Eigentlich sind wir gut drauf - Jörg Otto Meier - E-Book

Eigentlich sind wir gut drauf E-Book

Jörg Otto Meier

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Beschreibung

Die Kunst eines guten Porträtfotografen ist es, den Porträtierten dahin zu bringen, dass er sich unverkrampft zeigt, wie er ist. Jörg Otto Meier beherrscht diese Kunst nicht nur als Fotograf, sondern auch als Interviewer. Jetzt hat Jörg Otto Meier eine Reihe von Jugendlichen zwischen 9 und 20 Jahren befragt und fotografiert und sie dahin gebracht, dass sie ohne viele Umschweife ihre Lebenssituation erzählen, wie sie zu ihren Eltern und zur Schule stehen (falls sie überhaupt noch eine besuchen), an was sie glauben, was für sexuelle Erfahrungen sie schon hatten, was sie sich von der Zukunft versprechen und was sie befürchten. Unerheblich, dass diese jungen Menschen alle in Hamburg wohnen, es sind wohlbehütete höhere Töchter und strebsame Bürgerknaben darunter, aber genauso Kinder aus kaputten Familien und Jugendliche, die schon ganz früh von zu Hause ausgerückt sind. Es kommen Christen, Buddhisten, Mohammedaner genauso wie Atheisten und Pantheisten zu Wort. Das Buch sollte man Eltern, Lehrern, Sozialarbeitern, allen die mit Jugendlichen zu tun haben, zur Pflichtlektüre erklären. Das heißt, von Pflicht muss hier gar nicht weiter die Rede sein, weil diese kurzen Lebenserzählungen und Selbsterklärungen sofort eine Sogwirkung ausüben, geradezu fesselnd sind. Es wird soviel pauschal über „die" Jugend geschrieben und geklagt. Hier erfährt man Konkretes und lernt auch ausgesprochene Problemkinder als Persönlichkeiten zu respektieren. Der positive Titel „Eigentlich sind wir gut drauf" soll auch anzeigen, dass man im Blick auf die Jugend zuversichtlich sein darf. Nürnberger Zeitung Aus den Schilderungen der Porträtierten wird deutlich, wie sich Kinder und Jugendliche die Erwachsenen wünschen: einen Vater, auf den Verlass ist und der zuhören kann — eine Mutter, die nicht so besorgt wirkt und immer gleich losschreit — einen gerechten Lehrer, der sowohl humorvoll als auch konsequent sein kann — einen Polizisten, der nicht wegsieht, sondern unbeirrt für Recht und Ordnung sorgt — einen Politiker, der unbestechlich bleibt und seine Wahlversprechen hält ... Dieses Buch möchte einen Anstoß geben, die Jugend ernst zu nehmen, so wie sie ist, und ihr vor allem zuzuhören: ohne Widerworte und Belehrungen! Obwohl die Taschenbuchausgabe bereits 1999 erschien, sind die Porträts nach wie vor hoch aktuell und gewissermaßen zeitlos. Historische Fakten wandeln sich, menschliches Verhalten mit seinen Trieben und Emotionen dagegen nicht.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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INHALT

Vorwort des Autors

FRECH ODER STREBSAM

Leona Thavila mit Jamilah

Siros

Noah

Anabel

Ulf

Oğuz

PUBERTÄT UND ERSTE LIEBE

Julia

Marius

Tatjana

Daniel

AUF DEM WEG

Andreas

Sven

Sebastian

Bursche

MÄDCHEN, STARK UND NACHDENKLICH

Lisa

Jenny

Birte

Antje

GESELLSCHAFT, SEX UND RELIGION

Huong

Pooria

Arefeh

Arefeh, ein Jahr später

Franklin

Gabriela

IM KONFLIKT MIT SICH UND ANDEREN

Stephan

Angela

Karen

Pablo

Bobo

Sandra mit ihrem Sohn Pascal

Impressum

 

 

 

 

 

 

 

 

Jörg Otto Meier

 

Eigentlich sind wir gut drauf

 

Kinder und Jugendliche

über Leben und Liebe, Lust und Frust

 

 

 

 

 

 

 

Tolino Edition

 

 

Überarbeitete Neuausgabe

des Taschenbuchs von 1999,

erschienen im Rowohlt-Verlag, Reinbek.

 

 

Hamburg, im April 2016

 

 

 

 

 

 

© Jörg Otto Meier

Fotos, Texte und Cover

sind urheberrechtlich geschützt.

 

 

Impressum

 

 

 

 

 

 

Jugendliche über Erwachsene:

 

 

Antje:

 

„Ich glaube, die meisten Erwachsenen haben einfach vergessen, dass sie selber mal Kinder waren. Oder sie verdrängen oder verleugnen das Kind, das jeder sein ganzes Leben lang in sich hat.”

 

 

Marius:

 

„Vielleicht ist es aber auch so, dass viele Erwachsene auf die Jugend einfach nur neidisch sind, weil sie sehen, was sie früher selbst alles versäumt haben.”

 

Vorwort des Autors

 

Dieses Buch ist für Erwachsene, die in irgendeiner Weise mit Kindern und Jugendlichen befasst sind und mehr über die nachfolgende Generation erfahren wollen: Eltern, Großeltern, Lehrer, Ärzte, Polizisten und so fort. Und es ist ein Buch für Kinder und Jugendliche. Hier bekommt ihr von Gleichaltrigen aus den verschiedensten sozialen Schichten jede Menge Denkfutter. Die Porträtierten sprechen im O-Ton in aller Offenheit über Eltern, Schule, Religion, über Freundschaft, Liebe und Sex, über Gewalt, Angst und Hass, über Umwelt, Politik und vieles, vieles mehr.

