Economists4Future -  - E-Book

Economists4Future E-Book

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Beschreibung

Hunderttausende Schülerinnen und Schüler beharren auf eine konsequente Klimapolitik. Eltern, Lehrer*innen, Unternehmer*innen und viele weitere Menschen solidarisieren sich mit ihnen, darunter über 26.000 scientists4future aus diversen Disziplinen. Nur die etablierten Wirtschaftswissenschaften schweigen. Das ist kein Zufall, denn ihr Denkstil hat wesentlich zu den Krisen der Gegenwart beigetragen: Denn eins haben Klimakrise, Finanz- und Wirtschaftskrise ebenso wie die Corona-Pandemie gemein: Sie entlarven die Fragilität unserer Wirtschaft und zeigen, wie abhängig wir uns als Gesellschaft von ihr gemacht haben. Alte, scheinbar bewährte Lösungen greifen nicht mehr, Lieferengpässe reißen ganze Zweige in den Abgrund, das gesellschaftliche Zusammenleben gerät aus den Fugen. Zeit für die Wirtschaftswissenschaften, die Gebetsmühle aus Effizienz und Eigennutz zu zerschlagen und neue Visionen für eine bessere Welt aufzuzeigen.In "Economists4Future" mischt sich eine Gruppe von Weiterdenker*innen in die jetzt notwendige Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft ein – und verändert damit selbstverständlich geglaubte Spielregeln einer wichtigen Wissenschaft.

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LARS HOCHMANN (HG.)

VERANTWORTUNGÜBERNEHMENFÜR EINEBESSERE WELT

Lars Hochmann

Wie wir wirtschaften, so leben wir auch

Über die Notwendigkeit von economists4future

#reflexivität

Silja Graupe

Biodiversität des Erkennens

Visionäre Zukunftsgestaltung braucht reflexive Freiheit

Katrin Hirte

Das doppelte Reflexionsproblem

Wie die Ökonomik ihren Gegenstand verfehlt und sich ihrer Wirkung auf ihn entzieht

Reinhard Loske

Hochschulen und die »Third Mission«

Reflexivität als Schlüssel zur sozialökologischen Transformation der Wirtschaft

#transparenz

Johanna Hopp, Stephan Panther, Theresa Steffestun

Weitblick braucht Durchblick

Über die Notwendigkeit von Transparenz in der ökonomischen Bildung

Ronald Hartz

Mehr Transparenz?!

Über die Herausforderungen einer einfachen Forderung

Jörg Müller-Lietzkow

Open oder not Open?

Am Scheideweg des Hochschul-Gründungsmanagements

#diversität

Laura Porak

Miteinander und voneinander lernen

Vielfalt in der ökonomischen Lehre

Helge Peukert

Plurale Ökonomik im Zeitalter der Ökokalypse

Die Ökonomenzunft auf dem Weg zur Großen Transformation

Stephanie Birkner, Bernd Siebenhüner

Kommunikative Substanz und substanzielle Kommunikation

Wirtschaftswissenschaften als Teil der Scientists for Future

#partizipation

Lutz Becker, Gunnar Sohn

Zukünften zugewandt lernen

Weltverbesserung wird Partizipation gewesen sein. Ein Dialog

Daniela Gottschlich

Das Wissen der Vielen

Partizipation in der Forschung

Steffen Lange, Matthias Schmelzer, Helen Sharp

Raus aus dem Elfenbeinturm!

Mit der »Third Mission« zur Wachstumsunabhängigkeit

#befähigung

Sebastian Thieme

Eine bessere Gesellschaft ausrechnen?

Zum Umgang mit Werten in der Ökonomik

Reinhard Pfriem, Lars Hochmann

Der Sinn von Wissenschaft ist Befähigung

Wie Forscher*innen die eigene Forschung verantworten

Marlen Arnold, Katja Beyer

Fortschritt als Kreislauf

Wie nachhaltigkeitsorientierte Wirtschaftswissenschaften die »Third Mission« neu aufstellen

Maja Göpel, Lars Hochmann, Uwe Schneidewind

Ausblick: Wirtschaft neu denken

Über die Verantwortung von economists4future

LITERATUR

»In demokratischen Gesellschaften hat Wissenschaft nicht die Aufgabe vorzuschreiben, in welcher Welt wir zukünftig auf welche Weise zu leben haben.

Wissenschaft kann aber Möglichkeiten aufzeigen, begründen und rechtfertigen. Und sie kann die Bedingungen benennen und verbessern helfen, unter denen diese möglichen anderen Zukünfte zu verwirklichen sind.«

Lars Hochmann

WIE WIR WIRTSCHAFTEN, SO LEBEN WIR AUCH

Über die Notwendigkeit von economists4future

Wir leben in unruhigen Zeiten, am Horizont kündigen sich Umbrüche an. Der hartnäckige Widerspruch Hunderttausender junger Menschen hat ein historisches Fenster aufgestoßen. Weltweit werden Klimaproteste, -streiks und -demonstrationen organisiert, die mehrere Millionen Menschen mobilisieren. Beharrlich fordern sie zu tiefgreifenden Veränderungen in der lokalen wie globalen Klimapolitik auf. Hier steht etwas auf dem Spiel – das scheint einer steigenden Zahl von Menschen zu dämmern. Diese Rückeroberung des politischen Raums »from below« belebt nicht nur unsere Demokratien. Der damit verbundene Aufruf – »unite behind the science«, wie Greta Thunberg es formuliert – macht diese Zeit auch bedeutsam für viele Wissenschaften, die sich mit zukunftsfähigem Leben und Zusammenleben auf diesem Planeten befassen. Im Frühjahr 2019 haben innerhalb weniger Wochen allein im deutschsprachigen Raum über 26 000 Wissenschaftler*innen verschiedener Fächer diesen klimapolitischen Willen öffentlich als Scientists for Future gerechtfertigt. Und sie haben ihn mit Bergen von Forschungsergebnissen begründet. Wissenschaft, so scheint es, hat – allen postfaktischen Unkenrufen zum Trotz – wieder eine gesellschaftlich relevante Stimme.

Das gilt nicht nur für die klimatologisch orientierten Natur- und Ingenieurswissenschaften. Auch die Wirtschaftswissenschaften, die Gesellschaftswissenschaften allgemein, sind ermuntert, sich den offenkundigen und immer drängenderen Fragen unserer Zeit zu stellen. Zeitgleich zum Entstehen dieser Zeilen mischt sich der ungeladene Gast namens »Corona« ein und fügt diesem Buch eine weitere Relevanzdimension hinzu. Die Corona-Pandemie demonstriert, wie fragil unser gesellschaftliches Zusammenleben organisiert ist und macht uns bewusst, dass dieses System verschiedentlicher Justierungen bedarf. Wir alle gemeinsam sind Zeitzeug*innen tiefgreifender Veränderungen, die viele verstummen lassen, manche gar sprachlos machen. Alte Lösungsmuster versagen, sicher Geglaubtes wird strittig, Normalität und Chaos verschmelzen, Aussagen werden zu Fragen. Was passiert? Und wie weiter? Mehr denn je brauchen wir in diesen unsicheren Zeiten Orientierung, um andere und uns selbst als Akteur*innen statt Reakteur*innen zurück ins Spiel zu bringen. Es geht um eine Aufklärung, die nicht Aufklärung bleibt, sondern in tatsächliches Tun eingelassene Hoffnung ist und die zu realen Veränderungen drängt.

