Echt jetzt? Felix und das wahre Leben - Klaus-Peter Wolf - E-Book
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Echt jetzt? Felix und das wahre Leben E-Book

Klaus-Peter Wolf

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Beschreibung

Witziges Kinderbuch für Jungs ab 10 Jahren von Erfolgsautor Klaus-Peter Wolf Felix hat alle Hände voll damit zu tun, seinem chaotischen Vater immer wieder aus der Patsche zu helfen. Aber wirklich schwierig wird es, als sein Vater eine Liebes-SMS an die falsche Handynummer schickt. Felix springt mit einer gewagten Lüge ein: Er gibt die SMS als seine eigene aus und kommt damit unbeabsichtigt zu Susi als seiner Freundin. Damit zieht er allerdings den Hass ihres Ex-Freundes Ulf auf sich, der dummerweise der größte Schlägertyp der Schule ist ... Mit viel Witz und einem kreativen Umgang mit der Wahrheit überlebt Felix sein Alltagschaos – zum Fremdschämen und Schlapplachen. Neuausgabe der ersten beiden Geschichten der Felix-Serie in einem Band mit aktuellem Nachwort des Autors.  Serie bei Antolin gelistet Band 2 erscheint im Herbst 2024

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Seitenzahl: 231

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Klaus-Peter Wolf

Echt jetzt?

Felix und das wahre Leben

Band 1

 

 

Illustriert von Sebastian Heidel

Über dieses Buch

 

 

Felix hat alle Hände voll damit zu tun, seinem chaotischen Vater immer wieder aus der Patsche zu helfen. Aber wirklich schwierig wird es, als sein Vater eine Liebes-SMS an die falsche Handynummer schickt. Felix springt mit einer gewagten Lüge ein: Er gibt die SMS als seine eigene aus und kommt damit unbeabsichtigt zu Susi als seiner Freundin. Damit zieht er allerdings den Hass ihres Ex-Freundes Ulf auf sich, der dummerweise der größte Schlägertyp der Schule ist ...

Mit viel Witz und einem kreativen Umgang mit der Wahrheit überlebt Felix sein Alltagschaos – zum Fremdschämen und Schlapplachen. Neuausgabe der ersten beiden Geschichten der Felix-Serie in einem Band mit aktuellem Nachwort des Autors. 

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Klaus-Peter Wolf, 1954 in Gelsenkirchen geboren, lebt als freier Schriftsteller in der ostfriesischen Stadt Norden. Seine Bücher sind mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, in 26 Sprachen übersetzt und über vierzehn Millionen Mal verkauft worden. Mehr als 60 seiner Drehbücher wurden verfilmt, darunter viele für den »Tatort«. Bekannt ist Klaus-Peter Wolf vor allem für seine Ostfriesland-Krimis, zudem ist er ein erfolgreicher Kinder- und Jugendbuchautor. 

Inhalt

Echt jetzt? Felix und das wahre Leben. Erster Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

Echt jetzt? Felix und das wahre Leben. Zweiter Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

Nachwort zur Felix-Reihe

Echt jetzt? Felix und das wahre Leben. Erster Teil

1

In der Schule lernt man echt nur Mist. Völlig unnötiges Zeug. Was man wirklich braucht im Leben, bringt einem da keiner bei. Lügen zum Beispiel. Gut zu lügen ist unheimlich schwer. Eine richtige Kunst ist es und nichts für Blödies.

Erst mal muss man wissen, wann eine Lüge besser ist als die Wahrheit. Gestern zum Beispiel: Im Friseurgeschäft meiner Mama saß eine neue Kundin. Lange blonde Haare und gut zehn Jahre jünger als sie. Ich wollte nur schnell durch den Laden huschen, aber Mama hielt mich fest. »Sehen Sie, Frau Sommer, das ist mein Sohn Felix. Felix, sag der Dame guten Tag.«

Hätte ich jetzt sagen sollen: »Wir kennen uns, Mama. Gestern Morgen hat Frau Sommer noch mit Papa gefrühstückt. Sie hatte das Oberteil von seinem Schlafanzug an. Er die Hose. Weißt du, der Schlafanzug mit den silbernen und blauen Streifen, den du Papa zu Weihnachten geschenkt hast. Als Frau Sommer die Milch aus dem Kühlschrank geholt hat, habe ich das Tattoo auf ihrem Po gesehen. Das ist Klasse! Ein bunter Clown. Lässt du dir auch so etwas machen? Papa gefällt’s.«

Ja, das wäre die Wahrheit gewesen. Aber ich erkannte glasklar: Jetzt ist eine Lüge für alle Beteiligten besser.

