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Tom Phillips

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Beschreibung

Einige kurze Geschichten über die größten Fails der Menschheit

Wahnsinn! So witzig wurde die Geschichte der Menschheit noch nie erzählt. Zu welchen kulturellen Höhenflügen sich die Spezies Mensch im Laufe der Evolution aufschwingen konnte, ist bemerkenswert, bedenkt man, dass das menschliche Gehirn seit Jahrtausenden unbelehrbar die dümmsten Ideen ausbrütet und bei voller Leistung erstaunlichen Bockmist verzapft. Wohin das führt? Ins perfekte Chaos, genau. Die originellsten Irrwege auf der Straße ins Morgen hat Tom Phillips in einem wilden Ritt durch die Menschheitsgeschichte für uns aufgespießt. Vom ersten Primaten, der vom Baum fiel und sich unglücklich das Genick brach, bis hin zu dem, der im Weißen Haus regiert. »Echt jetzt??« versammelt fatale Irrtümer, glorreiche Fehleinschätzungen und unglaubliche Ausfälle, kurz: die spektakulärsten Fuck-ups der Geschichte in einem Band.

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Seitenzahl: 345

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Buch

»Echt jetzt?« versammelt fatale Irrtümer, glorreiche Fehleinschätzungen und unglaubliche Ausfälle, kurz: die spektakulärsten Fuck-ups der Geschichte in einem Band. In diesen dunklen Zeiten ist es doch sehr beruhigend zu wissen, dass wir schon immer ein Haufen total ahnungsloser Schwachköpfe waren.

Autor

Tom Phillips ist Journalist und arbeitet als Factchecker bei »Full Fact« in London. Der ehemalige Chefredakteur von BuzzFeed UK studierte Anthropologie, Geschichte und Philosophie in Cambridge, war Mitglied einer kurz gefeierten Comedytruppe, arbeitete fürs Fernsehen und im Parlament und gründete auch mal eine Zeitung.

Tom Phillips

Echt jetzt?

Die beknacktesten Aktionen der Menschheit

Aus dem Englischen von Susanne Kuhlmann-Krieg

Die englische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »HUMANS. A Brief History of How We F*cked It All Up« bei Wildfire, an imprint of Headline Publishing Group.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.Deutsche Erstveröffentlichung August 2019Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenCopyright © 2019 dieser Ausgabe by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbHCopyright © 2018 by Tom PhillipsUmschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, MünchenUmschlagmotiv: GettyImages/DigitalVisionVectors/Vectorios2016 FinePic®, MünchenRedaktion: Antje SteinhäuserSatz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, MünchenKF · Herstellung: kwISBN: 978-3-641-24423-1V001www.goldmann-verlag.deBesuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz

In Anbetracht des Themaskönnte es höllisch missverstanden werden,wenn ich dieses Buch meiner Familie widmete.Ich widme es daher all denen,die schon mal so richtig gehörig Mist gebaut haben.Sie sind nicht allein.

Inhalt

Prolog:   Es ging schon gut los

Kapitel 1:   Warum Ihr Gehirn ein Vollpfosten ist

Kapitel 2:   Hübsche Gegend hier

Kapitel 3:   Das Leben, nun ja, bahnt sich seinen Weg

Kapitel 4:   Führer, wir folgen dir

Kapitel 5:   Alle Macht dem Volke

Kapitel 6:   Krieg … Wozu ist er noch mal gut?

Kapitel 7:   Die große Kolonialismus-Sause

Kapitel 8:   Diplomatie-Leitfaden für Dummies

Kapitel 9:   Der verdammte Druck der Technik

Kapitel 10:   Eine kurze Geschichte unserer mangelnden Voraussicht

Epilog:   Vergeigte Zukunft

Dank

Weiterführende Literatur

Prolog:

Es ging schon gut los

Eines frühen Morgens vor langer, sehr langer Zeit, als über den großen Flusstälern und Ebenen Äthiopiens soeben die Sonne aufging, fläzte sich eine junge Menschenaffenfrau träge in den Wipfeln eines Baumes.

Wir können nicht wissen, woran sie dachte oder was sie an jenem Tag vorhatte. Vermutlich hätte sie nach etwas Essbarem Ausschau gehalten, möglicherweise auch nach einem Partner, vielleicht wollte sie auch den Baum nebenan genauer in Augenschein nehmen, konnte ja sein, dass er besser war als ihrer. Mit Sicherheit schwante ihr nicht, dass die Ereignisse dieses Tages sie für alle Zeiten zur berühmtesten Angehörigen ihrer Art machen würden … Selbst wenn Sie es ihr irgendwie hätten sagen können, hätte sie mit Begriffen wie Berühmtheit nichts anzufangen gewusst. Sie hatte auch keine Ahnung, dass sie sich in Äthiopien befand, denn all das geschah Millionen Jahre, bevor jemand die schlaue Idee hatte, auf einer Landkarte Linien zu ziehen und dem, was sie umschlossen, Namen zu geben, um die wir Kriege führen konnten.

Sie und ihresgleichen unterschieden sich ein kleines bisschen von den anderen Menschenaffen, die zur selben Zeit auf der Erde unterwegs waren: An ihrem Becken und ihren Beinen hatte sich über die Jahrtausende etwas verändert, weshalb sie sich auf eine neue Art fortbewegen konnten. Diese Menschenaffen begannen von den Bäumen herabzusteigen und aufrecht die Savanne zu durchschreiten – ein erster Schritt, der mit der Zeit zu Ihnen und mir und jedem anderen Menschen auf diesem Planeten führen sollte. Die Affenfrau wusste nichts davon, aber sie lebte zu Beginn einer der bemerkenswertesten Entwicklungsgeschichten aller Zeiten – die Morgendämmerung der großen Reise des Menschen hatte eingesetzt.

Dann fiel sie vom Baum und starb.

Circa 3,2 Millionen Jahre später sollte eine Gruppe anderer Menschenaffen – manche davon gar im Besitz eines Doktortitels – ihre versteinerten Gebeine ausgraben. Weil das in den 1970er-Jahren passierte und die Buddelnden damals gerade dem Song einer Gruppe reichlich bekiffter Jungs aus Liverpool lauschten, beschlossen sie, ihr Skelett Lucy zu nennen. Sie gehörte zu einer völlig neuen, bis dahin ungekannten Art, die wir heute als Australopithecus afarensis bezeichnen, und wurde als »Missing Link« zwischen Menschen und Menschenaffen gefeiert. Der Fund elektrisierte die ganze Welt: Ihr Name war in aller Munde, ihr Skelett wurde auf eine mehrjährige Tournee durch die Vereinigten Staaten geschickt und bildet heute die Starattraktion im Nationalmuseum von Addis Abeba.

Und doch ist der einzige Grund dafür, dass wir etwas über sie wissen, schlicht und einfach der, dass sie an dem Tag Mist gebaut hat. Was rückblickend betrachtet als ziemlich treffender Vorgeschmack darauf gelten kann, wie sich die Dinge hinfort entwickeln sollten.

