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Nach dem Tod ihrer Eltern zieht Robin Page zu ihrem Onkel Jack – und entdeckt schockiert, dass er ein Dämonenbeschwörer ist. Als sie im verbotenen Keller einen gefangenen Dämon findet, lässt ihre Neugier sie eine folgenschwere Entscheidung treffen: Sie wirft ihm einen Cookie in den Beschwörungskreis. Doch was als unschuldige Geste beginnt, zieht Robin tief in eine gefährliche Welt voller Magie, verborgener Familiengeheimnisse und moralischer Abgründe. Der Dämon Zylas ist alles andere als kooperativ – und doch könnten ausgerechnet seine spitzen Bemerkungen und widerwillige Hilfe Robins einzige Chance sein, die Wahrheit über ihr Erbe zu entdecken. In einem Spiel aus Vertrauen und Verrat muss Robin herausfinden, wem sie ihre Loyalität schenken kann - denn in der Welt der Beschwörer hat jede Entscheidung ihren Preis. Der erste Band des vierteiligen Spinoffs zur beliebten "Spellbound"-Reihe! Die "Demonized"-Reihe kann eigenständig oder im Wechsel mit der "Spellbound"-Reihe gelesen werden. "Ein Cookie für den Dämon" reiht sich zeitlich hinter "Dämonenmagie und ein Martini" ein.
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Seitenzahl: 386
Veröffentlichungsjahr: 2025
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ANNETTE MARIE
EIN COOKIE FÜR DEN DÄMON
GUILD CODEX: DEMONIZED 1
Aus dem Englischen von Jeannette Bauroth
Über das Buch
Mit einem selbstgebackenen Cookie lockst du einen Dämon nicht aus der Reserve – es sei denn, du bist Robin Page. Als sie nach dem Tod ihrer Eltern bei ihrem mysteriösen Onkel einzieht, entdeckt sie im Keller einen gefangenen Dämon und überschreitet damit eine Grenze, die ihr Leben für immer verändert.
In einer Welt, in der Dämonenbeschwörung ein lukratives Familiengeschäft ist und Verträge mit übernatürlichen Wesen mit Blut besiegelt werden, steht Robin vor einer unmöglichen Entscheidung: sich dem System beugen oder einen gefährlichen Verbündeten in der Dunkelheit finden.
Mit jedem Keks, den sie durch die magische Barriere wirft, wächst ihre Verbindung zu dem rätselhaften Zylas – bis ein folgenschwerer Moment sie in einen Strudel aus Verrat, verbotener Magie und tödlicher Gefahr zieht.
Über die Autorin
Annette Marie schreibt leidenschaftlich gern Fantasy mit starken Heldinnen und hat eine Schwäche für spannende Abenteuer und verbotene Liebesgeschichten. Auch Drachen findet sie faszinierend und baut sie deshalb in (fast) jeden ihrer Romane ein.
Sie lebt in der eisigen Winterwüste (okay, ganz so schlimm ist es nicht) von Alberta in Kanada, zusammen mit ihrem Mann und ihrem pelzigen Diener der Dunkelheit – alias Kater – Caesar. In ihrer Freizeit steckt sie oft ellbogentief in einem Kunstprojekt und vergisst dabei gern mal die Zeit.
Die englische Ausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Taming Demons for Beginners« bei Dark Owl Fantasy.
Deutsche Erstausgabe Juli 2025
© der Originalausgabe 2019: Annette Marie
© Verlagsrechte für die deutschsprachige Ausgabe 2025:
Second Chances Verlag, Inh. Jeannette Bauroth,
Hammergasse 7–9, 98587 Steinbach-Hallenberg
Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Wiedergabe in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Die Nutzung des Inhalts für Text und Data Mining
im Sinne von § 44b UrhG ist ausdrücklich verboten.
Umschlaggestaltung: Makita-Diandra Hirt
unter Verwendung von Motiven von
Lektorat: Julia Funcke
Schlussredaktion: Daniela Dreuth
Satz & Layout: Second Chances Verlag
ISBN E-Book: 978-3-98906-067-8
ISBN Klappenbroschur: 978-3-98906-066-1
Auch als Hörbuch erhältlich!
www.second-chances-verlag.de
Titel
Über die Autorin
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Ich starrte in die obsidianfarbenen Augen des Dämons.
Feuchtes Blut kühlte auf meiner Haut ab, doch ich spürte keinen Schmerz. Noch nicht. Ich war mir sicher, dass ich vor meinem Tod welchen fühlen würde. Auf dem Bauch liegend, einen Arm unter mir eingeklemmt, reckte ich den Hals, um den Dämon nicht aus den Augen zu verlieren.
Er hockte am Rand der silbern schimmernden Linie, die in den Boden eingelassen war. Diese Linie hatte uns getrennt, seit ich den Beschwörungskreis zum ersten Mal gesehen hatte. Sie verband ihn mit dieser Welt und schützte die Leute, die ihn hierhergerufen hatten.
Die ätherische Barriere kräuselte sich, als er näher rückte, den schwarzen Blick auf mich fixiert.
Irgendwo bei meinen Füßen lachten die Männer, die mir das angetan hatten. Sie lachten. Hätten sie den Dämon sehen können, den bestialischen Blutdurst, den er verströmte, hätten sie es nicht gewagt, auch nur einen Laut von sich zu geben. Doch wirbelnde Dunkelheit erfüllte die Kuppel, und nur ich konnte ihn erkennen.
Ein Monster vor mir, Monster einer anderen Art hinter mir. Mir blieben nur wenige Sekunden, um meinen Henker zu wählen. Die einen würden mich vermutlich töten.
Der andere würde mich definitiv töten.
Mein Arm zitterte, als ich meine Handfläche über den blutbespritzten Boden in Richtung der silbernen Linie schob. Die Barriere erbebte noch heftiger, als der Dämon sich dagegendrückte. Die johlenden Männer wurden still.
Meine Fingerspitzen berührten das silberne Hindernis.
Protestierende Stimmen und dumpfe Schritte ertönten – die Männer stürmten auf mich zu, griffen nach meinen Beinen, um mich wegzureißen.
Ich stieß die Finger durch die Barriere. Die Luft schimmerte, bot aber keinen Widerstand. Nur für die im Inneren gefangene Kreatur war dies eine undurchdringliche Wand. Meine Hand passierte sie völlig ungehindert und drang in seinen Raum, sein Gefängnis ein.
Der Blick, mit dem er meinen festhielt, wankte nicht. Seine Finger schlossen sich um mein Handgelenk, seine Haut war kühl und der Griff fest wie unnachgiebiger Stahl.
Der Dämon zerrte mich in den Kreis.
Siebzehn Tage zuvor
Eins gleich zu Beginn: Magie ist real. Cool, oder?
Falsch.
Magie bedeutet Ärger, Chaos und lebensbedrohliche Gefahr. Und selbst wenn nichts von alldem eintritt, macht sie mehr Umstände, als sie wert ist. Jedenfalls trifft das zu, wenn man Magie benutzt – all die fantastischen Funken, das Leuchten und die Rauchwolken sind mit endlosen Unannehmlichkeiten verbunden. Aber Magie zu studieren – das ist etwas anderes.
Magie hat die Angewohnheit, gleiches oder größeres Chaos anzuziehen, und meine Eltern hatten es sich zur Lebensaufgabe gemacht, all diesen Unsinn zu vermeiden. Halte dich von Magie fern, dann wird sie sich auch von dir fernhalten. Von frühester Kindheit an bis zu meinem ersten Jahr am College hatte ich diesen Grundsatz streng befolgt. Bis jetzt.
