Egmont. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen - Johann Wolfgang Goethe - E-Book

Egmont. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen E-Book

Johann Wolfgang Goethe

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Beschreibung

Brüssel im 16. Jahrhundert: Die Niederlande wollen das Joch der spanisch-habsburgischen Herrschaft abschütteln. Ihre Hoffnung ruht auf Graf Egmont, einem der drei niederländischen Statthalter. Er erscheint ihnen als der ideale Volksführer, großherzig, verantwortungsvoll und beliebt. Sein Gegenspieler, der brutale Herzog Alba, folgt allein den Gesetzen der Staatsautorität. Er führt den freiheitlich denkenden Egmont mit einer List ins Verderben. Mit Anmerkungen und einem neuen Nachwort von Marcel Krings. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Seitenzahl: 173

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Johann Wolfgang Goethe

Egmont

Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Nachwort von Marcel KringsAnmerkungen von Hans Wagener

Reclam

1970, 2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2023

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-960973-7

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014370-4

www.reclam.de

Inhalt

Egmont

Personen

Erster Aufzug

Zweiter Aufzug

Dritter Aufzug

Vierter Aufzug

Fünfter Aufzug

Zu dieser Ausgabe

Anmerkungen

1. Die geschichtlichen Ereignisse

2. Wort- und Sacherklärungen

Literaturhinweise

Ausgaben

Weiterführende Literatur

Nachwort

[5]Egmont

[6]Personen

MARGARETE VON PARMA, Tochter Karls des Fünften, Regentin der Niederlande

GRAF EGMONT, Prinz von Gaure

WILHELM VON ORANIEN

HERZOG VON ALBA

FERDINAND, sein natürlicher Sohn

MACHIAVELL, im Dienste der Regentin

RICHARD, Egmonts Geheimschreiber

SILVA UND GOMEZ, unter Alba dienend

KLÄRCHEN, Egmonts Geliebte

IHRE MUTTER

BRACKENBURG, ein Bürgerssohn

SOEST, Krämer, Bürger von Brüssel

JETTER, Schneider, Bürger von Brüssel

ZIMMERMANN UND SEIFENSIEDER, Bürger von Brüssel

BUYCK, Soldat unter Egmont

RUYSUM, Invalide und taub

VANSEN, ein Schreiber

VOLK, Gefolge, Wachen usw.

 

Der Schauplatz ist in Brüssel

[7]Erster Aufzug

ArmbrustschießenSoldaten und Bürger mit Armbrüsten

Jetter, Bürger von Brüssel, Schneider, tritt vor und spannt die Armbrust. Soest, Bürger von Brüssel, Krämer.

SOEST. Nun schießt nur hin, dass es alle wird! Ihr nehmt mir’s doch nicht! Drei Ringe schwarz, die habt Ihr Eure Tage nicht geschossen. Und so wär’ ich für dies Jahr Meister.

JETTER.Meister und König dazu. Wer missgönnt’s Euch? Ihr sollt dafür auch die Zeche doppelt bezahlen; Ihr sollt Eure Geschicklichkeit bezahlen, wie’s recht ist.

 (Buyck, ein Holländer, Soldat unter Egmont.)

BUYCK. Jetter, den Schuss handl’ ich Euch ab, teile den Gewinst, traktiere die Herren: ich bin so schon lange hier und für viele Höflichkeit Schuldner. Fehl ich, so ist’s, als wenn Ihr geschossen hättet.

SOEST. Ich sollte dreinreden: denn eigentlich verlier ich dabei. Doch, Buyck, nur immerhin.

BUYCK(schießt). Nun, Pritschmeister, Reverenz! – Eins! Zwei! Drei! Vier!

SOEST. Vier Ringe? Es sei!

ALLE.Vivat, Herr König, hoch! und abermal hoch!

BUYCK. Danke, ihr Herren. Wäre Meister zu viel! Danke für die Ehre.

JETTER. Die habt Ihr Euch selbst zu danken.

