Effortless - S.C. Stephens - E-Book
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Effortless E-Book

S.C. Stephens

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Beschreibung

Kieras und Kellans Beziehung begann mit Schmerz und Verrat. Doch nun steht eines fest: Kellan ist Kieras große Liebe. Um nicht wieder die gleichen Fehler zu begehen, konzentriert sie sich nun lieber auf die Uni und auf sich selbst. Sie lebt mit ihrer Schwester in einem winzigen, aber gemütlichen Apartment. Mit Kellan versucht sie diesmal, alles richtig zu machen – in ganz kleinen Schritten. Das geht so lange gut, bis Kellan Seattle für eine Tournee verlässt, und die Vergangenheit Kiera wieder einholt ...

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Seitenzahl: 915

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Buch

Kieras und Kellans Beziehung begann mit Schmerz und Verrat. Doch nun sind sie endlich glücklich zusammen und versuchen, die Dinge langsam angehen zu lassen. Kiera wohnt mit ihrer Schwester Anna in einem winzigen, aber gemütlichen Apartment, jobbt neben der Uni wieder im Pete’s und verbringt jede freie Minute mit ihrem unwiderstehlichen Rockstar von einem Freund. Doch als Kellans Band auf einem Konzert entdeckt wird und auf eine monatelange Tour quer durchs ganze Land gehen soll, werden alte Wunden wieder aufgerissen. Denn die lange Trennung stellt die junge Liebe auf eine harte Probe, vor allem da Kellan bei seinen weiblichen Fans mehr als beliebt ist. Und als auch Denny nach Seattle zurückkehrt, werden sowohl Kellan als auch Kiera wieder von der Vergangenheit eingeholt …

Weitere Informationen zu S.C. Stephens

sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin

finden Sie am Ende des Buches.

S. C. Stephens

Effortless

Einfach verliebt

Roman

Übersetzt

von Sonja Hagemann

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel »Effortless« bei Gallery Books, A Divison of Simon & Schuster, Inc., New York.
Copyright © der Originalausgabe 2011 by S.C. StephensCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2015 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. ISBN: 978-3-641-15440-0V006www.goldmann-verlag.de

Ich danke all den Fans, die Thoughtless gern gelesen

und mich um eine Fortsetzung gebeten haben!

Mein ganz besonderer Dank gilt

Monica, Nicky, Becky, Jenny, Natalie

und all denen, die mir dabei geholfen haben,

diese Geschichte zu veröffentlichen!

Kapitel 1

Mein Freund, der Rockstar

Der Wettervorhersage auf Channel Four zufolge war es der heißeste Sommer aller Zeiten in Seattle – und da ich erst seit etwas über einem Jahr hier wohnte, musste ich mich wohl auf das Wort des Wettermanns verlassen. Während hier geschoben, geschubst und gestoßen wurde, spürte ich den Schweißfilm jedes einzelnen Dränglers auf der Haut. Ich fand es nicht gerade angenehm, dass mir wildfremde Leute so auf die Pelle rückten, und noch unangenehmer, dass sie auf diesem beengten Raum Körperkontakt offenbar für völlig in Ordnung hielten. An diesem einen Nachmittag schlug ich mehr Hände von meinem Hintern als in meiner gesamten Zeit als Kellnerin in Pete’s Bar.

Schweiß lief mir über den Rücken, und ich verfluchte die Klamotten, für die ich mich entschieden hatte. Die Sonne blendete mich, als ich zum strahlend blauen, wolkenlosen Himmel hinaufsah. Ich rollte die Ärmel meines tiefschwarzen T-Shirts hoch und knotete es über dem Bauchnabel, so wie Mary Ann aus Gilligans Insel.

Aber dann musste ich lächeln, als mir wieder einfiel, warum ich dieses Shirt trug, und was ich hier in der Menge schweißtriefender Mitmenschen eigentlich machte. Ich starrte über das Meer von Körpern hinweg zur leeren Bühne und war auf einmal schrecklich aufgeregt. Und das nicht meinetwegen – sondern wegen meines Freundes. Heute war sein großer Tag und der der restlichen Band natürlich. Vor Vorfreude begann ich auf und ab zu hüpfen, während ich darauf wartete, dass er endlich auf die Bühne kam. Jeden Moment würde er ans Mikro treten, und dann würde die Menge in ohrenbetäubenden Jubel ausbrechen.

Ich konnte es kaum erwarten.

Jetzt griff jemand nach meinem nackten Arm. »Mensch, Kiera, unsere Jungs beim Bumbershoot! Unglaublich, oder?«

Ich sah hinüber zu meiner Kollegin, Vertrauten und besten Freundin, Jenny. Ihr lief nicht wie mir der Schweiß aus allen Poren, sondern sie sah frisch aus wie der junge Morgen. Ihre Augen leuchteten allerdings genauso begeistert wie meine, schließlich spielte ihr Freund ebenfalls zum ersten Mal beim Seattle Musikfestival.

Aufgedreht quietschend packte ich sie auch am Arm. »Ich weiß! Ich kann immer noch nicht fassen, dass Matt diesen Auftritt klargemacht hat.« Als ich daran dachte, dass ein paar Stunden später Bob Dylan auf derselben Bühne stehen würde, konnte ich nur den Kopf schütteln – und in den nächsten Tagen standen auch noch Hole und Mary J. Blige auf dem Programm.

Jenny wandte den Blick ab, weil jetzt ein Fremder gegen sie taumelte, der völlig high wirkte. Als sie mit den Achseln zuckte und sich wieder zu mir umdrehte, kitzelte mich ihr blonder Pferdeschwanz im Gesicht. »Evan hat gesagt, dass er wirklich alle Hebel in Bewegung setzen musste, um diesen Gig zu ergattern. Und auch noch zur besten Uhrzeit! Am Samstagnachmittag direkt zwischen zwei Hauptacts, besser geht es kaum.«

Jenny legte den Kopf schräg und blickte zum Himmel. Sie trug das gleiche T-Shirt wie ich, darauf stand in weißen Buchstaben der komplette Name unserer Lieblingsband – Douchebags – auch wenn sie ihn aus Marketinggründen inzwischen zu D-Bags abgekürzt hatten.

Ich nickte, als Jenny mich wieder ansah. »Oh, ich weiß, Kellan hat gesagt, er …«

In diesem Moment wurde es um mich herum plötzlich laut, und ich schaute automatisch nach vorn zur Bühne. Mit breitem Grinsen sah ich zu, wie die Menge die D-Bags bejubelte, die endlich beschlossen hatten, die Zuschauer mit ihrer Gegenwart zu beehren. Matt war zurückhaltend wie immer, winkte den Fans zu und schenkte ihnen ein kleines Lächeln, bevor er in aller Ruhe zum Mikro hinüberging und seine Gitarre einstöpselte. Er konnte mich nicht hören, als ich begeistert seinen Namen rief. Nervös ließ er die blauen Augen über die Zuschauer wandern, als er den Schulterriemen zurechtrückte.

Ganz anders sah das bei Griffin, Matts nach Aufmerksamkeit heischendem Cousin, aus. Er lief mehrmals am Bühnenrand entlang, reckte die Faust in die Luft und klatschte die Fans in der ersten Reihe ab. Seine hellen Augen suchten die Menschenmasse ab, und er hörte mich sogar, obwohl ich seinen Namen gar nicht gerufen hatte. Als er Jenny und mich in der Menge entdeckte, deutete er auf uns, hob V-förmig zwei Finger und wackelte dann obszön mit der Zunge. Ich lief prompt knallrot an und wandte schnell den Blick ab. Noch peinlicher fand ich, dass uns jetzt die Aufmerksamkeit der Leute um uns herum sicher war, die lachten und uns anstarrten. »Iiiihhh, Griffin!«, rief Jenny frech und fiel dann in das allgemeine Gelächter mit ein. Ich wünschte mir, meine Schwester Anna hätte nicht ausgerechnet heute das Fotoshooting für den neuen Hooters-Kalender – dann hätte sich ihr Möchtegern-Freund vielleicht etwas besser benommen.

Während Griffin noch seine Show abzog, betrat Evan die Bühne und sah zu uns hinüber. Er lächelte, winkte und warf Jenny eine Kusshand zu. Meine Freundin fing sie in der Luft auf und gab sie zurück. Sein Lächeln wurde breiter, dann wirkte er geradezu überwältigt, als er endlich das ganze Spektakel vor der Bühne in sich aufnahm. Ich freute mich, als der herzensgute Drummer sich eine Sekunde Zeit nahm, diesen Erfolgsmoment voll und ganz auszukosten.

Jetzt wurde das Gekreische so laut, dass es mir in den Ohren gellte. Die jungen Mädchen neben mir – sie sahen nicht älter aus als 14 – umarmten sich gegenseitig und quietschten: »Oh mein Gott, da ist er. Oh mein Gott, er sieht ja so toll aus! Oh mein Gott, oh mein Gott!«

Ich schüttelte den Kopf und musste darüber grinsen, welchen Effekt mein Freund, der Rockstar, auf andere Menschen hatte. Natürlich konnte ich das nur zu gut nachvollziehen – er hatte am Anfang ja denselben Effekt auf mich gehabt. Und den hatte er immer noch. Ehrlich gesagt ging es mir durch und durch, als ich ihn jetzt selbstbewusst auf die Bühne stolzieren sah.