Das hier ist ein Buch über Menschen und deren bemerkenswertes Talent, Dinge in den Sand zu setzen. Darüber, warum es für jede Errungenschaft, die einen stolz macht, ein Mensch zu sein (Kunst, Wissenschaft, Kneipen), immer auch etwas anderes gibt, dass Sie zu ungläubigem und verzweifeltem Kopfschütteln veranlasst (Kriege, Umweltverschmutzung, besoffene Fluggäste).

Die Chancen stehen gut, dass Sie sich – unabhängig von Ihrer persönlichen Einstellung oder Ihrer politischen Überzeugung – in jüngster Zeit gelegentlich den Zustand der Welt angeschaut und bei sich gedacht haben: Scheiße, was haben wir da bloß angerichtet?

Dieses Buch ist dazu da, ein winziges, federleichtes Quäntchen Trost zu spenden: Keine Sorge, wir waren schon immer so. Und, hey, wir sind immer noch da!

Zugegeben, da ich dies schreibe, sind es nur wenige Wochen bis zu einem Atomgipfel zwischen Donald Trump und Kim Jong Un, noch ist nicht raus, ob er stattfindet oder nicht und ob er gut läuft oder nicht. Dummerweise liegt mein Abgabetermin vor dem Tag, an dem wir herausfinden, ob wir alle sehr bald sterben werden. Ich werde von der Annahme ausgehen, dass wir, so Sie dieses Buch tatsächlich in Händen halten, es zum Allermindesten bis zu seinem Erscheinen geschafft haben.

Es gibt jede Menge Bücher über die tollen Errungenschaften der Menschheit, ihre großen Führer, ihre genialen Erfinder und den unbeugsamen menschlichen Geist. Es gibt auch jede Menge Bücher über Fehler, dir wir uns geleistet haben – sowohl Einzeleseleien als auch schreckliche Fehler ganzer Gesellschaften. Aber es gibt nicht ganz so viele darüber, wie wir es hinbekommen, Dinge immer wieder vollkommen und absolut katastrophal in den Sand zu setzen.

Es gehört zu den schrägen Ironien, an denen das Universum offenbar jede Menge Spaß zu haben scheint, dass die Ursachen dafür, dass wir in derart haarsträubenden Dimensionen Mist bauen, in vielen Fällen in exakt denselben Merkmalen bestehen, die uns von unseren tierischen Mitgeschöpfen unterscheiden und uns befähigen, so viel Großes zu vollbringen. Menschen erkennen in der Welt Muster, wir sind imstande, unsere Beobachtungen anderen Menschen mitzuteilen, und wir haben die Fähigkeit, uns Zukunftsszenarien auszumalen, die noch nicht Wirklichkeit sind: Was, wenn wir nur diese eine Sache änderten, dann würde das passieren, und die Welt wäre ein kleines bisschen besser.

Das einzige Problem ist … Na ja, wir sind in all diesen Dingen nicht sonderlich gut. Jede ehrliche Bewertung der zurückliegenden Leistungen der Menschheit an all ihren Fronten liest sich wie eine ganz besonders schonungslose Jahresbilanz unserer Leistungen, gezogen von einem Chef, der uns abgrundtief hasst. Wir erkennen Muster, die es nicht gibt. Unsere Kommunikationsfertigkeiten sind, gelinde ausgedrückt, manchmal nicht vorhanden. Und wir blicken auf eine außerordentlich armselige Erfolgsbilanz, wenn es darum geht, uns klarzumachen, dass, wenn wir diese eine Sache ändern, dies zu jener anderen Sache und die wiederum zu einer noch viel schlimmeren führt, und die wieder zu: Oh mein Gott, nein, jetzt passiert mit einem Mal so was, wie können wir das bloß aufhalten?

Ganz egal, wie oft die Menschheit erfolgreich nach den Sternen greift, egal, wie viele Herausforderungen wir meistern, die Katastrophe lauert immer gleich um die Ecke. Um ein historisches Beispiel zu nennen: In einem Augenblick sind Sie Sigurd der Mächtige, Graf auf Orkney, im 9. Jahrhundert unterwegs auf Ihrem triumphalen Heimritt aus einer großen Schlacht, an Ihrem Sattel baumelt das Haupt Ihres getöteten Feindes Máel Brigte des Fangzähnigen (so genannt wegen seines vorstehenden Zahns).

Im nächsten sind Sie … Nun ja, sind Sie Sigurd der Mächtige, Graf auf Orkney, ein paar Tage später und siechen an einer Infektion dahin, die Sie sich zugezogen haben, weil sich der vorstehende Zahn von Máel Brigte des Fangzähnigen entleibtem Haupt in Ihr Bein gebohrt hat, als Sie im Triumph nach Hause ritten.

Das ist wahr: Sigurd dem Mächtigen kommt die militärgeschichtlich zweifelhafte Auszeichnung zu, von einem Feind getötet worden zu sein, den er Stunden zuvor längst enthauptet hatte. Was uns ein paar wichtige Lektionen lehrt in puncto (a) der Hybris und (b) der Bedeutung, sich ausschließlich Feinde auszusuchen, die über eine exzellente zahnärztliche Versorgung verfügen. Das Hauptaugenmerk dieses Buches gilt der Hybris und dem ihr auf dem Fuß folgenden tiefen Fall. Freunde historischer Abhandlungen über die Standards der Zahnmedizin hingegen werden sich möglicherweise bitter enttäuscht sehen.

(Es ist an dieser Stelle übrigens auch der Erwähnung wert, dass Sigurd der Mächtige und Máel Brigte der Fangzähnige nur deshalb gegeneinander kämpften, weil Sigurd Máel zu einer »Schlacht vierzig gegen vierzig« gefordert hatte. Máel hatte die Herausforderung angenommen, worauf Sigurd mit achtzig Soldaten aufkreuzte. Somit ist aus Sigurds Geschichte möglicherweise auch eine Lektion darüber zu lernen, dass es vielleicht obendrein günstig sein könnte, sich nicht als wortbrüchiger Lump zu gebärden, ein Thema, das sich lustigerweise ebenfalls durch das ganze Buch zieht.)

Sigurd ist nur einer der vielen Unseligen, deren Lebensgeschichte vor allem wegen ihrer Niederlagen und weniger wegen ihrer Siege in die Geschichte einging. Im Laufe der nächsten zehn Kapitel werden wir einen großen Bogen quer durch die gesamte Menschheitsgeschichte und ihre lange Liste an idiotischen Fehlern schlagen. Kleine Warnung: Wenn Sie es nicht so richtig mit Schadenfreude haben, wäre jetzt vielleicht ein geeigneter Zeitpunkt, mit dem Lesen aufzuhören.

Die Geschichte des menschlichen Fortschritts beginnt mit unserer Fähigkeit, zu denken und schöpferisch tätig zu werden. Das ist es, was uns Menschen von anderen Tieren unterscheidet – aber es ist auch das, was uns regelmäßig dazu bringt, uns komplett zum Affen zu machen.