Politische Forderungen, wie etwa das 1,5-Grad-Celsius-Ziel oder ein CO2-Deckel, geben in diesem Zusammenhang Halt. Sie sagen jedoch wenig über die Gesellschaften selbst und ihre Wirtschaftsformen aus, die mit solchen Zielen vereinbar sind. Wie wollen und können wir uns unter solchen Bedingungen in Zukunft mit welcher Nahrung, Energie oder Kleidung versorgen? Wie mobil sein? Wie wohnen? Es steht wohl außer Frage, dass eine »Netto-Null-Wirtschaft« – die also nur diejenige Menge an Treibhausgasen ausstößt, die sie auch wieder binden kann – nicht einfach der Status quo, nur mit weniger CO2-Äquivalenten, ist. Zukunftsbilder beinhalten neben der Kultivierung neuer Vorstellungen immer auch das Weglassen und Überwinden althergebrachter Gewohnheiten. An dieser Stelle und gerade in unsicheren Zeiten sind die Wirtschaftswissenschaftler*innen aufgefordert, ihre Expertise über die reale Vielfalt möglicher Alternativen öffentlich einzubringen.

DIE KLIMAKRISE IST EINE GESELLSCHAFTSKRISE

Es ist ein beträchtliches Verdienst insbesondere der Naturwissenschaften, auf die Unverfügbarkeit, die Begrenztheit und auch die in Teilen unwiderrufliche Zerstörung von dem hingewiesen zu haben, was wir – allen Steuerungsfantasien zum Trotz – heute noch »Natur» nennen können und wollen. Doch all ihre Befunde sind bloß Indikatoren, stehen also nicht für sich selbst, sondern deuten auf etwas hin. Und das, was sie anzeigen, ist bei genauerer Betrachtung keine Krise des Klimas. In einer Krise befinden sich nämlich nicht die klimatischen Begebenheiten, sondern die zu kalter Technik erstarrten Naturverhältnisse von immer mehr Menschen: Vermüllung und Übernutzung im einen, Überformung und Beherrschung im anderen Moment – und mittendrin die Zurichtung jener Natur, die wir Menschen selbst sind. Nein, es handelt sich nicht um eine Klima-, sondern um eine Gesellschaftskrise. Und die hat verheerende Folgen für das Klima und die Natur – für die gesamte Welt, wie wir sie heute kennen. Das Aussterben und Abtöten von Tierarten sowie Pflanzensorten, der Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur sowie all die Neben- und Folgesfolgen, die damit einhergehen, sind nicht einfach auf einen schicksalhaften Lauf der Dinge zurückzuführen. Sie haben Ursachen, bisweilen Gründe, selten Rechtfertigungen. Und die offenbaren sich darin, wie die Gesellschaften des globalen Nordens wirtschaften.

Es liegt demzufolge nahe, die Wirtschaftswissenschaften um eine kompetente Einschätzung der Sachlage sowie mögliche Auswege zu bitten. Doch fallen die anerkannten Wissenschaften des Wirtschaftens derzeit eher durch Schweigen oder Ratlosigkeit auf. Das ist kein Zufall, eben weil die klimatologischen Befunde jene Wirtschaftsformen für gescheitert erklären, die auf Naturbeherrschung angewiesen sind, die Wirtschaftswissenschaften aber auf breiter Front für sie Partei ergreifen. Doch die Klimakrise, die eine Gesellschaftskrise ist, führt glasklar vor Augen: Es irrt, wer glaubt, die beste aller Welten käme »naturwüchsig« zustande durch Gewinnstreben, unablässige Privatisierung und das lehrbuchhafte Schaffen von Märkten, durch Effizienz, Wachstum und neue (smarte, grüne etc.) Technologien der Naturbeherrschung.

Es ist historisch ausführlich belegt, dass die Wirtschaftswissenschaften an der hier verhandelten Krise bis in die Gegenwart hinein, absichtsvoll oder aus Gedankenlosigkeit, tatkräftig beteiligt waren, nachzulesen etwa bei Ivan Boldyrev und Ekaterina Svetlova. Allerdings und unbezweifelbar hat ihre auf Effizienz, Opportunismus und Nutzenkalkülen beruhende Vernunft in den vergangenen fast 300 Jahren auch materiellen Wohlstand und Wohlbefinden für zumindest einen Teil der Menschen hervorgebracht. Wir leben in Zeiten, die an Gütern und Dienstleistungen voller kaum sein könnten. Dieser Denkstil jedoch, der die Welt zum »business case« erklärt, hat en passant viel Tatendrang und Ideenreichtum in Bezug auf andere Zukünfte trockengelegt, die ein gelingendes, ein besseres Leben ermöglichen könnten. Und er kapert und durchsetzt beständig neue Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens: Wenn Bildung, Gesundheit oder Mietraum zum »Risikokapital« werden, Kunst als Ware einen Zweck bekommt, der auf dem »Kunstmarkt« gehandelt wird, wenn Professuren für »Feministische Theorie« als »Diversitymanagement« nachbesetzt werden oder ehemals »Politische Ökologie« nun als »Nachhaltigkeitsmanagement« verhandelt wird, dann ist das weder eine Spezialisierung »auf Höhe der Zeit« noch eine rein sprachliche Profilbildung, die wir feiern sollten. Es ist ein Denkmuster, das sich nur noch im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsverhältnissen bewegt, die selbst nicht als strittig betrachtet werden (können). In der praktischen Folge wird mitunter ein CO2-Preis festgesetzt und nur noch über die Höhe dieses Preises gestritten, nicht aber über das Mittel der Bepreisung, das als alleinseligmachend immer schon vorausgesetzt wird. Wir müssen diesen Denkstil vermutlich nicht verteufeln oder fallenlassen, wohl aber lernen, ihn in die Schranken zu weisen, wie ich schon in Vom Nutzen und Nachteil der Ökonomik für das Leben deutlich ausgeführt habe. Economists4future reflektieren daher ihre praktische Wirkungsmacht: #reflexivität. Sie binden diese zurück und ziehen theoretische Konsequenzen aus ihr. Ihr Denken wirkt weder manipulativ noch gleichgültig oder übergriffig, sondern bricht sich Bahn als Demut, die mit Hoffnung, Verantwortung und Trotz in eins fällt.