Obwohl die Taschenbuchausgabe bereits 1999 erschien, sind die Porträts nach wie vor hoch aktuell und gewissermaßen zeitlos. Historische Fakten wandeln sich, menschliches Verhalten dagegen nicht. Der Jugend wurde zu allen Zeiten immer wieder Schlechtes nachgesagt. Schon im antiken Rom monierte Sokrates: „Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern ... und tyrannisieren ihre Lehrer.” In der Erwachsenenwelt äußerte man sich offenbar zu allen Zeiten besorgt und missbilligend über die Jugend, obwohl es offensichtlich ist, dass sie den Nährboden ihrer Sozialisation stets als vorgegeben hinzunehmen hatte. Und der ist heute alles andere als optimal. Dagegen mutet das alte Rom um 400 vor Christus geradezu idyllisch an.

Trotz alledem: der Großteil unseres Nachwuchses erscheint angesichts so mancher apokalyptischer Szenarien erstaunlich normal und wirkt, im Vergleich zu früheren Generationen, viel reifer und manchmal sogar weise. Aus den Schilderungen der Porträtierten wird deutlich, wie sich Kinder und Jugendliche die Erwachsenen wünschen: einen Vater, auf den Verlass ist und der zuhören kann – eine Mutter, die nicht so besorgt wirkt und immer gleich losschreit – einen gerechten Lehrer, der sowohl humorvoll als auch konsequent sein kann – einen Polizisten, der nicht wegsieht, sondern unbeirrt für Recht und Ordnung sorgt – einen Politiker, der unbestechlich bleibt und seine Wahlversprechen hält ...

Dieses Buch möchte einen Anstoß geben, die Jugend ernst zu nehmen, so wie sie ist, und ihr vor allem zuzuhören: ohne Widerworte und Belehrungen! Ich danke allen Kindern, Jugendlichen und Eltern für ihr Vertrauen. Über die Hälfte der Porträtierten waren meine Schüler. Einige von ihnen habe ich als Tutor bis zum Abitur begleitet. Insgesamt besuchten innerhalb von achtunddreißig Jahren rund dreitausend meinen Unterricht. Durch Euch alle, und besonders durch die widerspenstigsten, habe ich sehr viel über mich erfahren und dazugelernt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

FRECH ODER STREBSAM

 

 

9 bis 13 Jahre

 

Leona Thavila mit Jamilah

„Manchmal guck ich im Fernsehen heimlich Gruselfilme.”

 

Leona-Thavila (links) ist 9 Jahre alt, Sternzeichen: Zwillinge, konfessionslos. Ihr Vater bezeichnet sich als Lebenskünstler und die Mutter ist psychologische Beraterin. Die Eltern leben getrennt. Leona wohnt zusammen mit ihrer sechsjährigen Schwester Jamilah bei ihrer Mutter und hat ein eigenes Zimmer. Leona Thavila besucht die 4. Klasse einer Gesamtschule. Ihre Traumberufe: Friseurin oder Masseurin. Nach ihren Vorbildern befragt, antwortet sie: „Ich verlass mich auf mich selbst.”

 

Hallo, ich heiß Thavila . . .

... und bin neun Jahre alt. Manchmal kann ich mich auch nicht entscheiden, welchen Namen ich nehmen soll, Leona oder Thavila, denn im Kindergarten, da hieß ich Thavila, und in der Schule heiß ich jetzt Leona. Und manchmal sagen manche auch Mavila, weil Thavila so schwierig auszusprechen ist. Das ärgert mich meistens.

Ich hab neulich gerade erst mein Zimmer aufgeräumt. Meine Mutter hat nämlich gesagt: „Dein Zimmer ist viel zu unordentlich!” Aber dann haben wir das ’ne Zeit lang vergessen, und irgendwann hat sie gesagt: „So, jetzt ist es aber langsam Zeit, dein Zimmer aufzuräumen!” Wir haben noch bis zu den Ferien gewartet, und gestern, am Mittwoch, haben wir angefangen. Wir haben auch meine Uhr wiedergefunden, eine blaue. Aber inzwischen hab ich schon eine neue, eine rosane. Als mein Zimmer noch unordentlich war, hab ich gar nichts wiedergefunden.

Seit ich vier bin oder drei, wohn ich in diesem Zimmer. Vorher war ich in dem anderen. Dann irgendwann ist meine Schwester Jamilah geboren worden im Krankenhaus. Als meine Mutter wieder zu Hause war, hat sie mich gefragt: „Möchtest du in deinem Zimmer bleiben oder in dieses gehen?” Da hab ich gesagt: „In dieses!” Da haben vorher immer ganz viele Leute drin gewohnt.” Eine davon nenn ich immer Tante Pedi. Die heißt Petra. Das ist die Freundin von meiner Mama. Und die andere heißt Susanne. Die hatte früher noch Haare, so hellblonde. Aber irgendwann sind die alle ausgefallen. Und jetzt hat sie keine Wimpern mehr, keine Haare an den Beinen und keine Haare auf dem Kopf. Die hat ’ne Glatze und muss Perücken tragen oder Tücher. Das ist merkwürdig. Aber macht nichts. – Ich hätte sie gern mal gesehen, wie sie noch lange Haare hatte. Ob die so wie meine waren?

Ich spiele sehr oft mit Barbies. Meine liebste Barbie-Puppe ist hellblond und hat ein schönes Gesicht und ein helles Kleid. Sie heißt Prinzessin Maja. Sie hat silberne Ohrringe und dunkel- und hellblaue Augen. In meinen Augen ist auch ein bisschen Grün dabei, das hab ich von meinem Vater geerbt, der hat türkise Augen. Er heißt Harald. Aber manche nennen ihn Harry. Ich sag auch immer: „Hallo, Harry!”

Mich stört, dass an unserem Spielplatz neulich die Seilbahn abgemacht wurde. Ich kam gerade vom Urlaub, weil die Sommerferien zu Ende waren. Da war ich ganz traurig, weil das mein Lieblingsspielzeug war. Mich stört auch, dass es viel zu viele Hunde auf der Welt gibt. Die kacken überallhin, auch auf unseren Spielplatz. Sonst spiel ich meistens Fußball. Aber die Fußballmannschaften find ich blöd.