Im ersten Kapitel dieses Buchs, Warum Ihr Gehirn ein Vollpfosten ist, werden wir uns damit befassen, wie unsere Vorfahren dachten – und erkennen, warum unsere Versuche, die Welt zu erklären, so oft damit enden, dass unser Verstand uns im Regen stehen lässt und zu all jenen oberschrecklichen Entscheidungen verleitet.

Dann, im zweiten Kapitel, Hübsche Gegend hier, folgen wir der Menschheit zu den Anfängen des Ackerbaus, zurück in jene Zeit, da wir begannen, die Welt um uns herum aktiv zu gestalten. Wir werden sehen, mit welch schöner Regelmäßigkeit wir die Orte, an denen wir leben, komplett zugrunde richten und unserer unfehlbaren Neigung nachgehen, Dinge nicht zu Ende zu denken, beispielsweise wenn es um die Antwort auf die Frage geht: Hey, was wäre das Schlimmste, was passieren kann, wenn wir diesen Fluss umleiten?

Danach werden wir – in dem Kapitel, Das Leben, nun ja, bahnt sich seinen Weg – unsere nimmermüden tölpelhaften Versuche beleuchten, die Natur zu kontrollieren. Wir werden unter anderem zu sehen bekommen, wie der Große Vorsitzende Mao und ein eingefleischter Shakespeare-Fan mit einem Kopf voller Grillen es hinbekamen, zwei irgendwie ähnliche Katastrophen mit entgegengesetzten Vorzeichen zu verursachen, indem sie Vögel sträflich unterschätzten.

Als die frühesten menschlichen Gesellschaften sich entwickelten und immer komplexer wurden, zeigte sich bald, dass man jemanden brauchen würde, der sagt, wo es langgeht. Im vierten Kapitel, Führer, wir folgen dir, schauen wir uns eine Auswahl der absolut fürchterlichsten nicht gewählten Typen an, die je an diesen Job gekommen sind. In Kapitel 5, Alle Macht dem Volke, werden wir anschließend die Demokratie daraufhin in Augenschein nehmen, ob sie es irgendwie besser hinbekommt.

Ungeachtet all dessen, was wir bereits geleistet hatten, bevor wir anfingen, die Welt um uns herum zu gestalten, offenbarte sich das wahre Potenzial des Menschen, sich wie ein kompletter Vollidiot aufzuführen, erst, als wir begannen, die Welt zu bereisen, und verschiedene Zivilisationen aufeinandertrafen. Nun konnten wir so richtig zeigen, wozu wir imstande sind und zu was für zutiefst katastrophalem Benehmen wir uns immer wieder hinreißen lassen.

In Kapitel 6, Krieg … Wozu ist er noch mal gut?, werden wir sehen, dass wir Menschen auf eine sehr lange Historie im Anzetteln sinnloser Kriege und Reibereien zurückblicken, und einige der idiotischsten Folgen unter die Lupe nehmen, die sich daraus ergeben haben – zum Beispiel werden wir ein Heer kennenlernen, das es fertiggebracht hat, eine Schlacht zu verlieren, zu der sein Gegner überhaupt nicht aufmarschiert war, und erfahren, wie Ihnen ein perfekt koordinierter Angriffsplan durcheinandergeraten kann, wenn Sie vergessen, dass es Zeitzonen gibt.

Wir stoßen in Kapitel 7, Die große Kolonialismus-Sause, mit den Helden des Zeitalters der großen Entdeckungen ins Ungewisse vor und werden feststellen (Achtung: Spoileralarm), dass Kolonialismus etwas Grauenvolles ist.

Kapitel 8, Diplomatie-Leitfaden für Dummies und/oder aktuell regierende Präsidenten, wird uns wichtige Dinge lehren in Bezug darauf, wie man Kontakte zwischen verschiedenen Kulturen elegant handhabt, unter anderem werden wir erfahren, wie die Herrscherdynastie von Choresmien, der Großoase von Choresm, die vermutlich schlimmste politische Entscheidung der gesamten Menschheitsgeschichte fällte (neben manchen anderen Gräueltaten wurden Bärte in Brand gesetzt).

In jüngerer Zeit hat der wissenschaftliche und technische Fortschritt eine nie dagewesene Ära brandneuer Innovationen, sich überschlagender Veränderungen und aufregender neuer Möglichkeiten heraufbeschworen, mittels derer die Menschheit sich selbst ein Bein stellen kann. Das ist der Inhalt von Kapitel 9, Der verdammte Druck der Technik, in dem wir feststellen werden, dass die Wissenschaft nicht immer alles zum Guten wendet – hier geht es unter anderem um eine geheimnisvolle Strahlung, die nur von Franzosen gesehen werden konnte, und den Mann, der nicht nur einen, sondern gleich zwei der katastrophalsten Fehler des 20. Jahrhunderts beging.

Die Dinge verändern sich heute in einem solchen Tempo, dass die moderne Welt ein höchst verwirrender Ort sein kann. In Kapitel 10, Eine kurze Geschichte unserer mangelnden Voraussicht, blicken wir zurück und fragen uns, wie oft wir eigentlich schon falschgelegen und die schrecklichen Neuerungen, die im Begriff waren, auf uns herniederzugehen, nicht vorhergesehen haben.

Und in Vergeigte Zukunft schließlich werden wir eine wohlbegründete Vermutung darüber abgeben, wie die nächsten paar Jahrhunderte menschlicher Torheit wohl aussehen werden, und zu dem Schluss kommen, dass wir sie vermutlich in einem Weltraum-Gefängnis verbringen werden, das wir uns aus unserem eigenen Müll selbst geschaffen haben.

*

Dies ist ein Buch über Geschichte und übers Fehlermachen. Es lohnt daher natürlich darauf hinzuweisen, dass wir beim Deuten von Geschichte sehr häufig Fehler machen.

Das Problem ist, dass Geschichte schwer zu fassen ist: Bei der überwiegenden Mehrzahl der Dinge, die passiert sind, hat sich nie jemand die Mühe gemacht, sie aufzuschreiben, und viele von den Leuten, die sich diese Mühe gemacht haben, haben sich womöglich geirrt oder gelogen, waren extreme Rassisten oder irre (und sehr häufig alles zusammen). Wir wissen von Sigurd dem Mächtigen, weil sein Schicksal in zwei Schriften überliefert ist: der Heimskringla (einer mittelalterlichen Chronik über die norwegischen Könige) und der Orkneyinga saga (einer Geschichte der ersten Jarle – oder Grafen – auf Orkney). Aber woher sollen wir wissen, ob sie stimmen? Können wir wirklich sicher sein, dass es sich hierbei nicht um irgendeinen extrem witzigen altnordischen Insiderwitz handelt, den wir bloß nicht kapieren?

