Babys machen Mütter stark - Jörg Otto Meier - E-Book

Babys machen Mütter stark E-Book

Jörg Otto Meier

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Beschreibung

Jörg Otto Meier porträtierte fünfzehn Mütter mit ihren Babys aus verschiedenen sozialen Schichten und Altersgruppen. Es wird erzählt von heiß ersehnten Wunschkindern und liebenswürdigen Vätern, aber eben auch von sterbenden Säuglingen und albtraumhaften Beziehungen. Und vom Umgang mit diesen sehr existenziellen Herausforderungen. Das alles im erzählerischen Tonfall, unprätentiös, in der eigenen Sprache der Frauen, und so ist das Werk ein Sammelsurium von Jargons der unterschiedlichsten sozialen Sphären. Man bekommt den Eindruck, dass Elternglück sich nicht an der finanziellen Situation, am Status oder am Alter festmacht. Unbedingt empfehlenswert ist die Lektüre für jeden, der sein Leben für schwierig hält - einfach so zum Vergleich. Aber auch für Mütter und Väter in jedem Aggregatzustand - werdend oder planend, schon über ihr Produkt gebeugt oder im »Ruhestand«. Es ist nämlich immer beruhigend zu sehen, dass andere sich auch schwer tun mit der so großen Veränderung. Und dass die Liebe zum eigenen Kind bei aller Verzweiflung ein gewaltiger Motor ist. »Big Brother« zu sehen ist bei aller vermeintlichen Offenheit nicht annähernd so intensiv und erkenntnisträchtig, wie in das ungeschminkte Privatleben dieser Frauen zu schauen. Denn diese Mütter sind nicht nur berührend offen, sondern sie erzählen von einem fundamental wichtigen Ereignis ihres Lebens. Mutter werden ist ein Wendepunkt mit integriertem Reifungsprozess. Alle Frauen erlangen in diesem Moment echte Größe. Deshalb hat das Buch eine Wucht, der man sich schwer entziehen kann. Man lernt beim Lesen etwas über das Leben. Nicht über die schöne Welt von Glamour, Fun und Erfolg, in der man sich räkeln müsste, um halbwegs angesagt zu sein. Sondern über die Realität voll Aufgaben, Existenznot, Liebe und unbemerktem alltäglichem Heldentum. Jene Realität, in deren Zentrum ein »Wir« steht - und die man über das Buch lieben lernen kann. Rheinischer Merkur

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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INHALT

Vorwort des Autors

Alexandra mit Lino

Sabine mit Carlos Yauri

Andrea mit Luca

Fiona mit Ferris

Claudia mit Veronika

Stefanie mit Niklas Joshua

Monika mit Maria und Skye

Christine mit Lea Sophie

Antje mit Arne Michael

Angelika mit Fanny

Tonia mit Yassine Benedict

Heidi mit Jacqueline

Ulrike mit Levin Magnus

Manja mit Nancy

Katja mit Franca Louisa

Impressum

 

 

 

 

 

 

 

Jörg Otto Meier

 

Babys machen Mütter stark

 

Frauen über Schwangerschaft

und Geburt, Väter und Kinder

 

 

 

 

 

 

 

 

Tolino Edition

 

Überarbeitete Neuausgabe

des Taschenbuchs von 2000

erschienen im Rowohlt-Verlag, Reinbek.

 

 

Hamburg, im März 2016

 

 

 

© Jörg Otto Meier

Fotos, Texte und Cover

sind urheberrechtlich geschützt.

 

 

 

Vorwort des Autors

 

Den ersten Anstoß für dieses Buch erhielt ich durch die letzte Geschichte meines Jugendbuches Eigentlich sind wir gut drauf. Ein 17-jähriges Mädchen erzählt dort, wie es unter dramatischen Umständen ihren Sohn zur Welt brachte. Was lag also näher, als ein Buch über Mütter zu beginnen, in dem diese über ihre Erlebnisse und Erfahrungen berichten, und zwar, wie in allen meinen Büchern, ohne ideologischen Zeigefinger, spontan, offenherzig und direkt.

Ich porträtierte für dieses Projekt ganz „normale” Frauen aus verschiedenen sozialen Schichten und Lebenssituationen, aus unterschiedlichen Altersgruppen, mit einem oder mehreren Kindern. Ihre Babys waren alle nicht älter als ein Jahr.