Ich hab ganz viele Freunde. Meine beste Freundin heißt Franziska. Die seh ich fast nie. Aber das macht nichts, denn ich hab noch viel mehr Freundinnen. Zum Beispiel Finnja. Die ist genauso alt wie ich. Oder Ellyn, die ist auch so alt. Aber manchmal denke ich, ich hab gar keine beste Freundin, weil – ja – ich spiel manchmal mit der und manchmal mit der. Erst freunde ich mich mit der einen richtig an, und dann streite ich mich wieder mit ’ner anderen. Ich hab einfach viel zu viele Freundinnen. Ja, und manchmal komm ich auch mit den Adressen durcheinander.

Ich möchte jetzt mal was aus der Schule erzählen: Früher haben wir immer Lippenstift mit in die Schule genommen. In der Pause haben sich die Mädchen dann immer ganz doll geschminkt und die Jungs abgeknutscht. Und da war ich mal in einen verknallt, der heißt Robert. Aber der hat ganz doll gepopelt und wie’n Schwein gefressen. Das war eklig! Da hab ich den nicht mehr gemocht. Dann war der blöd.

Früher, im Schwimmbad, hab ich mich auch mal in einen verknallt. Ich weiß gar nicht mehr, wie der heißt. Da durfte man keine Badesachen anziehen, und der war in dem gleichen Becken wie ich. Erst hab ich mich gar nicht von der Stelle getraut, weil ich ja nackt war. Aber irgendwann haben wir dann doch zusammen gespielt in einem kleinen Babybecken. Da haben wir Unter-Wasser-Reden gespielt. Ich hab gesagt: „Hallo!” Das hat er nicht rausbekommen. Und er hat gesagt: „Ich liebe dich!” Das hab ich auch nicht verstanden. Irgendwann mussten wir los, aber wir hatten keine Zettel mit, um unsere Telefonnummern auszutauschen. Und, na ja, dadurch hab ich ihn nie wieder gesehen. Das fand ich ganz schade. Jetzt weiß ich gar nicht mehr, wie er aussieht.

In der Schule machen wir immer einen Stuhlkreis und erzählen uns was oder spielen, oder wir lesen was vor. Ich bin in der Ganztagsschule. Die geht bis halb vier. Nur am Freitag geht sie bis eins. Wir haben nie Hausaufgaben auf. Das find ich toll. Manchmal komm ich auch zu spät zur Schule, weil ich vergessen hab, den Wecker zu stellen. Oder er klingelt, und ich mach ihn aus und penn weiter. Freitags muss ich dann gleich, wenn ich fertig gegessen hab – wir essen ja in der Schule, schmeckt auch ganz gut – mit ’nem Bus zum Klavierunterricht fahren. 1 Mark 50 kostet eine Kinderkarte. Meine Klavierlehrerin heißt Barbara. Sie ist die Freundin von meiner Mama. Aber ich üb meistens gar nicht, und dann sagt meine Oma: „Du übst jetzt! Wofür bezahl ich denn das?” Dann üb ich manchmal fünf Minuten oder zwei. Meine Oma sagt auch immer: „Du spielst uns ja gar nichts mehr vor! Früher hast du das doch so gerne gemacht!”

Meine Mutter schreit immer gleich los, wenn ich mal was falsch mach. Ja, und ich schrei immer los, wenn meine Schwester sagt: „Wo ist dies und wo ist das?” Dann sag ich ziemlich wütend: „Daaa!”, und dann sagt sie: „Gib’s mir!”, und dann sag ich: „Ich möchte das aber in meinem Zimmer haben!” Oder ich schwindel sie so’n bisschen an und sag: „Ich weiß gar nicht, wo das ist!” Dann sagt sie irgendwann: „Naaa gut!” Aber wenn sie’s merkt, petzt sie das Mama, geht einfach in mein Zimmer und holt sich das. Dann schrei ich los: „Raus aus meinem Zimmer!”, und dann sagt sie immer: „Auaaa! Tu mir nicht so weh! Schubs mich nicht!” und dann heult sie auch.

Meine Mutter hat mal vorgeschlagen, wenn ich wütend bin, dass ich so ’nen Ball kriege, wo Reis drin ist. Da kann ich dann drauf rumtrampeln und muss meine Wut nicht immer an anderen auslassen, zum Beispiel an meiner Schwester, dass ich die nicht ganz doll verprügel oder gegen die Tür donner und so.

Meine Mutter sagt auch manchmal zu mir: „Früher, als du kleiner warst, bist du viel niedlicher gewesen als jetzt!” Ja, ich finde, ich bin schon ganz schön frech. Aber manchmal bin ich auch lieb. Das ist ganz verschieden. Frech bin ich, wenn ich frech sein will. Und lieb bin ich, wenn ich lieb sein will. Ich sag einfach: „Mmmmh!”, und dann bin ich lieb. Dann mach ich wieder: „Mmmmh!”, und dann bin ich böse und: „Mmmmh!”, und dann bin ich traurig. Das kommt einfach so.

Mittwochs bin ich mit meiner Schwester immer bei meinem Vater – und einmal im Monat am Wochenende. Manchmal kann er auch am Mittwoch nicht. Dann verschieben wir das auf Dienstag. Meine Mutter und mein Vater haben sich nämlich gestritten. Das ist so gekommen: Die haben mal einen Spaziergang gemacht, und da hat Nicola, meine Mutter, gesagt: „Nun komm, wir gehen jetzt hier lang!” Und da hat Harry gesagt: „Nee, wir gehen jetzt da lang!” Dann sind sie auch da lang gegangen, wo Harry das wollte, mein Papa, und sind an dem Haus von Hansine vorbeigekommen. Sie wollten auch nur mal gucken, wer da wohnt. Aber dann hat Hansine Harry irgendwie gelockt und ihn Nicola weggenommen.

