Ein Appartement in Paris - Michelle Gable - E-Book

Ein Appartement in Paris E-Book

Michelle Gable

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Beschreibung

Für Jahrzehnte verborgen Aprils Leben wird sich grundlegend ändern, sie weiß es nur noch nicht. Ihr Chef bei Sotheby's schickt sie nach Paris, um ein Appartement zu begutachten, das 70 Jahre lang kein Mensch betreten hat. Als Spezialistin für antike Möbel denkt April nicht an Staub oder Plunder, sondern an verborgene Schätze. Und genau diese findet sie: goldene Straußeneier, antike Möbel, eine bronzene Badewanne und ein äußerst wertvolles Porträt der damaligen Bewohnerin. Zudem entdeckt sie zahlreiche Briefe und Tagebücher. April taucht ein in die faszinierende Welt der Marthe de Florian, einer bekannten Pariser Kurtisane, zu deren Kundschaft Würdenträger und Staatschefs gehörten. Wer war sie, wie lebte sie, und warum verschwand sie am Vorabend des Zweiten Weltkriegs aus ihrem Appartement, um nie wieder zurückzukehren? Nach einer wahren Geschichte: Dieser Roman ist eine faszinierende Reise in die Vergangenheit.

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Seitenzahl: 673

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Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel

»A Paris Apartment« bei Thomas Dunne Books, St. Martin’s Press.

Besuchen Sie uns im Internet unter

www.langen-mueller-verlag.de

© der Originalausgabe 2014 by Michelle Gable

© der deutschsprachigen Ausgabe 2015 by LangenMüller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

© für das eBook: 2015 LangenMüller in der F. A. Herbig

Verlagsbuchhandlung GmbH, München.

Published in agreement with the author, c/o BAROR INTERNATIONAL, INC., Armonk, New York, U.S.A.

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

Umschlagmotiv: Gary Isaacs, Trevillion Images

Satz und eBook-Produktion: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

ISBN 978-3-7844-8209-5

Für Dennis.

Für alles.

Chapitre 1

Sie wollte aus der Stadt verschwinden.

Als ihr Chef sich anschlich und ihr die Worte »Wohnung im neunten Arrondissement« und »tonnenweise Schrott aus dem 19. Jahrhundert« zuraunte, hatte April nur einen Gedanken: Urlaub. Es würde auch Arbeit bedeuten, aber egal, sie würde nach Paris fliegen. Wie jeder Schriftsteller, Dichter, Maler und, ja, auch jeder Möbelexperte, wusste, war Paris der perfekte Ort, um dem Alltag zu entfliehen.

Das Pariser Team war bereits vor Ort. Olivier war mit der Leitung betraut. April konnte sich richtig vorstellen, wie er durch das Appartement schlich und mit seinen krummen, knochigen Fingern Notizen auf sein Tablet kritzelte. Er hatte Verstärkung aus New York angefordert, weil sie noch einen Experten zur Taxierung des Inventars brauchten, insbesondere einen Möbelexperten, da es seinem Team auf diesem Gebiet an Kompetenz mangelte. Nach Angaben von Aprils Chef enthielt das Siebenzimmerappartement »genug Mobiliar, um zwölf Edelpuffs auszustatten«. Peters Erwartungen waren niedrig. Aprils Erwartungen waren hoch, wenn auch aus anderen Gründen. Am Ende sollten sich beide geirrt haben.

Chapitre 2

Während ihr Mann seine Fliege zurechtrückte und an seinen Hemdmanschetten zog, um sein Erscheinungsbild bis zur absoluten Makellosigkeit zu zupfen, packte April den Koffer für ihren Nachtflug nach Paris-Charles-de-Gaulle. Normalerweise war sie eine effektive, erfahrene Reisende, aber angesichts einer dreißigtägigen Reise nahm ihr Gepäck ungute Dimensionen an. Sonst war April nie länger als eine Woche unterwegs, doch in den zwei Stunden, die von »tonnenweise Schrott« bis zur Buchung des Flugtickets vergangen waren, musste jemand Peter zugeflüstert haben, dass der Fund doch kein ganz alltäglicher war. Bleib so lange, wie du musst. Wir können das Ticket auch noch verlängern.

April sollte ihn später noch an seine Worte erinnern.

»Wo liegt das Problem?«, erkundigte sich Troy, als er die gerunzelte Stirn seiner Frau bemerkte. Er strich sein Hemd noch einmal glatt.

»Beim Gepäck. Ich bin nicht sicher, ob ich genug mithabe. Dreißig Tage. In Paris. Im Juni. Was bedeutet, dass die Temperatur jederzeit innerhalb von vierundzwanzig Stunden um fünfzehn Grad fallen kann. Wie heißt es immer so schön? Wegen des Wetters braucht man nicht nach Paris zu fahren.«

April sah auf, und ihr Blick fiel auf Troys linken Manschettenknopf, der das Licht des Kronleuchters reflektierte. April konnte die Angewohnheit, Dinge »zu taxieren«, einfach nicht unterdrücken, und sie musste ihr Gehirn mit Gewalt davon abhalten zu überschlagen, wie viel dieses bisschen Onyx und Platin auf einer Versteigerung bringen würde. Dabei spekulierte sie gar nicht auf das baldige Ableben ihres Ehemannes, normalerweise jedenfalls nicht, und ganz bestimmt nicht, weil sie auf diese Art reich zu werden hoffte. Ihre Gedanken waren eher eine Nebenwirkung ihrer Tätigkeit für das größte Auktionshaus der Welt.

»Was starrst du da so hin?«, fragte Troy mit einem leisen Lachen. »Falsche Manschettenknöpfe für dieses Outfit?«

»Nein. Die sind prima. Perfekt.«

April schaute weg und war erleichtert, dass sie nicht auf Schmuckstücke aus Nachlässen von faltigen alten Schabracken spezialisiert war und dass ihr daher die Kompetenz fehlte, die Accessoires ihres Mannes zu schätzen. Sie hatte sich jedoch im Schweiße ihres Angesichts einen Master im Einschätzen von Troy Vogt erarbeitet. Allein das verriet April, dass diese Manschettenknöpfe, die ihr Mann für bestimmte berufliche Anlässe reserviert hatte, unschätzbaren Wert besaßen, zumindest für ihn. Was es weiterhin darüber verriet, wer sonst noch unter den Gästen der Veranstaltung sein mochte, darüber wollte April gerade gar nicht nachdenken.

»Ich bin total überwältigt.« April schüttelte den Kopf und starrte auf ihren Koffer. Aber sie meinte nicht ausschließlich ihre Pullover und Schals.

»Bleib lieber beim leichten Gepäck«, sagte Troy. »Du kannst ja immer noch was kaufen. Immerhin bist du in Paris.«

April lächelte. »Das ist immer deine Antwort auf alles, oder? Du kannst ja noch was kaufen.«

»Und, ist das schlimm?« Troy zwinkerte ihr zu und trat vor den großen Spiegel. Im Vorübergehen tätschelte er April leicht den Hintern. »Du bist wirklich eine Seltenheit unter den Ehefrauen.«

Eine Seltenheit unter den »Ehefrauen«. April stieß sich an dem Wort, obwohl das eigentlich nicht der Fall sein sollte. Es hatte jetzt eine ganz neue Bedeutung. Ehefrau. Ehefrau.

»Es hat zwar keiner so genau verfolgt«, fuhr Troy fort, »außer der Wall Street, versteht sich, aber meine ›Kauf noch was‹-Philosophie ist der Grund, warum die Rezession das Beste war, was meiner Firma und unseren Investoren passieren konnte.«

»Das ist ja eine charmante Einstellung«, versuchte April zu scherzen. In letzter Zeit hatte es in ihrem Hause schmerzlich wenig Scherze gegeben. Alles fühlte sich eingerostet und unbeweglich an. »Wem würde es nicht gefallen, wenn so ein eingebildeter Wall-Street-Typ am Ende recht behält?«

Troy lachte und schlüpfte in seinen Smoking.