Also gab ich Frau Sommer brav die Hand und log: »Nett, Sie kennenzulernen. Ich heiße Felix. Felix Schnupfen. Schnupfen wie Husten. Nur ohne Keuchen.«

Sagte ich schon, dass meine Eltern geschieden sind? Ja, sie können sich nicht mehr ausstehen. Wenn es mich nicht gäbe, hätten sie längst jede Verbindung zueinander abgebrochen. Aber da sie mich nun einmal haben, geht das nicht. Ich bin eine Art Brücke oder Klebstoff. Und Mama ist immer noch eifersüchtig. Sie will es nicht sein, aber sie ist es. Mir kann sie nichts vormachen. Es tut ihr jedes Mal wieder weh, wenn sie hört, dass Papa eine Neue hat.

Zum Lügen: Erstens muss man wissen, wann man lügen soll. Zweitens, was die anderen hören wollen. Eine gute Lüge ist nämlich nichts anderes als der Versuch, dem anderen das zu erzählen, was er gerne hören möchte.

Zum Beispiel: Du hast dir Fischstäbchen und Pommes zu Mittag gewünscht. Deine Mama stellt aber Reis mit gedünstetem Gemüse auf den Tisch. Das Ganze schmeckt noch beschissener, als es aussieht. Jetzt kannst du ihr das natürlich sagen. Besser ist es aber, Magenschmerzen zu erfinden. Dann ist sie nämlich nicht beleidigt, sondern sogar besorgt um dich. Sie gibt dir keinen Stubenarrest, sondern kocht dir einen Tee. Mit ein bisschen Glück musst du nicht mal deine Hausaufgaben machen, sondern sie schreibt dir eine Entschuldigung. Die Lüge ist also ein Volltreffer.

Richtig gutes Lügen macht alle Menschen ein bisschen glücklicher. Stell dir vor, du hast eine Fünf im Diktat. Es nützt gar nichts, wenn du deinen Eltern vorlügst, es sei eine Sechs. Nein, das wäre eine total blöde Lüge. Die macht keinen glücklich. Im Gegenteil. Besser ist es, eine Vier zu erfinden. Oder eine Drei. Na klar, wenn man sowieso lügt, warum nicht gleich eine Eins? Tja, das ist eben die besondere Kunst des Lügens. Man sollte versuchen, so nah wie möglich bei der Wahrheit zu bleiben.

Immer klappt das nicht. Manchmal helfen auch die besten Lügen nichts mehr. Jahrelang habe ich versucht, mit Lügen die Ehe meiner Eltern zu retten. Als Papa mal wieder auf einer Sauftour mit seiner Band »Die Piraten« versackt ist, habe ich für Mama sogar Außerirdische erfunden. Ich habe ihr erzählt, die hätten Papa in ihrem Raumschiff entführt. Das hat Mama zwar nicht glücklich gemacht, aber sie war wenigstens nicht wütend auf ihn. Das änderte sich schlagartig, als er unrasiert, pleite und verkatert nach Hause kam. Er grinste Mama an und sagte: Schau nicht so, Schatz. Ich habe mit meinen Kumpels an einem neuen Song gearbeitet.«

Also, Lügen helfen nur, wenn sie auch glaubhaft sind.

Meine Eltern sind so unterschiedlich, wie Menschen nur sein können. Meine Mama trinkt zum Essen Mineralwasser mit wenig Kohlensäure, mein Papa Bier. Meine Mama findet, Raucher sind dumme Stinker, mein Papa dagegen hält Nichtraucher für verklemmte Gesundheitsapostel. Kein Wunder, dass sie nicht miteinander leben konnten. Aber ich soll es schaffen. Vierzehn Tage wohne ich mit Papa in seiner »überdachten Müllhalde«, wie Mama seine Wohnung in der Gierather Straße nennt. Die Gierather Straße verbindet Köln und Bergisch Gladbach. Pa wohnt gerade noch in Köln. Ein paar Häuser weiter beginnt schon Bergisch Gladbach. Für die Kölner ist das schon Bergisch Gladbach und die Gladbacher behaupten natürlich, es sei Köln.

Die restlichen vierzehn Tage wohne ich bei Mama, über dem Friseursalon in der Bergisch Gladbacher Straße, in ihrer »keimfreien Puppenstube«. So nennt Papa Mamas Wohnung.

Ich weiß eigentlich nie so richtig, wo ich hingehöre.