Können wir nicht. Nicht so richtig, ungeachtet all der fantastischen Arbeit von Historikern, Archäologen und anderen Experten auf einem Dutzend anderer Forschungsgebiete. Die Menge der Dinge, die wir sicher wissen, ist ganz schön winzig, gemessen an der Menge an Dingen, die wir nicht wissen. Die Zahl der Dinge, von denen wir nicht einmal wissen, dass wir sie nicht wissen, ist vermutlich noch viel größer, aber leider wissen wir das eben nicht.

Was ich damit sagen will, ist: Die Chance, dass in diesem Buch über Fuck-ups keine Fuck-ups enthalten sind, ist minimal. Ich versuche deutlich zu kennzeichnen, wo Unsicherheiten bestehen, an welchen Stellen wir ziemlich sicher sein und an welchen wir allenfalls eine wohlbegründete Vermutung anstellen können. Ich habe versucht, alle Geschichten wegzulassen, die »zu schön [sind] um wahr zu sein«, alle zweifelhaften Überlieferungen und blumigen historischen Anekdoten, die mit jedem Erzählen stärker ausgeschmückt werden. Ich hoffe, ich bringe da nichts durcheinander.

Was uns zurück zu Lucy bringt, die vor 3,2 Millionen Jahren von ihrem Baum herabfiel. Woher wissen wir, dass sie von jenem Baum gefallen ist? Nun, im Jahr 2016 veröffentlichte eine Gruppe Wissenschaftler aus den Vereinigten Staaten und Äthiopien einen Artikel in der weltweit meistgelesenen Wissenschaftszeitschrift Nature. Sie hatten aus Computertomogrammen von Lucys versteinerten Knochen ein dreidimensionales Modell ihres Skeletts rekonstruiert und festgestellt, dass ihre Knochenbrüche erstens aussahen, als wären sie lebenden Knochen zugestoßen, und dass diese Frakturen zweitens nie geheilt sind – was den Schluss nahelegt, dass sie noch lebte, als sie herunterfiel und kurz darauf gestorben ist. Sie zogen jede Menge Orthopädiechirurgen zurate, die alle dasselbe sagten: Das Muster der Brüche ist dasselbe wie bei einem Patienten, der aus einiger Höhe heruntergefallen ist. Die Art, wie ihr Arm gebrochen war, lässt darauf schließen, dass sie noch nach einem Ast gegriffen hat, um ihren Sturz abzufangen. Aus geologischen Studien wusste man, dass die Gegend, in der sie gelebt hat, eine bewaldete Ebene in der Nähe eines Flusses gewesen war. Keine Felsen oder Klippen, von denen sie hätte herabfallen können. Schlussfolgerung? Lucy fiel vom Baum.

Das ist ein bemerkenswertes Stück Arbeit, und von vielen anderen Fachleuten auf dem Gebiet wurde es sehr gut aufgenommen. Ein paar andere Experten – unter anderem Donald Johanson, Lucys ursprünglicher Entdecker – aber waren leider nicht so überzeugt. Er und seine Kollegen sagten mehr oder weniger: »Nee, Leute, der Grund dafür, dass man bei ihr Knochenbrüche findet, ist der, dass so was nun mal bei Knochen passiert, die 3,2 Millionen Jahre im Erdreich herumliegen.« (Ich habe mir bei der Wortwahl gewisse Freiheiten erlaubt.)

Also … ist Lucy vom Baum gefallen oder nicht? Vielleicht. Vermutlich sogar. In vieler Hinsicht ist es das, worum es in diesem Buch geht: Wir haben hier diese unglaubliche Meisterleistung wissenschaftlicher Beweisführung, und trotzdem könnte das alles falsch sein. Sie können der Weltbeste auf Ihrem Gebiet sein, die beste Arbeit Ihrer gesamten Berufslaufbahn hinlegen, im renommiertesten Magazin der Welt eine bahnbrechende Studie veröffentlichen, in der Sie auf stupende Weise die neuesten Fortschritte in Paläontologie und Physik, Medizin und Computertechnik, Forensik und Geologie miteinander verquicken, um uns ein einzigartiges Fenster in eine Zeit vor Jahrmillionen zu öffnen … und laufen dennoch Gefahr, dass jemand des Wegs kommt und sagt: »Äääh, nö.«

Genau in dem Augenblick, in dem Sie denken, Sie haben alles auf der Reihe, genau dann schlägt das ewig lauernde Fuck-up-Schreckgespenst zu.

Denken Sie an Sigurd den Mächtigen.

1

Warum Ihr Gehirn ein Vollpfosten ist

Ungefähr 70 000 Jahre ist es her, dass menschliche Wesen angefangen haben, aller Welt die Suppe zu versalzen.

Damals nämlich schickten sich unsere Vorfahren an, Afrika zu verlassen, um sich auf dem ganzen Erdball breitzumachen – erst in Asien, später dann in Europa. Dass dies eine Menge Leute ziemlich unfroh machte, lag daran, dass unsere Art, Homo sapiens, seinerzeit nicht die einzige Menschenart auf dem Planeten war – ganz und gar nicht. Wie viele uns nahe verwandte Spezies es damals genau gegeben hat, wird gegenwärtig noch diskutiert. Aus Skelett- und/oder DNA-Fragmenten herauszukitzeln, was genau als eigene Art gelten kann, was als Unterart und was als ein bisschen seltsam geratenes Exemplar ein und derselben Art, ist ein trickreiches Geschäft. (Es ist auch eine ideale Möglichkeit, einen Streit vom Zaun zu brechen, sollten Sie je in einen Haufen Paläoanthropologen geraten und genügend Zeit zum Totschlagen haben.) Aber wie immer Sie sie auch klassifizieren, sicher ist, dass es damals wenigstens ein paar andere Arten von Menschen auf dem Planeten gab, die berühmteste darunter war wohl der Homo neanderthalensis, besser bekannt vielleicht unter dem Namen Neandertaler. Selbst mit einer früheren Auswanderungswelle aus Afrika herübergeschwappt, lebten die Neandertaler seit über 100 000 Jahren in weiten Teilen Europas und Asiens. Alles in allem lief es bei ihnen ganz gut.

Leider waren nur ein paar Zehntausend Jahre, nachdem unsere Vorfahren am Ort des Geschehens aufgekreuzt waren – in evolutionären Maßstäben nicht mehr als einen Wimpernschlag später –, die Neandertaler und all unsere anderen Verwandten vom Antlitz der Erde verschwunden. Ein Muster übrigens, das sich sehr bald als exemplarisch für den weiteren Verlauf der menschlichen Geschichte erweisen sollte: Sobald wir eintrudeln, ist es aus mit der Nachbarschaft. Binnen weniger Tausend Jahre nachdem die modernen Menschen in ihre Region gezogen waren, beginnen die Neandertaler in den fossilen Funden zu verschwinden, übrig blieben lediglich ein paar Geistergene, die noch immer in unserer DNA herumspuken. (Es ist unbestritten, dass es zwischen Neandertalern und den Eindringlingen, die sie verdrängen sollten, die eine oder andere Kreuzung gab. So Sie europäischer oder asiatischer Herkunft sind, besteht eine reelle Chance dafür, dass ein bis vier Prozent Ihrer DNA auf die Neandertaler zurückgehen.)