»Wo wir gerade von selbstzufriedenen Wall-Street-Typen reden«, sagte Troy mit gespielter Fröhlichkeit, »sieht ja ganz so aus, als hättest du mal wieder Glück gehabt.«

»Glück gehabt?« April lehnte sich an eine Kommode (George III., geschwungene Mahagonifront, circa 1790) und musterte ihren Koffer, um sein Gewicht abzuschätzen. »Inwiefern?«

So schwer sah er gar nicht aus.

April atmete ein. Sie stellte sich vor, die breiten, starken Schultern einer olympischen Schwimmerin zu haben statt ihrer feinen, schlanken Version, dann zerrte sie den vollgestopften Koffer vom Bett. Prompt plumpste er auf den Boden, und es hätte nur ein halber Zentimeter gefehlt, und der Koffer hätte die Knochen ihres linken Fußes gebrochen.

»Glück gehabt erstens, weil du gerade mal wieder um eine Kofferpackverletzung herumgekommen bist«, sagte Troy. »Sag mal, dir ist schon klar, dass das Ding größer ist als du, oder? Schatz, du hast doch schon das Flugticket. Du musst dir nicht noch den Fuß brechen, um dich um den nächsten meiner ätzenden beruflichen Events zu drücken.«

»Ach, so schlimm sind die nun auch wieder nicht.« April wischte sich die Stirn ab, dann legte sie den Koffer auf die Seite.

»Nicht so schlimm? Die sind durch die Bank grässlich, und das weißt du auch. Die anderen Frauen werden dich absolut beneiden.«

Die anderen Frauen. April überlegte, was die sich wohl dachten, wenn sie sich Troy vorstellten? Wenn sie sich April vorstellten?

»Du hast echt Glück«, fuhr Troy fort. »Paris wird dich retten. Es wird dich vor einem weiteren langweiligen Abend in einem Zimmer voller kapitalistischer Drohnen retten.«

»Jaja, die bösen Kapitalisten immer.« April verdrehte die Augen und fuhr mit der schlechten Imitation eines englischen Akzents fort: »Hab ich ein Glück, dass ich mit ihresgleichen nicht in Berührung kommen muss. Ihr besessenes Profitstreben ist einfach so vulgär! Die haben überhaupt keine Klasse.«

April hoffte, ihre Traurigkeit ausreichend mit lahmem Humor kaschiert zu haben. Sie fühlte sich wie ein Glückspilz. Aber das lag nicht daran, dass sie einem großkotzigen beruflichen Termin und Unterhaltungen mit den klügsten (und unerträglichsten) Köpfen der Wall Street aus dem Weg gehen konnte.

Nein, April hielt es auch noch mit den Besten von ihnen aus, selbst wenn sie nicht wusste, wie der asiatische Markt an diesem Morgen aussah. Sie konnte sogar das neueste Trophäenweibchen der Szene ertragen, das unweigerlich dem Champagner übermäßig zusprechen und über Aprils diverse akademische Errungenschaften staunen würde, um am Ende jedem zuzuquietschen, der in Schaumweinspritzentfernung von ihr stand: »Troys Frau hat einen Uniabschluss in Möbeln!«

Aber inzwischen hatte April fast schon vergessen, wann man ihren Doktor der Kunstgeschichte zum letzten Mal mit Verkaufstalent im Möbelhaus verwechselt hatte. Troy hatte sie in letzter Zeit fast gar nicht mehr gefragt, ob sie ihn begleiten wollte. Jedes Mal »schaute er nur vorbei«, bei Veranstaltungen, die entweder von vornherein »ohne Ehefrauen« stattfanden oder einfach »zu langweilig« waren, als dass April hätte mitkommen wollen. Das war das Problem. Troy nannte sie einen Glückspilz, aber April tat sich schwer, dankbar dafür zu sein, dass sie Veranstaltungen aus dem Weg gehen durfte, zu denen sie gar nicht eingeladen worden war. Oder, noch schlimmer, bei denen ihre Anwesenheit überhaupt nicht erwünscht war.

Troy hörte auf, sie mitzunehmen, als die Dinge zwischen ihnen noch relativ gut liefen. Und jetzt – wer weiß? Wurde überhaupt von ihr erwartet, ihn zu begleiten? Am Ende fühlte sich April dann doch wie ein »Glückspilz«, denn jetzt, wo sie ein Flugticket nach Paris in der Hand hatte, musste sie sich keine weiteren Gedanken über die Nicht-Einladung an diesem Abend machen. Sie musste sich nicht die Frage stellen, ob das alles so beabsichtigt war.

»An deinem Akzent musst du aber noch arbeiten«, meinte Troy, als er sich neben sie stellte.

»Nur um das noch mal festzuhalten …« April wehrte Troys Arm ab, als er Anstalten machte, ihr mit dem Koffer zu helfen. »Ich begleite dich gerne zu deinen beruflichen Anlässen. Die Leute sind interessant. Und die Gespräche sehr anregend.«

»Lügnerin.«

Er drehte sich wieder um und warf seinem Spiegelbild einen lodernden Blick zu. April wusste nie, ob Troy das tat, weil er annahm, dass sie hinguckte, oder ob er dachte, dass sie eben nicht hinguckte.

»Was ist eigentlich so wichtig, dass du unbedingt heute Nacht noch losmusst?«, fragte er. Der erzwungen beiläufige Ton seiner Stimme verriet, dass er durchaus ein wenig Misstrauen hegte.

»Du weißt doch, wie das immer ist.« April überlegte, ob er seinen Argwohn wohl zugeben würde. »Möbel-Notfall. Ich muss da sein, bevor die Konkurrenz Wind von der Sache bekommt.«

»Aber normalerweise bist du nie länger als eine Woche weg, maximal zehn Tage, und so kurzfristig war es auch noch nie. Irgendwie ist es ein bisschen befremdlich, eine SMS mit der Mitteilung ›Ich muss auf Dienstreise‹ zu kriegen, und wenn man nach Hause kommt, packt die Frau ihre Koffer für einen ganzen Monat.«

Wirklich?, lag es April schon auf der Zunge. Stört dich das wirklich so?

Normalerweise hätte sie gewitzelt, dass er mal der Glückspilz sei, Ehefrau verreist und so weiter. Aber die Verletzungen waren noch so frisch, und die Langzeitprognose für ihre Beziehung noch nicht ganz klar.

»Mich hat es auch überrascht, wie dringend das war«, sagte April. Und sie war überrascht, aber auch dankbar. »Nach allem, was unsere Leute in Paris sagen, muss das ein Wahnsinnsfund sein. Da ist eine Frau in Südfrankreich gestorben, die immer noch ein Appartement in Pigalle hatte, das über ein Jahrhundert in Familienbesitz war. Beziehungsweise, es hat ihnen nie gehört, aber sie hatten einen Mietvertrag für hundert Jahre.«

Während sie sprach, begannen sich ihre verspannten Schultern und Kiefer zu lockern. In diesen Gewässern konnte April immer noch am besten navigieren.

»Die Frau«, fuhr sie fort, »also die Verstorbene, hatte die Wohnung seit 1940 nicht mehr betreten. Niemand hat die Wohnung überhaupt betreten. Irgendwie glaub ich ja immer noch, dass das nicht stimmen kann. Vielleicht sind die Informationen bei der Übersetzung irgendwie unter den Tisch gefallen, und die Wohnung ist einfach seit einer hässlichen Scheidung in den späten Neunzigern verrammelt und verriegelt geblieben.«

April merkte, wie sie beim Wort »Scheidung« innerlich zusammenzuckte, aber es war zu spät, es war bereits ausgesprochen. Dabei hatte sie so darauf geachtet, es zu vermeiden.