WIRTSCHAFT IST KEINE TATSACHE

Im alltäglichen wie im akademischen Wortgebrauch ist es normal geworden, von »Wirtschaft« zu reden, als gäbe es nur eine vernünftige – und daneben zahllose unvernünftige Varianten. Diese Setzung erklärt sich über die Annahme, dass einzelwirtschaftliche Optimierung als Gewinnstreben auch gesellschaftlich das größte Glück bringt. Dieser Glaube, dass Eigennutz zum Gemeinnutz würde, ist längst als Irrtum aufgeklärt. Sein praktisches Scheitern zeigt sich nicht zuletzt an der Klimakrise, die, wie gesagt, eine Gesellschaftskrise ist, und an all den anderen Verfehlungen, Verwerfungen sowie Zerstörungen, die unsere Zeit prägen und die zunehmend unsere demokratischen Institutionen zu unterwandern drohen. Auch gesellschafts- und demokratietheoretisch schlittert diese Annahme auf glattem Eis. Denn plurale, offene und freiheitliche Gesellschaften können nicht »richtig« in einem zeitlosen, eindeutigen Sinne sein. Es gibt keine »allgemein optimale« Ernährung, Mobilität, Kommunikation und so weiter. Im Gegenteil: Das Leben selbst ist ein ausgiebiger Akt der Verschwendung. Weil kulturelle Gepflogenheiten sich nicht rational auflösen lassen, muss jeder Versuch, welcher Zukunft mathematisch aus der Vergangenheit modellieren will, früher oder später übergriffig, am Ende gewaltvoll und gar totalitär werden. Diese Gewalt richtet sich gegen die Welt, und alles in ihr. Mit den Worten Michael Hampes:

»Ein Naturalismus, der die Suche nach dem guten Leben aufgibt, weil er die vermeintlich abtrennbaren normativen Untersuchungen fallengelassen hat, der das Leben nur noch erklären und technisch beherrschen will, statt über es zu debattieren, muss deshalb, kurz gesagt, zur Gewalt tendieren.«

Economists4future können also nicht einfach in gewohnter Manier statistische Trends aus der Vergangenheit auf die Zukunft anwenden, sondern müssen sich selbst aktiver als bislang inmitten gesellschaftlicher Debatten als Zukunftskünstler*innen begreifen. Sie forschen und lehren nicht nur quasiaußerirdisch über gesellschaftliche Produktionsverhältnisse, sondern sind Teil davon, befinden sich inmitten der Verhältnisse. Economists4future beziehen daher Betroffene ein: #partizipation. Sie integrieren und verständigen unterschiedliche praktische Parteilichkeiten und ermöglichen auf diesem Wege eine reflektierte, selbstbestimmte Praxis. Statt etwa die industrielle Fremdversorgung mit monokulturellem Ackerbau aus Effizienz- und Intensitätsgründen als unumgänglich zu betrachten und die daraus abgeleitete Ernährungskultur den Menschen regelrecht überzustülpen, wäre es demokratischer und freiheitlicher, eine Analyse der praktischen Vielfalt ernährungskultureller Orientierungen vorzunehmen und ausgehend davon nach Möglichkeiten der ernährungswirtschaftlichen Versorgung zu fragen.

In diesem Sinne kommen economists4future zwangsläufig zu unterschiedlichen Ergebnissen, denn »Zukunft« ist keine feststehende, sondern eine prinzipiell offene Angelegenheit. Nur weil sich nicht eindeutig und abschließend bestimmen lässt, wie Gesellschaften sich »richtig« mit Gütern und Dienstleistungen versorgen, bedeutet das jedoch nicht, dass Wissenschaft zum belanglosen Meinungsaustausch verkommt. Weder das Artensterben noch das Vorkommen anders wirtschaftender Initiativen – beispielsweise im Feld der Solidarischen Landwirtschaft oder des stiftungsbasierten Kreditwesens – sind Meinungsfragen. Diese Offenheit ist keine Beliebigkeit, sondern zeugt von belastbaren, begründeten und gerechtfertigten Entwicklungsmöglichkeiten. Economists4future legen daher ihre Annahmen offen: #transparenz. Sie sind bestrebt, nachvollziehbar zu machen, warum sie zu welchem Schluss gekommen sind und wie. Dabei hilft es nicht, einen Kampf der Großbegriffe zu inszenieren, der in der Regel nur dazu führt, dass sich überhaupt nichts ändert: »Kapitalismus versus Sozialismus« oder »Marktwirtschaft versus Planwirtschaft« – Schwarz-Weiß-Malerei dieser Art lähmt das Denken. Statt entlang der (historischen) Tatsachen zu argumentieren und in der Sache zu streiten, führt sie dazu, dass wolkige Chiffren im luftleeren Raum gegeneinander ausgespielt werden. Das mag als Spektakel taugen, aber nicht als Vehikel zu realer Veränderung.

Wo immer Möglichkeiten vernichtet oder verstellt sind, weil ein Sachzwang oder ein Großbegriff konstruiert und in den Vordergrund geschoben wird – in wessen Namen auch immer! –, vertrocknen Demokratien. Denn demokratische Gesellschaften blühen nur durch eine Vielzahl an Möglichkeiten und durch das Ringen, der Debatten darum. Economists4future verständigen daher unterschiedliche Perspektiven: #diversität. Sie verständigen verschiedene Zugänge, Ansätze und Gegenstände, um ein möglichst nuanciertes Spektrum an Möglichkeiten aufzutun, weil sie wissen, dass alles Denken an Standpunkte gebunden ist, von denen aus gedacht wird. Aus der theoretischen wie praktischen Sackgasse der Sachzwänge heraus führen die Fragen nach dem »Wofür?« und dem »Worauf hin?«, kurz: die Frage nach dem Sinn. Denn wer von »Nutzen« spricht, darf über den Nutzen des Nutzens nicht schweigen. Andernfalls, darauf hat Hannah Arendt wiederholt hingewiesen, entsteht Sinnlosigkeit. Die Rhetorik von ökonomischen Gesetzen und Sachzwängen ist daher der Steigbügelhalter jener Entsinnlichung, die Wirtschaft wie Wirtschaftswissenschaften heute fest im Griff hält.