Ich erzähle bei Mama nur Gutes über Papa und bei Papa nur Gutes über Mama. Das ist dann entweder erlogen oder erfunden oder zumindest geschummelt. Ich weiß, die zwei kommen nicht mehr zusammen. Aber die Hoffnung habe ich trotzdem nicht aufgegeben. In diesem Fall belüge ich mich wohl selber. Aber wer tut das nicht?

Mein Papa zum Beispiel, der spielt den Rockstar. Er kennt ganz viele echte Stars. Er duzt sie und nennt sie seine Freunde, wenn er über sie redet. Aber sie lassen ihn nicht in ihren Bands mitspielen. An seinem Geburtstag hat ihn auch noch nie einer von ihnen besucht. Aber für ihre Konzerte bekommen wir meistens Freikarten. Wir dürfen sogar hinter die Bühne. Als ich kleiner war, saß ich bei meinem Pa auf den Schultern. Von da konnte ich gut sehen. Jetzt bin ich zu schwer, stehe meistens neben ihm im Gedrängel und sehe nur Hintern, Hüften oder Bäuche. Für mein Alter bin ich nämlich nicht nur ziemlich schlau, sondern leider auch ziemlich klein.

Heute Abend verdient mein Papa mit seinem Saxophon ausnahmsweise mal Geld. Das ist ihm eher peinlich und keiner darf es wissen. Papa spielt diesmal nämlich nicht richtig guten Blues in einem verrauchten Club. O nein, es ist eine Tanzkapelle, wo unter einem Smoking gar nichts läuft. Den hat er sich von dem Typ geliehen, für den er einspringt. Der heißt Gert und hat Grippe. Papa hofft, dass ihn keiner von seinen Freunden dort sieht, denn er macht diesen Job nur fürs Geld und hasst sich regelrecht dafür. Er fühlt sich, als würde er den Blues verraten, bloß um die Miete bezahlen zu können.

 

Bis zum Wochenende schlafe ich noch bei Mama.

Ich spüre immer gleich, wenn etwas nicht stimmt. Jetzt zum Beispiel. Sie hat ein neues Kostüm an. Dunkelblau oder hellschwarz oder so ähnlich. Darunter eine Bluse, weiß wie frisch gefallener Schnee und der Kragen hart wie eine zugefrorene Pfütze. Dazu schwarze Strümpfe, die seidig glänzen, und hochhackige Schuhe. Wenn sie einen Abend mit mir zu Hause verbringt, sieht sie normalerweise anders aus. Und vor dem Essen hat sie mich so komisch angesehen.

Sie macht gerade eine Entwässerungsdiät. Blöderweise in der Woche, in der ich bei ihr bin. Also löffle ich genau den gleichen Milchreis wie sie – aber mit Obst und Zimt drauf. Sie isst ihn pur. Den Löffel hält sie mit spitzen Fingern, denn der blutrote Nagellack ist noch nicht ganz trocken. Sie bewegt die Hände so, dass die Fingernägel nichts berühren. Der Lack passt farblich genau zum Lippenstift, auf dem der Milchreis Spuren hinterlässt.

Nach ein paar Löffeln stupst sie mir auf die Nase und flötet: »Na, weißt du, wo dein Vater sich heute Abend rumtreibt?«

So, wie sie das sagt, ahne ich gleich, dass dieser Frage noch etwas folgen wird. Sonst tut sie immer, als sei ihr völlig egal, was »der verlotterte Kerl mit seinem Leben anfängt«.

Vielleicht, denke ich, liebt sie ihn doch noch. Wenigstens ein bisschen. Sonst würde sie nicht fragen.

Ich will ihn nicht verraten. Also erfinde ich eine glaubhafte Lüge.

»Och, wahrscheinlich hängen wieder seine Musikerfreunde bei ihm rum. Sie trinken Bier, üben Lieder oder sehen fern.«

Sie scheint erfreut zu sein, doch diese Lüge kehrt sich sofort gegen mich.

»Könntest du dann heute ausnahmsweise eine Nacht bei Papa schlafen, obwohl jetzt eigentlich meine Felixwoche ist?«

Im Spiegel hinter meiner Mutter sehe ich mein Gesicht. Mein Mund klappt auf und geht nicht wieder zu, als hätte ich zu viel von dem Milchreis in mich hineingestopft. Noch vor kurzem ist sie ausgeflippt, wenn sich meine Übergabe auch nur um eine halbe Stunde verzögert hat. Sie besteht normalerweise darauf, dass die Zeiten genau eingehalten werden. Deswegen konnte ich auch nicht mit zum letzten Open-Air-Konzert. Da wären wir nämlich frühestens Sonntagnacht zurückgekommen. Sie hätte mich also nicht wie immer um 15.00 Uhr bekommen. Papa wollte ihr dafür sogar einen Felixtag mehr geben, aber sie ist hart geblieben. »Ordnung muss sein«, sagt sie. Und jetzt will sie mich freiwillig für eine Nacht, die ihr zusteht, zu ihm lassen? Da stimmt etwas nicht!