»Siebzig Jahre!«, zwitscherte sie, und ihre Stimme erfüllte den Raum bis unter die viereinhalb Meter hohe Decke. »Unvorstellbar!«

»Ich weiß nicht«, sagte Troy und zuckte mit den Schultern. Sein festes, wie versteinertes Gesicht verriet keine Regung. »So was passiert in Manhattan bestimmt auch dauernd. Da bleiben leere Wohnungen verschlossen, und irgendwelche Anwälte oder Treuhänder kriegen jeden Monat automatisch ihren Scheck, da macht sich keiner die Mühe, mal genauer nachzufragen.«

»Nicht bei einem Appartement wie diesem. Das ist nämlich offenbar bis unter die Decke vollgestopft mit Möbeln und Gemälden und im Grunde jedem Gegenstand, der vor dem Zweiten Weltkrieg in den Besitz der Familie kam.«

»Und, ist was richtig Tolles dabei?«

»Olivier scheint es zu glauben, sonst würde ich nicht hinfahren. Und wenn nicht, ist es immerhin Zeug, das seit Jahrzehnten nicht auf dem Kunstmarkt war. Nicht mal die Deutschen haben die Wohnung betreten.« April schüttelte staunend den Kopf. »Man müsste doch meinen, dass es zumindest irgendeinem fehlgeleiteten spielsüchtigen oder drogensüchtigen Familienmitglied in diesen ganzen Jahren einmal in den Sinn gekommen sein müsste, sich das alles unter den Nagel zu reißen.«

»Es sei denn, es ist alles bloß Schrott.« Troy griff sich sein Handy und tippte eine SMS. Seine vorher glatte Stirn runzelte sich. »Ein zwanghafter Sammler in Paris«, fuhr er fort, obwohl er sichtlich schon aus ihrem Gespräch ausgestiegen war.

April seufzte.

»Ach, Schatz, ich mach doch bloß Witze«, sagte er. Wie immer ruderte er in so einem Moment schnell wieder zurück, es war fast schon ein Reflex. »Es klingt total cool. Wirklich.«

War das seine Antwort auf ihren Seufzer? So hatte sie ihn gar nicht gemeint.

»Ja. Cool.« April wedelte mit der Hand, als bräuchte sie frische Luft. Eine willkürliche, unbedachte Geste, aber genug, um Troy noch einmal kurz von seinem Handy aufblicken zu lassen.

»Deine Ringe«, sagte er und starrte mit gerunzelter Stirn auf ihre Hand. »Sind die im Safe?«

April nickte und schaute auf ihren nackten Ringfinger. In Europa trug niemand seinen teuren Schmuck im Alltag, oder? Das hier hatte nichts mit ihrer Ehe zu tun, sondern mit ihrem Job. April biss sich auf die Lippe und musste ein plötzliches Stechen in den Augen wegblinzeln.

»Weißt du, Troy …«, begann April, aber er hatte sich schon wieder seinem Handy zugewandt und tippte auf den Tasten herum.

Auf einmal klingelte Aprils Handy. Das Auto war da. Sie ließ den Blick über ihren hübschen Mann und ihre hübsche Wohnung schweifen und dachte daran, wie glücklich sie einmal gewesen waren. Eine Weile war ihr Leben hell und strahlend gewesen. Ihr Zuhause hatte alles, was sie sich immer gewünscht hatte. Siebzig Jahre? Sie hatte gehofft, länger hier zu sein. Für immer.

»Du wirst mir fehlen«, sagte Troy und erschien neben April, als sie ihr Handy in die lederne Umhängetasche schob, die sie als Handgepäck mit in den Flieger nehmen wollte.

Als er sie umarmte und sein perfekt maskuliner Troy-Geruch die Luft rundum zur Gänze füllte, versuchte April noch einmal, ihn ganz in sich aufzunehmen. Sie versuchte den Gedanken gar nicht erst aufkommen zu lassen, ob oder wann sie ihn wieder so mit allen fünf Sinnen spüren würde.

Zärtlich küsste er sie auf den Kopf.

»Ich möchte nicht, dass du fährst«, sagte er mit einem lauten Seufzer. »Vielleicht könntest du es doch noch ein paar Tage aufschieben?«

Er klang so aufrichtig.

»Ach, keine Sorge«, sagte April und entzog sich seiner Umarmung. »Ich bin ja bald wieder da.«

Chapitre 3

Niemals würde April den Geruch dieser Wohnung vergessen.

Siebzig Jahre schienen wie nichts, nachdem sie die Pariser Wohnung erst einmal betreten hatte. Der stechende Geruch legte eher tausend Jahre nahe, wenn man Gerüchen denn überhaupt ein Alter zuordnen konnte. April atmete achtlos ein, und sofort erfüllten Staub und Parfüm ihre Augen, ihre Nase, ihren Mund. Diese süße Kratzigkeit sollte sich ab jetzt monatelang in ihrer Kehle festsetzen. Der Anblick sollte ihr noch viel länger eingebrannt bleiben.

Die Wohnung lag im neunten Arrondissement, am rechten Seineufer, in der Nähe der Opéra Garnier, des Folies Bergère, und des Rotlichtbezirks Pigalle. Das war genau das bunte Paris, wie man es sich vorstellte, das Paris der Schriftsteller und Künstler und Filmemacher. April vermutete, dass die Wohnung auch einmal bunt gewesen war, bevor die Zeit alles unter Staub und Vernachlässigung verschwinden ließ.

Auf ihrem Flug über den Atlantik ging April unermüdlich das Material durch, das Sotheby’s für sie zusammengestellt hatte. Die Wohnung hatte sieben Zimmer, ein Vorzimmer, einen Salon, ein Esszimmer, zwei Schlafzimmer, ein Badezimmer und eine Küche. Auf den Fotos sah die Wohnung nicht groß aus, aber die Opulenz war nicht zu übersehen: hohe Holzwände, rosa Damasttapeten, vergoldete Ornamente.

Doch die Hochglanzbilder konnten die Realität nicht angemessen vermitteln. Als sie erst einmal in der erstickenden Luft stand, war es einfach überwältigend. Diese ganzen Sachen, ein Zimmer nach dem anderen, vollgestopft mit Sachen. Troy hatte recht, dachte April lächelnd. Diese Frau war eine zwanghafte Sammlerin gewesen. Eine reiche, offenbar etwas protzige Sammlerin, aber trotzdem eine zwanghafte. Zum ersten Mal in ihrer beruflichen Laufbahn zweifelte April, ob sie genug Erfahrung hatte, um das hier zu bewältigen.

Während sie vorsichtig durch das Labyrinth aus Möbeln lief, hörte April Stimmen aus dem hinteren Bereich der Wohnung. Sie brannte darauf, von Olivier auf den aktuellen Stand gebracht zu werden, und obwohl sie am liebsten losgeprescht wäre, manövrierte sie sich weiter auf Zehenspitzen durch die schmalen Pfade, die sich durch die scheinbar unendliche Sammlung aus Spiegeln und Lehnsesseln und gestapelten Kunstwerken zogen, ganz zu schweigen von den ganzen ausgestopften Säugetieren und Vögeln. Im Geiste begann sie sofort, alles zu inventarisieren.

Zehn vorsichtige Schritte und zwei Meter später erspähte April schon wieder einen vergoldeten Louis-XVI-Schreibtisch, zwei Mahagoni-Sessel aus der Zeit George III., einen Savonnerie-Teppich aus der Zeit Charles X. und einen unglaublichen goldenen Kerzenständer aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. So verschnörkelt und zugerankt hatte diese Wohnung regelrecht ein Eigenleben. Man hatte fast den Eindruck, als wollte sie sich entfalten und irgendjemanden erstechen.

An jeder Ecke erlebte man die nächste Überraschung. Direkt neben Objekten, die schon vor hundert Jahren problemlos als Antiquitäten durchgegangen wären, stieß April auf einen zwei Meter großen ausgestopften Vogel Strauß und eine Mickey-Mouse-Puppe, die dahinter in der Ecke lag. Während sie ihre Kollegen schon durch den Türspalt beobachtete, wich April einem umwerfenden schwarz-goldenen Schreibtisch mit Japanlack aus und wäre dabei fast gegen ein ebenso zweckmäßiges wie schnödes Bücherregal gerannt, auf dem sich Papiere stapelten.