Doch Wirtschaft ist kein abgetrenntes Reich der Soziophysik, in dem nur zählt, was zählbar ist, und das isoliert vom restlichen gesellschaftlichen Zusammenleben stattfindet. Wirtschaft ist, wie Reinhard Pfriem ausführt, immer schon ein Zusammenspiel kultureller Praktiken gewesen, das sich prinzipiell nicht vom Zähneputzen, Lesen oder Pizzabacken unterscheidet. Wirtschaft ist zugleich Produkt wie Produktion von Gesellschaft und kein Ding-an-sich, das immer schon so (und nicht anders) da war und immer so (und nicht anders) da sein wird. Wer über eine gewisse Kulturtechnik als »Wirtschaft« spricht, sagt nichts über das tiefere Wesen dieser Praktik aus, sondern nur darüber, so Cornelius Castoriadis, wie sie gegenwärtig gesellschaftlich reflektiert und behandelt wird. Es handelt sich um eine Frage der gesellschaftlichen Selbstthematisierung. Mit anderen Worten: Es gibt zahllose weitere Kulturtechniken der Produktion, Herstellung, Versorgung oder Beratung, die nur gegenwärtig nicht als das in den Blick geraten, was wir Wirtschaft nennen, es aber zukünftig vielleicht könnten oder sollten, etwa solidarisches Wirtschaften oder Gemeinsinnorientierung. Die Frage, welche Wirtschaftsformen sich inwiefern und wo durchsetzen, ist offen. Die Antwort hängt davon ab, welche gesellschaftlichen Kräfte sich verbünden, um einen gemeinsamen Entwurf einer anderen Wirtschaft auf den Weg zu bringen.

Die theoretische wie praktische Herausforderung für das 21. Jahrhundert liegt darin, zu einer Vorstellung von Wirtschaft zu gelangen, die sich nicht länger in der unbestimmten Produktion von Gütern und Dienstleistungen erschöpft, die im Zweifel dem alten nur neuen Schrott hinzufügt. Stattdessen geht es darum, individuelle wie kollektive Verwirklichungschancen und Möglichkeiten einer besseren Gesellschaft zu schaffen. Es geht um die Öffnung statt Schließung von Räumen für Entfaltung, Leben und Lebendiges. In demokratischen Gesellschaften ist solche Wirtschaft – und auch das Denken über sie – in sich plural verfasst und beginnt mit der Einsicht, dass die Natur nicht nur ein zweckmäßiges Dasein für die Menschen fristet, sondern auch für sich selbst existiert.

EINE ANDERE GESELLSCHAFT IST MÖGLICH

Es ist also kein Zufall, dass die etablierten Wirtschaftswissenschaften in Bezug auf die Forderungen von Fridays for Future schweigen oder gar mit Spott reagieren. Doch das muss nicht so bleiben. Denn das Gegenteil trifft zu: Mehr denn je sind nun die Wirtschaftswissenschaften aufgefordert, sich selbst neu zu erfinden. Weil sie es sind, die die Vorstellungskraft befeuern können, welche anderen Zukünfte gesellschaftlicher (Re-) Produktion unter welchen Bedingungen möglich sind. Das Augenmerkt bleibt auf der »Suche«: Zukunft bleibt stets »im Kommen« und »4future« zu sein sagt noch nicht aus, um welche konkrete Zukunft es sich für wen handelt. Fragen von Zukunftsgestaltung münden – bei aller Eindeutigkeit, in der naturwissenschaftliche Feststellungen medial vorgetragen werden – eben nicht in Tatsachen. Befunde wie das Artensterben sind reale Bedingungen, die es anzuerkennen gilt. Aber von dort aus kann es so oder anders weitergehen. Denn infrage steht nicht allein eine sichere Versorgung mit Mobilität, Nahrung, Wohnraum, Energie und so weiter. Es geht jeweils auch um einen souveränen Umgang damit. Sicherheit und Souveränität als Zusammenspiel zeigen an, dass nicht allein das Überleben, sondern mit ihm auch das bessere Leben zur Diskussion steht. Ein Ergebnis lässt sich weder abstrakt und allgemein fassen noch formal bestimmen. Es ist so vielfältig und widersprüchlich wie die Menschen, die darüber debattieren.

In diesem Zuge kommt demokratische Politik ins Spiel, die eine Verständigung dieser Vielfalt der Verschiedenen organisieren muss. Doch darf sie dort nicht stehenbleiben. Sie muss einen »realen Einfluß auf die Wünsche und Phantasien der Menschen« nehmen, wie Chantal Mouffe es fasst. Das ist fast zynisch, weil die Krisen der Gegenwart, die ganze Existenzen bedrohen, somit zu Weckrufen und Veranlassungen werden für eine neue, im deutlichen Sinne des Wortes demokratischere Gesellschaft. Dennoch: Auf dem Weg dorthin sollten neue Denkformen auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften in diese demokratische Gestaltung eingebracht werden. Economists4future ermöglichen daher eine bessere Gesellschaft: #befähigung. Sie reflektieren offen die normativen Dimensionen kultureller Orientierungen, indem sie diese Wünsche und Fantasien auf ihre Bedingungen, Barrieren und Möglichkeiten hin kritisch analysieren, die Konsequenzen in den Blick nehmen und eine Öffentlichkeit für sie schaffen. Sie begreifen Zukunft als einen gestaltbaren Raum. Das ist die Chance und zugleich die Aufgabe dieser Zeit, in der wir leben. Ob die Lösungswege zum Ziel führen, bleibt ungewiss. Gewiss hingegen ist, dass das Aussitzen gesellschaftlicher Schieflagen, wie sie durch die Klimakrise oder die Corona-Pandemie ausgelöst werden, nur dazu führt, dass jene, die gesellschaftspolitisch ohnehin bereits am längeren Hebel sitzen, weiterhin die Gestaltung der Gesellschaft übernehmen. Denn trotz aller Unverfügbarkeit und Undurchdringbarkeit von Natur wird Geschichte letztlich nicht von Sachzwängen oder abstrakten Prinzipien aus Religion, Philosophie oder Ökonomie-Lehrbüchern geschrieben, sondern von Menschen und ihrem praktischen Tun. Weil Gesellschaften sich permanent selbst gestalten, also an ihrer Gestalt arbeiten, bedarf es der Mündigkeit, sich dem auch offen zu stellen. Das gilt auch und erst recht für Wissenschaftler*innen.

Wenn ein demokratisches »4future« also einen deutlichen Sinn aufweisen soll, dann kann das im Grunde nur bedeuten, die akademische Überheblichkeit abzulegen, die darin besteht fremdes Leben zu verurteilen, bloß weil es aus einer bestimmten Blickrichtung einem willkürlich gesetzten Ideal, wie Effizienz, Gewinnstreben oder technischer Beherrschbarkeit, nicht entspricht. Statt solches Zusammenleben im Namen wissenschaftlicher Autorität zu bevormunden, wäre es würdevoller und auch demokratischer, sich der Welt mit einem Möglichkeitssinn zuzuwenden und einen Raum zu öffnen: Die Bildungs- und Einbildungskraft befeuern, wie wir als Gesellschaften unser Zusammenleben organisieren wollen und können, Möglichkeiten abklopfen, Sprachfähigkeit herstellen, zur Gestaltung befähigen – all das könnte es heißen, economists4future zu sein.