Ich hielt mich am Türrahmen fest und spähte durch einen schmalen Spalt in den dahinterliegenden Raum. Das Licht der Wandlampen warf einen sanften gelben Schein über die Einbauregale der Bibliothek. Die offene Zimmermitte war in drei verschiedene Bereiche aufgeteilt.
Auf der rechten Seite drängte sich ein Dutzend Stühle um einen langen Tisch mit ledergebundenen Büchern darauf, auf dem kein einziges Staubkorn zu sehen war. Auf der linken Seite standen sich zwei Ledersofas gegenüber, ein niedriger Couchtisch dazwischen, der so stark poliert war, dass seine dunkle Oberfläche die Kassettendecke und den Kristalllüster darüber spiegelte. Tiffany-Lampen zierten die dazu passenden Beistelltische. Und im Zentrum des Raums, zwischen den Sofas und dem Tisch …
Ich umklammerte den Rahmen, bis meine Knöchel weiß wurden.
Zwei Männer waren mit dem Rücken zu mir einem Pult zugewandt, über dessen Ränder ein aufgeschlagenes Buch hinausragte. Der kleinere blätterte langsam die Seiten um. Sein kahler Schädel schimmerte im schwachen Licht, und sein Hemd spannte sich über den breiten Rücken, den der Bund seiner schwarzen Hose in der Taille zusammendrückte. Die Männer murmelten miteinander, dann schlug der kleinere das Buch zu. Sie drehten sich um und gingen auf die Tür zu, hinter der ich stand.
Ich erstarrte wie das Kaninchen vor der Schlange und überlegte panisch, wohin ich verschwinden sollte.
»Zeit ist Geld, Claude. Wie lange sollen wir deiner Meinung nach warten?«
»So lange wie nötig. Die Kreatur wird irgendwann kapitulieren, und falls nicht, versuchen wir es einfach noch mal.«
Die Stimmen kamen immer näher. Ich riss mich aus meiner Trance und eilte auf leisen Füßen in Socken den Flur hinunter.
»Wir sollten es jetzt noch mal probieren. Der andere ist so weit. Lass uns den Kreis räumen und …«
»Geduld, Jack. Sobald wir wissen, was wir haben, könnte sein Name …«
Die Bibliothekstür wurde aufgerissen, und Claude hielt bei meinem Anblick inne und zog die Brauen hoch. Ich tat so, als wäre ich gerade erst die Treppe heruntergekommen, und blieb stehen, als wäre ich überrascht, sie zu sehen.
»Oh«, machte ich atemlos. »Onkel Jack, ich wusste nicht, dass du …«
»Was tust du hier?« Seine Miene verfinsterte sich, sein kurzer, struppiger weißer Bart stand in starkem Kontrast zu seiner gebräunten Glatze. »Du darfst dich nicht hier unten aufhalten.«
Ich wich zurück, den Blick auf den Parkettboden geheftet. Woher hätte ich das wissen sollen? Es wäre nett gewesen, wenn irgendjemand das mir gegenüber erwähnt hätte. Übrigens, Robin, halte dich bitte vom Keller fern. Wir würden dich nur ungern in Verbrechen verwickeln.
Bei genauerem Nachdenken überarbeitete ich mein geistiges Drehbuch noch mal. Niemand in diesem Haus würde »bitte« zu mir sagen.
Onkel Jack murmelte Claude etwas zu. Der lachte und erwiderte trocken: »Dann überlasse ich das dir.«
Als er an mir vorbei zur Treppe ging, lächelte er mich überraschend freundlich an. Eine dünne weiße Narbe verlief von seinem Kinn bis zu seinem Mund und bildete eine merkwürdige Falte in seiner Unterlippe. Mit dem großen, breitschultrigen Körperbau und dem karierten Tweedjackett kombinierte er die gelehrte Ausstrahlung eines College-Professors mit der Fitness eines Sportlers im Ruhestand.
»Robin.« Onkel Jacks Stimme traf mich wie eine Reitpeitsche. »Komm her.«
Ich schlich mich an seine Seite und inspizierte weiter den Boden, wobei mir die Brille von der Nase rutschte. Ich schob sie wieder an ihren Platz. Onkel Jack war kein großer Mann, aber ich war das Gegenteil von einer großen Frau, und seine kalte Aufmerksamkeit drückte auf meine Schultern, die ungefähr halb so breit waren wie seine.
Er räusperte sich. »Hast du dich schon gut eingelebt?«
Ich runzelte die Stirn bei dem seltsam hohen Ton in seiner Stimme und warf einen kurzen Blick auf sein Gesicht. Seine Lippen waren zu einem gequälten Lächeln verzogen. Es wirkte schmerzhaft.
»Du bist jetzt schon … einen Tag hier, richtig?«
»Zwei Tage«, murmelte ich. Fünfundvierzig Stunden und zwanzig Minuten, wenn man genau zählte. Was ich nicht tat. Zumindest nicht ständig.
Okay, doch, ständig.
»Und wie geht es dir?«, fragte er mit gezwungener Freundlichkeit.
»Gut.«
»Hat Kathy dir alles gezeigt und erklärt?«
»Ja.« Bis auf die »Bleib vom Keller weg, damit du nicht unsere illegalen Aktivitäten entdeckst«-Regel.
Er rieb sich die Hände, als wäre ich Müll, den er gleich rausbringen würde. »Dann ist es jetzt an der Zeit für deine endgültige Einführung. Ich wollte damit eigentlich noch warten, aber wo du schon mal hier unten bist …«
Ich sackte in mich zusammen. »Kathy hat eine Bibliothek erwähnt, und da wollte ich nur …«
»Ah, ja, du magst Bücher, richtig?«
Hatte er das absichtlich so herablassend formuliert? »Ich muss sie nicht unbedingt sehen …«
Ungerührt von meinem leisen Protest bedeutete er mir, ihm in die Bibliothek zu folgen. Ich schlich in seinem Schatten hinter ihm her und bohrte mit meinem Blick Löcher in den Boden. Ich wollte nicht wissen, was in diesem Raum vor sich ging. Ich wollte nichts über die Magie wissen.
Halte dich von Magie fern, dann wird sie sich auch von dir fernhalten.
Vor dem Pult blieb Onkel Jack stehen. »Weißt du, was das da ist?«
Zögernd hob ich den Blick zu dem einen Element, das in der eleganten Bibliothek völlig fehl am Platz wirkte.
Ein makelloser Kreis mit einem Durchmesser von drei Metern war in den wunderschönen Parkettboden geschnitzt und mit einer Silbereinlage gefüllt worden. Gerade Linien, scharfe Winkel und perfekte Kurven kreuzten sich am äußeren Rand des Kreises, doch Runen, Symbole und verstörende Zeichen, die sich zu unangenehmen Formen verbanden, störten die präzise Geometrie.
In Inneren bildete Dunkelheit eine perfekte Kuppel, die sich nahtlos an den Umfang des Kreises anpasste. Die Halbkugel thronte auf dem Boden der Bibliothek wie ein schwarzes Iglu aus der Hölle und saugte das Licht in ihre dunklen Tiefen.
»Weißt du, was das ist?«, wiederholte Onkel Jack mit einem ungeduldigen Unterton.
Ich bemühte mich, meine Zunge so weit zu befeuchten, dass ich sprechen konnte. »Ein Beschwörungskreis.«
»Hast du schon mal einen gesehen?«
»Nein«, flüsterte ich.