Sie streicht sich die Locken aus der Stirn. Ich kenne diese Handbewegung. Jetzt fährt sie mit den Fingern über ihre Wangen. Es sieht aus, als ob sie unsichtbare Spinnweben vor dem Gesicht zerteilen müsste. Das tut sie immer, wenn sie etwas verheimlichen will oder wenn ihr etwas peinlich ist.

Sie wiederholt die Geste dreimal. Das bedeutet: Sie wird mir nun eine besonders dicke Lüge auftischen. Meine Mama lügt viel, wie alle Erwachsenen. Aber sie macht es nicht besonders gut. Wenn ich so einfallslos belogen werde, dann fühle ich mich nicht für voll genommen. Ich werde total sauer, bin richtig beleidigt. Bin ich keine intelligente Lüge wert? Muss man sich mir gegenüber keine Mühe geben?

Mein Papa kann ganz gut lügen. Aber an mich kommt keiner ran. Ich bin der Meister.

Mama holt Luft. Sie wird beim Lügen auch noch kurzatmig wie eine Anfängerin. »Ich … ähm … ich möchte heute Abend gerne ausgehen. Mit einer Freundin.«

Jetzt hält sie einen Moment die Luft an und fragt sich, ob ich die Lüge geschluckt habe. Ich bin doch nicht blöd.

Ihr Ausatmen ist ein einziges Stöhnen. Sie sieht es mir an: Ich glaube ihr kein Wort. »Aber sonst bist du doch immer sauer auf Papa, wenn der mich mal alleine lässt.«

»Ich gehe ja auch nicht jeden Abend in die Kneipe.«

»Papa auch nicht. – Kenne ich deine Freundin?«

Wieder fingert sie an ihren Haaren herum. »Ich glaube nicht.«

»Du kannst ruhig mit ihr ausgehen, Mama. Mir macht das nichts. Ich bin doch kein Baby mehr. Ich fürchte mich nicht. Ich kann ja solange fernsehen.«

»Aber ich will nicht, dass du viereckige Augen bekommst. Es ist besser, du gehst zu deinem Vater.«

»Aber bei dem sehe ich doch auch nur fern.«

Sie holt tief Luft und ihr Blick weicht meinem aus. Warum fällt es den Leuten nur so schwer, einem in die Augen zu schauen, wenn sie lügen? Die ganz miesen Lügner glotzen auf ihre Fußspitzen, wenn sie ihre fadenscheinigen Erfindungen herunterstammeln. Wer beim Lügen nach unten schaut, weiß, dass ihm keiner glaubt. Er wäre vermutlich selbst nicht blöd genug, den Quatsch zu glauben, den er erzählt.

Ich ahne hinter Mamas stümperhaften Versuchen längst die Wahrheit: Sie hat einen Freund. Zum ersten Mal, seit sie von Papa getrennt ist, hat sie sich neu verliebt. Und ich wette, sie will ihren Verehrer heute Abend mit nach Hause bringen. Vielleicht lädt sie ihn zu einer Tasse Kaffee ein. Sie will nicht, dass ich dabei bin und dann schlecht von ihr denke. Zum Beispiel, dass sie einen genauso lockeren Lebenswandel führen würde wie mein Papa.

Der verliebt sich dauernd neu, bringt jede mit nach Hause und geniert sich überhaupt nicht dafür. Sie schlafen auch fast immer da. Das heißt, bei ihm. Meistens kriegt er sie sogar dazu, morgens Brötchen zu holen und das Frühstück zu machen. Einige sagen auch nur, dass sie Brötchen holen, und kommen dann nicht wieder. Ich erkenne das schon an dem Ton, in dem sie es sagen, und an der Art, wie sie die Tür hinter sich schließen.

Soll ich Mama jetzt sagen, dass ich sie durchschaut habe?

Ich könnte ihr vorschlagen, ihren Liebhaber ruhig mitzubringen. Aber ich ahne schon, dass sie sich dann in Grund und Boden schämt. Ich erspare ihr das mit einer kleinen Schummelei.

