Echte Werte - Catarina Ehrlich - E-Book

Echte Werte E-Book

Catarina Ehrlich

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Beschreibung

Timon Fenten geht es gut. Als Wirtschaftsdetektiv lebt und arbeitet er in der Welt der Reichen und Schönen. Mit den Gesetzen nimmt er es nicht so genau. Die Welt liegt denen zu Füßen, die Willens und in der Lage sind, sich zu nehmen, was sie wollen - das ist sein Motto. Moral und Ethik sind für die Schwachen gemacht, nicht für die Starken. Menschliche Werte sind Nebensache. Geld zählt mehr als Freundschaft. Doch eines Tages bricht seine Welt über ihn zusammen. Nichts ist mehr, wie es war. Des Mordes verdächtigt und für einen der größten Finanzskandale der Bundesrepublik verantwortlich gemacht, beginnt er zu begreifen, welche großen Fehler er gemacht hat, und dass Geld nicht der einzige Wert ist, der zählt.

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Seitenzahl: 207

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Echte Werte

Roman

Catarina Ehrlich

Der Inhalt dieses Romans ist frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten mit realen Begebenheiten, existierenden Unternehmen oder Marken und tatsächlich lebenden oder bereits verstorbenen Personen wären rein zufällig.

1.

Von außen wirkte das quaderförmige Gebäude recht unscheinbar. Innen jedoch begrüßten Luxus und stilvolles Ambiente mit dem Charme des 19. Jahrhunderts gut betuchte Gäste. Das berühmt berüchtigte Hotel mit dem unaussprechlichen osteuropäischen Namen. Eine der ersten Adressen Amsterdams, aber auch Umschlagplatz und Wartehalle für meist unfreiwillig Auswanderungswillige – oder für jene, die gute Gründe hatten, schnell unbemerkt, unerkannt und möglichst unauffindbar in ferne Länder zu verschwinden.

Karina Neuner gehörte zur letzteren Gruppe. Nervös zog sie an ihrer Zigarette und trommelte mit den perfekt lackierten Fingernägeln auf die Tischplatte des Frühstückrestaurants im historischen Wintergarten. Sie war der einzige Gast um diese Zeit, knapp zwei Uhr nachmittags war es. Sie wartete. Allerdings nicht auf die Bedienung.

Regen prasselte auf das hohe, gläserne Kuppeldach. Seit Tagen Regen, Sturm und mieses Herbstwetter. Karina schlug ihren schwarzen Nerzmantel fröstelnd vor der Brust zusammen.

Vor ihr auf dem Tisch lag eine exquisite Ledertasche, gerade neu gekauft und prall gefüllt. So oft ihr Blick auf die Tasche fiel, nahm sie einen tiefen Zug und stopfte schließlich die Kippe zu der anderen in die zarte Blumendekoration auf dem Tisch.

Mit einem Ruck warf sie ihre halblangen, schwarzen Haare über die Schulter zurück. Ihre Hände zitterten, als sie das hochkarätig vergoldete Etui aufklappte, sich mit fahrigen Fingern eine weitere Zigarette nahm und mit einem zierlichen Feuerzeug, auf dem in stilisierten Lettern ihre Initialen standen, anzündete.

Währenddessen fuhr ein roter Porsche 911 Carrera GTS neueren Datums mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit auf das Hotel zu.

Der Fahrer scherte sportlich auf den Behindertenparklatz direkt vor der Tür ein, stieg aus dem Wagen und eilte durch den Regen zur Tür. Den dezenten Versuch des Portiers, doch bitte den Parkplatz freizugeben, ignorierte er geflissentlich.

Timon Fenten kannte sich im Hotel gut aus und begab sich umgehend zum Wintergarten.

Karina schaute auf ihre Armbanduhr. Eine goldene Cartier. Vierzehn Uhr genau. Noch einmal fiel der Blick auf die Tasche und sie verschluckte sich an dem Rauch, hustete.

Ein leises Lachen schreckte sie auf. Ihr Blick heftete sich zornig auf den Mann, der die letzten Schritte auf den Tisch zu ging und sich ungefragt setzte.

Timon Fenten versuchte gar nicht erst, das Triumphgefühl in seinen markanten, durchaus attraktiv zu nennenden Zügen zu verstecken.