Er warf mir einen merkwürdigen Blick zu, als wäre er überrascht, dass ich einen Beschwörungskreis einfach so erkannte. Doch was sollte es sonst sein? Den Kreis selbst hätte ich vielleicht nicht zuordnen können, aber diese Kuppel aus Nichts stammte nicht aus dieser Welt.
Eine Gänsehaut bildete sich auf meinen nackten Armen, und ich wünschte mir einen Pullover herbei. In der Bibliothek war es unangenehm kühl, die nach Leder riechende Luft biss mir in die Nase, und in den hintersten Ecken des Raumes lauerten Schatten.
»Warum ist er so schwarz?«, fragte ich, bevor ich mich zurückhalten konnte.
»Der Dämon versteckt sich«, antwortete Onkel Jack gereizt. »Bisher war er nicht an Verhandlungen interessiert.«
Dämon.
Das Wort dröhnte in meinem Kopf. Jede Silbe, jeder Klang, wie ein Hammer auf einen Gong. Ein Dämon in einem Kreis. In der Bibliothek. Im Keller des Hauses, in dem ich jetzt lebte.
Ich hätte niemals hierherkommen sollen.
»Deine Eltern hatten kein Interesse am Familiengeschäft«, fuhr Onkel Jack fort. »Doch das Beschwören ist lukrativ. Es ist allerdings auch … heikel. Ein empfindlicher Prozess. Wir können keine Ablenkungen gebrauchen.«
Ich zählte die Bodendielen zwischen meinen besockten Füßen. Ablenkungen wie … eine MPD-Ermittlung zu ihren illegalen Aktivitäten?
»Ich erwarte deine volle Unterstützung, Robin.«
Ein unausgesprochenes »Sonst …« schwang deutlich mit.
»Ja, Onkel Jack.«
»Aus offensichtlichen Gründen ist dieser Raum tabu, aber du solltest die Regeln so oder so kennen.«
Er nahm mich am Ellbogen und führte mich auf den Kreis zu. Ich versuchte, mich ihm entgegenzustemmen, doch meine Socken rutschten über das polierte Parkett. Ich wollte nicht näher ran.
»Der Kreis ist eine Barriere. Für den Dämon ist sie undurchdringlich, aber nur für den Dämon.« Er deutete auf die schwarze Kuppel. »Du kannst sie problemlos überwinden und würdest es nicht einmal spüren. Ein Ausrutscher …«
Er verstärkte seinen Griff an meinem Arm und schob mich auf die dünne silberne Linie zu. Ein erschrockenes Keuchen entwich mir, und ich ruderte nach hinten, obwohl ich noch mehrere Schritte von ihr entfernt war.
Onkel Jack lachte. »Also, komm ihr nicht zu nahe. Einen Zeh über diese Linie, und der Dämon wird dich hineinziehen und in Stücke reißen. Lass auch nichts hineinfallen. In den Händen eines Dämons kann sogar eine Münze tödlich sein. Seine Magie kann er nicht durch die Barriere hindurch ausüben, also gib ihm auf keinen Fall Waffen in die Hand.«
Automatisch suchte ich meine Jeanstaschen nach Wechselgeld ab, aber ich hatte nie Münzen dabei.
»Falls er versucht, deine Aufmerksamkeit zu erregen oder dich zu sich zu rufen, hör nicht auf ihn. Und unter keinen Umständen darfst du mit dem Dämon sprechen. Sollte er sich zeigen, holst du sofort mich oder Claude.« Finster starrte er auf die undurchdringliche Dunkelheit. »Auch wenn ich das nicht erwarte. Das ist der sturste Dämon, der mir je begegnet ist. Wenn er nicht bald reagiert …« Abrupt konzentrierte er sich wieder auf mich. »Du hältst dich von diesem Raum fern, hast du das verstanden? Ich möchte nicht, dass du allein hier drin bist.«
»In Ordnung.«
»Gut.« Dann, in komplettem Widerspruch zu seinen Worten, marschierte er direkt an mir vorbei und nach draußen.
Wie angewurzelt blieb ich stehen und kämpfte innerlich mit mir. Die offene Tür wirkte einladend, die Sicherheit war nur wenige Schritte entfernt, doch die dunkle Kuppel zog meinen Blick an. Ein Schauder lief mir über den Rücken. Es war so kalt hier drin.
Ein leises Geräusch flüsterte am Rand meiner Sinne, und ich sog den Atem ein. Ich konnte in der Stille beinahe etwas hören. Etwas wie …
Ein tiefes, heiseres Lachen kroch aus der Dunkelheit im Inneren des Kreises.
Mir gefror das Blut in den Adern, und ich stürzte aus der Bibliothek.
Vor der geschlossenen Tür atmete ich langsam und kontrolliert ein und aus. Das hier war nicht die Bibliothekstür im Keller, und auf der anderen Seite warteten keine Dämonen, aber ich war fast genauso nervös.
Tiefe, bewusste Atemzüge. Ich dachte an das Buch, das ich gerade las: Kapitel 6, »Selbstvertrauen bei Konfrontation«. Ich stellte mir das bevorstehende Gespräch vor und wie ich es führen wollte, straffte die Schultern und drückte den Rücken durch. Das verschaffte mir immerhin einen kostbaren Zentimeter Körperhöhe mehr. Dann klopfte ich.
»Wer ist da?«, blaffte Onkel Jack von drinnen.
»Robin.« Meine Stimme zitterte nicht. Ein guter Anfang.
»Komm rein.«
Ich betrat sein Büro. Der Raum war ursprünglich ein Wohnzimmer gewesen. Das bequeme Sofa in der Ecke lud Besucher zum Hinsetzen und womöglich sogar zu einem Nickerchen ein. Hässliche Aktenschränke zerstörten die Eleganz des Massivholzschreibtischs, der mit Dokumenten übersät war. Davor standen zwei Lederstühle und warteten auf Onkel Jacks nächste »Kunden«.
Während er wütend auf seiner Tastatur herumhämmerte, näherte ich mich ihm langsam, bis mir einfiel, dass ich Selbstbewusstsein ausstrahlen wollte. Daher machte ich drei lange Schritte bis zu einem der Stühle und hockte mich auf die Kante. Der staubige Druckertoner-Geruch mischte sich mit Onkel Jacks herbem Aftershave.
Er tippte weiter.
»Onkel Jack?«
»Was willst du, Robin?«
Ich kämpfte gegen den Drang an, mich kleinzumachen. Kapitel 6, Teil 3. »Visualisieren Sie Ihre Ergebnisse. Denken Sie an Ihr Ziel.«
»Ich würde gern über das Testament meiner Eltern sprechen.«
Die Worte ließen meine Trauer erneut aufflammen, und meine Hände auf meinen Oberschenkeln zuckten.
Er blickte mich an, und dann wieder seinen Monitor. Dabei unterbrach er keine Sekunde lang sein Tippen. »Ich wiederhole mich nur ungern, Robin. Solche Dinge brauchen Zeit. Die Anwälte, der Papierkram, und die Versicherung verlangt zehn Formulare für jede Kleinigkeit.«
»Es ist sechs Monate her.« Und drei Tage, aber wer zählte hier schon? »Es sollte nicht so lange dauern, bis …«
»Nicht jeder Nachlass ist leicht zu regeln.« Er hielt inne und drehte sich zu mir um. Seine Glatze glänzte. »Ich bin sicher, du kannst es kaum erwarten, an dein Erbe zu kommen, aber ich tue alles in meiner Macht Stehende, um dir das zu ermöglichen. Ist es so schlimm, ein paar Wochen lang hier zu wohnen? Ich verlange doch keine Miete von dir, oder?«
Mein Blick fiel auf den schönen, sicheren Fußboden, der mich weder böse anstarrte noch das frühe Ableben meiner Eltern beiläufig abtat, aber ich fing mich wieder und zwang mich, den Kopf zu heben. Hier zu wohnen, war nicht meine erste Wahl gewesen. Lieber wäre ich in meinem Elternhaus geblieben, wo ich mein gesamtes Leben verbracht hatte, aber als Testamentsvollstrecker hatte Onkel Jack es verkauft. Gegen meinen Willen. Letzte Woche hatte ich den Schlüssel an die neuen Eigentümer übergeben.