»Falls deine Freundin hier schlafen will, Mama, dann habe ich nichts dagegen. Ich penn morgens sowieso lang. Bestimmt ist sie schon weg, wenn ich wach werde. Oder sie holt uns Brötchen und …«

Mama gibt auf. Wenn Erwachsene mit Lügen nicht weiterkommen, versuchen sie einfach zu bestimmen. Manche bestimmen immer, weil sie zum Lügen viel zu blöd sind, zum Beispiel unser Sportlehrer, aber das ist eine andere Geschichte.

Mama schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. Es scheppert. Dabei streift sie den Löffel und Milchreis landet auf ihrer Bluse.

»Du schläfst heute Nacht bei deinem Vater. Schluss. Aus. Ende der Debatte.«

»Aber ich …«

Mama schüttelt den Kopf und betrachtet den Milchreisfleck.

»Auf dem Weg zum Tanzpalast kommen wir direkt an der überdachten Müllhalde vorbei.« Sie fügt ihrem Satz noch den Wunsch hinzu: »Hoffentlich wirst du nie so wie er.«

Mir fährt das Wort »Tanzpalast« wie ein Fausthieb in den Magen. Der Milchreis kommt mir wieder hoch mitsamt dem Obst und Zimt. Im Tanzpalast spielt mein Papa heute Nacht Saxophon. Mama mag »seine Musik« nicht, aber auf genauso einen seichten, langweiligen Bigband-Sound, wie sie ihn im Tanzpalast immer spielen, steht sie.

Mama kann auch Papas alte Lederjacke nicht leiden. Sie hat sogar einmal versucht, sie wegzuwerfen. Papa hat sie wieder aus dem Mülleimer herausgeholt. Damals sagte er: »Das war’s, Ute! Ich betrachte die Geschichte zwischen uns als beendet!«

»Geschichte!?«, schrie Mama zurück. »Was für eine Geschichte? Du meinst das Trauerspiel?!«

Es war aber nicht beendet. Es ging noch fast ein halbes Jahr weiter. Es passierte noch einiges. Papa schlief mit einer brennenden Zigarette im Bett ein und setzte unsere Wohnung in Brand. Endgültig an die Luft gesetzt hat Mama ihn aber erst, als sie bei uns im Badezimmer auf diese Rothaarige traf. Papa hatte die ganze Band nach einem Auftritt zum Duschen mitgebracht.

Das alles huschte durch meinen Kopf und ich kam zu der Überzeugung, dass Papa meiner Mama auf der Bühne im Tanzpalast ganz gut gefallen müsste. Vielleicht würde sie sich neu in ihn verlieben. Im Smoking, frisch gewaschen und rasiert. Ohne Lederjacke. Mit ihrer Lieblingsmusik. Aber Papa würde sich schämen, weil er endlich so geworden war, wie sie ihn immer haben wollte. Er würde sogar glauben, dass ich Mama dort hingelotst hätte. Na klar, am Ende wäre ich der Blöde. Ich sehe ihn schon vor mir, mit Rändern unter den Augen und völlig fertig: Wie konntest du mir das nur antun, Felix? Wie konntest du mich so sehr demütigen? Warum bringst du sie ausgerechnet hierher?

 

Ich höre mich sagen: »Der Tanzpalast hat heute zu.«

»Bitte? Woher willst du das wissen?«

»Ja, Mama, glaub mir. Wegen Umbau geschlossen. Steht groß dran. Hab ich heute Morgen noch gelesen.«

Mama stöhnt. Ihre Laune sinkt dem Tiefpunkt entgegen. Sie beginnt sich umzuziehen. Vielleicht wegen dem Milchreisfleck. Vielleicht aber auch, weil sie jetzt nicht mehr passend angezogen ist.

Ich frage mich, wie ich es je schaffen soll, die beiden wieder zusammenzubringen. Es gibt nichts, was sie aneinander gut finden. »Unsere Ehe war eine Lüge!«, hat Papa beim Auszug geschrien. Mama brüllte zurück: »Dein ganzes Leben ist eine einzige Lüge, du Versager!«

Mama kaut auf der Unterlippe rum. Dabei färbt der Lippenstift ihre weißen Zähne rot. Sie sieht verzweifelt aus. Ich bekomme gleich ein schlechtes Gewissen. Es ist wie verhext: Nur weil ich meinem Pa aus der Klemme helfen wollte, habe ich meine Mama traurig gemacht. Das wollte ich nicht.