Ganz langsam trat Kellan ans Mikrofon. Oder vielleicht bewegte er sich auch in normalem Tempo und es hatte nur mein Verstand gerade auf Zeitlupe gestellt – aus irgendeinem Grund schien es jedenfalls ewig zu dauern, bis er dort ankam. Dann hob er eine Hand und winkte der tobenden Menge zu, während er sich mit der anderen durchs Haar fuhr. Es sah aus, als wäre er eben erst aus dem Bett gestiegen, denn Schweiß und Hitze ließen seine Mähne nur noch wilder als sonst in alle Richtungen abstehen. Er sah einfach zum Anbeißen aus.

Ich biss mir auf die Lippe, als er endlich das Mikro erreichte und den Blick über die Menge wandern ließ, während er die Höhe passend einstellte. Aus eigener Erfahrung wusste ich, wie es den Mädels in der ersten Reihe gehen musste, wenn sie diesem sexy Blick aus tiefblauen Augen begegneten. Kellan konnte selbst im Gedränge jedem mit nur einem Blick das Gefühl geben, der einzige Mensch auf der Welt zu sein. Und mit seinem Grinsen konnte er jede Frau in Flammen aufgehen lassen. Ich brannte bereits lichterloh, und dabei hatte er mich noch nicht einmal entdeckt.

Nun schien er mich in den Menschenmassen zu suchen, und ich studierte die Linie seines Kiefers – kräftig, männlich, so sexy, dass es wehtat. Das fanden die Frauen hinter mir offensichtlich auch. Zwischen Quietschen und Gackern hörte ich klar und deutlich »Oh Mann, den nehm ich nachher auf jeden Fall mit nach Hause« und »Gott, den würde ich auch nicht von der Bettkante schubsen«. Ich widerstand der Versuchung, mich umzudrehen und klarzustellen, dass dieser Typ mir gehörte. Stattdessen konzentrierte ich mich lieber auf ihn. Ich sollte wirklich nicht auf seine Fans eifersüchtig sein, aber diese Bemerkungen waren jetzt nicht mehr so niedlich wie die von den jungen Mädchen vorhin.

Nachdem Kellan den vorderen Bereich des Zuschauerraums unter die Lupe genommen hatte, schaute er nun in meine Richtung, und unsere Blicke trafen sich wie durch Zauberhand. Jenny winkte und pfiff auf den Fingern. Ich wurde rot, als mich dieser unfassbar intensive Blick durchbohrte. Kellan nickte mir zu und formte lautlos mit den Lippen: »Ich liebe dich.«

Die Mädchen hinter mir begannen zu stöhnen und sich gegenseitig zu versichern, dass seine Worte ihnen gegolten hatten, und auch dieses Mal sagte ich dazu nichts. Das hätte ja doch nichts gebracht und nur endlose Fragen über unser Privatleben nach sich gezogen. Fragen, die ich wildfremden Leuten wirklich nicht beantworten wollte. Das hatte ich an der Uni schon mal über mich ergehen lassen müssen, noch bevor Kellan und ich überhaupt zusammen gewesen waren.

Stattdessen beteuerte ich ihm ebenso lautlos meine Liebe und reckte beide Daumen in die Luft. Kellan lachte selbstbewusst. Offenbar zweifelte er nicht daran, dass er die Menge gleich problemlos mitreißen würde. Das hatte er schon in so vielen kleinen Clubs und Kneipen in L. A. und Seattle geschafft, außerdem hatte er sich ja im Prinzip sein Leben lang auf diesen Augenblick vorbereitet.

Jetzt hängte er sich die Gitarre um und legte die Hände ums Mikro. Das Gebrüll wurde noch viel lauter, als er ganz offensichtlich etwas sagen wollte. Über die Lautsprecher hörte ich sein warmes Lachen und dann: »Hallo, Seattle!« Die Frauen um mich herum hopsten und kreischten seinen Namen. Ich lachte und versuchte, mich von den aufgeregtesten unter ihnen fernzuhalten – es war aber einfach kein Platz, und irgendwann klebte ich dann an ein paar Typen vor mir.

Als ich gerade eine Entschuldigung murmelte, bahnte sich Kellans Stimme wieder den Weg an mein Ohr: »Wir sind die D-Bags … falls euch das entgangen sein sollte.« Er verstummte kurz unter frenetischem Jubel. »Und wir können euch so einiges bieten … wenn ihr denn wollt!«

Er zog eine Augenbraue hoch und warf ein paar Frauen ganz vorne einen für meinen Geschmack etwas zu lasziven Blick zu – aber ich wusste ja, dass das alles nur Show war. Sein Gesicht mochte »Zu dir oder zu mir?« sagen, tief in ihm sah es aber ganz anders aus. Ha, er trug mich ja sogar tätowiert über dem Herzen. Na ja, zumindest meinen Namen. Ich lächelte und genoss den Gedanken, dass keine der anderen Frauen hier von seinem geheimen Körperschmuck wusste, mal abgesehen von Jenny.

Mit erhobenem Finger brachte Kellan das Publikum wieder zum Schweigen, und das funktionierte sogar. »Also, wollen wir?«, fragte er anzüglich. Das Tosen der Menge konnte man wohl als Zustimmung auffassen. Selbst Jenny formte die Hände zum Trichter, um ihre Antwort zu brüllen, also fiel ich mit ein.

Ich sah, wie Matt den Kopf schüttelte und die Finger streckte. Evan saß an seinem Schlagzeug, wiegte den Körper zum Beat in seinem Kopf und ließ die Drumsticks wirbeln. Griffin versuchte ein paar Frauen im Publikum dazu zu bewegen, ihr T-Shirt zu lüften, ich konnte aber nicht sehen, ob er damit Erfolg hatte.

Kellan legte sich die Hand ans Ohr. »Also, wollt ihr, oder wollt ihr nicht? Ihr müsst euch schon ein bisschen klarer ausdrücken.« Die Zuschauer johlten und tobten, und die Frauen hinter mir ließen noch ein paar anzügliche Sprüche los – aber das war mir egal. Sie waren mir jetzt alle ganz egal, weil Kellan mich direkt ansah und die pure Freude auf seinem Gesicht es wert war, all die hemmungslosen Frauen, unanständigen Typen und verschwitzten Fremden zu ertragen.

Als er mich anlächelte, sah ich nämlich seine Seele zum Leben erwachen. Das hier war seine Leidenschaft, außer mir war es das Einzige, was Kellan wirklich etwas bedeutete. Er spielte die Musik gerne als Zeitvertreib am Abend herunter, aber so nach und nach wurde mir klar, dass es sich dabei wohl um einen seiner Bewältigungsmechanismen handelte. Ein Teil von ihm befürchtete wohl, dass man ihm auch das wegnehmen könnte. Kellan hatte keine behütete Kindheit gehabt – ganz im Gegenteil. Ein so furchtbares Elternhaus würde die meisten Menschen wohl direkt in Drogenkonsum und Alkoholsucht treiben, aber Kellan hatte früh die Musik für sich entdeckt, und zusammen mit seinem gesunden Appetit auf Sex hatte sie ihn vor einem dumpfen Leben unter dem Einfluss solcher Betäubungsmittel bewahrt.

Jetzt gab Kellan ohne hinzusehen Evan ein Zeichen, und der begann zu spielen. Der Song war schnell und ging ins Ohr, sodass ich sofort aufgeregt herumzuhüpfen begann, obwohl ich ihn doch schon tausendmal gehört hatte. Über die Lautsprecher war die Musik fast ohrenbetäubend, die Sonne knallte auf uns herab, und in dieser tosenden Menschenmenge, die sich im Rhythmus wiegte, hatte das etwas Elektrisierendes an sich. Wenn das für mich schon wie ein Rausch war, wie musste es sich erst für Kellan anfühlen?

Perfekt getimt begann er jetzt zu singen. Egal, was abseits der Bühne auch bei ihm los war, während des Auftritts war er ein echter Profi. Die endlosen Proben und Shows in kleinen Lokalen der Gegend hatten sich ausgezahlt – seine Stimme war einfach spektakulär. Als der Song das Stadion erfüllte, hörte man wieder Frauen kreischen. Es war ein älteres Lied, längst ein Klassiker der D-Bags, und um mich herum sangen viele mit. Ich sah Kellan oft dabei zu, wie er Songtexte schrieb, und fand es deshalb besonders beeindruckend, wenn die Fans seine Worte wiederholten, vor allem bei einer so riesigen Menschenmasse.