Erst Mitte Dreißig zeigten sich schon vereinzelte graue Strähnen in dem dunklen, akkurat geschnittenen Haar. Überhaupt zeugte seine gesamte Erscheinung von gepflegter Eleganz. Ein teurer Maßanzug, modisch, vielleicht etwas zu gewagt. Mit Schmuck und Uhr hätte er wie ein Zuhälter gewirkt, aber er trug nichts davon. Er wirkte auf den ersten Blick harmlos, charmant. Sah nach Büro und Geld aus. Wie ein Börsianer mit einem etwas zu extravaganten Kleidungsstil.

Doch Karina ließ sich davon nicht täuschen. Sein Blick blieb auf ihrer Cartier hängen und verzog sich leicht widerwillig.

„Du kannst es nicht lassen. Hältst dich immer noch nicht an die Spielregeln“, meinte Timon Fenten scheinbar amüsiert. Seine Augen richteten sich befriedigt auf die Tasche, dennoch zeigte er stete Wachsamkeit im Blick.

Karina zog nervös an der Zigarette und inhalierte tief. Böswillig stieß sie den Rauch in seine Richtung aus. Er hustete leicht. Sie grinste kalt. „Und das von dir?“

„Du besitzt etwas, das nicht dir gehört. Mein Job ist es, das nun zurückzuholen.“

„Das sagtest du bereits am Telefon.“ Sie machte sich keine Mühe, die Wut in ihrer Stimme zu unterdrücken. „Was könnte deine Meinung ändern?“

Timon musterte sie ebenso kalt. „Du hättest das nicht tun sollen. In Frankfurt herrscht eine ziemliche Aufregung wegen deiner kleinen Eskapade. Sei froh, dass von Siegrecht mich beauftragt hat. Er hätte auch Froeb schicken können. Und du weißt, dass er die Drecksarbeit für ihn macht – angeblich. Schließlich wart ihr vor Kurzem noch im selben Team.“

Karina nahm einen letzten Zug und stopfte die Kippe zu den anderen, wobei ihre zitternden Hände die Vase umstießen.

Reflexhaft griff Timon zu und berührte dabei ihre Hände. Er stellte die Vase wieder gerade und lächelte. „Wir beide waren auch mal ein gutes Team ...“

„Das ist längst vorbei und das ist gut so“, zischte Karina und wischte sich die Hände an der immens teuren Designerhose ab. „Also, was willst du wirklich?“

Timon wog den Kopf hin und her, ohne sie aus den Augen zu lassen. „Das Geld natürlich. Wie ich schon sagte, der alten Zeiten willen lasse ich dir 250.000. Du solltest dich ohnehin nie wieder in Frankfurt sehen lassen. Es gibt viele Länder, wo du ein prächtiges Leben mit so einem hübschen Sümmchen verbringen kannst. Immerhin hast du es dann noch – dein Leben.“

Karina schien einen Moment nachzudenken, dann setzte sie ein zauberhaftes Lächeln auf und fügte einen bittenden Blick aus dunkelgrauen Augen hinzu. „Wie wäre es mit der Hälfte? Und die andere steckst du dir ein? Vielleicht verschwinden wir auch gemeinsam und versuchen es noch einmal?“

Timon lachte, während er sie angetan musterte. „Einen Moment lang hatte ich tatsächlich eine ähnliche Idee, das gebe ich zu. Aber wie du weißt, ich bin eine zu ehrliche Haut, als dass ich Lust hätte, mein restliches Leben auf der Flucht zu verbringen.“

Karina brach in schallendes Gelächter aus. Es hallte durch den riesigen Wintergarten und brach sich als Echo an den verglasten Wänden und der hohen Kuppel. „Du? Eine ehrliche Haut? Seit wann das denn?“

„Och, im Rahmen meiner Möglichkeiten schon“, erwiderte Timon grinsend und wurde schlagartig ernst. „Und jetzt bitte das Geld. Ich will heute noch zurück nach Frankfurt. Von Siegrecht wartet nicht gern. Er will wissen, wo du dich aufhältst.“

Karina hörte sofort auf zu lachen und blickte ihn wütend an. „Es liegt vor dir auf dem Tisch. Er weiß nicht, wo ich bin?“

Timon griff nach der Tasche und öffnete sie. „Nein. Und ich werde es ihm auch nicht sagen.“

Karina atmete sichtlich erleichtert durch.