Aber so war es früher auch. Es hat mich fast zerrissen. Man kann es nicht beiden recht machen. Was Mama freut, ärgert Papa und umgekehrt. Wenn ich in Mathe eine Eins schreibe, mache ich Mama glücklich. Sie glaubt nämlich, dass ich die Begabung von ihr habe. Für Papa dagegen ist eine Eins in Mathe wie eine Beleidigung. Er befürchtet dann, aus mir könne »so ein Streber werden, der den Lehrern für ein paar gute Noten in den Hintern kriecht«. Er selbst ist wegen Mathe zweimal sitzengeblieben.

Aber wehe, ich kriege eine schlechte Note. Das ist dann für Mama der Beweis, wie sehr ich nach Papa gerate. Und von dem hat sie sich immerhin scheiden lassen, dem »größten, egoistischsten Volltrottel, der auf der Erde rumläuft«.

Wenn andere Jungen in meinem Alter ihr Zimmer nicht aufgeräumt haben, sind sie einfach faul oder schlampig. Ich bin immer gleich wie mein Vater. Aber wehe, ich sorge bei ihm zu Hause mal für ein bisschen Ordnung – aus dreckigen Gläsern trinke ich nämlich auch nicht gerne –, dann heißt es sofort: »Oje, der Junge hat einen Putzfimmel wie seine Mutter!«

Dabei putzt Mama gar nicht so viel. Aber bei ihr ist es trotzdem sauber, denn sie räumt immer alles gleich wieder auf. Papa hingegen sagt meistens: »Lass es liegen. Das hat Zeit bis morgen.«

Ich bin also entweder wie sie oder wie er. Das passt mir nicht. Ich will nämlich lieber sein wie ich: wie Felix.

Und damit Menschen ungestört sie selber sein können, hat irgendein kluger Kopf einst die Lüge erfunden. Es ist eine der meistbenutzten Erfindungen nach dem Bett, der Zahnbürste und der Unterhose. Ich bin mir nicht mal sicher, ob auf der Welt öfter die Toilettenspülung benutzt oder öfter gelogen wird. In einigen Ländern soll es gar keine Toilettenspülung geben. Aber gelogen wird dort auch. Wetten?

Ich sitze eine Weile so und denke darüber nach. Mama hat inzwischen das Kostüm wieder in den Kleiderschrank gehängt und die Bluse in die Waschmaschine gestopft. Ich staune. Sie trägt nicht ihre weiße Baumwollunterwäsche wie sonst. Jetzt ist alles dunkelblau mit Spitze, schillernd wie der Nachthimmel. Da würde Papa aber Augen machen.

Vielleicht schaffe ich es doch noch, dass sie sich wieder ineinander verlieben. Ich meine, eigentlich sind die beiden gar nicht so schlecht. Es gibt bestimmt schlimmere Eltern. Sie haben mich nie geschlagen. Eigentlich meckern sie auch nicht viel an mir rum. Selbst wenn sie schimpfen, kommt es mir immer so vor, als wäre nicht ich gemeint. Es geht eigentlich nie wirklich um mich, sondern immer mehr darum, wer von den beiden recht hat. Sie zerren an mir herum. Egal, was ich mache: es ist immer ein Sieg für den einen und eine Niederlage für den anderen.

2

Mama hält sich das schwarze Kleid an, das sie bei meiner Kommunion getragen hat. Damals waren sie und mein Pa noch zusammen und Mama um einiges schlanker. Ich ahne, was jetzt kommt.

»Meinst du, das passt mir noch, Felix?«

Na bitte. Ich wusste es. Soll ich jetzt sagen: Nein, Mama, bestimmt nicht. Du hast ganz schön zugenommen in den letzten Jahren?

Ich greife zur einfachsten Art der Lüge: dem Kompliment. »Das Kleid steht dir wirklich gut. Du sahst toll darin aus … damals.«

Sie lächelt erfreut und hält es noch einmal prüfend vor sich.

»Meinst du wirklich? Habe ich nicht ein bisschen zugenommen?«

»Nein, Mama, bestimmt nicht.«

»Doch, Felix.«

»Nein.«

»Doch. Hier an den Hüften.«

»Nie im Leben, Mama.«

Warum probiert sie es nicht einfach an, denke ich. Na klar, sie will die Wahrheit gar nicht auf so gnadenlose Weise erfahren. Sie möchte, dass ich sage: Der weite Sommerrock mit dem kleinen Sonnenmuster steht dir viel besser. Dann kann sie das Kleid mit dem Gefühl, es passe ihr noch, stehe ihr aber nicht so gut, wieder in den Schrank hängen.