Strahlend strich Kellan über die Saiten seiner Gitarre und sang, und dabei hatte er ein verführerisches Lächeln auf seinen Lippen. Es beeindruckte mich immer noch, dass er gleichzeitig Gitarre spielen und singen konnte – ich persönlich bekam ja kaum eine der beiden Sachen hin. Jenny reckte die Arme in die Luft und bejubelte ihren Freund. Ich tat es ihr gleich und war so froh, dass ich heute herkommen und die vier anfeuern konnte. Na ja, vielleicht mit Ausnahme von Griffin.

Als das Lied vorbei war, brach die Menge in tosenden Jubel aus, der selbst die Typen direkt vor mir zu beeindrucken schien. Ich war überglücklich für Kellan und die Jungs – sie hatten den Erfolg wirklich verdient. Für den nächsten Song stellte Kellan seine Gitarre weg und nahm das Mikrofon vom Ständer. Auf dieser Bühne hatte er viel mehr Platz als im Pete’s, und er verführte das Publikum nun mit Blicken und Bewegungen, die sonst für mich reserviert waren.

Das war zwar seltsam für mich, aber ich verbiss mich nicht in den Gedanken. Kellan war so aufgekratzt, so begeistert davon, hier zu sein, dass er auf der Bühne wieder wie früher zu einem ungezügelt erotischen Wesen wurde.

Ich hatte dieses aufreizende Verhalten etwas übertrieben gefunden, als ich ihn die ersten Male bei Auftritten gesehen hatte, aber das Publikum war hin und weg. Von überallher reckten sich ihm Hände entgegen, selbst direkt vor mir. Oh Gott, war jetzt etwa Stagediving angesagt? Hoffentlich ließ er sich darauf nicht ein, er könnte verletzt … oder zu Tode begrapscht werden.

Als er den Fuß auf einem Lautsprecher abstützte und sich vorbeugte, um einer Verehrerin die Hand zu geben, ging mir die ziemlich müßige Frage durch den Kopf, warum er sich ausgerechnet für diese Frau entschieden hatte. Gefiel ihm ihre Frisur? Machte sie sich direkt vor der Bühne am deutlichsten bemerkbar? Durch ihre großen … Gesten? Ich schüttelte über meine Unsicherheit den Kopf und vertrieb den Gedanken. Kellan hatte da oben wirklich andere Sorgen und hatte wahrscheinlich ohne nachzudenken einfach die Hand ausgestreckt, um die Menge noch mehr anzuheizen. Meinetwegen durften sie ihn ja auch ruhig berühren, so eifersüchtig war ich dann doch nicht. Solange alles im Rahmen blieb, versteht sich natürlich.

Kellan war damit zufrieden, seine Flirterei auf die Bühne zu beschränken – im Alltag würde er sich niemals so aufführen, und außerhalb seiner Auftritte hätte man ihn nie für einen Rockstar gehalten. Wer nicht so genau hinsah, konnte ihn sogar für träge halten, aber hinter seiner Stirn arbeitete es immer – selbst wenn er nur an der Theke saß und ein kühles Bierchen trank.

Während ihres Auftritts wurde es nun immer heißer, und ich fragte mich, ob Kellan wohl sein T-Shirt ausziehen würde. So absurd war die Idee nicht, das hatte er früher schon getan, und zwar des Öfteren, wie ich gehört hatte. Jetzt wischte er sich mit dem Saum den Schweiß vom Gesicht, was seinen muskulösen Bauch zum Vorschein brachte. Jedes Mal explodierte die Menge förmlich, daher hatte sicher keiner etwas dagegen, wenn er sich ganz frei machte. Oder sagen wir, zumindest der Großteil der Zuschauer nicht.

Ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte, dass andere Frauen meinen Freund so anstarrten. Und ich war mir auch nicht sicher, wie ich es fände, wenn jeder seine Tätowierung sah. Die Vorstellung störte mich vielleicht sogar noch mehr. Aber wenn er sich übers Gesicht gewischt hatte, ließ er das weiße T-Shirt jedes Mal wieder sinken, und ich hatte jetzt den Eindruck, dass er das Tattoo lieber geheim halten wollte, weil es eine Sache zwischen uns beiden war. Und so sollte es auch sein. Zwar war es in seine Haut eingraviert, es war aber etwas unglaublich Persönliches für uns beide. Durch diese Tätowierung hatte er sich während unserer Trennung mit mir verbunden gefühlt, und sie hatte uns nur noch fester zusammengeschweißt, als wir dann endlich ein richtiges Paar wurden.

Am Ende des Auftritts bedankten sich die vier Bandmitglieder mit einer kleinen Verbeugung bei den Zuschauern fürs Kommen. So glücklich hatte ich Kellan noch nie gesehen. Nein, das stimmte gar nicht, noch glücklicher wirkte er, als sich dann unsere Blicke trafen.

Um uns herum setzte sich die Menge in Bewegung. Einige blieben, um sich die nächste Show anzusehen, andere wollten mal sehen, was auf den restlichen Bühnen so lief. Beim Bumbershoot spielten immer Dutzende Künstler zur gleichen Zeit, von den großen Namen bis hin zu Lokalmatadoren wie den D-Bags. Als ich letztes Jahr mit Kellan hier gewesen war, waren wir nur Freunde gewesen – na ja, wenn man das wirklich Freundschaft hatte nennen können. Und es war fast ein bisschen unwirklich gewesen, dieses Jahr doch tatsächlich den Namen der Band auf den Festivalplakaten zu entdecken. Zur Erinnerung hatte ich mir etwa drei Dutzend von den Postern unter den Nagel gerissen.

Kichernd hakte sich Jenny jetzt bei mir unter und zog mich zur Seite der Bühne mit. Unsere Musiker waren inzwischen damit beschäftigt, sich abwechselnd um ihre Fans zu kümmern und ihre Instrumente auszustöpseln. Kellan griff nach seiner heiß geliebten Gitarre und verschwand dann, mit einem Lächeln und Nicken in meine Richtung, hinter der Bühne. Jenny und ich näherten uns dem Künstlerbereich. Falls die Absperrung nicht reichen sollte, standen dort auch noch ein paar Securityleute mit gelben Hemden, um lästige Verehrerinnen zu verscheuchen.

Wir warteten an einer Stelle, an der Kellan früher oder später auftauchen würde, und ich wünschte mir einen Moment, abenteuerlustig genug zu sein, um hinter die Absperrung zu schleichen. Ich wollte unbedingt sofort zu Kellan laufen und ihn in die Arme schließen, ich platzte nämlich vor Stolz. Aber wir Normalsterblichen durften nicht in den Backstagebereich, und ich wollte auch nicht riskieren, von den riesigen Security-Typen erwischt zu werden, neben denen sogar Petes Rausschmeißer ziemlich mickrig wirkte.

Seufzend sah ich auch Evan und Matt von der Bühne gehen. Griffin lehnte sich noch vor, um einer Blonden einen Kuss auf den Mund zu drücken, bevor er verschwand. Wieder wünschte ich mir, meine Schwester wäre hier. Fast alle Männer fanden Anna absolut scharf, und sie verschaffte sich Zugang zu Orten, die Frauen wie mir verwehrt blieben.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erschien endlich Kellan, ohne Gitarre und in Begleitung der anderen drei. Er rannte auf mich zu und sprang mit einem Satz über die Absperrung aus Metall. Die Security-Typen warfen ihm zwar einen Blick zu, aber ihre Aufgabe bestand schließlich darin, die Leute vom Reinkommen abzuhalten – raus durfte ja, wer wollte. Die kleine Gruppe von Fans, die ebenfalls auf ihre Stars gewartet hatte, brach in Geschrei aus, Kellan hielt jedoch direkt auf mich zu.

Er schlang die Arme um mich und hob mich so ungestüm hoch, dass ich dachte, er würde mich gleich über seine Schulter werfen und herumwirbeln. Ich hätte ihn sogar gelassen, nur höchstwahrscheinlich wäre das mit einem gepfefferten Klaps auf mein Hinterteil und hochroten Wangen bei mir einhergegangen – und so etwas sparte ich mir lieber für private Momente auf. Außerdem waren Jenny und ich nicht die Einzigen, die hier auf die Musiker warteten.

Deshalb schlang ich Kellan lieber kichernd ganz fest die Arme um den Hals. Augenblicklich stieg mir sein Duft in die Nase, sein unverkennbares Aroma … frisch, männlich, verfüherisch. Dieser Geruch begleitete mich sogar in meinen Träumen.