»Ich verstehe, dass es bei der Lebensversicherung Verzögerungen geben kann«, erwiderte ich. »Aber was ist mit ihrem Besitz? Sie haben mir einige Erbstücke hinterlassen, die ich gern …«
»Deine Eltern haben dir ihr Haus und alles darin hinterlassen«, unterbrach er mich. »Alles, was du geerbt hast, befand sich im Haus. Hast du nicht alles eingelagert?«
Jedes Mal, wenn er mich unterbrach, verlor ich den Faden. Ich riss mich zusammen und sammelte meine Gedanken. Ich hatte sämtliche Habseligkeiten von mir und meinen Eltern einlagern müssen, weil er unser Haus verkauft hatte! Und nein, ich hatte nichts von dem Erlös gesehen, obwohl das Geld mir gehörte. Die Gebühren für das Einlagern aller Möbel und Besitztümer aus einem kompletten Gebäude zehrten meine Ersparnisse auf.
»Ich spreche von den Erbstücken, die sie in einem extra Depot aufbewahrt haben«, erklärte ich. »Ich habe mit dem Nachlassanwalt gesprochen, und er meinte …«
»Du hast mit dem Anwalt gesprochen? Ich bin der Testamentsvollstrecker, warum bist du nicht zu mir gekommen?«
Weil er mich ignoriert, abgewiesen und unterbrochen hatte, deshalb. »Der Anwalt sagte, der Zugriff auf Stücke in einem Depot sollte unkompliziert sein und …«
»Es ist nicht unkompliziert, ganz egal, was dir dieser inkompetente Jurist erzählt hat. Ich arbeite daran, aber ich habe noch keinen Zugang.« Er klopfte gegen einen Stapel Papiere auf dem Schreibtisch, um ihn gerade zu rücken. »Ich habe zu tun, Robin. Ich lasse es dich wissen, wenn sich etwas Neues ergibt.«
Wieder abgeschmettert. Ich murmelte eine Verabschiedung und marschierte zügig in den Flur. Aus kleinlicher Rachsucht ließ ich die Tür einen Spalt offen. Er würde aufstehen und sie selbst schließen müssen.
Oh ja, ich war echt böse. Die rebellische Nichte.
Angewidert von meinem jüngsten Fehlschlag bei meinem Onkel stolperte ich den Flur entlang, den Ölgemälde und raumhohe Fenster mit schweren Vorhängen säumten, dann vorbei an einem Salon, einem formellen Wohnzimmer und einem Ess…saal. Kein Esszimmer, das wäre viel zu gewöhnlich gewesen, zu klein und zu beengt. Im Esssaal stand ein Tisch für achtzehn Personen.
Onkel Jack hatte nicht übertrieben, als er die Dämonenbeschwörung als »lukrativ« beschrieben hatte. Dieses Haus hatte so viele Räume, dass ich mich auch am dritten Tag noch verirrte.
Ich blieb an einem Fenster stehen und starrte auf den weitläufigen Rasen hinaus, der vom orangefarbenen Sonnenuntergang beschienen wurde. Auch wenn mein Onkel das annahm, war ich nicht hierhergezogen, weil ich eine Unterkunft brauchte – obwohl das auch stimmte. Ich war hier, weil er mir bisher garnichts von dem ausgehändigt hatte, was ich von meinen Eltern hätte erben sollen. Geld, selbst wenn ich es dringend benötigte, war dabei nicht meine Hauptsorge.
Ich wollte die Erbstücke, die zu wertvoll waren, um sie zu Hause aufzubewahren, speziell ein Andenken, das mir mehr bedeutete als alles andere, und ich würde hierbleiben, bis ich es bekam.
Ich betrachtete mein Spiegelbild im Glas: die blauen Augen, die hinter der schwarz gerahmten Brille grimmig zusammengekniffen waren, das schulterlange Haar, das mir wild und dunkel um das blasse Gesicht fiel, den kleinen Mund, zu einer wütenden Linie verzogen. Warum konnte ich Onkel Jack nicht so ansehen? Stattdessen schlich ich um ihn herum wie ein verängstigtes Mäuschen und zuckte jedes Mal zusammen, wenn er mich unterbrach.
Mit hängenden Schultern machte ich mich auf den Weg in die Küche. Ich hörte Stimmen von dort, gefolgt von einem fröhlichen Lachen. Das Aroma von Tomatensoße und geschmolzenem Käse stieg mir in die Nase.
Die Küche dominierte den hinteren Bereich des Hauses: eine hohe Frühstückstheke mit wunderschönem Marmortresen, als Kontrast dazu eine riesige Edelstahl-Kochinsel mit doppeltem Gasherd, zwei Öfen und einer massiven Dunstabzugshaube, die von der Decke herabhing.
Onkel Jacks Tochter Amalia und sein Stiefsohn Travis beugten sich über etwas auf dem Herd, das so dampfte, wie es nur leckeres Essen konnte. Amalia war zwanzig wie ich, Travis einige Jahre älter. Sie hatten mich nicht kommen hören, luden das Essen auf ihre Teller, und Travis scherzte über etwas, was Amalia zum Lachen brachte.
Unbeholfen stand ich in der Nähe der Tür und überlegte, was ich tun sollte. Schließlich sagte ich meinem Bammel vor sozialen Kontakten den Kampf an und fasste Mut. »Hey, Leute.«
Sie reagierten nicht.
Zu leise. Ich versuchte es erneut. »Hey, Leute. Was kocht ihr da?«
Mit Tellern voller Spaghetti mit dicker roter Soße in der Hand drehten sie sich um. Amalias Augen, umrandet mit dunklem Kajal, verfinsterten sich, und ihr Lachen erstarb. Sie warf sich die blonden Haare über eine Schulter, nahm eine Gabel und verließ wortlos die Küche.
Meine Eingeweide schrumpften wie Seegras in der Sonne.
Travis verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Hey, Robin. Wie läuft’s?«
»Gut«, murmelte ich. Nichts war gut. Alles war Mist.
»Wir haben Spaghetti gemacht«, redete er nach einem Moment weiter. »Es ist noch ein bisschen was übrig, falls du was möchtest.«
»Klar«, sagte ich dem Boden.
Es folgte eine unangenehme Stille, dann trug er seinen Teller aus der Küche. Ich schaute gerade noch rechtzeitig auf, um zu sehen, wie er verschwand. Das enge T-Shirt betonte seine muskulösen Arme und die breiten Schultern.
Wütend und beschämt über meine Unfähigkeit, mich wie eine normal funktionierende Person zu verhalten, blieb ich in der Küche zurück. Ich ging zum Herd, wo zwei Töpfe mit ein paar Resten darin standen. Seufzend schaufelte ich mir die Kinderportion auf einen Teller. Vielleicht glaubten sie, dass ich nicht mehr brauchte. Kleine Leute benötigten womöglich keine Nährstoffe oder so.