Also falsch gelogen. Man sollte solchen Feinheiten viel Aufmerksamkeit schenken. Sie können einem den ganzen Tag verderben.

Jetzt zwängt sie sich rein.

Natürlich kriegt sie den Reißverschluss am Rücken nicht zu. Mein Einsatz.

Ich sehe auf den ersten Blick, daraus wird nie etwas. Aber ich halte den Mund und gehe tapfer an die Arbeit. Ich fürchte, wenn ich noch fester ziehe, reißt der Stoff.

Sie atmet aus. So gewinnen wir ein paar Zentimeter.

Da klingelt es.

Mama läuft halb angezogen ins Bad und bittet mich zu öffnen. Dabei sieht sie auf die Uhr. Oje, schon so spät, sagt ihr Blick.

Ich gehe zur Tür. Da steht sie, die Freundin, mit der sie heute Abend ausgehen will: einen Blumenstrauß in der Hand, mit irgendwelchem Glitzerspray verkitschte rote, weiße und blaue Rosen.

Die Freundin trägt einen dunkelblauen Anzug, einen Zweireiher, ein hellblaues Oberhemd und eine Krawatte, die gut zum Blumenstrauß passt. Die Armbanduhr ist anscheinend eigentlich für Tiefseetaucher gedacht. Ich finde sie ganz schön protzig.

Die Freundin will aber wohl gar nicht zum Tauchkurs, denn sie hat keine Schwimmflossen an, sondern frisch geputzte Lederschuhe. Sie lächelt wie ein Vertreter für Versicherungen und kratzt sich ein bisschen verlegen den Bart. Man könnte sie beinahe für einen Mann halten.

»Ja ähm … Ich bin Robert. Robert Sattler. Du bist wohl der kleine Felix?«

Soll ich jetzt sagen: Genau, und Sie sind Mamas Freundin? Mach ich nicht. Ich bitte ihn einfach rein.

Er riecht nach diesem Rasierwasser, das angeblich Frauen ganz verrückt machen soll. Ich muss davon immer nur niesen.

Jetzt ist die richtige Lüge nicht leicht. Zum Beispiel: Mama! Deine Freundin ist da!, könnte sie als Spott empfinden. Die Lüge ist zu dick.

Mama! Deine Freundin hat einen Bart. Lässt du dir auch bald einen wachsen? Klingt glaubwürdiger, ist aber auch nicht empfehlenswert. Besser ist es, so zu tun, als ob alles in Ordnung wäre. Es ist eine der geschicktesten Lügen: Man tut, als hätte man nichts gemerkt.

Ich klopfe also an die Badezimmertür und sage: »Mama, dein Besuch ist da.«

Für diesen geschickten Schachzug müsste ich eigentlich eine Taschengelderhöhung bekommen. Aber Mama hat andere Sorgen. Sie flüstert kaum hörbar: »Komm rein.«

»Bitte?«

»Komm rein, Felix, du musst mir helfen.«

Gesagt, getan. Ich lächle den Rosentypen noch einmal kurz an. Er setzt sich, schaut auf seine Taucheruhr und schlägt die Beine übereinander. Dann eile ich meiner Ma zu Hilfe.

Sie hat einen roten Kopf und Hektikflecken im Gesicht wie samstags kurz vor Feierabend.

»Schatzilein«, sagt sie zu mir, »ich komm nicht in das Kleid.«

»Es muss wohl eingelaufen sein«, werfe ich ein.

Dafür ernte ich ein dankbares Lächeln. »Ich kann jetzt so nicht rausgehen.«

Das sehe ich ein.

»Hol mir das rote Kleid.«

»Das mit dem tiefen Ausschnitt?«

Sie nickt und schickt mich los, hält mich dann noch einmal zurück. »Nein, warte. Was hat Robert an?«

Ich überlege.

»Nun sag schon. Anzug?«

»Hm.«

»Krawatte?«

»Hm.«

»Gut. Dann vergiss das rote Kleid. Hol mir das graue Kostüm.«

Das, von dem Papa immer gesagt hat, du siehst darin aus wie eine Sekretärin, die ihren Chef verführen will, sage ich nicht. Ich nicke nur und pirsche los.

Mamas Neuer weiß nicht, wohin mit dem Blumenstrauß. Sein Problem. Außerdem bröselt das Glitzerspray von den Knospen. Es rieselt auf den Teppich. Bei meinem Pa würde das nicht auffallen. Hier schon.