Die Kontakte zu den Müttern entwickelten sich scheinbar zufällig über Freunde, Nachbarn, Hebammen und Kinderärzte. Der Antrieb für die Teilnahme am Projekt schien mütterlicherseits meist von dem Wunsch genährt, sich mitzuteilen und Erfahrungen weiterzugeben. Mir war es wichtig, vorbehaltlos zuzuhören, mich einzufühlen und die Fotografien mit den dazugehörigen Texten möglichst unverfälscht am „Original” auszurichten, um überzeugend-lebendige Einblicke in ganz persönliche Lebenssituationen geben zu können.

Alle Geschichten vermitteln in ihrer oft erschütternden Ehrlichkeit eine Ahnung von der Verletzlichkeit und Kostbarkeit, aber auch von der vehementen Durchsetzungskraft des Lebens, das in seinem Wert wohl am eindrucksvollsten wahrzunehmen ist, wenn es in einem selbst entsteht.

Die Porträts gewähren intime Einblicke in die verschiedensten, bisweilen äußerst verstörenden, aber auch herzerwärmenden, höchst beglückenden Lebenssituationen rund um die Schwangerschaft und die Geburt. Auch über die liebevoll bis chaotisch gelebten Beziehungen der Eltern gibt es so manches zu erfahren.

Obwohl dieses Buch mit einer Fülle hilfreicher Anregungen und Tipps aufwartet, ist es kein pädagogisch einfühlsamer Ratgeber für eine sanfte Geburtsvorbereitung. Ausgesprochen sensible Menschen sollten es deshalb, vor allem während einer Schwangerschaft, vielleicht besser nicht lesen. – Andererseits könnten gerade sie durch die vielfältigen Beispiele bravourös durchlebter Schicksale ein Mehr an Mut und Zuversicht gewinnen, denn anscheinend machen Babys Mütter stark.

Ich danke allen porträtierten Müttern, ihren Babys – und natürlich auch den Vätern!

 

 

PS: Als dieses Projekt zur Jahrtausendwende entstand, schien die Ära der genuss- und karriereorientierten Kinderlosigkeit auszuklingen und von sogenannten „Spätgebärenden” übernommen zu werden, die ihr Leben mit einem Kind noch einmal so richtig abrunden wollten.

Bereits zehn Jahre später traten dann im Straßenbild zunehmend mehr junge, sehr selbstbewusste Mütter mit ihren Babys und Kinderwagen in Erscheinung, begleitet von einer gänzlich neuen Generation äußerst fürsorglicher Väter, die es inzwischen so weit gebracht haben, dass sie fast ohne Ironie schon als „die besseren Mütter” betitelt wurden. Auch steht die Zeit der Einzelkinder vor dem Aus. Mindestens zwei Geschwister – möglichst in kurzer Abfolge – müssen es heute schon sein.

Mittlerweile hat sich diese Tendenz zu einem wahren Babyboom weiterentwickelt, der alle demografischen Prognosen unter dem Motto: „Die Deutschen zeugen keinen Nachwuchs mehr und sterben aus!” über den Haufen zu schmeißen scheint. Unser Gemeinwesen steht dadurch aber auch – neben aller Freude über die lawinenartige Ankunft dieser oft unglaublich niedlichen Zwerge – vor gewaltigen Herausforderungen, besonders angesichts der beunruhigenden globalen Umwälzungen. Lassen wir uns also überraschen, wie es weitergeht. Sicher planbar ist das Leben hier auf Erden ohnehin noch nie gewesen.

 

* * *

 

Alexandra mit Lino

„Mein Mann war genauso schwanger wie ich.”

 

Alexandra ist 31 Jahre alt und verheiratet. Ihr Sohn Lino wurde Im Urlaub gezeugt und kam vor zehn Monaten auf die Welt. Alexandra arbeitet bereits wieder in ihrem eigenen Friseursalon.

 

Mit meinem Mann Axel . . .

... führe ich ’ne Beziehung, die schon immer gut lief. Mit ihm wollte ich Kinder haben, so nach dem Motto: „Ich leb gern, warum sollte ich das anderen nicht auch ermöglichen?” Bloß Männer sind ja so: „Kinder ja! Aber nicht jetzt! Das hat doch noch Zeit!” Na ja, ich wollte ihn auch nicht zu doll drängen und hab gedacht: „Och, mein Gott, irgendwann kommt’s schon bei ihm.” Und das war dann auch so. Heute sagt er sogar: „Wenn ich gewusst hätte, wie schön das ist, hätten wir viel früher ein Kind haben können.”