DIESES BUCH IST (K)EIN ECONOMISTS4FUTURE-BUCH

In demokratischen Gesellschaften hat Wissenschaft nicht die Aufgabe vorzuschreiben, in welcher Welt wir zukünftig auf welche Weise zu leben haben. Wissenschaft kann aber Möglichkeiten aufzeigen, begründen und rechtfertigen. Und sie kann die Bedingungen benennen und verbessern helfen, unter denen diese möglichen anderen Zukünfte zu verwirklichen sind. Das ist nun alles leichter gesagt als getan. Denn nicht nur Wirtschaft, auch Wirtschaftswissenschaften sind ein Zusammenspiel von Kulturtechniken. Und die herrschenden Wirtschaftswissenschaften sind selbst Ergebnis jenes historischen Prozesses, der die problematischen Praktiken des Wirtschaftens hervorgebracht hat, die einstweilen vom Inhalt auf die Struktur unseres Denkens gewandert sind. Insofern ist das Etablieren von economists4future keine Aufgabe für ein verlängertes Wochenende: Es braucht neben neuen Studiengängen mit neuen Curricula auch Menschen, die diese studieren wollen, sowie Menschen, die diese Curricula bespielen können. Es braucht dafür eine neue Vielfalt an akademischen Laufbahnen, die mit lebenswerten biografischen Perspektiven verbunden sein müssen, eine neue Nachwuchsförderung, die neben der Forschung auch auf die zweite und dritte Mission der Hochschulen vorbereitet – und diese auch anerkennt. Es braucht eine neue Publikationspraxis, die Vielfalt im Denken ermöglicht. Es braucht neue Kooperationen, Netzwerke und Förderprogramme –und letztlich auch eine neue Berufungspraxis, die mehr kann, als Summen zu bilden. Und damit ist über die inhaltliche Dimension noch nicht viel gesagt.

Die gute Nachricht ist: Economists4future gibt es schon lange. Und auch wenn sie ein Nischendasein fristen oder in andere Disziplinen gedrängt wurden, gibt es viele von ihnen – zu viele, als dass sie hier sämtlich zu Wort kommen oder ihnen sämtlich das Wort geredet werden könnte. Dieses Buch ist daher im deutlichen Wortsinn eine notwendige Anmaßung: Es will die Not noch wenden und maßt sich deshalb an, ein economists4future-Buch zu sein und zugleich kein economists4future-Buch zu sein, weil es lediglich einen kleinen Einblick geben kann. Es ist eine Einladung zum offenen, aber veränderungsmutigen Streiten und Debattieren über eine Wissenschaft, die wie vermutlich keine andere aufgefordert ist, inhaltliche und institutionelle Konsequenzen zu ziehen aus der klimapolitischen Gemengelage der Gegenwart.

Das ist ein gesellschaftlicher Auftrag, der nicht als Auftragsforschung missverstanden werden soll. Economists4future im Sinne dieses Buches geht es nicht darum, die Wissenschaftsfreiheit der Wirtschaftswissenschaften zu beschneiden. Es geht auch nicht darum, zu sagen, was nun wie, von wem, warum und wo getan werden muss. Es geht nicht darum, festzuschreiben, was economists4future zu sein, wie sie sich zu einzelnen Phänomenen zu stellen haben und welche Phänomene das im Einzelnen sind. Es geht um die Kultivierung von Verhältnissen, in denen Wissenschaftsfreiheit überhaupt erst wieder in einem seriösen Sinne möglich wird. Denn wer sich heute in den etablierten Wirtschaftswissenschaften querstellt, sich nicht in den natur- und gesellschaftsvergessenen Kanon fügt, wird oftmals kleingehalten oder gar ausgeschlossen. Freiheit in der Forschung, in der Lehre und im gesellschaftlichen Dialog bedeutet jedoch, dass das auch anders möglich sein muss. Statt um Verzwecklichung von Wissenschaft geht es hier also um ihre Versinnlichung. Die Beitragenden dieses Buches wollen niemandem etwas aufdrängen. Sie möchten stattdessen jene, die Teil der Lösung statt des Problems sein wollen, inspirieren, ermuntern und befähigen, Umstände zu schaffen, in denen mögliche andere Zukünfte von Wirtschaft und Gesellschaft auf ihre Bedingungen hin analysiert werden können.

Das Buch handelt von dieser Neuerfindung der Wirtschaftswissenschaften. Es informiert über die neuen Selbstverständlichkeiten an Hochschulen, die neuen Gewohnheiten im Denken und Handeln sowie jene akademischen Gepflogenheiten, die zu fördern sind, damit economists4future mehr als bislang Fuß fassen und sich dementsprechend zu Wort melden können. Die hier versammelten Autorinnen und Autoren möchten aus unterschiedlichen Blickrichtungen zur Sprache bringen, dass economists4future zwar weder vom Himmel fallen noch an Bäumen wachsen werden, sie aber auch kein Ding der Unmöglichkeit sind. Sie machen Mut. Sie zeigen, welche institutionellen Umgebungen wichtig werden, damit sich Wirtschaftswissenschaftler*innen in der nötigen Tiefe und Sorgfalt mit Fragen zukunftsfähiger Wirtschaft befassen können. Natürlich sind solche Maßstäbe selbst kontingent und verlangen nach Rechtfertigung. Dieses Buch will das leisten. Es entfaltet, ergänzt und substantiiert die von Uwe Schneidewind, Reinhard Pfriem und Kolleg*innen markierten fünf Dimensionen transformativer Wirtschaftswissenschaften:

1.Economists4future reflektieren ihre praktische Wirkungsmacht.#reflexivität

2.Economists4future legen ihre Annahmen offen.#transparenz

3.Economists4future verständigen unterschiedliche Perspektiven.#diversität

4.Economists4future beziehen Betroffene ein.#partizipation

5.Economists4future ermöglichen eine bessere Gesellschaft.#befähigung

Sollte es zutreffen, dass economists4future vom Anliegen getrieben sind, sich den realen Bedingungen und Möglichkeiten gesellschaftlicher Selbstgestaltung zuzuwenden, dann dürfen diese Dimensionen nicht zum Zweck oder gar Sinn von Wissenschaft erklärt werden. Sich auf Werte zu beziehen, nur um sich auf Werte bezogen zu haben, ist ähnlich unbefriedigend wie eine Vielfalt an Theorien zu postulieren, die am Ende Toleranz mit Unmündigkeit verwechselt. Aus dieser Blickrichtung erfordern die angeführten fünf Dimensionen eine inhaltliche Bestimmung, worum es konkret geht, kurz: welche Reflexivität, welche Transparenz, welche Diversität, welche Partizipation und welche Befähigung nun in Anschlag gebracht werden sollen. Das Buch leuchtet die Dimensionen daher in kritischer Absicht jeweils dreifach aus, nämlich im Hinblick auf die drei zentralen Handlungsfelder von Hochschulen:

Lehre

Forschung

Dialog

Mit diesem Vorgehen verbunden ist der Wunsch, an der Demokratisierung von Wissen(schaft) zu arbeiten. Hochschulen werden aus dieser Perspektive als gesellschaftliche Gebilde begriffen. Sie schweben nicht über den Verhältnissen, sondern sind selbst Teil und Triebkraft demokratischer Gesellschaften. Hochschulen tragen dazu bei, dass Gesellschaften sich selbstkritisch statt unreflektiert gestalten. Im Fluchtpunkt des Buches steht die Erwartung, möglichst facettenreich darüber zu informieren, was es bedeuten kann, Wirtschaftswissenschaften als economists4future zu betreiben.