Als ich klein war, hab ich immer gefragt: „Wie hat sie ihn denn weggelockt? Mit einem Kuss? Oder mit einem Kuchen? Oder mit Käse?” – Also ich kann das jetzt gar nicht mehr glauben, wie ich früher mal war. – Harry ist dann zu Hansine gezogen, und jetzt ist sie aber nur fast meine Stiefmutter, weil sie nicht geheiratet haben.

Ich möchte mal erzählen, wie ich einmal mit Klamotten unter die kalte Dusche gekommen bin: Ich, meine Schwester und mein Vater waren abends hier im Gemeinschaftszimmer und haben Cracker gegessen. Aber ich mochte die nicht. Da hab ich gesagt: „Ich will Chips essen!” Dann gab’s aber nur so andere Chips und die wollte ich auch nicht. Langsam bin ich richtig wütend geworden und hab zu meinem Vater gesagt: „Du Blödmann! Du Arschloch!” Da hat er gesagt: „Sag noch einmal Arschloch und du kommst unter die kalte Dusche!” Und da hab ich wieder gesagt: „Du Arschloch!”, weil ich nicht geglaubt hab, dass er das auch wirklich macht. Aber dann hat er mich gepackt und unter die Dusche gestellt. Ich hab noch ganz schnell gerufen: „’tschuldigung! Ich sag’s auch nie wieder!” Aber er hat gesagt: „Jetzt ist Schluss!” und hat die kalte Dusche aufgedreht. Die war eiskalt! Und meine Hausschuhe und meine ganzen Klamotten, die waren klitschenass! Das war total eklig! Ich wollte noch weg. Das ging aber nicht. Und dann hab ich Harry mit Wasser gespritzt, und da ist er auch nass geworden.

Jetzt, wo ich ein Ekzem habe, darf ich nicht mehr so viel Cornflakes essen, weil da immer Zucker drin ist. Und das ist schade. Aber sonst blüht das wieder auf und juckt. Wir haben so ’ne Salbe, und die hilft auch was. Aber ich freu mich schon, wenn’s ganz weg ist. Jetzt dürfen wir ja auch nicht mehr ins Schwimmbad fahren, nur noch an ’nen See oder ans Meer, weil da kein Chlor drin ist. Aber da denk ich dann immer, wenn man zu weit raus schwimmt, kommt irgendwann ein Hai.

Neulich bin ich mit der Fähre nach Föhr gefahren mit meinem Vater und Anke und einer Frau, die heißt Edda. Da hab ich gedacht: „Oh, jetzt kommt ein Hai und beißt ein Loch ins Schiff, und dann muss ich sterben.” Aber eigentlich ist das ja Quatsch. In der Ostsee gibt’s ja gar keine Haie.

Vor den Ferien hab ich meine Schwester gefragt, ob sie mit mir Zirkus spielt, um mal ’n bisschen Geld zu verdienen. Sie hat auch Kinder aus ihrer ersten Klasse gefragt. Und eine, die heißt Rosa, die wollte dann mitmachen. Und ich hab noch Elisabeth gefragt. Die wohnt auch hier und die wollte auch. Da waren wir halt zu viert.

Eine Mark hat der Eintritt gekostet und unser Programm ging so: Clowns, Seiltänzerin – große Pause – Kartenzauberer, Kaninchen – fünf Minuten Pause – dann: Der Zaubertisch – zehn Minuten Autogrammpause – dann: Das Kind, das unter der Decke ist – dann: Spagat, also Ballett – und zum Schluss: Der Bleistift – Ende. Bei der Seiltänzerin haben wir zum Beispiel ein Tuch zusammengewickelt und ganz hoch gehalten. Erst hab ich so getan, als wenn ich darauf balancieren will, aber dann hab ich da nur meine Wäsche aufgehängt. Das fanden alle lustig und haben geklatscht.

Ich hab mir schon mal Gedanken über die Welt gemacht: Zuerst war da doch nur ein Mensch. Aber es geht ja nicht, dass es dann plötzlich zwei Menschen waren. Das versteh ich nicht. Na gut. Dann waren da eben zwei Menschen, und die müssen ja alle anderen geboren haben. Ich finde, dann müsste die ganze Welt doch eine große Familie sein. Aber all die Kinder aus meiner Klasse sind ja nicht meine Geschwister. Und all die Erwachsenen sind auch nicht meine Eltern. Also, das versteh ich nicht.

Und ich versteh auch nicht: Wenn man tot ist, denkt man doch gar nicht mehr und ist einfach weg. Dann müsste man doch als anderer Mensch wieder aufwachen. Das kann ich mir nicht erklären. Aber ich bin ja noch nie tot gewesen. Mir kommen auch manche Menschen so bekannt vor, als wenn ich die schon mal gesehen hätte. Aber ich hab sie nie gesehen. Deshalb denk ich manchmal: ich muss schon mal gelebt haben als erwachsener Mensch oder so. Vielleicht war ich auch mal ein Hund oder eine Katze.

Ich war mal auf ’ner Kur – also jetzt in echt – mit meiner Schwester und mit meiner Mutter. Und da war eine Erzieherin, die kam mir total bekannt vor. Die hieß Sonja. Und da hab ich so gedacht: „Vielleicht war sie mal mein Herrchen.” Aber ich weiß es nicht. Oder was ich auch nicht verstehe: Der Himmel geht ja immer weiter und ist nie, nie zu Ende.

So was denk ich abends oft im Bett. Und ich hab auch Angst allein im Dunkeln. Ich glaub nämlich manchmal, dass unter meinem Bett da irgendwo ein Monster lauert, das plötzlich hochkommt und mich runterzieht. Dann trau ich mich nicht auf’s Klo, wenn ich mal muss, und schrei ganz laut, bis meine Mutter oder meine Schwester kommt und Licht anmacht. Aber bevor ich auf’s Klo geh, guck ich noch mal unters Bett, ob da wirklich auch nichts ist. Ich glaub, das Monster, das muss grün sein oder schwarz, so wie der Boden. Sonst würd man das ja sehen.