Kellan lachte, packte mich unbarmherzig und presste mir fast die Luft aus der Lunge, bevor er mich wieder herunterließ. Dann strahlte er mich an. »Das war einfach der helle Wahnsinn! Ich bin so froh, dass du da warst … Hat es dir gefallen?«

Seine Augen funkelten im Sonnenlicht, als er mich an der Schulter packte und dann in die Knie ging, um mich anzusehen. War das sein Ernst? Natürlich hatte es mir gefallen! Ich sah ihm unglaublich gerne zu, wenn er spielte. Sein Gesichtsausdruck war so süß, und seine kindliche Freude so ansteckend … Ich umschloss seine Wangen mit den Händen und nickte. »Es war super, ihr habt eine tolle Show hingelegt. Ich bin so stolz auf dich, Kellan!«

Er strahlte und schien dann etwas zu bemerken, was ihm vorher noch nicht aufgefallen war. Er hielt meine Arme fest, schob mich ein wenig nach hinten und nahm meinen Oberkörper in Augenschein. Als sein Blick auf meinem sichtbaren Bauchnabel und meiner Brust ruhte, hätte ich schwören können, dass er sich als heißer Punkt in meinen Körper einbrannte. Dann schaute Kellan mich unter seinen unfassbar langen Wimpern hervor an, und das lodernde Verlangen in seinen Augen reichte schon, um meinen Atem schneller werden zu lassen. Bei Kellan hielt das mit dem Unschuldigsein nie besonders lange an.

»Dein T-Shirt gefällt mir.«

Seine Stimme war purer Sex. Oh ja, purer Sex.

Ich wurde knallrot. Es gelang ihm jeden Tag, mich so anzusehen, als wäre es das erste, nicht das tausendste Mal. Und ich hatte dabei immer wieder Schmetterlinge im Bauch.

Als ich gerade etwas auf sein Kompliment erwidern wollte, ging plötzlich die Meute auf Kellan los. Nicht wortwörtlich, aber es packten ihn weibliche Hände und wollten ihn mitziehen. Mit verführerischem Lachen ließ Kellan meine Schultern los und sonnte sich in der Bewunderung seiner Fans. Einige der Frauen starrten mich abschätzig an, ignorierten mich dann aber, und das war schon in Ordnung. Wenn ich es vermeiden konnte, wollte ich lieber nicht zusammen mit Kellan im Mittelpunkt stehen.

Während mein Freund nun Autogramme schrieb und für Fotos posierte, betrachtete ich kopfschüttelnd diese ganze unwirkliche Situation. Irgendwie vergaß ich immer, dass er ja ein kleines bisschen berühmt war. Ich meine, das mit den Frauen im Pete’s kannte ich ja, aber daran, dass ihm der Ruhm auch hier bis aufs Festival gefolgt war, musste ich mich erst einmal gewöhnen. Während ich dem Treiben um ihn herum zuschaute, zog auf einmal eine seiner Verehrerinnen ihr T-Shirt herunter und bat Kellan mit freigelegtem BH, doch ihre Brust zu signieren. Er warf einen sekundenschnellen Blick in meine Richtung, erfüllte ihr dann aber einfach den Wunsch … und er hatte ausreichend Platz, um mit vollem Namen zu unterschreiben, wenn ihr versteht, was ich meine.

Inzwischen brannten meine Wangen, und in der Magengrube zog sich bei mir alles zusammen. Ja, ich versuchte, seinen Lebensstil zu akzeptieren, aber wie er seine Nase fast in ihrer Brust versenkte, während er seinen Namen kritzelte, war mir dann doch zu viel. Und ihre Hände auf seinem Hintern störten auch. Ich war drauf und dran, sie einfach wegzuschieben, als sich plötzlich eine schwere Hand auf meinen Rücken legte.

»Er liebt dich, Kiera. Er albert doch nur rum.« Über meine Schulter hinweg sah ich Evan an, der aus dem Backstagebereich gekommen war, während ich nur Augen für Kellan gehabt hatte. So etwas passierte mir öfter, es gehörte zu meinen Schwächen, dass ich manchmal nichts anderes mehr sah und den Rest der Welt einfach so ausblendete. Aber ich arbeitete daran.

Evan grinste in Richtung Kellan, als er Jenny den tätowierten Arm um die Hüfte schlang und meine blonde Freundin bewundernd zu ihm hochsah. Kellan war der Frontmann und sah außerdem noch fantastisch aus, also zog er natürlich die meisten Blicke auf sich – aber auch Evan hatte seine Fans. Und die warteten jetzt ungeduldig darauf, dass der teddybärenhafte Drummer sich mal von seiner Freundin losriss.

Mit warmen braunen Augen sah er zu mir herunter und deutete mit dem freien Arm auf Kellan: »Weißt du, die Fans bei Laune zu halten gehört doch quasi zu seinem Job.«

Ich schaute hinüber zu Kellan, dem jetzt auf jeder Seite eine Frau einen Kuss auf die Wange drückte, während eine dritte das Ganze fotografierte. Ein paar Stunden später würde dieses Bild mit Sicherheit schon im Internet zirkulieren. Ich seufzte. Wenigstens ließ er sich nicht mehr von anderen Frauen auf die Lippen küssen, seit wir zusammen waren. Anders als früher, und ja, diese Art von Fotos mit ihm konnte man auch im Netz finden.

Ich sah zu Evan hoch und zuckte mit den Achseln. »Ich weiß … Ich wünschte nur, er könnte das nicht so gut.« Der Drummer gluckste, weil ich so mürrisch klang, und klopfte mir auf die Schulter, bevor er sich schließlich seinen Fans zuwandte.

Mit Jenny an seiner Seite schrieb Evan Autogramme und unterhielt sich ganz lässig mit all den unbekannten Leuten. Und Jenny quatschte entspannt mit. Ich blieb im Hintergrund und bewunderte, wie ungezwungen die beiden wirkten. Ich hingegen würde eher sterben, als mich immer und immer wieder wildfremden Leuten vorzustellen.

Jetzt wanderte mein Blick zu Kellans breiten Schultern hinüber. Die Hand einer Frau ruhte unangemessen tief auf seinem Rücken. Ich sah lieber schnell weg, Eifersucht brachte ja doch nichts. Stattdessen schaute ich Matt an, der jetzt mit ebenso unbehaglicher Miene dazukam. Matt spielte gerne Gitarre, liebte die Bühne und den kreativen Prozess hinter der Musik. Das war seine Leidenschaft, aber auf den Kontakt zu den Fans legte er wenig Wert. Trotzdem nickte er höflich, posierte für das eine oder andere Foto und signierte ein paar T-Shirts.

An seiner Seite klebte seine ebenso ruhige Freundin Rachel – eine zauberhafte Mischung aus Latina und Asiatin, mit bronzefarbener Haut und dunkelbraunem Haar. Während sie die Hand ihres blonden Freundes mit der Igelfrisur hielt, wirkte sie nicht eifersüchtig, sah aber auch nicht so aus, als würde sie gerne an dem Trubel teilnehmen. Weil sie keine Menschenansammlungen mochte, hatte sie sich die Show in einiger Entfernung von einer ruhigeren Wiese aus angeschaut. Rachel war sogar noch scheuer und zurückhaltender als ich … und das wollte schon etwas heißen. Sie war Jennys Mitbewohnerin und war mit Matt zusammen, seit auch Kellan und ich im Frühling offiziell ein Paar geworden waren.

Matt und Rachel waren beide eher still und führten eine wirklich solide Beziehung, ihre Persönlichkeiten passten einfach perfekt zueinander. Sie waren richtig süß zusammen.

Der letzte D-Bag war allerdings ganz und gar nicht süß. Ich verdrehte die Augen, als Griffin in mein Blickfeld trat und augenblicklich alles in Reichweite betatschte. Von einigen der Frauen bekam er eins auf die Finger, andere kicherten nur, und die kichernden bekamen noch mal Nachschlag. Bei ihm wurden Autogramme üblicherweise von einem Zungenkuss begleitet. Mir drehte sich bei dem Anblick der Magen um. Mal ehrlich, ich konnte nicht verstehen, was meine Schwester bloß an ihm fand.

Jetzt ließ Matts nur äußerlich zum Verwechseln ähnlicher Cousin gerade eine Frau los, der er die Zunge in den Hals gesteckt hatte, und sah sich nach Frischfleisch um. Zu meinem Entsetzen fiel sein Blick auf mich, er schürzte die Lippen und kam zu mir hinüber. Instinktiv wich ich ein paar Schritte zurück. Griffin war ein Mensch, bei dem ich lieber auf Distanz blieb, sonst landeten seine Finger ganz schnell da, wo ich sie wirklich nicht haben wollte. Er schob sich das kinnlange Haar hinter die Ohren und ließ dann so die Arme sinken, dass er dabei praktischerweise noch die Brust einer Verehrerin streifte.

»Kiera, mein zukünftiges Betthäschen! Wie schön, dass du zugeschaut hast. Hab ich dir gefallen?« Er griff nach unten und ließ sein … bestes Stück in seiner Hand ruhen.

Mit angewidertem Gesicht versuchte ich mich irgendwie an ihm vorbeizuschlängeln, aber da schob er sich an mich heran und griff nach meiner Hand. Ich befürchtete schon, er würde meine Finger um seine Kronjuwelen schließen, da wurde Griffin plötzlich weggestoßen. Kellan baute sich zwischen uns auf und drängte Griffin mühelos mit der Schulter weg. »Zieh Leine, Mann«, murmelte er und schüttelte belustigt den Kopf.