Ich lehnte mich gegen die Theke und aß die viel zu magere Portion, während meine Gedanken von dem gescheiterten Versuch, Onkel Jack zur Rede zu stellen, zu meinem verschwundenen Erbe sprangen, und von dort zu diesem albernen Haus und dem Dämon im Keller. Ich wollte nicht hier sein.
Ich wollte zu Hause sein, mit einem alten Buch in meinen Lieblings-Lesesessel gekuschelt, und den Stimmen meiner Eltern lauschen, die in der Küche das Abendessen vorbereiteten. Wir hätten uns gemeinsam zum Essen an den Tisch gesetzt, und meine Mom hätte mir von dem dreihundert Jahre alten Buch erzählt, das sie für einen Kunden restaurierte. Dad hätte sich über seinen Chef bei der Bank beschwert. Ich hätte ihnen von der Hausarbeit berichtet, die ich für meinen Kurs über römische Geschichte schrieb.
Ich schob mir die letzte Nudel in den Mund, stellte den Teller in die Spüle und wischte mir mit dem Shirt die Tränen ab. Der Kummer drückte mir auf die Brust, und ich sehnte mich nach etwas Vertrautem – doch was in dieser kalten, weitläufigen Villa könnte mir Trost spenden?
Mein Blick fiel auf die Speisekammer.
Fünf Minuten später hatte ich die Kochinsel mit Mehl, Butter, Backpulver, Natron, Salz, weißem und braunem Zucker, zwei Eiern, Vanilleextrakt, zartbitteren Chocolate Chips und einer großen Tüte Pekannüsse, einem Überraschungsfund, vollgestellt.
Aus den Schränken suchte ich mir Rührschüsseln, Messbecher und andere Utensilien zusammen und hatte im Handumdrehen die trockenen Zutaten in einer Schüssel vermischt. Bei der Arbeit verblassten meine Sorgen. Mit jedem Abmessen und jedem Zubereitungsschritt wanderte ich gedanklich in die Vergangenheit. Ich backte in der Küche meiner Eltern, wo ich eine neue Variation meines Rezepts für Schoko-Pekan-Cookies testete.
Die Küche füllte sich mit dem köstlichen Aroma geschmolzener Schokolade, und während die Cookies im Ofen waren, machte ich Ordnung. Als ich sie herauszog, in der Mitte von der Hitze gewölbt und an den Rändern goldbraun, konnte ich fast hören, wie meine Mutter sich freute. Ich ließ die Cookies abkühlen, räumte dabei fertig auf und stapelte sie dann auf einen Teller.
Es war ein langer Weg bis zu den Zimmern im ersten Stock. Vor Amalias Tür blieb ich stehen, atmete probehalber einmal durch und klopfte. Ein Augenblick verging.
Dann wurde die Tür einen Spalt geöffnet, und ein graues Auge funkelte mich böse an. »Was willst du?«
Ich hielt den Teller hoch. »Ich habe Cookies gemacht. Möchtest du …«
»Ich bin auf Diät.«
Die Tür knallte zu.
Ich blinzelte hektisch, atmete aus und ging einige Schritte den Flur hinunter zu Travis’ Zimmer. Elektronische Musik drang durch die Tür. Ich klopfte, keine Reaktion. Ich klopfte noch einmal, diesmal lauter. Die Musik hämmerte weiter. Ich brachte es nicht über mich, zu rufen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Vermutlich war er sowieso beschäftigt.
Mit dem vollen Teller in der Hand wanderte ich den nicht enden wollenden Flur entlang zu einer dritten geschlossenen Tür. Hier brauchte ich nicht zu klopfen. In diesem Zimmer gab es ein Bett, das nicht meines war, mit einer grau gestreiften Decke, die mir nicht gefiel. Mein Koffer stand im begehbaren Kleiderschrank auf dem Boden. Er war mit Socken und Unterwäsche gefüllt, darüber hingen sechs Shirts auf Kleiderbügeln. Zehn meiner Lieblingsbücher lagen auf der Kommode – die einzigen, die ich mitgebracht hatte. Der Rest meiner Besitztümer befand sich zusammen mit den Sachen meiner Eltern in der Lagereinheit.
Ich starrte die Cookies an und wusste, wie mein Abend aussehen würde: allein auf dem fremden Bett, mit alten Büchern, während ich versuchte, nicht zu weinen. Diesmal konnte ich in meinen riesigen Teller Cookies weinen. Dann wäre ich nicht nur traurig, sondern mir wäre auch noch schlecht. Doppeltreffer.
Ich brauchte eine bessere Ablenkung. Wann hatte ich das letzte Mal so lange kein neues Buch gelesen? Früher hatte ich die Hälfte meiner Freizeit damit verbracht, in der Bibliothek auf meinem College-Campus nach neuem Lesestoff zu stöbern …
Die Bibliothek.
Mein Blick fiel auf den Boden, als könnte ich durch ihn hindurchschauen. In diesem Haus gab es eine Bibliothek – eine große Privatbibliothek voller faszinierender ledergebundener Bücher.
Bücher … und ein Dämon.
Onkel Jack hatte verlangt, dass ich mich vom Keller fernhielt, aber kümmerte es mich, was er wollte? Leichtsinnige Verwegenheit durchzuckte mich. Ich drehte mich auf dem Absatz um und marschierte zur Treppe.
Ich balancierte den Teller mit den Cookies auf der Handfläche, zog die Tür zur Bibliothek auf und spähte hinein. Das sanfte Licht der Wandlampen warf Schatten in den Raum. Die Dämonenkuppel thronte bizarr und verstörend in der Mitte.
Ich blieb im Türrahmen stehen und erinnerte mich an das leise Lachen bei meinem ersten und bisher einzigen Besuch. Dann gab ich mir einen Ruck und trat ein. An der Wand fand ich einen Schiebeschalter, den ich nach oben stellte. Sofort wurde das Licht heller und verbannte die Düsternis in die Ecken. Die Kuppel aus unnatürlicher Nacht wirkte jetzt noch seltsamer. Ich drückte mich an einer Regalwand entlang und umklammerte meinen Teller, als wollte ich ihn beim ersten Anzeichen von Bewegung wegschleudern.
Der Kreis blieb schwarz und still. Keine Hinweise auf Leben darin.
Ein Kribbeln lief über meine Arme. In dieser Dunkelheit verbarg sich ein Dämon. Eine Kreatur aus … nun, nicht aus der theologischen Hölle, aber aus einer höllischen Dimension. Das war alles, was ich wusste, ich hatte nur flüchtige Beschreibungen von Dämonenbeschwörungen gelesen. Wenig überraschend war das keins meiner Interessengebiete.
Ich dachte darüber nach, wieder zu gehen, doch die Verlockung der Bücher war stärker. Der Dämon saß in diesem Kreis fest. Das Schlimmste, was er tun konnte, war, mich auszulachen. Ich platzierte meinen Teller auf dem Beistelltisch neben einem der Ledersofas, nahm zwei Cookies und machte mich auf die Suche.
Die meisten Leute hätten einen Dämon nicht ignorieren können, der sich in derselben Bibliothek befand wie sie, aber die meisten Leute liebten Bücher auch nicht so sehr wie ich.