 (Ruysum, ein Friesländer, Invalide und taub.)

RUYSUM. Dass ich euch sage!

[8]SOEST. Wie ist’s, Alter?

RUYSUM. Dass ich euch sage! – Er schießt wie sein Herr, er schießt wie Egmont.

BUYCK. Gegen ihn bin ich nur ein armer Schlucker. Mit der Büchse trifft er erst, wie keiner in der Welt. Nicht etwa, wenn er Glück oder gute Laune hat, nein! wie er anlegt, immer rein schwarz geschossen. Gelernt habe ich von ihm. Das wäre auch ein Kerl, der bei ihm diente und nichts von ihm lernte. – Nicht zu vergessen, meine Herren! Ein König nährt seine Leute; und so, auf des Königs Rechnung, Wein her!

JETTER. Es ist unter uns ausgemacht, dass jeder –

BUYCK. Ich bin fremd und König, und achte eure Gesetze und Herkommen nicht.

JETTER. Du bist ja ärger als der Spanier; der hat sie uns doch bisher lassen müssen.

RUYSUM. Was?

SOEST(laut). Er will uns gastieren, er will nicht haben, dass wir zusammenlegen und der König nur das Doppelte zahlt.

RUYSUM. Lasst ihn! doch ohne Präjudiz! Das ist auch seines Herren Art, splendid zu sein und es laufen zu lassen, wo es gedeiht.

 (Sie bringen Wein.)

ALLE.Ihro Majestät Wohl! Hoch!

JETTER(zu Buyck). Versteht sich, Eure Majestät.

BUYCK. Danke von Herzen, wenn’s doch so sein soll.

SOEST. Wohl! Denn unserer spanischen Majestät Gesundheit trinkt nicht leicht ein Niederländer von Herzen.

RUYSUM. Wer?

SOEST(laut). Philipps des Zweiten, Königs in Spanien.

[9]RUYSUM. Unser allergnädigster König und Herr! Gott geb’ ihm langes Leben.

SOEST. Hattet Ihr seinen Herrn Vater, Karl den Fünften, nicht lieber?

RUYSUM. Gott tröst’ ihn! das war ein Herr! Er hatte die Hand über den ganzen Erdboden und war euch alles in allem; und wenn er euch begegnete, so grüßt’ er euch wie ein Nachbar den andern; und wenn ihr verschrocken wart, wusst’ er mit so guter Manier – ja, versteht mich – Er ging aus, ritt aus, wie’s ihm einkam, gar mit wenig Leuten. Haben wir doch alle geweint, wie er seinem Sohn das Regiment hier abtrat – sagt’ ich, versteht mich – der ist schon anders, der ist majestätischer.

JETTER. Er ließ sich nicht sehen, da er hier war, als im Prunk und königlichen Staate. Er spricht wenig, sagen die Leute.

SOEST. Es ist kein Herr für uns Niederländer. Unsre Fürsten müssen froh und frei sein wie wir, leben und leben lassen. Wir wollen nicht verachtet noch gedruckt sein, so gutherzige Narren wir auch sind.

JETTER. Der König, denk ich, wäre wohl ein gnädiger Herr, wenn er nur bessere Ratgeber hätte.

SOEST. Nein, nein! Er hat kein Gemüt gegen uns Niederländer, sein Herz ist dem Volke nicht geneigt, er liebt uns nicht; wie können wir ihn wiederlieben? Warum ist alle Welt dem Grafen Egmont so hold? Warum trügen wir ihn alle auf den Händen? Weil man ihm ansieht, dass er uns wohlwill; weil ihm die Fröhlichkeit, das freie Leben, die gute Meinung aus den Augen sieht; weil er nichts besitzt, das er dem Dürftigen nicht mitteilte, auch dem, der’s nicht bedarf. Lasst den Grafen Egmont leben! [10]Buyck, an Euch ist’s, die erste Gesundheit zu bringen! Bringt Eures Herrn Gesundheit aus.