Der Bassist zuckte mit den Achseln und machte sich auf die Suche nach einer anderen Frau, die vielleicht »mal fühlen« wollte. Ich atmete erleichtert auf und schmiegte mich an Kellans Seite. »Danke.«

Lachend drückte er mir einen Kuss aufs Haar. »Kein Problem. Ich weiß doch, wie gern du mit Griffin plauderst.« Ich verzog das Gesicht, während Kellan ein paar Fans zuwinkte, die vermutlich gehofft hatten, er würde bleiben und den ganzen Abend mit ihnen Party machen. Nein, eine Unterhaltung mit Griffin vermied ich nach Möglichkeit.

Kellan schlang mir den Arm um die Hüfte und machte sich dann mit mir auf den Weg zum zentralen Bereich des Parks. Ich ließ mich einfach so mitziehen, so wie ich ihm stets ohne nachzudenken folgte. Und auch die anderen Bandmitglieder kamen hinterher. Während Matt und Evan ihre jeweilige Freundin im Arm hatten, kratzte sich Griffin im Schritt. Wie ich folgten auch die drei Musiker ihrem Frontmann blind. Als seine Eltern gestorben waren, hatte Kellan alles stehen und liegen gelassen, um hierherzukommen – und sie hatten ihn ohne zu zögern begleitet und waren seitdem mit ihm in Seattle.

Ich konzentrierte mich wieder auf den Mann an meiner Seite, der mir auch den anderen Arm um die Hüfte legte und mich ganz fest hielt. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie jener Tag für ihn gewesen sein musste. Natürlich hatte Kellan gute Gründe gehabt, seine Eltern zu hassen – sie waren kaltherzige Monster gewesen, die ihn geschlagen hatten, aber trotzdem … seine Familie. Die einzige Familie, die er je gehabt hatte. Deshalb hatte ihr Tod ihn tief getroffen. Er war damals erst 19 gewesen. Um den furchtbaren Zuständen zu Hause zu entfliehen, war er direkt nach der Highschool nach Los Angeles gegangen, wohl noch am Abend nach seiner Abschlussfeier. Er hatte seinen Eltern nicht Bescheid gesagt, und sie hatten auch nicht nach ihm gesucht. Kellan hatte mir mal von dem Anruf erzählt, mit dem er Monate später wenigstens ein Lebenszeichen von sich geben wollte – und ihre Reaktion darauf war wohl ziemlich gleichgültig gewesen. Das klang für mich so, als hätten sie beim Erreichen seiner Volljährigkeit ihren Job als erledigt angesehen, und als hätte er ihretwegen ruhig verrecken können. Es war wirklich ein Wunder, dass Kellan nicht komplett den Verstand verloren hatte.

Diese Arschlöcher.

Griffin trat an uns heran, klopfte Kellan auf die Schulter und riss mich aus meinen finsteren Gedanken. Er deutete auf eine Bühne in einiger Entfernung, von der Musik herübergeweht wurde – Rock, der schon eher in Richtung Heavy ging. »Wir wollen uns noch ein paar der anderen Bands ansehen. Kommt ihr mit?«

Kellan blickte zurück. Evan und Jenny sahen einander verliebt in die Augen, während sie sich leise unterhielten, und schienen überhaupt nichts von der Diskussion mitzubekommen. Außerdem schoben sich ständig Leute durch unser Grüppchen, vor allem Frauen, deren Blick kurz an den vier Männern hängen blieb, so als kämen sie ihnen seltsam bekannt vor.

Kellan wollte mich gerade fragen, was ich davon hielt, als mein Körper für mich antwortete – mein Magen knurrte so laut, dass selbst Jenny es mitbekam und lachte. Ich schloss kurz die Augen, während Kellan an meiner Seite gluckste, dann öffnete ich ein Auge einen Spalt weit und linste zu ihm hoch. Das fand er noch witziger.

Jetzt schüttelte er den Kopf in Richtung Griffin. »Nein, ich schätze, wir essen erst mal was.« Dann versetzte er dem Bassisten einen Schlag auf die Schulter und fügte hinzu: »Also, bis später!«

Wir sahen den beiden sich äußerlich so ähnlich sehenden Cousins hinterher, die schließlich von der Menge verschluckt wurden, dann lächelte Kellan zu mir herunter: »Na, vielleicht sollten wir erst mal diesen Grummelbauch zum Schweigen bringen.«

Ich verzog den Mund und rümpfte die Nase, aber dann küsste er mich, und es scherte mich plötzlich gar nicht mehr, ob er sich über mich lustig machte oder nicht. Er fuhr mir mit der Hand über die Wange und vergrub die Finger in meinem Haar, dann öffnete er die Lippen und liebkoste ganz kurz meine Zunge mit der seinen. Und plötzlich war alles andere egal.

Ich hob die Hand und schob sie ihm ins Haar, dann zog ich ihn an mich heran, um mehr von seiner zart neckenden Zunge zu bekommen. Wenn es nach mir ging, könnte sie außer meinen Mund ruhig auch noch andere Teile meines Körpers erkunden … Belustigt machte sich Kellan von mir los. In diesem kurzen Augenblick hatte mein Herz bereits zu rasen begonnen, und mein Atem ging jetzt schneller. Er brachte mich immer so mühelos aus der Fassung.

Mit schiefem Grinsen legte er den Kopf schräg. »Brauchst du etwa einen Moment?«, flüsterte er und zog die Augenbraue hoch.

Schnell riss ich mich zusammen, boxte ihn gegen die Brust und wollte eigentlich davonstürmen. Hatte ich mir nicht eben noch überlegt, dass ich mich wirklich nicht länger so von Kellan einnehmen lassen sollte? Hm, daran musste ich wohl noch etwas härter arbeiten. Ein wenig benommen wandte ich mich dorthin um, wo ich die Stände mit dem Essen vermutete. Lachend berührte mich Kellan am Ellbogen und drehte mich herum.

Er setzte sein typisches gefährlich verführerisches Lächeln auf und deutete auf einen asphaltierten Weg in der genau entgegengesetzten Richtung. »Zum Essen geht’s da lang.« Mit noch breiterem Grinsen fügte er hinzu: »Außer natürlich, du hattest an etwas anderes gedacht.« Ich malte mir umgehend aus, wie wir auf dem riesigen Gelände ein abgelegenes Fleckchen fanden und er dort mit seiner Zunge lauter wunderbare Dinge mit mir anstellte. Mir stockte der Atem.

Schnell schüttelte ich all die unanständigen Gedanken ab und zog mit Kellan los, um ein ganz anderes körperliches Verlangen zu stillen. Sex mit meinem Rockstar-Freund in der Öffentlichkeit war nämlich keine gute Idee. Lust hatte ich zwar, aber so viel Selbstdisziplin blieb dann doch.

Kellan lachte immer noch über mich, kam an meine Seite und schlang mir wieder den Arm um die Hüfte. Er lächelte zu mir hinunter, während Evan und Jenny uns folgten, und murmelte: »Du bist so süß. Was soll ich bloß mit dir machen?«

Mir fielen auf dem Weg zum Pizzastand gleich ein halbes Dutzend Sachen ein, die er gerne mit mir machen konnte …

Als wir dann irgendwann genug von Essen und Musik hatten, und genug Erinnerungen, um diesen Tag auf ewig in unser Gehirn einzubrennen, kehrten wir in den Backstagebereich zurück, um die Instrumente der Band zu holen. Nur Evan hatte nichts zu transportieren. Da das mit dem Schlagzeug sonst zu umständlich war, benutzten auf dieser Bühne alle Gruppen dasselbe Instrument, mit Ausnahme der Hauptacts, die dann doch lieber ihre eigenen Drums mitbrachten.

Mit den Gitarren über der Schulter erregten die Musiker noch mehr Aufmerksamkeit als zuvor. Es gab zwar einen diskreten Seitenausgang für Künstler, aber Griffin bestand natürlich darauf, durch die Menge zu stolzieren – typisch Griffin eben! Von den vieren genoss er das Rampenlicht am meisten, für ihn hatten seine 15 Minuten Ruhm längst begonnen.

Weil wir unterwegs immer wieder für Fotos mit Fans und Autogramme stehen blieben, dauerte es ewig, bis wir den Parkplatz erreichten. Jenny, die ich am nächsten Tag bei der Arbeit sehen würde, umarmte mich zum Abschied rasch, und auch Evan schloss mich in seine starken Arme.

Lächelnd winkte ich ihrem Wagen nach. Wahrscheinlich fuhren sie direkt zum Pete’s, Jenny musste nämlich auch heute kellnern. Ich hatte mir den Abend freigenommen, um ihn mit Kellan zu verbringen. Wegen des Auftritts beim Bumbershoot spielten die Jungs ausnahmsweise auch nicht in ihrer Stammkneipe – aber dorthin fahren würden die anderen wohl trotzdem. Man konnte sie nie lange vom Pete’s fernhalten.