Als Axel so weit war, hab ich gleich mit der Pille aufgehört. Schon nach fünf Monaten klappte es, und zwar in Amerika. Mein Cousin in San Francisco hatte uns seinen VW-Bus geliehen, und damit sind wir durch die Staaten gefahren. Ja, und Lino muss wohl irgendwo in Kalifornien entstanden sein. Ich weiß nur nicht, ob in San Francisco oder im Yosemite Park. Aber geahnt hab ich das zu der Zeit überhaupt nicht. Mir war ja nie schlecht. Und auch als wir wieder zu Hause waren und die Regel sich immer noch nicht einstellte, hab ich gesagt: „Ach was, ich bin nicht schwanger. Das liegt alles an der Zeitverschiebung.” Aber dann kamen unsere Freunde mit ’nem Teststreifen an und siehe da: Ich war doch schwanger.

Die Schwangerschaft hab ich ganz locker genommen. Gar keine Probleme. Dienstags bin ich noch zur Arbeit gegangen, und freitags ist Lino geboren worden. Ich hab die letzte Zeit zwar nicht mehr voll gearbeitet, aber so’n paar Stunden war ich immer noch in meinem Friseursalon. Was sollte ich auch zu Hause sitzen? Da wär’s mir bestimmt zu langweilig gewesen. Nö, mir ging’s ja gut. Und ich hab die Schwangerschaft auch immer so gesehen: „Raus muss er so oder so. Entweder hab ich dabei Glück oder Pech.” Deswegen war ich auch nur einmal bei ’ner Geburtsvorbereitung. Einmal und nie wieder. Das war mir zu blöd. Ich finde, sich gegenseitig massieren und so, das kann ich mit Axel doch viel besser zu Hause machen. Und das Atmen, das machst du sowieso ganz automatisch. Mein Arzt meinte auch: „Das ist was für Frauen, die den ganzen Tag nichts zu tun haben.” Ich mein, unsere Mütter sind ja auch nicht bei ’ner Geburtsvorbereitung gewesen, und wir sind trotzdem auf die Welt gekommen.

Axel war übrigens genauso schwanger wie ich, zumindest hat er genauso viel zugenommen, weil er immer meine Portion mitessen musste. Und zum Schluss hatte er neun Kilo mehr drauf und ich elfeinhalb. Zu Anfang war ich manchmal auch ein bisschen zickig mit ihm, aber sonst hab ich mich nicht so viel verändert. Nur müssen die Männer halt etwas zurückstecken; teilweise müssen die sogar ganz schön leiden, denn irgendwie fixiert sich alles nur aufs Kind. Und sexuell hat man auch nicht so die große Lust. Und wenn die Frau keine Lust hat, macht’s dem Mann ja auch keinen Spaß. Aber bei mir wird’s jetzt langsam besser. Kurz vor der Geburt hatte Axel in der Richtung übrigens mehr Probleme als ich. Er meinte, dem Kleinen vielleicht wehtun zu können.

Die Entbindung hab ich mir eigentlich viel schlimmer vorgestellt. Abends nach dem Einkäufen dachte ich irgendwann: „Das könnten jetzt vielleicht die Wehen sein.” Gegen zwölf sind wir dann ins Krankenhaus gefahren. Der Arzt sagte aber: „Ihre Wehen kommen ja erst alle sieben, acht Minuten, und nur zum Warten ist das hier einfach zu voll. Fahren Sie doch lieber nach Hause.” Gleichzeitig wies er uns aber daraufhin, dass es sowieso knapp werden könnte mit der Krankenhauskapazität. Es war nämlich Vollmond, und man sagt ja, dann kommen sie gerne, die Kleinen. Wir sollten erst anrufen, wenn die Wehen alle drei, vier Minuten kämen. Morgens gegen sechs war’s dann so weit. Aber der Arzt meinte am Telefon: „Hier ist das gerammelt voll! Sie müssen es woanders versuchen!” Wir schnell im „Elim-Krankenhaus” angerufen, und zum Glück sagten die: „Das kriegen wir hin! Sie können sofort kommen!”

Im Endeffekt war ich dann nur vier Stunden im Kreißsaal, und es wär sogar noch schneller gegangen. Aber Monsieur wollte einfach nicht durch den Geburtskanal. Er ist da immer irgendwo mit dem Kopf gegen gestoßen und kam nicht weiter. Deshalb mussten sie ihn mit der Saugglocke so’n bisschen anziehen, und den Rest haben wir dann wieder selber gemacht. Mittags um viertel vor eins hatte er’s endlich geschafft, sechs Tage später als vorgesehen.