BUYCK. Von ganzer Seele denn: Graf Egmont hoch!

RUYSUM. Überwinder bei St. Quentin.

BUYCK. Dem Helden von Gravelingen!

ALLE. Hoch!

RUYSUM. St. Quentin war meine letzte Schlacht. Ich konnte kaum mehr fort, kaum die schwere Büchse mehr schleppen. Hab ich doch den Franzosen noch eins auf den Pelz gebrannt, und da kriegt’ ich zum Abschied noch einen Streifschuss ans rechte Bein.

BUYCK. Gravelingen! Freunde! Da ging’s frisch! Den Sieg haben wir allein. Brannten und sengten die welschen Hunde nicht durch ganz Flandern? Aber ich mein, wir trafen sie! Ihre alten, handfesten Kerle hielten lange wider, und wir drängten und schossen und hieben, dass sie die Mäuler verzerrten und ihre Linien zuckten. Da ward Egmont das Pferd unter dem Leibe niedergeschossen, und wir stritten lange hinüber herüber, Mann für Mann, Pferd gegen Pferd, Haufe mit Haufe, auf dem breiten flachen Sand an der See hin. Auf einmal kam’s, wie vom Himmel herunter, von der Mündung des Flusses, bav, bau! immer mit Kanonen in die Franzosen drein. Es waren Engländer, die unter dem Admiral Malin von ungefähr von Dünkirchen her vorbeifuhren. Zwar viel halfen sie uns nicht; sie konnten nur mit den kleinsten Schiffen herbei, und das nicht nah genug; schossen auch wohl unter uns – Es tat doch gut! Es brach die Welschen und hob unsern Mut. Da ging’s rick! rack! herüber, hinüber! Alles totgeschlagen, alles ins Wasser gesprengt. Und die Kerle ersoffen, wie sie das Wasser schmeckten; und was wir Holländer waren, [11]gerad hintendrein. Uns, die wir beidlebig sind, ward erst wohl im Wasser, wie den Fröschen; und immer die Feinde im Fluss zusammengehauen, weggeschossen wie die Enten. Was nun noch durchbrach, schlugen euch auf der Flucht die Bauernweiber mit Hacken und Mistgabeln tot. Musste doch die welsche Majestät gleich das Pfötchen reichen und Friede machen. Und den Frieden seid ihr uns schuldig, dem großen Egmont schuldig!

ALLE. Hoch! dem großen Egmont hoch! und abermal hoch! und abermal hoch!

JETTER.Hätte man uns den statt der Margrete von Parma zum Regenten gesetzt!

SOEST. Nicht so! Wahr bleibt wahr! Ich lasse mir Margareten nicht schelten. Nun ist’s an mir. Es lebe unsre gnäd’ge Frau!

ALLE. Sie lebe!

SOEST. Wahrlich, treffliche Weiber sind in dem Hause. Die Regentin lebe!

JETTER. Klug ist sie, und mäßig in allem, was sie tut; hielte sie’s nur nicht so steif und fest mit den Pfaffen. Sie ist doch auch mit schuld, dass wir die vierzehn neuen Bischofsmützen im Lande haben. Wozu die nur sollen? Nicht wahr, dass man Fremde in die guten Stellen einschieben kann, wo sonst Äbte aus den Kapiteln gewählt wurden? Und wir sollen glauben, es sei um der Religion willen. Ja es hat sich. An drei Bischöfen hatten wir genug: da ging’s ehrlich und ordentlich zu. Nun muss doch auch jeder tun, als ob er nötig wäre; und da setzt’s allen Augenblick Verdruss und Händel. Und je mehr ihr das Ding rüttelt und schüttelt, desto trüber wird’s.

 (Sie trinken.)

[12]SOEST. Das war nun des Königs Wille; sie kann nichts davon- noch dazutun.