Timon holte das Geld aus der Tasche und zählte nach. 2.500.000 Euro. „Stimmt. Ich hatte auch nichts Anderes von dir erwartet.“

„Aber nachgezählt hast du trotzdem“, erwiderte Karina schnippisch. „Wie hast du mich eigentlich gefunden?“

Timon lachte, packte die letzten Bündel Geldscheine sorgfältig zurück in die Tasche und schloss den Reißverschluss, während er ihre Frage beantwortete. „Meine Süße, du warst schon immer ein offenes Buch für mich. Schon an der Uni wusste ich, dass aus uns mal was wird. Und den Rest kennst du ja.“

Einen Moment lang wirkte es, als wolle sie aufspringen und ihm das Gesicht zerkratzen, aber sie beherrschte sich. „Einer der größten Fehler meines Lebens - Berufliches mit Privatem zu vermischen! Wie konnte ich nur?“

Zufrieden lehnte sich Timon zurück und betrachtete ihr wutentbranntes, durchaus schön zu nennendes Gesicht. „Die Jahre haben dir gut getan. Du gehörst wohl zu den Frauen, die mit zunehmender Reife immer schöner werden.“

„Hör auf, so einen Scheiß zu labern, und lass mich endlich gehen!“, brachte sie gerade noch verständlich hervor.

Timon machte eine großzügige Geste und lächelte charmant. Wachsam behielt er jedoch jede ihrer Bewegungen im Auge. „Bitte. Du kannst gerne gehen. Niemand hält dich auf.“

Karina sprang auf und schleuderte ihm ihren Hass buchstäblich entgegen. „Das wird dir noch verdammt leidtun! Das wirst du bereuen, das schwöre ich dir!“

Sie stürmte, ohne sich noch einmal umzudrehen, aus dem Restaurant.

Timon blickte ihr kopfschüttelnd nach und grinste. „Armes Ding. Aber ich kann dich verstehen. Die Versuchung muss sehr groß gewesen sein.“

Er stand auf und ging zur Rezeption, zahlte ihre Rechnung, ließ sich eine Spesenquittung geben und verließ das Hotel kurz darauf mit einer Tasche voller Geld und ausgesprochen guter Laune.

2.

Früh am nächsten Morgen, noch vor sechs Uhr, brachte ein sehr gut gelaunter Timon Fenten, seines Zeichens erfolgreicher Wirtschaftsdetektiv, seinen Porsche so rasant auf der Auffahrt der eindrucksvollen alten Villa zum Stehen, dass der nasse Kies gegen die ehrwürdigen Mauern spritzte.

Der Regen gönnte sich eine Pause. Timon stieg aus, schlug die Tür zu und störte sich nicht an dem Lärm, den er um diese Zeit verursachte. Max von Siegrecht war ohnehin ein Frühaufsteher, der noch vor dem ersten Kaffee einen genauen Bericht von seinen Angestellten verlangte und eine Geistesklarheit an den Tag legte, den so mancher dieser überforderten Zeitgenossen nicht mal nach einer eiskalten Dusche und dem Genuss einer ganzen Kanne Morgenkaffee aufbringen konnte.

Die großzügig, um nicht zu sagen protzig angelegte Villa befand sich seit Jahrhunderten im Familienbesitz der von Siegrechts. Die Familiengeschichte hatte ihren Anfang im Mittelalter genommen, als ein leidlich krimineller Vorfahr dem Raubrittertum abgeschworen hatte und als Gegenleistung dafür, dass er seine einstigen Verbündeten verraten und der Gerichtsbarkeit ausgeliefert hatte, in den Adelsstand erhoben worden war. Dieser abrupte Seitenwechsel hatte es ihm erlaubt, sein Vermögen fortan auf legale Weise zu mehren.

Und auch die meisten seiner Nachfahren hatten die Vermögensvermehrung als eine ihrer wichtigsten Lebensaufgaben betrachtet, wobei sie bei der Wahl der Mittel meist nicht besonders zimperlich gewesen waren. Im Laufe der Jahrhunderte war so ein stattliches Vermögen zustande gekommen.