»Ah, Madame Vogt«, sagte eine Stimme. »Willkommen in Paris. Sie haben die Regenzeit verpasst.«

April schlüpfte rasch durch die Tür, wo Olivier mit zwei anderen Männern zusammenstand. Einen der beiden hatte sie schon einmal bei einer Auktion in New York gesehen. Er war in irgendeiner Funktion für Sotheby’s tätig, und sie konnte sich noch gut an ihn als schmuddeligen Betrunkenen erinnern, der mehrmals versucht hatte, ihre Assistentin zu begrapschen. Aber vielleicht verwechselte April die ganzen Franzosen auch bloß wieder.

»Bonjour«, sagte sie. »Freut mich sehr, Sie wiederzusehen, Olivier.«

»Bonjour, Madame Vogt!«, sagte der andere Franzose mit der verschlagenen Ausstrahlung. »Wie läuft’s in New York? Ich versuche schon seit Monaten, mal wieder rüberzufliegen.«

Ach, richtig, jetzt konnte sie sich wieder an ihn erinnern. Er hieß Marc, und er war tatsächlich der Mann, der ihre Assistentin Birdie beinahe angefallen hätte. April versuchte, ein höhnisches Grinsen zu unterdrücken, küsste ihn höflich auf beide Wangen und murmelte die üblichen französischen Höflichkeitsfloskeln, in der Hoffnung, dass ihre Verachtung nach der guten altmodischen Pariser Reserviertheit aussah.

Neben Olivier und Marc stand ein schlaksiger Mann mit schlaffem schwarzem Haar und einem lavendelfarbenen Hemd. Aprils Augen mussten einfach den eleganten Säumen folgen, die am Hosenbund säuberlich und präzise unter den Nadelstreifen verschwanden. Ihr Blick blieb auch kurz an seinen beneidenswerten Hüften und dem Oberkörper hängen, dessen Form irgendwie nach Durchsetzungsvermögen aussah, oder nach Dreistigkeit oder irgendetwas anderem, was sie nicht recht benennen konnte. April begann schon zu erröten, als sie auch noch die Zigarette bemerkte, die ihm aus dem Mundwinkel hing.

»Sie können hier drin nicht rauchen!«, schrie April. Der kleinste Funken konnte die ganze Wohnung in Flammen aufgehen lassen, das war doch offensichtlich. »Machen Sie sie aus! Machen Sie die Zigarette aus!«

Der Mann lachte glucksend, ließ seine Zigarette fallen und trat sie mit einem blank geputzten Loafer auf dem Parkett aus. Ohne groß nachzudenken, bückte sich April und hob die Kippe auf. Sie wedelte damit durch die Luft, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich aus war.

»Sie sind ja ein engagierter Anti-Raucher«, stellte der Mann grinsend fest, während April die Kippe in ihrer Tasche verschwinden ließ.

»Sie gehört zu unserem Team«, sagte Olivier, als wollte er ihr Verhalten erklären oder entschuldigen. »Das ist April Vogt. Sie ist unsere Spezialistin für europäische Möbel.«

»Ah«, sagte der jetzt nicht mehr rauchende Eindringling mit starkem französischem Akzent. »L’Américaine.«

»April Vogt.« Sie hielt ihm die Hand hin. Er grinste wieder, nickte und zog sie dann zu sich heran, um sie mit den üblichen zwei Wangenküsschen zu begrüßen. Er roch nach teuren Zigaretten und einem noch teureren Rasierwasser. April fühlte sich unwohl bei dieser traditionellen, aber unvermeidlich persönlichen Geste.

»Das ist Luc Thébault«, sagte Olivier. »Er ist der Anwalt von Madame Quatremer.«

»Madame Quatremer?«

»Die Verstorbene. Das hier war ihr Appartement.«

»Das ist so nicht ganz richtig«, sagte Luc und stützte einen Arm auf einen Stuhl. April schauderte, als sie unter dieser gedankenlosen, laienhaften Berührung den Preis geradezu sinken sah. »Technisch gesehen vertrete ich nicht Madame Quatremer, sondern die Immobilie. Tote können normalerweise nämlich keine Anwälte beschäftigen. Diese Wohnung gehörte jedenfalls ihrer Großmutter. Madame Quatremer wohnte in Sarlat und hat es nie hierher geschafft, wie Sie aus dem Zustand der Einrichtung wahrscheinlich schon schließen konnten.«

»Und Monsieur Thébault hat uns wegen all dieser Objekte angerufen«, erklärte Olivier. »Wofür wir ihm sehr dankbar sind.«

»Das sollten Sie auch sein.« Luc wandte sich zu April. »Sie …«, sagte er und musterte sie von oben bis unten, »… könnten fast als Französin durchgehen. Ich hatte nicht erwartet … so etwas hier anzutreffen.«

April lächelte schwach. Als sie vor Jahren den Kuratorenposten an einem Pariser Museum für Möbel aus dem 18. Jahrhundert ergattert hatte (das Museum gab es heute nicht mehr), las sie sich an, was man tun musste, um wie eine Pariserin auszusehen. Beziehungsweise, um nicht ganz so amerikanisch auszusehen. Dazu musste man schicke dunkle, maßgeschneiderte Kleidung tragen, wie ihr die Literatur erklärte; Stücke, die sich leicht untereinander kombinieren ließen und immer zueinanderpassten, die man überstreifen konnte, um dann auszusehen, als hätte man sich kaum gestylt. Das entsprach mehr oder weniger ihrem derzeitigen Erscheinungsbild, dachte April: geradlinig, dunkel und maßgeschneidert, mit glasklaren Linien. Haare, Augen, Nase: alles lässig zusammengestellt, Basics, an denen es wenig auszusetzen gab. Alles, was sie brauchte, um herauszustechen, war ein auffälliger Schal und ein Breton-Top. Das war die Goldene Regel Nummer zwei beim Französin-Spielen.

»Gar keine Antwort, Madame Vogt?«, fragte Luc. »Gar nicht so redselig, wie Sie sein müssten. Ich dachte immer, dass Amerikaner pausenlos schwatzen.«

Er bewegte seine Hand, um eine schnatternde Ente zu imitieren.

»Sieht so aus, als würden wir unsere Worte mit etwas mehr Bedacht wählen als andere Leute.« April hob das Kinn, dann drehte sie sich zu Olivier um. »Also, Olivier. Ich glaube, wir haben einiges an Arbeit vor uns.«

Sie spähte ihm über die Schulter und entdeckte einen Louis-Philippe-Malachit-Tisch, der an einem prunkvollen Louis-XVI-Sofa aus Walnussholz lehnte. Sie bekam ganz große Augen. Die Schätze schienen sich zu vermehren, wo sie auch hinblickte.

»Einige von diesen Stücken – sind ganz unglaublich.« Ihre Stimme klang ehrfürchtig und gleichzeitig ein wenig traurig.

April dachte an das Möbelmuseum, das damals hatte schließen müssen, und runzelte die Stirn. Was, wenn es damals nicht untergegangen wäre? Was, wenn sie nur noch einen Monat länger in Paris geblieben wäre? Oder zwei Monate? Sie hatte Troy am Flughafen kennengelernt, als sie die Stadt gerade verließ. Er nahm in der Air-France-Lounge schräg gegenüber von ihr Platz, eine ganz zufällige Begegnung. Sie war noch nie zuvor in einer Business-class-Lounge gewesen, und ganz bestimmt hätte sie sich nicht von irgendeinem x-beliebigen Typen anquatschen lassen. Damals dachte April, wenn man eine Stadt in Schande verlassen musste, konnte man es zumindest würdevoll tun. Unerklärlicherweise fand Troy sie anziehend und ließ sich nicht abschrecken von dieser dunkelhaarigen Frau, die ihre Tränen hinunterschluckte, während sie den ersten Traum ihres Erwachsenenlebens aufgeben musste.