Die Wehen vor den Presswehen waren besonders fies, aber die vergisst man wirklich total. Ich weiß nur noch, dass es unangenehm war und dass Axel mir mit ’nem Ball drei Stunden lang den Rücken massiert hat. Nach der Geburt hab ich erst mal geduscht, und dann wollten sie mich mit dem Rollstuhl auf die Station fahren. Aber ich hab gesagt: „Ihr habt sie wohl nicht alle! Ich will gehen!” und bin losmarschiert. Ich fühlte mich echt fit. Nur Lino war durch die Anstrengungen ein bisschen kaputt und hatte am nächsten Morgen einen erhöhten Infektionswert. Deswegen durften wir ihn erst Montagmorgen zu uns nach Hause holen.

Axel fand die Geburt ganz toll, die Nabelschnur durchschneiden und so. Und er hat mir echt gut geholfen. Sogar wenn er nur mal kurz wegwollte: „Nur auf ’ne Zigarette!”, hab ich gesagt: „Du bleibst hier! Ich kann jetzt auch nicht rauchen!” Ja, dann kommandiert man ganz schön rum: „Nun mach mal hier und mach mal da!” Doch, doch. Dann wird man so’n bisschen forsch.

Als Lino dann geboren war, wollte Axel erst mal telefonieren. Aber er musste so heulen, dass er überhaupt kein Wort rausbrachte. Die Männer kriegen von der Geburt ja viel mehr mit und sind ganz schön fertig mit den Nerven.

Wir hatten auch an ’ne Entbindung im Geburtshaus gedacht. Aber da sagte man uns, dass von dort aus vierzig oder sechzig Prozent spontan in die Klinik gefahren werden müssten. Und bei mir wär’s ja auch so gewesen. In der Klinik haben sie natürlich zuerst alles andere versucht, aber im Endeffekt mussten sie ihn doch mit der Glocke anziehen und einen Schnitt machen. Das wär im Geburtshaus nicht gegangen. Dann hätte es geheißen: „Mit Tatütata in die Klinik!” Und um dem vorzubeugen, hab ich gesagt: „Nee!” Und beim zweiten Kind würd ich’s auch nicht anders machen.

Während der Schwangerschaft hab ich eigentlich ganz normal weitergelebt. Und wenn ich ein bisschen zu viel gemacht hab, hat Lino mir gleich gemeldet: „So, Mama, jetzt mach mal halblang!” Ja, dann war Randale angesagt im Bauch. Ansonsten bin ich Auto und Fahrrad gefahren, bin zum Fußball und zu Konzerten gegangen. Nur langes Sitzen wurde nachher etwas beschwerlich, weil Lino ziemlich schnell ganz tief nach unten rutschte. Der Arzt meinte sogar: „Du musst ja Schmerzen haben!”– „Schmerzen? Wieso?” – „Ja, das müssen doch tierische Senkwehen sein!” – Aber die hatte ich gar nicht bemerkt.

Alkohol hab ich schon am Anfang der Schwangerschaft nicht mehr getrunken. Na gut, mal ein Glas Sekt alle zwei, drei Monate. Aber das war’s dann auch. Nur das Rauchen konnt ich mir leider nicht verkneifen. Ich hab’s aber sehr reduziert, so auf fünf Zigaretten am Tag. Man sagt ja, dass es auch gar nicht so gut ist, wenn man als starker Raucher ganz abrupt aufhört. Und wenn du das ganze Nikotin aus dem Körper raus haben willst, musst du sowieso schon ein Jahr vorher aufhören.

Sicherlich ist das hier zu Hause ’ne ganz schöne Umstellung gewesen mit dem Kind, aber Lino ist ja nie anstrengend gewesen. Er konnte nachts immer gut schlafen. Und selbst in der Stillzeit hat er sich, wenn’s hoch kam, nur dreimal gemeldet. Er ist echt ein Genügsamer. Deswegen hatte ich auch nie das Gefühl, überfordert zu sein. Und Axel auch nicht. Bei dem wusste ich sowieso schon vorher, dass er ein ganz toller Vater wird, weil er immer gern was mit Kindern gemacht hat. Als die Hebamme zu uns nach Hause kam, meinte sie jedenfalls: „Es kommt mir so vor, als wenn Lino schon euer drittes Kind ist.”