Ich gratulierte Matt mit einer kurzen Umarmung zum gelungenen Auftritt. Er war nicht so überschwänglich wie Evan, daher versuchte ich, seine persönlichen Grenzen zu respektieren. Zurückhaltend bedankte er sich dafür, dass ich gekommen war, während Rachel nur lächelte und zum Abschied winkte. Matt und Griffin packten derweil die Instrumente in Griffins Vanagon. Als Griffin bemerkte, dass hier D-Bags von mir in den Arm genommen wurden, wollte er plötzlich auch seinen Teil. Nachdem er sich in die Hand gehaucht und seinen Atem überprüft hatte, marschierte er entschlossen auf mich zu. Um ihn aufzuhalten, streckte ich ihm eine Hand entgegen, effektiver war da aber wohl Kellans lautes Räuspern. Griffin verdrehte die Augen und winkte uns zu. »Also, wir fahren ins Pete’s, bis später dann.«

Kellan lachte und klopfte ihm auf die Schulter, bevor er die Tür seines Autos aufmachte – ein Chevelle Malibu aus dem Jahr 1969, wie er oft unterstrich. Abgesehen von seiner Gitarre war das schwarze Auto mit all dem glänzenden Chrom wohl der einzige Gegenstand auf dieser Welt, der Kellan etwas bedeutete. Er hatte es in L. A. günstig gekauft und einen Großteil seines ersten freien Sommers damit verbracht, es in Schuss zu bringen. Der Wagen war sein ganzer Stolz … und seit ich damit mal eines Abends einfach abgehauen war, hatte er mich nicht mehr ans Steuer gelassen.

Wir schoben uns auf den durchgehenden schwarzen Ledersitz. »Zu dir oder zu mir?«, fragte Kellan mit übertrieben rauer Stimme.

Ich lachte und küsste ihn. Da wir versuchten, es mit unserer Beziehung möglichst langsam angehen zu lassen, anstatt uns hineinzustürzen und in kopflosem Verlangen zu verlieren, wohnten Kellan und ich immer noch nicht zusammen. »Zu mir«, hauchte ich und versuchte, so sexy zu klingen wie er, was aber ziemlich danebenging. Trotzdem biss sich Kellan auf die Lippe, als er mich ansah. Mit sofort brennenden Wangen lehnte ich mich zurück und schob mir eine Strähne hinters Ohr. »Anna kommt heute Abend erst spät zurück, wir haben also sturmfreie Bude.«

Kellans Grinsen wurde breiter, als er den Wagen anließ, und der knurrende Motor war genauso sexy wie sein Lächeln. Kopfschüttelnd fügte ich hinzu: »Es geht bald wieder mit der Uni los, deshalb muss ich wohl langsam mal meine Sachen dafür zusammensuchen.«

Dazu hatte ich heute Abend eigentlich gar keine Lust, aber wie immer bekam ich allein durch Kellans Blick schon wieder ganz weiche Knie. Und das wusste er ganz genau. Ich musste mich zusammenreißen.

Kellan verzog die Lippen zu einem durchtriebenen Grinsen. »Oh-oh, die Schule geht wieder los? Na dann kümmern wir uns lieber darum, mein Schulmädchen.« Lachend fuhr er los und ließ das Festival hinter sich, bei dem er gerade eben noch so richtig abgerockt hatte.

Kapitel 2

Frieden

Zwanzig Minuten später parkten wir in der Nähe der Wohnung, in der ich mit Anna wohnte. Kellan lächelte weiterhin auf diese umwerfende Art vor sich hin, als er sein Auto abschloss. Wahrscheinlich pumpte sein Herz nach dem Auftritt immer noch Adrenalin durch seine Adern. Ich konnte mir keine schlimmere Tortur vorstellen, als von Hunderten von Menschen angestarrt zu werden und auch noch vor ihnen singen zu müssen – für Kellan war das jedoch sein Leben.

Er grinste von Ohr zu Ohr und summte einen Song vor sich hin. Ich lächelte zu ihm hoch und hakte mich bei ihm unter. Auf sein Leben als Rockstar war ich nicht neidisch, aber ich hatte nur zu gerne Teil daran, welche Wirkung es auf ihn hatte. Unser Weg zueinander war ein holpriger Pfad gewesen, deshalb war ich glücklich, wenn er zufrieden war. Ein Lächeln auf seinen Lippen war Schmerz in seinen Augen wirklich vorzuziehen.

Jetzt riss er die Eingangstür dramatisch auf, und ich betrat die kleine Wohnung mit den zwei Schlafzimmern. Wir wohnten hier auf engstem Raum, aber wenigstens hatten wir eine tolle Aussicht auf den Lake Union. Müde seufzte ich und machte das Licht an. Ich stellte meine Handtasche auf das Tischchen im Flur, wurde Sekunden später herumgewirbelt und mit dem Rücken gegen die Haustür gedrückt.

Ich keuchte. Kellan presste sich mit dem gesamten Körper an mich, und sein Mund ergriff hungrig Besitz von meinem. Automatisch vergrub ich die Hände in seinem Haar und wickelte mir die langen Strähnen um die Finger. Mein Herz raste jetzt so sehr, dass ich fast fürchtete, gleich umzukippen. Das hätte Kellan allerdings nicht zugelassen – er hielt mich fest und presste sich weiterhin mit jedem einzelnen Zentimeter an mich, von der wie in Stein gemeißelten Brust bis hin zu den sinnlichen Hüften.

Als Hitze sich in mir ausbreitete, verjagte es jeden anderen Gedanken in meinem Kopf. Mein Atem ging jetzt schneller, Kellans ebenfalls, wenn er sich zwischen gierigen Küssen und sich neckenden Zungen kurz von meinem Mund löste. Dann fuhr er mir mit der Hand über den Po, den Schenkel entlang bis zur Rückseite meines Knies. Kellan zog mein Bein hoch und schlang es sich um die Hüfte. Er rieb seinen Schritt genau dort an mich, wo ich es brauchte.

Stöhnend verkrallte ich die Finger in seiner Mähne und zog ihn noch näher zu mir heran. Ein tiefer Laut entfuhr Kellan und ließ seinen ganzen Körper erbeben. Das Verlangen in mir war beinahe unerträglich, ich brauchte ihn, und zwar jetzt sofort.

Ich bäumte mich an der Tür auf, löste mich kurz von seinem Mund und stöhnte: »Kellan … Schlafzimmer …« Zum Glück war meine Schwester nicht da.

Seine Lippen wanderten meinen Hals hinunter, und seine Zunge erkundete auf dem Weg jede erogene Zone. Wieder stöhnte ich und rieb mich an ihm, um die Qual zu erleichtern. Kellan gluckste, als er mir mit der Zungenspitze das Schlüsselbein nachzeichnete. Er genoss es, mich heißzumachen, deshalb stieß ich mit einem Stirnrunzeln seine Schulter zurück. Belustigt zog er die Augenbraue hoch. Er war so unglaublich scharf – vor allem, wenn Lust in seinen Augen brannte. Diesen speziellen »Schlafzimmerblick« bekam außer Kellan niemand hin.

Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck mit einem Mal völlig. Mit spielerischem Lächeln ließ er das Bein sinken, das ich um seine Hüfte geschlungen hatte. »Wirst du je wieder bei mir einziehen?«, fragte er und legte mit dem Daumen den Weg zurück, den seine Zunge vorgegeben hatte.

Ich blinzelte, als die Stimmung so plötzlich umschlug, und konnte gar nicht klar denken, während ich das Verlangen unterdrückte, Kellan einfach ins Wohnzimmer und auf die hässliche orangefarbene Couch zu schieben. Womit er sicher kein Problem hätte. Ich fragte mich trotzdem, ob er gerade wirklich vorschlug, dass wir wieder zusammenzogen, und machte einen Schritt von ihm weg. Allerdings tat ich damit auch einen Schritt in Richtung Schlafzimmer, was das Feuer in seinen Augen sofort wieder auflodern ließ. Mit schelmischem Lächeln deutete er mit einer Kopfbewegung in Richtung Tür. »Sex auf einem Futon finde ich nämlich schrecklich.« Er zwinkerte und fügte hinzu: »Obwohl ich mich davon natürlich nicht abhalten lasse.«

Grinsend griff ich nach seiner Hand. »Du bist doch derjenige, der mich rausgeschmissen hat.« Ich versuchte, locker zu klingen, obwohl das eine schmerzhafte Erinnerung für mich war.

Ein finsterer Ausdruck tauchte auf Kellans Gesicht auf, war aber sofort wieder verschwunden. Er schob mich weiter den Flug entlang. »Na ja, damals kam mir das wie eine gute Idee vor.«

Der Flur war ziemlich kurz. Anna gehörte der größere Raum am Ende des Ganges, in der Mitte lag unsere winzige Dusche, und mein Zimmer war neben der Wohnungstür. Kellans Haus war zwar auch nicht viel größer, kam mir im Vergleich hierzu aber wie ein Palast vor.