»Das ist doch kein Grund zum Weinen, Madame Vogt«, sagte Luc. »Das sind doch bloß Möbel.«

»Ich weine nicht«, schnauzte sie zurück. »Und überhaupt – ›bloß Möbel‹? Ich bitte Sie! Allein mit den Stücken in diesem Zimmer könnten Sie ein ganzes Museum füllen!«

»Vergessen Sie mal kurz die Stühle und Schreibtische, Madame Vogt«, sagte Olivier und schnipste mit den Fingern, um Aprils Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er deutete auf die Stelle vor sich. »Sehen Sie das? Das Gemälde da?«

April beschrieb einen weiten Bogen um Luc und ging auf Olivier zu. Vor ihm an der Wand lehnte das Portrait einer Dame. Es war fast so groß wie April, und obwohl die Frau nur im Profil gezeigt wurde, konnte man erkennen, dass sie zweifellos umwerfend ausgesehen hatte.

Das Modell posierte auf einer mauvefarbenen Liege und blickte vom Maler weg. Ihr Haar war braun und zerzaust und so locker zurückgenommen, dass die Frisur eigentlich mehr aufgelöst als hochgesteckt wirkte. Sie trug ein wundervolles, luftiges rosa Kleid, das ihre untere Körperhälfte umschlang wie ein Meerjungfrauenschwanz. Trotz ihres majestätischen Kleides war der Schmuck der Frau eher spartanisch und spärlich, und ihr Gesicht zeigte eine unglaublich reine Art von Schönheit.

»Die sieht ja toll aus«, sagte April, die in Gedanken immer noch bei ihren Möbeln war, aber die Augen doch nicht von dem Bild losreißen konnte. »Einfach toll.«

»Toll, ja. Aber sehen Sie das? Sehen Sie, was das ist?«

April trat einen Schritt näher an das Bild und ins Sonnenlicht.

»Machen Sie bitte mal die Fensterläden zu«, bat sie und hielt ihre Tasche hoch, in einem vergeblichen Versuch, das grelle Licht abzuschirmen, das durch die Fensterscheibe fiel. »Wir müssen vorsichtig mit diesen Objekten umgehen.«

»Die Dame«, drängte Olivier noch einmal. »Madame Vogt. Das Bild.«

April hielt inne. Sie sah noch einmal genauer hin, stellte erneut fest, wie spartanisch der Schmuck der Frau war (eine schmale Perlenkette, ein Ring an jeder Hand) und dass ihr Ausschnitt geradezu aggressiv ausgefallen war. Wäre das Gemälde ein Foto von heute gewesen, hätte es jemand vergrößert, um vielleicht einen Blick auf eine Brustwarze erhaschen zu können.

Dann sah sie es. Die Farben. Die Pinselstriche. Dieser unverwechselbare kühne Pinselstrich.

»Oh mein Gott«, sagte April und schob sich die Hände unter die Achselhöhlen. Sie hätte das Gemälde am liebsten berührt. Sie wollte es ganz dringend berühren. Das machte die eine Hälfte der Gründe aus, die sie in diese Branche gelockt hatten. Sie durfte Dinge berühren, die die Allgemeinheit nicht anfassen durfte.

»Was meinen Sie?«, fragte Olivier. Das war eine Herausforderung, keine Frage. Er wollte Details. Er wollte seine Notizen mit ihr abgleichen.

»Boldini«, flüsterte sie. »Ich glaube, das ist ein Boldini. Aber das kann doch nicht sein. Oder?«

»Ja!« Olivier klatschte in die Hände und sang fast vor lauter Genugtuung. Er hatte sowohl das Portrait gefunden als auch die richtige Person für diesen Job. Er wandte sich zu Marc. »Sehen Sie? Ich hab’s Ihnen doch gesagt. Sie meinten: ›Non, c’est impossible!‹ Aber Madame Vogt sieht es auch.«

»Ich dachte, sie ist Möbelexpertin«, bemerkte Marc.

Luc schnaubte. April musste ihm unwillkürlich einen finsteren Blick zuwerfen.

»Ja, aber ich kenn mich eben auch mit anderen Dingen ein bisschen aus«, gab sie zurück.

In der Tat war es unmöglich, jahrelang intensiv Kunstgeschichte zu studieren und obendrein auch noch in Paris zu leben, und dann nicht in der Lage zu sein, einen kleinen Giovanni Boldini zu identifizieren. Der »Meister des kühnen Pinselstrichs« war damals der berühmteste Portraitmaler der Welt. Im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert war man ein Niemand, bevor Boldini einen nicht gemalt hatte. Diese Frau war jemand.

»An dieses Gemälde kann ich mich gar nicht erinnern«, sagte April. »Das Portrait von Madame Juilliard, ja, Lady Colin Campbell, die Herzogin von Marlborough, und auch mehrere von Donna Franca Florio. Aber diese Dame hier nicht.«

Aprils Herz klopfte jetzt wie wild. Sie mochte Boldini. Sie mochte ihn sehr. Seine Meisterhaftigkeit in der Portraitmalerei war unbestritten. Doch obwohl sie schon ein Dutzend oder mehr seiner Portraits gesehen hatte, war es April beim Betrachten noch nie so ergangen wie hier. Diese Frau war schön, ja. Aber sie war noch mehr als das. Sie hatte Präsenz.

»Ich kann das gar nicht glauben«, flüsterte April.

»Soweit ich weiß, ist das gar nicht in seinem Werkverzeichnis aufgeführt«, sagte Olivier. »Ob das wohl eine Fälschung sein könnte?«

Nein. Das war keine Fälschung. Das wusste April schon jetzt.

»Wenn, dann wäre es eine verdammt gute«, sagte sie. »Andererseits …« Sie hielt einen Moment inne und tat so, als würde sie die Möglichkeit tatsächlich in Erwägung ziehen. »Wer würde einen Boldini jahrelang wegsperren? Der musste nicht erst sterben, um berühmt zu werden, der war damals schon bekannt. Wer würde so was tun? Und warum?«

»Wer ist denn Boldini?«, erkundigte sich Luc, während er sich eine neue Zigarette ansteckte.

»Können Sie die bitte wieder ausmachen?«, giftete April. »Ich möchte nicht, dass nachher in allen Sachen dieser Geruch hängt.«

Luc gackerte und sagte irgendetwas zu Olivier. April machte gerade den Mund auf, um sie daran zu erinnern, dass ihr die französische Vokabel für »verkrampft« durchaus bekannt war. Da bemerkte sie neben der Wand die mauvefarbene Liege, die auf dem Portrait abgebildet war. April verschlug es den Atem. Auf einmal konnte sie diese Frau auf diesem Möbelstück sitzen sehen. Sie sah sie vor sich, wie sie an ihrer Frisierkommode saß, um einen Brief zu schreiben, und in irgendeinem der hundert Spiegel ihr Bild anstarrte. Und dieses Zimmer, das vor zehn Minuten noch tot gewesen war, fühlte sich auf einen Schlag ganz lebendig an.

Chapitre 4

April hatte in ihrer Laufbahn Hunderte von Auktionen geleitet. Die Beutestücke kamen meistens von verschiedenen Varianten desselben Ortes: Großmutters Pfarrhaus oder Vaters Landsitz oder irgendein Penthouse, das gerade auf den Markt gekommen war. Im Gegensatz zur Welt der Gegenwartskunst, wo die Objekte mittlerweile wie Aktien gehandelt wurden – aus Sportsgeist oder Profitstreben –, kamen die kostbaren Stücke, mit denen April arbeitete, immer durch die drei großen Dramen in ihre Hände: Schulden, Scheidungen und Todesfälle. Die Objekte, die sie hier vor sich sah, stammten aus der Wohnung einer verstorbenen Frau, ja, aber überdies stammten sie auch aus der Vergangenheit. Zahllose Objekte mit Museumswert, unberührt, nur kuratiert von Spinnen und Geistern.