Doch dann gab es die beiden Weltkriege, einige falsche Entscheidungen wurden getroffen und das Vermögen derer von Siegrechts schrumpfte wieder auf einen Bruchteil zusammen.

Dem damaligen Familienoberhaupt Eduard von Siegrecht war es durch geschicktes Taktieren jedoch gelungen, nicht nur die Familie vor der Verarmung zu bewahren, sondern darüber hinaus auch wieder ein beträchtliches Vermögen aufzubauen.

Und sein Sohn Max von Siegrecht nahm sich den Vater als Vorbild und setzte sich das große Ziel, dessen Leistungen noch um ein Vielfaches zu übertreffen. Dass er dabei den Rahmen der Legalität verließ, störte ihn nicht im Geringsten. Gesetze waren schließlich für das Volk gemacht, so seine Meinung. Nur die Familie durfte nicht mit solchen Dingen in Zusammenhang gebracht werden und musste ihr reines Image behalten – darauf legte er sehr großen Wert. Für die meisten Geschäfte war es sehr wichtig, gesellschaftlich anerkannt und nach Außen hin untadelig und ehrbar zu erscheinen.

Timons Auftritt war nicht unbemerkt geblieben. Im prächtigen Portal – für eine Tür waren diese zwei Flügel baumstarken und kunstvoll geschnitzten Holzes einfach zu wuchtig – stand Markus Froeb, der persönliche Assistent Max von Siegrechts. Er passte gut in den Durchlass, auch er war ziemlich groß, wuchtig und entsprach mit dem Gesicht einer Bulldogge und einem immer leicht dämlich wirkenden Blick genau dem Bild eines Angestellten in einer solchen Position. Man kannte sie aus Filmen, doch der erste Eindruck täuschte, wie Timon Fenten aus einer früheren, recht unangenehmen Begegnung bereits wusste. Markus Froeb war überaus intelligent und nicht nur der persönliche Schutz des Max von Siegrechts, sondern auch in vielen anderen, insbesondere finanziellen Angelegenheiten eingeweiht und handlungsbefugt, sofern es um die Interessenvertretung seines Arbeitgebers ging. Er stand seit mehr als zwei Jahrzehnten in von Siegrechts Diensten und war ihm treu ergeben. Er war eiskalt, berechnend und hatte keine Bedenken, sich die Hände schmutzig zu machen. In den ersten beiden Punkten waren er und Fenten sich durchaus ähnlich.

„Gude, Froeb. Na, schon munter?“ Timon grinste ihn frech an, ohne die nötige Portion Wachsamkeit zu verlieren.

Froeb verzog keine Miene. Sein Blick heftete sich auf die extra große Damenumhängetasche, die sich Timon über die rechte Schulter gehängt hatte. Froeb selbst sagte nichts, sein verächtlicher Blick auf die Tasche dafür mehr als tausend Worte.

Timons Grinsen erstarb. Er presste die Kiefer zusammen. Nur ruhig. Nur nicht reizen lassen.

„Würden Sie wohl die Freundlichkeit haben und mich anmelden?“, verlangte er betont förmlich. „Herr von Siegrecht wartet sicher schon auf mich.“

Froeb konterte, indem er ihn mit einer weit ausholenden Geste ins Haus einlud, die nur als Karikatur einer dienstbeflissenen Unterwürfigkeit interpretierbar war. Begleitet wurde diese Geste von einem geradezu wölfischen Grinsen.

Timon zuckte kaum merklich zusammen. Mit gebührendem Abstand folgte er dem mehr als einen Kopf größeren Riesen, wobei er selbst nicht unbedingt als klein einzustufen war.

In der Halle hätte Timon sein komplettes Büro einschließlich aller Nebenräume unterbringen können. Muffig und dunkel erschien sie, was nicht nur an der herbstlichen Jahreszeit und der damit verbundenen immer länger dauernden Nacht lag. Die schweren, dunklen Möbel und Wandvertäfelungen schluckten jedes Licht, ob künstlich oder natürlich. Man fühlte sich ständig beobachtet von all den tierischen Trophäen rundherum, die sich im Laufe der Jahrhunderte angesammelt hatten.