Wie im Flug verging eine halbe Stunde, während ich die Regale durchstöberte und alles Mögliche fand: Enzyklopädien, Geschichtsbücher über alle erdenklichen Kulturen und Länder, Bücher über Geografie und Naturkunde, alte Klassiker, einige moderne Klassiker, Reisebücher und merkwürdigerweise ein einzelnes Regal in einer hinteren Ecke, das mit veralteten Liebesromanen bestückt war. Auf ihren Covern prangten verblichene Männer mit langen Haaren und offenen Hemden, von der Brise aufgebauscht.
Ich kehrte zu den Cookies zurück und biss in schokoladige Köstlichkeit. Es juckte mich in den Fingern, mir ein Buch auszusuchen und loszulesen, doch ein Bereich der Bibliothek war noch unerforscht: die Regale gegenüber der Tür, direkt hinter dem Dämonenkreis. Die Bücher dort unterschieden sich von den anderen – mehr Größen, mehr Farben und ungeordnet, als hätte sie jemand umgestellt.
Ich betrachtete die zwei Meter Abstand zwischen dem silbernen Rand des Kreises und den Regalen. Zwei Meter reichten. Solange ich nicht stolperte und hinstürzte, war alles gut.
Mit wild pochendem Herzen schlüpfte ich vor die Regale und überflog die Buchrücken. Mein Puls beschleunigte sich noch mehr. Alles, was ich bisher in diesem Raum gesehen hatte, waren Geschichtsbücher, Lehrbücher und Romane, wie man sie in den meisten gut sortierten Bibliotheken finden konnte. Doch diese hier handelten von Magie.
Handbücher für Magie. Studien zur Magie. Magiegeschichte. Arcana, Elementaria, Spiritalis, Psychica und Dämonica – alle fünf Magieklassen waren in den Regalen vertreten.
Das Studium der Magie war meine größte Leidenschaft. Streng genommen war ich eine Zauberin – eine Mythikerin der Arcana-Klasse –, doch ich hatte nie eine Ausbildung begonnen. Halte dich von Magie fern. Das war unser Familienmotto, und die übernatürlichen Phänomene der Welt zu studieren, war mein größtes Zugeständnis – näher wollte ich echter Magie nicht kommen. Ich war eine akademische Beobachterin beim gefährlichsten Spiel von allen und absolut zufrieden mit meinem Platz außerhalb der Arena.
Ich überflog die Titel und zog aufgeregt ein Buch heraus: Eine Untersuchung der Astralkonstruktionen in Arcana. Das nächste: Die einzigartige Physiologie der Elementarier. Dann: Berühmte Wahrsager des 21. Jahrhunderts und Die Mission der Hexe: das Gleichgewicht zwischen Moderne, Natur und Feen.
Ich stapelte die Bücher auf einem Arm und bückte mich, um die Titel in der untersten Reihe zu lesen, doch die Rücken waren leer. Neugierig wählte ich aufs Geratewohl einen dicken Wälzer aus und nahm ihn aus dem Regal. Der Ledereinband war nicht alt und abgenutzt, wie ich erwartet hatte, sondern glänzend und steif. Ich schlug das Buch auf. Die Titelseite klebte am Einband, daher fiel mein Blick stattdessen auf das Inhaltsverzeichnis:
1 Eine Einführung in die Dämonenbeschwörung
2 MPD-Vorschriften und Anforderungen
2.1 Rechtspraktiken & Sanktionen
2.2 Dokumente für die Zulassung
2.3 Zeitpläne für Inspektionen
2.4 Registrierung für Kontraktoren
3 Beschwörungsrituale
3.1 Standardvarianten
3.2 Griechische vs. lateinische Beschwörungen
3.3 Anforderungen an die Räumlichkeiten
3.4 Aufbau des Rituals
3.5 Häufige Fehler bei der Ausführung
3.6 Versagen des Einschlusses
4 Vertragsgrundlagen
4.1 MPD-genehmigte Muster
4.2 Häufige Fehler
4.3 Kontraktlänge: Kürze vs. Sorgfalt
4.4 Zu vermeidende Formulierungen
4.5 Die Verbannungsklausel
4.6 Empfohlene Vorbereitungen
So ging es noch zweiunddreißig Kapitel und zahllose Unterkapitel lang weiter. Von der Auswahl der Kontraktoren über Verhandlungstechniken bis hin zu Dämonennamen wurde alles abgedeckt. Ich blätterte noch einige Seiten durch, dann löste ich vorsichtig das Titelblatt vom Einband.
Legale Dämonica: das Handbuch der Beschwörer
Herausgegeben von Magicae Politiae Denuntiatores
Magicae Politiae Denuntiatores – die halb geheime internationale Organisation, die gemeinhin als MPD oder MagiPol bekannt war. Die MPD verheimlichte nicht nur die Existenz von Magie vor der Öffentlichkeit, sie überwachte auch alles und jeden im Zusammenhang mit der Nutzung übernatürlicher Kräfte. Wenn dieses Beschwörungshandbuch buchstäblich ihr Regelwerk war, konnte ich mir ja mal anschauen, wie genau Onkel Jack gegen das Gesetz verstoßen hatte. Ich war mir sicher, in Kapitel 3.3, »Anforderungen an die Räumlichkeiten«, waren Keller in Wohnhäusern nicht als legale Option aufgeführt.
Ich trug meine Buchauswahl zum Ledersofa und machte es mir neben dem Teller mit den Cookies bequem. Als ich gerade die erste Seite vom Handbuch der Beschwörer aufschlug – »Vorwort von Arnaldo Banderas, MPD Special Agent« –, fiel mir wieder ein, dass ich nicht allein in der Bibliothek war.
Mein Blick schoss zu der dunklen Kuppel. Wie hatte ich nur den Dämon vergessen können? Ich überlegte kurz, ob ich die Bücher heimlich in mein Zimmer bringen sollte, aber Herumschleichen war keine meiner Stärken. Außerdem war alles ruhig – kein gruseliges Lachen, keine Bewegungsgeräusche.
Ich biss von meinem Cookie ab und begann zu lesen. Die Minuten vergingen wie im Flug, während ich das Vorwort und die Einleitung las. Erst am Ende des zweiten Kapitels bemerkte ich, wie müde meine Augen geworden waren.
Ich klappte das Buch zu und dachte darüber nach, was ich erfahren hatte. Onkel Jack verstieß definitiv gegen das Gesetz, und wenn die MPD ihn erwischte, drohte ihm Gefängnis oder schlimmstenfalls die Todesstrafe. Die MPD war nicht zögerlich, wenn es um illegale Beschwörungen ging. Bisher hatte ich sogar den Eindruck gewonnen, dass es ihnen am liebsten wäre, wenn überhaupt niemand Dämonen beschwören würde.
Wieder blickte ich hinüber zu der dunklen Kuppel. Die Kreatur darin war eine Tötungsmaschine; ihre Hauptaufgabe war Mord, und sollte sie je entkommen, würde sie jede Person abschlachten, die ihr über den Weg lief, bis jemand sie umbrachte.
Ich wollte nicht mehr länger in diesem Raum sein.
Mit klammen Fingern – warum war es hier drin so kalt? – legte ich meine Bücher auf den Boden und schob eins nach dem anderen unter den Couchtisch. Sofern niemand die Möbel umstellte, würde keiner merken, dass sie dort waren.
Zufrieden stand ich auf und machte zwei Schritte, bevor mir mein Teller mit den Cookies einfiel. Als ich danach griff, stieß ich in meiner Eile versehentlich dagegen. Die Kekse rutschten über die glatte Keramikoberfläche und fielen inmitten fliegender Krümel auf den Boden, wo sie sich überall verteilten. Einer rollte wie ein perfektes kleines Rad über das Parkett.