Das Buch richtet sich an Studierende, Forschende, Lehrende an Schulen wie Hochschulen, an Bildungspolitiker*innen sowie an alle anderen Menschen, die sich offen halten für Möglichkeiten des Verstehens und Staunens. Es will dafür werben, im Studium, in der Forschung und im Alltag zwischen »Wissen« und »Gewissheit« zu unterscheiden. Denn nach wie vor sind viele Zukünfte gesellschaftlicher Selbstgestaltung möglich. Der individuelle wie kollektive Souverän entscheidet, was wie wann wo gemacht wird. Doch was warum und inwiefern unter welchen Bedingungen sinnvoll sein könnte, das beantwortet nur eine Wissenschaft, die ihre Mündigkeit nicht gegen Gleichmut getauscht hat.

Prof. Dr. Lars Hochmann ist Wirtschaftswissenschaftler und arbeitet zu sozialökologischem Unternehmer*innentum sowie ökonomischen Natur- und Weltverhältnissen an der Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung.

»Junge Menschen müssen lernen dürfen, welche alternativen Prozesse des Erkennens ihnen offenstehen, wie sie sich für sie entscheiden und wie sie sie aktiv gestalten können. Sie sollten das Erkennen selbst erkennen und gestalten können.«

Silja Graupe

BIODIVERSITÄTDES ERKENNENS

Visionäre Zukunftsgestaltung braucht reflexive Freiheit

Weltweit gehen junge Menschen auf die Straße. Angesichts von Klimakrise, Ungerechtigkeit und Zerstörung der ökologischen Grundlagen allen Lebens fordern sie die Gestaltung einer neuen, einer anderen und hoffentlich auch besseren Zukunft. Wie aber können sie in der Gegenwart ein Verständnis des Vergangenen und des Gegenwärtigen mit einer Imagination des zukünftig Möglichen vereinen? Wie können Menschen allgemein realistisch und utopisch zugleich agieren? Economists4future nehmen die Herausforderung an, sich diesen Fragen im Bereich des Ökonomischen zu stellen – offen und ohne den Zwang einzig richtiger oder feststehender Antworten. Auch ich möchte in diesem Beitrag keine Antworten vorgeben, sondern in grundsätzlicherer Absicht zuallererst neue, nämlich imaginative Spielräume des Möglichen eröffnen.

DIE AUFGABEN EINER NEUEN REFLEXIVEN BILDUNG

Diese Herausforderung ist keine des abstrakten Elfenbeinturms theoretischer Forschung. Sie ist eine der Bildung. Wie lassen sich Wege finden, um Zukunft gemeinsam mit jungen Menschen gestalten zu lernen? Ich bin, ebenso wie etwa das Netzwerk Plurale Ökonomik, der Überzeugung, dass es hierfür einer neuen Methoden- und Theorievielfalt bedarf. Mehr noch: Modelle und Theorien beruhen immer schon auf bestimmten Vorstellungen darüber, wie Menschen im Allgemeinen und speziell Wissenschaftler*innen die Welt sowie die eigene Stellung, die sie in ihr einnehmen, erkennen können. Elinor Ostrom spricht diesbezüglich von der fundamentalen Ebene der Frameworks, auf der Prozesse des Erkennens hochgradig spezifisch, zumeist aber unbewusst dirigiert werden.

Genau auf dieser Ebene bin ich der Auffassung, dass wir gerade in der Ökonomie dringend eine diversere Erkenntnisvielfalt brauchen. Es bedarf neuer Formen des »Erkennens des Erkennens« – und dies nicht nur in einem passiven Singular, sondern im aktiven Plural. Denn wir leben in hochgradig komplexen Zeiten, in vielfältigsten Lebensräumen. Um diese zu gestalten, brauchen wir mehrere Weisen des Erkennens gleichzeitig und zudem die Fähigkeit, uns ebenso frei wie situationsadäquat zwischen ihnen entscheiden zu können. Es bedarf einer bewusst gestaltbaren Biodiversität des Erkennens, statt eines einzigen Erkenntnisparadigmas, das per definitionem stets stillschweigend vorausgesetzt ist. Diese aber wird es ohne gesteigerte Fähigkeiten zur (Selbst-)Reflexion nicht geben können: Junge Menschen müssen lernen dürfen, welche alternativen Prozesse des Erkennens ihnen offenstehen, wie sie sich für sie entscheiden und wie sie sie aktiv gestalten können. Sie sollten das Erkennen selbst erkennen und gestalten können.

DER ZUSTAND EINER TROSTLOSEN ÖKONOMISCHEN BILDUNG

In der weltweiten ökonomischen Standardlehre ist es um eine solche Diversität denkbar schlecht bestellt. Denn hier herrscht – weitgehend unbemerkt – ein Erkenntnisparadigma vor, das sich von der Metapher des Eisbergs – zu sehen in der Abbildung gegenüber – leiten lässt: Wie sich bei einem Eisberg, der auf dem Meer schwimmt, mehr als 80 Prozent seiner Masse unterhalb der Wasseroberfläche befindet, so soll der Verhaltensökonomik nach der allergrößte Teil menschlichen Erkennens unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegen – und damit der Reflexion entzogen bleiben. Statt einer bewussten und aktiv gestaltenden Diversität des Erkennens soll es jenseits rationalen Denkens nur eine erstarrte und in der Dunkelheit des Unbewussten verharrende Ansammlung unzugänglicher kognitiver Strukturen geben.

1 Eisbergmetapher / Verhaltensökonomik

Was damit gemeint ist, beschreibt etwa der Psychologe und Verhaltensökonom Daniel Kahneman im Bestseller Schnelles Denken, langsames Denken: Bewusst soll nur das rationale Erkennen ablaufen, wie es der Homo oeconomicus symbolisiert. Gemeint ist damit ein kühl berechnendes Zweck-Mittel-Denken. Dessen Funktionsweise lässt sich am ehesten mit der eines Computers vergleichen, dessen Regeln nach der Logik der Mathematik, genauer gesagt nach den Gesetzmäßigkeiten des Optimierungskalküls programmiert sind. Eine (Selbst-)Reflexion dieses Programms kann es nicht geben; die rational Erkennenden haben schlicht nicht die Wahl, wenn es darum geht auszuleuchten, nach welchen Regeln sie ihre Entscheidungen treffen.