Warum und wie genau wir überlebt haben, während unsere Cousins auf den Schnellzug nach Nirgendwo gerieten, wird ebenfalls lebhaft diskutiert. Tatsächlich sind viele der wahrscheinlichsten Erklärungen Themen und Motive, denen wir in diesem Buch wieder und wieder begegnen werden. Vielleicht haben wir die Neandertaler versehentlich ausgelöscht, indem wir bei unserer Ankunft Krankheiten eingeschleppt haben, gegen die sie nicht resistent waren. (Ein großer Teil der Menschheitshistorie ist wirklich nichts weiter als eine Geschichte von Krankheiten, die wir uns auf unseren Reisen eingefangen und einander großzügig weitergegeben haben.) Vielleicht hatten wir auch das Glück, uns bei schwankenden Klimabedingungen besser anpassen zu können. Die Beweislage legt nahe, dass unsere Vorfahren in größeren sozialen Gruppen lebten und über ein sehr viel größeres Gebiet kommunizieren und Dinge untereinander austauschen konnten als die isolierteren, eher zurückgezogen lebenden Neandertaler, was bedeutet, dass sie auf mehr Ressourcen zugreifen konnten, wenn es zu einem Kälteeinbruch kam.

Oder vielleicht haben wir sie auch einfach umgebracht, weil, hey, dafür hatten wir schon immer was übrig.

Aller Wahrscheinlichkeit nach gibt es keine hübsch saubere Einzelerklärung, weil die Dinge normalerweise so nicht laufen. Aber viele der plausibelsten Erklärungen haben eine Sache gemeinsam – unser Gehirn und die Art und Weise, wie wir damit umgehen. Dabei ist es aber keinesfalls einfach so, dass wir schlau waren und sie dumm. Die Neandertaler entsprachen keineswegs dem Stereotyp des trampeligen Strohkopfs, als der sie so gerne gesehen werden. Ihr Gehirn war genauso groß wie unseres, sie stellten Werkzeuge her, konnten mit Feuer umgehen, schufen abstrakte Kunst und Schmuck, und dies Zehntausende Jahre, bevor Homo sapiens des Wegs kam und von Europa aus mit seiner Luxussanierung der Welt anfing. Aber die meisten plausiblen Evolutionsvorteile, die wir unseren Neandertaler-Cousins voraushatten, hingen mit unserem Denken zusammen – ob dies nun unsere Anpassungsfähigkeit betraf, unsere ausgefuchsteren Werkzeuge, unsere komplexeren Sozialstrukturen oder die Art und Weise, wie wir innerhalb unserer Gruppen und zwischen verschiedenen Gruppen kommunizierten.

An der Art und Weise, wie wir Menschen denken, ist etwas, das uns besonders macht. Ich meine, ist doch klar, oder? Es steht schon in unserem Artnamen: Homo sapiens – lateinisch für »weiser Mensch«. (Bescheidenheit, seien wir ehrlich, hat nie zu den charakteristischen Merkmalen unserer Art gehört.)

Und um unserem Ego gegenüber Fairness walten zu lassen: Das menschliche Gehirn ist in der Tat ein bemerkenswerter Apparat. Wir erkennen in unserer Umwelt Muster und leiten daraus wohlbegründete Vermutungen darüber ab, wie etwas funktioniert, erschaffen ein komplexes mentales Modell der Welt, das mehr einschließt als das, was wir mit unseren Augen sehen können. Anschließend können wir auf dieses mentale Modell zurückgreifen und unserer Fantasie freien Lauf lassen: Wir sind in der Lage, uns Veränderungen an der Welt auszumalen, die unser Dasein verbessern würden. Wir können diese Ideen unseren Mitmenschen kommunizieren, sodass andere sie ausbauen und Verbesserungen daran vornehmen können, auf die wir selbst nicht gekommen wären, und so Wissen und Erfindungen zu einem gemeinsamen Unterfangen machen, das von einer Generation zur nächsten weitergeführt wird. Danach können wir andere dazu bringen, im Dienste eines Plans, der zunächst allein in unserer Fantasie existiert hat, zusammenzuarbeiten und Durchbrüche zu erzielen, die keiner von uns allein zuwege gebracht hätte. Und dann wiederholen wir das viele, viele Male auf hunderttausenderlei verschiedene Weise, und was einst als wilde Innovation galt, wird zur Tradition, die ihrerseits zu neuen Innovationen Anlass gibt, bis Sie am Ende endlich etwas haben, das man als »Kultur« oder »Gesellschaft« bezeichnen würde.

Stellen Sie sich das Ganze so vor: Sie haben irgendwann gemerkt, dass runde Dinge einen Hügel besser hinunterrollen als unregelmäßig geformtes Gerümpel. Danach ging Ihnen auf, dass Sie von etwas Sperrigem mithilfe eines Werkzeugs Teile abmeißeln können, damit das Teil runder wird und den Hang besser hinabrollt. Drittens schließlich haben Sie Ihrem Freund Ihre neuen runden rollenden Dinge gezeigt, worauf der auf die Idee kam, vier von den Dingern zusammenzusetzen und einen Wagen zu bauen. Daraufhin lassen Sie viertens eine Fahrzeugflotte aus Zeremonienkutschen bauen, damit die Menschen die Herrlichkeit Ihrer gütigen gleichwohl gnadenlosen Herrschaft besser würdigen werden. Und im fünften Stadium donnern Sie zu einem Mixtape von Rockklassikern in einem Vauxhall Insignia die A10 entlang, während Sie einem LKW-Fahrer gestikulierend bedeuten, dass Sie ihn für einen Flachwichser halten.

(WICHTIGFÜRKÜMMELSPALTER: Es handelt sich hier um eine komplett ungenaue Beschreibung der Erfindung des Rades. Räder wurden tatsächlich im großen Lauf der Dinge überraschend spät erfunden, die Gesellschaft hat Jahrtausende fröhlich ohne sie vor sich hin gewurstelt. Das erste Rad, das der archäologischen Geschichtsschreibung zufolge vor ungefähr 5500 Jahren in Mesopotamien auf der Bildfläche erschien, wurde noch nicht einmal für den Transport genutzt, sondern diente als Töpferscheibe. Es scheint noch etliche Hundert weitere Jahre gedauert zu haben, bis jemand auf die glorreiche Idee verfiel, Töpferscheiben auf die Seite zu drehen und dazu zu benutzen, Zeug herumzurollen und damit jene Entwicklung anzustoßen, die letztlich mit dem Automagazin Top Gear ihren vorläufigen Höhepunkt erreichen sollte. Mit der Bitte um Vergebung an alle Radgelehrten, die an dem vorangegangenen Absatz möglicherweise Anstoß genommen haben, er diente allein der Veranschaulichung.)