April streifte ihre Handschuhe über und näherte sich der Liege.

»Madame Vogt?«, sagte Olivier. »Madame Vogt, hören Sie zu?«

»Oh, wie bitte? Entschuldigen Sie, ich war gerade …«

Sie hatte fast vergessen, dass ihre Kollegen immer noch da waren.

»Wir gehen kurz nach draußen, um uns zu unterhalten und eine zu rauchen. Dann können Sie viel besser arbeiten, bien sûr.«

»Merci.«

»Ich würde Sie ja einladen, uns Gesellschaft zu leisten, aber ich nehme an, Sie sind ohnehin nicht interessiert.«

»Bitte, gehen Sie nur. Ich bleibe hier und werde mir einen Plan ausdenken, wie sich die Objekte am besten sichten und inventarisieren lassen. Hier ist so viel zu tun!«

April versuchte, ihre Freude nicht allzu deutlich zu zeigen. Ja, bons messieurs, bitte gehen Sie hinaus. Sie wollte allein sein mit dieser Frau und ihren Sachen.

»Ah, das berühmte amerikanische Arbeitsethos«, sagte Luc. »Très bien!«

»Na ja, ich bin schließlich hierhergekommen, um diese Arbeit zu machen.«

Unerklärlicherweise lachten die drei Männer darüber.

»Fangen Sie nicht ohne uns an, die Prämien zu kalkulieren!«, rief Olivier ihr noch zu, bevor die drei die Wohnung verließen.

Sie nickte und rang sich ein Lächeln ab. Die Tür wurde mit einem gedämpften Klicken ins Schloss gezogen. April schoss quer durchs Zimmer zu dem Bücherregal, das in der Nähe des Flurs stand.

Es war das Bücherregal, das sie beim Eintreten fast umgerannt hätte. Das Möbelstück selbst war ihr egal. Es war zwar alt, hatte aber eher das Flair eines College-Schlafsaals als eines Edelpuffs und würde bei einer Auktion nicht viel bringen. Aber die Fächer waren mit Papieren vollgestopft, wie sie gesehen hatte, als sie sich vorhin ihren Weg durch das Labyrinth bahnte. Auf jeder Oberfläche lag ein Stapel, auf jedem Stapel noch fünf weitere kleine Stapel. Die Bewohnerin dieses Appartements war entweder eine äußerst produktive Schriftstellerin gewesen oder der Albtraum eines jeden Gerichtsvollziehers in Paris.

Was sie hier tat, war keine Schnüffelei, sagte sich April. Nicht wirklich. Es ging ihr darum, die Herkunft all dieser Objekte zu klären. Und diese Dokumente würden ihr dabei helfen.Vielleicht war darin ja irgendwo das Gemälde erwähnt. Das war zwar nicht besonders wahrscheinlich, aber es reichte ihr als Vorwand.

April nahm einen Stapel in die Hand, dann noch einen, und noch einen dritten, und riss das Papier aus seinem siebzigjährigen Schlaf. Die Dokumente wurden von verblichenen Bändern zusammengehalten: grün und rosa und hellblau. Das Papier an sich war vergilbt und so alt, dass es kaum mehr wog als die Spinnweben, die hier überall hingen. Die Schrift war nur noch schwach zu sehen, zum Teil unlesbar, aber als April die Seiten durchblätterte, schienen die Worte deutlicher zu werden und die Sätze sprangen dem Betrachter ins Auge.

Mit den Papieren in der Hand bewegte April sich langsam zum Fenster. Sie blickte auf die Straße hinunter, wo Olivier, Marc und Luc auf den Bordstein spuckten. Das Bleiglas dämpfte ihre Stimmen nicht im Geringsten. Sie hatte ein wenig Zeit. April wusste aus Erfahrung, dass Olivier nur schwer den Mund halten konnte, wenn er erst mal in Fahrt war.

Sie setzte sich auf den Stuhl, von dem sie vorher Luc verscheucht hatte. April legte sich den ersten Stapel auf den Schoß und entknotete das hellgrüne Band. Sie löste die Blätter vorsichtig voneinander und betrachtete die Dokumente. Rechnungen. Briefe. Tagebucheinträge. Ihr Herz begann zu rasen.

Die Zahlen schienen nicht zu stimmen. Madame Quatremer ließ die Wohnung 1940 versiegeln. Boldini – wenn das Gemälde denn ein Boldini war – war 1931 gestorben. Aber diese Daten? Die konnten einfach nicht stimmen.

Sollten sie jedoch stimmen – für den unwahrscheinlichen Fall, dass diese Daten wirklich korrekt waren und nicht von Madame Quatremer und ihrem gerissenen Anwalt Luc verfälscht worden waren –, dann war diese Geschichte nicht siebzig Jahre alt, sondern noch älter.

Auf dem Blatt, das April in der Hand hielt, stand in säuberlicher, enger Schrift: »2. Juli 1898«. Das stammte nicht aus dem letzten Jahrhundert, sondern aus dem Jahrhundert davor. Sie warf einen Blick auf das Bücherregal. Wie weit gingen diese Aufzeichnungen zurück?

April überflog die Briefe und musste sich ein Lächeln verbeißen. Die Frau, die dies geschrieben hatte, war mutig, frei und verdammt witzig. Ihre Formulierungskünste waren tadellos, auch wenn sie Wörter wie »Flatulist«, »Männlichkeit« und »Brustwarzen« einstreute. Wenn diese Briefe und Tagebucheinträge echt waren – und April wusste natürlich, dass sie das waren –, dann hatte die Verfasserin wirklich Courage. Sie war unerschrocken. Andererseits hatte sie natürlich auch nicht wissen können, dass hundert Jahre später eine Amerikanerin in ihren Besitztümern wühlen würde.

Schuldgefühle befielen April, und sie knotete die Bänder um die Stapel wieder zusammen. Diese Dokumente gehörten nicht zur Quatremer-Erbmasse, zumindest nicht im Hinblick auf die Interessen des Auktionshauses. Entblößte Haut und gastro-intestinale Problemchen würden niemandem dabei helfen, die Herkunft der Kunstobjekte zu klären, sosehr April es sich auch gewünscht hätte.

Als sie gerade ein Band wieder zu einer Schleife schlang, fiel ihr ein einzelner Satz ins Auge. Ihr erster Gedanke war: Gott sei Dank, ich trample nicht komplett in der Privatsphäre eines anderen Menschen herum.

Ihr zweiter Gedanke war: Oh mein Gott, wir hatten recht. Dieses Gemälde ist ein Boldini.

Chapitre 5

Paris, 20. Juli 1898

Ich habe heute für Boldini Modell gesessen. Mal wieder.

Nur noch ein paar Skizzen, dann kann er loslegen, hat er versprochen. Ein paar Skizzen? Dieser Mann und sein ständiges Gekritzel treiben mich noch ins Irrenhaus! Um ehrlich zu sein, es wäre mir eine willkommene Abwechslung. Dann hätte ich zumindest nichts mehr mit diesem gottverdammten Portrait zu schaffen. Das Ganze ist wirklich vergebliche Liebesmüh – er hat ja noch nicht mal den Pinsel in die Hand genommen! Dies allen Frauen zur Warnung: Ein berühmter, gut aussehender Künstler, der einen zeichnen soll, ist kein allzu romantisches Szenario.

Drehen Sie sich hierhin, drehen Sie sich dorthin, sagt er. Er runzelt die Stirn, finstere Brauen, grimmige Bemerkungen und viel zerknülltes Papier. Und dann fangen wir wieder von vorne an. Habe ich schon erwähnt, dass es heiß ist? Mörderisch heiß? In dieser Hitze und diesen Dämpfen dachte ich, ich falle jeden Moment vom Sofa. Wenn dieses ganze Theater nicht so typisch Giovanni wäre, wäre ich beleidigt. Es ist nicht das erste Mal, dass er so was macht.

