Ein Blutmondbiss zur Ewigkeit - Kathryna Kaa - E-Book

Ein Blutmondbiss zur Ewigkeit E-Book

Kathryna Kaa

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Beschreibung

Ein neuer Nachbar. Ein dunkles Geheimnis. Ein schicksalhafter Biss. Agnes hat das Älterwerden satt und die Vorstellung, durch einen Vampirbiss ewige Schönheit und Unsterblichkeit zu erlangen, lässt ihr Herz höherschlagen. Die Gelegenheit dafür scheint günstig, denn den gerade eingezogenen neuen Nachbarn Victor umgibt die Aura düsterer Legenden. Doch Agnes weiß um den echten Kern der alten Überlieferungen. Gemeinsam mit ihrer Freundin Lisbeth entwirft sie einen Plan, um Victor auf die Probe zu stellen und sein Geheimnis zu lüften. In der Blutmondnacht, in der den Mythen zufolge alle übernatürlichen Kreaturen ihr wahres Wesen offenbaren, wagt sie schließlich die Konfrontation, die ihr Leben für immer verändern wird. Begleite Agnes durch die verhängnisvolle Nacht und bereite dich auf eine überraschende Wendung vor. Ist Victor tatsächlich ein Vampir und wird er Agnes ebenfalls verwandeln? Eine humorvolle Schauernovelle mit Biss.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ein Blut­mond­biss zur Ewig­keit
Schau­er­no­vel­le
Ka­thry­na Kaa
edi­ti­on ho­rAObs­cu­ra
Co­py­right © 2024 Ka­thry­na Kaa
© 2024 Ka­thry­na Kaac/o Block Ser­vicesStutt­gar­ter Str. 10670736 Fell­bachwww.ka­thry­na­kaa.demail­to: ka­thry­na@ka­thry­na­kaa.deAl­le Rech­te vor­be­hal­tenDie in die­sem Buch dar­ge­stell­ten Fi­gu­ren und Er­eig­nis­se sind fik­tiv. Jeg­li­che Ähn­lich­keit mit le­ben­den oder to­ten re­a­len Per­so­nen ist zu­fäl­lig und nicht vom Au­tor be­ab­sich­tigt.Kein Teil die­ses Bu­ches darf oh­ne aus­drü­ck­li­che schrift­li­che Ge­neh­mi­gung des Her­aus­ge­bers re­pro­du­ziert oder in ei­nem Ab­ruf­sys­tem ge­spei­chert oder in ir­gend­ei­ner Form oder auf ir­gend­ei­ne Wei­se elek­tro­nisch, me­cha­nisch, fo­to­ko­piert, auf­ge­zeich­net oder auf an­de­re Wei­se über­tra­gen wer­den.Die au­to­ma­ti­sier­te Ana­ly­se des Wer­kes zur Ge­win­nung von In­for­ma­ti­o­nen, ins­be­son­de­re über Mus­ter, Trends und Kor­re­la­ti­o­nen (§44b Ur­hG Text und Da­ta Mi­ning) ist un­ter­sagt.
Inhalt
Tit­elseite
Co­py­right
Ka­pi­tel 1
Ka­pi­tel 2
Ka­pi­tel 3
Ka­pi­tel 4
Ka­pi­tel 5
Ka­pi­tel 6
Ka­pi­tel 7
Ka­pi­tel 8
Ka­pi­tel 9
Ka­pi­tel 10
Ka­pi­tel 11
Ka­pi­tel 12
Über die Au­to­rin
Schlan­gen­post
Wei­te­re Ver­öf­fent­li­chun­gen
Ka­pi­tel 1
Acht Ta­ge vor Blut­mond
»Ist das et­wa ein Sarg?«
Schon bei dem Ge­dan­ken dar­an, der mys­te­ri­öse Frem­de da un­ten auf der Stra­ße könn­te ihr neu­er Nach­bar im Haus ne­be­n­an sein, schlug Agnes’ Herz einen Takt schnel­ler. Die Le­gen­den um die un­heim­li­chen We­sen, die in die­ser Ge­gend nachts ihr Un­we­sen trei­ben soll­ten, wa­ren da­mals ei­ner der Grün­de ge­we­sen, in die­sen ab­ge­schie­de­nen Ort zu zie­hen. Ein an­de­rer war ih­re Toch­ter Cha­r­lot­te, die jetzt al­ler­dings weit ent­fernt stu­dier­te. Schon im­mer fühl­te sich Agnes von der rät­sel­haf­ten Sei­te der Welt an­ge­zo­gen, von Ma­gie und Dun­kel­heit, die die meis­ten Men­schen gar nicht be­merk­ten.