Kahneman geht wie andere Verhaltensökonom*innen davon aus, dass sich das rationale Erkennen nur mühevoll und langsam vollziehen kann. Zum Lohn wird es dafür vom strahlenden Licht der abstrakten Vernunft beschienen. Kein Wunder also, dass die weltweit herrschende ökonomische Standardlehre gerade diesen Bereich des Erkennens fokussiert. Ganz gleich, was Studierende zu berechnen haben, es gilt in jedem Falle, dass sie rechnen müssen: Als Erkenntnissubjekte haben sie sich auf frappierende Weise ihrem Erkenntnisobjekt – dem Homo oeconomicus – anzugleichen.

Unterhalb der Schwelle bewusst kalkulierender Wahrnehmung liegt der Eisbergmetapher zufolge ausschließlich das dunkle Reich der Irrationalität. Hier, so Kahneman, treffen Menschen ihre Entscheidungen zwar blitzschnell und mühelos, zugleich aber nicht zu ihrem Besten – zumindest sofern kalkulatorische Maßstäbe angelegt werden. George Akerlof und Robert Shiller, ebenfalls Verhaltensökonomen, sprechen gar von »Affen auf den Schultern«, die den Menschen einflüstern, was sie zu tun hätten – stets ohne bemerkt zu werden und zumeist gegen deren wohl kalkulierte Interessen. Diese im Dunkeln liegende Masse unbewusster Weisen des Erkennens soll vornehmlich aus stillschweigend verinnerlichten Gewohnheiten bestehen, gespeist etwa durch das nahezu reflexhafte Verarbeiten von Sprache, das seinerseits quasiautomatisch durch ebenfalls unbewusste Vorlieben, Emotionen und weltanschauliche Überzeugungen getriggert sein soll.

ELITENGESTEUERT STATT BILDUNGSFÄHIG

Da das Unbewusste als prinzipiell der Reflexion unzugänglich gilt, scheint in seinem Bereich keinerlei aufklärerische Bildung möglich. Ein neues Verständnis sprachlich gefasster Konzepte ebenso wie Reaktionen darauf können etwa, so formulieren es Gregory Mankiw und Mark Taylor als Autoren eines der wichtigsten ökonomischen Standardlehrbücher weltweit, lediglich in einer Art »epistemischem Hürdenlauf« antrainiert werden, der von Studierenden freilich unbewusst zu absolvieren ist. Auch etwa das Change Management spricht davon, Denk- und Verhaltensänderungen bei anderen Menschen dadurch zu bewirken, dass der vermeintliche Eisberg des Unbewussten durch unterschwellige Methoden gelenkt und dadurch aufgetaut, verflüssigt und dann bewegt wird, bevor er in den neuen – gewünschten – Strukturen und Mustern wieder eingefroren wird. Wie dies in der ökonomischen Standardlehre funktioniert, habe ich an anderer Stelle gezeigt.

Abseits solcher Bemühungen erscheint gerade der Verhaltensökonomik eine Bildung der allermeisten Menschen schlicht als sinnloses Unterfangen – nicht nur zu langwierig und zu aufwendig, sondern aufgrund der vermeintlichen Herrschaft des Unbewussten auch systematisch unmöglich. Vielmehr imaginiert sie eine Elite, welche die »Affen auf den Schultern« anderer Menschen in Form von Reiz-Reaktionen (die Verhaltensökonomik spricht von »nudges«) unbemerkt in die »richtige« Richtung dressiert – wobei über die »Richtigkeit« auch nur sie selbst entscheiden können soll. Cass Sunstein und Richard Thaler sprechen offen von einem »libertären Paternalismus«, in dem sogenannte »Entscheidungsarchitekt*innen« den Rahmen für das Verhalten der Masse setzen sollen. Woher die Kreativität und die Moral jener Elite kommen sollen, um all die »Affen auf den Schultern« zu dressieren, bleibt dabei geheimnisvoll. In den Standardlehrbüchern jedenfalls findet sich dazu nichts.

EIN GRUNDLEGENDER METAPHERNWECHSEL

Meines Erachtens ist die Standardökonomik hier in eine Sackgasse geraten. Denn ihre erkenntnisleitende Metapher des Eisbergs ist schlicht irreführend. Stattdessen schlage ich vor, menschliches Erkennen und Entscheiden nicht mehr wie einen massiven, erstarrten Block zu beschreiben, der sich kategorisch nur in einen sichtbaren, bewussten und einen unsichtbaren, unbewussten Teil zweiteilen lässt. Menschliche Erkenntnis mag tatsächlich manchmal starr sein, aber ihre grundsätzliche Natur ist dies nicht: Wir Menschen sind dazu in der Lage, unser Erkennen von innen heraus und damit freiwillig immer wieder zu verflüssigen, um es in steten Wechselbeziehungen zu unseren Erfahrungen des konkreten Lebens und seinen Anforderungen aktiv umzugestalten. Richtig ist, dass es uns zumeist vorkommt, als vollzögen sich solche dynamischen und kreativen Prozesse wie unterhalb des rationalen Erkennens. Doch sie sind deswegen nicht unbewusst und damit gänzlich unzugänglich, sondern lediglich anders-bewusst: Sie kennzeichnen vollständig neue Habitate eines vielfältigen Erkenntnisbiotops. Diese Habitate gemeinsam mit jungen Menschen zu erkunden und zu kultivieren, sehe ich als zentrale Aufgabe einer neuen reflexiven ökonomischen »Bildung for Future«.

EINE NEUE GEOLOGIE DES ERKENNENS

Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, schlage ich vor, die verschiedenen Schichten des Erkennens nicht mehr in Ähnlichkeit zu einem Eisberg, sondern zum geologischen Aufbau der Erde zu imaginieren, und so eine Geologie des Erkennens zu entwerfen. Die Abbildung unten zeigt, wie dies erlaubt, sich das Erkennen in seiner Tiefe als fundamental dynamisches Geschehen vorzustellen, das immer flüssiger wird: Ganz oben befindet sich eine äußerst dünne, wie vollkommen versteinerte und erstarrte Erkenntniskruste. Diese sieht sich von einem etwas dickeren, aber ebenfalls noch sehr schmalen, äußerst zähflüssigen oberen Erkenntnismantel getragen. Unterhalb von diesem nun befindet sich nicht einfach Nichts, sondern die mächtige Schicht eines unteren Erkenntnismantels, der tragfähig und zugleich plastisch gestaltbar ist. Nach unten hin grenzt dieser Mantel an einen flüssigen Kern, der aus einem lebendigen Erfahrungsschatz der gegenwärtigen Welt und ihren Möglichkeiten und damit aus allem noch nicht Erkannten, aber potenziell Erkennbaren besteht. Hier versammeln sich alle Chancen wie Risiken der wirklichen Welt und ihrer Möglichkeiten. Diese sind nur einem radikal-imaginären Erkennen zugänglich, das sich seinerseits aus einem inneren Kern reiner Kreativität speist. Dieser Kern lässt sich in keiner Weise vergegenständlichen und kann deswegen nur widersprüchlich als eine »Bestimmtes ohne Bestimmendes« oder als ein »schöpferisches Nichts« charakterisiert werden. Er ist reich an Potenzial, aber leer an bereits Erkanntem und Begriffenem. Cornelius Castoriadis etwa bezeichnet ihn als »Magma« und verweist auf dessen gesellschaftlichgeschichtliche Dynamik als »unerschöpfliche Quelle von Neuem in der Geschichte und nie erlahmende Triebkraft der Selbstveränderung der Gesellschaft«.