Timon Fenten wirkte ein wenig eingeschüchtert, was er jedoch versuchte, sich nicht anmerken zu lassen.

Ungewöhnlich behutsam klopfte Froeb an die Tür des Arbeitszimmers, aus dem trotz der dicken Wände bereits einige Meter davor die kräftige, sonore Stimme des Hausherrn zu hören war. Er befand sich noch mitten in seiner morgigen Schlacht mit den Angestellten.

„Herein!“, schallte es, aufgebracht durch die Störung, heraus.

Froeb öffnete die Tür, mit einer Zartheit, die man diesem Riesenkerl niemals zugetraut hätte. „Herr von Siegrecht, Herr Fenten möchte Sie sprechen.“

„Ah, Fenten, mein Guter!“ Max von Siegrecht erhob sich schwungvoll aus dem antiquierten, nietenbesetzten, thronähnlichen Lederstuhl hinter seinem pompösen antiken Schreibtisch und fegte mit einer Handbewegung seine Leute hinaus. So erschien es zumindest, denn plötzlich stürzten acht bis zehn Personen mit teilweise deutlich erleichterten Gesichtern an Timon vorbei in Richtung Tür, die der Riese, im Raum bleibend, hinter ihnen geräuschlos schloss.

Timons Blick fiel auf den präparierten Wildschweinkopf hinter von Siegrechts Schreibtisch. Lautes Türenknallen hätte ihn vermutlich aus seiner Verankerung gelöst und einen der letzten Raubritter erschlagen. Kein rühmliches Ende. Timon kämpfte mit einem nervösen Grinsen und nutzte es schließlich für sich.

„Guten Tag, Herr von Siegrecht“, meinte er leichthin und hob die schwere Tasche von seiner Schulter, warf sie schwungvoll auf den Haufen Papiere auf dem Schreibtisch, wo sie ein Chaos hinterließ, und plumpste ungefragt in den überdimensionierten und viel zu niedrigen Ledersessel davor. Ein psychologischer Trick, um das Gegenüber auch optisch klein zu halten, nicht nur in seinen Ansprüchen. Doch Timon fiel nicht darauf herein, gern benutzte er ähnliche Methoden. Herausfordernd grinsend schaute er hoch und wartete er auf von Siegrechts Reaktion.

Max von Siegrecht war eine beeindruckende Erscheinung. Alter Adel, stolz und beherrschend, durch und durch. Er war Mitte Fünfzig, leidenschaftlicher Jäger, unterhielt einen ganzen Stall von Pferden – laut hartnäckigen Gerüchten auch auf der Roten Meile in Frankfurt einen menschlichen – und war von robuster Konstitution. Er konnte, wenn er wollte, einen gewissen herben Charme versprühen, aber in erster Linie war er Geschäftsmann, der seinen Besitz vermehren wollte.

Eine Sekunde zeigte sich Unmut über Timons Respektlosigkeit in seinen Zügen, doch er hatte sich sofort wieder unter Kontrolle. „Sie haben das Geld?“

Timon nickte und setzte eine dramaturgisch effektive Pause. „Das meiste davon.“

„Was heißt das?“ Von Siegrechts harsche Stimme durchschnitt den Raum wie einst vermutlich die Klingen seiner Vorfahren Dutzende Kehlen.

Timon räusperte sich und kämpfte die nun doch plötzlich aufsteigende Nervosität herunter. „Sie kennen sie doch auch. Kaum Geld in der Hand, muss sie shoppen gehen. Keine Ahnung, wohin sie ihre Koffer geschickt hat, das konnte ich noch nicht herausfinden. Ich erwischte sie im letzten Moment und konnte ihr gerade noch die Tasche entreißen.“ Timon drehte den Kopf zur Tür und grinste. „Hey, Großer, könnt ich nen Kaffee kriegen? Heiß und stark? Sollte doch möglich sein, oder?“

Froeb ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, holte sich erst den zustimmenden Blick des Hausherrn, bevor er leise den Raum verließ, vermutlich um das Gewünschte zu holen.

Timon atmete auf, vermied allerdings geflissentlich den Anblick des Gewehrschrankes in der Ecke. Er schwitzte plötzlich, überspielte es jedoch mit einem geschäftsmäßigen Lächeln.