Klick. Mist! War­um nur hat­te sie ver­ges­sen, das Blitz­licht am Han­dy aus­zu­stel­len, be­vor sie das Fo­to schoss? Da­durch hat­te sie die Auf­merk­sam­keit des Man­nes er­regt, der da un­ten ganz al­lein Kar­tons ins Haus trug und jetzt durch sei­ne Son­nen­bril­le nach oben zu ih­rem Fens­ter blick­te. Agnes ließ den Vor­hang aus den Fin­gern glei­ten und ver­steck­te sich hin­ter dem di­cken Stoff. Trotz­dem spür­te sie den Blick des Man­nes, der sich durch den Vor­hang­s­toff in ih­ren Geist bohr­te. Sie mas­sier­te ih­re Schlä­fen, um den leich­ten Druck im Schä­del zu mil­dern, der ganz ein­deu­tig durch ihn aus­ge­löst wor­den war. Sie ver­trau­te ih­rem Ge­spür für die fein­stoff­li­chen Din­ge zwi­schen Him­mel und Er­de. Den meis­ten blie­ben sie ver­bor­gen und auch Ru­pert, der ei­ne Zeit nach der Tren­nung von ih­rem Mann Ben hier ein­ge­zo­gen war, ent­lock­ten sie nur ein mü­des Lä­cheln. Des­halb hat­te sie sich an­ge­wöhnt, die­se Er­fah­run­gen für sich zu be­hal­ten.
Nach­dem der Druck nach­ge­las­sen hat­te und sie ver­mu­te­te, dass sich der selt­sa­me Frem­de wie­der den Mö­beln und Um­zugs­kis­ten zu­ge­wandt hat­te, wag­te Agnes einen er­neu­ten Ver­such. Klick. Dies­mal schaff­te sie es, mit aus­ge­schal­te­tem Blitz­licht ein halb­wegs ver­nünf­ti­ges Fo­to zu schie­ßen, oh­ne da­bei be­merkt zu wer­den. Sie be­ob­ach­te­te den Mann un­ten auf der Stra­ße, in des­sen Na­tur et­was lag, das über das rein Mensch­li­che hin­aus­ging. Das spür­te Agnes und das sag­te sein ein­dring­li­cher Blick vor­hin eben­so wie sei­ne Son­nen­bril­le. Wer sonst trug im Herbst ei­ne, noch da­zu, da die Son­ne be­reits am Ho­ri­zont ver­schwand? Agnes konn­te sich nicht vor­stel­len, dass sie in dem ein­set­zen­den Zwie­licht da­mit über­haupt et­was er­ken­nen wür­de.
Fas­zi­niert be­ob­ach­te­te sie den Mann, der mit er­staun­li­cher Ge­schwin­dig­keit so­gar schwe­re Mö­bel­stü­cke mü­he­los aus dem Klein­trans­por­ter trug. Ge­ra­de lud er sich ein klei­nes So­fa auf den Rü­cken, das nor­ma­le­r­wei­se zwei Leu­te ge­tra­gen hät­ten, und schaff­te es oh­ne sicht­ba­re An­stren­gung ins Haus. Aus den zu­sam­men­ge­bun­de­nen, hell­brau­nen Haa­ren hat­ten sich ei­ni­ge Sträh­nen ge­löst, die sein Ge­sicht um­spiel­ten und ihm et­was Wil­des und Ver­we­ge­nes ver­lie­hen. Sei­ne Grö­ße gab ihr Üb­ri­ges da­zu, und die­se Ar­me … sie wirk­ten zwar nicht über­mä­ßig mus­ku­lös, be­sa­ßen je­doch ei­ne selt­sam an­mu­ti­ge Stär­ke. Trotz des küh­len Ok­to­bers trug der neue Nach­bar nur ein schwa­r­zes T-Shirt, das sei­ne statt­li­che Fi­gur kaum ver­barg.