JETTER. Da sollen wir nun die neuen Psalmen nicht singen. Sie sind wahrlich gar schön in Reimen gesetzt und haben recht erbauliche Weisen. Die sollen wir nicht singen, aber Schelmenlieder, so viel wir wollen. Und warum? Es seien Ketzereien drin, sagen sie, und Sachen, Gott weiß. Ich hab ihrer doch auch gesungen; es ist jetzt was Neues, ich hab nichts drin gesehen.

BUYCK. Ich wollte sie fragen! In unsrer Provinz singen wir, was wir wollen. Das macht, dass Graf Egmont unser Statthalter ist, der fragt nach so etwas nicht. – In Gent, Ypern, durch ganz Flandern singt sie, wer Belieben hat. (Laut.) Es ist ja wohl nichts unschuldiger als ein geistlich Lied? Nicht wahr, Vater?

RUYSUM. Ei wohl! Es ist ja ein Gottesdienst, eine Erbauung.

JETTER. Sie sagen aber, es sei nicht auf die rechte Art, nicht auf ihre Art; und gefährlich ist’s doch immer, da lässt man’s lieber sein. Die Inquisitionsdiener schleichen herum und passen auf; mancher ehrliche Mann ist schon unglücklich geworden. Der Gewissenszwang fehlte noch! Da ich nicht tun darf, was ich möchte, können sie mich doch denken und singen lassen, was ich will.

SOEST.Die Inquisition kommt nicht auf. Wir sind nicht gemacht, wie die Spanier, unser Gewissen tyrannisieren zu lassen. Und der Adel muss auch beizeiten suchen, ihr die Flügel zu beschneiden.

JETTER. Es ist sehr fatal. Wenn’s den lieben Leuten einfällt, in mein Haus zu stürmen, und ich sitz an meiner Arbeit und summe just einen französischen Psalm und denke [13]nichts dabei, weder Gutes noch Böses; ich summe ihn aber, weil er mir in der Kehle ist: gleich bin ich ein Ketzer und werde eingesteckt. Oder ich gehe über Land und bleibe bei einem Haufen Volks stehen, das einem neuen Prediger zuhört, einem von denen, die aus Deutschland gekommen sind: auf der Stelle heiß ich ein Rebell und komme in Gefahr, meinen Kopf zu verlieren. Habt ihr je einen predigen hören?

SOEST. Wackre Leute. Neulich hört’ ich einen auf dem Felde vor tausend und tausend Menschen sprechen. Das war ein ander Geköch, als wenn unsre auf der Kanzel herumtrommeln und die Leute mit lateinischen Brocken erwürgen. Der sprach von der Leber weg; sagte, wie sie uns bisher hätten bei der Nase herumgeführt, uns in der Dummheit erhalten, und wie wir mehr Erleuchtung haben könnten. – Und das bewies er euch alles aus der Bibel.

JETTER. Da mag doch auch was dran sein. Ich sagt’s immer selbst und grübelte so über die Sache nach. Mir ist’s lang im Kopf herumgegangen.

BUYCK. Es läuft ihnen auch alles Volk nach.

SOEST. Das glaub ich, wo man was Guts hören kann und was Neues.

JETTER. Und was ist’s denn nun? Man kann ja einen jeden predigen lassen nach seiner Weise.

BUYCK. Frisch, ihr Herrn! Über dem Schwätzen vergesst ihr den Wein und Oranien.

JETTER. Den nicht zu vergessen. Das ist ein rechter Wall: wenn man nur an ihn denkt, meint man gleich, man könne sich hinter ihn verstecken und der Teufel brächte einen nicht hervor. Hoch! Wilhelm von Oranien, hoch!

[14]ALLE. Hoch! hoch!

SOEST. Nun, Alter, bring auch deine Gesundheit.

RUYSUM. Alte Soldaten! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!

BUYCK. Bravo, Alter! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!