Vor meiner Tür legte ich Kellan die Hand auf die Brust. »Und es war ja wirklich eine gute Idee.« Ich fuhr ihm mit der Hand den Hals entlang und umfing dann seine Wange. Er lehnte sich gegen meine Finger. »Wir haben beide Abstand gebraucht. Wir mussten erst mal wieder klar im Kopf werden.

Seufzend lächelte er. »Aber jetzt ist doch alles klar … Warum kommst du dann nicht zurück?« Seine Stimme wurde leiser, er trat näher an mich heran und schlang mir die Arme um die Taille. »Ich weiß, dass wir es langsam angehen wollen, aber ich möchte gern mit dir den nächsten Schritt gehen.«

Ich nahm die Wärme in seiner Stimme und die Liebe in seinen Augen in mich auf. Das wollte ich ja auch, wirklich, aber ich wünschte mir gleichzeitig, selbstbewusster zu werden, unabhängiger. Wenn ich jetzt zu ihm zog, wäre er wieder die Welt für mich, und ich würde mich darin verlieren.

Als ich Kellan ermutigend anlächelte und ihm durchs Haar fuhr, wurde sein Blick sanfter. Mit möglichst überzeugender Stimme erklärte ich: »Ich glaube, wir sollten noch ein bisschen warten.« Jetzt strich ich ihm mit dem Daumen über die Wange, und fügte hinzu: »Seit ich hier mit meiner Schwester wohne, fühle ich mich stärker. Ich will nicht schon wieder einen Mann brauchen, um mich ganz zu fühlen.«

Ich biss mir auf die Lippe und hoffte, dass ich ihn damit nicht verletzt hatte. Seine unfassbar blauen Augen nahmen mich ganz genau unter die Lupe, erkundeten jeden einzelnen Gesichtszug. »Und was, wenn ich hier derjenige bin, der dich braucht, um sich ganz zu fühlen?« Jetzt war seine Miene so todernst, dass es mir fast das Herz brach. Aber ihm gelang ein kleines Lächeln, als er mit den Achseln zuckte. »Ich will eben nicht allein einschlafen.«

Das Problem war hier nicht, dass er abends ohne mich schlafen ging – es ging um viel mehr als das. Ich wusste genau, dass Kellan es generell hasste, allein zu sein. Mir ging es ja genauso – das gehörte zu unseren wenigen Gemeinsamkeiten – aber ich wusste auch , dass die körperliche Distanz jetzt wichtig für uns war. Deshalb setzte ich ein aufmunterndes Lächeln auf. »Du wirst schon klarkommen.« Als sein Gesichtsausdruck wieder mürrisch wurde, schlang ich ihm beide Arme um den Hals und bemerkte: »Wir schlafen doch sowieso fast jede Nacht miteinander.«

Ich wurde sofort rot, als mir klar wurde, wie zweideutig das klang. Kellan warf mir ein süßes Grinsen zu, griff dann nach hinten und machte die Tür zu meinem Zimmer auf. »Eben«, lachte er kopfschüttelnd. »Denk doch nur daran, wie viel Benzin wir damit sparen würden.« Rückwärts betrat er mein Zimmer. »Und bei mir müsstest du auch keine Miete bezahlen. So könntest du weniger arbeiten und dich mehr auf das Studium konzentrieren.«

Damit hatte er vom logischen Standpunkt aus natürlich recht. Mein Instinkt sagte mir hingegen, dass die Situation für uns emotional genau richtig war. Ich löste eine Hand, um das Licht einzuschalten, und seufzte. »Kellan, mir gefällt mein Leben so, es fühlt sich endlich … wie eine runde Sache an.«

Er machte die Tür mit dem Fuß zu und strich mir über den Hintern. Mit gefährlichem Lächeln murmelte er: »Ja, ich weiß, wirklich rund.« Ich gab ihm einen Klaps gegen die Schulter, und er zog mich mit einem Seufzen an sich heran und küsste mich sanft: »Na gut.«

Ich schmolz an seinem Mund dahin, nahm seinen Geschmack in mich auf, wurde von seinem Duft eingehüllt. Dann löste er sich von mir, schleuderte die Schuhe von den Füßen und sah stirnrunzelnd zum klumpigen Futon hinüber. »Aber das hier nervt echt. Darf ich dir wenigstens ein vernünftiges Bett schenken?«

Lächelnd ließ ich meine Flipflops stehen, griff nach seiner Hand und zog ihn in Richtung des Bettes, das er so sehr hasste. Er hatte ja recht – der Futon war in bedauernswertem Zustand und hatte in der Mitte eine Metallstange, die sich uns in den Rücken bohrte, aber er war groß, sodass man darauf einiges an … körperlicher Ertüchtigung anstellen konnte. Ich stellte mich an seinen Rand und zog Kellan am T-Shirt an mich heran. »Na klar. Und du darfst es sogar mit mir einweihen.«

Mit verführerischem Lächeln half er mir dabei, sich auszuziehen. »Hm … damit hast du mich schon überzeugt.«

Lachend fuhr ich mit den Fingern über die wundervollen Linien seines durchtrainierten Oberkörpers. Ihm stockte der Atem, als ich die schwarzen Buchstaben meines Namens auf seiner Brust nachzog. Auf der ganzen Welt gab es nichts, was ich so schön fand wie dieses Tattoo – mal abgesehen von dem Mann, der es trug. »Dich überzeugt doch alles, was mit Sex zu tun hat«, kicherte ich.

Kellan versetzte mir einen spielerischen Stoß gegen die Schulter, und ich ließ mich aufs Bett sinken. Dabei erwischte ich ausgerechnet eine Kuhle, hatte dann aber die Metallstange im Rücken, als ich mich etwas weiter in die Mitte schob. Hitze durchfuhr meinen Körper, als Kellan sich über mich lehnte. »Stimmt«, stieß er mit rauer Stimme aus.

Mir stockte der Atem, als er auf Händen und Füßen zu mir herüberkroch, und er beschleunigte sich, als Kellan langsam den Blick über mich wandern ließ. Ich schluckte. Er strahlte einfach puren Sex aus. Mir war immer noch schleierhaft, wieso er von all den Frauen dieser Welt ausgerechnet mit mir zusammen war.

Lächelnd presste er die Lippen auf meine, und ich strich über seine glatte, perfekte Brust. Ich flüsterte: »Schlampe.«

Er lachte an meinem Mund und ließ sich an meiner Seite auf die Bettdecke sinken. »Schamloses Luder«, flüsterte er und schob die Hand in meine Mähne.

Ich musste lachen. Inzwischen benutzten wir als Koseworte das, womit wir einander einst wehgetan hatten. So lief das mit Kellan: von Feuer zu Eis und wieder zurück. Genau deshalb mussten wir es langsam angehen lassen – um unserer Beziehung zu festigen. Kellan schien das mit uns nicht für ein Strohfeuer zu halten, ich befürchtete aber oft, dass irgendwann die Luft raus sein würde. Immerhin hätte er einfach jede haben können. Er sagte zwar, dass er mit mir zum ersten Mal etwas Echtes erlebte, was unter die Haut ging – wahre Liebe von ganzem Herzen. Meine größte Angst war trotzdem, dass er problemlos eine andere finden konnte – gerade jetzt, wo er sich für die Liebe geöffnet hatte.

Gott, wie ich diese Vorstellung hasste.

Ich verdrängte meine Zweifel lieber und konzentrierte mich auf das, was ich mit Sicherheit wusste: In diesem Augenblick wollte Kellan mich. Hier und jetzt liebte Kellan mich. Und in genau diesem Moment erwarteten wir meine Schwester noch stundenlang nicht zurück.

Inzwischen trug Kellan nur noch seine ausgeblichene Jeans, die sich so perfekt an seinen Körper schmiegte, als er sich über mich beugte, sich seine Lippen meinem Mund widmeten und seine freie Hand mit einer dunklen Strähne meines Haares spielte. Meine Finger waren in der Zwischenzeit mit seiner wilden Mähne beschäftigt. Es machte mir einen Riesenspaß, darin herumzuwühlen, und ich konnte es mir nicht verkneifen, auch hier und da mal an einer Strähne zu ziehen. Dann erkundete ich seinen Hals und Nacken, fand die schlanken Muskeln und das leichte Pulsieren der Vene unter der Haut. Irgendwann ließ ich meine Hände auf seinen Schulterblättern ruhen und bewunderte das Spiel der Muskeln. Von dort aus war es ja nur natürlich, dass sie dann auf seinem Rücken weiter nach unten wanderten. Glücklich strich ich auf dem Weg zu seiner Hüfte über die glatte Haut und auf der Hälfte noch einmal nach oben. Jetzt wiederholte ich das Ganze vorsichtig mit den Nägeln statt den Fingerkuppen.

»Hör auf, mich heißzumachen«, murmelte Kellan und saugte an meiner Unterlippe.