2 Geologie des Erkennens

DER PREKÄRE STATUS DER STANDARDÖKONOMIE

»Weit wesentlicher für die Zukunft aber wird sein, diese ›reine Lehre‹ endlich umzustellen auf eine realistische Ökonomik, in der die ökonomischen Entwicklungen und deren Folgen und die eigene Gestaltungskraft reflektiert werden. Hierin stehen Ökonom*innen in der Verantwortung, der sie sich nicht entziehen können.«

Katrin Hirte

DAS DOPPELTEREFLEXIONSPROBLEM

Wie die Ökonomik ihren Gegenstand verfehlt und sich ihrer Wirkung auf ihn entzieht

In diesem Beitrag wird die These vertreten, dass in den Wirtschaftswissenschaften ein grundsätzliches und zugleich doppeltes Reflexionsproblem besteht. Es ist mitverantwortlich für die mittlerweile desaströsen Folgen des Wirtschaftens – fatal für den Großteil der Menschen auf der Erde und katastrophal für den Zustand des Planeten.

Dieses Reflexionsproblem besteht zuerst in einer unreflektierten Gleichsetzung: Die Bewirtschaftung der Erde als Sphäre des Ressourcenumgangs wird mit der Sphäre der Ökonomie als Organisations- und Regulationsstruktur dieses Umgangs gleichgesetzt. Dies ermöglicht es, ökonomische Verhältnisse als quasinatürliche zu vermitteln. Nichts signalisiert dieses Problem so deutlich wie der beliebte Begriff »Marktwirtschaft«: »Wirtschaft« steht für die Sphäre des Bewirtschaftens und »Markt« für die Sphäre der ökonomischen Regelung dieses Wirtschaftens – wobei »Markt« im heutigen Ökonomieverständnis sogar synonym für eine angebliche Selbstregelung dieser Sphäre steht. Aber Bewirtschaftung gleicht eben nicht automatisch einer Marktökonomie, genau wie Produktionsmittel nicht automatisch Kapital sein müssen und Arbeit nicht Lohnarbeit sein muss. Vielmehr wurde die Bewirtschaftung der Ressourcen der Erde durch die Menschen in eine Marktökonomie umgewandelt. Die Regelungen dazu haben hauptsächlich Ökonom*innen geschaffen.

Hierin besteht das zweite Reflexionsproblem der Ökonomik: Sie blendet ihre eigene aktiv mitgestaltende Rolle in diesem Prozess aus – sei es hinsichtlich der Bestimmung dessen, was ein Bruttosozialprodukt ist, der Festlegung, welche Regeln für Unternehmen gelten, oder der Entwicklung von Berechnungsformeln für Finanzmarktprodukte. Durch all diese Bestimmungen werden sowohl die Bewirtschaftungssphäre als auch die ökonomische Sphäre mitgestaltet, denn Wissen webt sich beständig in das Geschehen der Gesellschaft ein. Dass darin eine gestaltende Kraft liegt, nimmt die Ökonomik nicht zur Kenntnis.

Die Vorstellungen zur Organisations- und Regulationsstruktur des Wirtschaftens gehören zu einer zweiten Reflexionsebene, die in der Soziologie als »Konzepte zweiter Ordnung« bezeichnet werden. Solche Konzepte werden seitens der Wissenschaften entwickelt, werden aber zu »Konzepten erster Ordnung«, wenn sie, so Anthony Giddens, »innerhalb des gesellschaftlichen Lebens angeeignet werden«. Dann bilden diese Konzepte erster Ordnung die Sphäre der Ökonomie als den Bereich, der über die Art und Weise der Bewirtschaftungsvorgänge entscheidet. Sie entscheiden somit über den Umgang mit Ressourcen, über Verteilung, über Verantwortlichkeiten und ähnliches mehr und tun dies mittels eigener dafür geschaffener Institutionen – ob Organisationen, Ämter oder Gesetze.

Bei dieser Differenzierung geht es weder um Spitzfindigkeiten bei der Wortwahl noch um eine Suggestion, dass es einfache Antworten auf die drängenden Probleme gäbe, die aus den Folgen einer derzeit fast ungezügelten Ökonomisierung auf der Erde entstanden sind – und aktuell durch die Corona-Pandemie noch verschärft werden. Sondern es geht darum, den Unterschied zu verdeutlichen: Bewirtschaftungssphäre und ökonomische Sphäre sind nicht deckungsgleich. Und gerade die Auswirkungen der Pandemie machen überdeutlich, dass zwischen diesen Bereichen unterschieden werden muss. Denn ausgerechnet in dieser Krisensituation wird das praktiziert, was in »Normalsituationen« undenkbar erscheint: Per politischem Beschluss werden geltende ökonomische Regularien, die bislang als keinesfalls veränderbar galten – einfach geändert. Gleichzeitig tritt dadurch zutage, wie stark diejenigen Bewirtschaftungsbereiche, die der direkten Versorgung des Menschen dienen, bereits in die ökonomische Sphäre involviert worden sind – mit negativen Folgen, wie aktuell angezeigt am Bereich Gesundheit und Pflege.

Diese missliche Gemengelage hat mit der nicht vollzogenen Grundunterscheidung zwischen Bewirtschaften und Ökonomie zu tun. Denn mit der stillschweigenden Identifikation von Bewirtschaftungs- und ökonomischer Sphäre änderte sich auch die Zielsetzung in jener erstgenannten Sphäre. Dies ist schon an der Wortherkunft erkennbar: Be-wirt-schaften bezeichnet den Vorgang, bei dem Menschen mit dem haushalten, was sie in die »Bewirtung« ihrer selbst und ihrer Umwelt einbeziehen. Schon die griechische Auffassung von Oikonomia umfasst das Behüten beziehungsweise Regeln (nemein) des Haushaltes (Oikos). Die Chrematistik