Der An­blick lös­te in Agnes ein Frös­teln aus. Ge­dan­ken­ver­lo­ren strich sie sich über die Un­ter­ar­me, wäh­rend sie den Frem­den da­bei be­ob­ach­te­te, wie er das So­fa ins Haus brach­te. Wahr­schein­lich schwitzt er wirk­lich, ging es ihr durch den Kopf. Schließ­lich ist das Aus­la­den von Um­zugs­kar­tons und Mö­beln ei­ne schweiß­trei­ben­de An­ge­le­gen­heit. Sie leck­te sich die Lip­pen und er­tapp­te sich bei der Idee, dass die Gän­se­haut auf ih­rem Arm mög­li­cher­wei­se nicht nur von dem Ge­dan­ken an die drau­ßen herr­schen­de Käl­te her­rühr­te.
Jetzt kam der Mann zu­rück und wuch­te­te sich die Kis­te auf die Schul­ter, die aus­sah wie ein Sarg. Viel­leicht ist er ein Vam­pir, dach­te Agnes und ein dün­nes Lä­cheln husch­te über ihr Ge­sicht. Die Son­nen­bril­le, die au­ßer­ge­wöhn­li­che Stär­ke, der Sarg … Mei­ne Gü­te!
Mit ei­nem Mal war sie wie­der da, die »Le­gen­de der un­to­ten Wan­de­rer«, die da­zu ver­dammt wa­ren, nicht tot und nicht le­bend zwi­schen den Wel­ten um­her­zuir­ren und Trost im war­men Blut der Men­schen zu su­chen. Die­se Krea­tu­ren soll­ten sich hier in der Ge­gend an­geb­lich schon seit Jahr­hun­der­ten her­um­trei­ben. Ma­gisch und dun­kel kroch die Ge­schich­te in Agnes’ Ge­dan­ken. Die Er­in­ne­rung hol­te sie zu­rück in ih­ren Geist, wo sie sich in vol­ler Pracht ent­fal­te­te.
Hier in die­ser ab­ge­schie­de­nen Ecke der Welt, am Rand die­ses Wal­des, gab es von je­her Le­gen­den über We­sen, die des Nachts ihr Un­we­sen trie­ben. Die Ein­hei­mi­schen nann­ten ihn den »Wald der Ver­lo­re­nen«, denn er soll schon den ein oder an­de­ren Wan­de­rer ver­schluckt ha­ben, oh­ne ihn wie­der preis­zu­ge­ben. Zu­min­dest nicht le­bend. Und nicht um­sonst wur­den hier auf dem win­zi­gen Fried­hof des Or­tes Men­schen, die un­ter mys­te­ri­ösen Um­stän­den zu To­de ge­kom­men wa­ren, noch im­mer mit ab­ge­trenn­tem Kopf be­er­digt. Agnes hat­te schon vie­le Grä­ber ge­se­hen, die von ei­ser­nen Zäu­nen um­schlos­sen wa­ren. Das soll­te die To­ten da­von ab­hal­ten, wie­der aus den Tie­fen der Er­de zu­rück­zu­keh­ren.
Wer ein­mal tot ist, soll es blei­ben, und nicht aus dem Gra­be stei­gen. Denn wer aus sei­ner Gru­be steigt, ist bar von je­der Mensch­lich­keit.
Die­ser Spruch stand an ei­ner al­ten, ge­ra­de noch les­ba­ren Ge­denk­ta­fel am Ein­gang des klei­nen Fried­hofs, der Agnes beim Be­tre­ten ein ums an­de­re Mal Schau­er über den Rü­cken jag­te. Trotz­dem zog es sie im­mer wie­der zu den Grä­bern, denn dort spür­te sie die Ma­gie und das Zwie­ge­spräch der Wel­ten so deut­lich, dass an ih­rer Echt­heit kein Zwei­fel be­stand.
Wenn Agnes Din­ge wahr­nahm, die an­de­ren ver­bor­gen blie­ben, fühl­te sie sich im­mer ein Stü­ck­chen ein­sam. Sie seufz­te und lenk­te ih­re Ge­dan­ken zu­rück ins Hier und Jetzt. Einen un­to­ten Wan­de­rer, einen Vam­pir als Nach­barn zu ha­ben, wä­re das nicht reiz­voll?