Kalt erwischte ihn der Blick von Siegrechts. „Wie viel?“

Timon zuckte die Schultern. „550.000 fehlen.“

Einen Moment lang erstarrte von Siegrecht. Doch dann nickte er nur, legte die Tasche beiseite und stellte einen Scheck in der vereinbarten Höhe für Timon aus. Er reichte ihn wortlos über den Tisch.

Timon stand auf, nahm ihn zögernd, warf einen Blick darauf und schüttelte den Kopf. „Tja, Herr von Siegrecht, normalerweise stimmt die Summe, aber ich hab noch so einige Extraausgaben gehabt. Immerhin musste ich nach Amsterdam und dann auch noch die Zimmerrechnung der Dame bezahlen, damit ich überhaupt in ihr Zimmer durfte. Und schließlich hab ich dort den Hinweis gefunden, damit Sie Ihr Geld ...“

„Schon gut“, unterbrach ihn von Siegrecht ungehalten und stellte einen weiteren Scheck über 5.000 Euro aus, reichte ihn mit einer erschlagenden Geste rüber. „Das sollte Ihre Spesen ja wohl decken.“

Timon nahm auch den zweiten Scheck und unterdrückte mühsam ein freudiges Schmunzeln. „Ja, das reicht. Vielen Dank. Tja, ich werde dann mal wieder – bis der Riese den Kaffee fertig hat. War ne lange Nacht. Und wenn Sie mal wieder einen Auftrag für mich haben ...“ Er grüßte und ging zur Tür.

„Fenten!“, schallte die schneidende Stimme von Siegrechts hinter ihm her.

Timon hielt unbewusst den Atem an und drehte sich zögernd um. „Ja?“

„Der Auftrag lautete, Sie sollten mir das Geld und die Frau zurückholen.“

„Ich weiß, Herr von Siegrecht“, erwiderte Timon stockend, „aber ...“

„Wichtiger war das Geld. Das habe ich zurück. Und mit etwas Glück wird die Frau irgendwann auch irgendwo wieder auftauchen. Nur verlangen Sie nie wieder – hören Sie? Nie wieder! - im Nachhinein mehr als wir vereinbart haben, verstanden?“

Timon nickte hastig und atmete durch. „Klar, Herr von Siegrecht. Werd dran denken.“ Er grinste leicht und setzte seinen Weg fort.

Doch noch einmal hielt ihn die Stimme auf. „Und, Fenten, ...“

Timon drehte nur den Kopf.

Max von Siegrecht wirkte plötzlich wie ein Raubvogel, der seine Beute erspäht hatte und gleich zum Greifflug ansetzen würde. „Wenn irgendetwas an Ihrer Geschichte nicht stimmt, bekomme ich das heraus. Dann mache ich Sie fertig. Und glauben Sie mir, das mache ich dann höchstpersönlich, verstanden?“

„Klar. Klar, Herr von Siegrecht“, stammelte Timon eingeschüchtert. „Stimmt aber alles, stimmt alles. Bis dann.“

Timon riss die schwere Tür auf und prallte fast mit Froeb zusammen, der gerade noch das Tablett mit dem Kaffee abfangen konnte.

„Oh, der Kaffee!“ Timon schnupperte kurz und grinste schief. „Danke, aber ich muss los. Riecht richtig gut. Wenigstens etwas gelernt in all den Jahren. Schade drum.“

Ohne auf das leise Knurren des Riesen zu achten, stürmte Timon durch die Halle und zog das überraschend leicht zu öffnende Portal auf.

Er war schneller in seinem Porsche, als Froeb das Tablett absetzen und die Tür wieder schließen konnte, startete den Wagen und fuhr mit knirschenden Reifen die Auffahrt hinunter. Nicht ohne nochmals einen Haufen Kies, diesmal gegen das Portal, zu schleudern.

3.

Marlies Reischl fuhr erschrocken zusammen, als ihr Chef, Timon Fenten, die Tür zur Detektei aufriss und mit einem lauten Jubelschrei seine Sekretärin an den Armen packte und ihr einen dicken Schmatz auf die Stirn drückte. Nur mit Mühe gelang es ihr, das Kaffeetablett auszubalancieren, welches sie wie üblich um diese Zeit vorbereitete.