Manchmal guck ich im Fernsehen heimlich Gruselfilme, obwohl ich weiß, dass ich dann immer Angst krieg. Aber ich will die trotzdem sehen. Und wenn es sonst nichts Gutes gibt, guck ich mit meiner Schwester auch ’n Sexfilm. Aber so was find ich blöd. Ist doch total langweilig! Da hinten, in der Nähe von unserer Straße, sind auch Sex-Kinos, wo man nackte Frauen sehen kann. Das find ich bescheuert. Und die Erwachsenen gucken sich das an und bezahlen auch noch Geld dafür.

Ich glaub, Mitschnacker gibt’s hier auch. Die fragen dann: „Wie kommt man in die Bernstorffstraße?” Dann erklärt man das denen, und die tun so, als wenn sie’s nicht verstehen. Dann sagen die: „Ja, komm mal mit ins Auto, und du erklärst mir das, während ich fahre. Und später kriegst du ganz viel Schokolade.” Aber dann fahren die einen irgendwohin, wo man gar nicht sein will.

Wenn’s draußen Abend ist, dann hab ich Angst, weil es so viele Obdachlose gibt und so Verbrecher, die einen festhalten und vergewaltigen. Das kommt auch immer im Radio. Die machen mit einem, was man gar nicht will, was man eigentlich mit ’nem Erwachsenen machen sollte oder so. Die trampeln auf einem rum. Einmal, im Fernsehen, haben sie auch gesagt, dass ein Mann ein siebenjähriges Kind vergewaltigt hat und mit seinen Stiefeln auf dem rumgetrampelt ist. Das ist davon gestorben. Ich finde, so einen müsste man ins Gefängnis sperren – für das ganze Leben!

 

Siros

„Ich glaub, ’n bisschen strenger müssen Lehrer sein.”

 

Siros ist 11 Jahre alt, Sternzeichen: Krebs, Konfession: moslemisch. Er wurde, wie seine Eltern, im Iran, dem einstigen Persien, geboren. Der Vater ist Geschäftsmann und die Mutter Hausfrau. Siros hat einen 15-jährigen Bruder und wohnt im eigenen Zimmer. Ein Hund gehört auch noch mit zur Familie. Siros besucht die 6. Klasse eines Gymnasiums. Sein Traumberuf: Basketballprofi. Sein Vorbild: Michael Jordan.

 

Hier oben bei uns . . .

... im Haus ist das gemütlich mit meinem Affen. Ich mach da immer meine Hausaufgaben und kann gut für ’ne Arbeit üben, weil mich keiner stört. Den Affen, den hat mein Bruder bekommen, als er klein war. Und jetzt gehört er mir. Manchmal, wenn ich sauer bin, dann box ich ihn. Zum Beispiel, wenn ich ’ne Arbeit verhauen hab, meine Berichtigung mach und dann schon wieder nicht mehr weiß, wie’s geht. Dann werd ich immer böse. Dann fluch ich auch ’n bisschen: „Wieso ist das passiert, du Arschloch? Du bringst mir immer Pech!” – Na ja, aber dieses Halbjahr hat mir der Affe Glück gebracht, bisher jedenfalls. Ich hab schon fünf Zweien und eine Zwei minus geschrieben.

Auf dem Gymnasium ist das sehr viel schwerer als auf der Grundschule. Aber hier kann ich’s auch ertragen. Ich hab schon gute Freunde. Und der Schulhof ist eigentlich auch viel besser. Wir haben Basketballkörbe, ’n paar Tischtennisplatten und ’n Fußballplatz. Die Lehrer sind hier auch viel netter. Auf der Grundschule waren die so zickig. Wenn man irgendwas nicht wusste, haben die immer gleich gesagt: „Pass doch auf! Das hab ich dir doch schon zehnmal erklärt!”

In der Schule mach ich natürlich auch gern mal Quatsch. Wir hatten mal ’ne Referendarin, die konnte sich nicht wehren, und das hat Bock gebracht. Wir haben einfach unsere Namen vertauscht, haben immer ganz laut gesprochen und so ganz doll mit den Stühlen gerückt. Das hat die total genervt. Sie hat immer nur gerufen: „Hört mal bitte auf! Hört mal bitte auf!” Ich glaub, ’n bisschen strenger müssen Lehrer sein. Anders geht das nicht. Aber wir haben auch eine Lehrerin, die ist zu streng. Die gibt uns immer so viel auf. Sie kommt auch immer superpünktlich, wenn es zur Stunde klingelt. Und wenn wir dann nur noch kurz den letzten Schluck trinken wollen, meckert sie gleich rum. Sie ruft auch immer zu Hause bei den Eltern an. Glücklicherweise ist das noch nie bei mir passiert. Aber sie hat mich schon oft ganz doll angeschrien, ohne mich zu warnen: „Sei endlich mal ’n bisschen leise!” – Was soll das? Ich finde, sie muss doch nicht gleich schreien. Na ja, aber mir macht das nicht viel aus, und hinterher entschuldige ich mich dann auch.

Manche Kinder, die wissen eben nicht, wann Schluss ist mit Scherzen, wie ein Junge aus unserer Klasse. Der fliegt meistens raus. Aber ich muss auch manchmal vor die Tür, wenn ich mich nicht zurückhalten kann. Erst am Ende der Stunde darf ich wieder rein. Aber dann lach ich immer nur und die anderen lachen auch.

Ich bin noch nie zu spät gekommen. Sonst werd ich ja ins Klassenbuch eingetragen. Ich komm lieber ’n bisschen früher. Dann spiel ich mit meinen Freunden Tischtennis, oder ich les noch ’n bisschen was. Ich finde, wenn man nicht pünktlich ist, kann ein anderer nicht auf einen zählen. Dann hat der kein Vertrauen, und das ist ja nicht gut.

