten, damit er besser sehen könne.

»Ich habe mich geirrt«, verkündete er. »Sie werden nur ein Kind bekommen. Erst spät, eine Tochter. Vielleicht. Falls Sie sich dafür entscheiden … Aber da ist noch etwas anderes.« Er runzelte die Stirn, dann schaute er auf, plötzlich absolut zuversichtlich: »Irgendwann, schon bald, werden Sie nach Bali zurückkehren. Sie müssen. Sie werden drei, vielleicht auch vier Monate bleiben. Und meine Freundin werden. Vielleicht werden Sie bei meiner Familie leben. Ich kann Englisch mit Ihnen üben. Ich hatte nie jemanden, mit dem ich hätte üben können. Ich glaube, Sie können gut mit Wörtern umgehen. Ich glaube, diese kreative Arbeit, die Sie machen, hat mit Wörtern zu tun, nicht wahr?«

»Ja«, erwiderte ich. »Ich bin Schriftstellerin. Ich schreibe Bücher!«

»Sie sind eine Schriftstellerin aus New York«, sagte er zustimmend, bekräftigend. »Also werden Sie nach Bali zurückkehren und hier leben und mich in der englischen Sprache unterrichten. Und ich werde Ihnen alles beibringen, was ich weiß.«

Dann stand er auf und rieb sich die Hände, als wolle er sagen: Abgemacht.

»Wenn Sie das ernst meinen«, sagte ich, »meine ich es auch ernst.«

Er strahlte mich zahnlos an und sagte: »See you later, alligator.«

9

Wenn ein in neunter Generation praktizierender balinesischer Medizinmann mir sagt, es sei mir bestimmt, ein zweites Mal nach Bali zu reisen und dort vier Monate bei ihm zu leben, dann bin ich der Typ Mensch, der denkt, dass ich jede denkbare Anstrengung unternehmen sollte, um das auch zu realisieren. Und so begann die Idee eines Reisejahres schließlich Gestalt anzunehmen. Irgendwie musste ich wieder nach Indonesien zurückkehren, und diesmal auf eigene Kosten. Das war offensichtlich. Obwohl ich mir angesichts meines chaotischen Lebens noch nicht so recht vorstellen konnte, wie. (Da war nicht nur eine Scheidung auszuhandeln, gab es nicht nur die Probleme mit David, ich hatte auch immer noch meinen Job bei der Zeitschrift, der mich davon abhielt, drei bis vier Monate am Stück zu verreisen.) Aber ich musste wieder hin. Nicht wahr? Schließlich hatte er es mir vorhergesagt! Das Problem bestand darin, dass ich auch nach Indien wollte, um den Ashram meiner Meisterin zu besuchen, und auch eine Reise nach Indien ist eine teure und zeitaufwändige Angelegenheit. Und um das Ganze noch komplizierter zu machen: Ich brannte schon eine Weile darauf, nach Italien zu gehen, in erster Linie, um mein Italienisch vor Ort zu praktizieren, aber auch, weil mich die Vorstellung reizte, einmal eine Zeit lang in einem Land zu leben, in dem man Vergnügen und Schönheit verehrt.

All diese Wünsche waren nicht leicht miteinander in Einklang zu bringen. Vor allem Italien und Indien nicht. Was war wichtiger? Der Teil von mir, der vongole