Ein Krib­beln durch­fuhr ih­re Glie­der, doch es war kei­ne Angst, die sie zum Be­ben brach­te. In­ne­re Auf­re­gung sorg­te da­für, dass ihr Blut heiß in den Wan­gen zir­ku­lier­te und das Han­dy in ih­ren zitt­ri­gen Fin­gern wa­ckel­te. Sie woll­te nur schnell das Bild mit dem Sarg an ih­re bes­te Freun­din Lis­beth schi­cken, die mit ihr ge­mein­sam bei Herbs­t­hain & Co. im Bü­ro ar­bei­te­te. Schau mal! Ich be­kom­me einen Vam­pir zum Nach­barn!, schrieb sie dar­un­ter.
Zu­sam­men mit Lis­beth hat­te sie je­den Vam­pir­film der letz­ten Jah­re ge­schaut, wäh­rend Ben da­mals noch in der Ga­ra­ge ver­bannt an sei­nen Ma­le­rei­en ar­bei­ten muss­te. Aber er hat­te gern und mit Lei­den­schaft ge­malt und da­bei im­mer so at­trak­tiv aus­ge­se­hen, wenn er sein Werk mit zu­sam­men­ge­knif­fe­nen Au­gen kri­tisch be­äug­te: in der einen Hand den Pin­sel und in der an­de­ren die Misch­pa­let­te.
Agnes ent­wich ein tie­fer Seuf­zer. Sie soll­te nicht so oft an Ben den­ken. Ih­re Ehe war vor­bei. Zu­erst hat­te ih­re ge­mein­sa­me Toch­ter Cha­r­lot­te das Haus ver­las­sen, dann Ben. Er hat­te ihr Le­ben ge­gen das mit ei­ner Jün­ge­ren ein­ge­tauscht. Das war für Agnes be­son­ders bit­ter, schließ­lich leg­te sie im­mer viel Wert auf ein ge­pfleg­tes Äu­ße­res. Aber ge­gen die Zeit hat­te sie nun mal kei­ne Chan­ce. Tja, dach­te sie, Vam­pir müss­te man sein. Dann wä­re auch die Zeit dein Freund.
Mit ei­nem wei­te­ren Seuf­zer stieß sie die schmerz­li­chen Er­in­ne­run­gen zu­rück. Im­mer­hin war sie nicht al­lein. Sie hat­te Ru­pert ken­nen­ge­lernt, der zwar noch ei­ne ei­ge­ne Woh­nung be­saß, aber mitt­ler­wei­le schon vor­wie­gend hier bei ihr wohn­te. Apro­pos. »Ru­pert!«
Aus der hin­te­ren Zim­me­r­e­cke, in der der Fern­se­her flim­mer­te, drang ein Brum­men.
»Der neue Nach­bar … al­so, ich glau­be, er ist der neue Nach­bar, bringt tat­säch­lich einen … Sarg ins Haus! Wer bit­te hat einen Sarg im Wohn­zim­mer?«
»Ist be­stimmt nur ei­ne Kis­te, die so ähn­lich aus­sieht. Au­ßer­dem weißt du gar nicht, ob die ins Wohn­zim­mer ge­hört.« Ein an­ge­streng­tes Seuf­zen misch­te sich un­ter das Ses­sel­kna­r­zen. »Und hör end­lich auf, die Nach­bar­schaft aus­zu­kund­schaf­ten.«
»Aber es gibt doch Leu­te, die sich Sär­ge in die Woh­nung stel­len. Sol­che …«, sie schnipp­te mit den Fin­gern, »na, wie nennt man die?«
»Go­thics, meinst du? Gruf­tis? Men­schen mit Hang zu düs­te­ren Sa­chen. So in der Art, viel­leicht?«
»Ja, ge­nau.« Sie moch­te die An­hän­ger der Go­thic-Kul­tur. Die wa­ren im­mer so hübsch ge­klei­det, um­ge­ben von die­sem Hauch aus Rät­sel, Dun­kel­heit und Ma­gie. Und sie er­in­ner­ten Agnes an … »Vam­pi­re.«
Ru­pert lach­te auf. »Oder das.«
Ru­pert hat­te be­reits die ei­ne oder an­de­re Ge­schich­te rund um den klei­nen Ort ge­hört. Trotz oder ge­ra­de we­gen der Schau­er, die die­se her­vor­rie­fen, wur­den sie oft er­zählt. Bei je­der Fest­lich­keit gab es ei­ne Vor­füh­rung, ei­ne Er­zäh­lung aus den al­ten My­then, der die Zu­schau­er nur zu gern folg­ten.