Meine Eltern, die sind eigentlich nicht sehr streng. Nur sie werden manchmal böse, wenn ich schlechte Noten schreibe. Dann krieg ich Hausarrest. Aber meistens ist es so, wenn ich gleich danach ’ne gute Note kriege, dann hört das sofort auf. Ich schreib ja nicht mit Absicht schlechte Noten. Ich streng mich wirklich an. Na ja, und wenn ich üben muss, dann bin ich manchmal auch ’n bisschen faul.

Mein kleiner Stoffhund, der heißt Bochi. Den hab ich von meinem Opa bekommen, wo ich zwei Jahre alt war. Früher hatte ich ihn überall mit dabei, auf Klassenreisen und sogar im Krankenhaus bei der Operation. Ich hab mir nämlich mal den Arm gebrochen. Ich war zu Haus gestolpert. Und im Krankenhaus hab ich dann immer, wenn’s ganz weh tat, meinen Stoffhund so ganz doll gedrückt. Aber in die Schule nehm ich ihn jetzt nicht mehr mit. Er soll hier lieber noch ’n bisschen schlafen.

Mein richtiger Hund, der ist eigentlich auch ganz süß. Nur, er mag keine anderen Hunde. Die mag er überhaupt nicht. Da muss ich ihn noch ’n bisschen erziehen. Wenn ich irgendwo hingehen will, wo andere Hunde sind, dann häng ich ihm einfach das Halsband mit den Piekserchen um. Wenn er dann loslaufen will, um die zu beißen, ziehen die sich zu, und dann kommt er gleich wieder zurück. Aber es ist schon besser geworden mit ihm. Und wenn er mal was Schlimmes macht, dann schlag ich ihn auch nicht, sondern rede nur mit ihm. Sonst wird er noch aggressiv. Und wenn ich unten Fernsehen gucke, dann kommt er auch immer mit auf’s Sofa und schläft bei meinen Füßen. Das darf er eigentlich nicht. Aber ich leg ihm ja immer so ’ne alte Decke drunter, und dann ist das okay.

Ich hab mich natürlich auch schon mal gebeult. Zum Beispiel wenn beim Fußball einer spuckt oder mit Absicht tritt. Und wenn der dann noch sagt: „Das war kein Foul!”, hau ich so einem auch manchmal eine runter. Dann geb ich ihm ’n Eisbein, so mit ’m Knie in’n Bauch, bis er auf’m Boden liegt und bettelt: „Lass uns doch vertragen!” Aber mein Lieblingssport ist Basketball. Zweimal in der Woche geh ich zum Training. Ja, und skaten kann ich auch ganz gut. Ich hab ’n Freund, der hat mir das alles beigebracht. Mittlerweile bring ich anderen das bei und bin immer froh, wenn die was von mir lernen. Und die freuen sich dann selber auch.

Ich hab viele Freunde in der Klasse und auch ’ne Freundin auf der Schule. Sie geht in Klasse Fünf. Auf dem Schulhof hab ich sie vorher schon gesehen. Aber ich hab mich irgendwie nie getraut, zu ihr hinzugehen. Beim Basketball hab ich dann immer mal ’n paar Besonderheiten gemacht und dabei heimlich ’n bisschen zu ihr hingeguckt, ob sie das auch sieht, und da hat sie auch geguckt.

Die Mädchen aus unserer Klasse hatten ihr schon was von mir erzählt. Ja, und auf der Schulparty hat ihre Freundin dann endlich zu mir gesagt, dass sie mich fragen soll, ob ich mit ihr zusammen sein will. Da hab ich sofort ja gesagt und dass sie zu mir kommen soll. Wir haben ’n bisschen getanzt und halt so rumgeredet. Ja, und dann, als ihre Mutter sie abgeholt hat, hab ich ihr zum Abschied ’n Küsschen gegeben. Da hat sie so ganz komisch geguckt, und ich hätte fast ’n Schock bekommen. Das war hier am Herzen irgendwie so kribbelig. Ich hatte so was ja noch nie gemacht. Und ich hätte auch nicht gedacht, dass sie das überhaupt zulässt. Aber ich hab’s gehofft. Und so’n bisschen hab ich’s auch geplant.

 

Noah

„Ich interessier mich ziemlich viel für Indianer.”

 

Noah ist 9 Jahre alt, Sternzeichen: Zwillinge, konfessionslos. Sein Vater stammt aus Bangladesch. Die Eltern arbeiten gemeinsam als selbständige Kaufleute. Noah hat eine zweijährige Schwester und wohnt im eigenen Zimmer. Noah besucht die 2. Klasse einer Grundschule. Sein Traumberuf: Schriftsteller. Sein Vorbild: Winnetou, Karl Mays Häuptling der Apachen.

 

Ich interessier mich . . .

... ziemlich viel für Indianer, wie die mit der Natur gelebt haben und so. In der Schule hab ich ’n Zettel bekommen, da steht drauf: Wenn die einen Büffel töten, dann bleibt von dem so gut wie gar nichts übrig, und am Ende wird alles wieder zu Erde. Sehnen, Blase, Hörner, alles wird benutzt. Auch die Zelte sind aus Büffelleder und nicht wie unsere aus Stoff. Na ja, das Moderne heute find ich eigentlich auch nicht schlecht. Aber trotzdem, das wär mal ’ne Abwechslung, wieder mehr mit der Natur zu leben.

Unsere Sachkundelehrerin, die war vier Jahre in Mexico und ist da manchmal auch zu den Indianern hochgegangen in die Berge. Wenn die was essen, hat sie erzählt, fangen die gleich morgens schon mit ’m Obstteller an, weil, dann saugt der Magen da noch alle Vitamine raus. Und so was wissen die Indianer eben.