JETTER. Krieg! Krieg! Wisst ihr auch, was ihr ruft? Dass es euch leicht vom Munde geht, ist wohl natürlich; wie lumpig aber unsereinem dabei zumute ist, kann ich nicht sagen. Das ganze Jahr das Getrommel zu hören; und nichts zu hören, als wie da ein Haufen gezogen kommt und dort ein andrer, wie sie über einen Hügel kamen und bei einer Mühle hielten, wie viel da geblieben sind, wie viel dort, und wie sie sich drängen, und einer gewinnt, der andre verliert, ohne dass man sein Tage begreift, wer was gewinnt oder verliert. Wie eine Stadt eingenommen wird, die Bürger ermordet werden, und wie es den armen Weibern, den unschuldigen Kindern ergeht. Das ist eine Not und Angst, man denkt jeden Augenblick: »Da kommen sie! Es geht uns auch so.«

SOEST. Drum muss auch ein Bürger immer in Waffen geübt sein.

JETTER. Ja, es übt sich, wer Frau und Kinder hat. Und doch hör ich noch lieber von Soldaten, als ich sie sehe.

BUYCK. Das sollt’ ich übelnehmen.

JETTER. Auf Euch ist’s nicht gesagt, Landsmann. Wie wir die spanischen Besatzungen los waren, holten wir wieder Atem.

SOEST. Gelt! die lagen dir am schwersten auf?

JETTER.Vexier’ Er sich.

SOEST. Die hatten scharfe Einquartierung bei dir.

JETTER. Halt dein Maul.

[15]SOEST. Sie hatten ihn vertrieben aus der Küche, dem Keller, der Stube – dem Bette.

 (Sie lachen.)

JETTER. Du bist ein Tropf.

BUYCK. Friede, ihr Herrn! Muss der Soldat Friede rufen! – Nun da ihr von uns nichts hören wollt, nun bringt auch eure Gesundheit aus, eine bürgerliche Gesundheit.

JETTER. Dazu sind wir bereit! Sicherheit und Ruhe!

SOEST. Ordnung und Freiheit!

BUYCK. Brav! das sind auch wir zufrieden.

 (Sie stoßen an und wiederholen fröhlich die Worte, doch so, dass jeder ein anderes ausruft und es eine Art Kanon wird. Der Alte horcht und fällt endlich auch mit ein.)

ALLE. Sicherheit und Ruhe! Ordnung und Freiheit!

Palast der Regentin

Margarete von Parma in Jagdkleidern. Hofleute. Pagen. Bediente.

REGENTIN. Ihr stellt das Jagen ab, ich werde heut nicht reiten. Sagt Machiavellen, er soll zu mir kommen.

 (Alle gehen ab.)

 Der Gedanke an diese schrecklichen Begebenheiten lässt mir keine Ruhe! Nichts kann mich ergötzen, nichts mich zerstreuen; immer sind diese Bilder, diese Sorgen vor mir. Nun wird der König sagen, dies seien die Folgen meiner Güte, meiner Nachsicht; und doch sagt mir mein Gewissen jeden Augenblick das Rätlichste, das Beste [16]getan zu haben. Sollte ich früher mit dem Sturme des Grimms diese Flammen anfachen und umhertreiben? Ich hoffte sie zu umstellen, sie in sich selbst zu verschütten. Ja, was ich mir selbst sage, was ich wohl weiß, entschuldigt mich vor mir selbst; aber wie wird es mein Bruder aufnehmen? Denn, ist es zu leugnen? der Übermut der fremden Lehrer hat sich täglich erhöht; sie haben unser Heiligtum gelästert, die stumpfen Sinne des Pöbels zerrüttet und den Schwindelgeist unter sie gebannt. Unreine Geister haben sich unter die Aufrührer gemischt, und schreckliche Taten sind geschehen, die zu denken schauderhaft ist, und die ich nun einzeln nach Hofe zu berichten habe; schnell und einzeln, damit mir der allgemeine Ruf nicht zuvorkomme, damit der König nicht denke, man wolle noch mehr verheimlichen. Ich sehe kein Mittel, weder strenges noch gelindes, dem Übel zu steuern. O was sind wir Großen auf der Woge der Menschheit? Wir glauben sie zu beherrschen, und sie treibt uns auf und nieder, hin und her.