Doch Ru­pert war zu sehr Re­a­list, um ernst­haft dar­an zu glau­ben. Wie die meis­ten Men­schen fühl­te er sich von den Le­gen­den zwar gut un­ter­hal­ten, aber für ihn gab es im­mer ei­ne lo­gi­sche, wis­sen­schaft­li­che Er­klä­rung. Selbst für die el­tern­lo­sen Wolfs­kin­der, die man vor acht­zehn Jah­ren am Wald­rand ge­fun­den hat­te, be­saß er ei­ne ein­leuch­ten­de Ant­wort. Agnes hat­te die Fo­tos von den bei­den nack­ten, schmut­zi­gen We­sen, die kurz nach ih­rem Fund in der Zei­tung ab­ge­bil­det wor­den wa­ren, auf­ge­ho­ben und ihm ge­zeigt. Mit ge­fletsch­ten Zäh­nen und wil­den Haar­mäh­nen, die bis auf den Rü­cken ge­wach­sen wa­ren, starr­ten sie in die Ka­me­ra. Deut­lich wa­ren da­bei die un­na­tür­lich gro­ßen, kräf­ti­gen Eck­zäh­ne zu er­ken­nen, die mehr an Reiß­zäh­ne er­in­ner­ten. Zu­sätz­lich be­deck­te ein zar­ter, dun­kel­brau­ner Flaum je­den Zen­ti­me­ter ih­rer Haut, so­dass sie eher ei­nem Tier gli­chen denn ei­nem Men­schen.
Ei­ne Spiel­art der Na­tur, hat­te Ru­pert ge­sagt und ihr mit­hil­fe des In­ter­nets Bei­spie­le von Kin­dern ge­zeigt, die mit ei­ner ge­ne­ti­schen Ver­an­la­gung für ver­stärk­ten Haa­r­wuchs ge­bo­ren wor­den wa­ren. Wahr­schein­lich hat man sie auf­grund ih­res Aus­se­hens aus­ge­setzt.
Wie lang­wei­lig. Selbst, falls er recht hat­te. Die­se Welt­an­schau­ung war lang­wei­lig. Ru­perts stän­di­ge Kreuz­wort­rät­sel wa­ren lang­wei­lig, eben­so wie sein Schnurr­bart, den er ein­fach nicht ab­ra­sie­ren woll­te. Aber im­mer­hin fühl­te sie sich nicht al­lein. Nie in ih­rem Le­ben war Agnes al­lein ge­we­sen, und so fand sie es tröst­lich, mit ei­nem neu­en Mann zu­sam­men zu sein, selbst wenn sie ihn nicht wirk­lich lieb­te. Ru­pert war nett. Sie moch­te ihn.
Doch für Agnes reich­te Ru­perts ra­ti­o­na­le Be­grün­dung nicht. Sie zog es vor, die Welt auf ih­re ei­ge­ne, spi­ri­tu­el­le Wei­se zu se­hen, mit all der Ma­gie und den Ge­heim­nis­sen, die sich in ihr ver­steck­ten. Die Wolfs­kin­der wie­sen ne­ben dem selt­sam mus­ku­lö­sen Kie­fer und den star­ken Eck­zäh­nen fast kral­len­wüch­si­ge Fin­ger auf, de­ren Ver­bin­dung zu der be­kann­ten Ver­er­bungs­the­o­rie nir­gends zu fin­den war. Für Agnes wa­ren sie ein­deu­tig Misch­we­sen ge­we­sen, un­g­lü­ck­li­che Zeug­nis­se ei­ner Lie­be zwi­schen Men­schen und dem, was in ei­ni­gen Le­gen­den Wer­wolf ge­nannt wur­de. Lei­der wa­ren die­se Kin­der we­ni­ge Mo­na­te spä­ter ge­stor­ben, und nie­mand wuss­te ge­nau, wor­an. Agnes ver­mu­te­te ein ge­bro­che­nes Herz als Ur­sa­che. Schließ­lich hat­te man sie ih­rer Wald­hei­mat be­raubt und in Räu­me ge­sperrt, die ei­nem Kä­fig gleich­ka­men. Ih­rer Mei­nung nach wa­ren die­se wil­den Ge­schöp­fe an ih­rer Ge­fan­gen­schaft zu­grun­de ge­gan­gen.