„Scheint alles gut gelaufen zu sein, Ihrer hervorragenden Laune nach.“

Timon strahlte sie an, nahm ihr das Tablett ab und stellte es achtlos auf die Ablage neben ihrem Schreibtisch. „Keinen Kaffee heute, Marlies. Jetzt wird ordentlich angestoßen. Sekt! Wo haben Sie ihn versteckt, hm?“

Ohne ihre Antwort abzuwarten und den missbilligenden Blick absichtlich übersehend, wandte er sich dem kleinen Kühlschrank in der integrierten Teeküche zu. „Ah – da ist er ja! Zwei Gläser, Marlies. Schnell, bevor er warm wird.“

„Nicht für mich“, erwiderte Marlies und ließ Timon nicht aus den Augen. „Ich habe gleich noch einen Arzttermin. Bin ohnehin spät dran.“

„Ach kommen Sie, Marlies“, schmeichelte Timon und öffnete die Flasche, „nun lassen Sie doch mal Fünfe grade sein. Sie müssen einfach mit mir anstoßen. Hey, ich habe nicht nur meine Provision bekommen, sondern noch 300.000 als, sagen wir mal, Sonderentlohnung für den Aufwand, plus 5.000 Extraspesen.“

Marlies wurde blass. „Sie haben doch nicht etwa ...“

Timon grinste, ließ den Korken knallen und nahm die nächstbesten Gläser, die er finden konnte, schenkte den überschäumenden Sekt ein.

„Na und?“, erzählte er vergnügt. „Der reiche Knauser kann froh sein, so viel von seinem geklauten Schwarzgeld wiederbekommen zu haben. Besser achtzig Prozent zurück bekommen als gar nichts, oder? Nur zwanzig Prozent Ausfall ist doch eine super Quote für jemanden, der mit seinem Problem nicht zur Polizei gehen kann, weil er dann das Finanzamt auf sich aufmerksam machen würde. Außerdem kann er mir sowieso nichts nachweisen. Und sollte man die Diebin doch noch erwischen – wer würde ihr schon glauben?“

„Irgendwann wird Sie das den Kopf kosten“, schimpfte Marlies missbilligend, ignorierte das angebotene Glas Sekt und nahm ihre mollige Jacke vom Haken, schlüpfte hinein. „Solche Methoden fliegen irgendwann immer auf. Ich warne Sie nicht das erste Mal.“

„Ach, Marlies“, seufzte Timon und schob ein Grinsen nach, „Sie kleine Spielverderberin. Immer so bieder und anständig. Sie wissen doch aus eigener Erfahrung, wie teuer das Leben so ist. Immerhin mussten Sie Ihren Sohn ohne jede Unterstützung alleine großziehen und ...“

„Verkauft habe ich meine Seele deshalb aber noch lange nicht!“, fiel sie ihm aufgebracht ins Wort und warf sich den langen Schal mehrfach um den Hals wie der Pfarrer mit den Worten um sich während der Predigt. „Ich habe mein Leben lang ehrlich gearbeitet. Ich weiß nicht, wie lange ich noch dabei zuschauen kann, wie Sie ...“

Das nachsichtige Lächeln in Timons Gesicht verflog, dafür nahm seine Stimme einen harten Klang an. „Sie wissen, wie ernst die Lage war nach dem Vainco-Fiasko. Mit diesem Geld kann ich die Verluste ausgleichen. Ohne dieses Geld wäre die Detektei wahrscheinlich in den nächsten vier bis acht Wochen pleitegegangen – und Sie wären dann ohne Job! Vergessen Sie das nicht.“

Unbeeindruckt von der Warnung schnaubte seine Sekretärin. „Sie haben Ihre Schäfchen doch schon längst im Trockenen. Sie wissen doch gar nicht, was Armut ist. Am Ende des Monats einen leeren Kühlschrank anzustarren. Nicht zu wissen, wie man die Miete bezahlen soll. Die Angst, nicht zu wissen, wo man schlafen soll, wenn nicht ein Wunder passiert. Ich bin froh und dankbar über den Job hier. Aber ich denke, neun Jahre gute Zusammenarbeit rechtfertigen auch, dass ich Ihnen mal die Leviten lesen darf. Sie gehen zu weit. Sie legen sich mit jemandem an, dem Sie nicht gewachsen sind.“

„Mit wem? Mit Ihnen?“, spöttelte Timon und bot ihr noch einmal das Glas versöhnlich an.