Und früher gab’s mal einen Cowboy, der wusste sogar, wie man in der großen Mapimi-Wüste selber Regen machen kann. Einmal waren sie in großer Not und hatten keinen Tropfen Wasser mehr. Da hat der Cowboy – das war Old Shatterhand, der Blutsbruder von Winnetou – einfach die Kakteen angebrannt. Als die geplatzt sind, so: „Bumm! Bumm! – Bumm!”, ist ganz viel Elektrizität entstanden, wie bei einem Gewitter. Und dann hat’s angefangen zu regnen, und sie hatten endlich wieder was zu trinken.

Meine Mutter liest mir abends im Bett immer eine Gute-Nacht-Geschichte vor. Meine Lieblingsgeschichte ist „Winnetou” von Karl May. Die ersten beiden Bücher davon haben wir schon durch. Jetzt lesen wir gerade „Winnetou III”. Ich kann die Geschichten zwar auch schon selber lesen, aber da sind ja noch so viele schwierige Wörter drin.

Am Tag hab ich ja öfters Langeweile, weil ich immer nicht weiß, womit ich zuerst spielen soll. Dann sitz ich da und denke: „Soll ich lieber das nehmen oder das oder das?”, und hinterher greif ich doch zu einem Buch.

Ich will auch jeden Tag was anderes werden. Es gibt ja sooo viele Berufe. An einem Tag will ich Feuerwehrmann werden, am nächsten will ich Polizist sein und dann wieder Taxifahrer. Heute will ich am liebsten ein Bücherschreiber werden, ein sehr, sehr berühmter! Die Idee kam mir schon gestern Abend, als meine Mutter mir aus Winnetou vorgelesen hat. Da hab ich gedacht: „Old Shatterhand ist ja eigentlich auch ’n Schriftsteller.” Der ist bloß in den Wilden Westen gegangen, um sich das alles anzugucken und nachher darüber zu berichten. Aber ich will mehr über Experimente schreiben. Ich hab darüber schon ein ganz schickes Buch. Das heißt „101 spannende Naturexperimente”. Bei einem Experiment geht’s zum Beispiel um Wasserläufer. Die laufen ja ganz einfach über's Wasser. Weißt du, warum? – Wasser hat eine Haut! – In Wirklichkeit hab ich das mit den Wasserläufern noch nie gesehen, aber in diesem Buch gibt’s da ’nen anderen Test, der genauso funktioniert. Ich nehm einfach eine Schüssel Wasser und leg da vorsichtig ’ne Stecknadel rein. Die schwimmt oben drauf! Doch sobald ich auf die Nadel drücke, geht die Haut kaputt, und dann sinkt sie ab. Stimmt wirklich. Ich hab das selbst probiert.

Meine Hausaufgaben mach ich meistens ganz alleine. Nur manchmal brauch ich ’ne kleine Nachhilfe. Ich bin auch total langsam, wenn ich keine Lust zum Rechnen hab. Aber wenn ich Lust hab, schaff ich vier Türme mit Ergebnis in nur fünf Minuten! Und wenn meine Mutter dann noch kommt und mir die Aufgaben vorliest, geht alles noch viel mehr ratzfatz. Mit ihr bringt mir das am meisten Spaß, weil ich dann nicht so alleine sitzen muss. Ich will demnächst aber einen Computer haben. Der weiß meine Matheaufgaben garantiert noch besser als ich selbst. Einmal hatten wir in der Schule keine Lust auf Mathe, und alle haben „Äääh!” gerufen. Da hat die Mathelehrerin gesagt: „Es ist immer besser, wenn man selber rechnen kann. Sonst kann man ja ganz leicht betrogen werden.” Ich hab dann im Laden öfters mal nachgerechnet, aber einen Betrug hab ich nie gemerkt.

Westernfilme darf ich eigentlich gar nicht gucken. Aber wenn meine Eltern unten sind, mach ich heimlich doch die Glotze an. Läuft dann grad ’n Western, lass ich den einfach an, wenn’s sonst nichts Gutes gibt. „Prinz Eisenherz” und so, das darf ich sehen, aber die ganz brutalen Filme nicht. Hinterher wird man noch selber so. Bei einem Kind ist das zum Beispiel so gewesen. Das haben die mal in den Nachrichten gezeigt. Da haben die Eltern dem Kind einen Monsterfilm gekauft, wo jemand, der schon tot war, wieder auferstanden ist und mit der Axt andere totgeschlagen hat. Ja, und irgendwann hat das Kind, genauso wie im Film, die eigene Schwester totgemacht. Nee, so was guck ich lieber nicht!

Aber wenn’s drauf ankommt, bin ich auch ziemlich brutal. Zum Beispiel wenn’s Streit gibt und ich angegriffen werde. Dann sag ich: „Hör auf! Geh weg!” und so. Wenn der das aber nicht macht, dann kann ich ganz schön wütend sein. Dann hau ich den und zieh an seinen Haaren! Und wenn ich den anderen erst mal auf’m Boden hab, dann weiß ich schon so einige Griffe, die ihn unten halten. Ich geh nämlich in den Judoverein.

Aber vor Größeren hab ich doch Angst. Zum Beispiel heute, als wir grad was gespielt haben, da ist ’n Junge vorbeigekommen und hat einfach ’n Mädchen gehauen. Das fanden wir nicht fair. Aber wir haben nichts gemacht, weil wir wussten, dass der uns dann alle übern Haufen gehauen hätte.

 

Anabel

„Ich will mit meinem Tanz am liebsten alle fröhlich machen.”

 

Anabel ist 11 Jahre alt, Sternzeichen: Stier, konfessionslos. Der Vater ist Drogenberater und die Mutter versteht sich als Coach ihrer Töchter. Anabel hat eine 13-jährige Schwester und wohnt im eigenen Zimmer. Zur Familie gehören außerdem noch drei Hunde und zwei Katzen. Anabel besucht die 5. Klasse eines Gymnasiums. Ihr Traumberuf: Tänzerin, ihr Vorbild: Anna Polikarpova.