Doch der neue Nach­bar er­in­ner­te Agnes nicht an die My­then über Wer­wöl­fe. Er rief die Ge­schich­ten über an­mu­ti­ge We­sen in mensch­li­cher Ge­stalt wach, die im Dun­kel der Nacht zwi­schen den Häu­sern ent­lang­husch­ten und sich an­geb­lich am Blut der Le­ben­den lab­ten. Vor ei­ni­gen Mo­na­ten erst hat­te es einen mys­te­ri­ösen To­des­fall im Nach­bar­ort ge­ge­ben, der an die Le­gen­de der nächt­li­chen Blut­sau­ger er­in­ner­te. Der Mann wur­de mor­gens tot auf­ge­fun­den, mit auf­fäl­li­gen Ein­stich­stel­len am Hals, wie es öf­fent­lich hieß. Ein­stich­stel­len. Agnes grins­te. Na­tür­lich, was sonst. Aber bei dem To­ten han­del­te es sich um einen be­kann­ten Trun­ken­bold, der jeg­li­cher Art von Dro­gen auf­ge­schlos­sen ge­gen­über­ge­stan­den hat­te. Da­her wur­den die merk­wür­di­gen Wun­den als Er­geb­nis sei­ner Dro­gen­ex­pe­ri­men­te ge­deu­tet und der Fall zu den Ak­ten ge­legt.
Pling. Ei­ne Nach­richt von Lis­beth: Wow! Den Nach­barn musst du un­be­dingt im Au­ge be­hal­ten! Viel­leicht kann er uns ver­wan­deln.Zwin­ker-Smi­ley.
Agnes’ Herz schlug plötz­lich einen Takt schnel­ler. Ach, falls es doch so wä­re! Einen wah­ren Kern hat­ten die al­ten Über­lie­fe­run­gen je­den­falls, dar­an glaub­te sie fest.
»Net­tie.« Mit ei­nem Äch­zen er­hob sich Ru­pert aus sei­nem Ses­sel, kam zum Fens­ter und strei­chel­te Agnes’ Schul­ter. »Jetzt komm end­lich und lass die Nach­barn in Ru­he!« Trotz­dem wa­rf er selbst einen kur­z­en, neu­gie­ri­gen Blick aus dem Fens­ter, be­vor er sich ab­wand­te und die Zei­tung in sei­ner Hand ge­gen einen Wer­be­pro­spekt tausch­te, der auf dem Tisch lag.
Agnes hin­ge­gen blieb fest­ge­wach­sen am Fens­ter ste­hen, ge­schützt durch den Vor­hang, der ihr Ge­sicht hof­fent­lich gut ge­nug ver­barg, so­lan­ge sie die gro­ße Wohn­zim­mer­lam­pe nicht ein­schal­te­te. Noch reich­te das klei­ne Licht auf dem Bei­stell­tisch ne­ben dem Ses­sel, in dem Ru­pert so ger­ne saß.
Lan­ge hat­te sich kein Käu­fer für das Nach­ba­r­haus ge­fun­den. Für ei­ne Fa­mi­lie bot es zu we­nig Platz, und kin­der­lo­se Paa­re ver­irr­ten sich sel­ten in die­se ru­hi­ge, ab­ge­le­ge­ne Wohn­ge­gend. Die schma­le Stra­ße, in der sich zu­sam­men mit dem ei­ge­nen Haus die letz­ten Ge­bäu­de des ab­ge­schie­de­nen Or­tes an­ein­an­der­reih­ten, schlän­gel­te sich di­rekt am Wald­rand ent­lang. Noch da­zu hat­ten die un­heim­li­chen Ge­schich­ten rund um den »Wald der Ver­lo­re­nen« nicht auf je­den die an­zie­hen­de Wir­kung, die sie auf Agnes be­sa­ßen. Die vor­de­re Haus­tür des in die Jah­re ge­kom­me­nen Hau­ses führ­te gleich auf die Stra­ße hin­aus, so­dass die Müll­ton­nen seit­lich am Rand ste­hen muss­ten. Die klei­nen Fens­ter ver­dun­kel­ten die in­ne­ren Räu­me auch bei gu­tem Wet­ter und wirk­ten schon des­halb nicht be­son­ders ein­la­dend. An der Fas­sa­de fehl­ten be­reits grö­ße­re Stü­cke Putz und das Dach hat­te sei­ne bes­ten Jah­re hin­ter sich. Trotz­dem war das Ver­kaufs­schild seit ei­ni­gen Wo­chen ver­schwun­den.