Ich bringe Mama das graue Kostüm. Sie bittet mich, ihn ein bisschen zu unterhalten. Sie braucht noch etwas Zeit.

Okay.

Ich setze mich zu ihm.

Ich brauche gar nichts zu tun. Er beginnt das Gespräch, zeigt auf seine Uhr und fragt: »Gefällt sie dir? Wasserdicht bis 100 Meter Tiefe.«

Ich spiele den Beeindruckten. »Toll. Ist bestimmt sehr nützlich.«

»Ja«, sagt er, aber das klingt nicht überzeugend.

»Also, wenn man mal so tief ist und wissen will, wie spät es ist …«

Er sieht auf seine Schuhspitzen. Bevor er mir erzählen kann, wie klasse seine Schuhe sind, baue ich ihn wieder auf.

»Nein, ehrlich. Ich finde solche Uhren toll. Hatte selber mal eine.«

»Ach ja?«

»Ja, aber die hat nicht sehr lange gehalten. War aus ’nem Kaugummiautomaten.«

So. Jetzt ist er sauer. Wenn ich das später Papa erzähle, gibt er eine doppelte Portion Pommes aus. Wetten?

»Wo bleibt denn deine Mama?«, fragt er ungeduldig und sieht schon wieder auf seine Angeberuhr.

»Die ist noch auf der Toilette. Sie hat Durchfall.«

Da schaut er aber.

»So eine Magen-Darm-Grippe. Ist aber nicht ansteckend.«

Er lächelt, glaubt, mich durchschaut zu haben. Ich kenne das. Wenn Erwachsene glauben, einen bei einer Notlüge erwischt zu haben, bekommen sie immer so einen überlegenen Blick. »Du magst mich wohl nicht sehr, wie?«, fragt er.

»Doch, ich finde Sie klasse. Ich bin total froh, dass so ein toller Hecht wie Sie meine Ma ausführt, obwohl sie in das scharfe schwarze Kleid nicht mehr reinpasst.«

Ich habe das blöde Gefühl, alles falsch zu machen. Ich kriege feuchte Hände, und mir wird ganz heiß.

Er lehnt sich vor: »Du bist ganz schön schlagfertig!«

Aus seinem Mund klingt das wie ein Lob.

Er setzt gleich noch eins drauf: »Ich kann verstehen, dass du eifersüchtig bist. Aber ich nehme dir deine Mama nicht weg. Ich gehe nur mit ihr tanzen.«

Ich bedanke mich artig für sein Verständnis. Er schluckt den Köder, und schon habe ich ihn an der Angel.

»Ich habe nichts gegen Sie«, lüge ich. »Ich gebe Ihnen sogar einen guten Tipp. Meine Mama hasst es, tanzen zu gehen. Besonders diese langweilige Blasmusik im Tanzpalast mag sie nicht.«

Er erschrickt und zappelt wie ein Fisch, der den Haken spürt.

»Aber ich dachte …«

»Das hat sie nur Ihnen zuliebe gesagt.«

Er wird nachdenklich. Das steht ihm gar nicht. »Was … was mag deine Mama denn lieber?«

Ich ziere mich. Die schönste Lüge ist die, die man erst nach langem Zögern preisgibt.

»Ich glaube, das sag ich besser nicht. Sie schämt sich bestimmt dafür.«

Er flüstert. Das ist ein gutes Zeichen. Der Fisch ist schon so gut wie an Land. »Mir kannst du vertrauen. Ich will doch nur, dass sie sich heute Abend gut amüsiert.«

»Ja, aber … ich weiß nicht. Es ist ein bisschen peinlich.«

Er macht es auf die ganz blöde Tour. Er greift nach hinten, zaubert zwei Euro aus der Tasche und hält sie mir hin. »Kannst du doch bestimmt gut gebrauchen …«

Immer noch besser als Papas Tussis, denke ich. Die wollen mir immer bei den Schularbeiten helfen oder was spielen.

Ich stecke das Geld ein.

»Also gut«, sage ich. »Aber Sie dürfen Ma auf keinen Fall sagen, von wem Sie das wissen.«

Er hebt zwei Finger zum Schwur. »Großes Indianerehrenwort.«

Das sagen Erwachsene immer, wenn sie Kinder reinlegen wollen. Es ist nämlich kein richtiger Schwur.

Ich bringe meinen Mund ganz nah an sein Ohr. Dann flüstere ich so leise, dass er es kaum versteht: »Meine Mama steht auf Horrorfilme.«