Nach neun Wochen hab ich wieder angefangen, zweieinhalb Tage in meinem Friseurladen zu arbeiten. Ich hatte mir so schön ausgedacht: „Tagsüber kriegt Lino die Buddel, und die restliche Zeit still ich ihn.” Aber war nicht. Schon nach acht Wochen wollte er lieber die Flasche, so nach dem Motto: „Geht schneller und ist nicht so anstrengend.” Ich hab noch ’ne ganze Zeit mit ihm rumgedoktert, aber er wollte einfach nicht mehr gestillt werden. Und zwingen mochte ich ihn nun auch nicht. Ja, er hat eben schon so’n richtiges Eigenleben. Und es würd mich schon sehr interessieren, was in dem kleinen Köpfchen so alles abgeht.

Ich nehm mir viel Zeit für den Kleinen, aber er muss sich auch mal alleine beschäftigen können, sonst kommt man zu gar nichts. Aber das tut Lino auch gerne. Sitzen tut er ja schon, seitdem er sechs Monate ist. Da kann er alles übersehen, rutscht mit dem Po ein bisschen vor und holt sich seine Spielsachen selbst. Nur zum Krabbeln ist er zu faul. Da hat er keinen Bock drauf. Aber ich bin ja auch gleich losgelaufen. Er ist halt mehr so ’ne kleine Quatschbacke wie seine Mutter. Deswegen denk ich: „Im Grunde ist seine Persönlichkeit schon festgelegt.”

Axel war durch seine Rockmusik immer schon viel zu Hause und hat eigentlich nur so Jobs gemacht. Jetzt arbeitet er abends in der „Staatsoper”. Als ich schwanger wurde, hat er ganz bewusst so weitergemacht, weil wir wollten, dass wir möglichst oft beide mit Lino zusammen sein können. Mit unserem Geld kommen wir ganz gut über die Runden. Ich mein, es könnt natürlich mehr sein, aber wir brauchen nicht viel. Wir sind froh, dass wir alle zusammen sind, und das ist die Hauptsache. Aber fürs Kind gibt’s natürlich nur das Beste.

Deswegen würd ich auch nicht sagen: „Jetzt noch ein Kind!” Da käm das erste bestimmt zu kurz. Aber wenn ich so bedenke, dass mein Bruder und ich auch nur zwei Jahre auseinander sind, genauso wie Axel und sein Bruder, ist das irgendwie schon möglich und auch schön. Aber mir wär’s, glaub ich, jetzt noch zu früh. Deswegen verhüte ich lieber. Ich mein, wenn ich trotzdem schwanger werden sollte, würde ich nie im Leben abtreiben. Nie! Wer einmal so ’ne Geburt mitgemacht hat und weiß, was da alles vonstatten geht ... Aber klar, ich bin noch nie in so ’ner Situation gewesen.

Einige Frauen hatten schon im Schwangerschaftsvorbereitungskurs Angst. Aber das hatte ich nie. Nur Angst vorm Sterben hab ich. Die hab ich schon immer gehabt. Wenn ich mir so vorstelle, irgendwann einfach nicht mehr da zu sein ... Das find ich unbegreiflich. Aber es ist nicht so, dass ich da ständig drüber nachdenke. Genauso wie mit der Umwelt. Da machen sich manche doch nur verrückt. Also, ich bin nicht so’n Nachdenker und Pessimist. Auch um Axel mach ich mir keine Sorgen mit anderen Frauen und so. So’n Typ ist er eigentlich gar nicht ... mehr. Klar, ganz am Anfang in seinem Rockstar-Dasein, da war er’s schon. Doch, doch. Aber jetzt? Nö, ich glaub, das ist durch, das Thema. Und selbst wenn da mal was passieren sollte, könnt ich das irgendwo auch verstehen. Denn, wie gesagt, die Männer müssen während und nach der Schwangerschaft ja ganz schön leiden. Aber ich weiß natürlich nicht, wie es wär, wenn er’s wirklich machen würde.

Wenn Axel nach Hause kommt und Lino ihn anlacht, ist der ganze Alltagsstress sofort vergessen, und das kann noch so’n schlimmer Tag gewesen sein. Ist echt so. Er wickelt ihn gerne und macht auch sonst alles. Aber ich hab von Anfang an auch immer gesagt: „Du bist genauso Elternteil wie ich. Sieh zu!” Ich mein, wenn ich ihn morgens nicht wecken würde, würd er auch weiterschlafen. Aber wenn ich ihn weck, ist das auch kein Thema.