 (Machiavell tritt auf.)

REGENTIN. Sind die Briefe an den König aufgesetzt?

MACHIAVELL. In einer Stunde werdet Ihr sie unterschreiben können.

REGENTIN. Habt Ihr den Bericht ausführlich genug gemacht?

MACHIAVELL. Ausführlich und umständlich, wie es der König liebt. Ich erzähle, wie zuerst um St. Omer die bilderstürmerische Wut sich zeigt. Wie eine rasende Menge, mit Stäben, Beilen, Hämmern, Leitern, Stricken versehen, von wenig Bewaffneten begleitet, erst Kapellen, Kirchen und Klöster anfallen, die Andächtigen verjagen, [17]die verschlossnen Pforten aufbrechen, alles umkehren, die Altäre niederreißen, die Statuen der Heiligen zerschlagen, alle Gemälde verderben, alles, was sie nur Geweihtes, Geheiligtes antreffen, zerschmettern, zerreißen, zertreten. Wie sich der Haufe unterwegs vermehrt, die Einwohner von Ypern ihnen die Tore eröffnen. Wie sie den Dom mit unglaublicher Schnelle verwüsten, die Bibliothek des Bischofs verbrennen. Wie eine große Menge Volks, von gleichem Unsinn ergriffen, sich über Menin, Comines, Verwich, Lille verbreitet, nirgends Widerstand findet, und wie fast durch ganz Flandern in einem Augenblicke die ungeheure Verschwörung sich erklärt und ausgeführt ist.

REGENTIN. Ach, wie ergreift mich aufs Neue der Schmerz bei deiner Wiederholung! und die Furcht gesellt sich dazu, das Übel werde nur größer und größer werden. Sagt mir Eure Gedanken, Machiavell!

MACHIAVELL. Verzeihen Eure Hoheit, meine Gedanken sehen Grillen so ähnlich; und wenn Ihr auch immer mit meinen Diensten zufrieden wart, habt Ihr doch selten meinem Rate folgen mögen. Ihr sagtet oft im Scherze: »Du siehst zu weit, Machiavell! Du solltest Geschichtschreiber sein: wer handelt, muss fürs Nächste sorgen.« Und doch, habe ich diese Geschichte nicht vorauserzählt? Hab ich nicht alles vorausgesehen?

REGENTIN. Ich sehe auch viel voraus, ohne es ändern zu können.

MACHIAVELL. Ein Wort für tausend: Ihr unterdrückt die neue Lehre nicht. Lasst sie gelten, sondert sie von den Rechtgläubigen, gebt ihnen Kirchen, fasst sie in die bürgerliche Ordnung, schränkt sie ein; und so habt Ihr die [18]Aufrührer auf einmal zur Ruhe gebracht. Jede andern Mittel sind vergeblich, und Ihr verheert das Land.

REGENTIN. Hast du vergessen, mit welchem Abscheu mein Bruder selbst die Frage verwarf, ob man die neue Lehre dulden könne? Weißt du nicht, wie er mir in jedem Briefe die Erhaltung des wahren Glaubens aufs eifrigste empfiehlt? dass er Ruhe und Einigkeit auf Kosten der Religion nicht hergestellt wissen will? Hält er nicht selbst in den Provinzen Spione, die wir nicht kennen, um zu erfahren, wer sich zu der neuen Meinung hinüberneigt? Hat er nicht zu unsrer Verwunderung uns diesen und jenen genannt, der sich in unsrer Nähe heimlich der Ketzerei schuldig machte? Befiehlt er nicht Strenge und Schärfe? Und ich soll gelind sein? ich soll Vorschläge tun, dass er nachsehe, dass er dulde? Würde ich nicht alles Vertrauen, allen Glauben bei ihm verlieren?