Früher hatte ich ihm schon einmal weitaus rücksichtsloser die Nägel ins Fleisch getrieben … und das auch noch in einem Espressowagen. Ich spürte, wie ich rot wurde, als ich daran zurückdachte, wie peinlich mir das danach gewesen war. Kellan löste sich von mir, schaute mir ins Gesicht und bemerkte meine Röte. Vermutlich wusste er, was mir gerade durch den Kopf ging. Er fuhr mir mit dem Finger über die Wange und dann über die Lippen. »Hast du auch nur die geringste Ahnung, was du mit mir gemacht hast, als du mich damals so gekratzt hast?«

Seine Lippe zuckte, während ich noch röter wurde. Ich brachte kein Wort heraus, deshalb schüttelte ich bloß den Kopf. Er grinste breit und lehnte sich zu meinem Ohr vor. »Ich glaube, in dem Moment bin ich gekommen.«

Ich schloss verlegen die Augen bei seinen Worten, musste aber schließlich lachen. »Dass du auf so was stehst, wusste ich gar nicht.«

Er lachte laut auf. »Du bist doch diejenige, die damit angefangen hat.«

Ich kicherte, und plötzlich war meine Verlegenheit wie weggeblasen. »Und du derjenige, den es angetörnt hat.«

Er küsste mich sanft aufs Kinn, bevor er sich mit hochgezogener Augenbraue von mir löste. »Hat es dir etwa nicht gefallen?«

Ich biss mir auf die Lippe und wandte den Blick von seiner selbstbewussten, übermütigen Miene ab. Natürlich hatte es mir gefallen, es hatte mich genauso befriedigt wie ihn. Aber nun überkam mich doch das schlechte Gewissen, weil ich ihm wehgetan und er geblutet hatte. Das war vielleicht ein bisschen übertrieben gewesen.

Dann überraschte ich ihn damit, dass ich seine Schultern von mir wegdrückte. »Hey!«, protestierte er, während er versuchte, sich wieder auf mich zu schieben. Lachend hielt ich ihn mit einer Hand im Zaum und wand mich unter ihm hervor. Bevor er sich beschweren oder mich wieder nach unten schieben konnte, umschloss ich seine Hüfte mit den Beinen.

Sein breites Grinsen und sein Versuch, sich auf den Rücken zu drehen, verrieten mir, dass es ihn anmachte, dass ich hier offenbar mit aller Kraft versuchte, oben zu liegen. Andererseits machte Kellan so ziemlich alles an. Aber ich schob ihn genau in die andere Richtung, bis er bäuchlings unter mir lag.

Als ich schließlich auf ihm hockte, schaute er über die Schulter nach hinten und fragte: »Was hast du vor?«

Meine Hände strichen über die makellose Haut, und ich antwortete mit einer etwas heiseren Stimme: »Na ja, es tut mir wirklich leid, dass ich dir damals wehgetan habe.«

Er wandte sich ein wenig weiter zu mir um. »Ich hab schon erwähnt, dass ich deshalb gekommen bin, oder?«

Hitze breitete sich bei diesen Worten wieder in mir aus. Sie waren nicht einmal besonders schmutzig, aber sie aus seinem Mund zu hören, erinnerte mich einfach an Momente der Ekstase, bei denen mir das Blut in den Adern gekocht und ich mich selbst vergessen hatte. Momente, die mein Leben verändert hatten. Bei diesen Worten wollte ich ihn noch viel mehr. Schnell unterdrückte ich das Verlangen … zumindest fürs Erste.

»Ich will nur sichergehen, dass da auch alles schön verheilt ist.«

Nun lehnte ich mich vor, sodass meine Haare seine Schultern streiften, und streichelte seinen Rücken. Kellans Blick wanderte rasch über mein Gesicht, und seine Stimme wurde leiser: »Deinetwegen hab ich nur eine einzige Narbe.«

Mir stockte der Atem, als ich sah, wie viel Liebe in seinen Augen leuchtete. Wahrscheinlich würde ich mich niemals daran gewöhnen. Es ließ die ganze Flirterei von vorhin mit einem Mal an Bedeutung verlieren. Er würde seine Fans niemals mit diesem Blick bedenken, und keine dieser Frauen würde je so intim mit ihm sein. Das war längst vorbei. Evan hatte recht – er spielte zwar mit ihnen, sein Herz gehörte aber mir.

Ich nickte und stellte zu meinem Erstaunen fest, dass ich plötzlich ganz feuchte Augen bekam. In Gedanken ging ich noch einmal den Moment durch, auf den er anspielte, und biss mir auf die Lippe. Es war jetzt schon ziemlich lange her, aber er hatte damals mit einer Schnittwunde dafür bezahlt, dass er meine Ehre verteidigt hatte. Es war eine der wunderbarsten und fürchterlichsten Heldentaten gewesen, die je jemand für mich begangen hatte. Es war wunderbar gewesen, dass er mir zu Hilfe geeilt war, und schrecklich, dass er dabei verletzt worden war. Ich fuhr über seine Rippen und berührte die Bettdecke, als ich Kellans Oberkörper umfing. Ich lehnte mich vor und küsste den Rand seiner Narbe, wo die einst so weiche Haut plötzlich rau wurde. Kellan sog scharf die Luft ein, als ich mit dem Mund seine alte Verletzung liebkoste.

Ich lächelte und drückte ihm hier und da einen Kuss auf den Rücken, während ich an die andere Gelegenheit dachte, bei der er meinetwegen verletzt worden war. Gut, die Folgen dieses Vorfalls waren nicht äußerlich sichtbar (man hatte den Knochen ohne Operation gerichtet), aber er hatte großen Schaden unter der Oberfläche angerichtet. Ich fuhr Kellan über die Arme und drückte den linken zärtlich, den er sich vor Monaten bei einer Schlägerei mit meinem Exfreund Denny gebrochen hatte.

Dann lehnte ich mich vor, um den Arm mit den Lippen zu berühren, und Kellans Blick wurde sanfter, als er mich beobachtete. Er verstand meine Geste. »Ich liebe dich für alle deine Narben«, flüsterte ich und beugte mich jetzt weit genug vor, um ihn auf den Mund zu küssen.

Kellan griff hinter sich, um meinen Kopf zu halten und mich zu küssen. Der Kuss wurde nun heftiger, und das Feuer der Vorfreude loderte in mir auf, als Kellans Zunge die meine streifte. Mein Atem ging schneller, und ich gab mich dem Kuss einen Moment hin, bevor ich mich zusammenriss.

Geschickt wand ich mich aus dem Griff meines Freundes, der mich an seinem Mund festhalten wollte. Spielerisch knurrte ich ihn an und gab ihm einen Klaps auf die Schulter. »Jetzt hör doch mal auf, ich bin mit meiner Untersuchung noch nicht fertig.«

Er seufzte. »Könntest du dich etwas beeilen? Ich will nämlich lieber auf dir liegen als auf diesem grauenhaften Bett.« Ich musste lachen, als er zur Bekräftigung die Hüfte gegen den Futon presste. Dann murmelte er: »Und könnten wir vielleicht die Positionen wechseln, wenn du fertig bist?«

Das ignorierte ich und wandte meine Aufmerksamkeit wieder seinem Rücken zu. Die Haut sah wirklich makellos aus, es waren keine Spuren meines rücksichtslosen Kratzens zurückgeblieben. Erst als ich mich vorlehnte, um die Haut zu küssen, bemerkte ich doch ganz feine Narben, die man nur aus wenigen Zentimetern Entfernung sehen konnte. Es waren dünne weiße Streifen, und ich lächelte, als ich daran dachte, dass Kellan unsere verrückte, intensive Nacht auf diese Weise immer bei sich tragen würde. Es tat mir weiterhin leid, dass ich ihm wehgetan hatte, aber ich freute mich auch dar­über, so stets bei ihm zu sein.

»Ah, da haben wir sie ja«, murmelte ich.

»Was denn?«, fragte Kellan, als ich mit der Zunge die kaum sichtbaren Linien nachzog. Das brachte ihn zum Schweigen, und jetzt durchlief ein Schauer seinen Körper. Ein wenig mutiger fuhr ich mit der Zunge zwischen seinen Schulterblättern nach oben und seinen Nacken entlang. Kellan zuckte und vergrub die Stirn im Kissen, sein Atem ging plötzlich ganz flach. Jetzt überkam mich eine ganz andere Erinnerung, als ich vorsichtig an seinem Hals knabberte und ihn damit zum Stöhnen brachte.

Bevor ich auch nur wusste, wie mir geschah, fuhr Kellan unter mir herum und zog mich zu sich hinunter aufs Bett. Er hatte mich mit solcher Kraft gepackt, dass mir die Luft wegblieb. Ich kicherte, als er sich auf mich schob, sich seine Lippen auf mich stürzten und er mit seiner Zunge forschend die meine suchte.

Ich schob ihn weg. Lust stand in seinen funkelnden Augen, als er knurrte: »Mach mich nicht heiß.«

Feixend fuhr ich ihm mit dem Finger über die leicht geöffneten Lippen. »Rache ist süß.« Ich zog eine Augenbraue hoch. »Und ich mach das wenigstens nicht vor aller Augen in einem Club mit dir.«