»Sie sind doch eigentlich ein Maler«, sagte ich zu ihm. »Kein Zeichner!«

Er würdigte die Bemerkung keiner Antwort, aber ganz ehrlich: Es gibt Perfektionismus und es gibt Wahnsinn, und er bewegt sich gefährlich nah an Letzterem. Der »Meister des kühnen Pinselstrichs« – allerdings! Es würde ihm ganz gut zu Gesichte stehen, ein paar kühne Pinselstriche weniger zu tun.

Das letzte Mal hat mich Marguérite begleitet. Sie meinte, ich mache es ihm nicht einfach, worüber ich lachen musste. Hätte sie schon mal erlebt, dass ich es irgendeinem Mann einfach mache? Nein, tatsächlich lege ich es meistens auf das genaue Gegenteil an. Wie auch immer – Monsieur Boldini hat diese Behandlung auf jeden Fall verdient. Ich reize ihn. Ich warne ihn davor, den succès de scandale seines letzten Werkes zu wiederholen. Gott stehe mir bei, wenn mir ein Träger von der Schulter rutscht und ich die nächste Madame Gautreau werde.

Aber das ist alles durchaus lustig gemeint, und das weiß er auch. Außerdem würde er niemals Sargents künstlerische Fehleinschätzung wiederholen, ganz egal, wie oft ich ihm sage, dass er Gefahr läuft, genau das zu tun (und ich sage es ihm wahrlich oft). Im Gegensatz zu Sargent wird Giovanni vorsichtig zu Werke gehen. Er hält das Geschäft ebenso in Ehren wie die Kunst und hat überhaupt kein Verlangen nach la vie de bohème. In gewisser Hinsicht sind wir uns ziemlich ähnlich.

Wahrscheinlich könnte ich die Zügel sogar ein bisschen lockern, aber was ich Marguérite nicht verraten habe – ja, was ich nicht mal Giovanni selbst verraten habe –, ist der Umstand, dass ich nicht nur aus Ungeduld an ihm herumnörgle. Wir stehen nämlich durchaus unter einem gewissen Zeitdruck. Wenn Madame Gautreaus Träger schon den Ruf gleich mehrerer Persönlichkeiten bedrohte, mag ich mir gar nicht ausmalen, was los wäre, wenn Boldini nächstes Jahr im Salon ein Bild von einer Frau ausstellen würde, deren Schwangerschaft bereits fortgeschritten ist. Noch dazu eine unverheiratete Frau! Mon Dieu!

Es lässt sich leidlich gut verbergen, aber der Moment wird kommen, in dem ich Giovanni, Marguérite und ganz Paris beichten muss! Vorerst werde ich das Unvermeidliche so lange wie möglich hinausschieben. Ich habe noch nicht entschieden, was ich Boldini sagen werde. Werde ich sagen, dass das Kind von ihm ist? Werde ich sagen, dass es das Kind eines anderen ist? Mir gefällt der Gedanke nicht, diesen Mann anzulügen, ganz besonders in Anbetracht der Lügen und Geheimnisse, die sich um meine eigene Abstammung ranken. Andererseits kann eine Frau auch nicht ausschließlich von noblen Gedanken leben. Manchmal muss man lügen, um die Wahrheit leben zu können.

Chapitre 6

Paris, 1. August 1898

Boldini, dieser Hund! Seine neueste Skizze ist einfach völlig inakzeptabel. Und er gedenkt sie trotzdem zu benutzen! Eine grässliche Situation. Er ist so ein Stück Dreck!

Die Skizze war eine reine Fingerübung, sagte er. Ich hätte es besser wissen müssen, und tatsächlich legte ich Protest ein, sowie er zum Stift griff. Ich war mitnichten in der Verfassung, in der man sich unsterblich machen lassen möchte – nachdem ich auf meiner violetten Ruheliege gerade très horizontale mit ihm gewesen war.

»Du siehst grandios aus«, sagte er, obwohl das selbstverständlich überhaupt nicht der Fall war. Ich hatte mich gerade erst wieder aufgesetzt. Meine Augen waren klein, mein Haar war zerzaust und ohne jede Fasson. Ich hatte im Bettzeug ein Armband verloren, und mein weißer Puder war fast völlig von der Haut gerieben worden.

Und mein Kleid! Vom Zustand meines Kleides mag ich kaum sprechen. Du liebe Güte: zerknitterte Ärmel, faltiges Oberteil, und nicht mal komplett zugeschnürt. Obendrein hasse ich dieses Kleid. Das wollte ich eigentlich nie kaufen! Ich muss wohl ein paar Worte zu diesem Kleid verlieren. Ich hätte wissen müssen, dass dieses verdammte rosa Ding noch meinen Untergang besiegeln würde. Und wenn Boldini nun seinen Kopf durchsetzt, dann wird mich dieses verdammte Kleidungsstück auch noch überleben!

»Mach nur weiter, wenn du willst, dass ich dir die Hand breche, mit der du deine Skizzen machst«, warnte ich ihn, als er nicht aufhören wollte zu zeichnen. »Bitte leg deine Zeichenutensilien weg.«

»Ich sag dir doch die ganze Zeit, das sind nur Fingerübungen«, versprach er. »Du siehst so wunderschön aus, ich muss das einfach festhalten.«

»Du bist weiß Gott ein begabter Schlangenbeschwörer. Aber ich bin keine Schlange, also lasse ich mich auch nicht beschwören.«

»Keine Sorge«, sagte er, und die Andeutung eines Lächelns spielte auf seinen Lippen. »Das ist bloß für mich, für meinen Privatgebrauch. Vertrau mir, meine Liebe, du hast noch nie so großartig ausgesehen. Daran möchte ich eine Erinnerung haben.«

Wie konnte ich dagegen Einwände erheben? Ich entspannte die Schultern und hörte auf, nach einer Pistole Ausschau zu halten.

Was für eine dumme, dumme Frau ich doch bin.

Einen Moment lang war das Ganze gar nicht mal so unmöglich. Es hatte sogar etwas Vergnügliches, ein Wunder, Giovanni tatsächlich einmal bei der Arbeit lächeln zu sehen, wo er sonst nur Grimassen zieht und schreit und sich aufführt wie das launische Kind, das er eben ist. Er nannte mich schön und perfekt, und jeder, der mit Giovanni vertraut ist, weiß, dass das aus dem Munde dieses Mannes gewaltige Worte sind.

Irgendwann war er fertig. Als ich aufstand, blieb er an seinem Zeichentisch sitzen, grinste wie ein Wahnsinniger und umklammerte den Bleistift mit der Faust. Ich sagte das Einzige, was ich in diesem Moment sagen konnte: »Merde.«

Giovanni warf unter irrem Gelächter den Stift auf den Boden, klatschte in die Hände und beschloss, dass er genau diesen Entwurf malerisch umsetzen würde! Nicht den, an dem wir wer weiß wie viele Wochen gearbeitet hatten. Nicht den mit dem sorgfältig ausgewählten Kleid, dem richtigen Schmuck und dem in perfektem Winkel geneigten Kopf. Donna Franca Florio selbst (anspucken möchte ich sie!) könnte niemals so gut aussehen. Aber nein, er wollte dieses hier, in aller Hast hingeworfen, in aller Grausamkeit gemalt!

»Auf nach Monte Carlo!«, sagte er dann.

Nach Monte Carlo! Einen ganzen Monat! Ich hätte ihn am liebsten gewürgt. Und selbst diese Behandlung schien mir in diesem Moment noch zu gnädig.

»Mon Dieu!«, sagte ich.

Er lachte.

»Sprich nie wieder mit mir!«, sagte ich.

Er lachte.

Dummer, grässlicher, erbärmlicher Mann. Erst kann man unter seinem Schnurrbart monatelang kein verdammtes Lächeln hervorlocken, und dann auf einmal ist er aufgekratzt wie ein Irrer.

»Ich hoffe, deine Genitalien verfaulen und fallen dir ab!«

Und dann erzählte ich es ihm.