Aber so bemerkenswert das menschliche Gehirn auf der einen Seite ist, so außerordentlich seltsam tickt es doch auch, und es neigt dazu, im unpassendsten Augenblick völlig danebenzuliegen. Wir treffen mit schöner Regelmäßigkeit falsche Entscheidungen, nehmen lächerliche Dinge für bare Münze, ignorieren offensichtliche Indizien direkt vor unserer Nase und versteigen uns zu Plänen, die absolut unlogisch sind. Unser Verstand ist imstande, die Relativitätstheorie zu ersinnen, sich Konzerte und Städte auszudenken und in die Praxis umzusetzen, und dennoch offenkundig unfähig, ohne fünf endlose Minuten mühsamen Abwägens zu entscheiden, welche Sorte Chips wir kaufen wollen.

Wie hat unsere unvergleichliche Art zu denken es uns ermöglicht, die Welt in unglaublicher Weise nach unseren Wünschen zu formen, dabei gleichzeitig aber auch unablässig die absolut schlimmstmöglichen Entscheidungen zu treffen, obwohl völlig klar sein musste, um was für dämliche Ideen es sich handelte? Kurz: Wie kann es sein, dass wir einen Mann auf den Mond schicken und trotzdem den Text an unsere Ex? All das hat damit zu tun, wie sich unser Gehirn im Laufe der Evolution entwickelt hat.

Der Haken ist, dass die Evolution als Prozess nicht intelligent ist – aber immerhin ist sie auf sehr beständige Weise unintelligent. Alles, worauf es der Evolution ankommt, ist, dass Sie den tausend möglichen schrecklichen Toden, die an jeder Ecke auf Sie lauern, gerade lange genug entkommen, um sicherzustellen, dass Ihre Gene es in die nächste Generation schaffen. Wenn Sie das hinbekommen, haben Sie es gepackt. Wenn nicht, Pech gehabt. Das heißt aber, dass die Evolution mit Weitblick nichts am Hut hat. Wenn irgendein Merkmal Ihnen jetzt, in diesem Augenblick, einen Vorteil verschafft, wird es selektioniert – ohne Rücksicht darauf, dass es womöglich dermaleinst Ihren Ur-Ur-Ur-Ur-Urgroßkindern irgendetwas aufhalsen wird, das jämmerlich überkommen ist. Genauso vergibt sie keine Punkte für Voraussicht – das Argument: »Oh, das mag für den Moment ein bisschen hinderlich sein, aber in ein paar Jahrmillionen wird es sich für meine Nachkommen als außerordentlich nützlich erweisen, glauben Sie mir«, macht nullkommanull Eindruck. Die Evolution erzielt ihre Ergebnisse nicht, indem sie vorausplant, sondern indem sie einfach eine lächerlich große Anzahl hungriger, geiler Organismen auf eine gefährliche und gnadenlose Welt loslässt und schaut, wer als Letzter scheitert.

Das aber bedeutet, dass unsere Gehirne nicht das Ergebnis eines akribischen Designprozesses sind, der zum Ziel hatte, die bestmöglichen Denkapparate hervorzubringen, sondern vielmehr eine lose Ansammlung von Geniestreichs, Pfuschs und Spontanverknüpfungen, sogenannten »Mental Shortcuts«, so etwas wie das Pendant von Hyperlinks, die unsere frühen Vorfahren vielleicht 2 Prozent besser darin sein ließen, Nahrung zu finden, oder 3 Prozent darin, das Konzept zu vermitteln: »Oh, verdammt, pass lieber auf, das ist ein Löwe.«

Solche mentalen Abkürzungen (wir reden hier von Heuristiken menschlichen Handelns, wenn Sie ein Faible fürs Technische haben) sind absolut notwendig für unser Überleben, unsere Interaktion mit anderen und für das Lernen aus Erfahrungen: Sie können sich nicht hinsetzen und alles, was Sie brauchen, jedes Mal neu aus Grundprinzipien herleiten. Müssten wir, um vom Sonnenaufgang am Morgen nicht jedes Mal zu Tode erschreckt zu werden, stets das kognitive Äquivalent einer kontrollierten, randomisierten Großstudie durchführen, wären wir als Art nicht übermäßig weit gekommen. Es macht sehr viel mehr Sinn für Ihr Gehirn, beiläufig zu registrieren: »Oh, ja, die Sonne geht auf«, nachdem es dies ein paarmal wahrgenommen hat. Genauso ist es, wenn Jeff Ihnen erzählt, dass ihm von den violetten Beeren an dem Busch da drüben kotzübel geworden sei, vermutlich am besten, ihm zu glauben und es nicht erst selbst zu probieren.

Aber genau da fangen auch die Probleme an. So nützlich diese mentalen Shortcuts (wie alle Abkürzungen) sind, manchmal führen sie uns auf die falsche Fährte. Und für eine Welt, in der die Themen, mit denen wir uns zu befassen haben, um ein Gehöriges komplizierter sind als die Frage: »Soll ich von den violetten Beeren essen oder nicht?«, liegen sie sehr oft daneben. Unverblümt gesagt: Einen Großteil der Zeit benimmt sich Ihr Gehirn (und mein Gehirn, ja eigentlich so ziemlich das Gehirn eines jeden) wie ein ausgemachter Vollpfosten.

Als Einstieg wäre da die Fähigkeit, Muster zu erkennen. Das Problem dabei ist, dass unsere Gehirne derart darauf abfahren, Muster zu erkennen, dass sie anfangen, sie überall zu sehen – auch wenn es gar keine gibt. Das ist kein gravierendes Problem, wenn es nur so etwas bedeutet, wie auf die Sterne des Nachthimmels zu deuten und zu sagen: »Oh, sieh nur, da ist der Fuchs, der ein Lama jagt.« Aber wenn das imaginäre Muster, das Sie erkennen, etwas ist wie »die meisten Verbrechen werden von Angehörigen einer bestimmten ethnischen Gruppe begangen«, ist es … na ja, ein echt großes Problem.

Es gibt eine ganze Reihe Namen für diese Sorte von fehlerhafter Mustererkennung – Sachen wie »Scheinkorrelation« und »Clustering-Illusion«. Während des Zweiten Weltkriegs gelangten viele Menschen in London zu der Überzeugung, dass die deutschen Marschflugkörper und Raketen (die V2 war für sich genommen eine bereits ziemlich furchterregende neue technische Entwicklung) in gezielten Häufungen (engl. cluster) auf die Stadt herabregneten – was die Londoner dazu veranlasste, in mutmaßlich sichereren Stadtteilen Zuflucht zu suchen oder zu argwöhnen, dass in irgendwelchen scheinbar verschonten Stadtteilen deutsche Spione beheimatet sein müssten. Das war immerhin so beunruhigend, dass die britische Regierung einen Statistiker namens R. D. Clarke damit beauftragte zu überprüfen, ob das alles der Wahrheit entsprach.