Marlies' Blick wurde bitter. Ohne ein weiteres Wort schnappte sie sich ihre Handtasche und verließ das Büro. Einen Moment lang schien sie die Tür hinter sich zuschlagen zu wollen, doch dann zog sie diese nur leise zu.

Timon blickte ihr seufzend hinterher. „Ein herzensguter Mensch, die Frau, aber leider viel zu moralisch.“

Noch immer aufgebracht über Timons Leichtsinn verließ Marlies Reischl das Geschäftsgebäude, in welchem die Wirtschaftsdetektei im siebenten Stockwerk ihren Sitz hatte, und trat auf den Fußweg. Es hatte wieder zu regnen begonnen. Missmutig holte sie ihren Schirm aus der Tasche und spannte ihn auf. Er stieß auf ein nachgiebiges Hindernis. Erschrocken richtete Marlies den Regenschirm auf und blickte in das Gesicht einer jungen Frau. „Oh, entschuldigen Sie bitte!“

„Kein Problem. Nichts passiert. Meine Schuld, ich war in Gedanken“, erwiderte Isabelle Lauenstein, lächelte kurz und setzte ihren Weg auf der Suche nach einem Unterschlupf vor dem heftiger werdenden Regen fort. Sie stellte sich in den überdachten Eingang des Geschäftshauses, aus dem Marlies gerade gekommen war.

Marlies nickte noch einmal und eilte dann schimpfend die Straße hinunter.

Leicht durchnässt und frierend blickte Isabelle erst ihr hinterher und dann zum Himmel. Dichte Wolken zogen jede Hoffnung auf besseres Wetter ins Lächerliche. Als würden sich diese Schlechtwetterwolken auf ihrem Gesicht spiegeln, durchzogen tiefe Sorgenfalten ihre ansonsten glatte Stirn.

Sie schob sich eine nasse Strähne ihres langen, blonden Haares aus dem Gesicht und steckte die Hände in die Taschen ihres für dieses Wetter viel zu leichten, hellen, knielangen Trenchcoats.

Ihr Blick studierte abwesend die in drei Reihen angebrachten Schilder der in diesem Gebäude untergebrachten Geschäftsleute und blieb schließlich auf einem hängen. Timon Fenten. Wirtschaftsdetektei. 7. Stock. Sie zögerte einen Moment, blickte zur Tür, wieder auf das Schild und zur Straße. Schließlich atmete sie tief durch, straffte die schmalen Schultern und öffnete mit einem entschlossenen Blick die Tür.

Mit dem Glas in der Hand stand Timon Fenten vor dem Panoramafenster in seinem Büro und blickte auf die regennasse Straße hinab. Seine Gedanken waren zu abgelenkt, trotz offener Tür zum Büro seiner Sekretärin hörte er die Außentür nicht. Erst die fragende Stimme aus dem Foyer schreckte ihn auf.

„Hallo? Ist jemand hier?“

Verärgert über die Störung und die Abwesenheit seiner Sekretärin, ging er ins Nebenzimmer. Sein Blick fiel auf eine junge Frau von Ende Zwanzig. Hübsch, aber gewöhnlich. Ihre Kleidung ließ zwar auf Geschmack, wenn auch etwas eigenwillig, jedoch auf eher bescheidene finanzielle Verhältnisse schließen und verstärkte seinen Unmut eher noch. „Wenn Sie auf der Suche nach einem Job sind, dann ...“

„Nein. Nein, ich ...“, unterbrach Isabelle ihn plötzlich eingeschüchtert. „Sind Sie Herr Fenten?“

Timon musterte die Frau genauer und machte aus seinem Unmut kein Geheimnis. Er nickte. „Ja, der bin ich. Das Büro ist allerdings heute geschlossen.“

Ein Schatten huschte über das Gesicht der jungen Frau. „Schade. Ich hatte gedacht, ich könnte Sie mit einem Fall beauftragen ...“

Der skeptische Blick wich augenblicklich einem geschäftsmäßig aufgeschlossenen. „Ja dann. Kommen Sie doch bitte in mein Büro.“