Vom Schlaf­zim­mer­fens­ter im Ober­ge­schoss aus konn­te Agnes in den ver­wil­der­ten Gar­ten auf der Rück­sei­te des Hau­ses se­hen. Zwar ver­wehr­te die gro­ße, al­te Ei­che im Som­mer ge­nau­e­re Ein­bli­cke, aber jetzt, da der Herbst die meis­ten Blät­ter vom Baum ge­fegt hat­te, konn­te Agnes das ge­sam­te Grund­s­tück über­bli­cken. Breit ge­wach­se­ne Bü­sche säum­ten den klei­nen Fle­cken hoch­ge­wach­se­ner Grä­ser, die den ein­s­ti­gen Ra­sen in ein In­sek­ten­pa­ra­dies ver­wan­delt hat­ten.
Auf­grund ih­rer ab­ge­schie­de­nen Wohn­la­ge ar­bei­te­te Agnes oft von zu Hau­se aus. Nie hat­te sie be­ob­ach­tet, dass sich Leu­te die­ses ver­las­se­ne An­we­sen an­ge­se­hen hat­ten. Doch wer um al­les in der Welt kauf­te ein Haus, oh­ne es zu­vor in Au­gen­schein ge­nom­men zu ha­ben?
Es sei denn …, über­leg­te Agnes, … es sei denn, man be­sich­tigt es zu ei­ner un­mög­li­chen Zeit. Zum Bei­spiel nachts. Weil man am Tag … nun … ver­hin­dert ist.
Aber jetzt zog an­schei­nend die­ser in­ter­es­san­te, noch da­zu gut aus­se­hen­de Mann ins Nach­ba­r­haus. Schön, jung und stark. Mit ei­ner Kis­te, die ei­nem Sarg äh­nel­te, und ei­ner Son­nen­bril­le. Ein Vam­pir …
Herr­je. Agnes schüt­tel­te den Kopf und wand­te sich vom Fens­ter ab. Sie soll­te auf­hö­ren, stän­dig an Vam­pi­re zu den­ken! Das muss­te an die­sem Sarg lie­gen. Sie seufz­te lei­se. »Ich fra­ge mich wirk­lich, wer da ein­zieht. Hat der Mann das Haus über­haupt vor­her be­sich­tigt?«
Ein Mensch mit viel Geld hät­te die­ses Ge­bäu­de si­cher nicht ge­kauft. Nie­mand zog frei­wil­lig in die­se Ge­gend, in der selbst die nächs­te Ein­kaufs­mög­lich­keit zu Fuß nicht er­reich­bar war. Es sei denn man hat­te Kin­der, die am Wald­rand auf­wach­sen soll­ten, so wie es Ben und Agnes da­mals für ih­re Toch­ter ge­wollt hat­ten.