Sein Fazit? Die »Cluster« waren nichts weiter als Streiche, wie sie unser Verstand uns gerne spielt, substanzlose, spukende Geister der Mustererkennung. Die Deutschen hatten mitnichten einen dramatischen Durchbruch in der Lenkflugkörpertechnologie erzielt, und der Stadtteil Clerkenwell war keine Brutstätte für Geheimagenten der Wehrmacht. Die todbringenden »Wunderwaffen« waren in Wirklichkeit völlig wahllos grob Richtung Stadt abgefeuert worden. Die Leute hatten die Muster nur gesehen, weil es das ist, was unsere Gehirne tun.

Selbst hochqualifizierte Profis können dieser Art von Illusion aufsitzen. So werden Ihnen jede Menge Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, felsenfest versichern, dass Vollmond unweigerlich eine Höllennacht in der Notfallambulanz bedeutet – einen Tsunami an Patienten mit bizarrsten Verletzungen und irrem Benehmen. Das einzige Problem ist, dass es Untersuchungen gibt, die das genauer betrachtet haben, und soweit man es beurteilen kann, ist an diesem Eindruck nichts dran: Es gibt keine Korrelation zwischen den Mondphasen und dem Betrieb in Notfallpraxen. Und dennoch wird ein Haufen begabter, erfahrener Fachleute blind schwören, dass es diese Korrelation gibt.

Warum? Nun, so eine Überzeugung fällt nicht vom Himmel. Die Vorstellung, dass der Mond die Menschen kirre macht, geistert seit Jahrhunderten herum. Man denke an den Begriff »mondsüchtig« oder an die Werwolf-Mythologie. (Vielleicht hängt es zum Teil mit der vermeintlichen Korrelation zwischen den Mondphasen und dem Menstruationszyklus der Frauen zusammen.) Und das Ding ist, dass an dem Ganzen einst mehr oder weniger etwas dran gewesen sein könnte! Vor der Erfindung der künstlichen Beleuchtung – insbesondere der Straßenbeleuchtung – hatte das Mondlicht sehr viel größeren Einfluss auf das Leben der Menschen. Eine Theorie mutmaßt, dass Menschen, die unter freiem Himmel schliefen, durch den Vollmond wachgehalten wurden und die Schlaflosigkeit vorhandene psychische Probleme verstärkt hat. (Weil ich Theorien mag, in denen es um Bier geht, stehe ich persönlich auf eine alternative Erklärung: Die Menschen haben vermutlich mehr getrunken an Abenden, an denen sie wussten, dass sie ihren Heimweg auch spät in der Nacht noch würden sehen können und damit weniger Gefahr liefen, sich zu verirren, ausgeraubt zu werden oder zu stolpern und in einem Graben ihr Leben auszuhauchen.)

Woher auch immer sie stammt, es handelt sich um eine fixe Idee, die seit langer, langer Zeit in unserer Kultur verankert ist. Und sobald Ihnen irgendwer erzählt hat, dass Vollmond irre Zeiten bedeutet, ist es mit einem Mal sehr viel wahrscheinlicher, dass Sie sich an all die Male erinnern, an denen dies zutraf – und die Male vergessen, an denen es nicht so war. Ohne es gewollt zu haben, hat Ihr Gehirn so aus Zufallsereignissen ein Muster konstruiert.

Und wieder sind die Ursache jene mentalen Hyperlinks, die unser Gehirn einsetzt. Zwei der Hauptstolpersteine sind der »Ankereffekt« und die »Verfügbarkeitsheuristik«, und beide haben das Zeug, uns endlos in die Bredouille zu bringen.

Anker in diesem Zusammenhang bedeutet, dass Sie, wenn Sie irgendetwas entscheiden müssen – vor allem, wenn Sie diesbezüglich nicht viele Fakten in der Hand haben – , überdurchschnittlich stark durch das erstbeste Stückchen an Information beeinflusst werden, das Ihnen zu Ohren kommt. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, man forderte Sie auf zu schätzen, was irgendetwas kostet, und dies in einer Situation, in der es unwahrscheinlich ist, dass Sie über das Wissen verfügen, ein wohlbegründetes Urteil abzugeben – beispielsweise über ein Haus, von dem man Ihnen ein Bild zeigt. (Anmerkung für alle Angehörigen der Generation Y: Häuser sind jene großen Dinger aus Ziegelsteinen, die ihr euch nie werdet leisten können.) Ohne irgendeinen weiteren Anhaltspunkt würden Sie vielleicht das Bild anschauen, kurz registrieren, wie schick es aussieht, und dann wild ins Blaue raten. Aber Ihr Tipp lässt sich dramatisch verbiegen, indem man Ihnen zu Anfang mit einer Fantasiezahl vor der Nase herumwedelt – beispielsweise eingepackt in eine Frage wie: »Glauben Sie, dass dieses Haus mehr oder weniger als 400 000 Euro wert ist?« An diesem Punkt ist es wichtig, sich klarzumachen, dass diese Frage Ihnen in Wirklichkeit keinerlei verwertbare Informationen an die Hand gegeben hat (nicht so, als hätte man Ihnen zum Beispiel gesagt, andere Häuser dieser Art seien kürzlich für ebenjenen Betrag verkauft worden). Und doch schätzen Leute, bei denen man zuvor beiläufig den Betrag 600 000 Pfund erwähnt hat, den Wert des Hauses im Durchschnitt sehr viel höher als jemand, dem gegenüber man die Summe von 200 000 Pfund genannt hat. Obwohl die vorangegangene Frage also keinerlei informativen Wert hat, beeinflusst sie dennoch Ihr Urteil, weil man Ihnen einen »Anker« geliefert hat – Ihr Gehirn greift auf ihn als Ausgangspunkt für seine Schätzung zurück und tastet sich von dort voran.

Wir tun das bis zu einem geradezu lächerlichen Grad: Der Informationsfitzel, den wir als Anker verwenden, kann so offenkundig unnütz sein wie eine per Zufallsgenerator kreierte Zahl, aber unser Gehirn wird sich trotzdem dranhängen und unsere Entscheidungen in diese Richtung drehen. Das kann regelrecht besorgniserregend werden. In seinem Buch Schnelles Denken, langsames Denken führt Daniel Kahneman als Beispiel ein Experiment an, das im Jahr 2006 in Deutschland an einer Gruppe sehr erfahrener Richter durchgeführt wurde. Man legte den Probanden die Einzelheiten eines Gerichtsverfahrens gegen eine Frau vor, die des Ladendiebstahls für schuldig befunden worden war. Dann bat man sie, zwei Würfel zu werfen, die (was die Versuchspersonen nicht wussten) so gezinkt waren, dass sie grundsätzlich nur eine Gesamtsumme von 3 oder 9 ergaben. Anschließend fragte man sie, ob die Frau zu mehr oder weniger Monaten Freiheitsstrafe verurteilt werden sollte, als die Würfel gezeigt hatten, und forderte sie zum Schluss auf, eine Empfehlung für die Dauer der Strafe zu geben.