Geheiratet haben wir sechs Wochen bevor Lino geboren wurde, eigentlich mehr oder weniger altmodisch, damit wir alle den gleichen Namen haben. Axel guckt jetzt immer noch ganz blöd, wenn ich was unterschrieben hab. Dann sag ich: „Hallo! Wir fangen beide mit A an!” Behördlich ist eben alles viel, viel einfacher. Wenn wir unverheiratet Zusammenleben würden, müsste er sein Kind zunächst mal anerkennen und wär unterhaltspflichtig. Wenn wir aber nach Jahren doch noch heiraten sollten, müsste er’s adoptieren. Und das war uns einfach viel zu umständlich. Da haben wir gesagt: „Mein Gott, wir sind schon so lange zusammen – ’ne Garantie hast du sowieso nie –, dann können wir auch heiraten.” Wir haben nur im Familienkreis geheiratet. Unsere Brüder waren die Trauzeugen. In Weiß zu heiraten war für uns nie ’ne Frage. Aber wir werden Lino dieses Jahr taufen lassen. Und danach machen wir ’ne Party. Später kann er dann selber entscheiden, ob er sich konfirmieren lassen will. Bei mir war’s damals jedenfalls hip. Vielleicht ist das in seinem Alter ja auch hip, weil der Kumpel das macht oder was weiß ich. Und sich dann mit 14 noch taufen lassen? Nee! Damals hätten wir das jedenfalls saudämlich gefunden. Und das will ich ihm ersparen. Ja, und wenn er keinen Bock auf die Religion hat ... Ich bin ja auch aus der Kirche ausgetreten.

Es gibt Leute, die sagen: „Später will ich dies und das geschafft haben.” Aber so’n Typ, der lange vorausplant, bin ich nie gewesen. Ich leb heute und nicht in zehn Jahren. Mit der Arbeit geht’s mir genauso. Okay, ich arbeite gern. Aber dass ich jetzt maloche und maloche und mit vierzig ’nen Herzinfarkt krieg, zwar viel Geld auf der Naht hab, nur nichts mehr vom Leben ... Nee, ich bin nicht so’n Geldscheffler. Gut, wenn Axel mit seiner Musik nochmal berühmt werden sollte, dann vielleicht so’n bisschen reich werden, das wär natürlich toll. Aber mich deswegen krumm machen? Nee! Dafür ist das Leben viel zu kurz.

 

Sabine mit Carlos Yauri

„Oh, ist der warm, dieser kleine Mensch!”

 

Sabine ist 27 Jahre alt und mit einem 28 Jahre älteren Mann verheiratet. Vor ihrer Schwangerschaft beendete sie ihr Studium als Kunsttherapeutin. Ihren Sohn Carlos Yauri brachte sie vor drei Monaten zur Welt.

 

Ich hab drei Geschwister . . .

... und fand’s immer schon toll, mit vielen Kindern zusammen zu sein. Von jedem Mann, in den ich verliebt war, wollt ich natürlich auch irgendwann mal Kinder haben. Das gehörte zum Glück einfach dazu. Dann lernte ich Roman kennen. Er ist Betreuer in einer Behindertenwerkstatt, wo ich ein Praktikum gemacht hab. Ich fand ihn gleich unheimlich interessant und dachte: „Das ist ein Typ, in den ich mich gut verlieben könnte.” Er erzählte mir ganz viel aus seinem Leben und von seiner Familie in Peru, blieb aber trotzdem immer geheimnisvoll. Und das hatte für mich einen großen Reiz. Ich dachte: „Das dauert bestimmt, bis der einem seine Gefühle offenbart.” Ja, und ich fand ihn total hübsch mit seinen langen schwarzen Haaren und mit seinem Zopf. Er sieht aus wie so’n richtiger Indianer und hat große braune Augen. Er ist zwar ’nen Kopf kleiner als ich, aber das fand ich nicht schlimm. Es war eher witzig, wenn sich die Leute auf der Straße nach uns umdrehten.

Ich wusste zwar, dass er etwas älter ist als ich und hab ihn so auf 35 geschätzt. Aber als ich hörte, dass er schon 48 ist, dachte ich: „Ups! Worauf lässt du dich da ein?”, denn ich war ja erst zwanzig, und er hatte schon zwei erwachsene Kinder. Seine Tochter ist so alt wie ich. Mein Vater ist so alt wie Roman. Und das war für meine Eltern natürlich total ungewöhnlich und merkwürdig. Aber am Anfang haben sie unsere Beziehung gar nicht so richtig ernst genommen. Als wir dann zusammenziehen wollten, meinten sie aber doch: „Moment mal! Bist du dir wirklich klar darüber? Was ist, wenn du später Kinder haben willst?” Da hab ich nur gesagt, dass ich verliebt bin, und alles andere sei mir total egal. Ich konnte einfach nicht vernünftig sein. Und ich wollte nicht an die Zukunft denken. Ich kann’s mir auch heute noch nicht vorstellen, wie’s wohl sein wird, wenn mein Sohn zwanzig ist. Dann ist Roman ja über siebzig. Ob das vielleicht traurig ist oder nicht. Ich weiß es nicht. Und einfach Schluss machen, nur weil es später schwierig werden könnte? – Nee, dazu ist die Liebe viel zu groß.