Manch­mal wünsch­te sich Agnes das Stadt­le­ben zu­rück, das sie in frü­he­ren Jah­ren ge­führt hat­te. Auch Lis­beth hat­te ihr einen Um­zug in die Stadt vor­ge­schla­gen, nach­dem Ben sie we­gen die­ser jün­ge­ren Aus­ga­be hat­te sit­zen las­sen. Doch die­ser Wunsch hielt nie lan­ge an. So­bald sie nach ei­nem Bü­ro­tag der Hek­tik auf den be­leb­ten Stra­ßen, dem Ge­heul von Po­li­zei- und Kran­ken­wa­gen, den voll­ge­stopf­ten Su­per­märk­ten und Au­to­hu­pen ent­kom­men war, emp­fand sie die Ab­ge­schie­den­heit ih­res Zu­hau­ses als wah­ren Se­gen. Dann öff­ne­te sie Lun­ge, Geist und Herz, und all die sanf­ten Ge­rü­che nach Laub und Na­deln, das Vo­gel­ge­zwit­scher und Blät­ter­rau­schen ström­ten in sie hin­ein. Das er­füll­te sie mit Glücks­mo­men­ten, die nichts wei­ter wich­tig er­schei­nen lie­ßen. Und Ru­perts An­we­sen­heit ha­lf ihr, der Ein­sam­keit zu ent­flie­hen, die sich breit­mach­te, so­bald die Ru­he zur un­er­träg­li­chen Stil­le wuchs.
Aber viel­leicht, dach­te sie und zog ih­re Brau­en zu­sam­men, dass ei­ne di­cke Fal­te da­zwi­schen ent­stand, viel­leicht liegt es auch nur an mei­nem Al­ter, dass ich lie­ber ab­ge­schie­den woh­ne. Hier drau­ßen leb­ten nur we­ni­ge jun­ge Men­schen, die ihr an den Bü­ro­ta­gen in der Stadt im­mer häu­fi­ger vor Au­gen führ­ten, dass sie längst nicht mehr zu ih­nen ge­hör­te. Doch tief in ih­rem In­ners­ten schlum­mer­te die Wahr­heit und flüs­ter­te lei­se von den Ängs­ten, ihr al­tes Le­ben los­zu­las­sen und ein neu­es zu be­gin­nen.
»Be­stimmt.« Ru­pert blät­ter­te durch den Pro­spekt und leg­te ihn dann or­dent­lich auf dem Sta­pel der ge­le­se­nen Zei­tun­gen ab. »Aber selbst, falls du gut in­for­miert bist, wirst du si­cher nicht al­les mit­be­kom­men ha­ben.« Er gab Agnes einen herz­haf­ten Kuss auf die Wan­ge und ein schma­les Lä­cheln er­schien un­ter sei­nem Schnauz­bart. »Was ma­chen wir uns zum Abend­es­sen?«
Ka­pi­tel 2
Sie­ben Ta­ge vor Blut­mond
Pling. Ei­ne Nach­richt von Lis­beth. Agnes wa­rf einen Blick auf das Han­dy­dis­play, das auf dem Wasch­be­cken­rand lag: Back dei­nem neu­en Nach­barn als Will­kom­mens­gruß einen Ku­chen! Dann kannst du gleich die La­ge che­cken!
Das war ei­ne aus­ge­zeich­ne­te Idee, fand Agnes. Ein Ku­chen stell­te einen pri­ma Vor­wand dar, um die ers­te Neu­gier zu stil­len. Falls sie Glück hat­te, wür­de sie so­gar einen Blick ins Haus­in­ne­re wer­fen kön­nen. Mor­gen früh wür­de sie so­fort nach ein paar pas­sen­den Re­zep­ten su­chen.
Sie schick­te ein »Dau­men hoch« zu­rück und stieß lang­sam und ge­räusch­voll Luft aus der Na­se. Seit Cha­r­lot­te zum Stu­die­ren aus­ge­zo­gen war und Ben sie ver­las­sen hat­te, hat­te sie viel mehr Zeit. Zeit, mit der sie nichts an­zu­fan­gen wuss­te. In frü­he­ren Jah­ren hat­ten die Pflich­ten kein En­de ge­nom­men: Ar­beit, Kind und Schu­le, Haus­halt, Fa­mi­li­en­or­ga­ni­sa­ti­on. Doch nun brauch­te sie sich nur noch um ihr ei­ge­nes Le­ben zu küm­mern. Aber wel­ches Le­ben war das? Längst hat­te sie den Blick für sich selbst ver­lo­ren, für das, was sie einst aus­ge­macht hat­te.
Ru­pert hat­te sei­ne Kreuz­wort­rät­sel. Mehr schien er nicht zu brau­chen, um glü­ck­lich zu sein. Doch was war mit ihr? Agnes hat­te … tja, das muss­te sie erst wie­der­fin­den.
---ENDE DER LESEPROBE---