Natürlich musste ich es ihm erzählen. Ich hatte es die ganze Zeit vorgehabt, aber sein unschickliches Benehmen beschleunigte mein Vorhaben. Wie sich herausstellte, hatte er die Veränderungen an mir schon bemerkt. Er hatte die neue Rundung meines Bauches und meiner Brüste gesehen. Auf der Straße und auf Gesellschaften ließ es sich noch leicht verstecken, aber man kann schließlich nicht ständig Korsett tragen. Nun, manche Leute mögen so etwas vielleicht, nicht jedoch Monsieur Boldini.

»Ich hab mir so meine Gedanken gemacht«, sagte er, als es passiert war, als ich mein Geständnis gemacht hatte und wir beide Dinge sagten, die wir schon wieder bereuten. »Als du nicht wieder in dein Kleid reingekommen bist.«

Was für eine Unverschämtheit!

Ich hätte ihn am liebsten angeschrien und daran erinnert, dass es bestimmte Gentlemen in dieser Stadt gab, die rücksichtsvoll genug waren, eigens Friseure und Zofen zu beschäftigen, für den Fall, dass sich eine Dame nach einem Besuch ein wenig zerzaust fühlte. Hier ein bisschen anziehen, dort ein bisschen zupfen, sodass man wieder perfekt in Form war! Monsieur Boldini begriff nicht, dass nicht jede Frau die Schande leiden muss, sich ohne Korsett nach Hause zu schleichen!

»Du bist auch nicht davon befreit, mir bei diesen Dingen auszuhelfen«, sagte ich zu ihm. »Dieses Kleid schnürt sich bestimmt nicht von alleine wieder zu.«

»Nein«, stimmte er mir zu, »es sei denn, es hätte sehr große Hände.«

Dieses Kleid! Dieses vermaledeite Kleid! Ich verabscheute es in der ersten Sekunde, in der ich es erblickte! Und jetzt würde es auf einem Gemälde unsterblich gemacht werden, durch die Hand des »Meisters des kühnen Pinselstrichs« höchstpersönlich.

Ach. Ich muss wohl ein paar Worte zu diesem Kleid verlieren.

Anfang der Woche hatte Doucet, mein bevorzugtes Schneideratelier, eine Frau mit drei Kleidern vorbeigeschickt. Das Modell kam mir sofort bekannt vor. Sie zog das erste Kleid an. Ich sagte Nein. Sie zog das zweite an. Wieder sagte ich Nein. Und die ganze Zeit bemühte sich mein Gehirn, diese Frau in den richtigen Zusammenhang zu setzen. Als sie schließlich das dritte Kleid anzog, ein leicht durchsichtiges Stück mit tiefem Ausschnitt und zeltartig weiten Ärmeln, fiel es mir endlich wieder ein. Ich musste ein Kichern unterdrücken, denn bei unserem letzten Zusammentreffen war die junge Dame in der Tat in einer äußerst unfeinen Lage gewesen!

Wie so oft ist alles zurückzuführen auf Marguérite. Sie ist meine engste Freundin, und das Wort »Freundin« ist tatsächlich nicht stark genug, um unsere Beziehung zu beschreiben. Doch so wunderbar sie sein mag, man muss schon aufpassen mit dem, was man der lieben Marguérite so erzählt. Vor ein paar Monaten beschloss ich, ihr eines meiner größten Schönheitsgeheimnisse anzuvertrauen. Sie jammert ständig über ihre unreine Haut und ihren schlechten Atem. Ich empfahl ihr einen täglichen Einlauf, um diese Probleme zu lösen, vergaß aber hinzuzufügen, dass man diese Maßnahme am besten in ganz privatem Rahmen vornimmt. Wenn man es mit Marguérite zu tun hat, muss man solche Dinge unbedingt dazusagen!

Als ich sie am nächsten Tag besuchte, traf ich sie an, wie sie am Kamin lehnte, ihre robe d’intérieur bis zur Taille hochgerafft. Eine Zofe ließ ihr ebenjene Behandlung angedeihen, die ich ihr empfohlen hatte. Nicht weniger als vier arabische Diener beobachteten die Prozedur, und die Augen drohten ihnen dabei schier aus dem Schädel zu fallen. Oh, Marguérite!

An diesem Tag also, als das Modell in einem rosa Kleid vor mir stand, das fast genau dieselbe Farbe hatte wie Marguérites Untergestell, meldete sich die Erinnerung zurück. Vor mir stand die ehemalige Zofe, die ihr den Einlauf verabreicht hatte! Eine kluge Frau. Sie hatte nicht lange gebraucht, um eine andere Arbeit zu finden. Und sie war tatsächlich zu hübsch, um sich mit Marguérites Hinterteil zu befassen.

»Na, Sie haben ja wirklich einen Schritt nach oben gemacht«, sagte ich lachend.

»Wie meinen?« Die Frau drehte sich, um das Kleid besser zu präsentieren.

»Sie brauchen sich nicht zu schämen«, sagte ich. »Ich mache Ihnen keinen Vorwurf daraus, die Stellung bei Marguérite aufgegeben zu haben. Ich möchte mich für meine Freundin entschuldigen. Ihr Enthusiasmus für die neuesten Schönheitskuren vernebelt ihr so manches Mal den Blick fürs Schickliche. Ich wäre auch zu Doucet gelaufen, um mich dringend um Arbeit zu bewerben!«

»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen«, erwiderte die Frau mit zitternden Lippen.

»Sie waren Zofe bei meiner Freundin Marguérite. Ich habe Sie bei ihr gesehen, während Sie ihr bei gewissen Manipulationen zur Hand gingen.«

»Ich werde mich jetzt wieder umziehen«, sagte sie. »Bitte schauen Sie sich die Kleider an, und geben Sie Monsieur Doucet Bescheid, wenn Sie eines davon erwerben wollen.«

Sie huschte aus dem Zimmer und ließ mir keine Gelegenheit mehr, ihr zu versichern, dass in diesem Fall Marguérite Grund hatte sich zu schämen, und nicht sie.

Am Ende fühlte ich mich verpflichtet, das rosa Kleid zu kaufen, und des Weiteren, es zumindest einmal zu tragen. Wäre mir das Kleid nicht so egal gewesen, wäre ich in Giovannis Studio auch ein bisschen achtsamer damit umgegangen! Verstehen Sie? Wie ich schon sagte, es lässt sich immer alles auf Marguérite zurückführen.

Lieber Gott, Giovanni wird dieses Kleid malen.

Lieber Gott, was habe ich Giovanni erzählt?

Giovanni. Das Kind. Ich muss mich um dieses Fiasko kümmern. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Wie es so schön heißt: J’ai d’autres chats à fouetter. Außerdem habe ich keine Lust mehr zu schreiben. Nachdem ich so viel von Marguérite erzählt habe, sehe ich sie ständig vor meinem inneren Auge, wie sie sich an den Kamin lehnt, ihre nackte Haut offen präsentiert wie einen Schinken auf dem Markt, und die Schläuche, die aus ihrem Hinterteil herauskamen. Und, das muss ich dazusagen, ein Hinterteil, das auch nicht mehr so straff und frisch war, wie es mal gewesen ist!

Chapitre 7

»Na, Madame Vogt, lesen Sie private Korrespondenz?«

April fuhr hoch. Die Blätter fielen ihr aus der Hand, und sie konnte sie gerade noch mit den Knien auffangen. Mit heißen Wangen sah April in die Gesichter der drei Männer, deren Blicke irgendwo zwischen Amüsement und Tadel lagen.

»Oh, hallo, ich habe gerade …«

Luc tätschelte ihr den Oberschenkel.

»Allons-y!« Er tätschelte noch einmal. »Entspannen Sie sich!«

April öffnete ihre Beine einen Zentimeter weit und ließ die Blätter in seine Hände fallen. Es war ein kühler Tag, aber sie schwitzte am Haaransatz und im Nacken. Sie brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, dass ihr Kopf aussah wie eine große, runde Tomate.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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