Er rollte, schwankte, machte eine Kurve – und verschwand hinter der silbernen Linie.
Ich starrte die Stelle an. Panik durchzuckte mich, und ich stolperte rückwärts, weil ich jeden Moment damit rechnete, dass der Keks aus der Kuppel schießen und mich wie ein Projektil aus Teig ins Auge treffen würde. Konnte ein Dämon einen Keks so werfen, dass er damit jemanden tötete?
Beim letzten Gedanken verflog meine Panik. Es würde wehtun, wenn mich ein Cookie mit unmenschlicher Kraft traf, aber großen Schaden konnte es wohl nicht anrichten. Vielleicht war das dem Dämon ebenfalls klar.
Reglos wartete ich eine ganze Minute lang, doch aus dem Kreis drang kein Laut. Auch der Keks tauchte nicht wieder auf.
Ich atmete vorsichtig aus, sammelte die heruntergefallenen Cookies vom Boden und stapelte sie wieder auf den Teller. Die Krümel auf dem Parkett fegte ich mit meinem bestrumpften Fuß unter den Beistelltisch. Störte es mich, dass ich Onkel Jacks Villa dreckig machte? Kein bisschen. Falls ich zu einem Ungezieferproblem beitrug, umso besser.
Mit dem Teller in der Hand ging ich zur Tür, dann drehte ich mich noch einmal zu dem Kreis um. Hatte der Dämon bemerkt, dass ein Keks in sein Gefängnis gefallen war?
Meine Neugierde war geweckt. Spontan griff ich mir einen weiteren Cookie vom Teller, holte aus und warf. Er flog in einem schönen Bogen und landete in der schwarzen Kuppel.
Ich lauschte. Kein Knirschen oder Klappern. Überhaupt kein Geräusch. Merkwürdig. Ich warf einen zweiten Keks. Auch der fiel in die unnatürliche Dunkelheit, und wieder war da nichts als Stille. Entweder war das Innere des Kreises eine schwerkraftfreie Taschendimension ohne feste Oberflächen, oder …
… oder der Dämon hatte sich die Cookies geschnappt, bevor sie zu Boden fielen?
Ich stellte mir vor, wie ein Dämon aussehen könnte. Vorsichtig ging ich näher an den Kreis heran. Stille. Ich umklammerte den Teller mit den letzten fünf Keksen und einigen großen Stücken. Ob ich mich traute?
Bevor ich es mir ausreden konnte, kippte ich den gesamten Tellerinhalt in die Kuppel.
In einem Schauer aus Schokolade, Pekannüssen und Krümeln verschwanden die Cookies darin. Ein deutliches Prasseln ertönte, als sie auf dem Boden aufschlugen. Aha! Der Dämon hatte die ersten beiden also tatsächlich gefangen. Bedeutete das, dass …
Ich hörte ein leises schabendes Geräusch, dann flog etwas mit Warpgeschwindigkeit aus dem Kreis. Der Cookie traf mich mitten zwischen die Augen.
Ich schrie auf, taumelte und ließ beinahe den Teller fallen. Vor lauter Schmerz stiegen mir Tränen in die Augen. Ich wirbelte herum und rannte zur Tür, kam dann schlitternd zum Stehen und sauste zurück, um den Keks vom Boden aufzuheben. Onkel Jack sollte nicht sehen, dass …
Oh, Mist. Was, wenn der Dämon die Kekse hortete, um Onkel Jack damit zu bewerfen, wenn der das nächste Mal hier herunterkam?
Ich verfluchte meine Naivität, eilte die Treppe hinauf und stolperte in die dunkle, leere Küche. Behutsam betastete ich meine pochende, brennende Stirn. Zwischen meinen Augen bildete sich eine kleine Beule, und Krümel klebten an meiner Brille. Aua.
Wäre der Schmerz nicht gewesen, hätte ich vielleicht an mir gezweifelt. Ein Dämon hatte mir einen Keks ins Gesicht geworfen? Das war mit Abstand das Seltsamste, was mir je passiert war.
Ich betrachtete das Keksstück in meiner Hand. Der Dämon hatte es berührt. Angefasst. Hatte damit gezielt und es geworfen. Mit gerümpfter Nase warf ich es in den Müll und schrubbte mir die Hände, bis die Haut rot und rau war.
Mit einem Ohr lauschte ich auf Geräusche aus dem oberen Stockwerk, während ich den Deckel von einer Plastikkiste nahm und mit der Taschenlampe an meinem Handy hineinleuchtete.
Der Vorratsraum war genau wie der Rest des Hauses so überdimensioniert, dass es hier drin praktisch ein Echo gab. Auf einfachen Holzregalen waren unzählige Kisten und Plastikbehälter aufgestapelt. Bisher hatte ich Winterkleidung und Skiausrüstung, Dekorationsmaterial für Weihnachten und Halloween – merkwürdig, bis zu Halloween waren es nur noch zwei Wochen, warum schmückten sie damit nicht das Haus? –, altmodischen Schnickschnack, Spielsachen aus der Kindheit von Amalia und Travis und drei Kisten mit den gleichen alten Liebesromanen wie in der Bibliothek entdeckt.
Ich kramte in einer Kiste herum, die mit kaum getragenen Damenschuhen gefüllt war, dann stellte ich sie ins Regal zurück. Anschließend lehnte ich mich nach hinten auf die Fersen und strich mir den Pony aus den Augen.
Hatte ich im Haus meines Onkels herumgeschnüffelt? Ja, das hatte ich.
Da Onkel Jack ein illegaler Dämonenbeschwörer war, spielte Moral für ihn offenbar keine Rolle. Selbst ohne diesen Charakterzug hatte ich mehr als genug Gründe, ihm zu misstrauen. Wonach genau ich suchte, wusste ich zwar nicht, doch es bestand die Möglichkeit, dass er sich neben dem Geld, das rechtmäßig mir zustand, bereits weitere Teile meines Erbes unter den Nagel gerissen hatte.
Entschlossen schaltete ich die Taschenlampe an meinem Handy aus und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Der Flur war dunkel und leer. Ich schlüpfte hinaus und schlich über das kalte Parkett. An der Tür zur Bibliothek blieb ich stehen.
Zwei Tage waren seit meinem … Abenteuer … hier unten vergangen, und bisher war Onkel Jack nicht in mein Zimmer gestürmt, um zu fragen, wie sein Dämon in den Besitz frisch gebackener Geschosse gekommen war. Er hatte mir auch nichts Neues über mein Erbe oder einzelne Erbstücke mitgeteilt. Amalia und Travis ignorierten weiterhin meine unbeholfenen Gesprächsversuche. Ach, und der Nachlassanwalt hatte aufgehört, meine E-Mails zu beantworten, was bedeutete, Onkel Jack hatte ihn davor gewarnt, mit mir zu kommunizieren.
Allmählich verlor ich die Hoffnung, dass ich mein Erbe jemals erhalten würde. Onkel Jack verhielt sich unfair, aber was konnte ich dagegen tun? Ich hatte keine Macht und keine Trümpfe in der Hand. Vermutlich verschwendete ich lediglich meine Zeit. Wenn das so weiterging, würde ich ihn verklagen müssen, um an irgendetwas zu kommen.
Ja, genau. Mit den paar Pennys auf meinem Konto würde ich einen billigen Anwalt engagieren und meinen reichen Onkel vor Gericht zerren. Das würde hervorragend funktionieren.