MACHIAVELL. Ich weiß wohl; der König befiehlt, er lässt Euch seine Absichten wissen. Ihr sollt Ruhe und Friede wiederherstellen, durch ein Mittel, das die Gemüter noch mehr erbittert, das den Krieg unvermeidlich an allen Enden anblasen wird. Bedenkt, was Ihr tut. Die größten Kaufleute sind angesteckt, der Adel, das Volk, die Soldaten. Was hilft es, auf seinen Gedanken beharren, wenn sich um uns alles ändert? Möchte doch ein guter Geist Philippen eingeben, dass es einem Könige anständiger ist, Bürger zweierlei Glaubens zu regieren, als sie durch einander aufzureiben.

REGENTIN. Solch ein Wort nie wieder. Ich weiß wohl, dass Politik selten Treu und Glauben halten kann, dass sie Offenheit, Gutherzigkeit, Nachgiebigkeit aus unsern Herzen ausschließt; in weltlichen Geschäften ist das leider [19]nur zu wahr. Sollen wir aber auch mit Gott spielen, wie untereinander? sollen wir gleichgültig gegen unsre bewährte Lehre sein, für die so viele ihr Leben aufgeopfert haben? die sollten wir hingeben an die Hergelaufnen, ungewissen, sich selbst widersprechenden Neuerungen?

MACHIAVELL. Denkt nur deswegen nicht übler von mir.

REGENTIN. Ich kenne dich und deine Treue, und weiß, dass einer ein ehrlicher und verständiger Mann sein kann, wenn er gleich den nächsten besten Weg zum Heil seiner Seele verfehlt hat. Es sind noch andre, Machiavell, Männer, die ich schätzen und tadeln muss.

MACHIAVELL. Wen bezeichnet Ihr mir?

REGENTIN. Ich kann es gestehn, dass mir Egmont heute einen recht innerlichen, tiefen Verdruss erregte.

MACHIAVELL. Durch welches Betragen?

REGENTIN. Durch sein gewöhnliches, durch Gleichgültigkeit und Leichtsinn. Ich erhielt die schreckliche Botschaft, eben als ich, von vielen und ihm begleitet, aus der Kirche ging. Ich hielt meinen Schmerz nicht an, ich beklagte mich laut und rief, indem ich mich zu ihm wendete: »Seht, was in Eurer Provinz entsteht! Das duldet Ihr, Graf, von dem der König sich alles versprach?«

MACHIAVELL. Und was antwortete er?

REGENTIN. Als wenn es nichts, als wenn es eine Nebensache wäre, versetzte er: »Wären nur erst die Niederländer über ihre Verfassung beruhigt! Das Übrige würde sich leicht geben.«

MACHIAVELL. Vielleicht hat er wahrer als klug und fromm gesprochen. Wie soll Zutrauen entstehen und bleiben, wenn der Niederländer sieht, dass es mehr um seine Besitztümer als um sein Wohl, um seiner Seelen Heil zu [20]tun ist? Haben die neuen Bischöfe mehr Seelen gerettet als fette Pfründen geschmaust, und sind es nicht meist Fremde? Noch werden alle Statthalterschaften mit Niederländern besetzt; lassen sich es die Spanier nicht zu deutlich merken, dass sie die größte und unwiderstehlichste Begierde nach diesen Stellen empfinden? Will ein Volk nicht lieber nach seiner Art, von den Seinigen regieret werden, als von Fremden, die erst im Lande sich wieder Besitztümer auf Unkosten aller zu erwerben suchen, die einen fremden Maßstab mitbringen und unfreundlich und ohne Teilnehmung herrschen?

REGENTIN. Du stellst dich auf die Seite der Gegner.

MACHIAVELL. Mit dem Herzen gewiss nicht; und wollte, ich könnte mit dem Verstande ganz auf der unsrigen sein.

REGENTIN