Von meinen Freunden dachten natürlich viele, dass er ein bisschen älter ist als ich, und als sie erfuhren, dass er schon so viel älter ist, meinten einige: „Mensch, der hat sich aber gut gehalten. Wenn ich mal so alt bin, will ich auch so sein.” Das hat Roman natürlich sehr genossen. Aber er war wohl immer schon so’n jugendlicher Typ. Und ich denke, dass er durch mich auch weiterhin so bleiben wird.

Ich kann eigentlich gar nicht sagen, dass ich auf ältere Männer stehe. Es ist wirklich Roman, in den ich mich verliebt hab. Und trotzdem, wenn ich jetzt an Jüngere denke, die sind noch gar nicht reif für ’ne richtige Beziehung. Die sind noch so mit sich beschäftigt. Deswegen bin ich besonders froh, dass ich Roman gefunden hab, denn er weiß genau, worauf er sich eingelassen hat. Und das gibt mir viel Sicherheit.

Für Roman war das Thema Kinder längst abgeschlossen. Aber das hab ich nie so richtig ernst genommen. Ich wusste einfach: „Mit meinem Kinderwunsch setz ich mich durch.” Und er sagte auch schon hin und wieder: „Na ja, mal sehen. Vielleicht später.” Aber für mich wurde dieses Thema immer aktueller. Zuerst konnte ich’s noch so’n bisschen wegschieben. Aber dann, als ich mit dem Studium fertig war, hab ich zu ihm gesagt: „Hey, du! Jetzt will ich Kinder haben!” Natürlich war ich auch etwas zwiegespalten und dachte: „Vielleicht wär’s ja nicht schlecht, erst mal in den Beruf zu gehen.” Aber schließlich haben wir doch mit der Verhütung aufgehört und wollten’s einfach mal drauf ankommen lassen.

In der Zeit haben wir auch geheiratet, und zwar völlig unabhängig vom Kind. Ich hatte einfach Lust dazu. Und ich hatte Lust, Romans Namen zu tragen und ein Fest zu feiern. Wir sind ziemlich spontan zum Standesamt gegangen und haben damit viele Leute überrascht, auch meine Eltern. Die wussten zwar, dass wir’s irgendwann mal vorhatten, aber dass es so schnell gehen würde, da waren sie doch etwas geschockt.

Im Sommer haben wir ’ne ganz große Party gegeben mit allen möglichen Verwandten und Freunden. Ich war inzwischen schwanger. Aber gewusst haben’s außer ihm nur meine Eltern. Ich hatte nämlich immer so’n bisschen Angst davor, es gleich am Anfang allen zu erzählen.

Ich fang gerade an, aufzuschreiben, wie ich die Schwangerschaft erlebt hab. Und dabei ist mir aufgefallen, dass ich schon ganz viel vergessen hatte. Zum Beispiel, dass mir so schlecht war und dass ich mich auch etwas unglücklich fühlte, weil ich dachte: „Ach! Ich seh aus wie ’ne Tonne, und keiner merkt, dass ich in Wirklichkeit schwanger bin!” Später fand ich’s dann toll, so ’nen dicken Bauch zu haben, und war stolz, damit durch die Gegend zu laufen. Jeder guckte mich nett an, die Leute hielten mir die Türen auf. Ja, da konnte ich’s dann richtig genießen. Ich hab mich die ganze Zeit wahnsinnig auf mein Kind gefreut, obwohl ich gegen Ende der Schwangerschaft ein schreckliches Sodbrennen kriegte und total ungeduldig wurde. Ich wollte unbedingt, dass es endlich rauskommt.

Jeden Abend um elf wachte mein Kind regelmäßig auf und hat in mir Rabatz gemacht – ausgerechnet, wenn ich ins Bett gehen wollte. Und ständig hatte es Schluckauf wie ein richtiger Mensch. Ich wusste noch nicht, dass es ein Junge werden würde. Diese kleine Überraschung wollten wir uns bis zur Geburt aufheben. Es war zwar immer ’ne große Versuchung, wenn der Arzt uns fragte: „Na, wollen Sie’s wirklich nicht wissen?” Aber das wollten wir einfach nicht hören. Und so waren wir bis zum letzten Tag gespannt.