Die meisten meiner kostbaren Andenken hatte ich bereits, und Geld war eine Annehmlichkeit, keine Notwendigkeit. Einige Erbstücke waren jedoch mehr wert als ein Scheck von der Versicherungsgesellschaft, und deshalb war ich hier. Und ich würde nicht aufgeben.
Ich würde nicht gehen, bevor ich nicht das Grimoire meiner Mutter in den Händen hielt.
Alle Grimoires, die handgeschriebenen Tagebücher von Zauberern, in denen sie ihre magischen Erfahrungen dokumentierten, waren wertvoll, doch das meiner Mutter war etwas ganz Besonderes. Es war über zahllose Generationen von der Mutter an die Tochter weitergegeben worden und umspannte Jahrhunderte. Das Grimoire war das Vermächtnis meiner Mutter und meiner Familie, und es gehörte mir.
Meine Mutter hatte es in einem speziellen Lagerraum aufbewahrt, um das alternde Papier vor dem Verfall zu schützen. Ich hatte keine Ahnung, wo oder wie ich darauf zugreifen konnte, und ich hatte Angst, es Onkel Jack gegenüber zu erwähnen. Er wusste vielleicht nichts von seiner Existenz oder dass ich es haben wollte, und wenn ich ihm das verriet, verschwand es womöglich für immer. Er würde es versteigern lassen, damit er noch mehr Geld verdiente, oder es seiner eigenen Tochter vermachen statt mir.
Der Timer an meinem Handy piepte. Schnell verließ ich meinen Platz an der Bibliothekstür und eilte die Treppe hinauf.
Als ich die Küche betrat, war das Licht bereits eingeschaltet. Kathy stand an der Spüle, eine rosa Schürze über ihr geblümtes Kleid gebunden, und wusch ab. Ihre schwarzen Pumps klackerten bei jeder Bewegung auf dem Boden.
Verwirrt blieb ich stehen. Das Abkühlgitter war verschwunden. Nein, nicht verschwunden. Ich entdeckte es auf dem Abtropfgestell neben dem Spülbecken.
»Tante Kathy? Hast du meine Muffins weggeräumt?«
Sie lächelte mich mit ihren übertrieben roten Lippen an. »Hattest du die gemacht?«
Ja, wer denn sonst? »Ja, ich …«
»Travis ist allergisch auf Erdnüsse. Hatte ich dir das nicht gesagt? Ich hab die Muffins weggeworfen.«
Mir blieb der Mund offen stehen. »Du hast sie weggeworfen? Aber …«
»Nur weil Travis einen Epi-Pen hat, heißt das nicht, dass …«
»Aber da waren keine Erdnüsse drin!«, unterbrach ich sie schrill.
»Es waren Nüsse obendrauf.«
»Pekannüsse!«, rief ich, umklammerte den Saum meines Pullovers und drückte fest zu. »Das waren Kürbismuffins mit Frischkäsefüllung und Zimt-Pekan-Streuseln.«
»Oh.« Sie zuckte mit den Schultern. »Da habe ich nicht gewusst. Bei einer Erdnussallergie kann man nicht vorsichtig genug sein.«
»Du hättest mich fragen können!«
Ihre schwarz umrandeten Augen verengten sich. »Sprich nicht in diesem Ton mit mir, junge Dame.«
Ich betrachtete ihr geschminktes Gesicht, die zitternden Wangen über den breiten Schultern, dann senkte ich den Blick zu Boden. Und verließ die Küche.
Am frühen Nachmittag war ich mit dem Bus zum Laden gefahren, um Zutaten zu besorgen. Die Frischkäsefüllung hatte ich vor dem Abendessen vorbereitet, damit sie im Kühlschrank fest werden konnte. Den Teig und die Streusel hatte ich dann gemacht, als die Küche nach dem Essen wieder frei war. Nur weil ich das Backen als Alibi benutzte, während ich das Haus durchsuchte, bedeutete das nicht, dass ich mir keine Mühe gab. Die Muffins waren perfekt aus dem Ofen gekommen. Der Kürbisduft hing immer noch im Flur.
Tränen brannten mir in den Augen. Ich hasste dieses Haus und jeden darin.
***
Ich hatte den Lagerraum im Keller durchsucht. Die Garagen, alle beide. Die Gästezimmer. Jeden Schrank, bis auf die in den Zimmern von Onkel Jack, Amalia und Travis. Es gab keinen anderen Ort, an dem ich nach Beweisen für Onkel Jacks Lügen oder den Besitztümern meiner Eltern Ausschau halten konnte.
Nun, da war noch Onkel Jacks Büro, doch dort hielt er sich immer auf, und ich war nicht mutig genug, um zu riskieren, dass er mich erwischte. Aber die Bibliothek … Falls Onkel Jack irgendwie das Grimoire meiner Mutter in die gierigen Hände bekommen hatte, wäre die Bibliothek der ideale Aufbewahrungsort dafür – und das perfekte Versteck. Ja, es war weit hergeholt, aber was sollte ich sonst tun?
Ich schielte zur Bibliothekstür hinüber, die sich nur einen halben Meter vor meiner Nase befand. Seit dem Vorfall mit dem fliegenden Keks war ich nicht mehr hier gewesen.
Bei der Erinnerung hob ich das Papiertuch an, das ich in der Hand hielt. Darauf lag ein halbes Dutzend dunkelbrauner Kekse, deren knusprige Oberfläche aufgesprungen war und das fluffige Innere mit den Schokoladenstückchen enthüllte. Außerdem waren sie mit Meersalz bestreut.
Wenn ich Stress hatte, stürzte ich mich gerne in meine beiden Lieblingshobbys: Lesen und Backen. Ich biss in einen Cookie und stöhnte beinahe auf. Perfekt. Schmelzend, schokoladig, süß, reichhaltig und einen Hauch salzig. Absolute Perfektion.
Durch den Zucker gestärkt, riss ich die Bibliothekstür auf und spähte hinein. Verlassen. Jack und sein Partner Claude kamen normalerweise nachmittags hierher, und jetzt war es fast neun Uhr abends. Ich schaltete das Licht ein und starrte auf die schwarze Kuppel, unter der sich der Cookie-werfende Dämon versteckte. Hatte er ein paar kuchige Raketen für meine unvermeidliche Rückkehr aufbewahrt?
Anscheinend nicht, denn nichts geschah. Ich schob mich an der Wand entlang bis zur Couch, deponierte meinen Snack auf einem Beistelltisch – dem, der am weitesten vom Kreis entfernt war – und sah mich im Raum um. Die Regale hatte ich schon einmal durchstöbert, allerdings hatte ich da nicht nach dem Grimoire gesucht.
Ich behielt die tintenfarbene Kuppel im Auge und begann meine Suche in der Abteilung für Magie. Jedes Buch zog ich heraus, überprüfte es und schob es wieder zurück. Es ging nur langsam voran, aber ich wollte gründlich sein. Der ewig hungrige Bücherwurm in mir merkte sich jeden Titel und stellte eine Lesewunschliste zusammen, die so lang war, dass ich ein ganzes Jahr zum Abarbeiten brauchen würde.
Etwas scharrte über den Boden.
Ich hatte gerade Die Geschichte des keltischen Druidentums oben ins Regal zurückstellen wollen und erstarrte. All meine Sinne waren auf den Beschwörungskreis einen Meter hinter mir ausgerichtet. Ein weiteres Scharren ertönte – als ob jemand seine Position veränderte und dabei über den Boden kratzte.
Die Stille dröhnte in meinen Ohren. Nach einer Minute entspannte ich mich wieder und stieß den angehaltenen Atem aus.
»Hh’ainun.«