Sie erraten das Ergebnis vermutlich gleich: Die Richter, die die höhere Zahl gewürfelt hatten, verurteilten sie zu einer weit längeren Gefängnisstrafe als diejenigen mit der geringen Augenzahl. Im Durchschnitt hätte die Frau dank des Würfelns drei Monate länger hinter Gitter gemusst. Das ist alles andere als beruhigend.

Die zweite Sackgasse namens Verfügbarkeit hingegen bedeutet, dass Sie Ermessensentscheidungen auf der Basis der Information fällen, welcher Art auch immer sie sei, die Ihnen am ehesten in den Sinn kommt, statt sorgsam alle möglichen Informationen abzuwägen, die Ihnen potenziell zur Verfügung stünden. Und das bedeutet, dass wir massiv dazu tendieren, unsere Weltsicht auf Dinge zu stützen, die erst vor Kurzem geschehen oder solche, die besonders dramatisch und denkwürdig sind, wohingegen das ganze banale alltägliche Zeug, das vermutlich ein weit zutreffenderes Abbild der Alltagswirklichkeit böte, sozusagen … verblasst.

Deshalb lassen uns Sensationsstorys in den Nachrichten über schreckliche Verbrechen glauben, dass die Kriminalitätsrate weit höher sei, als dies in Wirklichkeit der Fall ist, während dröge Geschichten über sinkende Kriminalitätsraten auch nicht annähernd denselben Einfluss in die andere Richtung haben. Es ist einer der Gründe dafür, dass viele Leute mehr Angst vor einem (sehr seltenen dramatischen) Flugzeugabsturz haben als vor einem Autounfall (sehr viel häufiger und schon allein infolgedessen ein bisschen weniger aufregend). Und es ist der Grund dafür, dass Terrorismus augenblicklich bei Öffentlichkeit und Politikern gleichermaßen reflexartige Spontanreaktionen hervorzurufen vermag, während weit tödlichere, aber auch weniger spektakuläre Gefahren für Leib und Leben ignoriert werden. In dem Jahrzehnt zwischen 2007 und 2017 kamen in den Vereinigten Staaten mehr Menschen durch Rasenmäher ums Leben als durch Terroranschläge, aber der offizielle Aufruf der amerikanischen Regierung zum Krieg gegen Rasenmäher steht, da ich dies schreibe, definitiv noch aus. (Obwohl, wenn wir ehrlich sind, in Anbetracht der jüngsten Ereignisse kann man nicht ausschließen, dass es bald dazu kommt.)

Im Zusammenwirken sind Ankereffekt und Verfügbarkeitsheuristik beide wirklich hilfreich, wenn es darum geht, in Krisenmomenten Spontanentscheidungen zu fällen oder all jene kleinen alltäglichen Fürs und Widers abzuhaken, die wenig folgenreich sind. Aber wenn Sie eine begründete Entscheidung möchten, die aller Komplexität der modernen Welt Rechnung trägt, können sie zu einem ziemlichen Albtraum geraten. Ihr Gehirn wird unablässig versuchen, sich in seine beweistechnische Komfortzone zurückzuziehen und Ihnen nur das zugänglich zu machen, was Sie zuerst gehört haben oder was Ihnen als Erstes in den Sinn kommt.

Beide sind auch mitverantwortlich dafür, dass wir so katastrophale Versager sind, wenn es darum geht, Risiken einzuschätzen und richtig vorherzusagen, welche der zahllosen Optionen, die uns zur Verfügung stehen, am wenigsten sicher zu einer Katastrophe führen werden. Wir haben im Prinzip zwei getrennte Systeme in unserem Kopf, die uns helfen, die Gefahren von etwas einzuschätzen. Das rasche, instinktive und das langsame, abwägende. Die Schwierigkeiten fangen da an, wo sich die beiden überlappen. Ein Teil Ihres Gehirns erklärt ruhig und gelassen: »Ich habe alle Hinweise analysiert, und es hat sich herausgestellt, dass Option 1 die riskanteste Alternative ist«, während ein anderer Teil Ihres Gehirns lauthals schreit: »Ja, aber Option 2 KOMMTMIRSOGRUSELIGVOR.«

Klar, mögen Sie jetzt denken, aber zum Glück sind wir schlau genug. Wir können unser Gehirn zwingen, aus der Komfortzone herauszukommen oder nicht? Wir können diese instinktive Stimme ignorieren und die besonnenere verstärken und so unsere Situation objektiv abwägen, stimmt doch? Leider lässt das den Bestätigungsfehler außer Betracht.

Schon bevor ich anfing, mich für dieses Buch schlauzumachen, hielt ich den Bestätigungsfehler für ein großes Problem, und alles, was ich seither gelesen habe, hat mich davon überzeugt, dass ich recht habe … Und genau das ist das Problem: Unser Gehirn hasst es festzustellen, dass es sich geirrt hat. Der Bestätigungsfehler beschreibt unsere ärgerliche Angewohnheit, uns wie ein lasergelenktes Geschoss auf jedes Fetzchen Information zu stürzen, das bestätigt, was wir ohnehin schon glauben, und fröhlich die möglicherweise viel, viel größeren Berge an Beweisen zu ignorieren, die nahelegen, dass wir komplett auf dem Holzweg sind. In seiner harmlosesten Form hilft dies erklären, warum wir unsere Nachrichten am liebsten aus einer Quelle beziehen, die mit unseren politischen Ansichten im Großen und Ganzen übereinstimmt. In einer schlimmeren Ausgabe ist es der Grund dafür, dass Sie einem Verschwörungstheoretiker seine Überzeugungen nicht ausreden können, weil er wie wir alle von Natur aus Rosinenpickerei betreiben wird in Bezug auf Ereignisse, die seine Version der Realität stützen, und solche verwerfen wird, die das nicht tun.

Auch das ist in mancherlei Weise recht hilfreich. Die Welt ist kompliziert und unordentlich und offenbart uns ihre Regeln nicht in Gestalt hübscher, leicht verständlicher PowerPoint-Präsentationen mit säuberlich gelisteten Aufzählungspunkten. Sich irgendein mentales Modell von der Welt zu schaffen, bedeutet nutzlose Informationen über Bord zu werfen und sich auf die wichtigen Belege zu stützen. Es ist nur so, dass das Herausfinden, welche Information die ist, auf die zu achten sich lohnt, einer Art kognitivem Glücksspiel gleicht.

Es kommt aber noch schlimmer. Die Abneigung unseres Gehirns gegen die Vorstellung, es könne Mist gebaut haben, reicht tiefer. Sie denken vielleicht, dass wir, wenn wir eine Entscheidung getroffen, entsprechend gehandelt und mit eigenen Augen gesehen haben, dass die Sache furchtbar aus dem Ruder läuft