 

Ich hatte eigentlich . . .

... schon immer Lust zum Tanzen. Wir haben zu Hause nämlich viel Ballettfilme geguckt, und die fand ich ganz toll. Als ich vier war, hab ich im Wohnzimmer meine ersten Schritte probiert. Ja, und irgendwann hat meine Mutter dann gefragt, ob ich nicht vielleicht mal zu ’ner Ballettstunde mitkommen möchte, weil ich so gut choreographieren konnte, also Schritte ausdenken und so. Meine Schwester Yarica war ja schon bei John Neumeier, und da wollte ich auch gerne hin. Wir haben bei dem dann viel improvisiert und konnten uns ganz frei bewegen. Das war toll. Aber wir haben auch an der Stange unsere Übungen gemacht. Jetzt bin ich in der ersten Ausbildungsklasse, und mein Vorbild ist Anna Polikarpova. Das ist eine Russin, die war mit siebzehn, achtzehn Jahren schon erste Solistin. Wenn man erste Solistin ist, dann kriegt man immer die Hauptrollen, wie zum Beispiel die Julia bei „Romeo und Julia”. So was möchte ich später auch mal tanzen.

Meine Mutter holt mich jeden Tag von der Schule ab. Dann ess ich Mittag, und danach mach ich meine Hausaufgaben. Aber ich schaff meistens nur ’n Teil davon. Danach ist Ballett, also Training oder Proben, manchmal bis viertel vor sieben. Nach dem Abendbrotessen mach ich wieder Hausaufgaben. Und so ist das eigentlich jeden Tag. Na ja, und sonnabends hab ich dann in einem Studio noch ’n extra Körpertraining.

Manchmal sagen die anderen in der Schule: „Och, musst du heute wieder zum Ballett?” Aber das ist mir egal. Tanzen macht mir Spaß, und ich will das ja. Außerdem: am Sonntag kann ich immer noch genug spielen, wenn nicht grad ’ne Aufführung ist. Ich spiel dann gern allein mit meinen Puppen, oder ich spiel irgendwas mit meiner Schwester. Beim Ballett hab ich zwar auch Freundinnen, aber die kommen nur in den Ferien zu uns nach Haus. Dann spielen wir zum Beispiel Monopoly. Das ist immer lustig. Manchmal fahren wir auch ins Museum, oder wir gehen ins Café.

Also, ich find das toll, dass ich jeden Tag Ballettstunde hab. Und ich mag mich ja auch gerne anstrengen, dann wird ja noch alles besser an mir. Meine Mutti kann mir dabei ganz gut helfen, weil, sie hat ja früher selbst getanzt. Ich freu mich immer besonders auf eine Übung, die heißt „Port de bras”. Da macht man immer mit den Armen so schöne Bewegungen. Ich freu mich auch immer auf Freitag. Da dürfen wir ganz frei improvisieren. Tanzen drückt ja verschiedene Gefühle aus, zum Beispiel Traurigkeit oder Fröhlichkeit. Und ich will mit meinem Tanz am liebsten wieder alle fröhlich machen, wenn die irgendwie traurig sind.

Am schönsten fand ich, wie wir mit John Neumeier gearbeitet haben. Für ein Ballettstück sollten wir tanzen wie ein Kind, das über eine bunte Blumenwiese läuft. Das war schön! Ich mag Blumen ja so gerne, und ich find auch die Natur so schön. Aber alles wird irgendwie kaputtgemacht. Also, ich würd vorschlagen, dass es statt Autos nur noch Kutschen gibt.

In der Schule krieg ich manchmal Kopfschmerzen. Hinterher geh ich aber trotzdem noch zum Training. Ich weiß nicht, Tanzen hilft da irgendwie. In der Schule, da lern ich einfach immer nur. Keiner macht ja sonst Ballett in meiner Klasse, und das ist ziemlich doof. Die anderen streiten auch so viel, außer Katharina, die ist eigentlich ganz nett. Die Jungs hauen dann die Mädchen und ziehen sie an den Haaren. Das find ich nicht gut, und auch, dass manche Kinder so schlecht über andere reden, nur weil die was anderes machen.

Wenn mir ein Junge die Federtasche wegnimmt, dann lass ich ihn einfach laufen, weil er mir die irgendwann von selbst wieder zurückgibt. Sonst sag ich das nämlich der Lehrerin oder dem Lehrer, und dann kriegt der Ärger. Die anderen Kinder laufen immer gleich hinterher und schubsen den, und dann schubst der zurück ... So was mag ich nicht. Na ja, und wenn die mich sonst ärgern, dann geh ich einfach weg.

Es gibt einen Jungen in der Klasse, der macht immer mit, wenn die anderen Jungs die Mädchen ärgern, obwohl er das wahrscheinlich gar nicht will. Aber die Jungs sind so ’ne Gruppe, und wenn er sich zurückhält, dann wird er ja selbst geärgert.

Es gibt so ’ne Jugendzeitschrift, die heißt „Bravo”. Manche bringen die immer mit in die Schule. Da ist alles so mit Knallfarben gedruckt. Das mag ich nicht. Und Popmusik mag ich auch nicht so gerne, außer die CDs von „Pur” und „Phil Collins”. Die sind so schön ruhig wie Meditationsmusik. Wenn ich die höre, dann leg ich mich in meinem Zimmer hin und stell mir zum Beispiel vor, wie ich auf der Bühne tanze. Dabei lass ich meiner Fantasie so ganz frei laufen. Ich weiß auch nicht, wo ich das gelernt hab. Meine Mutter meint, dass ich so was früher schon gemacht hab, als ich noch ganz klein war. Da hab ich vom Kinderbett aus immer auf die Tannen in unserem Garten geguckt und war ganz still.

---ENDE DER LESEPROBE---