Als Frau hat man während der Schwangerschaft ja ganz komische Gefühle. Ich hab ständig in mich reingehorcht und war sehr mit mir beschäftigt. Plötzlich drehte sich alles nur noch um’s Kind. Das war für Roman manchmal schon sehr schwierig, doch er hat sich nie beschwert. Aber Männer spüren in sich ja auch nicht diese großen Veränderungen. Erst als Roman bei mir was fühlen konnte, hat er’s so richtig realisiert, dass wir ein Kind bekommen.

Es war immer total schön, wenn wir abends zusammen im Bett lagen und ich ihm gesagt hab: „Leg deine Hände mal auf meinen Bauch!” Wir haben überhaupt ganz viel im Bett gelegen und erzählt, wie wir uns das Kind vorstellen und was wir so alles machen wollen. Das fing mit ganz banalen Sachen an, zum Beispiel: „Wo kommt der Wickeltisch hin?”, und: „Soll er bei uns im Bett schlafen oder nicht?” Das hat Roman total Spaß gemacht. Und er hat sogar ganz viele Vorsätze gefasst: „Unser Kind kriegt keinen Schnuller in den Mund, keine Medikamente und überhaupt keine Süßigkeiten.” Das hört sich jetzt vielleicht so an, als hätte er besonders streng sein wollen. Aber er wollte einfach nur alles richtig machen und ein ganz toller Vater sein.

Als der Arzt mir sagte: „Ihr Kind kommt bestimmt schon dieses Wochenende”, also zwei Wochen früher als erwartet, hab ich mich unheimlich gefreut, denn zum Schluss war das Ganze schon sehr anstrengend. Und ich hatte auch nichts mehr zum Anziehen. Ich wusste natürlich, dass es furchtbar wehtun würde, aber eigentlich hatte ich davor keine große Angst. Ich dachte immer nur: „Woher weiß ich bloß, wann es losgeht? Wie fühlt sich das wohl an?” Ich hatte das ganze Wochenende gewartet, aber es passierte nichts. Aber dann, am vierten Februar, bin ich morgens um fünf aufgewacht und hatte so ganz leichte, regelmäßige Wehen. Ich hab Roman geweckt, und um sieben sind wir ins Krankenhaus gefahren. Mir ging’s relativ gut, und die Schmerzen waren erträglich. Wir wussten eigentlich gar nicht, was wir da sollten. Also haben wir einfach im Bett gelegen und gelesen. Roman brachte mir das Frühstück und rief bei allen möglichen Leute an, dass wir jetzt im Krankenhaus wären. Und so ging der Morgen dahin, ohne dass etwas passierte.

Irgendwann kam die Hebamme und sagte: „Na, vielleicht dauert’s bei Ihnen ja doch länger.” Und das fand ich total frustrierend. Ich hab nochmal ein Bad genommen, aber das brachte auch nichts. Daraufhin meinte die Hebamme: „Okay, jetzt stech ich Ihnen mal die Fruchtblase auf, damit’s ein bisschen schneller geht.” Nach dem Eingriff kriegte ich von einem auf den anderen Moment unheimlich starke Wehen und solche Schmerzen ...! Also, die haben mich total umgehauen. Ich dachte nur: „Das kann nicht wahr sein!” Ich konnte nicht mal sagen, ob ich ’ne Betäubung will oder nicht. Roman blieb aber ganz ruhig und fragte mich sogar: „Na, willst du nicht was essen?” Und ich: „Nein! Los, halt mich jetzt lieber fest! Halt meinen Rücken!”, und: „Drück mich hier und stoß da!” Aber er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und machte alles, was ich wollte. Mir war’s in dem Moment übrigens fast egal, ob er bei mir war oder irgendjemand anders. Hauptsache, es war überhaupt jemand da, um mich zu halten. Diese schlimmen Presswehen dauerten ungefähr zwei Stunden. Und ich hörte immer nur, wie die Hebamme sagte: „Sie müssen jetzt pressen! In die Richtung da!” Aber ich wusste vor lauter Schmerzen gar nicht, wie und wohin. Irgendwie hatte ich mir das alles leichter vorgestellt, dass man halt instinktiv weiß, was man zu tun hat.

Roman bekam von der Geburt natürlich viel mehr mit als ich.

---ENDE DER LESEPROBE---